Sonntag, 20. Februar 2011

Guttenberg ist noch lange nicht erledigt

Infamie-Weltmeister

Von Karl Weiss

Nein, Guttenberg ist noch nicht erledigt. Es ist zwar klar – und selbst seine Anhänger können das nicht mehr leugnen (jedenfalls nicht, wenn sie noch ernst genommen werden wollen) – er hat in seiner Doktorarbeit in grossem Ausmass Zitatstellen anderer Autoren benutzt und diese Urheberschaft nicht angegeben, aber das ist jetzt schon nicht mehr der einzige Punkt. Dazu kommt, dass er gelogen hat. Er sagte, es seien „Fehler“ in der Doktorarbeit, aber keine Absicht, keine gewollten Plagiate, nur „Zitierfehler“. Es ist aber bereits bewiesen, die ganze Arbeit ist ein Plagiat.

Guttenberg

Die Net-Gemeinschaft, basiert auf Google, hat inzwischen über 200 geklaute Textstellen entdeckt in jener Doktorarbeit! (siehe hier:

http://de.guttenplag.wikia.com/wiki/Plagiate

Ein Zitierfehler dagegen ist ein falsches Zitat. Die nicht gekennzeichneten Zitate sind aber richtig!

Wenn das 10 oder 20 wären - und eventuell in weniger bedeutenden Teilen der Arbeit, so könnte man noch von einer Riesen-Schlamperei ausgehen, auch wenn die natürlich nicht gerade ein gutes Licht auf einen Politiker werfen würde, der Kanzler werden will.

Aber es sind über 200 in einem Werk von etwa 450 Seiten! Der Bürgerjournalist hat sich die Mühe gemacht, dort auf der genannten Site genau nachzusehen, auf vielen Seiten. Diese Zitate ohne Nennung der Quelle sind dort eindeutig dokumentiert. Es gibt keine Entschuldigung. Man braucht ja kein Jura-Wissenschaftler zu sein, um gleiche Texte, wenn sie Seite an Seite stehen, zu erkennen.

Besonders beeindruckend: An einigen Stellen wurden die plagierten Originalarbeiten noch „verbessert“, leicht verändert: Ein weiteres eindeutiges Indiz, dass absichtlich plagiert wurde: Hätte die Absicht bestanden, den Text als Zitat zu kennzeichnen und dies wurde nur vergessen, hätte er natürlich nicht verändert werden können und dürfen.

Dabei sind auch und gerade die inhaltlich besonders bedeutenden Stellen der Arbeit betroffen: Die Einleitung und die Zusammenfassung mit Schlussfolgerungen.

Ehrlichkeit vergessen - Verteidigungsminister

Doch heisst das, Guttenberg wird jetzt zurücktreten? Noch keineswegs: Man sehe sich nur Berlusconi an, was dem (und mit guten Beweisen) vorgeworfen wird. Er klammert sich an das Amt wie ein Affe an seinen Baum. Guttenberg könnte das sicherlich ähnlich machen und einfach darauf setzen: Die Öffentlichkeit vergisst schnell.

Und Guttenberg ist kein Ersttäter. Schon in der Kundusaffäre log er wie gedruckt. Ihm seien wichtige informationen vorenthalten worden – und entliess zwei hohe Militärs. Später stellte sich heraus, die Informationen lagen ihm sehr wohl vor. Die Öffentlichkeit liess das durchgehen. Wahrscheinlich, weil man sowieso davon ausgeht, dass Politiker lügen.

Und dann die „Meinungsumfragen“. Jedes Mal, wenn Guttenberg sich einen Hammer leistet, steht am nächsten oder übernächsten Tag eine angebliche Meinungsumfrage in der Zeitung, die eine breite Mehrheit „Pro-Guttenberg“ zeigt.

Das war so bei der Kundus-Affäre, das war so beim "Urlaub" mit Frau in Afghanistan, das war so, als Kerner auf Staatskosten nach Afghanistan befördert wurde, um dort eine Sendung mit den Guttenbergs zu machen, das war so, als ein deutscher Soldat in Afghanistan einen anderen erschoss und es war so, als die Zensur von Soldatenbriefen aus Afghanistan aufgedeckt wurde. Ebenso war es so, als die Gorch-Fock-Affäre aufkam, in der er wiederum seine Fähigkeiten als Schnell-Entlasser zur Schau stellte.

Nur können echte wissenschaftliche demoskopische Meinungsumfragen gar nicht innerhalb eines oder zwei Tagen erstellt werden, denn es müssen persönlich Hunderte von Personen interviewt werden. Telefonumfragen erfüllen nicht die Bedingungen wissenschaftlicher Demoskopie. Es muss vermutet werden, es handelt sich um Fälschungen, die wohlfeil von bestimmten „Instituten“ verkauft werden.

Jene Meinungsumfragen, die nachprüfbar momentan im ‚Spiegel‘ (61% für Rücktritt) und in vielen Zeitungen und Magazinen gemacht werden, zeigen alle ohne Ausnahme eine klare Mehrheit gegen Guttenberg, für seinen Rücktritt – auch wenn diese Umfragen natürlich nicht den Anforderungen an Demoskopie genügen. Woher die besagten Institute Mehrheiten von 60 bis 70 % für Guttenberg nehmen, ist ihr Geheimnis.

Angesichts der Zahlen für die Union (eine davon werden wir am heutigen Sonntag in Hamburg erleben) ist eine 60 bis 70%-Mehrheit der Bevölkerung für Guttenberg nicht darzustellen. Das würde ja bedeuten, diese klare Mehrheit wisse überhaupt nicht, in welcher Partei er ist oder nehme an, er werde Alles anders machen als die heutige Union.

Berlusconi und Guttenberg

Die Menschen mögen eine Zeit lang verführbar sein, aber klaren Mehrheiten der Deutschen völlige Verblödung zu unterstellen, das geht doch zu weit – auch wenn die Beeinflussung durch die Springer-Blätter nicht unterschätzt werden darf.

Nun, was wird die Universität Bayreuth tun? Auch dort weiss man ja sehr wohl: Das Plagiat ist bereits erwiesen. Man kann nun natürlich alle Klappen schliessen, auf der Autentizität der Doktorarbeit bestehen und auf den bereits gemachten Fehler noch einen zweiten drauf setzen. Das ist gar nicht so unwahrscheinlich angesichts der Bedeutung des Guttenberg-Clans dort im Raum Bayreuth und angesichts der behaupteten 60 bis 70%-Mehrheit für Guttenberg.

Man könnte jetzt aber auch korrekt handeln, die Arbeit als Plagiat einstufen und ihm den Doktortitel entziehen. Dann wäre wenigstens ein wenig von dem Schaden abgewehrt, der die gesamte wissenschaftliche Gemeinde und alle Universitäten und Doktoren bereits getroffen hat.

Doch selbst das muss noch keineswegs heissen, dass Guttenberg zurücktritt. Politiker haben schon andere Dinge „ausgesessen“ (siehe Berlusconi).

Hat er neben den unleugbaren Polit-Sprech-Fähigkeiten auch noch andere, zum Beispiel Bauernschläue, wird er aber jetzt wirklich zurücktreten und dann, in drei bis vier Jahren, sich langsam wieder nach vorne schieben, zunächst nur in Bayern, und wie Phönix aus der Asche als strahlender Held neu geboren werden.

Ein leuchtendes Vorbild hat er da in Berlin im Ministerium nebenan: Schäuble. Der war (neben Kohl) der Haupttäter in der CDU-Spendenaffäre, die damals die Union zeitweise unter 20% rutschen liess. Dann setzte er aber aufs richtige Pferd: Merkel. Und nun ist er schon wieder seit Jahren Bundesminister und niemand spricht mehr von der CDU-Spendenaffäre – und seine Vergehen waren deutlich ernster als ein Plagiat bei der Doktorarbeit, weil unmittelbar die politische Sphäre betroffen war.

Beckstein
Schäuble und Beckstein

Überhaupt sind die beiden – wenn man mal von Äusserlichkeiten absieht – wie Zwillingsbrüder: Sie verkörpern beide alles, was die Politiker so verabscheuungswürdig macht: Die unendliche Arroganz, der unerträgliche Politsprech, die restlose Verachtung aller Untergebenen (und des gesamten Volkes), reaktionär bis auf die Knochen, perfekt in Gesten statt in wirklichen Veränderungen und „unfehlbar“: Kritiker sind immer böswillig.

Das unvorstellbar Infamste aber, was sich Guttenberg leistete, war die Antwort auf eine Frage nach seiner Doktorarbeit. Er sei beschäftigt, denn in Afghanistan sei ein deutscher Soldat getötet worden (implizit: Lasst mich mit Lächerlichkeiten wie Doktorarbeiten in Ruhe, wenn ich schwere militärische Probleme zu lösen habe. Ein Toter! Haben Sie denn kein Herz?).

Er, der einer der Hauptverantwortlichen dafür ist, dass deutsche Soldaten in Afghanistan stehen und dort getötet werden können und dass „übersehen“ wird, die militärischen Probleme dort sind unlösbar, weist einen Teil der Schuld dem Fragesteller zu, der ihn nicht seine Arbeit machen lässt, die doch solche Toten verhindern soll.

Wer dem Bürgerjournalisten etwas vergleichbar Infames bei anderen Politikern zeigen kann, der möge das tun. Bis dahin bleibt Guttenberg der Infamie-Weltmeister.


Zusatz zum Artikel

Nun liegen also die Hamburg-Ergebnisse vor: Nicht einmal ganz 22% für die CDU.
Multipliziert man das mit der Wahlbeteiligung von 59%, ergibt sich ein Ergebnis von etwa 12, 9 Prozent der Wahlberechtigten.

Wie will jenes Institut nun auf eine 60 bis 70%-Mehrheit von Guttenberg kommen?

Nun, werden Sie sagen, Hamburg ist ein Ausnahmefall. Die Union liegt bundesweit weit höher als das.

Also gut, nehmen wir das Doppelte, also 24 statt 12 Prozent. Wie will man von 24 Prozent auf 60 bis 70% kommen?????

Diese Meinungsforschungsinstitute sind vollkommen unglaubwürdig!

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