Dienstag, 7. Oktober 2008

Die Konjunktiv-Straftat: 'Könnte begehen ...'

4 Verbrecher

Von Karl Weiss

Mit neuen Straftatbeständen will die Bundesregierung nun endgültig den Menschenrechten in Deutschland den Garaus machen. Da war nicht nur Schäuble, der sich für den vorbeugenden Todesschuss gegen mutmassliche Terroristen und für die Aufhebung der Unschuldsvermutung bei Terrorismusverdacht aussprach, da war nicht nur Verteidigunsminister Jung, der offen aussprach, er würde sich nicht an das Verfassungsgerichtsurteil gegen das Abschiessen von entführten Passagierflugzeuen halten und er hätte bereits Luftwaffen-Piloten, die das für ihn besorgen würden, jetzt hat Frau Zypries auch das Einführen neuer Straftaten angekündigt. Die Vorbereitung von schweren Verbrechen soll jetzt strafbar werden, ebenso das Einstellen von Bombenbauanleitungen in das Internet, die Teilnahme an Terror-Camps und das Beschaffen und Vorhalten von Materialien, die für Terroranschläge dienen können.

Beckstein

Bisher sind fast alle Straftaten (mit der Ausnahme der Straftat der „Unterstützung bzw. Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung“, Paragraph 129 a) in Deutschland im wesentlichen eindeutig definiert. Besonders schwere Straftaten, wie z.B. Mord, sind sogar akribisch beschrieben (in diesem Fall in der Abgrenzung zu Totschlag).

Das ist nur natürlich. Wirklich verurteilt soll nur werden, wer genau jene Bedingungen erfüllt, ansonsten fällt er in eine leichtere Kategorie oder geht straffrei aus. Dies ist zwingend Bestandteil der Gesetzgebung jeden Staates, der die allgemeinen Menschenrechte zur Grundlage seiner Gesetzgebung gemacht hat. Wäre es anders, würde man die Straftaten, speziell die schweren Straftaten, nur generell beschreiben und es jedes Mal einem Richter überlassen, ob er den Angeklagten nach diesem oder einem anderen Paragraphen oder gar nicht bestrafen will, wäre dies ein Rückfall in feudalistische oder obrigkeitsstaatliche Zeiten, als die Feudalherren bzw. die „Obrigkeit“ gleichzeitig die Richter waren und nach Gutdünken entschieden. Dann würden Mörder ohne Strafe ausgehen, während leichte Straftaten mit schwersten Strafen belegt würden und Personen, welche das Wohlwollen des jeweiligen Richters haben, gingen straffrei aus.

Allerdings sind auch jetzt bereits Lücken und zu allgemeine Beschreibungen im Strafgesetzbuch enthalten und die Spanne der Möglichkeiten der Bestrafung ein und desselben Delikts sind oft zu weit gefasst.

Filbinger und Kohl

So kommt es auch heute schon zu schreienden Ungerechtigkeiten wie Kohl, Ackermann, Esser und Hartz, die straffrei ausgingen, oder wie die absurden Strafen, die Schill, als er noch Richter war, für kleine Delikte ausgesprochen hat.

Schill beim Koksen

Zudem hat jeder Staat, der als demokratisch eingestuft werden will, die Unschuldsvermutung im Rechtssystem als Grundlage zu respektieren. Jeder Verdächtige hat solange als unschuldig zu gelten – und dementsprechend behandelt zu werden -, bis er rechtskräftig verurteilt ist. Warum das? Weil man ihm das umfassende Recht auf Verteidigung zugestehen will, das er nur in einem ordentlichen Gerichtsverfahren wahrnehmen kann.

Es darf keine Rolle spielen, dass die Polizei ihn festgenommen hat, dass es Hinweise oder sogar konkrete Verdachtsmomente gegen ihn gibt, dass es Belastungszeugen gibt oder dass er ein Geständnis abgelegt und später widerrufen hat. Erst wenn er mit Hilfe eines Fachmanns (seines Rechtsanwalts) das umfassende Recht zur Verteidigung hatte, kann schliesslich ein Richter über seine eventuelle Bestrafung entscheiden. Bis zum eigentlichen Prozess kümmert sich ja in der Regel niemand um die ihn entlastenden Momente. Staatsanwaltschaft und Polizei wollen typischerweise einen Fall möglichst schnell lösen. Erst im Prozess kann zum ersten Mal gezeigt werden, was ihn entlastet.

Meseberg-Tagung Bundesregierung

Warum wurde dies Prinzip der Unschuldsvermutung eingeführt? Weil es unglaubliche Zufälle gibt. Jeder von uns kann durch eine Ansammlung von zufälligen Umständen plötzlich zu einem Verdächtigen werden. Dann werden wir jedes dieser wichtigen Rechte brauchen wie die Luft zum Atmen, um nicht Teil des Heeres der unschuldig Verurteilten zu werden (in den USA schätzen Fachleute, dass mindestens 20% der Gefängnisinsassen unschuldig sind).

Diese Rechtsprinzipien führen natürlich dazu, dass manchmal Täter nicht verurteilt werden, weil man ihnen die Tat(en) nicht einwandfrei nachweisen kann. Der berufsmässige Verbrecher Al Capone in den USA zum Beispiel, zu Zeiten, als die USA noch die Rechte der Verdächtigen repektierten, konnte wegen Beweisschwierigkeiten für eine gute Weile nicht verurteilt werden. Am Ende konnte man ihm nur Steuerhinterzuiehung im umfangreichen Ausmass nachweisen und ihn so schliesslich doch noch ins Gefängnis bringen. Solche Fälle wurden als unvermeidlicher Ausfluss der Anwendung der Menschenrechte in Kauf genommen, ja, die USA brüsteten sich zu jener Zeit sogar damit, dass dort die Menschenrechte ungeteilt gegolten hätten, auch für Verbrecher.

Doch genau von dort, von den USA, ging dann auch die Tendenz zum Abbau dieser Rechte aus, als unter Reagan die Politik der „Zero tolerance“ eingeführt wurde und als nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 alle diese Rechte, zuerst bedingt, später absolut aufgehoben wurden.

Bush

Diese Rechte werden üblicherweise von bestimmte rechten Politikern als „Täterschutz“ verleumdet. Sie wurden auch bei uns schon mehrfach durchlöchert. Der Generalangriff auf alle diese Rechte hat aber erst jetzt begonnen. Unter dem Vorwand der Terrorismus-Bekämpfung sollen sie ausgehebelt werden. Neue Straftaten sollen definiert werden. So hat Justizministerin Zypriess jetzt angekündigt, man werde ein Gesetz einbringen, das „Beschaffung und Vorhaltung von Materialien unter Strafe stellt, mit denen Anschläge begangen werden können.“ Damit ist der Willkür Tür und Tor geöffnet.
  • Verbrecher Nr. 1: Sie, verehrter Leser
    Praktisch jeder hat sich bereits Materialien beschafft und vorgehalten, mit denen Anschläge begangen werden können. Wenn Sie ein Auto haben, so beschaffen Sie sich und halten vor: Benzin und Öl, die beiden Bestandteile für Molotov-Cocktails, mit denen gefährliche Anschläge durchgeführt werden können.
    Wie viele haben das berühmte Teppichmesser, mit dem angeblich die Anschläge des 11. September durchgeführt wurden?
    Überhaupt Messer. Haben Sie etwa keines?
    Und wenn Sie eine Waffe im Haus haben? Sei es mit Waffenschein und Grund. Wer garantiert uns, Sie werden damit keinen Anschlag begehen?
Stasi 2.0

Generell, so fordert Schäuble, müsse die Strafbarkeit von Vorbereitung zu schweren Straftaten eingeführt werden. Hmmm, da kommen wir von Hundertsten ins Tausendste.

Filbinger - Schäuble
  • Verbrecher Nr. 2: Schon wieder Sie, verehrter Leser
    Nehmen wir einmal an, Sie, verehrter Leser, hätten jahrelange Auseinandersetzungen mit ihrem Nachbarn und einmal hätten Sie ihn auch angeschrien: „Ich bring dich um, du Arschloch!“ Unter Zeugen. Dann planen Sie wirklich ernsthaft, ihn umzbringen. Allerdings wollen Sie nicht gefasst werden und entwickeln einen Plan. Unter anderem lassen Sie einen Privatdetektiv hinter ihm herspionieren, um seine Gewohnheiten zu kennen und Sie kaufen eine Pistole. Der Privatdetektiv allerdings bekommt den Eindruck, sie wollten den Mann umbringen und meldet der Polizei, was er weiss. Nach einiger Zeit wird Ihnen klar, Sie würden irgendwie doch gefasst, ihre Wut ist auch schon verraucht und sie führen Ihren Plan nicht aus. Wieviel Jahre Gefängnis hätten Sie wegen Vorbereitung einer Straftat verwirkt?
Merken Sie, in wie schwieriges Gelände man kommt, wenn man Vorbereitungen strafbar machen will?

Und nehmen wir einmal an, Sie wollten den Nachbarn nie umbringen. Der Privatdetektiv lag falsch. Sie vermuteten in Wirklichkeit, ihre Frau würde mit dem Nachbarn schlafen, deshalb hatten sie den Privatdetektiv ih beobachten lassen. Und die Pistole haben Sie beschafft, weil sie Angst hatten, der Nachbar könnte etwas gegen Sie vorhaben.

Merken Sie den Treibsand, in den man kommt, wenn man Vorbereitungstaten strafbar machen will?

Und da soll auch strafbar sein, wenn man sich in Terrorcamps ausbilden lässt.
  • Verbrecher Nr. 3: Omar Mohammed
    Nehmen Sie einmal den Fall von Omar Mohammed, einem Pakistani, der mit 16 von seinen Eltern in ein Camp geschickt wid, wo er den Islam studieren soll. In dem Camp wird nicht nur der Islam gelehrt, sondern auch Nahkampf und der Umgang mit Waffen. Ebenso wird die körperliche Ertüchtigung betrieben. Ein westlicher Geheimdienst bekam einen Hinweis von einer Person, dies sei ein Terrorcamp. Omar blieb 2 Jahre in diesem Camp, bevor er auf der Universität in Islamabad zu studieren begann.

    Unser Mohammed hat zwar nie vorgehabt, Anschläge zu begehen, aber nun ist er gezeichnet, denn kurze Zeit später wird dies Camp von US-Truppen ausgeräuchert, die aus Afganistan über die Grenze kommen und man findet seinen Namen auf den Teilnehmerlisten. Da Omar aber ein schlauer Junge ist, bekommt er nach seinem Bachelor ein Stipendium für einen „Master“ in Deutschland. Kurz danach wird er an der Uni Hamburg aus dem Hörsaal heraus verhaftet. Da man ihm glaubt, er sei nicht unmittelbar in die Vorbereitung eines Anschlages verwickelt, bekommt er nur 4 Jahre Haft wegen Terrorcamp-Ausbildung.
  • Verbrecher Nr. 4: Der Autor
    Und dann gibt es die Fälle der Chemiker, z.B. der des Schreibers dieser Zeilen. Karl Weiss hat in mehreren Artikeln zum Ausdruck gebracht, dass er gegen den Kapitalismus und für den Sozalismus ist, also klarer Fall von „Verfassungsfeind“. Ist bereits unter Beobachtung durch den „Verfassungsschutz“. Dazu kommt noch, er versucht in zwei Artikeln, deutsche Sicherheitskräfte zu widerlegen, zu ironisieren, ja sogar lächerlich zu machen, siehe hier und hier.
Offenbar ein subversives Element! Und Sozialisten sind sowieso das gleiche wie Terroristen, nicht? Dann kommt noch etwas dazu: Nach Angaben eines Geheimdienstes aus dem Nahen Osten wurde er am Madrider Flughafen zusammen mit A.B. gesehen, der auf der Terrorliste der Vereinigten Staaten steht, die mehr als 1 Million Namen umfasst. Eventuell könnten die beiden ein Päckchen ausgetauscht haben.

In Wirklichkeit waren beide nur zusammengestossen und hatten sich gegenseitig entschuldigt, aber der Gewährsman war nicht nahe genug dran, um das zu bemerken.

Nun, angesichts solch deutlicher Indizien, wird Karl Weiss unter ständige Überwachung gestellt. Nun stellt sich heraus, er ist in der Firma, in der er arbeitet, für Bestellungen verantwortlich, die relativ grosse Mengen leicht entzündlicher Flüssigkeiten umfassen, die speziell für kombinierte Spreng- und Brandanschläge geeignet sind. Zwar braucht man dann noch Zünder, um daraus Bomben zu machen, aber die könnte er ja bei dem Treffen mit A.B. bekommen haben. Ausserdem wurde von dieser Firma bereits einmal ein Menge von Waserstoffperoxid bestellt, aus dem man nach Ansicht der Sicherheitsbehörden Sprengstoff machen kann.

Kurz, das Indiziengebäude ist vollständig, es handelt sich um einen gefährlichen Terroristen! Karl Weiss wird bei seiner nächsten Einreise nach Deutschland festgenommen und nach Ägypten überstellt, das für seine effektive Folter bekannt ist, denn man braucht alle Namen der Terrorgruppe.


Veröffentlicht in der Berliner Umschau am 6.10.2008

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