Freitag, 28. September 2007

Wenn man einmal die Wahrheit schreibt

"Eine nette Schlagzeile, mehr nicht"

Von Karl Weiss

Aufgeregtheit in Deutschland. Das bekannte Boulevardblatt hat einmal die Wahrheit geschrieben.Wie konnte das geschehen? Betriebsunfall? Das konnte die „Süddeutsche“ nicht auf sich beruhen lassen. Das musste relativiert werden. So textete man: „Eine nette Schlagzeile, mehr nicht.“

Die berühmte Blatt, aus dem angeblich Blut herausläuft, wenn man es schräg hält, hatte eine Studie veröffentlicht, die konkret belegt, was die meisten auch ohne dies schon wussten: Die durchschnittlichen Real-Löhne (also was übrig bleibt nach Steuern, Abgaben und Preissteigerungen) in Deutschland sinken schnell. Inzwischen sind sie, so fand man heraus, auf dem Stand von 1986, vor 20 Jahren, angelangt. Und jeder weiss: Wenn es so weiter geht, werden sie bald in den Siebzigern und dann in den Sechzigern angelangt sein.

Dann wird man in einem Deutschland vergleichbar zu jenem leben, in dem man Käfer fuhr oder Goggomobil und in dem Farbfernseher für viele unerschwinglich waren.

Wie konnte aber auch das sonst so zuverlässige Blatt einen solchen Ausrutscher produzieren? Eigentlich war man mehr gewöhnt an reaktionäre Verdrehungen und Hetze. Die Arbeitenden gegen die Arbeitslosen, die Jungen gegen die Alten, die Deutschen gegen die Ausländer.

Auch erhält man immer seine tägliche Dosis von deutschen Lebenslügen:

- Die von den angeblich hohen deutschen Löhnen, welche die Arbeitsplätze ins Ausland vertreiben (siehe hierzu dieses Dossier:"Dossier Arbeitsplätze und Lohnniveau")

- Die von unbezahlbar hohen „Lohnnebenkosten“ in Deutschland (siehe hierzu dieses Dossier:"Dossier 'Lohnnebenkosten' und Beschäftigung")

- Die von den Deutschen, die angeblich am Aussterben sind (siehe hierzu diesen Artikel:"Sterben die Deutschen aus?")

- Die von der völligen „Vergreisung“ der Gesellschaft, die es unmöglich machen würde, weiterhin vernünftige Renten zu bezahlen (siehe hierzu dieses Dossier:"Dossier Demographie, Renten und Alter 2" und diesen Artikel:"Demographie - Musste das Rentenalter erhöht werden?" )

- Die vom Sparzwang: Es sei einfach nicht mehr so viel zu Verteilen da (siehe dazu diesen Artikel:"Die Legende vom Sparzwang" und nicht zuletzt

- Die von der Demokratie: Die allseits geliebten Politiker seien keine Bande von Profiteuren und Abzockern, sondern würden verantwortlich mit unseren Steuergeldern umgehen (siehe hierzu diesen Artikel:"Leipziger Flughafen wird Drehkreuz für Grosswaffen- und Truppentransporte", diesen Artikel:"Wer hat, dem wird gegeben - Wo unsere Steuergelder hinfliessen", diesen Artikel:"Wohin die Gelder 'Aufbau Ost' flossen", diesen Artikel:"Grundversorgung von 1600 Euro für 6 Millionen billiger als heute" und diesen Artikel:"14 Mrd. Raub an Steuerzahlern")

Der „Ausrutscher“ beim Revolverblatt führte zu hektischen Aktivitäten. Eine davon war ein Artikel in der „Süddeutschen“ gleich am nächsten Tag, um den Eindruck zu vermindern, den die „Enthüllung“ gemacht hatte. Die Studie, so lernen wir aus der Süddeutschen, sei kein „erhellender Beitrag“ zur Abgabendebatte noch zu der über einen Mindestlohn.

Nanu, warum denn nicht? Da kommt man natürlich in Argumentationsnot, denn die Wahrheit hat ja jene unangenehme Eigenschaft: Sie ist wahr.

Also greift man in das Nähkästchen des Demagogen: Man behauptet einfach etwas, was gar nicht gesagt wurde und widerlegt es dann.

„Richtig ist ... , dass der Zeitungsartikel und die ihm zugrundeliegende Statistik in die Irre führen. So wird suggeriert, dass die Menschen heute ärmer wären als 1986. Tatsächlich aber ist die Kaufkraft gleich geblieben.“ schreibt da Herr Hulverscheidt von der Süddeutschen.

Nein, liebe Süddeutsche, nichts dergleichen wurde suggeriert. Es steht da klar und deutlich: Das Realeinkommen ist auf den STAND von 1986 zurückgefallen. Heute ist der durchschnittlich in Arbeit Stehende wieder so arm, wie er 1986 war. Nichts von „ärmer“.

In Wirklichkeit ist diese Statistik sogar im umgekehrten Sinne irreführend, denn in der Statistik ist ja nur von denen die Rede, die Arbeit haben. Damals gab es bei weitem nicht soviele Arbeitslose wie heute (geschätzte 7 Millionen, damals um die 2 bis 3 Millionen) und wer arbeitslos war, bekam damals noch die am letzten Lohn orientierten Leistungen Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe und nicht Hartz IV.

Auch versucht Hulverscheidt den Eindruck, es werde schlechter, zu verwischen, indem er sagt „ ...die Löhne seit Jahren langsamer steigen ...“, sich also auf Nominallöhne beziehend statt Reallöhne, so als ob es noch irgendwelche Steigerungen gäbe und nicht längst alles nur noch zurückgeschraubt wird.

Im Bemühen, die Statistik zu relativieren, entgleitet ihm allerdings auch eine weitere Wahrheit: „Viele Menschen verfügen heute über weniger Kaufkraft als 1986, ... andere dagegen über deutlich mehr.“ Tatsächlich, die Herren in den Vorstandsetagen sacken heute glatt das 50- bis 100fache ein als in den 60ern und immer noch ein Vielfaches im Vergleich mit 1986.

Wie aus gut unterrichteter Quelle verlautet, werden die deutschen Massenmedien bereits nächste Woche wieder eine Wahrheit veröffentlichen. Wer sie findet, darf sie behalten.


Veröffentlicht am 28. September 2007 in der Berliner Umschau

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