'Ja, wir haben Bananen'
Von Karl Weiss
„Bananenrepublik“, das ist ein Schimpfwort, das sich schon viele Länder in Mittel- und Südamerika anhören mussten, speziell zu Zeiten, als fast überall (von den USA gesponserte) Militärs am Ruder waren. In Brasilien wurde daraufhin trotzig eine Musik gemacht, deren Refrain mit „Ja, wir haben Bananen“ anfing. Aber bis heute gibt es in manchen Ländern Südamerikas spezielle Ereignisse, die einen wieder an dieses Wort denken lassen, gerade auch im Fußball.
Südamerika, die einzige Weltregion, die im Fußball mit Europa mithalten kann. Man schuf den Libertadores-Cup als Gegenstück zur Champions Leage. “Libertadores“, das bezieht sich auf die Befreier, den Venezolaner Simón Bolivar und andere, die mit ihren Feldzügen dafür sorgten, dass fast ganz Lateinamerika bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts von der europäischen Kolonialherrschaft befreit wurde, also eine bewusste Herausforderung über den Atlantik.
Tatsächlich lohnt es sich, wenn man Gelegenheit hat, sich Übertragungen von Spielen der Libertadores anzusehen, die manchmal im Kabel- und Satelliten-TV angeboten werden. Da gibt es selten endloses Hin- und Hergeschiebe des Balles im Mittelfeld, wie es z.B. die beiden Begegnungen von Liverpool mit Chelsea und von Barcelona mit ManU beherrschte.
Mit einigen Ausnahmen spielt man in Südamerika meist noch einfallsreichen Kurzpassfußball, der immer wieder durch überraschende Vorstöße abgelöst wird, wenn überragende Einzelleistungen oder Steilpässe die Abwehr in Bedrängnis bringen.
Das hängt damit zusammen, dass fast alle übermenschlichen Abwehrmaschinen, wie Seedorf, Cannavarro, Cafú und so manche andere, in europäischen Spitzenclubs spielen. Es handelt sich um Supermänner, die pro Spiel 14 km laufen können und danach fast taufrisch in Verlängerungen gehen. Männer mit dem doppelten Lungenvolumen eines Normalbürgers und Herzen, die glatt 150 % der Blutpumpleistung eines einfachen Menschen erbringen.
Diese menschlichen Pit Bulls sind darauf spezialisiert, den jeweils ballführenden Gegenspieler innerhalb von Bruchteilen von Sekunden anzugreifen, nachdem er den Ball erhielt und dann kommt auch innerhalb kürzester Zeit noch ein zweiter Mann dazu und hilft, dem Spieler den Ball abzujagen, das sogenannte Double-Pressing.
Selbst die besten Offensivspieler der Welt haben kaum eine Chance gegen diese Meute, wie Spiele von Barcelona mit Messi und Ronaldinho, von Manchester mit Cristiano Ronaldo, vom A.C. Mailand mit Kaká, von Inter Mailand mit Shevshenkow usw. usw. zeigen.
Die Ergebnisse lauten fast immer 0:0 oder 1:0 oder 1:1 und ausser den Fans der Mannschaften auf dem Feld kommt niemand auf seine Kosten.
In Südamerika sind solche Übermenschen fast nicht anzutreffen. Eine extreme Defensivtaktik weist eigentlich nur der F.C. São Paulo auf. Alle anderen spielen nicht nur defensiv, sondern rücken auch mit vielen Spielern nach vorne, wenn man im Angriff ist, auch wenn dies überfallartigen Gegenangriffen Tür und Tor öffnet. So sind denn auch eine Reihe der guten Mannschaften auf Gegenangriffe spezialisiert.
Hier eine Zusammenstellung von Spielergebnissen von allen 16 für das Achtelfinale der Libertadores qualifizierten Vereinen, wie sie in der Gruppenphase erzielt wurden.
Cruzeiro 3 x 1 San Lorenzo
Lanús 3 x 3 Estudiantes
Boca Juniors 3 x 0 Atlas
Flamengo 2 x 0 Nacional
América 4 x 3 River Plate
Santos 2 x 1 Cúcuta Deportivo
São Paulo 1 x 0 Atlético Nacional
Fluminense 1 x 0 LDU
Es ist offensichtlich: Nur die letzten zwei sind Ergebnisse vom europäischen Typ, darunter jenes von São Paulo, von dem schon gesagt wurde, man spielt extrem defensiv wie in Europa.
Doch nun zurück zu den Bananen:
3.. März 2008: Spiel in Montevidéu, Uruguay: Nacional gegen Flamengo Rio in der Gruppenphase der Copa Libertadores: Die Balljungen geben demonstrativ die Bälle nicht an die Spieler der Gastmannschaft, sondern sie werfen sie den eigenen Spielern zu oder verzögern die Rückgabe der Bälle. Die Spieler von Flamengo reagieren zunehmend verärgert. Schliesslich lässt sich der Mittelfeldspieler Toró von Flamengo dazu hinreissen, einen der Balljungen anzugreifen. Er wird vom Platz gestellt. Gegen eine dezimierte Mannschaft aus Rio fällt es leicht, mit 3:0 zu gewinnen
23. April 2008: Spiel in Montevidéo, Uruguay: Nacional gegen Cienciano aus Peru in der Gruppenphase der Copa Libertadores: Die Balljungen geben demonstrativ die Bälle nicht an die Spieler der Gastmannschaft, sondern werfen sie eigenen Spielern zu oder verzögern die Rückgabe der Bälle. Die Spieler von Cienciano reagieren zunehmend verärgert. Schliesslich lässt sich der Spieler Romaña von Cienciano dazu hinreissen, einen der Balljungen zu stossen. Er erhält die gelbe Karte. Kurz danach bekommt er nach einem Foul die zweite gelbe Karte und ist vom Platz gestellt. Gegen eine dezimierte Mannschaft von Cienciano fällt es leicht, mit 3:1 zu gewinnen.
Spiel der Libertadores in Medellín, Kolumbien: Bei mehreren der Heimspiele in der Gruppenphase des dortigen Vereins Atletico Nacional fliegen Gegenstände aufs Spielfed nahe bei Spielern der Gastmannschaften. Hat die Gastmannschaft einen Eckball, so muss der Schütze dort mit Schilden der Polizisten gegen einen „Regen“ von Gegenständen geschützt werden, die dort niedergehen. Unter diesen Bedingungen kann natürlich kein gefährlicher Eckball zustande kommen. Atletico Nacional qualifizierte sich für das Achtelfinale mit nur einem Punkt Vorsprung vor den beiden ausgeschiedenen Mannschaften.
Nun, werden Sie sagen, das sind unschöne Vorkommnisse, aber nichts Besorgniserregendes, denn die Vereine werden ja von dem Veranstalter, dem südamerikanischen Fussballverband, hart bestraft werden und werden in Zukunft Vorsorge tragen, dass sich solche Vorfälle nicht wiederholen.
Richtig? Falsch! Weder Nacional Montevideo noch Atlético Nacional Medellín wurden in irgendeiner Art und Weise bestraft. Man kann jetzt schon für die Achtelfinale wetten, dass die Balljungen in Montevideo weiterhin die Gastmannschaft bis aufs Blut reizen werden und die Zuschauer in Medellín weiterhin Gegenstände werfen. Deshalb die Erwähnung der Bananen.
Das ist unglaublich? Nun hören Sie erst einmal, was eim Halbfinale der São-Paulo-Meisterschaft im Spiel Palmeiras gegen São Paulo geschah:
In Brasilien werden in den ersten vier Monaten des Jahres noch die traditionellen Staatsmeisterschaften ausgetragen. In jener des Staates São Paulo trafen im Halbfinale die beiden Spitzenclubs Palmeiras und São Paulo aufeinander.
Zur Pause des Rückspiels im Palmeiras–Stadion „Parque Antártica“, es stand noch unentschieden, bemerkten die Spieler von São Paulo in ihrer Kabine einen eigenartige Geruch. Alarmiert verliessen sie die Kabine. Der Trainer von São Paulo, Muricy Ramalho, der als letzter den Raum verliess, bekam einen Schwindelanfall.
Jemand hatte ein gefährliches Gas in die Kabine der São Paulo-Mannschaft geleitet!
In der zweiten Halbzeit spielte São Paulo wie ausgeweschselt, brachte nicht die Hälfte des üblichen Leistung auf den Rasen und verlor sang- und klanglos das Spiel. Sogar der Torwart Sene, Ersatztorhüter der brasilianischen Nationalmannschaft, machte einen Anfängerfehler und war mit Schuld an einem Gegentor.
Nun, Sie raten schon, auch dies wurde von dem zuständigen Verband in keiner Weise bestraft, ganz zu schweigen von Spielwiederholung oder Ähnlichem. Es wurde auch keine Geldstrafe ausgesprochen, ja, der Fussballverband von São Paulo forderte nicht einmal eine Untersuchung des Vorfalls bzw. führte auch keine selbst durch.
Die Vereinsführung von Palmeiras, befragt über den Vorfall und die Reklamatioen von Seiten São Paulos, bestritt nicht einmal, dass sie ein Gas dort eingeleitet hätten. Sie sagten nur, es handele sich um „Details“ und São Paulo müsse lernen zu verlieren.
Ins gleiche Horn bliesen einige Sporteporer. Die Reklamationen der Spieler von São Paulo seien „weinerlich“ und es es sei zu verlangen, dass man würdevoll verliert.
Unter diesem Druck wagte São Paulo nicht einmal, offiziell Protest gegen die Wertung des Spiels einzuegen, geschweige denn vor bürgerliche Gerichte zu ziehen.
So wird wohl im Dunkeln der Fussballgeschichte bleiben, welches Gas da in die Kabine geleitet wurde und niemand kann sich die guten Erfahrungen von Palmeiras zu nutze machen und ebenfalls die Gastmannschaft mit Gas attackieren. Also der Geruch verfaulter Bananen war es wohl nicht.
Veröffentlicht am 5. Mai 2008 in der Berliner Umschau
Originalartikel
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