Lulas Brasilien, Teil 1 - Terroranschlag-Verdächtige freigelassen

Die brasilianische Justiz erneut auf der Seite der Großgrundbesitzer

Von Elmar Getto

Die Bewegung der Landlosen (MST) in Brasilien muß erneut Todesopfer betrauern. Die Großgrundbesitzer, die bereits Hunderte von ihnen auf dem Gewissen haben, schlugen wieder zu. In Felisburgo im äußersten Norden des Bundesstaates Minas Gerais fuhr ein Kommando einer von Großgrundbesitzern angeheuerten Gruppe in ein Camp der Landlosen, stiegen aus und eröffneten das Feuer auf alles, was sich bewegte. 5 Tote und mehrere Schwerverletzte sind die Bilanz. Die brasilianische Justiz läßt, wie schon so viele Male vorher, die Täter laufen.

Corcovado von Botafogo aus

Es ist fast nicht zu glauben, es ist ein gewaltiger Skandal: Die brasilianische Justiz läßt erneut höchst Verdächtige an einem Massaker frei, das am Samstag, den 16. November 2004 im Norden des Bundesstaates Minas Gerais in der Region Vale de Jequitinonha begangen wurde. Nach dem wahllosen Abknallen von Personen zündeten die Terroristen auch noch die Zelte der Landlosen an, so daß diese jetzt obdachlos sind. Dies ist bereits das dritte Massaker in diesem Jahr in dieser Region. In allen drei Fällen wird der Großgrundbesitzer Adriano Chafik Luedy als der Auftraggeber und sogar als Beteiligter an den Mordtaten angeklagt. Diesem Großgrundbesitzer gehört nicht nur die Fazenda, von der etwa 800 Hektar (von insgesamt 2 000) von den Landlosen im Norden von Minas Gerais besetzt wurden, sondern auch weitere 11 Fazendas im unmittelbar angrenzenden Bundesstaat Bahia.

Der beauftragte Polizeikommissar der Mordkommission aus der Staats-Hauptstadt Belo Horizonte sagte, daß es eine „erdrückende Beweislast“ gegen den Großgrundbesitzer gibt, nicht nur der Auftraggeber dieser Terroranschläge zu sein, sondern zusammen mit seinem Neffen Carlixto Luedy Filho diesmal auch selbst teilgenommen zu haben. Trotzdem stellte der zuständige Richter im Bundesstaat Bahia keinen Haftbefehl aus, da irgendwelche Formalien angeblich nicht eingehalten wurden. Aus diesem Grunde mußten die Polizisten den Großgrundbesitzer und seinen Neffen laufen lassen und beide sind untergetaucht. Es ist natürlich kein Zufall, daß ein Richter aus Bahia solche Entscheidungen trifft, denn es ist traurige Tradition in Brasilien, daß die Justiz keine Entscheidungen gegen „wohlangesehene Bürger“ des jeweiligen Bundeslandes fällt. Jener Großgrundbesitzer ist automatisch sehr ‚wohlangesehen’ dort mit seinen 11 Fazendas.

Im Zeltlager „Terra prometida“ (verheißenes Land) , das angegriffen wurde, leben etwa 100 Familien, die mit der Besetzung den Anspruch auf die Verteilung von ungenutztem Land, die in der brasilianischen Verfassung festgeschrieben ist, unterstreichen wollten. Sie hatten bereits Drohungen erhalten und waren zur Polizei gegangen, die – wer wundert sich noch – nichts unternahm.

Laut Angaben eines Sprechers des MST Minas Gerais haben die Großgrundbesitzer sich in letzter Zeit wieder verstärkt Mordbanden gekauft, die Besetzungen durch die MST-Bewegung blutig ahnden sollen. Vorher war man mehr an den absurd hohen Entschädigungszahlungen der brasilianischen Regierung für enteignetes Land interessiert (man ließ ganze Ländereien brach liegen, um sie „enteignungsfähig“ zu machen), aber mit der faktischen Freigabe der Gen-Soja in Brasilien rechtzeitig zum Beginn der Aussaat im Frühling – in Brasilien ist jetzt Frühling) ist die tatsächliche Nutzung brachliegender Flächen für den Sojaanbau wieder interessant geworden.

Daß diese Verhältnisse sich gegenüber der vorherigen konservativen Rgierung nicht einen Deut geändert haben, ist eine der weiteren Anklagen gegen den – angeblich linken – Präsidenten Lula in Brasilien.


Als ersten Beitrag einer neuen Serie "Lulas Brasilien" bringt Karl Weiss-Journalismus hier einen Artikel von Elmar Getto, der am 27.11. 2004 von "Rbi-aktuell" veröffentlicht wurde. Zu diesem Zeitpunkt war der Präsident Lula schon fast drei Jahre im Amt. Bis heute hat sich an hier beschriebenen Zuständen nichts geändert.

Hier geht es zum Teil 2 der Reihe "Lulas Brasilien", hier zum Teil 3, hier zum Teil 4, hier zum Teil 5, hier zum Teil 6, hier zum Teil 7 und hier zum Teil 8.

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