Berühren von Sexualorganen kann Schwangerschaft verursachen
Von Karl Weiss
Das Berühren von Sexualorganen könne eine Schwangerschaft verursachen, wird in einem Lehrbuch erklärt, das in der Kampagne verwendet wird, die in 43 der 50 Bundesstaaten der USA den Aufklärungsunterricht ersetzt hat. Und das ist nur eine von vielen Absurditäten. Die Bush-Regierung und seine Anhänger aus den Reihen der extremistisch-religiösen Rechten in vielen Bundesstaaten haben fast flächendeckend die Anwendung von Unterrichtsmaterial und Regeln durchgesetzt, die uns wie aus dem finsteren Mittelalter vorkommen.
Alle Bilder in diesem Artikel sind aus der Aufklärungs-website von Bravo-Dr.Sommer
Aber das ist, was jungen Menschen fast überall in den Schulen der USA vorgesetzt wird: Man versucht mit Gewalt die Regel durchzusetzen, dass die jungen Leute keinen Sex vor der Ehe haben dürfen. Man weiss aus den Erfahrungen in fast allen Ländern zu früheren Zeiten, als dies auch schon versucht wurde: Das klappt nicht. Das hohe Niveau von Sexualhormonen im Körper der Kinder und Jugendlichen zwischen 12 und 18 lässt sie in der Regel extrem aufmerksam für jegliche sexuelle Gelegenheit werden und so werden eben oft diese Gelegenheiten auch wahrgenommen. Wenn man dann statt Informationen Ideologie vorgesetzt bekommen hat zu diesem Thema, ist man nicht in der Lage, sich entsprechend zu schützen.
Das Ergebnis dieser „Erziehung“ kann man an den Fakten ablesen. Während wir in der Bundesrepublik bei Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren nur 10,7 Geburten auf Tausend haben, ist diese Zahl in den USA auf 41,9 angestiegen.
„Abstinence only“ (ausschliesslich Abstinenz) heißt die Kampagne, die in den USA seit 1996 Gesetzeskraft hat. Dies belegt, das war nicht einfach eine Absurdität, die Bush junior verordnet hat und mit einem anderen Präsidenten rückgängig gemacht würde, das ist das allgemeine und generelle Vordringen der aggressiven extrem rechten religiösen Phalanx, in vielen Fällen nicht nur durch evangelisch-baptistische Sekten, sondern auch von der katholischen Kirche getragen.
Bush hat diese Kampagne allerdings mit Gewalt fast überall durchgesetzt, indem er jegliche finanzielle Unterstützung des Staates für anderen als diesen „Aufklärungsunterricht“ gestrichen hat. So sahen sich auch Staaten, die vorher noch liberal unterrichtet haben, gezwungen, sich auf diese Art von Kampagnen einzulassen.
Hier nur einige der Highlights von dem, was man US-Jugendlichen da zumutet:
- Eine der Schulstunden soll lehren, dass jeglicher Austausch von Körperflüssigkeiten bedenklich sei. So zum Beispiel beim Kuss. Man stellt Jungen und Mädchen gegenüber und ein Paar etwas abseits. Die gegenüberstehenden bekommen jeweils einen Becher, aus dem sie Wasser trinken und anschliessend wieder hineinspucken sollen. Dann geben sie dies dem Gegenüberstehenden. Die reissen dann das Klebeband ab, das an dem Becher klebt und zum Vorschein kommen die Namen der Gefahren, die der Austausch von Körperflüssigkeiten angeblich mit sich bringt: Siphylis, Gonnorhaea, AIDS usw. Der Becher der beiden abseits stehenden, die keine Körperflüssigkeiten austauschen, gibt dagegen die Schrift frei: „Ihr habt Glück gehabt, keine Krankheit!“
- Weiter behauptet das Lehrmaterial jener Kampagne, der Gebrauch von Kondomen sei wie russisches Roulette, völlig ohne jede Sicherheit (der Gebrauch von Kondomen ist in Wirklichkeit die sicherste Methode gegen ungewollte Schwangerschaften und AIDS, z.B. weit sicherer als die Pille), Tränen und Schweiss könnten bereits AIDS übertragen, und vieles mehr.
- Es werden auch Rollenverhalten gelehrt, die uns heute absurd vorkommen: Männer seien angeblich aggressiv und könnten keine Emotionen entwickeln. Frauen dagegen benötigten finanzielle Unterstützung, Männer aber Bewunderung. "Frauen messen ihr Glück und ihren Erfolg an ihren Beziehungen. Glück und Erfolg der Männer dagegen hängen von ihren Leistungen ab", wird da behauptet.
Wie auch in der Politik, arbeitet die extreme Rechte auch in der Sexualerziehung statt mit Aufklärung mit Angstmache. Die einzige Lösung sei absolute sexuelle Enthaltsamkeit verbreiten genau jene politischen Kreise, die mit immer wieder auftauchenden Prostituierten- und Orgien-Skandalen schon wiederholt auffielen. Dagegen: Wie der eigene Körper funktioniert, wie er sich in der Pubertät verändert, wie Jugendliche sicheren Geschlechtsverkehr haben können - all das lernen die meisten amerikanischen Teenager nicht im Unterricht.
Auch andere Zahlen deuten darauf hin, dass die Abstinenz-Kampagne wirkungslos ist: Laut einer Studie des National Center for Health Statistics haben 70 Prozent der US-Teenager vor ihrem 18. Geburtstag Oralsex, über 45 Prozent haben bis dahin mindestens einmal Geschlechtsverkehr. Und fast die Hälfte aller Neuinfektionen mit Geschlechtskrankheiten pro Jahr tritt bei Jugendlichen auf.
Diese Daten legen den Schluss nahe, dass "abstinence only" völlig an der Realität vorbeigeht. Amerikanische Jugendliche haben also Sex - aber wegen der absurden Nichtaufklärung wenig Ahnung, wie er eigentlich funktioniert.
Veröffentlicht am1 6. Oktober 2008 in der Berliner Umschau
Originalveröffentlichung