CIA-Heimatgebiet: Deutschland

Die Absurditäten des Falles Al Masri werden immer grösser

Von Karl Weiss

Nach allem, was man heute weiß, hat der CIA, gedeckt von deutschen Polizeibeamten, im Raum Ulm Überwachungen von islamischen Verdächtigen durchgeführt. Es gibt eine Aussage von einem Ehepaar, die beeidigt werden kann, in deren Wohnung eine Person, die sich nicht auswies und einen amerikanischen Akzent hatte, gegenüberliegende Wohnungen beobachtet hat. Offensichtlich ist diese Person auch in Abwesenheit des Ehepaares in deren Wohnung zu diesem Zweck eingedrungen. So kam man offenbar zu Erkenntnissen“gegen Al Masri, der dann entführt, der Freiheit beraubt und gefoltert wurde. Das ist ein eklatanter Bruch der deutschen Souveränität. Besonders bedenklich, wenn deutsche Obrigkeit dies auch noch deckt.

Nach Ansicht der Extremisten in der US-Regierung können unter dem Vorwand der „Terrorismus-Bekämpfung“ jegliches Gesetz, jegliche Verfassung und jegliches Völkerrecht sowie alle internationalen Vereinbarungen gebrochen werden.

So handelt denn auch der CIA, der US-Auslandsgeheimdienst, ohne jegliche Regeln. Zum Beispiel wurde ein italienischer Staatsbürger in Mailand auf offener Straße überfallen, verschleppt, nach Ägypten gebracht und dort von ägyptischen Knechten gefoltert und von US-Amerikanern „verhört“. Ist dies schon ein ein Bruch aller Regeln internationalen Rechts und eine flagrante Verletzung der italienischen Souveränität, so bekommt es noch einen besonderen „Geschmack“, wenn man weiss, dass italienische Sicherheitskräfte dabei geholfen und danach versucht haben, dies zu verschleiern.

Aber immerhin, in Italien – im Gegensatz zu Deutschland - , gibt es noch eine Justiz, von der Beteiligte ausfindig gemacht und angeklagt wurden.

Nun ist aber im Zusammenhang mit dem Fall Al Masri, einem Deutschen aus dem Raum Ulm, herausgekommen, dass hier offenbar ganz ähnlich vorgegangen wurde. Man liess offenbar dem CIA freie Hand bei seinen Ermittlungen gegen angeblich gefährliche Islamisten und streitet jetzt eine deutsche Beihilfe oder Beteiligung an der Entführung Al Masris ab. Dies wird aber von Tag zu Tag unglaubwürdiger.

Der zuständige Staatssekretär damals im Ministerium, zuständig für die Geheimdienste, war – Sie ahnen es schon – ja, genau jener Steinmeier, der in seiner neuen Rolle als Außenminister in bombastischen Auftritten vor Presse und Fernsehen erschien, um in empörten Worten die Entführung Frau Osthoffs anzuklagen. Wenn er selbst in Entführungen verwickelt ist, dann macht er nicht so viel Aufsehens.

Im Raum Ulm/Neu-Ulm glaubten Sicherheitskräfte damals, das war also etwa in den Jahren 2002 und 2003, eine Konzentration von islamistischen potentiellen Terroristen ausgemacht zu haben. Es gab da ein Multikulturhaus, das sich inzwischen als völlig harmlos herausgestellt hat, es gab ein islamisches Informationszentrum – ebenfalls inzwischen von jedem Verdacht befreit – und eine Anzahl von islamischen Individuen, die im Dunstkreis dieser Institutionen ausgemacht wurden.

Dazu gehörte ein Yehia Yusif, angeblicher ein Haßprediger, gegen den allerdings bisher keine einzige Anklage vorliegt. Offenbar hat er also nicht mehr Hass gepredigt als der Chefredakteur der dänischen Regionalzeitung, die jene „Mohammed-Karikaturen“ veröffentlicht hat und dies bis heute als Ausdruck der Meinungsfreiheit ansieht. Wie ist es, Christen dürfen Hass predigen, Mohammedaner nicht? Wie genau ist das Delikt des Haßpredigens definiert, in welchem Gesetzbuch ist es aufgeführt? Viele, viele Fragen.

Die Verdachtsmomente gegen Yusif sind aber noch viel schwerwiegender: Er soll im Jahr 1998 in Neu-Ulm Kontakt mit einer Person gehabt haben, die als mutmaßlicher Al-Kaida-Finanzchef bezeichnet wird. Zu dumm, dass dieser Yusif bereits seit 2001 nicht mehr in Neu-Ulm ist. Warum hat man eigentlich den vermeintlichen Finanzchef der Al Kaida nicht festgenommen, wenn man ihn in Neu-Ulm gesehen hat?

Eine andere gefährliche Person in Neu-Ulm war Reda Seyam, der nach „Angaben aus Sicherheitskreisen“ im Verdacht steht, einen Anschlag auf Bali im Jahr 2002 mitfinanziert zu haben. Wie schon im obigen Fall, keinerlei Anklage bis heute – die Mitfinanzierung kann also nicht sehr ausgiebig gewesen sein – oder sollten die „Sicherheitskräfte“ eventuell Verdachte bis in alle Ewigkeit verlängern, auch wenn sie sich nicht bestätigen?

Auf der Basis dieser –vorsichtig gesagt - vagen Verdachtsmomente wurden nun offenbar sämtliche Mohammedaner in ganz Neu-Ulm unter Generalverdacht genommen und intensiv überwacht. Dies wurde, wie der Stern berichtet, von der Polizei bestätigt.

Nicht bestätigt wurde allerdings, dass der CIA beteiligt war an dieser Überwachung. Da gibt es nämlich in Neu-Ulm ein Ehepaar, das Seltsames erlebte. Als man von einer Reise zurückkam im Frühjahr 2003, fand man die Wohnung aufgebrochen und in Unordnung vor, es fehlten aber keine Wertsachen. Kurz danach erschien ein junger Mann, der deutsch mit amerikanischen Akzent sprach, an der Tür, behauptete, er sei Polizist, ohne einen Ausweis vorzuzeigen und sagte, er müsse eine Überwachung durchführen. Zielgerichtet ging er ins Arbeitszimmer und platzierte einen Stuhl am Fenster, von wo er offenbar eine bestimmte gegenüberliegende Wohnung observierte. Er war mit Gewehr, Funkgerät und Pistole ausgerüstet – nicht unbedingt die typische Bewaffnung von Polizisten. Später erfuhr das Ehepaar, dass dort gegenüber die Witwe eines tschetschenischen Freiheitskämpfers wohnte (wenn es gegen Russland geht, gelten sie als Freiheitskämpfer, ansonsten sind es Terroristen).

Auch deutsche Polizisten führten die gleiche Überwachung vom gleichen Fenster aus später fort. Die Polizei behauptet, nichts von dem Amerikaner zu wissen. Reichlich glaubwürdig, was? Neu-Ulm gehört zu Bayern. Im dort zuständigen Innenministerium hat man keine Erkenntnisse von dem Amerikaner. Nun, das bayerische Innenministerium war immer schon ein Hort der Glaubwürdigkeit, nicht wahr?

Deutsche Behörden geben zu, die islamische Szene in Neu-Ulm überwacht zu haben. Man hat ja auch kaum was zu tun, nicht wahr? Die Bekämpfung des organisierten Verbrechens wurde ja bereits eingestellt. Was soll man da sonst tun? Allerdings habe man nie Erkenntnisse an US-Geheimdienste weitergegeben.

Nun wird es aber rätselhaft. Al Masri nämlich, der in Mazedonien entführt und US-Diensten übergeben wurde, wurde dort und später in einem Geheimgefängnis in Kabul nach seinen Aussagen fast ausschließlich nach der „Szene“ in Neu-Ulm befragt. Woher hatte der CIA Einzelkenntnisse, wenn er nicht selbst in Neu-Ulm tätig war oder Informationen von der deutschen Polizei bekam? Rätsel über Rätsel.

El Masri wurde von seinen CIA-Folterknechten unter anderem vorgehalten, ein Auto, das auf den Namen seiner Frau zugelassen war, sei von Yusif benutzt worden. Ebenso wusste man so persönliche Dinge wie die Überweisung eines Geldbetrages aus Norwegen an ihn.

Gegen Al Masri, um ihn zu entführen und zu foltern, lagen so „handfeste“ Verdachtsmomente vor, wie jenes: Das Auto eines angeblichen Islamisten sei 2002 vor dem Haus gesehen worden, wo er wohnte. Meine Güte, werde ich bis ans Ende meines Lebens für alle Autos verantwortlich sen, die vor dem Gebäude hier gesehen werden?? Er habe einmal ein Auto benutzt, das auf eine Firma zugelassen gewesen sei, die einem sogenannten Gefährder aus der islamischen Szene gehörte. „Gefährder“, das sind die, denen man nie etwas nachweisen kann.

Nun inzwischen steht bereits fest: Al Masri hatte nie etwas mit extremistischem Islamismus zu tun. Ob es überhaupt je eine Szene von solchen Islamisten in Neu-Ulm gab, muss bezweifelt werden. Vor Gericht gebracht wurden exakt Null Personen.

Der besondere Skandal ist, dass es bisher noch kein einziges Untersuchungsverfahren gegen die vermutlichen deutschen Täter gibt, die ja offensichtlich im Staatsapparat zu suchen sind. Nun, in Deutschland sind die Staatsanwälte den jeweiligen Justizministerien gegenüber weisungsgebunden und die Politiker werden natürlich den Teufel tun, Verfahren gegen sich selbst zuzulassen.

Natürlich ist es absolut üblich und auch im Prinzip nicht zu beanstanden, wenn Geheimdienste verbündeter Nationen in gegnerischen Gebieten zusammenarbeiten und auch Informationen austauschen. Aktionen eines Geheimdienstes einer verbündeten Nation im eigenen Land (mit oder ohne Wissen der Behörden des Landes) sind aber keineswegs üblich, ja werden in der Regel als feindliche Akte angesehen. Aber wer im Auftrag der US-Regierung kommt, kann sich anscheinend alles erlauben.

Was nach der immer noch gültigen deutschen Verfassung („Grundgesetz“) eindeutig verboten ist, aus guten Gründen nach den Erfahrungen mit der „Gestapo“, ist die Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten, wenn schon mit deutschen, wie viel mehr mit ausländischen. Vor allem aber – und hier handelt es sich schon nicht mehr um eine einfache Grenzüberschreitung – reden wir hier von Verbrechen, wie Entführung, Geiselnahme, Freiheitsberaubung, Folter usw.

Jeder deutsche Mittäter ist da genauso schuldig wie die Köpfe der kriminellen Bande, die offenbar jenseits des Ozeans zu suchen sind.


Veröffentlicht in der "Berliner Umschau" am 8. Januar 2007

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