Hält sich hartnäckig
Von Karl Weiss
Ein Phänomen kann man in der “Süddeutschen“ beobachten. Ein Artikel vom Januar (!) hält sich bis heute (5. Juni) unter den „Meist verschickten“, die in der Süddeutschen im Internet ständig gemeldet werden. Es ist der Artikel „Das Rätsel der offenen Umschläge“ über die geöffneten Privatbriefe aus Afghanistan von deutschen Soldaten.
Was ist so faszinierend an diesem Artikel, der so alt ist, dass damals noch ein gewisser Guttenberg Verteidigungsminister war? Ist er mitreissend geschrieben? Nein, eher etwas langweilig zurückhaltend. Ist es das Thema? Scheint so.
Anscheinend ist mit dem Öffnen privater Briefpost – ganz offensichtlich durch „offizielle Stellen“ des Staates - eine gewisse Grenze überschritten, die jeder vernünftige Bürger im Kopf hat, die Grenze, ab wann der Staat nicht mehr demokratisch ist (bzw. dies offensichtlich wird).
Obwohl der Artikel so tut, als sei nicht klar, wessen Hände da an der privaten Briefpost waren, sagt er im Grunde doch, was Sache ist:
„ ... schließen nicht aus, dass möglicherweise offizielle Stellen bis hin zum Verteidigungsministerium oder dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) involviert sein könnten, um zu verhindern, dass sicherheitsrelevante Informationen nach außen dringen.“ (...)
„Da es außerdem ausschließlich um Briefe geht, die von Soldaten in die Heimat geschickt wurden, spricht einiges dafür, dass die Briefe noch im OP North geöffnet wurden.“ (...)
„Nun liegt der OP North allerdings in der Gefechtszone. Es sind also durchaus Anlässe vorstellbar, bei denen Vorgesetzte lieber das Recht brechen, als sicherheitsrelevante Geheimnisse nach außen dringen zu lassen.
Wie dem auch sei - die Bundeswehr scheint ein grundsätzliches Problem damit zu haben, wie sie mit privaten Schreiben ihrer Soldaten umgeht. Aus anderen Truppenteilen wird berichtet, dass dort Zensur zur Tagesordnung gehört.
In dem unter Soldaten und Verteidigungsexperten anerkannten Blog "Augen geradeaus" des ehemaligen Focus-Journalisten Thomas Wiegold berichtet ein Soldat unter dem Pseudonym "Mariner" angesichts der geöffneten Briefe aus Afghanistan: "Wenn ihr wüsstet - oder vielleicht besser der Wehrbeauftragte - was an Bord unserer Schiffe abgeht ... da behalten sich die Kommandanten vor, jede private E-Mail lesen zu dürfen, um den Inhalt auf einsatzwichtige Details zu prüfen.“
Es ist also klar, die von besorgten Politikern kolportierte Verschwörungstheorie, die Briefe seien von „Einzelnen mit kriminellen Interessen“ geöffnet worden, lässt sich nicht halten. Der Artikel sagt selbst: „Schließlich dürften sich in den Briefen kaum Gegenstände von größerem Wert befunden haben.“
Und es gibt den anderen Fakt. Seit damals (Januar) ist das Thema aus den Schlagzeilen verschwunden. Alle tun so, als hätte es das gar nicht gegeben. Die Politik geht der Sache nicht nach, die Medien – inclusive der Süddeutschen – auch nicht. Totschweigen ist die Devise.
Nur die Leser der „Süddeutschen“ im Internet lassen nicht nach und verschicken den Artikel noch immer.
Aber es hat sich eben nicht um Einzelfälle gehandelt: Der Artikel berichtet vom Wehrbeauftragten, der bei der dortigen Truppe nachgefragt hatte: Auf die Frage, von wem schon geöffnete Umschläge bei den Lieben daheim ankamen bzw. gar nichts ankam, „...Mindesten 20 bis 30 Hände hätten sich gehoben.“
Der deutsche Staat spitzelt also illegalerweise den eigenen Soldaten hinterher und dementiert dann einfach alles und wartet, bis es in Vergessenheit gerät.
Nur gerät es einfach nicht in Vergessenheit, denn der Artikel wird im Internetauftritt der „Süddeutschen“ andauernd verschickt - und das monatelang!
Jeder weiss, in Afghanistan wird ein Krieg in Wirklichkeit praktisch gegen die Zivilbevölkerung geführt. Und die Soldaten wissen darüber Genaues. Da darf man nichts nach aussen dringen lassen!
Und so etwas bezeichnet sich als demokratischer Staat! Die DDR lässt grüssen – oder sollte man selbst dort nicht so weit gegangen sein?
Ich frage mich, ob die Zensoren das können. Aber das steht auf einem anderen Blatt.
Falsch ist es jedenfalls, dass die offiziellen Behörden versuchen, die Angelegenheit tot zu schweigen.
Krieg ist Krieg. Ist lebensgefährlich. Wem ist geholfen, wenn einer dann nachher sagt: Oh Scheisse, das hätte ich besser nicht schreiben sollen.