Freitag, 6. Juli 2007

'Gefühlte Inflation' kontra 'Ermittelte Inflation'

Wie die offizielle Inflation nach unten manipuliert wird

Von Karl Weiss

Kürzlich wurde erstmals offiziell zugegeben, die Normalbürger „fühlen“ eine deutlich höhere Inflation als es die Statistik-Institute ermitteln. Der Begriff der „gefühlten Inflation“ wurde eingeführt. Das Gespräch mit einem der „Testkäufer“ hat ergeben, der Normalbürger fühlt nicht nur, dass etwas nicht in Ordnung ist mit den Zahlen der offiziellen Inflationsrate, sondern er hat Recht: Die für seinen Konsum eingetretene Inflation ist wirklich deutlich höher als die offiziellen Zahlen.

Die Tatsache, dass die „Testkäufer“ der Statistikinstitute grundsätzlich keine Sonderangebote berücksichtigen, ist einer der Hauptgründe, warum die offizielle Inflation oft weit unter der von uns „gefühlten Inflation“ bleibt (siehe „Teuro-Effekt“).

Wie der Zufall so spielt, hat der Autor über einen Bekannten hier in Belo Horizonte einen freiberuflichen Mitarbeiter der „Fundação Getúlio Vargas“ (FGV) kennen gelernt, die hier in Brasilien für das Messen der Inflation zuständig ist. Beim Gespräch über seine Tätigkeit kamen extrem interessante Aspekte ans Tageslicht. Auch ihm erscheinen die erhobenen Zahlen für die Werte der Inflation nicht realistisch, sondern nach unten manipuliert.

Als Hauptgrund hierfür (neben der geschickten Auswahl des Warenkorbes) nannte er das Ausklammern von allem, was als Sonderangebot läuft, aus den erhobenen Zahlen.

In der Praxis, berichtete er, läuft das so: Wenn er „Testkäufe“ macht, so kauft er nicht wirklich ein, sondern er notiert die Preise der Waren, die im „Warenkorb“ vorgesehen sind. Mit der entsprechenden Liste geht er anschließend zum Besitzer des Ladens oder zum Abteilungsleiter des Supermarkts und bespricht mit ihm die Preise.

Warum? Ganz einfach. Er darf keinerlei Preis verwenden, der als „Sonderpreis“, „Sonderangebot“, „Lockvogelangebot“, „Ausverkauf“ oder ähnliches deklariert wird. Der Manager teilt ihm also mit, was von den notierten Preisen als „Angebot“ gilt und was der „richtige Preis“ dafür wäre, wenn die Ware nicht im Angbebot wäre. Das führt nach seiner Angabe dazu, dass oft 80% der Preise, die er im Laden notiert hat, durch theoretische Preise ersetzt werden, die in Wirklichkeit niemand zahlt.

Er nannte als Beispiel den ‚Skol’-Preis, der als einer der Warenkorb-Preise für den Unterpunkt „Bier“ erhoben wird. Die Marke Skol ist hier in Brasilien die meistverkaufte Biermarke. In den Supermärkten wird Bier fast ausschliesslich in den kleinen Alu-Dosen mit 350 ml verkauft. Über ganz Brasilien fast einheitlich (ausser in abgelegenen Regionen) wird in diesem Moment eine solche Dose Skol zu Preisen zwischen R$ 1,20 und R$ 1,25 verkauft. Der Preis ohne Sonderangebot ist aber R$ 1,35. 99% des Verkaufs von Skol findet zu Angebotspreisen statt. Trotzdem notiert der Testkäufer einen anderen Preis, in diesem Fall also die 1,35 Reais.

Da ein Euro im Moment bei etwa 2,60 Reais liegt , heisst das, die Käufer erwerben das Bier in Wirklichkeit für zwischen 46 und 48 Cents, während der „offizielle Preis“ bei etwa 52 Cents liegt. Wie das nun die offizielle Inflation von der tatsächlichen abheben kann, zeigte nach seiner Aussage die vergangene Woche. Da wurde nämlich, wie er bemerkte, ein massiver Preisanstieg über alle Supermärkte hinweg versucht, wo in der Regel die Preise pro Dose um 0,04 Reais anstiegen, also zum Beispiel von 1,21 auf 1,25, das ist immerhin ein Anstieg von über 3% innerhalb einer Woche.

Gleichzeitig, so sagte er, wurde aber der offizielle Preis von 1,35 auf 1,34 verringert. Unter der Prämisse, dass fast die gesamte Menge aber eben zu angeblichen Angebotspreisen verkauft wird, verdreht die Erhebung so einen deutlichen Preisanstieg zu einem leichten Preis-Nachlass.

Das gleiche, so sagte er, trifft auch für den Unterpunkt ‚Erfrischungsgetränke’ zu, wozu ebenfalls das meistverkaufte Getränk herangezogen wird, Coca Cola. Er sagte, der offizielle Preis von Coca Cola in der 2-Liter-PET-Flasche, das ist die bei weitem meistverkaufte Version, liegt seit Monaten konstant bei R$ 3,40 (1,31 Euro). In Wirklichkeit wird nirgendwo das Getränk zu diesem Preis verkauft (mit Ausnahme von Läden an Tankstellen und ähnlichen). Vor Monaten noch wurde in Wirklichkeit die Flasche an vielen Stellen für R$ 2,40 (0,92 Euro) angeboten, während sich heute der Preis des braunen Sprudelwassers generell auf Werte zwischen R$ 2,80 (1,08 Euro) und R$ 3,30 (1,27 Euro) erhöht hat. Offiziell also keinerlei Preianstieg, in Wirklichkeit Preiserhöhungen im Bereich von 17 bis 37 %!

Ähnliches trifft nach seiner Aussage für andere viel gekaufte Güter zu, wie Grundnahrungsmittel (Reis, Brot, Bohnen, Margarine, Schinken, Käse usw.), Obst und Gemüse sowie Toilett-Artikel wie Shampoo und ähnliches.

Er erklärte zusätzlich, dass diese Methode auf lange Sicht natürlich keine verringerte Inflation erzeugen kann, denn am Ende müssen ja auch die „offiziellen Preise“ inflationär angeglichen werden, sonst würden sie ja unter die der tatsächlich gehandhabten fallen. Aber, so sagt er, auf diese Weise können jene raschen Inflationsschübe „verdeckt“ werden, die aus verschiedenen Gründen öfters vorkommen.

Wir haben in Europa ja damit Erfahrungen, seit wir die Einführung des Euro erlebt haben, der sich angeblich kaum inflationär ausgewirkt haben soll.

Die Methoden, wie man die Inflationszahlen auf längere Sicht nach unten manipuliert, sind dagegen andere: Vor allem wird dabei der ausgewählte Kreis der Konsumenten benutzt, um eine niedrigere Inflation zu erzeugen. Man nimmt als offizielle Inflations-Messzahl die Konsumgewohnheiten nicht etwa des normalen, wenig verdienenden Bürgers, ebensowenig einen genauen Durchschnitt der Bevölkerung in Einkommen und Ausgaben, sondern einen teuflischen Trick: Man verwendet den Durchschnitt des gesamten Konsums im Land! Dadurch werden die hohen Ausgaben der Reichen voll berücksichtigt, obwohl sie nur eine kleine Schicht der Bevölkerung darstellen.

Das bedeutet, wenn – sagen wir, die Gesamtmenge von Brot, die in einem Monat in einem Land gekauft wird, etwa 1 Milliarde Euros ausmacht, so geht der Brotpreis mit der gleichen Gewichtung in den Inflationsindex ein wie – sagen wir, die gekauften Luxusjachten und anderen privaten Schiffe und Boote, die angenommenerweise ebenfalls eine Milliarde in einem Monat ausmachen.

Dadurch gehen Luxusgüter, wie Jachten, Ferraris und andere Luxusautos, Chinchilla-Mäntel, Dior-Kleider und andere irrwitzige teure Kleidungsstücke, extrem teure elektronische Geräte wie spezielle Riesen-Fernseher und Luxus-Tonwiedergabe-Anlagen, antike Möbelstücke und viele andere in überproportionaler Weise in die Inflationsrate ein. Zwar nicht überproportional im Sinne ihres Anteil am gesamten Konsum des Landes, aber weit überproportional im Sinne der betroffenen Bevölkerung. Luxusgüter haben nämlich die unglaubliche Eigenschaft, kaum je im Preis zu steigen, oft sogar billiger zu werden.

Dieser Trick hat auch noch eine zweite Nebenwirkung, die ebenfalls „hilft“, die Inflationsrate niedrig zu halten: Neue elektronische Produkte, am Anfang meist noch extrem teuer, gehen bereits in diesem frühen Stadium in die Erfassung der Preise ein. Das trifft zum Beispiel für elektronische Cameras zu, als sie noch 10 000 Euro kosteten oder für Plasma-Fernseher, als sie noch 20 000 Euros kosteten oder für Digitalfernseher und Breitbild-Fernseher, als sie noch extrem teuer waren. In dem Masse, wie solche Artikel dann häufiger gekauft werden und dann entsprechend den schnell steigenden Mengen der Produktion billiger in der Herstellung und im Verkauf werden, drücken sie dann die Inflationsrate, obwohl sie teuer, wie sie waren, von fast der ganzen Bevölkerung nicht gekauft wurden.

Er sagte ausserdem, es gäbe noch ein paar andere Tricks, die aber nur sehr geringen Effekt hätten, in der Summe aber auch etwas ausmachen.

Er schätzt, dass die wirklichen Inflationsraten im Bereich von etwa 150% der offiziellen Inflationsraten liegen. Wenn also eine Jahresinflation von nur 2,5% angegeben wird, kann man getrost davon ausgehen, dass für den Normalbürger die Inflationsrate der Produkte, die er kaufte, bei etwa 3,6 bis 4% gelegen hat. Für jemand, der sehr wenig Geld hat und fast alles für das Grundlegende ausgeben muss, ist dieser Effekt sogar noch weit höher.

Er meinte, wenn man die Reichen und das, was fast nur sie konsumieren, aus der Inflationsermittlung herauslassen würde, würde glatt das Doppelte an Inflation herauskommen.


Veröffentlicht am 6. Juni 2007 in der Berliner Umschau

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