Stehen wir am Beginn einer grossen Weltwirtschaftskrise?
Von Karl Weiss
Ein Artikel, in dem zum ersten Mal (auch mein erster Artikel bei der "Berliner Umschau") von der kommenden (oder schon begonnenen) Weltwirtschaftskrise die Rede ist, lange bevor dies in anderen Medien auftauchte. Er erschien in der "Berliner Umschau" am 19. Januar 2006.
Es mehren sich in den letzten Tagen die Anzeichen des Beginns eines wirtschaftlichen Einbruchs, eventuell einer neuen großen weltweiten Wirtschaftskrise. Doch selbst wenn es sich für diesen Moment nur um ein Strohfeuer handeln sollte, wie ein Experte meinte, bildet sich doch im globalen Wirtschafts- und Politikgeschehen eine Gemengelage heraus, die für die nahe Zukunft eine solche Krise oder jedenfalls einen bedeutenden Wirtschafteinbruch wahrscheinlich werden lassen.
Im einzelnen handelt es sich um folgende Faktoren:
1. Schwarzer Mittwoch an der Börse
Am Börsentag des 18.1. 2006 hat sich, ausgehend von Japan, ein "schwarzer Mittwoch" ereignet. Panikverkäufe wegen des Wirbels um die Internetfirma Livedoor führten in Tokio zu einem Kurssturz von 2,9 Prozent. Betroffen sind insbesondere sogenannte Technologiewerte. Auch andere asiatische Börsen sind durch die Baisse in Tokio ins Minus gezogen worden. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte mußte die japanische Börse vorzeitig den Handel schließen. Die Anzahl der Verkäufe war so hoch, daß die Kapazität der Computer drohte, unter Überbelastung zusammenzubrechen. Bereits am Vortag war der Nikkei-Index um 2,8% eingebrochen. Damit wurden nach einer Agenturmeldung in den letzten drei Tagen an der Tokioter Börse etwa 250 Milliarden Dollar vernichtet.
In Seoul schloß die Börse 2,6% schlechter als am Vortag.
In der Folge schlugen starke Kursverluste auch auf eine Anzahl europäischer Börsen durch. Der Dax eröffnete mit einem Verlust von 2 %.
Bereits am Vorabend hatten die Technologiewerte an der New Yorker Börse nachgegeben. Yahoo, Google, eBay und Amazon hatten markante Rückschläge zu verzeichnen.
Es handelt sich also nicht ausschließlich um die Reaktion auf die Schwierigkeiten einer kleinen Internetfirma in Japan.
2. Edelmetalle auf Langzeithoch
Bereits zum Wochenschluß der vergangenen Woche hatten sich ausgeprägte Preiserhöhungen, bei allen wichtigen Edelmetallen ergeben, dem typischen Hort, in den 'Finanzagenten' fliehen, wenn Börsencrashs drohen. Der Spotpreis für Platin stieg zeitweise um über ein Prozent auf 1048 Dollar je Feinunze und damit auf den höchsten Stand seit 26 Jahren. Der Goldpreis stieg auf ein 25-Jahres-Hoch von über 560 Dollar pro Feinunze. Er legte seit Jahresbeginn um neun Prozent (!) zu. Laut Meldungen des Handelsblatt sagten Händler, daß Hedgefonds und andere spekulativ orientierte Fonds in größerem Umfang in Platin, Gold und Silber 'gehen'. Außerdem würden Japaner heftig Edelmetalle kaufen. Vor allem aber wird auf einen Großkäufer von Gold aus dem Nahen Osten verwiesen, wobei es sich wohl um die iranische Staatsbank handeln dürfte.
In weniger als zwei Monaten ist Gold von unter 460 Dollar pro Feinunze auf über 560 Dollar angestiegen, was von Experten als ein überhöhter Goldpreis angesehen wird, der keine sachliche Begründung zu haben scheint.
Das Nachmittagsfixing Gold am Freitag letzter Woche in London belief sich auf 561,75 Dollar pro Feinunze.
Auch Silber legte zu und erreichte am Freitagabend 9,23 bzw. 9,26 Dollar, den höchsten Stand seit 18 Jahren.
Die hohen Edelmetallpreise werden auch damit begründet, daß der Anstieg des Dollars nach allgemeiner Einschätzung zu einem Ende gekommen ist und mit einem deutlichen Fall im Vergleich zu anderen Währungen gerechnet wird. Viele Anleger seinen so zeitweise in Edelmetalle ausgewichen (siehe auch 3.).
3. Erwarteter Verfall des Dollars
Nach der monatlichen Umfrage von Merryll-Lynch geben die Händler an, daß sie nach einem mehrmonatlichen Hoch des Dollars gegenüber dem Euro, Yen und Pound nun einen Fall der Dollarkurse erwarten. Die Citigroup rechnet Ende des ersten Quartals mit einem Euro-Kurs von 1,28 Dollar und Ende 2006 sogar von 1,36 Dollar. Die WestLB prognostiziert auf Sicht von sechs Monaten einen Euro-Kurs von 1,30 Dollar. Seit Jahresanfang hat sich der Euro bereits oberhalb der Marke von 1,20 Dollar festgesetzt.
Als Gründe werden positive europäische Konjunkturdaten und negative aus den USA angegeben. Es wird erwartet, daß die Zinserhöhungsphase in den USA jetzt ihrem Ende zugeht. Für Unsicherheit bezüglich des Dollarkurses soll auch der Wechsel in der US-Fed sorgen, wo sich Greenspan nach 18 Jahren zurückzieht.
Wie wir weiter unten noch sehen werden, kann es aber auch noch andere Gründe für einen Verfall des Dollarkurses geben.
4. Wichtigster wirtschaftlich-politischer Faktor: Die Iran-Krise
Offenbar sind nun die Mehzahl der entscheidenden 'Finanzagenten' (Banken, Großkonzerne und private Giga-Anleger) zu dem Schluß gekommen, daß der Iran-Krieg bereits begonnen hat und wir im Moment bereits die erste Kriegsphase, die Präliminarien, erleben, die den Überfall auf den Iran vor der Weltmeinung in irgendeiner Weise rechtfertigen sollen.
Zwar steht noch nicht fest, ob die USA oder Israel oder beide die Luftschläge führen werden und ob sich auch Großbritannien beteiligen wird, aber es kann in gewisser Weise als beschlossene Sache gelten, daß man solche Luftschläge durchführen wird. Steht dies einmal fest, so beginnen die Finanzagenten bereits zu handeln, als ob sie schon ausgeführt worden wären. Man rechnet offenbar damit, daß der Iran als Vergeltung den Ölhahn zudrehen wird und dies schwere wirtschaftliche Einbrüche im Gefolge eines hochschießenden Rohölpreises nach sich zieht. So nimmt man die Reaktionen bereits jetzt vor und verlagert sich z.B. auf Edelmetalle, wahrscheinlich auch auf Immobilien.
So kann es zu der paradoxen Situation kommen, daß der Iran gar nicht mehr gezwungen sein wird, tatsächlich am Ölhahn zu drehen, denn die Erwartung könnte bereits vorher den Ausbruch einer Weltwirtschaftskrise provoziert haben.
Es wird u.a. eine Expertin zitiert, die im Gefolge einer Verringerung der Rohölproduktion des Iran (des viertgrößten Ölexporteurs der Welt) den Anstieg des Ölpreises auf 160 Dollar pro Barrel für möglich hält. Würde dies eintreten, wäre eine tiefe weltweite Wirtschaftskrise unvermeidlich.
Am 17.1.06 ist der Ölpreis bereits wieder auf über 65,29 Dollar pro Barrel gestiegen. Am Montag hatte die Internationale Energieagentur (IEA) nämlich eine Prognose vorgelegt, daß der Ölverbrauch um 2,2% ansteigen werde, was eine Verknappung zur Folge haben könnte, ganz unabhängig von der Iran-Frage. Sowohl China als auch die USA würden mehr Öl verbrauchen.
5. Der Faktor Venezuela und die OPEC
Am Freitag vergangener Woche hat sich der venezuelanische Ölminister Ramirez für eine Verringerung des Ölexportes durch die OPEC-Länder ab Februar ausgesprochen. Gleichzeitig drohte der venezuelanische Präsident Chávez den USA den USA eine Verringerung der Ölausfuhren und den Anstieg des Ölpreises auf 100 Dollar pro Barrel an. Chavez ist weiterhin besorgt, daß die US-Regierung plant, ihn absetzen oder ermorden zu lassen. Er sagte: "Wir schicken ihnen 1,5 Millionen Barrel jeden Tag. Was würde geschehen, wenn ich morgen bekanntgäbe, daß kein einziger Tanker mehr die Vereinigten Staaten erreichen wird? Wie hoch wird der Preis pro Barrel schießen? Bis auf 100 Dollar, schätze ich ..."
Zwar muß man dies als Muskelspiele ansehen, aber es steht eine wirkliche Möglichkeit hinter solchen Schaukämpfen. Die OPEC erwägt seit ihrer letzten Sitzung am Ende vergangenen Jahres ernsthaft eine Verringerung der Ölförderquoten. Nimmt man noch sinkende Dollarkurse und die oben erwähnte Erhöhung des Öl-Bedarfs an, so könnten sich ernsthafte wirtschaftliche Probleme speziell für die US-Wirtschaft ergeben, die bisher immer auf die ganze Weltwirtschaft durchgeschlagen haben.
6. Die iranische Ölbörse - Der Dollar als alleinige Leitwährung
Im März 2006, so hat die Regierung des Iran angekündigt, wird man eine Ölbörse starten, die auf einem Euro-Öl-Handelsmechanismus basiert sein wird. In der Praxis wird dies bedeuten, daß ein wesentlicher Teil der Ölexporte aus dem Iran in Zukunft in Euro bezahlt werden und nicht mehr in der im Moment noch als alleinige anerkannte Leitwährung Dollar.
Dies ist der bisher weitreichendste Angriff auf den Dollar als Leitwährung, der weit schwerer wiegen würde als der damalige Angriff von Saddam Hussein. Einer der wesentlichen Gründe für den völkerrechtswidrigen Überfall auf den Irak durch die US-Regierung und einige Verbündete war die kurz vorher erfolgte Umstellung der Bezahlung der irakischen Ölexporte auf den Euro, was nach der Einnahme des Irak schnellstens rückgängig gemacht wurde.
Ein wesentlicher Teil der wirtschaftlichen und politischen Stärke der USA (die wiederum Grundlage der militärischen Stärke sind) beruht darauf, daß die USA den Dollar als alleinige Leitwährung international platzieren konnten. Dies ermöglicht der US-Regierung, beliebig Geld drucken lassen zu können (und damit z.B. die gigantischen Kosten des Irak-Krieges bezahlen zu können), ohne dadurch notwendigerweise eine hohe Inflation im eigenen Land auszulösen, wie das in jedem anderen Land geschehen würde.
Die Länder, die einen wesentlichen Teil ihres Staatsschatzes in Dollar angelegt haben (z.B. China, Japan und Südkorea), sind dann immer gezwungen, mehr Dollars zu kaufen, um einen Wertverfall zu verhindern. Würde allerdings die Stellung des Dollars als Leitwährung angekratzt, besteht die Möglichkeit, daß solche Länder dann wesentliche Teile ihrer Dollarvorräte verkaufen könnten, sei es, um sie in anderer Währung anzulegen oder sei es, um in Gold oder andere Edelmetalle zu gehen. Dabei wäre neben der Gefahr des Verfalls des Dollarkurses für die US-Wirtschaft vor allem die Gefahr des Abflauens oder sogar Aussetzens des Leitwährungs-Bonus akut.
Plötzlich würde die Schuldenlast wie ein Damoklesschwert über den USA hängen und der Ausweg des Gelddruckens würde nicht mehr oder nur noch teilweise offen stehen. Die ganze Stellung der Vereinigten Staaten als alleinige Supermacht könnte in Gefahr geraten.
Diese Gefahr dürfte auch die Analysten zu der Annahme geführt haben, daß der Iran-Krieg bereits beschlossene Sache ist - oder richtig gesagt, bereits angefangen hat.
7. Der Nuklearwaffenschock
Will die US-Regierung (oder die Israelis oder beide zusammen) bei den vorgesehenen Air-Strikes tatsächlich die gesamten iranischen Atom-Technik-Standorte auslöschen, so wird der Einsatz von speziellen Atomwaffen, die tief im Erdinneren versteckte Anlagen zerstören können, unvermeidlich sein. Dies wird allerdings weltweit einen Nuklearwaffenschock auslösen, denn damit würden zum zweiten Mal (wiederum von den USA) in einem Krieg Nuklearwaffen eingesetzt, was in der Weltöffentlichkeit zweifellos zu entsetzten Reaktionen führen dürfte. Zwar kann nicht genau abgesehen werden, wie stark dieser Schock ausfallen wird, aber die Kriegsplaner dürften sich dieses Risikos bewußt sein. Es wäre z.b. denkbar, daß Venezuelas Drängen auf eine Verringerung der OPEC-Förderquote dann auf offene Ohren bei den anderen OPEC-Staaten treffen könnte und so - unabhängig vom Iran-Effekt - eine dauerhafte Ölpreiserhöhung resultieren könnte - wiederum ein Faktor für das Ausbrechen einer weltweiten Wirtschaftskrise.
Link zum Originalartikel hier
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