Mittwoch, 29. Oktober 2008

'Du schriebst mir, du liebst mich, aber ich darf es niemand sagen ...'

'...außer ich hätte deine schriftliche Einverständniserklärung': Die Schills sind los

Von Karl Weiss

Ja, so war es: Du hattest mir geschrieben. Geschrieben, was ich schon erwartet, aber immer auch bezweifelt hatte. Du schriebst, du liebst mich, in einem lieben Brief mit einer Menge gezeichneter Herzchen. Ich war selig. Endlich! Nun würde alles gut werden. Ich erzählte es meiner Mutter und ich stellte es, noch bevor ich dir geantwortet hatte, in meine Internet-Site in meinem „social networking“, sogar mit einem Faksimile jenes Satzes aus deinem Brief. Alle dort, die mich (und dich) kennen, sollten es wissen!

Schill 2

Doch bevor du noch meinen Antwortbrief mit dem Heiratsantrag beantwortet hattest, bekam ich Post von einem Rechtsanwalt (persönlich überbracht von einem Beauftragten).

Er schrieb, ich hätte eine vom Briefgeheimnis geschützte Mitteilung im Internet an die Öffentlichkeit gebracht. Hierfür sei ich abzumahnen. Ich hätte außerdem eine Erklärung abzugeben, diese Veröffentlichung von Privatsphären-Geheimnissen nicht zu wiederholen. Ich hätte die Mitteilung aus dem Internet zu nehmen und ich hätte ihm seine Kosten zu erstatten, die nun mal leider 2304 Euro und 68 Cents betragen hätten.

Falls ich bis zum Abend des darauffolgenden Tages nicht das Geheimnis aus dem Internet entfernt hätte und die Erklärung abgegeben hätte (er hatte mir ein Formular mit dem Wortlaut freundlicherweise gleich mitgeschickt), sehe er sich leider gezwungen, mich wegen dieses Deliktes zu verklagen, was bedeutend teurer würde. Eine Strafe von bis zu 25.000 Euro stünde auf meine Vergehen, ersatzweise Haft, ganz zu schweigen von den Rechtsanwaltskosten beider Seiten.

Da Samstag war und der nächste Tag dementsprechend Sonntag, konnte ich in der Kanzlei des Rechtsanwaltes niemanden erreichen. Wie du dich erinnerst, habe ich dich auch gleich angerufen und du hast mir bestätigt, dass du natürlich keinen Rechtsanwalt mit so etwas beauftragt hattest.

Also tauchte ich noch am Samstag bei einem Rechtsanwalt auf, der mich früher einmal vertreten hatte und klingelte ihn aus seiner Wohnung.

Ich war mir sicher, der würde mir bestätigen, diese „Abmahnung“ habe selbstverständlich keinen Bestand und ich könne sie einfach vergessen.

Doch dann kam die Überraschung: Wenn der Anwalt diese Klage beim Kölner Landgericht einreichen würde, was wahrscheinlich sei, dann hätte sie eine Chance, tatsächlich durchzukommen, also solle ich vorsichtshalber tun, was er verlangt.

Gleichzeitig solle ich dich eine Einverständniserklärung unterschreiben lassen, die bestätigt, du hast nichts gegen diese Veröffentlichung. Er meint, damit hätten wir eine gute Chance, einen eventuellen Prozess bezüglich jener Rechtsanwaltskosten zu gewinnen.

Aber auch das konnte er mir nicht garantieren. Da die angegebenen Kosten aber sehr hoch sind, würde ein entsprechender Prozess auf jeden Fall billiger kommen – wenn man ihn gewinnt. Wenn man ihn verliert, dann sei sowieso alles verloren.

Halten Sie diesen Fall für real? Nein, er ist erfunden. Aber er könnte wahr sein, denn das Landgericht Köln (Pressekammer) hatte genau so einen Fall zu entscheiden und erfand neues Recht:

Angeblich sei ein E-Mail wie ein Brief zu behandeln und es gelte das Briefgeheimnis. Nun bezieht sich, wie jeder weiss, das Briefgeheimnis auf ungeöffnete Briefe. Niemand darf einen solchen Brief öffnen oder irgendwie den Inhalt zur Kenntnis nehmen, ganz zu schweigen von veröffentlichen, solange der Empfänger ihn nicht erhalten und geöffnet hat. Ab diesem Moment darf selbstverständlich der Empfänger im Rahmen seiner allgemeinen Pflichten den Inhalt veröffentlichen. Ebenfalls gilt das Briefgeheimnis nicht mehr für einen vom Empfänger geöffneten Brief, den der Empfänger in der Öffentlichkeit hat herumliegen lassen.

Schill beim Koksen

Selbst wenn man also ein E-Mail parallel zu einem Brief sieht, das Briefgeheimnis greift nur so lange, bis der Empfänger den Brief (das E-Mail) geöffnet hat.

Doch das Landgericht Köln (Pressekammer) sieht das ganz anders. Es verurteilte einen Betreiber einer Webseite (er war gar nicht der Betreiber, aber das ist schon wieder ein anderes Thema), weil auf der Website ein E-Mail veröffentlicht wurde, mit dem der Betreiber abgemanhnt wurde. Allerdings war auf dieser Website ausdrücklich eingetragen worden, dass alle E-Mails veröffentlicht werden könnten und dass speziell alle Abmahnungen auf jeden Fall veröffentlicht werden.

Nun, wie auch immer, das Landgericht Köln erfand neues Recht. Es gab dem Kläger recht, der abgemanhnt hatte. Man hätte sein E-Mail nicht veröffentlichen dürfen. In einigen Rechtskommentaren wird aufgrund dieses Urteils nun schon berichtet, man dürfe die Inhalte von E-Mails nicht veröffentlichen, wenn man nicht die schriftliche Einverständniserklärung des Absenders habe.

Nun, dies ist ein weiteres Beispiel, wie das sowieso schon trübe Rechtssystem der Bundesrepublik, belastet von Hunderten von Nazi-Richtern, sich immer weiter eintrübt. Urteile der absurdesten Kategorien häufen sich. Die Schills sind los.


Veröffentlicht am 29. Oktober 2008 in der Berliner Umschau

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