Hartz IV: Nicht der gesunde Menschenverstand
Von Elmar Getto
Dies schrieb Nadja Klinger im ‚Tagesspiegel‘ am 1. Juni 2005 – Hartz IV war gerade ein halbes Jahr alt:
Hartz IV, ein halbes Jahr nach der Einführung
“ [Hartz IV:] Da ist was faul. (...) Die Reform (...) bietet (...) nicht mal vage Aussichten. Sie ist teurer als gedacht, steckt ihre Nase in private Bindungen, greift nach redlich verdientem Vermögen, zerstört Lebenspläne. Sie bringt keine Jobs. Das Gesetz, das ihr zugrunde liegt, erscheint mehr und mehr wie eine Anleitung zum Scheitern. Es harmoniert mit der Wirklichkeit wie der Elefant mit dem Porzellanladen.”
“Für ein Gesetz, das den Menschen derart an die Existenz geht, können bereits jetzt unangemessen viele Mängel aufgelistet werden.”
“Es gibt Probleme mit dem Kindergeld, bei Eigenheimzulagen, der Krankenversicherung und der Berufsunfallrente, mit Mietwohnungen, unehelichen Lebensgemeinschaften, Wohngemeinschaften, mit Frauen in Frauenhäusern, volljährigen Sprößlingen, leiblichen und nichtleiblichen, mit denen, die bei Eltern leben, und jenen, die ausgezogen sind.”
“Merkt sie [Hartz IV-Ombudsfrau Bergmann], daß insgesamt etwas faul ist?”
Sie sagt: „Es war nicht abzusehen, wie weit das Gesetz in andere Lebensbereiche hineinreicht.“
Die Frauen an der Hotline des Ombudsrates. „Die Fragen der Anrufer drehen sich immer um die Existenz“, sagt eine.
" ... klar ist wie Kloßbrühe, daß es mit Hartz IV so nicht weitergehen kann, ...“
Hätte der Autor dies in der ‚Berliner Umschau‘ geschrieben, wäre das ganz normal gewesen, aber es sind alles Zitate aus einem Artikel des Berliner „Tagesspiegel” mit dem Titel „Anleitung zum Scheitern“. Die Journalistin Nadja Klinger begleitete die ehemalige Ministerin und damalige Ombudsfrau für Hartz IV, Bergmann, eine Zeit bei ihrer Arbeit und sprach mit den Frauen an der damaligen Hotline für Hartz IV.
Da erlebte sie, was Hartz IV wirklich bedeutet und schrieb es in den Artikel. Journalisten, die ‚gegen den Strom’ schreiben, müssen Mut haben. Manchmal läßt die Chefredaktion so etwas durchgehen. So ein Artikel unter Tausenden in die „richtige” Richtung kann nicht viel schaden, sogar als Alibi dienen.
Trotzdem, angesichts der Tatsache, daß Hartz IV Deutschland durchwirbelt (oder besser, wie die Journalistin schreibt: wie ein Elefant im Porzellanladen haust), beginnen hier und dort langsam, aber sicher, mutige Journalisten auch im Mainstream die Wahrheit zu schreiben. War es letzte Woche eine Journalistin der “Welt”, die aufdeckte, daß Ein-Euro-Zwangsarbeiter bereits Schulstunden geben, ist es diese Woche der ‚Tagesspiegel’.
Meldung ist bereits Kommentar – oder Lüge
Berichterstattung über irgendein beliebiges Detail von Hartz IV ist einer der krassesten Fälle für einen Journalisten. Entweder er verdreht und verbiegt in himmelschreiender Weise oder er schreibt die Wahrheit, dann klingt der Artikel automatisch wie eine schwere Anklage gegen unseren Politiker-Einheitsbrei von CDUGRÜNESPDFDPCSU. Die behauptete Möglichkeit, "objektiv“ zu berichten und Meldung und Kommentar zu trennen, gibt es nicht. Meldung ist bereits Kommentar.
Was Ex-Ministerin Bergmann sagte
Bemerkenswert zwei Äußerungen der damaligen Hartz-IV-Ombudsfrau Bergmann, die natürlich Verfechterin von Hartz IV ist (sonst hätte man sie ja nicht auf diesen Posten berufen). Selbst sie muß, wie oben zitiert, zugeben, dass Hartz IV in alle Bereiche des Lebens eingreift und keineswegs etwa „nur“ eine ‚Reform’ der Sozial- und Arbeitslosenhilfe ist.
Als die Sprache auf den damals noch unterschiedlichen ‚Regelsatz’ für Ost und West kommt, sagt sie : „Ja, da hätte der gesunde Menschenverstand genügt.“
Hören Sie, die Herren Politikerr und die Dame Merkel, was da eine aus Ihren eigenen Reihen über Ihren Verstand sagt? Der gesunde eines Menschen... ist er nicht!
Diese Aussage macht sie in Beisein einer Journalistin, wissend, das wird wohl veröffentlicht. Sie, die nun Tag für Tag fein säuberlich notieren muss, wie Hartz IV wirklich aussieht, ist anscheinend auch schon genervt. Auch daß sie nach Aussagen der Journalistin andauernd beide Hände hebt in Beteuerung ihrer Unschuld und immer betont, sie habe das Gesetz nicht gemacht, läßt nicht gerade darauf schliessen, daß sie ein Hartz-IV-Fan ist. Trotzdem verliert sie natürlich nicht die Contenance und findet die „Reform“ weiterhin richtig.
Man weiss nicht mehr, was man sagen soll
Sehr deutlich auch der Teil des Artikels, in dem berichtet wird, was die Damen am Telephon der Ombuds-Hotline in Potsdam zum Schweigen bringt:
„Wenn Leute aus Wohnungen müssen oder Familien monatelang kein Geld erhalten, weil sie ein Eigenheim mit Zulage gebaut haben. Wenn Obdachlosen Geld verweigert wird, weil sie keine Meldebescheinigung vorlegen. Wenn ihnen Essen in der Suppenküche von den Leistungen abgezogen und in ihren Unterlagen zum Wohnraumzuschuss vermerkt wird: Kein Bedarf. Wenn Anrufer erzählen, welchen Tipp das Jobcenter gibt: Beschweren Sie sich beim Ombudsrat! Oder wenn gar Mitarbeiter der Hotline der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit anrufen! Sie fragen die Rostocker Frauen, was sie mit den vielen unzufriedenen Leuten machen sollen.”
Gezwungen, auseinanderzuziehen
Schließlich auch das, was die Berliner Umschau bereits vorausgesagt hat und was auch eingetreten ist: Hartz IV zwingt reihenweise Leute auseinanderzuziehen: Eltern und Kinder, Verwandte, einfach in Wohngemeinschaft Lebende oder Lebensgefährten, denn wenn man zusammen wohnt, kriegt man weniger oder es wird das Einkommen des anderen angerechnet. Allein die Tatsache, daß man in der gleichen Wohnung wohnt oder im gleichen Haus, reicht bereits aus. Inzwischen gibt es auch schon ein Urteil des Berliner Sozialgerichts, daß dies rechtmäßig sei. Deutsche Richter zeigen mal wieder ihre Fratze – bekannt aus dunklen Zeiten.
Diese Regelung führt natürlich automatisch dazu, daß die Bedürftigen, denen mit dieser Begründung das Geld gestrichen wird, auseinanderziehen, soweit sie denn einen Wohnung finden. Nicht umsonst sind in Deutschland kleine billige Wohnungen immer schwerer zu finden auf dem Wohnungsmarkt – und die waren schon vorher rar.
Der Artikel sagt dazu: „Die Bedarfsgemeinschaften, in die man die Bundesrepublik unterteilt hat, lösen sich auf. Mütter und Kinder ziehen auseinander, Ehen werden geschieden. Der Bedarf am Geld, das der Staat Alleinlebenden gibt, ist existenzieller als der Bedarf an Gemeinschaft.“
Die Reaktion des damals zuständigen Ministers Clement
Wie einer mit jener Art von Verstand, der nicht der gesunde eines Menschen ist, darauf reagiert, bewies Minister Clement, der am gleichen Tag genau zu diesem Thema Stellung nahm: „Wir werden verstärkt gegen Sozialmißbrauch und Abzockermentalität vorgehen. Es gibt eine bemerkenswerte Vervielfältigung von Bedarfsgemeinschaften.“
Es sind also nicht die raffsüchtigen Mitglieder der Politikerkaste, die neben den bereits mehr als üppigen Diäten und Gehältern und Altersabsicherungen auch noch die Millionenzuweisungen der deutschen Großkonzerne erhalten und verstecken, die eine Abzockermentalität haben, nein, es sind die Arbeitslosen ohne Geld, die verzweifelt um ihre Existenz kämpfen und Gemeinschaft aufgeben, um Geld zu erhalten. Die Welt steht auf dem Kopf und dreht sich verkehrt rum!
Nicht der gesunde Menschenverstand
Ja, da muß man der ehemaligen Bundesministerin Bergmann wirklich Recht geben, der gesunde Verstand eines Menschen ist dies nicht, entweder er ist krank oder er ist unmenschlich.
Dieser Hartz-IV-Artikel ist nun bald drei Jahre alt und brauchte nur unwesentlich (vom Autor) redigiert zu werden, um heute taufrisch zu klingen. Nur ein Wahnsinns-Hackebeil wie Hartz IV bringt so etwas zustande.
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