Montag, 25. Mai 2009

Die BIP-Katastrophe

15,2% Rückgang (auf Jahr gerechnet) im ersten Quartal

Von Karl Weiss

Das deutsche Brutto-Inlandsprodukt (BIP) ist im ersten Quartal 2009 um weitere 3,8% gegenüber dem bereits desaströsen 4.Quartal 2008 eingebrochen, was gegenüber dem Vorjahresquartal eine Verminderung von 6,9% bedeutet. Aufs Jahr umgerechnet würde das einen Fall ins Bodenlose von 15,2% bedeuten. Das ist eine Katastrophe.

Deutschland: Umsatz gewerbe 2007 bis März 09, 2005 gleich Hundert

Alle versuchen diese Zahlen zu verharmlosen, damit dem deutschen Michel vor der Wahl noch nicht die Tiefe der Krise bewusst wird. Da wird behauptet, das sei nur so schlecht, weil da im Ausland die Zahlen so schlecht sind und auf Deutschland ausstrahlen. Da wird behauptet, die Kreditkrise und Finanzkrise hätten damit etwas zu tun. Da wird gesagt, angesichts des leichten Rückgangs der Steilheit des Absturzes im April sei das bereits überholt. Die Krise sei bereits zu Ende. Doch das alles ist nichts als Schönreden. Man will heil bis zu den Wahlen kommen.

In Wirklichkeit sind diese Zahlen die Wahrheit. Es gibt keinerlei Anzeichen, dass schnell ein Aufschwung einsetzen könnte, auch wenn der Abschwung natürlich nicht ewig in der gleichen Geschwindigkeit weitergehen kann. Aber auch, wenn der Tiefpunkt bereits erreicht wäre und keine zweite Welle von Einbrüchen käme (die kommt aber wahrscheinlich), wäre dies bereits die Katastrophe.

EU: Industrieproduktion 2007 bis 12.2008

Tatsache ist, diese Krise ist hauptsächlich eine Krise des deutschen Binnenmarktes. Der war bereits seit langem am Schrumpfen, was aber durch monatlich neue Rekordmarken des Exports eine Zeit lang verschleiert werden konnte. Nun, der Einbruch im Export musste irgendwann kommen, das wusste jeder. Die anderen Länder lassen nicht auf Dauer und in so extremem Umfang ihre Arbeitsplätze nach Deutschland verlagern – und nichts anderes ist das Stützen allein auf den Export.

Nun sind die Länder mit den höchsten Exportanteilen am Brutto-Inlandsprodukt, Japan und Deutschland, am meisten von der Krise betroffen. Auch das war für vernünftige Menschen vorhersehbar. Aber Politiker und Ökonomen sind ja keine vernünftige Menschen, oder?

Statistik Reallöhne
Deutschland ist einsamer Weltmeister im Reallohnabbau, belegt diese Graphik. Wer soll mit ständig sinkenden Reallöhnen all die immer grösser werdende Produktion kaufen?

Wer den Inlandskonsum gewaltsam abgewürgt hat, mit Hartz IV, mit den Ein–Euro-Jobs, mit der Freigabe der Zeitarbeit, die jederzeit Entlassbare schuf, mit der Weigerung, einen Mindestlohn festzulegen, mit der konsequenten Abbau der Reallöhne, mit dem Abziehen von Zehntausenden aus dem Schutz der Tarifverträge, mit der berühmten Flexibilisierung, wer dies alles durchsetzte, der ist heute der Hauptverantwortliche für die Tiefe der Krise in Deutschland. Das hat nichts mit den Bankern zu tun, die Roulette gespielt haben und nichts mit den den Sub-Prime–Hypotheken, das ist deutsche Krise hausgemacht!

Also sprechen wir Klartext: Das ist vor allem Herr Schröder mit der ganzen SPD und mit den dazugehörigen rechten SPD-Gewerkschaftsführern, zusammen mit den grünen Steigbügelhaltern, die heute nichts mehr von ihrer Verantwortung wissen wollen.

Da sind als zweites die Herren Ober-Wirtschaftswissenschaftler, die berühmten wirtschaftswissenschaftlichen Institute, die vier Weisen, das Ifo mit dem bekannten Herrn Sinn und die Heerscharen von superschlauen Wirtschaftsjournalisten, die heute ganz unschuldig dreinschauen. Sie, die es hätten besser wissen können, die sehr wohl wissen, dass ein Markt mit sinkender Nachfrage in die Krise führt, sie hätten all dies vorhersehen können und gegensteuern, doch sie haben im Auftrag ihrer Herren, der Monopolkapitalisten, die Geschichte von der Flexibilisierung erzählt, die Arbeitsplätze schaffen würde, vom Standort Deutschland, der auf Niedriglöhne und Export und nicht auf Binnenmarkt setzen müsse, die Geschichte vom Lohnverzicht, der Arbeitsplätze schüfe und das Märchen vom „über-die-Verhältnisse-gelebt“, während in Wirklichkeit der gesamte Umfang der steil steigenden Produktivität an die Superreichen ging, die damit die Spielhöllen betrieben, die heute geplatzt sind.

Deutschland: Statistik von 2000 bis 2007 über BIP, Lohn, Konsum und Vermögenseinnahmen
Diese Graphik macht deutlich: bereits seit 2002 steigt die Produktivität deutlich an, doch das führt ausschliesslich zu explosionsartig steigenden Vermögenseinkommen. Der Reallohn steigt nicht und ab Januar 2005 (Hartz IV) geht er deutlich zurück.

Und das sind als drittes die CDU/CSU und FDP, die alle diese Politiken schon früher gefordert hatten, nur mussten sie warten, bis ein SPD-Kanzler sie umsetzt, was sie zu Triumphgeheul veranlasste: „Wir haben es doch immer schon gesagt!“

Und, was wichtiger ist, als nur die Verantwortlichen beim Namen zu nennen: Niemand von ihnen hat jetzt, in der Krise, eingesehen, was sie falsch gemacht haben, im Gegenteil, sie schwafeln von den Bankern, welche die Krise verschuldet hätten, vom Ausland, das so bösartig ist, die deutschen Produkte nicht mehr zu kaufen und davon, das man das jetzt durchstehen müsse und dann müsse man genauso weitermachen. Originalton Merkel: "...und das wollen wir auch nicht ändern.“.

Deutschland: Einzelhandelsumsatz 2006 - 2008 mit Trendlinie
Deutschland: Einzelhandelsumsatz 2006 bis 2008 mit Trendlinie. Hier kann man es genau sehen: Die Leute hatten schon seit Jahren immer weniger zum Ausgeben.

Viele in Deutschland hoffen immer noch, die Krise werde hier gar nicht so richtig ankommen, werde kurz sein und dann werde alles wieder gut. Doch man kann diesen Zeitgenossen heute sagen: Minus 15,2% ist eine Katastrophe und wenn das heute am Arbeitsmarkt noch nicht in katastrophaler Weise angekommen ist, dann nur weil – wie die FTD schrieb – die Politik die Bosse anfleht, mit den großen Entlassungswellen bis zu den Wahlen im September zu warten. Doch am Tag nach den Wahlen ist Armageddon in Deutschland, dann werden sich die Schleusen öffnen und alle, die noch Hoffnung hatten, werden sie fahren lassen müssen. Dann heisst es nur noch: Hinnehmen und untergehen oder kämpfen um jeden Zentimeter!


Veröffentlicht am 25. Mai 2009 in der Berliner Umschau

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