Ist das BPs Untergang?
Von Karl Weiss
Die BP ist in „trouble“. BP will sagen: British Petrol. Man hat zwei Firmen, eine davon die bekannte Halliburton des früheren US-Vize-Präsidenten Cheney, damit beauftragt, eine Tiefwasserbohrung im Golf von Mexiko nach Erdöl zu veranstalten und die Dinge gingen schief. Die Plattform hieß „Deepwater Horizon“.
Es wurden offenbar einfachste Sicherheitsregeln nicht eingehalten und die Ölplattform explodierte und sank kurz danach. Bis heute wurde die Zahl der Toten dieser Katastrophe nicht bekannt gegeben. Und die Folgen sind noch weit fürchterlicher als 10 oder 40 Tote.
Es ist der größte „Oil-Spill“ aller Zeiten. Und das endgültige Ausmaß ist noch nicht bekannt. Als die „Exxon-Valdez“ in den vorher fischreichen Gewässern Alaskas auf Grund lief und anschließend praktisch die ganze Ladung von Rohöl in die Umwelt entließ, war dies bereits das größte Desaster der Geschichte der Ölproduktion. Nun aber ist nicht die Menge Öl, die in eines der großen Tankschiffe passt, die jene mögliche Katastrophe begrenzt, diesmal wurde das Bohrloch selbst freigesetzt, der absolute Albtraum jedes Öl-Ingenieurs.
Seitdem fließt ein Strom von Erdöl aus jenem freigesetzten Bohrloch und alle Maßnahmen, dies zu unterbinden, liefen schief. Es muss sogar damit gerechnet werden, dieser Ausfluss von Öl in das Meer wird erst im Verlauf von Monaten drastisch zu verringern sein und auch das ist nicht sicher.
Was ist da schiefgelaufen? Wie konnte die BP ein solches Desaster geschehen lassen, obwohl alle Spezialisten bereits auf solche Möglichkeiten aufmerksam machten?
Die BP, speziell in Form ihres Vorstandsvorsitzenden Tony Hayward, hat – nachdem das Desaster schon nicht mehr zu verheimlichen war – auch noch alle publizistischen Fehler gemacht, die man in solchen Situationen machen kann. Er war nie präsent, wenn die Fischerhäfen am Golf von Mexiko besucht wurden, er versprach den Fischern nie großzügige Abfindungen, obwohl die Reingewinne der BP im Bereich von zig Milliarden das ohne Probleme hergegeben hätten.
Stattdessen erklärte er, die beiden Firmen, die er kontraktiert hatte für diese Bohrung, neben der Halliburton die Transocean, eine Schweizer Firma, seien verantwortlich.
Er musste dies bereits nach kurzer Zeit zurückziehen. Die Konzession war an BP vergeben worden und jegliche Unterkontraktanten hätten an strenge Regeln gebunden werden müssen. Da scheint es aber gehapert zu haben. Heute versucht die BP schon nicht mehr, die Schuld auf die „Contractors“ abzuschieben.
Hayward, der bei Analysten immer als Vorzeigemanager galt: Hayward hat Kosten gespart, Stellen gestrichen, Gewinne gesteigert, ein Vorstandsvorsitzender jener Art, wie sie diese Großkonzerne nun im Dutzend hervorbringen: Er weiß sicherlich, wie man die Profite der BP ins fast Unermessliche steigert, aber er hat nicht den geringsten Kontakt zu den Normalsterblichen, kann sich gar nicht vorstellen, wie das Leben normaler Menschen vor sich geht und er hat vor allem auch keinerlei wirkliche Kenntnisse über die Technik von Tiefseebohrungen.
So ging es völlig an ihm vorbei, dass eine Anwesenheit nötig gewesen wäre, als Präsident Obama die betroffenen Regionen besuchte. Zunächst ließ er noch verlautbaren, es trete gar kein Öl aus. Als sich dies nicht mehr verheimlichen ließ, keinerlei Präsenz vor Ort, keinerlei Versprechen von großzügigen Ausgleichszahlungen. Dies zumindest hatte der damalige Präsident der Exxon in Alaska noch von sich gegeben - allerdings später nicht eingehalten.
Na, zumindest ist er ehrlicher als der damalige Exxon-Präsident.
Doch der damalige Tanker-Unfall war ein schlimmer Unfall. Diesmal handelt es sich um eine Katastrophe. Keine bisherige Umwelt-Katastrophe lässt sich mit dieser vergleichen. Die Ölmengen sind bis jetzt bereits zehn mal mehr als damals (nach bereits überholten Angaben). Vor allem aber, die Küsten, wo all dies anlandet, sind nicht mehr die extrem dünn besiedelten Alaskas, wo ganze Eskimo-Stämme ihre Lebensgrundlage verloren und in die nächst gelegen Städte flüchten mussten, um zu betteln.
Diesmal handelt es sich um einige der dichtest besiedelten Küsten überhaupt. Hunderttausende und Millionen sind betroffen. Nicht nur, dass die Fischer keine Beute mehr finden, nicht nur, dass die Krebse und Hummer verschwinden, nicht nur, dass die Shrimps und anderen Schalentiere nicht mehr auftauchen, nicht nur die völlige Unmöglichkeit noch irgendwelche lohnenswerten Fischzüge zu machen.
Was stärker wiegt, ist die Vernichtung bestens bekannter Urlaubsgebiete, ist die völlige Verhinderung der normalen Strandvergnügen, ist das Auslöschen von Hunderten von Kilometern von sauberem Strand für Jahrzehnte – wenn nicht auf ewig.
Dazu kommen die ausgedehnten Bereiche der Florida-Küste, in denen Hunderttausende von US-Rentnern ihre wohl verdiente Rente genießen. Sie alle hatten sich Appartements an der Küste gekauft, die nicht nur ein Strandleben, sondern auch die Möglichkeit von Fischfang-Abenteuern beinhalteten. Damit dürfte nun Schluss sein.
Damit ist die Golf-Coast-Katastrophe bereits heute weit gigantischer als jene der Exxon-Valdez. Die BP scheint dies erst in den letzten Tagen bemerkt zu haben, doch ihre Antworten bleiben extrem vage. Es wird von weiteren Monaten gesprochen, bis der Öl-Austritt wirklich gestoppt werden kann.
Dies alles allerdings dürfte bereits vorher klar gewesen sein. Jeder verantwortliche Ingenieur hat bereits berichtet, dass dies passieren könnte oder wenn er dies offiziell nicht hat, dann unter Druck des Konzerns. Die Risiken der Ölförderung in großen Tiefen und die hohen Kosten waren bereits bekannt.
Doch müssen wir von einem Konzern wie BP besonders hohe Standards verlangen. Der Bürger-Journalist war bereits einmal indirekt Angestellter der BP. Genau gesagt war die Firma, in der er arbeitete, Vertriebsorganisation einer BP-Tochter. Als solcher, wurde man in bestimmte BP-Orientierungsprogramme einbezogen. Dort wurde einem unter anderem klar gemacht: Die BP kann nicht länger die relativ hohe Zahl von Angestellten verkraften, die Opfer eines Auto-Unfalls mit Alkohol-Ursachen werden. Die BP dekretiert: Wer wegen Fahrens unter Alkohol-Einfluss verurteilt wird, wird unmittelbar entlassen, auch wenn er nur bei einer Vertriebsorganisation einer BP-Tochter arbeitet.
Das ist sicherlich eine keineswegs zu verurteilende Sicht der Dinge. Aber hätte ein Konzern, der sich in dieser Beziehung so weit aus dem Fenster lehnt, nicht auch in Bezug auf die absolute Sicherheit von Ölquellen gegen Explosionen und unerwünschten Öl-Austritt in ähnlich rigoroser Weise vorgehen müssen?
Nun, die BP ist einer der fünf großen internationalen Ölkonzerne auf der Welt, die da sind: Exxon-Mobil, Shell, Chevron-Texaco, Total und BP. Alle fünf kämpfen um die Vorherrschaft, blieben aber bisher in etwa auf gleicher Höhe. Die höchsten Profite konnte die Exxon einstreichen, die es bereits in einem Jahr auf über 43 Milliarden Dollar Reingewinn gebracht hat. Auch die anderen liegen im Zig-Milliarden-Dollarbereich bei den Profiten. Kurz, es handelt sich um das profitabelste, was es gibt (außer Banken natürlich).
Da wäre es nicht zuviel verlangt von diesen Konzernen, auch technisch und nicht nur finanziell exzellent zu sein. Doch da hapert es. Der Bürger-Journalist kennt, wie es der Zufall will, einen Vorarbeiter von einem der Aufbaukommandos für eine neue Tiefsee-Ölplattform hier vor der brasilianischen Küste. Befragt, ob dort alle elektrischen Anlagen, also alle Relais und sonstigen eventuell Funken-geneigten Gerätschaften explosionssicher ausgelegt seien, berichtete der, Explosionssicherheit sei überhaupt nicht gefordert.
Wenn Sie in Deutschland einen Industriebetrieb haben, in dem eventuell Lösungsmitteldämpfe oder Gas austreten können, so müssen Sie alles explosionsgeschützt anlegen, was einen Haufen Geld kostet. Aber die profithaltigsten Konzerne der Welt haben es nicht nötig, Explosionssicherheit zu garantieren????
Nach den letzten Schätzungen ist die Menge Öl, die da im Golf von Mexiko austritt, alle fünf Tage einmal die „Exxon Valdez“. Das ist das zigfache von dem, was die BP bisher zugegeben hat.
Diese Politik des immer nur tröpfchenweise Zugebens trägt auch nicht gerade zur Glaubwürdigkeit der BP bei.
Die Financial Times Deutschland (FTD) berichtet sogar, der Konzern BP könnte nun schon in der Existenz bedroht sein:
„Der Industrie-Ikone droht die Zerschlagung oder eine Übernahme. (...) "Wenn man sich den Kursverlust anschaut und die Wahrscheinlichkeit, dass das so auch weitergeht, glauben wir, dass sich BP zum Übernahmekandidaten entwickelt " (...) Tag für Tag verliert BP an der Börse. Allein am Dienstag [ 8.6.] waren es 15 Prozent. 71,6 Mrd. $ hat der Konzern an Börsenwert eingebüßt. Damit wird er angreifbar, vor allem für finanzstarke Staatskonzerne aus China oder Brasilien. Oder für Shell, über den es schon lange Fusionsgerüchte mit BP gibt. Zumindest Teile des Geschäfts wird BP aufgeben müssen, etwa Ölfelder (...) [BP] könnte gezwungen sein, Bohrprojekte und Tankstellen in den USA zu verkaufen. "Das US-Geschäft wird nicht zu halten sein", sagt Dougie Youngson, Analyst bei der Bank Arbuthnot. (...)
Die Märkte haben den Ernst der Lage erkannt. Das zeigt sich an den Kreditderivaten des Konzerns. Am Mittwoch [ 9.6.] verteuerten sich diese zum ersten Mal überhaupt auf mehr als 200 Basispunkte und wurden am Nachmittag bei 240 Punkten gehandelt. Das heißt, dass es jährlich 240.000 $ kostet, 10 Mio. $ an Anleihen abzusichern. Am Tag der Explosion waren es 43 Basispunkte.
Das bedeutet nicht zwingend, dass Anleger mit einer Pleite des Unternehmens rechnen. Allerdings ist es ein Hinweis, dass Leerverkäufer BP ins Visier nehmen. Das kann den Konzern an der Börse niederreißen und weiteres Vertrauen zerstören. "Die Situation hat den Geruch des Todes", sagt Arbuthnot-Analyst Youngson. Die Geier kreisen schon.“
Es gab bereits einen andere Großkonzern Großbritanniens, der – wenn auch aus anderen Gründen – in seine Bestandteile zerlegt wurde, die Imperial Chemical Industries (ICI), damals einer der fünf dominierenden Chemie-Konzerne. Heute gibt es keine große Firma mehr mit diesem Namen. Die Bestandteile gingen in vielen anderen Chemie-Gruppen auf.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass etwas ähnliches mit der BP geschieht. Die vier Haupt-Konkurrenten werden sicherlich nichts dagegen tun (um es vorsichtig auszudrücken).
Allerdings ist es viel zu früh, bereits mit dem Ableben dieses Konzerns zu rechnen. Er hat so viele Jahre extremster Profite hinter sich, dass er sicherlich nicht leicht zu Fall zu bringen ist. Dazu kommt: Am Ende wird all dies von Gerichten entschieden werden. Soweit bereits vorher Ausgleichzahlungen fließen, werden sie bei den Gerichtsentscheidungen berücksichtigt. Die Gerichte haben allgemein eine Tendenz, zugunsten von Großkonzernen zu entscheiden, die natürlich auch von den gerissensten Anwälten vertreten werden. Ob dies allerdings auch für ausländische Konzerne in den USA gilt, wird abzuwarten sein.
BP hat genügend Geld in der Kriegskasse, um ein zu tiefes Absacken seiner Aktien zu verhindern. Sollte allerdings die für August vorgesehene Lösung durch Ausgleichsbohrungen auch nicht klappen, so werden selbst die massiven Mittel der BP irgendwann zu Ende gehen.
Ob am Ende alle Rentner in Florida-Häuserparks Geld aus Ausgleich für verlorene Strände sehen werden, muss bezweifelt werden. Der vollständige Sandaustausch an 400 km Stränden muss sowieso als unmöglich angesehen werden. Die Folgen dieses Desasters wird man noch Jahrzehnte spüren.
Wenn es der BP wirklich an den Kragen geht, hat sie allerdings noch Alternativen, z.B. eine Umgründung, die im alten BP-Rahmen nur einen Bruchteil der Firmen-Assets lässt oder auch das, was GM getan hat: In den Vergleich gehen und damit die Gläubiger schlecht aussehen zu lassen und später wie Phönix aus der Asche wieder aufzustehen.
Veröffentlicht am 15. Juni 2010 in der Berliner Umschau