Hat Deutschland die Binnennachfrage gebremst?
Von Karl Weiss
Eine Melvyn Krauss, die in einer „Denkfabrik“ der Universität Stanford arbeitet, einer der führenden US-Universitäten, hat einen Gastartikel in der Financial Times Deutschland (FTD) geschrieben, der als Kernthese hat, Deutschland habe gar nicht die Binnennachfrage gebremst, was von der G20 als eine der Ursachen der internationalen Schieflage angesehen wird, die zu den katastrophalen Folgen der Krise führten.
Die G20 hat dann auch Deutschland aufgefordert hat, etwas für die Binnennachfrage zu tun, damit auch andere nach Deutschland exportieren können und nicht immer nur Deutschland in andere Länder.
Hier wird die völlig absurde Einseitigkeit des Exports im Industrieumsatz dokumentiert.
Diese Kritik und die Empfehlungen der G20 stimmen auch mit dem überein, was der Ex-Bankier Jürgen Jahnke in seinen Internetportal http://www.jjahnke.net/index.html
immer wieder schrieb: Die drei Länder mit gigantischen Exportüberschüssen vor der Krise, China, Deutschland und Japan, haben damit Ungleichgewichte geschaffen, die wesentlich für die Außenhandelsdefizite anderer Länder, vor allem der USA und Großbritannien, verantwortlich waren. Wenn hier diese fünf Länder erwähnt werden, so sind das (nicht zufällig) genau die fünf größten Volkswirtschaften der Erde. Die G20 haben betont, die Ungleichgewichte dieser fünf Volkswirtschaften müssten ausgeglichen werden, was für die Export-Giganten bedeutet, sie müssen die Binnennachfrage gezielt stützen, um damit dem Rest der Welt die Möglichkeit zu geben, in diese Länder zu exportieren.
Die deutsche Politik, allen voran Frau Merkel, setzen dagegen ausschließlich auf eine Erholung der Exporte, wenn es darum geht, wie Deutschland wohl aus der Krise kommen könnte. Und mit ihr zusammen die Westerwelles, die Steinmeiers, die Schäubles und was da sonst noch so kreucht und fleucht und natürlich die großen Gurus, an deren Lippen die Massenmedien hängen, wie Ifo-Chef Sinn und Arbeitgeber-Chef Hundt.
Deutschland ist völlig unschuldig, so wird wieder und wieder versichert, man sei lediglich Opfer der Krise, die von den USA ausgegangen wäre. Das Fehlen eines Unrechtsbewusstsein ist frappant. Genau in diese gleiche Kerbe hackt nun auch Melvyn Kraus, die sich sogar erdreistet, die Aussagen der G20 als ausschließlich von Präsident Obama inspiriert anzusehen und zu fragen „Was erlaubt sich Washington“ und zu konstatieren: „Die Kritik an den deutschen Exportüberschüssen ist eine Frechheit.“
Das ist allerdings starker Tobak. Dieser Tobak wird völlig ungenießbar, wenn sie dann noch behauptet: „...Deutschland einen Exportüberschuss aufweist, ... nicht, weil man die Inlandsnachfrage bremst.
Das ist kein Tobak mehr, das ist eine freche Lüge.
Was war die Agenda 2010 anders als eine massive Bremse der Binnennachfrage, was war Hartz IV, was war die Freigabe der Leiharbeit, was die Weigerung, einen Mindestlohn einzuführen, wie ihn alle anderen großen Volkswirtschaften haben (mit Ausnahme von China und Japan – welch Zufall, nicht?), was waren die Ein-Euro-Jobs, die viele tausend reguläre Arbeitsstellen ersetzt haben und was war vor allem das Verweigern von Lohnerhöhungen über ein Jahrzehnt, die zumindest auch nur die Inflation ausgeglichen hätten? Dazu kam die grösste Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik mit 3 Prozent-Punkten in der Mehrwertsteuer, nachdem man vor der Wahl 2005 geschworen hatte, man werde genau dies nicht tun.
Vergleichen wir die bekannte Statistik zwischen Deutschland und anderen großen Volkswirtschaften: Die Reallöhne, also Löhne von 2000 bis 2008 minus Inflation:
Deutschland: - 0,8%
Spanien: + 4,6%
Italien : + 7,5%
Frankreich: + 9,6%
Niederlande: + 12,4%
Polen: + 19,0%
Großbritannien: + 26,1%
Wenn das in Deutschland alles zusammen kein Bremsen, ja sogar eine Vollbremsung, der Binnennachfrage war, dann gibt es kein solches Bremsen.
Und wenn man dieses Argument wegnimmt, dann bleibt von der ganzen Stellungnahme nichts übrig.
Der Artikel der FTD setzt sich ausführlich mit der Politik der USA auseinander, die ja genau das Gegenteil Deutschlands gemacht haben, riesige Haushaltsdefizite Jahr für Jahr übereinander gepackt haben, riesige Außenhandelsdefizite dazu, finanziert mit Dollar-Bonds, mit Geld-Drucken und mit einem Exzess von Krediten an die Bürger. Natürlich war dies, der umgekehrte Weg Deutschlands, genauso falsch und hat wesentlich zur momentanen Krise beigetragen.
Nur war der Deutsche Weg eben die andere Seite der gleichen Medaille, indem bewusst und gezielt die Bevölkerung verarmt wurde, unter dem Vorwand, international „konkurrenzfähig“ zu werden. Nur war man in Wirklichkeit längst konkurrenzfähig, die Lohnstückkosten der Bundesrepublik lagen im Mittelfeld der vergleichbaren Länder. Heute sind sie ganz dort unten angekommen, wo man nur ausgesprochen arme Länder antrifft.
Hier wird deutlich, wie die Kaufkraft in Deutschland mit Gewalt verringert wurde, um die Lohnkosten so weit zu senken, dass niemand mehr Industrieprodukte so gut und so billig anbieten konnte wie Deutschland.
Sieht man sich nun an, was seit dem Ausbruch der Krise in Deutschland getan wurde: Es gab nicht eine einzige Maßnahme, die zu einer deutlichen Festigung der Binnennachfrage geführt hätte. Die Gelder an die Banken wurden nicht in Kredite an den kleinen Mann umgewandelt, sondern dienen schon wieder zum Aufbau neuer „Blasen“. Die Abwrackprämie, fälschlich Umweltprämie genannt, zog nur Bedarf vor, was sich jetzt besonders negativ bemerkbar machen wird. Das Konjunkturprogrammchen kam praktisch ausschließlich Betrieben und Reichen zu Gute und die stellen eben nicht die Binnennachfrage dar. Binnennachfrage schaffen praktisch nur die Massen der Menschen mit mittlerem und geringem Einkommen, also 85 - 90% der Bevölkerung.
Diese Statistik geht nur bis 2002, aber bereits zu diesem Zeitpunkt gehörten die deutschen Lohnstückkosten zu den niedrigsten der Industrieländer. Danach ging es, wie bekannt, noch weiter bergab.
Auch das, was die neue Koalition, fast nicht von der alten zu unterscheiden, als Programm vorgestellt hat: Fast nichts für die Binnennachfrage, nur Vorteile für Unternehmen, den „Mittelstand“ (sprich Besitzer kleinerer Unternehmen) und für Reiche und Superreiche – und die alle schaffen eben fast keine Binnennachfrage. Für den "kleinen Mann" werden die geringen Steuererleichterungen und die minimale Erhöhung des Kindergeldes bei weitem durch die vollständige Übernahme der Kostenerhöhungen im Gesundheitswesen überkompensiert. Die Verarmung der Bevölkerung wird bewusst und konsequent fortgeführt!
Die einzige Hoffnung ist, der Export würde wieder auf frühere Höhen steigen. Ob das mit einem Euro, der ständig gegen den Dollar und das Pfund gewinnt, realistisch ist, sei dahingestellt. Auch die anderen europäischen Länder in der Euro-Zone werden sich gegen ein erneutes Überschwemmen mit deutschen Industrieprodukten zu wehren wissen.
„Die deutsche Bundesregierung hat in der Krise keinerlei Zugeständnisse gemacht. Warum sollte wir den Deutschen denn nun auf die Beine helfen?“
Veröffentlicht am 28. Oktober 2009 in der Berliner Umschau