Stuttgart 21: Schwäbischer Filz
Von Karl Weiss
Ein Reporter des ‚Stern‘ hat recherchiert, wie der „schwäbische Filz“ aussieht, der „Stuttgart 21“ hervorgebracht hat. Die Treffen der Verfilzten fanden und finden nach diesen Angaben im Haus der Industrie- und Handelskammer auf der berühmten Halbhöhenlage über dem Stuttgarter Talkessel statt, dem „Weinberghäuschen“.
Dort trafen sich in den neunziger Jahren zur Planung von „Stuttgart 21“ die jeweiligen Ministerpräsidenten Späth, Teufel und Oettinger, der Minister Wissmann, der heutige Bahnchef Grube, damals bei Daimler-Benz für strategische Fragen zuständig (und damit für das gescheiterte „DaimlerChrysler“), Heinz Dürr, AEG-Sanierer und auch schon einmal Bahn-Chef und der erste, der Stuttgart 21 nachhaltig betrieb - und nicht zuletzt der Baufirma-Boss Rudi Häussler und andere Wirtschaftsbosse, darunter der Herr Stihl (das ist der mit den Motorsägen, die jetzt zum Abholzen gebraucht werden) und vor allem natürlich Herr Herrenknecht, der die bekannteste Tunnelbaufirma Europas unter sich hat, natürlich auch schwäbisch, die bereits den Gotthardt-Tunnel baute und den Elbtunnel in Hamburg.
Und wenn jemand fragt, wer beim Tunnel-Weltmeister Chef des Aufsichtsrats ist, na treffen wir schon wieder auf Lothar Späth! Vergessen darf man natürlich auch nicht den Chef des Hauses IHK Stuttgart, Herr Herbert Müller, der gerade stolz verkündet hat: Die Wirtschaft stände geschlossen hinter „Stuttgart 21“.
Da verwundert es natürlich nicht, dass Herr Häussler einen der grössten je erhaltenen Bau-Aufträge von „Stuttgart 21“ bekommen hat, dass das Projekt über mehr als 60 km Tunnel verfügt, die im wesentlichen überflüssig sind, aber dem Tunnelbauer Herrenknecht Aufträge bringen, und von den Firmen natürlich dankbare Spenden an CDU, FDP und SPD zurückfliessen (am liebsten jene Spenden, die in schwarzen Aktentaschen kommen und nicht die offiziell zugegebenen – wer die Taschen wohl jetzt bei der CDU entgegennnimmt, nachdem Schäuble krank ist?)
Und ebensowenig verwundert es: Die lokalen Zeitungen („Stuttgarter Nachrichten“, „Stuttgarter Zeitung“) gehören rein zufällig einer Firma, die –wiederum rein zufällig – von der Landesbank Baden-Württemberg (Chefs: Die Ministerpräsidenten) Geld für ihre Sanierung erhielt (inmmerhin 300 Millionen Euro) und nun mit strammer Befürwortung von Stuttgart 21 bezahlt.
Der „Stern“ schreibt:
„Die LBBW war hierfür [für die Überwindung von Bilanzschwächen des Pressehauses] ein idealer Partner. Vorsitzender ihrer Trägerversammlung ist Ministerpräsident Mappus.
In ihrem Verwaltungsrat hat die Politik das Sagen. Vorsitzender ist der CDU-Landtagsabgeordnete Peter Schneider, Präsident des baden-württembergischen Sparkassenverbands. Mitglieder des Verwaltungsrats sind unter anderem der Stuttgarter OB Wolfgang Schuster, die CDU-Landesminister Wolfgang Reinhart (Berlin/Europa) und Willi Stächele (Finanzen), die Unternehmer Heinz Dürr und Dieter Hundt und Claus Schmiedel, Chef der SPD-Fraktion im Landtag. Der hielt Stuttgart 21 bis vor kurzem für "menschenfreundlich, umweltfreundlich und relativ schnell realisierbar".“
Herr Freudenreich, ehemals Chefreporter bei der „Stuttgarter Zeitung“ schreibt in seinem Buch „Die Taschenspieler – verraten und verkauft in Deutschland“ über diesen Filz, das Bahnprojekt Stuttgart 21 sei „zu einer Metapher für eine kaltschnäuzige Cliquenwirtschaft geworden“.
Seit dem grossen Kredit der Landesbank für den Pressekonzern berichteten in Süddeutschland die Zeitungen extrem positiv über „Stuttgart 21“ (auch die „Süddeutsche“ gehört jetzt dem Konzern.
ST 21 und STZ21 waren ein und dasselbe (Stuttgart 21 und Stuttgarter Zeitung21). Der frühere Chefredakteur der „Stuttgarter Zeitung“, Uwe Vorkötter, ist heute bei der „Berliner Zeitung“ und gibt zu: Es war ein Fehler, das Projekt zu einem der Zeitung zu machen. Ohne die „Stuttgarter Zeitung“ hätte es das Projekt nicht gegeben. Der jetztige Chefredakteur von STZ21 kommentiert: Sitzblockaden seien unangemessen, ziviler Ungehorsam ebenso.
Wenn man nun von den staatlichen Repräsentanten und der staatstreuen Presse ohne Unterlass zu hören bekommt, das Projekt habe schliesslich alle demokratischen Stationen durchlaufen und sei überall angenommen worden, so darf man dies als eine Beleidigung für den Prozess der „demokratischen Stationen“ in diesem Land auffassen. Denn das Volk, das rein theoretisch der „Souverän“ sein müsste, bekam weder die nötigen Informationen über das Für und Wider noch die Möglichkeit, darüber abzustimmen.
Von Demokratie keine Spur.
Veröffentlicht am 11. Oktober 2010 in der Berliner Umschau
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