Warum wurde Nokia geschlossen?
Von Karl Weiss
Das Nokia –Werk in Bochum wurde am 16. Mai geschlossen. Die Belegschaft von 2300 Personen wird fast vollständig entlassen – tröpfchenweise. Jetzt gibt es eine Einigung von Nokia mit der Landesregierung, etwa 30 Millionen für „Arbeitsplatzbeschaffungen“ zur Verfügung zu stellen.
Die Schließung des Nokia-Werks hat zum weiteren Mal die Maschinerie der Werksleitungen, Politiker, Medien und rechten Gewerkschaftsführer gezeigt, die in holder Eintracht am gleichen Kunstwerk arbeiten: Werke schließen, ohne dass die Arbeiter zu streiken beginnen. Die Rollen sind vom ersten Tag an verteilt. Die Bosse stellen sich stur (In Wirklichkeit ist längst vereinbart, was sie werden zahlen müssen – jedenfalls in der Grössenordnung). Die Politiker scheinen wütend und versprechen, die Interessen der Arbeiter zu vertreten. Die rechten Gewerkschaftsführer sind vom ersten Tag an stinksauer und voller Wut, sorgen aber gleichzeitig dafür , dass nicht gestreikt wird.
Denn - das hat sich am Beispiel des selbständigen Streiks von 10 Tagen bei Opel Bochum im Jahr 2005 gezeigt, der Streik mit Werksbesetzung („kein Produkt geht raus“) ist das einzige Mittel mit Aussicht auf Erfolg gegen Arbeitsplatzvernichtung. Das Opel-Werk in Bochum ist bis heute in Funktion, so sehr war allen da oben damals der Schreck in die Glieder gefahren, als die Arbeiter auf Streik entschieden und die Werkstore mit Gabelstaplern blockierten. Hinter den Kulissen wurde auf Hochtouren „Politik gemacht“ und nach 10 Tagen, als der Streik ausgesetzt wurde, war der Schließungsplan schon vom Tisch.
Ein modernes Werk wie das von Opel oder von Nokia in Bochum schafft pro Tag so viel Profit für die Kapitaleigner, dass ein Streik mit Werksbesetzung bereits innerhalb von Tagen weit mehr kostet als man durch die ganze Schließung überhaupt gewinnen kann. Deshalb ist dies Mittel so wirksam.
So lief aber bei Nokia alles ab wie bei AEG in Nürnberg und bei Infineon in München-Perlach. Streik wurde verhindert mit immer neuem „Warten wir erst einmal ab ...“ und am Ende „kämpft“ man um Abfindungen, die bereits am Anfang feststanden. Wie üblich, gibt es bei Nokia eine „Beschäftigungsgesellschaft“, doch die Erfahrungen damit sind nirgends gut. Nur für die wenigsten finden sich neue Arbeitsplätze, speziell die Älteren haben keine Chance.
Manche mögen neidisch auf die Abfindungen sehen. Einige Zig-Tausend Euro scheint eine Menge Geld. Aber die Arbeiter werden bald ernüchtert sein: Die Abfindung wird auf das Arbeitslosengeld im ersten Jahr angerechnet . Am Ende jenes Jahres ist es meist schon verbraucht. Wenn es nicht verbraucht ist, kommt es noch schlimmer, man bekommt nicht einmal Arbeitslosengeld II, denn zuerst muss „Vermögen“ aufgebraucht werden. So stehen fast alle nach eineinhalb Jahren auf blankem Hartz IV. Seit uns der SPD-Senator Sarrazin vorgerechnet hat, von welchem Frass wir leben müssen mit Hartz IV und nur Wasser trinken, weiss auch der letzte, das zahlt nicht einmal das Nötigste.
Siehe zu Hartz IV auch die unten aufgeführten Artikel zu diesem Thema.
Und – das wichtigste: Die Arbeitsplätze sind verloren für die Jungen, die sie unbedingt gebraucht hätten. So ist das Gemeinschaftswerk der Bosse, der Politiker, der Medien und der rechten Gewerkschaftführer nicht nur eine sich stets wiederholende Farce, sondern auch ein Verbrechen.
Im Fall Nokia war die Schauspielerei besonders gekonnt inszeniert. Wer auch in der Politik etwas zu sagen hatte, zeigte sich „empört“ und forderte alles mögliche, nur eben keinen Streik. Es wurde sogar einem Boykott der Nokia-Handys das Wort geredet und in einer spekatakulären Aktion eine kleiner Haufen Nokia-Handys zerstört. Alles Inszenierung. Es ging nur darum, vom Streik abzulenken. Auch die Demonstrationen wurden von Politik und Gewerkschaftsführung dirigiert. Niemand durfte sprechen, der eventuell zum Streik hätte aufrufen können. Auch die Lichterkette: Alles, nur nicht Streik.
Die Betriebsratsvorsitzende Achenbach, SPD-Mitglied, machte sich besonders um den Betriebsfrieden verdient. Sie scheuchte Flugblattverteiler am Werkstor eigenhändig weg und beschimpfte sie.“Wir brauchen hier keine MLPD, die ihr Süppchen kochen will“. Die Flugblätter der MLPD hatten den Weg zum Streik dargelegt und die Erfahrungen von Opel berichtet. Wer in Wirklichkeit sein Süppchen kochte, waren die Nokia-Bosse in holder Eintracht mit ihren Lakaien, den Politikern, den Medien und den rechten Gewerkschaftsführern.
Die nordrhein-westfälische Landesregierung machte diesmal sogar eine Sondereinlage und forderte medienwirksam die Rückzahlung der Subventionen von insgesamt 60 Millionen Euros (aktueller Wert), die man zusammen mit dem Bund aufgebracht hatte. Mancher mag geglaubt haben, unter dieser Drohung würde Nokia eventuell einknicken. Aber man hatte nicht durchschaut: Alles eingeübtes Theater. Man hat sich längst geeinigt, in welchem Rahmen die Firma zu zahlen haben wird an Abfindungen und Rückzahlungen. Doch die Illusion hielt vom Streiken ab.
Dann wird (wie üblich) argumentiert, mit dem Streik würde das Werk nur umso schneller geschlossen, doch die Erfahrungen sprechen das Gegenteil: Es muss unbedingt bis zum letzten Tag voll gearbeitet werden!
Wieder und wieder hämmerten die Medien in die Köpfe der unbedarften Leser und Zuhörer: Das Werk wird nach Rumänien verlagert, dort sind die Löhne niedriger. Aus einem Interview mit dem rumänischen Premier Popescu geht aber u.a. hervor: In Rumänien werden überhaupt nicht die gleichen Produkte hergestellt wie in Bochum.
Es geht Nokia gar nicht um die absolute Höhe der Löhne. Für einen Kapitalisten interessiert nicht, ob die Löhne hoch oder niedrig sind. Für ihn zählt nur, was für ihn dabei herauskommt: Er rechnet mit Lohnstückkosten, das heisst, was pro Euro gezahltem Lohn für ihn dabei an Profit entsteht. Es ist eine Legende, in Deutschland hätten wir hohe Lohnstückkosten. In Europa liegen wir im Mittelfeld mit der starken Tendenz zum unteren Rand. Warum? Deutsche Arbeiter sind extrem effektiv. Das zählt weit mehr als die Stundenlöhne. Dazu sind die Reallöhne in den letzten Jahren gewaltig gesunken.
Im Vergleich mit Entwicklungsländern (und in diesem Sinne muss Rumänien als Entwicklungsland gelten) sind die Lohnstückkosten in Deutschland meist niedriger oder bestenfalls auf gleicher Höhe, denn dort finden sich nur selten ausgebildete Arbeiter mit einem hohen Verständnisniveau für komplexe Produktionsvorgänge. (Näheres hierzu steht auch im „Dossier Arbeitsplätze und Lohnniveau".)
Die immer wieder wiederholte Behauptung, es würde nach Rumänien verlagert und die angeblich so hohen deutschen Löhne seien der Grund, ist nichts als ein Märchen für Leichtgläubige.
Aber warum wurde dann das Bochumer Werk geschlossen? Nokia macht sich den „Kreislauf der Subventionen“ zu Nutze. Einige nannten das „Karawanenkapitalismus“ oder „Subventionsheuschrecke“ . Von Zeit zu Zeit werden Werke geschlossen, wenn man gerade sowieso hohe Neuinvestitionen für eine neue Produktlinie machen müsste. Man kündigt einfach an einem anderen Ort die Neuinvestitionen an oder sogar ein neues Werk und sahnt dort die Subventionen ab. Näheres zum Subventionskarussel hier.
Die Gesamtinvestitionen für das eigentliche Werk in Bochum (was also nicht mitgenommen werden kann)werden auf 120 Millionen geschätzt und wir haben schon gehört, die Subventionen waren 60 Millionen und zusätzlich ein ungenannter Betrag von der EU. Alles, was beweglich ist, wird Nokia sowieso abtransportieren, die restlichen Investitionen sind also nicht verloren, aber an einem anderen Ort wird man wieder ein Werksgelände geschenkt bekommen, für das eigentliche Werk mehr als die Hälfte durch Subventionen reinholen und dann auch noch Steuerbefreiungen und andere Vergünstigungen bekommen.
So holt man aus den Steuerzahlern das meiste Geld für die eigenen Subventionen heraus und minimisiert bis ins Extremste die Kosten der Produktionswechsel, die gerade bei schnell wechselnden Artikeln wie Handys einen besonders hohen Anteil an den Gesamtkosten haben.
Die Zahlung von Abfindungen und jetzt auch 30 Millionen für neue Arbeitsplätze sind „peanuts“, Kleinigkeiten, die eine Nokia aus der Portokasse zahlt. Dazu kommt, die „neuen Arbeitsplätze“ werden wieder in Form von Subventionen an hoch profitable Konzerne vergeben werden, also die Perpetuierung des Subventionskarussels.
Die Schätzungen eines Fachmannes, den der Autor dazu befragen konnte, sind etwa folgende: Ein modernes Werk mit 2300 Beschäftigen, das zusätzlich noch Modeprodukte produziert wie Handys, schafft um die 10 Millionen Euro Profit am Tag (am Tag!). Hier handelt es sich nicht um den ausgewiesenen Gewinn (der wird nur aus Steuergründen errechnet), sondern um den wirklichen Profit (ein ähnlicher Wert wie jener, den die bürgerlichen Ökonomen „Rohertrag“ zu nennen pflegen). Ein Streik von nur 10 Tagen hätte also um die 100 Millionen Euros Verlust gebracht. Das ist weit mehr, als man nun zahlt und in anderen Werken an Subventionen einstreichen kann.
Man bedenke nur: Land, Bund und EU bezahlten mehr als die Hälfte des Werks und nun kann Nokia es verkaufen und bekommt schon wieder Bares in die Kasse. Am Ende hatte man keinen Heller Kosten für das Werk selbst, nur für die Ausrüstung, die aber mitgenommen wird. So lohnt es sich nicht, lange an einem Standort zu bleiben, man macht den berühmten Reigen: Wandern, wandern, von einem Ort zum andern - - - und an jedem Ort regnet es Subventionen.
Warum extrem profitträchtige Konzerne wie Nokia von unseren Steuergeldern zig Millionen an Subventionen bekommen, das haben die Medien, die „empörten“ Politiker und die „besorgten“ rechten Gewerkschaftführer uns bis heute nicht erklären können.
Veröffentlicht am 22. Mai 2008 in der Berliner Umschau
Originaleröffentlichung
Artikel zur Hartz IV im Blog:
"5 Millionen Arbeitslose einstellen"
"Hartz IV – Berliner Zeitung schert aus dem Chor der Missbrauchsankläger aus"
"Hartz IV – Absurd, absurder, am absurdesten – Das Chaos war geplant!"
"Dossier Hartz IV – Hindernisrennen ins Elend"
"Grundversorgung von 1600 Euro käme billiger als heute."
"Die neuesten Hartz-Sauereien – Das Mass ist voll!"
"Nicht genug zu essen – Hartz IV – Realität in Deutschland 2007"
"19 Fälle – Die Realität von Hartz IV"
"Arbeitslosigkeit ist zum Delikt geworden"
"Hartz IV führt in Obdachlosigkeit"
" Hartz-IV-Empfänger müssen im Dunkeln sitzen, kalt duschen und Wasser trinken "
Zusatz zum Artikel
Ein Satz des Artikels ist missverständlich und soll daher hier klargestellt werden: "So lief aber bei Nokia alles ab wie bei AEG in Nürnberg und bei Infineon in München-Perlach. Streik wurde verhindert..."
Das könnte so verstanden werden, dass auch bei AEG und Infineon nicht gestreikt wurde. Dort wurde aber sehr wohl gestreikt. Allerdings war es bei AEG nur ein Streik um bessere Abfindungen und und nicht verbunden mit Werksbesetzung. Bei Infineon wurde mit brutalen Polizeieinsätzen die Besetzung des Werkes verhindert.