Dossier: 'Lohnnebenkosten und Beschäftigung'

Beispiel: Gesundheitskosten - Die sind überproportional gestiegen, richtig? Falsch!

Je höher die 'Lohnnebenkosten', desto weniger Beschäftigung, richtig? Falsch!


Von Karl Weiss


Die Höhe der 'Lohnnebenkosten' (hier am Beispiel der Gesundheitskosten) hat keinerlei Zusammenhang mit der Beschäftigung. In der Bundesrepublik haben die Gesundheitskosten sogar dämpfend auf die Gesamt-Kosten der Unternehmen gewirkt, ohne damit den Abbau von Vollzeitstellen zu stoppen oder zu verringern.


Die "Techniker-Krankenkasse", eine der größten Krankenkassen Deutschlands, hatte ein Gutachten in Auftrag gegeben, um herauszufinden, ob tatsächlich die angeblich so hohen 'Lohnnebenkosten' die Ursache für Arbeitsplatzabbau sind und ob wirklich geringere 'Lohnnebenkosten' für steigende Beschäftigung sorgen. Die Ergebnisse sind kristallklar und eindeutig die oben stehenden.

Das Gutachten auf denkbar breiter Datengrundlage liegt nun bereits seit Oktober 2004 vor. Es wurde aber bisher von nicht einer einzigen Zeitung in Deutschland, nicht einem Fernsehsender darüber berichtet.

Der Direktor des Berliner Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung, in dem wesentliche Teile des Gutachtens erstellt wurden, Dr. Häussler, erläutert:

"Etwa zehn Prozent der Arbeitskosten gehen auf Gesundheitsausgaben zurück. Gemessen an den Gesamtkosten der Unternehmen, also dem Produktionswert, liegt der Anteil sogar nur bei rund drei Prozent. Wir haben auch festgestellt, daß zwischen 1995 und 2000 alle Kostengrößen stärker zugenommen haben als die gesundheitsbedingten Belastungen der Arbeitgeber. Damit hat das Gesundheitssystem den Anstieg der Arbeitskosten sogar abgebremst.

"Es wurden auch wichtige Branchen in Deutschland untersucht: Chemische Industrie, Fahrzeugbau, Finanzdienstleistungen, Textilindustrie und Gesundheitssektor.

In der chemischen Industrie ist die Beschäftigung trotz stagnierender Belastung (+ 0,6 Prozent) um 11, 2 Prozent zurückgegangen.

Im Fahrzeugbau ist die Beschäftigung um 18,3 Prozent gewachsen, obwohl die gesundheitsbedingten [Kosten-]Belastungen um 31 Prozent zugenommen haben.

Die Finanzdienstleister verzeichneten zwar gestiegene Belastungen(+ 6,1 Prozent), aber auch eine leichte Zunahme der Beschäftigung.

In der Textilindustrie ist die Belastung zwischen 1995 und 2000 um 16,2 Prozent gesunken; die Beschäftigung ist dadurch jedoch nicht gestiegen, sondern hat um 26,8 Prozent abgenommen.

Im Gesundheitssektor ist die Beschäftigung (+15 Prozent) stärker gewachsen als die gesundheitsbedingte Belastung der Arbeitgeber.

Ein anderer Teil des Gutachtens sah sich genau an, was die „Gesundheitsreformen" bringen.

In der vorgesehenen Endstufe im Jahr 2007 ist die Entlastung der Arbeitgeber so gering, daß dies mit Sicherheit keinerlei Auswirkungen auf die Beschäftigung haben kann. Würden die Unternehmen diese Entlastung an die Preise der Produkte weitergeben, würden diese lediglich um zwei Promille, also 0,2%, sinken. Die „Reformen" erreichen also genau das nicht, was sie angeblich wollen.

Der dritte Teil des Gutachtens zieht einen internationalen Vergleich. Betrachtet man den Anteil am Produktionswert, so liegt Deutschland im Mittelfeld, bei 3,2 Prozent - gleichauf mit den USA. Frankreich (3,6 Prozent) und die Niederlande (3,7 Prozent) liegen höher; Polen (2,1 Prozent), Großbritannien (1,8 Prozent) und die Schweiz (1,9 Prozent) haben geringere Anteile.

Für keines der untersuchten Länder konnte für den Zeitraum von 1995 bis 2000 ein empirischer Zusammenhang zwischen den Gesundheitskosten der Arbeitgeber und der Entwicklung der Beschäftigung gezeigt werden. Es müssen daher andere Ursachen für die Beschäftigungsentwicklung verantwortlich sein.

Die Gleichung „Geringere Löhne - mehr Arbeitsplätze. Höhere Löhne - Wenig Arbeitsplätze" ist noch nie aufgegangen und wird nie aufgehen. Sonst müßte ja in China mit den niedrigsten Löhnen die geringste Arbeitslosigkeit herrschen. Sie ist aber dort besonders hoch. Oder hier in Brasilien, wo viele für umgerechnet etwa 100 Euro im Monat eine 44-Stundenwoche arbeiten müssen. Die Arbeitslosigkeit liegt bei geschätzten 27 - 30 %.

In Wirklichkeit geht es den Kapitalisten ja auch nicht um die Lohnkosten, wenn sie rechnen, sondern um die Lohnstückkosten. Und die sind in Deutschland bereits jetzt niedriger als in vielen anderen Ländern.

Die Verlagerungen in osteuropäische Länder dagegen sind vor allem dadurch begründet, daß man den Großkonzernen dort die Investitionskosten ganz oder teilweise vom Staat bezahlt. Was doch noch an Kosten anfällt, können sie in Deutschland von der Steuer absetzen. Damit stellen sie nagelneue Fabriken auf die Wiese, ohne einen einzigen Heller auszugeben. Die Löhne oder 'Lohnnebenkosten' dort haben dagegen nichts damit zu tun.

[Kleiner Zusatz vom Februar 2007: Soeben hat das statistische Bundesamt bekanntgegeben (siehe hier): Die deutschen Arbeitgeber zahlen im EU-Vergleich geringere Lohnnebenkosten als im Durchschnitt aller 27 Mitgliedsländer. ... gab(...) die Privatwirtschaft in der Bundesrepublik im Jahr 2004 je 100 Euro Bruttolohn und -gehalt zusätzlich rund 33 Euro für Lohnnebenkosten aus. Das sind etwa drei Euro weniger als im Mittel der Europäischen Union.]



Artikel der "Berliner Umschau" vom 26.4.2006, hier leicht redigiert.

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