NYT: Arabische öffentliche Meinung unterstützt Hisbollah
Von Karl Weiss
Dieser aktuelle Artikel wurde von der "Berliner Umschau"am 4. August 2006 veröffentlicht.
Ob sich die israelische und die US-Regierung wirklich bewußt sind, was sie angestellt haben mit dem Libanon-Krieg, jetzt schon, geschweige, denn wenn, er ausgeweitet wird? Man muß vermuten: Nein. Muß sich fragen, ob sie von allen guten Geistern verlassen waren.
Die beiden größten und mächtigsten arabischen Länder, Ägypten und Saudi-Arabien und andere arabische Länder, die feste Verbündete der einzigen Supermacht waren, befriedetes Gebiet, beginnen innere Probleme zu bekommen, die nicht so leicht wieder eingedämmt werden können.
Gleich zu Beginn des Libanon-Krieges gaben sowohl der Saudi-Arabische König als auch Ägyptens Präsident Mubarak Erklärungen ab im Sinne, daß Israel ein Recht zur Selbstverteidigung habe usw. Doch nun gibt es keinen vernünftigen Menschen auf der Welt mehr, der diesen Krieg wirklich für eine Selbstverteidigungs-Maßnahme halten könnte, zumal nachdem Frau Rice so freundlich war, uns aufzuklären, daß es um den "Neuen Nahen Osten" geht.
Jetzt kommen beide den USA unterwürfige Regierungen in Erklärungsnot. Die öffentliche Meinung - soweit nicht von westgläubigen Medien - stellt sich voll auf die Seite der Libanesen und der Hisbollah. Die wenigen Tausend Kämpfer, die nun bereits siebzehn Tage den israelischen Angriffen standhalten und ihr Chef, der Scheich Hassan Nasrallah, werden zu Helden, zu Identifikationsfiguren für die ganze islamische und arabische Welt.
Dies ist nicht etwa ein Wachtraum des Berichterstatters, wie vielleicht jemand meinen mag, sondern die Meinung der New York Times in einem Artikel vom 28. Juli. Der Artikel hebt hervor, daß nun sowohl das saudi-arabische Königshaus als auch Mubarak schnellstens Stellungnahmen herausgeben mußten, in denen sie Distanz von den USA und Israel suchen. Mubarak betonte, daß ein sofortiger Waffenstillstand erreicht werden müsse und der jordanische König tönte aus einer bekannten Körperöffnung der Supermacht heraus, er werde medizinisches Personal in den Libanon schicken um den (wörtlich) „Opfern der irsraelischen Aggression“ beizustehen.
Nach Angaben der NYT werden hinter vorgehaltener Hand an US- und israelische Stellen weiterhin unterstützende Erklärungen zu deren Politik abgegeben, aber man kann es nicht mehr wagen, dies öffentlich zu tun. Es finden in Ägypten bereits Demonstrationen statt, auf denen Bilder von Scheich Nasrallah, von zerfetzten Babys und Sprüche wie „Jerusalem wird nicht frei sein, solange Kairo nicht frei ist“ getragen werden. Demonstrieren führt in Ägypten oft zu Festnahme und Folter. Die Demonstranten müssen daher für ihren Mut bewundert werden.
Der saudische Hof hat eine Warnung herausgegeben, daß der saudische Friedensplan zurückgezogen werden könnte. Saudi-Arabien hatte im Jahre 2002 einen Plan herausgegeben, der Israel Anerkennung und Garantien aller arabischen Staaten versprach, wenn es sich auf die Grenzen von vor dem Sechs-Tage-Krieg zurückziehen würde. Dieser Plan war allgemein als „Versicherung“ für Israel verstanden worden, daß es sich, wenn alles schiefginge, immer noch auf diese Lösung zurückziehen könnte.
Die saudische Note wird folgendermaßen zitiert: „Wenn die Option Frieden durch israelische Arroganz zurückgewiesen wird, bleibt nur die Option Krieg. Dies könnte Folgen für die ganze Region haben, einschließlich solchen Kriegen und Konflikten, die niemanden schonen würden, einschließlich jener, deren militärische Schlagkraft sie nun dazu bringt, mit dem Feuer zu spielen.“
Der Überfall und die Zerstörung ganzer Wohnviertel und der libanesischen Infrastruktur hat die verfeindeten Bürgerkriegsparteien des Libanon bis zu einem gewissen Maße geeint. Kein christlicher Führer kann es heute wagen, gegen die Hisbollah zu sprechen, denn alle Libanesen sehen: Die einzigen, die sie verteidigen, sind die Hisbollah-Milizen.
Wenn die Israelis glauben „Viel Feind, viel Ehr“, dann hat sich ihre Ehre wirklich beträchtlich gesteigert.
Was der Artikel der New York Times aber besonders betont, ist die Tatsache, daß der Überfall auf den Libanon nun erstmals die Schiiten und die Sunniten der islamischen Welt geeint hat, eine Errungenschaft, die in Jahrhunderten von Bemühungen noch niemand vorher geschafft hat.
Die Sunniten sind ja bei weitem vorherrschend im Islam. Der ganze Norden Afrikas, ebenso wie Pakistan und Afghanistan sowie das große Indonesien sind überwiegend Sunnitisch. Schiitische Mehrheiten finden sich nur in Palästina, Libanon, Iran, Irak und Aserbeidschan.
Hatte die Figur des Massenmörders und Millionärssöhnchens Osama Bin Laden bis zu einem gewissen Grade bei den Sunniten eine positive Resonanz gefunden, so entdecken sie jetzt, daß es keine Al Quaida gibt. Sie war eine Schöpfung der USA. „Wo ist jetzt Al Quaida?“ fragen sich alle. Dagegen geht nun das Plakat mit dem Bild des schiitischen Hisbollah-Führers Hassan Nasrallah auch bei den Sunniten weg wie warme Semmeln.
Die reaktionären Führer in Ägypten, Saudi-Arabien, Jordanien, Algerien usw. sehen sich alle einer wachsenden Opposition von Islamisten gegenüber, die mehr und mehr die Herzen der Bevölkerung gewinnt. Sie senden alarmierte Botschaften an den Paten jenseits des großen Teiches, aber der ist mit anderem beschäftigt.
Das Herum-Trompeten von Frau Rice, man werde nicht stoppen, bevor nicht ein „Neuer Naher Osten“ erreicht sei, trifft genau ins Herz der Menschen in der arabischen Welt. So zeigt eine arabische Zeitung eine Karikatur mit der Unterschrift „Der Neue Nahe Osten“ mit einem israelischen Panzer auf den Trümmern eines Wohnhochhauses in Form der arabischen Welt.
Seit in den Sechziger Jahren der ägyptische Präsident Nasser die Araber zur Einigkeit gegen Israel aufrief, hat es kein Ereignis gegeben, das die Araber so gewinnen konnte wie das Aufkommen einer Situation, in der eine kleine Miliz der unbändigen Militärmacht Israels widersteht.
Der ägyptische Dichter Achmed Negm erzählt, was ihm ein Straßenkehrer in Kairo über Scheich Nasrallah gesagt hat: „Onkel Achmed, der hat den toten Mann in mir erweckt!“
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