Deutschland: Absurde Polizeiübergriffe häufen sich
Von Karl Weiss
Am 5. Februar ist es in Hannover erneut, wie schon auf anderen Demonstrationen, zu absurden Übergriffen der Polizei auf die dortige Montagsdemonstration gekommen. Würgegriff, Festnahmen, Polizeigriffe, Handschellen, erkennungsdienstliche Behandlung, Ausziehen einer Frau vor männlichen Polizisten, das ganze Arsenal wurde durchgespielt.
Bereits seit einiger Zeit werden die allmontäglichen Demonstrationen gegen Hartz IV und gegen die ganze Regierungspolitik, die weiterhin in vielen Städten stattfinden, gezielt ungesetzlich überwacht und schikaniert.
Die andauernde ungesetzliche Video- und Photoüberwachung von Demonstrationen gegen die Regierungspolitik ist bereits die Regel.
(Das Foto zeigt Elmar bei einem Redebeitrag auf der Stuttgarter Montagsdemo. Im Hintergrund kann man die Polizeifahrzeuge erkennen, aus denen widerrechtlich ununterbrochen fotografiert und gefilmt wurde.)
In einigen Städten, so unter anderem in Stuttgart und München, hatte die Polizei eine Auflage erfunden, die bereits wiederholt von Gerichten für nichtig erklärt wurde: Angeblich dürfe eine Lautsprecheranlage erst bei mehr als 50 Demonstranten verwendet werden.
Die Gerichte haben diese Regel bereits zurückgewiesen, denn das Recht auf Meinungsäusserung und Demonstration ist selbstverständlich nicht auf grosse Demonstrationen beschränkt. Trotzdem werden in verschiedenen Städten die Montagsdemonstranten immer wieder mit dieser angeblichen Regel konfrontiert, mit der die Polizei versucht, die Zustimmung, die bei Montagsdemonstrationen in der Regel von den Passanten kommt, zu unterbinden. Man versucht die Demonstranten oder die Kundgebung in eine versteckte Ecke abzudrängen und verbietet Lautsprecher, so glaubt man der Montagsdemobewegung den Garaus machen zu können.
Die Polizei nutzt dabei immer wieder bewusst eine Gesetzeslücke aus: Sie darf als Vertreter der Staatsmacht Auflagen verkünden, auch wenn Gerichte die bereits als unzulässig bezeichnet haben. So verkünden die Polizisten einfach, die 50-Personen-Regel gälte. Da die Montagsdemonstranten keine Möglichkeit haben, in diesem Moment das Gericht anzurufen, müssen sie sich dem unterwerfen, obwohl es rechtswidrig ist. So kommt es dann auch vor, Polizisten verkünden hämisch, man könne ja hinterher vor Gericht ziehen, Hahaha!
So war es auch wieder am 5. Februar 2007 auf der Montagsdemo in Hannover. Anfänglich waren weniger als 50 Personen anwesend, wie beide Seiten, wenn auch mit unterschiedlichen Zahlen, feststellten und die Demonstranten liessen das Mikrofon abgeschaltet.
Dann aber begannen sie mit den Passanten zu sprechen und auf die polizeilichen Methoden aufmerksam zu machen. Viele blieben stehen und so war die Kundgebung bald auf mehr als 100 Personen angewachsen. Nun setzten die Demonstranten auch den Lautsprecher ein. Alle Demonstrationsteilnehmer wie auch Passanten hatten das Recht, am Mikrofon zu sprechen (nicht nur sogenannante Prominente, wie auf anderen Demonstrationen üblich).
Die anwesende Polizei-Einheit weigerte sich nun einfach, erneut zu zählen, sie ging ohne Ankündigung mit Gewalt gegen die Kundgebung vor. Personen wurden zu Boden gestossen, einige willkürlich festgenommen, mehrere völlig überraschte Teilnehmer wurden körperlich bedrängt, wenn sie mit den Polizisten zu sprechen versuchten, um sie zur Vernunft zu bringen.
Eine Person wurde gewürgt, es wurden Handschellen angelegt, so als ob irgendeine Gefahr von einfachen Montagsdemonstranten ausgehen könnte.
Die Polizei nahm die Lautsprecheranlage weg, beendete die Demonstration, ohne irgendeine Begründung angeben zu können. Überhaupt war auffallend, die Polizisten folgten offenbar Befehlen und liessen nicht mit sich sprechen.
Der Einsatzleiter Friedrichs war plötzlich nicht mehr zu sprechen. Die Frage nach dem Einsatzleiter durch den Anmelder der hannoverschen Montagsdemonstration, Kurt Kleffel, wurde mit Festnahme beantwortet. Das sind Polizeistaat-Methoden. Weder diese noch irgendeine andere Montagsdemo hat je irgendwelche Gewalt angewandt. Der Einsatz war völlig unverhältnismässig.
Die Festgenommenen sollen angeblich Widerstand gegen Staatsgewalt geleistet haben. Da die Polizei alles gefilmt hat, wird man dann ja wohl den „Widerstand“ auf dem Video sehen. Man kann gespannt sein, ob diesmal das Video freigegeben wird. Beim letzten Fall versteckte die Polizei das Video, weil es gezeigt hätte, dass die Behauptungen erlogen waren.
Für die Festgenommenen gingen die ganze absurden Unglaublichkeiten auf der Wache weiter. Lange Zeit festgehalten, erkennungsdienstlich behandelt wie Kriminelle, die Leute waren wirklich empört. Der absolute Abschuss wurde dann erreicht, als man eine Frau zwang, sich vor den männlichen Polizisten auszuziehen. Sie müsse nach Waffen durchsucht werden, war die leicht durchschaubare Ausrede. Es hat noch nie eine Montagsdemonstration gegeben, auf der jemand eine Waffe getragen hätte.
Bei den Faschisten allerdings, die jene gleiche Polizei mit Samthandschuhen anfasst und stattdessen gegen Gegendemonstranten vorgeht, da könnten sie leicht fündig werden. Nur da wird nicht nach Waffen durchsucht.
Es kann nicht angehen, dass Polizisten ihre Amtsmacht dazu missbrauchen, ihren Bedarf an Ansicht wenig bekleideter Frauen zu decken.
Als Gipfel der Absurdität hat nun auch noch die Staatsanwaltschaft die Lautsprecheranlage konfiziert und will sie vernichten lassen. Es darf nicht vergessen werden, diese Staatsanwälte wie auch die polizeilichen Einsatzleiter sind weisungsgebundene Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes. Da gibt jemand Anweisungen.
Ganz anders verhält sich die Polizei, wohl auch auf Anweisung „von oben“, wenn z.B. eine Pro-Israel-Demonstration angesagt ist wie zweimal letztes Jahr bei der WM in Nürnberg, als die iranische Nationalmannschaft spielte. Die völlig überdimensionale Lautsprecheranlage wird nicht beschlagnahmt oder abgestellt, denn es sind ja Prominente anwesend, ein Vorsitzender der israelischen Gemeinde in Deutschland, Bundes- und Landtagsabgeordnete von Regierungsparteien. Zieht man die Personen auf dem Lautsprecherwagen, andere „Prominente“ und die Presse- und Fernseh-Berichterstatter ab, waren weniger als 50 „normale“ Leute anwesend. Aber da war nun plötzlich keinerlei Auflage mehr zu hören.
Dem Politiker-Pack muss der Schreck ganz schön in die Glieder gefahren sein, als die Montagsdemos gegen Hartz IV begannen. Auch jetzt, wo bundesweit nur etwa 2000 Demonstranten allmontäglich auf der Strasse sind, geben sie Anweisung für „scharfes Durchgreifen“. Wahrscheinlich ahnen sie, es werden wieder deutlich mehr werden. Da wäre es schön, man könnte sie vorher abwürgen.
In Rom sagte man: „Quod licet Iovi, non licet Bovi.“ „Was Jupiter darf, darf ein Ochse noch lange nicht“. Werden wir von denen, welche der Polizei die Weisungen erteilen, für dumme Rindviecher gehalten (während sie selbst den Status von Göttern beanspruchen)?
Die Zeiten werden härter, das Demonstrationsrecht wird ausgehebelt, die Regierung will keine kritischen Stimmen mehr hören. Tun wir ihnen den Gefallen und erfüllen ihre Albträume! Auf zu den Montagsdemonstrationen!
Veröffentlicht am 8. Februar 2007 in der "Berliner Umschau", hier leicht redigiert.
Zusatz vom 13. Februar 2007:
Nach Meldung von der Hannoveraner Montagsdemo (hier) sind insgesamt drei Verfahren gegen Kurt Kleffel eingeleitet worden und die Lautsprecheranlage ist nun wirklich vom Gericht eingezogen worden:
"Inzwischen wurden die Beschlagnahme des Lautsprecher durch einen Beschluss des Amtsgerichtes Hannover bestätigt. Mündlich wurde von der Polizei mitgeteilt, dadurch solle verhindert werden, dass mit diesem "Tatmittel" eine weitere "Straftat" begangen werden kann."
Damit ist die Sache von einem polizeilichen Exzess, den jemand vielleicht einer unvernünftigen Einzelperson hätte zuschreiben können, zu einer konzertierten Aktion des Staates geworden gegen Gegner der Regierungspolitik und zu ihrer Kriminalisierung.
Karl Weiss
Zusatz vom 17.2.2007:
Inzwischen ist auch viel Solidarität bei den Hannoveranern der Montagdemo eingegangen. Als Beispiel sei der Brief von Gernot Wolfer aus Berlin zitiert:
"Gernot Wolfer, Berlin
(Erstunterzeichner des "Berliner Bündnis Montagsdemo" 2003)
Berlin, den 8.2.2007
An die am 5.2. verhafteten Montagsdemonstranten in Hannover!
c/o: Kurt Kleffel, Anmelder der Hannoveraner Montagsdemo
Liebe Montagsdemonstranten, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Über das Internet und Eure Pressemitteilung habe ich gestern von Eurer Verhaftung bei der letzten Montagsdemonstration in Hannover erfahren. Nach den Berichten zu urteilen wurdet ihr aus nichtigem Anlaß wie Kriminelle behandelt und zur Polizeiwache verschleppt!
Am 20.9.2004 war ich zusammen mit anderen Montagsdemonstranten ebenfalls Opfer eines gewaltsamen Polizeieinsatzes gegen die Berliner Montagsdemonstration. So wie ihr wurden auch wir festgenommen und abgeführt, einige der Betroffenen wurden dabei sogar schwerer verletzt und mußten im Krankenhaus behandelt werden.
Solche Polizeiübergriffe gegen Bürger, die einfach nur ihre Meinungsfreiheit und ihr Demonstrationsrecht wahrnehmen, sind ein Skandal erster Ordnung! Die ganze bundesdeutsche Montagsdemobewegung und ihr hartnäckigen Protest gegen die Hartz-Gesetze sollen damit getroffen werden!
Vor was haben die herrschenden Kreise dieses Landes bloß solche Angst? Etwa davor, dass sich Volksbewegungen wie die Montagsdemo mit der organisierten Arbeiter- und Gewerkschafts-Bewegung verbinden, und es wie in Frankreich zu Massenstreiks gegen die immer asozialere Regierungs-Politik kommt? Gerechtfertigt wäre das allemal!
Jedenfalls: Laßt Euch nicht unterkriegen! Nützt den Protest und auch die sicher nötigen juristischen Schritte gegen den Polizeieinsatz und gegen die Strafanzeigen zur Gewinnung neuer Mitstreiter für unseren gemeinsamen und berechtigten Kampf! Dann wird der "Schuß" für die Herrschenden nach hinten losgehen...
Solidarische Grüße aus Berlin!
Gernot Wolfer"
Zusatz zum Artikel vom 14.6.2007:
Jetzt wurde bekannt: Auch das Gericht fand nichts Strafwürdiges an Kurt Kleffel und der Hannoverschen Montagsdemo. Alle drei Strafverfahren wurden eingestellt. Die Kosten des verfahrens wurden der Staatskasse aufgebürdet. Damit ist bestätigt: Es handelte sich wirklich um einen unzulässigen Übergriff der Polizei.
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