Montag, 19. Oktober 2009

Imperialistische Großmacht Europa

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen

Von Karl Weiss

Voraussichtlich innerhalb der nächsten Wochen wird der tschechische Präsident Klaus die Ratifizierungsurkunde des europäischen Grundlagenvertrags unterschreiben und damit den Vertrag, genannt Lissabon-Vertrag oder EU-Reformvertrag, in Kraft treten lassen. Damit wird die EU offiziell zu einer aggressiven imperialistischen Großmacht und wird in die Kämpfe um die Nachfolge der Vereinigten Staaten als Supermacht eintreten.

Europa-Demonstration

Europa, das bisher vor allem die wichtige Leistung vollbracht hat, der Menschheit die Aufklärung zu bringen, würde dann zu einer hassenswerten und allseits gehassten Großmacht, so wie es heute die USA sind.

Der Grundlagenvertrag sieht obligatorisch die ständig weitere Aufrüstung der EU und deren weitere Integration vor. Ebenso stellt er klar die internationale Rolle der EU als Eingreifmacht weltweit heraus. Zum Glück wird diese Entwicklung langsam sein und wird eine Reihe schwerster Hindernisse zu überwinden haben.

Vaclav Klaus stellte für viele in Europa, wahrscheinlich für eine Mehrheit derjenigen, die sich wirklich mit dem Thema beschäftigt haben, eine Art von „letzter Hoffnung“ dar, das Inkrafttreten des Vertrags vielleicht doch noch zu verhindern. Doch nun hat Klaus angekündigt, den Vertrag zu unterzeichnen, sobald das Tschechische Verfassungsgericht die letzte Klage dagegen abgewiesen haben wird, was voraussichtlich Ende des Monats der Fall sein wird. Es muss lediglich noch eine „Politische Erklärung“ auf dem anstehenden EU-Gipfel verabschiedet werden, der, wie es der Zufall will, auch Ende des Monats stattfindet.

Wie wenig diese EU noch mit Demokratie am Hut hat, wurde im Prozess des Durchpeitschens des „Lissabon-Vertrages“ deutlich. Die großen EU-Länder verpflichteten die kleinen unter Androhung wichtiger Nachteile, nirgendwo mehr Abstimmungen abzuhalten, sondern den Vertrag in den Parlamenten durchzuwinken. Außer Irland gehorchten alle. Wie in Irland mit einer zweiten Abstimmung mit großen Versprechungen an das leidgeprüfte Irische Volk eine Zustimmung erreicht wurde (eventuell gab es sogar massive Fälschungen), zeigte erneut: Demokratie ist nicht! Die Abstimmungen in den Parlamenten waren von schärfstem Druck innerhalb der Parteien auf jene Abgeordneten bestimmt, die eventuell dagegen gestimmt hätten. Jeder wusste, er würde in dieser Partei nie mehr etwas werden, wenn er das täte. So wurden in fast allen Ländern weit überwiegende Mehrheiten erreicht.

Da nun Präsident Klaus eventuell hätte noch zum Stolperstein werden können, wurde eine Hetze gegen ihn entfacht, die ihresgleichen sucht. Man höre nur, was die Financial Times Deutschland (FTD) in einem Kommentar über Klaus noch am Tag seiner Kapitulationserklärung veröffentlicht hat.

„[Klaus]... will selbst mitspielen im Konzert der Großen. (...) ...er [ist] ein eitler Kaiser ... (...) Nun greift Klaus zu dumpfem Populismus... (...) Indem er nun dreist und aus rein taktischen Gründen seine Forderung aufstellt, überschreitet der tschechische Präsident seine Kompetenzen... (...) Er verhält sich, als sei er eine Mischung aus Exekutive und Legislative. (...) Es ist an der tschechischen Regierung ... ihm klarzumachen, worin seine Aufgabe besteht. (...) Klaus' Aufgabe ist es zu unterschreiben. Mehr nicht. (...) Er ist auf dem Niveau eines Provinzpolitikers angekommen und sollte genau so behandelt werden.“

Lesen Sie sich dieses Zitat ruhig noch einmal ein zweites Mal durch. So kann man in Deutschland das Staatsoberhaupt eines Nachbarstaats behandeln, wenn es die Politik gefährden könnte, die man bevorzugt. Das sind die gleichen Leute, die es nicht EINMAL gewagt haben, F.J. Strauss einen Provinzpolitiker zu nennen, der auch genau so hätte behandelt werden sollen.

Auch der Respekt vor der Funktion eines Präsidenten wird völlig fallengelassen. Hat man schon einmal ein deutsches Medium gehört, das vom Bundespräsidenten verlangt, zu unterschreiben - Nichts weiter?

Der interessanteste Teil dieses Zitats ist aber der, wo man Klaus anklagt, er handele wie eine Mischung aus Exekutive und Legislative. Lassen Sie uns kurz erinnern, was wir im Kapitel ‚Trennung der Gewalten’ in der Schule gelernt hatten. Die Legislative, also das Parlament, hat die Aufgabe, die Gesetze zu machen, das heißt, alles Wesentliche zu bestimmen. Die Exekutive, also die Regierung, hat dagegen die Aufgabe, innerhalb des durch die Gesetze festgelegten Rahmens die Geschäfte zu führen. Nun, wir wissen, dies ist – vorsichtig gesagt – graue Theorie. Die Gesetze werden praktisch ausschließlich in den Ministerien von Beauftragten des Monopolkapitals formuliert und dann von der Regierung beschlossen und das Parlament dient gerade noch als Abnick-August. Wenn wirklich einmal Gefahr besteht, ein solches Gesetz könnte nicht durchkommen, werden die Abgeordneten in Fraktionsdisziplin genommen – Pustekuchen mit „nur ihrem Gewissen verantwortlich“ - und zum Teil auch persönlich erpresst. So ist es in den Zig Jahren Bundesrepublik allerhöchstens zwei Mal vorgekommen, dass ein Gesetz der Regierung nicht angenommen wurde.

Wie hieß das Zitat? Frau Merkel verhält sich, als sei sie eine Mischung aus Exekutive und Legislative? Ach nein, natürlich nicht! Die FTD würde so etwas nie schreiben, denn die Wahrheit ist tabu! Es ist Klaus, natürlich, nur dieser Klaus, dieser Schelm!

Wenden wir uns nun der Frage zu, welches die schweren Hindernisse sind, welche die Politiker, die keine Provinzpolitiker sind, zu überwinden haben werden, um aus einem friedlichen Zusammenschluss von Staaten eine aggressive, unterdrückerische Union zu machen.

1. Das erste große Hindernis ist die Krise

Als all dies geplant wurde, waren die Politiker (nicht Provinzpolitiker) noch nicht gewahr, dass da eine Krise im Anzug ist, denn sie lesen ja nicht den Blog des Bürgerjournalisten. Nun ist die Krise aber wie ein Hurrikan unangekündigt über sie hereingebrochen und sie sind ratlos. Es ist ja bereits klar, die EU wird als Gemeinschaft keineswegs unangetastet aus ihr hervorgehen, eventuell wird es schon keine EU mehr geben, wenn das alles vorbei sein wird. Die Krise ist ja nicht einfach nur eine Wirtschaftskrise, sie ist nicht zuletzt auch eine Krise der Finanzinstitutionen, des ganzen Finanzsystems, eine Krise des Welthandels, eine Krise zwischen der reichen und der armen Welt, eine Krise der Haushaltsdefizite und vor allem anderen eine Krise der Währungen und der Staatsschätze. Die Vorstellung, man könne die geplante ungeheure Aufrüstung nun noch finanzieren, ist ins Reich der Märchen verschwunden. Man wird heilfroh sein können, wenn man den Euro und das britische Pfund über die Krise rettet. Es ist allerdings noch wahrscheinlicher, dass diese Krise sowieso zur Endzeitkrise des Kapitalismus wird, womit sich das Problem der EU-Pläne bereits ergeben hätte.

2. Das zweite große Hindernis: Großbritannien

Europa wurde erst zu Europa, als es auch die Engländer (einschließlich der Waliser, Schotten und Nordiren) mit einschließen konnte. Auch wenn die Briten Europa einfach „den Kontinent“ nennen, mit dem sie offenbar nichts zu tun haben, ist doch Europa undenkbar ohne die Briten. Nur: Die Labour Party, die alle letzten Wahlen gewonnen hat, hat – wie alle sozialdemokratischen Parteien in Europa – ausgedient. Bei den Wahlen, die Premier Brown nicht mehr lange hinauszögern kann, wird aller Voraussicht nach die Konservative Partei ans Ruder kommen, eventuell zusammen mit den Liberalen. Doch die hat bereits definitiv ein Plebiszit über die erweiterten Rechte der EU angekündigt, wenn sie gewinnt. Auch wenn das rein formal zu spät käme (es gibt keine ernsthaften Zweifel, dass die Anti-EU-Fraktion gewinnen wird), wird Europa ein entsprechendes Votum nicht ignorieren können. Es ist im Moment kaum vorstellbar, wie ein Kompromiss aussehen könnte.

3. Das dritte Hindernis: Frau Merkel

Die Bundeskanzlerin ist keine Europäerin und wird auch keine mehr werden. Deutschland hat aber als bevölkerungsreichstes Land der EU eine Schlüsselrolle. Frau Merkel ist Atlantikerin, so wie es Blair war und Brown ist. Das heißt: Die USA, die USA haben immer recht! Damit hängt sie sich aber an einen fallenden Stern. Man möchte fast wetten, sie wird es zu spät merken. Sie hat, wie man mehrfach bemerken konnte, nichts für ihre Partner in der EU übrig. Sie hat, im Zusammenhang mit geforderten einheitlichen europaweiten Maßnahmen gegen die Krise, reihenweise Partner vor den Kopf gestoßen, hat sich ausschließlich den Dingen in Deutschland und der Zusammenarbeit mit ihrem Freund Obama gewidmet. Sie hat im Zusammenhang mit der Opel–Rettung (Achtung: Opel ist nicht gerettet, nicht ansatzweise!) Partner nicht nur vor den Kopf gestoßen, sondern in aller Öffentlichkeit vorgeführt, z.B. die spanische Regierung. Sie sieht Europa ausschließlich als eine Gruppe von Staaten, die mit den USA verbündet sind. Mit ihr werden jene ambitiösen Pläne von Europa nicht zu verwirklichen sein, aber bis auf weiteres wird sie wohl Deutschland repräsentieren.

4. Das vierte Hindernis: Überschuldungen (Euro-Staaten und Großbritannien)

Die EU und speziell die Euro-Zone, die ja das Herz der EU darstellt, erlebten und erleben massive Milliarden-Ausgaben für Bankenstützungen, für Bank-Verstaatlichungen, für Versicherungs-Rettungen, für Abwrackprämien und für Konjunkturprogramme. Staaten wie Irland, Griechenland und Portugal sind in extremer Gefahr, in Überschuldungskrisen einzutreten, auch Spanien könnte dazu gehören. Das gleiche gilt für Großbritannien, das ja ebenfalls in der EU ist. Der Euro ist dadurch gefährdet und sowieso das englische Pfund. Wenn riesige Rettungsaktionen für ganze Staaten notwendig werden sollten oder sogar der Euro den Bach hinunter geht, dann ist die Großmacht Europa sowieso am Horizont verschwunden.

Wie das auch immer im Einzelnen verlaufen mag: Das letzte Wort über die aggressive Großmacht Europa ist noch nicht gesprochen.


Veröffentlicht am 19. Oktober 2009 in der Berliner Umschau

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