Montag, 11. Mai 2009

Ruhe vor dem Sturm

Der Schock kommt noch

Von Karl Weiss

Noch ist es ruhig in Deutschland. Man könnte fast meinen, `good old Germany` wäre weniger als andere Länder von der multiplen internationalen Krise betroffen. Wolfgang Münchau, der im Ausland lebende Kommentator der FTD, bemerkt dies bei seinen Deutschlandbesuchen besonders deutlich. Er fragt: „Warum weiss der durchschnittliche Belgier mehr von dieser Krise als der durchschnittliche Deutsche?“

Tatsächlich sind die Zahlen der Entlassungen in Deutschland noch vergleichsweise niedrig, weil es in Deutschland die Kurzarbeitergeld-Regelung gilt – eine kleines letztes Überbleibsel von sozialen Rechten in Deutschland.

Auch die Abwrackprämie hat geholfen, bisher noch Massenentlassungen speziell in der Automobilindustrie zu verhindern. So lesen viele in Deutschland zwar über die Krise in der Zeitung und sehen sie in den Nachrichten, aber sie spüren sie noch nicht – oder nur wenig – am eigenen Leib. Auch gibt es Gegenden in Deutschland, wo es nur wenig Industrie gibt und die Dienstleistungen – wie auch der öffentliche Sektor - dominieren, wie zum Beispiel in Berlin

Dies macht sich die Politik zunutze und spielt nach Leibeskräften die Krise in Deutschland herunter. Wie aus einem Leierkasten wird die These wiederholt, man brauche die Nachfrage nicht zu stimulieren. Den meisten Deutschen ist gar nicht bewusst, dass Deutschland bisher praktisch nichts zur Stützung der Nachfrage unternommen hat, während in fast allen Industrieländern bereits ins Arsenal der typischen Konjunkturstützen gegriffen wurde, die immer vorrangig die niedrigen Einkommensgruppen bevorzugen müssen, um schnell und deutlich zu wirken: Erhöhung des Eingangssteuersatzes, Erhöhung der Arbeitslosen-Leistungen, Verlängerung der Bezugszeiten, Erhöhung der Abschreibungsmöglichkeiten von der Steuer für die breite Masse usw. usf.

Wie ein anderer Kommentator der FTD, Zeise, bemerkt, liegt das daran, dass die deutsche Politik, sprich CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne nicht begriffen haben, was die Krise verursachte. Sie glauben, es war der Ausfall der Kredite zu günstigen Bedingungen durch die Banken und versuchen daher mit Einsatz bisher unbekannter Grössenordnungen von Mitteln die Banken in ihrem Krankenbett aufzurichten. In Wirklichkeit ist die Wirtschaftskrise (nicht die Finanz-, Kredit-, Währungs-, Geldsystem- oder Staatsanleihen-Krise) schlicht und einfach eine Überproduktionskrise, sprich die Menschen haben zu wenig Geld, um all die produzierten Waren kaufen zu können, also eine Krise der mangelnden Nachfrage.

Deutschland: Umsatz gewerbe 2007 bis März 09, 2005 gleich Hundert
Die Tiefe der Krise kommt in diesem Bild deutlich zum Ausdruck. Der Absturz ist fast senkrecht und wenn er im März nicht mehr so weiter geht, sagt das noch nichts über den April und die nächsten Monate.


Ganz im Gegensatz zum Eindruck, den viele Deutschen noch haben, ist aber Deutschland besonders intensiv von dieser Krise betroffen. Der Rückgang des Brutto-Inlandsproduktes ist nach Japan der zweithöchste. Hier muss allerdings erwähnt werden, dass in den USA die Zahlen des BIP (in englisch: Gross National Produkt: GNP) massiv manipuliert werden. Es kann davon ausgegangen werden, dass in Wirklichkeit die US-Krise in der gleichen Grössenordnung wie die Japanische und Deutsche liegt.

Inzwischen haben sich Sachverständigenrat, OECD und Bundesregierung auf etwa 6% Rückgang des BIP gegen das Vorjahr für 2009 in Deutschland geeinigt. Das ist eine Grössenordnung, wie es sie nur als Folge der Weltkriege und in der großen Depression von 1929 und folgende gab. Es wird Massenarmut und Hunger in Deutschland geben. Die Entlassungen werden in die Millionen gehen.

Zwar wird man die Zahlen noch eine Zeitlang manipulieren können, zwar wird die Kurzarbeiterregelung verlängert, aber irgendwann wird die Abwrackprämie und die Kurzarbeitergeld-Regelung auslaufen, irgendwann wird der Verzögerungseffekt des einen Jahres Arbeitslosengeld 1 zu Ende sein und dann ist die K... am Dampfen.

Die Politik sorgt sich momentan nur um eins: Dieser Zeitpunkt darf nicht vor den Wahlen im September sein. Und nach den Wahlen die Sintflut. Dann wird man eine irgendwie halbwegs legitimierte Regierung haben und die sozialen Verwerfungen gedenkt man mit Gewalt zu unterdrücken. Aber gerade dieser Betrug mit den Wahlen und danach das Messer gewetzt, wird die Massen besonders empören.

Es ist offensichtlich, die Politik hat nicht die geringste Ahnung, wie viel unterdrückte Wut heute bereits in Deutschen Arbeitergehirnen rumort und sie will es wohl auch nicht wissen. Es sei nur daran erinnert, wie 2004 nach der Ankündigung von Hartz IV innerhalb kürzester Zeit die Monagsdemonstrationen aktiviert wurden und dann für glatte zwei Monate um die 200.000 einfache Menschen jeden Montag auf die Straße gingen.

Politiker kennen keine Arbeiter, bzw. nur Luxus-Arbeiter wie freigestellte Betriebsräte und Betriebsratsvorsitzende. Wer ein wenig Einblick in das Denken der kleinen Leute in Deutschland hat, weiss, wieviel Zorn sich jetzt bereits angesammelt hat. Man stelle sich vor, wenn der nicht mehr nur mit Faust in der Tasche abreagiert wird. Die Vorstellung, mit massiver Unterdrückung könne man dem leicht Herr werden, hatten noch immer alle Reaktionäre angesichts revolutionärer Bewegungen, wie zum Beispiel der französische Adel vor dem Sturm auf die Bastille oder der König von Nepal, der inzwischen bereits abdanken musste.

In Deutschland herrscht die Ruhe vor dem Sturm.


Veröffentlicht am 11. Mai 2009 in der Berliner Umschau

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