Mittwoch, 14. November 2007

Urheberrecht - 10 000 Dollar für ein Musikstück

Höchststrafe für Musikdownload

Von Karl Weiss

Im Zuge der generellen neoliberalen „Reformen“ sind in praktisch allen größeren Industriestaaten inzwischen ohne viel Aufsehens extrem restriktive Gesetze erlassen worden, die Verstöße gegen Urheberrechte in absurder Weise unter Strafen stellen, auch wenn es nur um persönlichen Gebrauch geht. In einem ersten großen Fall in den Vereinigten Staaten wurde Ms. Thomas aus Duluth im Staat Minnesota für den download von 24 Songs mit 220 000 Dollar Strafe belegt, also fast 10 000 Dollar pro Musikstück.

Die Begründungen für all dies lauten wie folgt:
Die Komponisten und Sänger und Musiker von Musikstücken wie auch jene, welche Texte und Filme produzieren, wie Journalisten, Schriftsteller, Regisseure, Schauspieler und Dichter wie auch die Fotografen von Bildern haben das Recht, für die Nutzung ihrer Werke ein Entgelt zu verlangen. Soweit ist dies natürlich wirklich berechtigt.

Etwas völlig anderes aber ist, was die Musik-, Film- und Videoindustrie über Verkäufe von CDs und DVDs erwartet. Man rechnet einfach hoch, was vermutlich an Piratenkopien hergestellt wurde, nimmt mit dem (horrenden) Verkaufspreis mal und schon hat man einen „volkswirtschaftlichen“ Schaden durch Piraterie in Milliardenhöhe ausgemacht.

Die schlichte Tatsache, dass sie zu den Preisen, zu denen sie verkaufen, eben nur geringe Mengen absetzen können, wird unter den Tisch gekehrt. Diejenige, die billige Piratenware kaufen oder im Internet herunterladen, würden nie die von der Musik- und Filmindustrie geforderten Preise für CDs oder DVDs zahlen. Die Rechnung ist also ohne den Wirt gemacht.

Sieht man etwas näher hin, fällt auch auf: Vom Verkaufspreis einer CD von – sagen wir – 20 Euro oder einer Film-DVD von - sagen wir – 35 Euro, bekommen die Künstler nur ein oder zwei Cent. Im Fall eines Filmstars kann das auch einmal auf 5 Cent kommen. Rechnet man noch die Herstellkosten der CD/DVD, die sich nach Aussagen der Hersteller um die 2 bis 3 Euros bewegen, kommen wir zu dem Schluss, der Löwenanteil des Preises der sauteueren Original-Titel gehen an die Herstellfirma, an die verschiedenen Vertriebszentralen und schliesslich an den Einzelhandel.

Nur – diese Herrschaften, die da gut daran verdienen, sind keine Künstler (außer in der Kunst, Geld zu scheffeln) – sie haben nicht das geringste Recht, für Autorenrechte Geld zu bekommen. Die SONY zum Beispiel, einer der Großen der Branche, hat eine Menge von Aktionären, die Jahr für Jahr satte Dividenden einstecken von den Erlösen dieser Werke – nur: Sie haben keinerlei künstlerische Leistung erbracht, um Autorenrechte einstecken zu können.

Kurz: Die ganze Argumentation mit „Piraterie“, mit den armen geplagten Künstlern, die nicht bekämen, was ihnen zusteht, ist nichts als bullshit, um mit unseren US-Freunden zu sprechen. Es geht nur darum, reiche Investoren noch reicher zu machen und hat nichts mit Autorenrechten zu tun.

Dafür staatliche Verfolgung und Strafrecht einzusetzen ist nicht nur unberechtigt, es ist kriminell! Staatliche Ressourcen, Polizei, Staatsanwaltschaften CSIs usw. ausschließlich zum Zweck höherer Dividenden für ganz bestimmte Investoren einzusetzen, ist nicht einfach nur eine Vergeudung, es ist mit jeder Vorstellung genereller Menschenrechte absolut unvereinbar.

Zudem müssen sich die Protagomisten dieser Gesetze fragen lassen, wo denn da ihre sonst so laut tönenden Überzeugungen geblieben sind, wenn es um staatliche Eingriffe geht: „Weniger Staat! Der Staat ist nicht dazu da, wirtschaftliche Aktivitäten zu betreiben!“ Interessant: es handelt sich um genau die gleichen Neoliberalen, die einmal so, einmal so argumentieren.

Vor diesen „Gesetzen zum Schutz des Urheberrechts“ war die Sache eigentlich korrekt und abschliessend geregelt. Es gab für den privaten Gebrauch kleine Abgaben für alle Wiedergabe-Geräte und niemand hätte einen Aufruhr veranstaltet, wenn auch auf die Computer eine solche kleine Urheberrechts-Abgabe erhoben worden wäre. Die Abgaben gingen an die GEMA und damit direkt an die Künstler, nicht an die Plattenfirmen.

Was die kommerzielle Nutzung von Musik-Stücken, Filmen usw. betrifft, ist dies sowieso völlig ausreichend geregelt und funktioniert. Jeder, der etwas kommerziell nutzt, muss Abgaben zahlen und tut dies auch.

Bei den neuen Gesetzen geht es ausschließlich um die rein persönliche, private Nutzung. Offenbar haben die Verabschieder neuer Gesetze, wie die deutsche große Koalition, hier auch etwas ganz anderes im Sinn als den Schutz von Rechten von Künstlern.

Wenn man nur möglichst viele Strafgesetze schafft, an die sich niemand hält, die von fast allen übertreten werden, hat man immer, wenn man will, etwas gegen fast jeden in der Hand. Wenn man ihn nicht wegen seiner Dissidententätigkeit rankriegt, dann eben über Musikstücke, die er aus dem Internet herunter geladen hat. Wozu hat man schliesslich den Bundestrojaner. Es wurde bereits ausdrücklich erwähnt, er solle auch gegen Piraterie eingesetzt werden.

So kann man schnell eine missliebige Person, z.B. einen Journalisten, der „gegen den Strich bürstet“, mit Hunderttausenden von Euros Strafe überziehen und kann noch ganz heilig verkünden, das habe natürlich nichts mit seiner Tätigkeit als Journalist zu tun.

In noch weit intensiverem Masse gilt dies für den Markenschutz, der in einigen Ländern gleich in den Urheberrechtsschutz mit einbezogen wurde. Da wird argumentiert, die Markenpiraterie verursache ebenfalls Milliardenschäden. So kann es einem passieren, wenn man ganz unbedarft ein Parfüm im Internet bestellt, auf dem „Christian Dior“ steht, dass man wenige Tage später ermittelnde Polizisten vor seiner Haustür stehen hat.

Es wird argumentiert, die Besitzer von bekannten Marken hätten hoch in Werbung für ihre Marken investiert und hätten daher auch ein Anrecht, die Gewinne aus diesen Marken zu geniessen. In Wirklichkeit sind bekannte Marken nichts anderes als die Möglichkeit, für ganz normale Produkte, die jeder genauso gut herstellen kann, höhere Preise zu erzielen. Nun mag man dies den Markenfirmen zugestehen, aber die vorher geltenden Rechte reichten völlig zu ihrem Schutz aus.

Der Schutz von Marken muss ausschließlich auf zivilrechtlichem Weg verfolgt werden und es ist absurd, ihn in die Strafgesetzgebung zu übernehmen. Jede Firma mit einer bekannten Marke ist gross genug, um Markenverletzungen selbst herausfinden und wegen Schadenersatz vor Gericht bringen zu können. Diese Arbeit den sowieso bereits völlig überforderten Polizisten und Staatsanwaltschaften aufzubürden ist durch nichts gerechtfertigt, denn es geht auch hier wiederum um Extra-Profite für bestimmte Firmen, die so staatlich abgesichert werden sollen, was niemals die Aufgabe von Staatsorganen sein dürfte.

Veröffentlicht am 13.November 2007 in "Nachrichten - heute"

Originalartikel

Dienstag, 13. November 2007

Wahrheit gibt es erst nach 40 Jahren

Der Zynismus der US-Führer gegen die eigenen Soldaten

Lügen auf Teufel komm raus

Von Karl Weiss

Was Viele schon vermutet hatten, aber bisher noch keine wirklichen Beweise fand, ist nun Gewissheit: Der israelische Angriff auf das US-Abhörschiff „Liberty“ während des Sechs-Tage-Krieges war keine Irrtum und keine Verwechslung, sondern der bewusste kriegsverbrecherische Gewaltschlag gegen ein fast unbewaffnetes Schiff eines Verbündeten aus niedrigen Beweggründen. Ein Skandal nicht nur, dass Israel dies Verbrechen beging, sondern auch, dass die US-Regierung trotz des Wissens um die Wahrheit so tat, als glaubte man die Ausreden von der „Verwechslung“.

Kürzlich von der NSA (Militärgeheimdienst) veröffentlichte Dokumente, die vorher als geheim klassifiziert waren, lassen keinen Zweifel: Die israelische Führung liess den Angriff auf das Schiff der Verbündeten mit vollem Bewusstsein durchführen, die US-Regierung wusste dies und beide hielten diese Fakten bis jetzt geheim, mehr als 40 Jahre später. Bis dahin wurde gelogen und verschwiegen auf Teufel komm raus.

Der Angriff diente dazu, das Schiff zu versenken und die gesamte Besatzung zu töten. Dass es dazu nicht kam, war der Tatsache zu verdanken, dass die Liberty trotzt starker Funkstörungssignale einen Notruf absetzen konnte, der von Schiffen der im Mittelmeer stationierten sechsten Flotte aufgefangen wurde.

Bei dem Angriff wurden an Bord der Liberty von den 291 Soldaten und drei Zivilisten 34 Menschen getötet und 174 weitere teilweise schwer verletzt. Das Schiff selbst mit einem geschätzten Wert von 40 Millionen US-Dollar wurde bei dem Angriff so schwer beschädigt, daß es zum Schrottpreis verkauft wurde.

Nach dem Angriff hatte Israel offiziell behauptet, das Schiff sei mit einem ägyptischen verwechselt worden. Nur war dieses ägyptische Schiff nur etwa halb so gross wie die Liberty. Ebenso behauptete man, das Schiff habe sich den Angriff selbst zuzuschreiben, weil es keine US-Fahne gehisst hätte.

Der Angriff fand in internationalen Gewässern im Roten Meer vor der Halbinsel Sinai am 8. Juni 1967 statt. Der Angriff begann um etwa 14 Uhr und wurde zunächst von einer Flugzeugstaffel durchgeführt. Mit Raketen und Bordgeschützen sowie mit Napalm-Bomben (Kriegsverbrechen) wurden Welle auf Welle Angriffe auf das Schiff vorgetragen.

Aus den jetzt veröffentlichten Dokumenten geht hervor, der Funkverkehr zwischen der israelischen Befehlsstelle und den Flugzeugen war abgehört worden und die entsprechenden Mitschnitte standen den US-Stellen zur Verfügung. Ein Zeuge erinnert sich: "Die Bodenstation erklärte, daß das Ziel amerikanisch war und daß die Flugzeuge dies bestätigen sollten.Die Flugzeuge bestätigten die Identität des Ziels als amerikanisch anhand der amerikanischen Fahne. Die Bodenstation befahl den Flugzeugen, das Ziel anzugreifen und zu versenken und sicherzustellen, daß es keine Überlebenden gibt (Kriegsverbrechen)."

Der Zeuge erinnerte sich noch deutlich an "die offensichtliche Frustration des Controllers angesichts des Unvermögens der Piloten, das Ziel schnell und vollständig zu versenken. Er betonte immer wieder, daß es Ziel der Mission war, das Ziel zu versenken und war frustriert über die Antworten der Piloten, daß es nicht sank." Der Zeuge gab an, alle wichtigen US-Stellen hätten diese Mitschrift gesehen.

Nach der ersten Angriffswelle kam eine andere Staffel von israelischen Flugzeugen und führte die Angriffe fort. Wie durch ein Wunder sank das Schiff immer noch nicht. Der Kapitän gab Anweisung, in die Rettungsboote zu gehen.

Kurz danach erschienen israelische Torpedoboote und begannen Torpedos gegen das Schiff abzufeuern. Einer der Torpedos traf. Die Boote schossen dann mit Maschinengewehren auf die Rettungsboote (Kriegsverbrechen). Der Kapitän zog daraufhin den Räumungsbefehl zurück.

„No one ist left behind“

Zu diesem Zeitpunkt kam einer der Notrufe der Liberty zur sechsten Flotte durch. Von den Flugzeugträgern starteten Militärjets, um dem Schiff zu Hilfe zu kommen. Die israelischen Flugzeuge sollten abgeschossen werden. In diesem Moment griff die US-Regierung ein und gab den Befehl, umzukehren. Die Israelis brachen die Angriffe ab.

Ein Zeuge berichtet, der Verteigungsminister McNamara habe den Abbruch der Aktion befohlen und gesagt: "Präsident Johnson wird nicht einen Krieg anfangen oder einen amerikanischen Alliierten in Verlegenheit bringen wegen ein paar Seeleuten."

„Wegen ein paar Seeleuten.“ Das ist das wirkliche Verhältnis der US-Administrationen damals wie heute gegenüber ihren eigenen Soldaten. Das ist doch auffallend, wenn in den US-Filmen dagegen immer behauptet wird, das wichtigste Motto des US-Militärs sei : „No one ist left behind“. „Niemand wird zurückgelassen“

Jetzt wird auch deutlich, warum die US-Regierung bis heute nicht den Einsatz der Munition mit abgereichertem Uran gestoppt hat, obwohl von den dieser Munition im ersten Golfkrieg 1991 ausgesetzten US-Soldaten bereits 11 000 gestorben sind und mehrere Hunderttausend arbeitsunfähig erkrankt sind. Siehe hierzu auch diesen Artikel.

Das Schicksal ihrer eigenen Soldaten ist der US-Regierung – damals wie heute – schlicht und einfach egal.

Der andere wichtige Aspekt für heute angesichts dieser riesigen Cover-up-Aktion zu einem Kriegsverbrechen der israelischen Truppen ist die grosse Anzahl von Zeugen, die alle wussten, es hatte nie einen Irrtum gegeben und die US-Stellen wussten dies. Nachdem die US-Regierung damals öffentlich den Liberty-Zwischenfall als „tragischen Irrtum“ akzeptiert hatte, zogen alle Medien in den USA am gleichen Strick.

Offenbar auch unter heftigem Druck der mächtigen US-Israel-Lobby veröffentlichte über Jahrzehnte kein einziges der Massenmedien Aussagen der Zeugen, die den tatsächlichen Verlauf hätten klären können. Erst jetzt, fast 40 Jahre später, hat als einzige die „Chicago Tribune“ einen Artikel über die neu aufgetauchten Dokumente gebracht und zitiert auch Zeugenaussagen. Der Rest der Massenmedien „hält weiterhin die Klappe“, wie damals die von der US-Regierung ausgegebene Losung lautete.

Damit sind die immer wieder wiederholten Behauptungen widerlegt, eine Tatsache in den USA, die vielen Leuten bekannt sei, könne nicht geheimgehalten werden. Umweigerlich würden Zeugen auftreten, die jene Geheimhaltung durchbrechen würden.

Das mag gegolten haben, solange noch einige wichtige Massenmedien Journalisten mit viel Mut aufwiesen, die sich auch von Druck von oben nicht abhalten lassen, die Wahrheit ans Licht zu bringen, solange Chefredaktionen solche Journalisten unterstützten oder jedenfalls gewähren liessen. Das alles ist aber, in unterschiedlichem Masse bei unterschiedlichen Themen, schon lange nicht mehr der Fall.

Offenbar gilt das Schweigegebot bei besonders heiklen Themen, wie jene, die Israel einschliessen, bereits seit mindestens 1967. Die Stärke der zionistischen Lobby in den USA ist Legende.

So ist es denn auch kein Wunder: Die Beteiligung US-amerikanischer Stellen an den Anschlägen des 11. September sind ein anderes der Themen mit Schweigegebot und bisher haben sich nur wenige Zeugen gefunden, die darüber gesprochen haben - und dann auch promt desavouiert wurden.

Die Thesen von verschiedenen Kritikern der US-Kriege gegen arme Länder, wie z.B. Naom Chomsky und Michael Moore, es sei nicht möglich, dass es eine solche Beteiligung gegeben hätte, denn das hätten zu viele Leute gewusst und die hätten nicht alle den Mund gehalten, sind damit also widerlegt.

Es gibt sehr wohl ein generelles Medien-Schweigen, das es unmöglich macht, solche Themen mit Zeugen und Fakten in breitem Masse bekannt zu machen. Zusammen mit den infamen Verschwörungstheoretiker-Vorwürfen wird so ein Klima von Schweigen und frechen Gegen-Anklagen geschaffen gegen jeden, der das Schweigen brechen könnte, das die Wahrheit zu einer Sache macht, die erst nach 40 Jahren oder noch später aufscheint.

Bleibt nur noch eine Frage: Warum hat Israel damals das Schiff angegriffen, das doch einem Verbündeten gehörte und den Funkverkehr des Gegners abhörte, also hilfreich war? Das ist nicht geklärt. Die bei weitem wahrscheinlichste Theorie darüber ist:

In den ersten vier Tagen des israelischen Überraschungsangriffs gegen die umliegenden arabischen Länder im 6-Tage-Krieg (der Angriff auf die Liberty fand am 5. Tag statt) hatte die israelische Armee so viele Massaker und Exekutionen begangen, prinzipiell de Exekution von Soldaten, die sich schon ergeben hatten, dass man sicher war, die Liberty hatte davon viel aufgezeichnet. Man wollte verhindern, dass diese Aufzeichnungen an die Öffentlichkeit kommen.

Später waren auf der Sinai-Halbinsel viele Massengräber, hauptsächlich von ägyptischen Soldaten, gefunden worden, in denen viele der Leichen den Schuss in den Nacken aufwiesen, das typische Anzeichen von Exekutionen.

Die Veröffentlichung zu diesem Thema in „freace.de“, „Nur ein paar Seeleute“, hält dies für unwahrscheinlich, denn man brauchte ja nicht zu befürchten, die US-Stellen hätten dies veröffentlicht, da man ja auch darauf vertraute (und zu Recht), die US-Regierung würde nicht einmal einen bewussten Angriff auf ihr eigenes Schiff an die Öffentlichkeit bringen.

Diese Theorie vergisst aber: Das erklärte Ziel, das mit viel Ausdauer verfolgt wurde, war das Versenken des Schiffes ohne einen einzigen Überlebenden. Dann wäre es leicht gewesen, diesen Angriff den Ägyptern in die Schuhe zu schieben. Es wäre niemand übrig gewesen, der etwas Anderes hätte berichten können.


Veröffentlicht am 12. November 2007 in "Nachrichten - heute"

Originalartikel

Montag, 12. November 2007

Heftiger Wortwechsel zwischen König Juan Carlos und Chávez

Abschluss des 17. Ibero-Amerikanischen Gipfeltreffens

"Por que não se cala?"

Von Karl Weiss

Auf dem 17. Ibero-Amerikanischen Gipfeltreffen in Santiago de Chile, das an diesem Wochenende zu Ende ging, kam es zu einem heftigen Wortwechsel zwischen dem spanischen König Juan Carlos und dem Venezuelanischen Präsidenten Chávez. Dieser hatte den früheren spanischen Premier einen „Faschisten“ genannt und der König wies ihn mit ausgestrecktem Finger zurecht: „Por que não se cala?“ „Warum halten Sie nicht den Mund?“

Früher waren die Ibero-amerikanischen Gipfeltreffen eher langweilige Ereignisse ohne viel Bedeutung. Diese Treffen hatte Spanien als eine Gegenorganisation zur US-geführten Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS) ins Leben gerufen und es stellte so etwas wie das Gegenstück zum britischen Commonwealth dar, denn es umfasste die früheren spanischen Kolonien in Amerika und Brasilien. Um es nicht zu sehr als eine Auffrischung des Kolonialismus erscheinen zu lassen, hat man auch Portugal und Andorra dazu gerufen, so dass es nun zu einen Treffen der Länder der iberischen Halbinsel mit denen Lateinamerikas wurde.

Der einzige erwähnenswerte Punkt war früher meistens die Teilnahme von Fidel Castro. Diesmal konnte der aber aus Krankheitsgründen nicht kommen.

Nun, da in Lateinamerika eine politische und revolutionäre Gärung begonnen hat, die sich bisher in der Wahl von gemäßigt linken Präsidenten ausdrückt, sind alle Zusammenkünfte der lateinamerikanischen Führer mit Spannung geladen.

Die Abschlusserklärung des Gipfels fordert denn auch die USA zum x-ten Male auf, die Sanktionen gegen Cuba fallen zu lassen. In den Reden, die gehalten wurden, traten auch deutlich die Ablehnungen gegenüber der imperialistischen Politik der Vereinigten Staaten zu Tage. Speziell Hugo Chávez benannte sie mit diesen Worten.

Er erinnerte in seiner Rede auch daran, dass früher die Ibero-amerikanischen Gipfeltreffen zu Propagandaveranstaltungen des Neoliberalismus wurden. Speziell griff er den damaligen spanischen Premier Aznar an, der dafür verantwortlich gewesen sei und nannte ihn einen Faschisten.

Er wurde daraufhin unterbrochen und der jetzige spanische Premier Zapatero forderte ihn auf, gewählte Führer der anwesenden Länder mit Respekt zu behandeln. Chávez wiederholte, Aznar sei ein Faschist und erwähnte, in einem persönlichen Gespräch bei einem Gipfel vor zehn Jahren habe Aznar bezüglich der armen Länder zu ihm gesagt: „...eles se fodem“ („...sie sollen sich selbst ficken“).

Daraufhin unterbrach ihn der spanische König und forderte ihn erregt und mit dem Zeigefinger auf ihn zeigend auf, den Mund zu halten.

Chávez hat nicht so ganz unrecht. Die Partei Aznars setzt sich im wesentlichen aus früheren Anhängern des faschistischen Putschisten Franco zusammen, der mit heftiger Unterstüzung Hitler-Deutschlands an die Macht gebracht wurde. Zwar haben jene Ex-Faschisten nun Kreide gefressen und sich einen Schafspelz von „Demokraten“ umgelegt, aber ob sie sich wirklich geändert haben, darf bezweifelt werden. Juan Carlos I. dagegen muss natürlich so tun, als sei er fest überzeugt, Aznars Partei sei von lauter lupenreinen Demokraten bevölkert.

Danach verteidigten der nicaraguanische Präsident Ortega und der kubanische Premier Lages den Venezuelanischen Präsidenten. Ortega kritisierte in diesem Zusammenhang die spanischen Botschafter und die spanische multinationale Firma Unión Fenosa. An dieser Stelle erhob sich der spanische König und verliess den Raum.

Die Gastgeberin, die chilenische Präsidentin Bartelet, ging hinter ihm her und konnte ihn überzeugen, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

Juan Carlos, Bachelet und Chávez
Der König, Frau Bachelet und Chávez im Gespräch in einer Verhandlungspause, als sich die Gemüter wieder beruhigt hatten

Ortega erinnerte auch daran, dass die USA in der ersten sandinistischen Regierungsperiode sein kleines Land mit Krieg überzogen hatten. Chávez erinnerte später noch an den Putsch gegen den damaligen chilenischen Präsidenten Allende.

Ortega nannte die OAS offen ein Instrument der „Yankees“.

Der Präsident von Equador, Correa, sagte, jetzt sei eine neue Epoche angebrochen, „die Stunde der Völker“. Es müsse nun ein souveränes Vaterland geschaffen werden, das sich nicht vor den Mächtigen erniedrige und sich zusammen mit den Brüdervölkern des ibero-amerikanischen Raums würdig des Erbes der „Befreier“erweise.

Die Befreier, die „Libertadores“, das sind Simon Bolivar und andere lateinamerikanische Führer vom Beginn des 19. Jahrhunderts, die sich gegen die spanische Herrschaft auflehnten und fast ganz Südamerika vom Joch der spanischen Kolonialherrschaft befreiten.

Cháves sagte in seiner Rede auch, weder die USA noch Europa hätten die moralische Autorität, dem Iran die Entwicklung von Atomwaffen zu verbieten, dazu müssten sie erst einmal ein Beispiel geben.

Wer in diesen Chor einstimmte, war dann der bolivianische Präsident Evo Morales. Er sagte, „zuerst sei da nur Fidel [Castro] gewesen, aber nun sind es zwar noch nicht viele, doch schon einige“. Morales lud die anderen Präsidenten ein, „das neoliberale Modell zu verlassen“ und sagte, diese Veranstaltung sei schon keine des „Imperiums“ mehr, in Anspielung an die für Jahrzehnte ausschliesslich von den USA bestimmten Treffen der OAS.

Ein anderes Ergebnis des Gipfels ist: Die Länder haben einstimmig ein anderes Kriterium für die wirtschaftliche Entwicklung gefordert von Weltbank, Internationalem Währungsfond IWF und Welthandels-Organisation WTO als das sogenannte Pro-Kopf-Einkommen, also das Brutto-Inlands-Einkommen dividiert durch die Zahl der Bewohner. Da das bisherige Kriterium nicht die Verteilung unter der Bevölkerung berücksichtigt, ist die Zielsetzung der „Entwicklung“ mit diesem Kriterium völlig absurd.

Zudem wird von einer Anzahl südamerikanischer Länder im Dezember die Bank des Südens gegründet, die Entwicklungsprojekte fördern soll, die nicht von neoliberalen Reformen abhängig gemacht werden sollen, wie das bisher Weltbank und IWF tun. Die Hauptprotagonisten dieser Bank sind Chávez und der argentinische Präsident Kirchner, dessen Frau nun zu seiner Nachfolgerin geworden ist.

In einer ersten Bilanz des Treffens haben brasilianische Beobachter die Schlussfolgerung gezogen, dass die „linken“ Präsidenten das Gipfeltreffen dominiert haben und die „gemässigten“ Präsidenten eher hinhaltenden Widerstand leisten.


Veröffentlicht am 12. November 2007 in der Berliner Umschau

Originalartikel

Sonntag, 11. November 2007

Brasilien wird Erdöl-Land

Grosses Gas- und Ölvorkommen gefunden

Von Karl Weiss

Wie der halbstaatliche brasilianische Ölkonzern Petrobras am 8.November 2007 bekanntgab, hat man nun im Gebiet der Bucht von Santos vor dem Staat São Paulo im Meer ein Erdgas- und Erdöl-Vorkommen gefunden, das nach ersten Einschätzungen um die 8 ‚billions of barrel’ enthält. Zusammen mit allen anderen bereits bekannten und bereits erschlossenen Vorkommen würde damit Brasilien zu einem Öl-Land in etwa der Bedeutung Nigerias werden.

Der Präsident der Petrobras erklärte, zusammen mit anderen kleineren Bestätigungen von Funden könnte Brasilien bald die Nummer 8 in Erdölreserven der Welt sein.

Erdöl

‚Billions of barrel’ entsprechen nach deutscher Zählung Milliarden Barrel zu je 155 Liter, das sind also um die 1,2 Billionen Liter oder um die 1,2 Milliarden Kubikmeter). Diese Menge entspricht etwa 50% aller vorher bekannten Ölreserven des Landes. Die Aktien der Petrobras machten nach dieser Bekanntgabe einen Kurssprung von etwa 10% in New York und von über 15 % in Brasilien.

Die Petrobras hat bereits ein kleineres Feld in der Santos-Bucht erschlossen und fördert dort. Der Fund ist nicht nur deshalb von Bedeutung, weil Brasilien sich damit unter die Länder mit relativ großen Erdöl- und -gas-Vorräten einreiht, sondern auch, weil es sich um eine Erdölqualität handelt, die nicht so schwer ist wie das sonst im Meer vor der brasilianischen Küste gefundene Öl.

Schweröle, wie bisher in brasilianischen Gewässern gefunden, sind äußerst schwer zu raffinieren und brauchen riesige Raffinerie-Investitionen, um zu Benzin, Diesel und Kerosin verarbeitet werden zu können. Auch die wichtigen Chemie-Rohstoffe Ethylen, Propylen und Butylen sind nur schwer daraus herzustellen.

Das neu gefundene Öl hat nach den Angaben des Konzerns 28 Grad API, das ist immer noch schwer, aber deutlich besser als die bisher erschlossenen Felder. Der größte Teil dieses Öls könnte in Raffinerien der Petrobras in Brasilien zu den benötigten Erdölprodukten verarbeitet werden, während die Petrobras bisher große Teile des gefundenen Öls in Länder mit entsprechenden Raffinerien exportieren musste, um dann vom Erlös Erdölprodukte zu importieren.

Brasilien ist seit 2006 autark in Erdöl, aber aus dem genannten Grund eben nicht in Erdölprodukten.

Erdöl 1

Die brasilianische Petrobras hat als erste in Meerestiefen über 500 Metern Erdöl gebohrt und gefördert und ist heute der Ölkonzern mit der größten Erfahrung mit Erdölgewinnung in großen Wassertiefen. Heute kann auch in Tiefen zwischen 1000 und 2000 Metern Erdöl gebohrt und gefördert werden. Einige Werften in Niteroi im Bundesstaat Rio de Janeiro sind inzwischen auf spezielle Bohrschiffe und Förderschiffe für solch große Wassertiefen spezialisiert.

So hat die Weigerung Brasiliens, sich entsprechend der neoliberalen Bibel des Internationalen Währungs Fonds IWF seines Ölkonzerns für einen Appel und ein Ei zu entledigen und ihn an die internationalen Grosskonzerne zu verkaufen, reiche Früchte getragen. Statt auf den IWF zu hören, brachte man fast die Hälfte des Konzerns an die Börse, nahm mehr ein, als man mit dem Verkauf des ganzen bekommen hätte, und behielt den Einfluss des brasilianischen Staates in der Gruppe.

Nicht nur, dass Brasilien bereits die Autarkie in Erdöl erreicht hat und nur noch ein geringes Handelsdefizit in Erdölprodukten aufweist, die Petrobras konnte so zum Beispiel auch in das Geschäft mit Bio-Diesel einsteigen, was die US- und europäischen Öl-Kartelle strikt ablehnen.

Brasilien wird bis zum Jahr 2020 fast alles Diesel auf Biodiesel und fast alles Benzin auf Alkohol umgestellt haben (heute sind bereits 75% des Kraftstoffes, der nicht Diesel ist, Alkohol). Ab 2008 wird mit 2% Zumischung von Biodiesel im Diesel begonnen und diese dann zukzessive erhöht. Die Produktionskapazitäten für die 2% sind bereits fertiggestellt.

Mit dem neuen Fund und der Minimisierung des internen Verbrauchs wird Brasilien zu einem bedeutenden erdölexportierenden Land werden.

Brasilien (topographisch)

Das Santos-Meeresbecken wird von der Petrobras (65%) zusammen mit der britischen BP (25%)und der portugiesischen Petrogal (10%) ausgebeutet. Das Konsortium weist ausdrücklich darauf hin, dass diese Entdeckung und die Menge noch bestätigt werden müssen. Im Grunde war dieses Feld bereits 2006 entdeckt worden, aber erst jetzt hat man eine klare Vorstellung der tatsächlichen Reserven gewonnen.

Besondere Bedeutung hat für Brasilien auch, dass hier zusammen mit dem Erdöl auch Erdgas gefunden wurde. Im Moment ist Brasilien mit seinem Gasbedarf von Bolivien abhängig. Die Petrobras hatte dort massiv investiert und beide Länder hatten eine Gas-Pipeline von Bolivien nach Brasilien gebaut.

Dann kam aber Evo Morales in Bolivien an die Macht, verstaatlichte das Gas und kaufte die Petrobras-Raffinerie zurück. Jetzt will man einen um etwa 25% höheren Preis für das Gas wie vorher. Damit kommt man in etwa an die im Weltmassstab üblichen Preise heran, z.B. für russisches Gas in Westeuropa. Wenn Brasilien eigenes Erdgas haben wird, wird man nicht mehr so extrem abhängig sein.

Im Moment gibt es sogar eine echte Verknappung von Erdgas und von verfüssigtem Gas in Brasilien. Die Petrobras hat in der vergangenen Woche einige Grossverbraucher in Rio de Janeiro einfach vom Netz abgehängt – ohne Vorankündigung. Da kamen heftige Proteste. Inzwischen hat ein Sprecher der Regierung die Autofahrer davor gewarnt, weiter ihre Autos auf Auto-Gas umzustellen. Dies war bisher sehr lohnend, denn gas war der billigste Treibstoff in Brasilien und man brauchte nur noch 25% der Kfz-Steuer zahlen, wenn man sein Auto auf Gas umgestellt hatte.

Die Elektrizität Brasiliens wird zu etwa 70% aus Wasserkraft gewonnen. Die ist aber sehr von Wettterverhältnissen und Klimaveränderungen abhängig. Im Jahr 2000 kam es zu einer Verknappung und massiven Rationierungsmassnahmen des Stroms, weil es zwei Jahre hintereinander deutlich weniger geregnet hatte .

Man baute dann eine Anzahl von Ergaskraftwerken, eines zum Beispiel hier im Grossraum Belo Horizonte, wo die Pipeline aus Bolivien sowieso vorbeiführt, die mit Bolivien-Gas befeuert werden. Das wird nun aber deutlich teurer. So kann eigenes Erdgas einige Probleme lösen.

Die Entdeckung kam gerade rechtzeitig für die brasilianische Regierung, um insgesamt 41 Blöcke, die im Zusammenhang mit diesem Ölfeld stehen, aus der Versteigerung herauszunehmen, die Ende des Monats die Konzession für verschiedene Meeresgebiete vor der brasilianischen Küste an die Meistbietenden verkauft, um dort nach Öl zu bohren und ggf. Öl zu fördern. Es verbleiben aber immer noch 271 Blöcke in der Versteigerung.

Die Präsidentenamts-Ministerin Rousseff erklärte dies so: „Wir wollen unsere Souveränität verteidigen.“


Veröffentlicht am 10. November 2007 in der Berliner Umschau

Originalartikel

Samstag, 10. November 2007

Dossier: Die Hedge Fonds-Gesellschaften

Heuschrecken-Schwärme fallen ein

Von Elmar Getto

Eigentlich ist die Bezeichnung Hedge-Fond-Gesellschaften irreführend, aber das macht in Deutschland nichts, denn hier heißen sie unwideruflich „Heuschrecken-Gesellschaften“, seit ‚Münte’ diesen zweifellos treffenden Vergleich einführte. Ein US-Analyst hat sie einmal AAC (Assets Assault Companies, in etwa: Wert-Raub-Gesellschaften) genannt, was der Wirklichkeit wohl am nächsten kommt. Andere Bezeichnungen, die ebenfalls nicht den Charakter treffen, sind: „Private Equity-Firmen“ und „Venture Capital Gesellschaften“.


Ein Hedge-Fond ist eigentlich eine Geldanlage, die hohe Gewinne bringen kann, aber auch äußerst risikoreich ist. Was diese Gesellschaften aber machen, hat kein größeres Risiko. Es ist vielmehr eine der lukrativsten und gleichzeitig risikoärmsten Investitionen, die es gibt. Das einzig Negative ist, daß es ein bißchen anrüchig ist, daß man sich als Heuschrecken beschimpfen lassen muß, aber wen juckts?

Das Prinzip, das sie alle eint, ist logisch und einfach: Jede halbwegs gut geführte Firma ab einer gewissen Größenordnung stellt einen Wert dar, der weit über dem jeweiligen Kaufpreis liegt und der beleihbar ist. Man kauft die Firma, beleiht die Werte bis auf den letzten Groschen, transferiert das Bargeld zur AAC-Mutterfirma und läßt die Firma anschließend ausbluten, bis sie Pleite geht oder man verkauft sie einfach, falls sich noch jemand findet, der noch ein paar Cents rausholen will. So hat man Werte in seinen Besitz gebracht, die weit über den Kapitaleinsatz beim Kauf hinausgehen und hat damit ein gutes Geschäft gemacht.

Eine andere Version ist, man kann den Umsatz/Absatz der Gesellschaft mit allen Mitteln aufblähen und sie dann zu einem deutlich höheren Wert weiterverkaufen, was ebenfalls ausgesprochen hohe Renditen erbringen kann, wenn man auf so etwas spezialisiert ist.

Siehe Näheres hierzu in diesem Artikel zu einem konkreten Fall.

Da diese ‚deals’ in der Regel nur bis zu zwei oder drei Jahre brauchen, manchmal sogar deutlich schneller abgewickelt weden können, sind hier Profitraten zu erzielen, die manchmal an die Werte 200 oder 300% im Jahr oder mehr herankommen, etwas, das mit einer Produktions- oder Service-Firma unmöglich erzielt werden kann.

Der tendenzielle Fall der Profitrate, den Karl Marx als erster analysiert hat und aus dem er die Schlußfolgerung gezogen hat, daß der Kapitalismus niemals zu stabilen Zuständen führen kann (wie prophetisch, wenn wir heute um uns blicken), zwingt die Großkapitalisten dazu, neue Anlagemöglichkeiten für die immensen Mengen neuen Kapitals zu suchen, das ihnen zufließt und dabei, so weit es noch möglich ist, der Falle der im Schnitt ständig sinkenden Profitraten zu entkommen.

Der einzige Wermutstropfen bei der Geschichte ist, daß ein nicht unwesentlicher Teil der Profite an die jeweils beteiligte Bank (oder Banken) fließen muß, die für solche Geschäfte unabdingbar sind. Wirklich große AACs haben sich darum bereits (eine) eigene Finanzierungsgesellschaft(en) zugelegt. Die Bank hilft am Anfang, den Kauf der ins Auge gefaßten Firma durchzusetzen und hilft auch bei der Finanzierung des Kaufs. Später gibt sie dann die Kredite, für die sie als Sicherheit die Werte der jeweiligen Firma bekommt. Da diese Firma aber nach dem ‚deal’, wie die Bank ja schon vorher weiß, (fast) nichts mehr Wert sein wird, sind das natürlich faule Kredite. Die Bank wird sie nur geben, wenn sie auf der anderen Seite auch an den Profiten beteiligt wird.

Hier eine (bereits überholte) Liste von Firmen, die unter dem Namen „Private Equity“ zusammengefasst wurden, wie sie im Forum von 'Rbi-aktuell' gepostet wurde. Dies ist die Liste, die in der SPD umlief:

Private-Equity-Branche in der BRD:
(Die US-Liste ist 10-mal länger)

aaFortuna Venture Capital & Management AG
AdAstra
AdCapital AG
AdVal Capital Management AG
Advantec Unternehmensbeteiligungen
AFINUM Management GmbH
AIB
Alchemy Partners
Allianz Venture Partners
Alpha Beteiligungsberatung Gmbh
Apollo Capital Partners GmbH
Arcadia Beteiligungen
S Venture GmbH
Atrium Private Equity GmbH
Aurelia Private Equity
AVIDA Group
Axiom Venture Capital
b-business partners Gmbh
aader Wertpapierhandelsbank AG
Baltik AG
BASF AG
Bay BG Bavarian Venture Capital Corp.
Bayerische Hypo-und Vereinsbank AG
Bayern Kapital
Baytech Venture
BBB Bürgschaftsbank
BC Brandenburg Capital
Berlin Capital Fund
Berlin Seed Capital Fund GmbH
BFD Capital GmbH
BHF Bank AG
BHF Private Equity
BioM AG
BLB Private Equity
Blue Capital Equity GmbH
BMP
Botts & Company Ltd.
Bremer Unternehmensbeteiligungsgesellschaft
Brockhaus Private Equity
BTG Hamburg
BV Capital
BW-Venture Capital GmbH
Capiton ag
Carlyle Group Germany
CAT Venture
CBR Management
CEA Capital Partners Management gmbh
Centennium Capital Partners
Cinven
CMP Capital Management-Partners
Commerz Beteiligungsgesellschaft mbH
Concord Effekten AG
Copan gmbh
Cornerstone Capital
Daimlerchrysler Venture gmb
DEG - Deutsche Investitions-und Entwicklungsgellschaft
Deutsche Beteiligungs AG
DEWB
DIH Finanz und Consult GmbH
Doughty Hanson & Co
Dr. Neuhaus Techno Nord
Dresdner Kleinwort Capital Germany
DVC Deutsche Venture Capital
DZ Equity Partner
e-millennium Partners
Earlybird
ECM Equity Capital Management GmbH
Econa AG
Elevator GmbH
EMBL Ventures
EQT Partners
Equinet Venture Partners
Equita Beteiligungen KgaA
Ergo Equity Partners
Extra Industries
Feri Trust
Finatem Beteiligungs GmbH
Firestorm AG - Capital Partners
First Ventury ag
Frankfurt Capital
General Atlantic Partners LLC
Germanincubator GI
Global Finance Beratungs AG
Global Life Science Ventures (GLSV)
Granville Baird Capital Partners
Greenwich AG
GZ-Capital Partner GmbH
Halder GmbH
Heidelberg Innovation gmbh
Heptagon Capital Beteiligungsgesellschaft der Freien Sparkassen mbH & Co. KG
Hg Capital GmbH
HGU Hamburger Unternehmensbeteiligungs Aktiengesellschaft
High Tech Management GmbH
HSBC Trinkaus & Burkhardt
Hunzinger Information AG
IBB Beteiligungsgesellschfat mbh
IKB Venture Capital gmbh
IMH Industrie Management Holding
Infineon Ventures gmbh
Innotech Innovationen
Innovativ Capital AG
IT-Adventure
IVC Venture Capital ag
Kapitalbeteiligungsgesellschaft der Deutschen Versicherungswirtschaft AG (KDV)
KapitalBeteiligungsgesellschaft für das Land Brandenburg mbH
Kapitalbeteiligunsgesellschaft für die Mittelständische Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen mbH
Kappa IT ventures
Kero Holding
Klaus Tschira Foundation
Konsortium AG
Kremlin AG
Lampe mbH
LeVenture Kapital
Life Science Partners
Life Science Ventures
M Cap Finance
Maier & Partner AG
MAZ level one GmbH
MBG
MBMV
MediaVenture Capital
Medicis
Mediport VC Management GmbH
MicroVenture GmbH & Co. KgaA
Mittelstandische Beteiligungsgesellschaft Hessen
Mittelständische Beteiligungsgesellschaft Thüringen mbH
MUK Kapitalbeteiligungsgesellschaft mbH
MVC Venture Capital AG
myQube
Nexus Capital GmbH
NIB Norddeutsche Innovations
Nordcapital
Norddeutsche Private Equity gmbh
Nordwind Capital
NPM Capital Beteiligungsberatung GmbH
NWD Nord-West-Deutsche
Odewald & Compagnie
Orlando Management GmbH
Palladion Partners gmbh
Pari Capital AG
Pegasus Beteiligungen AG
Peppermint Financial Partners
Polytechnos Venture-Partners gmbh
pre-IPO Aktiengesellschaft
Pricap Venture Partners
Proximitas ag
RBB Management AG
RBK Regionale
Risikokapital-Fonds Allgäu GmbH & Co. KG
S-Beteiligungsgesellschaft der Sparkasse Freiburg - Nördlicher Breisgau mbH
S-Siegerlandfonds
S-Unternehmensbeteiligungsgesellschaft der Sparkasse Leipzig mbH
S-VC Risikokapital-Fonds
Saarlandische
Sachsen LB Corporate Finance
Sal Oppenheim JR & cie
SBG - Sächsische Beteiligungsgesellschaft mbH
Schleswig-Holsteinische Kapital
Schuering & Andreas
SEED Capital Brandeburgh gmbh
SHS
Siemens Venture Capital Gmbh
Smart IPO AG
Solutio ag Anlagekonzepte fuer Institutionen
SPARK GmbH
Sparta Beteiligungen AG
Stauferkreis AG
SÜD Venture Capital gmbh
SüdKB Süd-Kapitalbeteiligungs-Gesellschaft mbH
T-Telematik venture Holding Gmbh
T-Venture
TakeOff VC Management
Target Partners
Techno nord vc gmbh
Technologie-Beteiligungsgsellschaft mbH der Deutsc
TechnoMedia Kapital
TechnoStart
TecVenture Partners gmbh
Terra Firma Capital Partners
TFG Venture Capital FoF
Triangle Venture Capital
TVM Techno Venture Management Germany
UBAG Unternehmer Beteiligungen
UCA AG
VCH Equity Group
VCI gmbh Beratung Fur Technologieinvestitionen
VCM Venture Capital Management
VEAG mbH
Ventizz Capital Partners
Venture Capital Thueringen GmbH & Co. KG
Venture Vision
VISION Chancenkapital
Wagniskapital
WeHaCo Unternehmensbeteiligungs-AG
Wellington Partners Venture Capital gmbh
Wellness Business Partners
WestLB Ventures
WestSTEAG Partners
WGZ Venture-Capital

Die Firmen bezeichnen sich vorzugsweise als “Private Equity” oder “Venture Capital” und lenken damit von ihrem Charakter als “Hedge-Fond-Gesellschaften” bzw. AACs ab. Hier seien aus der Liste noch einmal speziell die genannt, die große Konzerne bzw. große Banken darstellen bzw. deren Tochtergesellschaften:

Allianz Venture Partners
BASF AG
Bayerische Hypo-und Vereinsbank AG
BHF Bank AG
BHF Private Equity
Daimlerchrysler Venture gmb
Dresdner Kleinwort Capital Germany
Heptagon Capital Beteiligungsgesellschaft der Freien Sparkassen mbH & Co. KG
HSBC Trinkaus & Burkhardt
Siemens Venture Capital Gmbh
VEAG mbH
WestLB Ventures
WestSTEAG Partners

Wir haben hier also, nur daß das auch klar wird, ein “Who is who” des Großkapitals. Es handelt sich nicht etwa um kleine, neue Unternehmen von ein paar Emporkömmlingen, sondern (auch) um das wirkliche Monopolkapital.

Interessant in der Liste auch noch die deutsche Unterabteilung der Carlyle Group. Das ist jene dubiose Finanzierungsgesellschaft, die zum Teil in den Händen der Familie Bush (ja, des US-Präsidenten) liegt und zum Teil dem saudi-arabischen Königshaus gehört. Wer Michael Moore’s Dokumentation ‚Fahrenheit 9/11’ gesehen hat, weiß, was gemeint ist.

Was sind nun diese ‚Werte’ (Assets), die Firmen zu bieten haben, die zum Ziel dieser AACs werden?
  • Zum einen haben die Firmen ja meist eigene Grundstücke und Immobilien, die einen leicht einzuschätzenden Wert darstellen.
  • Darüber hinaus haben sie Maschinen und Anlagen, oft schon abgeschrieben. Da ist es ebenfalls nicht schwer, die Werte zu ermitteln.
  • Drittens stellt die Firma als solche, als Marke oder jedenfalls als in den Kundenkreisen angesehene Lieferantin oder Serviceleisterin, einen Wert dar.
  • Ein weiterer Teil des Gesamtwertes sind die Finanzen und Finanzanlagen der Firma. Gut geführte Firmen in Deutschland haben beträchliche Finanzpolster.
  • Der fünfte ‚asset’ schließlich sind Kundenliste, Lieferantenliste und das „know how“, das in Form von Dokumenten und in Form von Wissen der Beschäftigten vorhanden ist. Dies wird der ‚immaterielle Wert’ der Firma genannt.
  • Dazu kommen, sechstens, ‚weitere Werte’, darunter fallen vor allem Pensionsgesellschaften der Beschäftigten, die von der Firma verwaltet werden und ähnliches.
Zählt man das alles zusammen (und zieht man eventuelle Schulden ab), kommt man zum Gesamtwert einer Firma. Nehmen wir einmal an, der Wert sei mit 500 Millionen Euro eingeschätzt worden. Was wäre nun der Verkaufspreis der Firma? Selbstverständlich gibt es niemand auf der Welt, der bereit wäre, wirklich diese 500 Millionen zu bezahlen. Ist es eine Aktiengesellschaft, kann man den Kaufpreis leicht ausrechnen: Was kosten 51% der Aktien? Im genannten Fall wird dieser Wert kaum über 100 Millionen Euro hinauskommen.

Der Unterschied, 400 Millionen Euro in diesem Fall, ist der Profit, hinter dem die AACs her sind. Das ist natürlich nicht alles reiner Profit, aber die Hälfte davon kann man am Ende wahrscheinlich als reinen Profit verbuchen. Nimmt man an, man braucht ein Jahr, um den Deal bei dieser Firma durchzuziehen, kommt man auf 200% Profit pro Jahr auf eingesetztes Kapital, das sind Traumwerte für jeden Kapitalisten.

In vielen Fällen lassen sich so hohe Profitraten aus den verschiedensten Gründen nicht realisieren, aber auch 50% pro Jahr auf eingesetztes Kapital sind immer noch Werte, die jedem Kapitalisten ein Glimmen in die Augen treibt.

Was sind die Gründe, warum Aktienkurse und Verkaufspreis, also der Marktwert einer Firma, einen so viel geringeren Wert repräsentieren als den wirklichen Firmenwert? Nun, ein ‚normaler’ Käufer, der keine AAC ist, sieht in der Firma ja nicht ihren Gesamtwert, er kann ja z.B. die Grundstücke und Immobilien nicht realisieren, kann ja das Geld der Pensionskasse nicht einstecken, kann sich ja nichts für den ‚immateriellen Wert’ kaufen. Für ihn, der die Firma weiter betreiben will, stellt sie ja nur den Wert dar, den sie jährlich an Überschuß an den Besitzer abwirft. Es ist offensichtlich, daß dies weit weniger ist als ihr Gesamtwert.

Worin besteht also der eigentliche ‚Trick’ der AACs? Eben darin, daß für sie der beleihbare Gesamtwert einer Firma ausschlaggebend ist, während sie nur den Marktwert der Firma für sie zahlen müssen.

Nun bauen verantwortliche Unternehmer natürlich eine Abwehrfront auf, um zu verhindern, daß sie einfach übernommen werden können. Als Beispiel kann die Fuchs Petrolub mit Sitz in Mannheim dienen, eine Firma der Größenordnung (ca. 4.000 Beschäftigte weltweit), die ideal für AAC-Übernahmen ist. Dort hat man z.B. die Firma an die Börse gebracht, die Entscheidungsgewalt aber gleichzeitig in der Familie der Besitzer gelassen.

Das macht man mit einem einfachen Trick: Man splittet die Aktien in Vorzugsaktien und Namensaktien. Stimmrecht über die Belange der Firma geben nur die Namensaktien, die Vorzugsaktien sind ohne Stimmrecht, geben aber höhere Dividenden. Man beläßt dann einfach die Mehrheit der Namensaktien in der Familie und hat so ständig das Sagen, genießt aber andererseits die Vorteile börsennotierter Firmen (man kann sich Bargeld (‚Cash’) an der Börse holen und die dafür zu zahlenden Dividenden hängen von der Gewinnsituation ab, während man bei Bankkrediten die Zinsen immer zahlen muss). Zusätzlich arbeitet man eng mit einer ‚Hausbank’ zusammen, in diesem Fall der Deutschen Bank, die einem erweiterten Schutz vor unerwünschten Käufern gewährt.

Das Ganze geht aber nur solange gut, wie einen die Bank nicht ‚verrät’, also mit einer AAC zusammenarbeitet und wie keine Streitereien in der Familie ausbrechen. Der Niedergang der Dornier-Gruppe z.B., die immerhin einer der weltweit wichtigsten Hersteller von Kleinflugzeugen war, belegt, daß Streitigkeiten in der Besitzerfamilie oft zu Desastern führen.

Insofern ist die Konstruktion mit den Namensaktien auch ein zweischneidiges Schwert. Überwirft sich die Familie mit auch nur einem Familienmitglied, das einen wesentlichen Aktienanteil hat, wird die ganze Firma anfällig für eine AAC- (oder auch sonstige) Übernahme. Man braucht ja lediglich die an der Börse gehandelten Namensaktien aufzukaufen und das Paket des ‚Dissidenten’, schon hat man das Sagen in der Firma. Der zu investierende Wert z.B. bei einer Gesellschaft wie der Fuchs Petrolub wäre nicht einmal ein Zehntel des beleihbaren Gesamtwertes der Firma. Ein Leckerbissen!

Auch in solchen Fällen kann die Hausbank oft noch das Schlimmste verhindern, aber wehe, wenn sie gemeinsame Sache mit der AAC macht.

Ein klassischer Fall ist das Schicksal der Firma Grohe, einem der größten Anbieter von hochwertigen Sanitär- und anderen Armaturen weltweit, mit einem Jahresumsatz von 885 Millionen Euro im Jahr 2003 und 5.800 Mitarbeitern weltweit, eine jener Firmen, die charakteristisch für die deutschen Exporterfolge ist. Deutschland ist nicht umsonst Exportweltmeister.

Die Besitzer von Grohe schufen eine der solidesten Firmen ihrer Größenordnung. Es wurden praktisch keine Bankkredite aufgenommen, man war im Gegenteil seine eigene Bank und vergab Kredite, z.B. an Mitarbeiter, die sich ein Häuschen finanzieren wollten, mit Vorzugszinsen. Man baute eine Pensionskasse auf, die den Mitarbeitern einen angenehmen Lebensabend garantieren sollte. Die Expansion ins Ausland wurde behutsam und gezielt durchgeführt, ohne die eigenen Exporte zu beeinträchtigen. Kurz: Grohe war grundsolide und damit ein bevorzugtes Ziel der AACs.

Wenn heute Mitarbeiter von Grohe auf die Straße gehen mit Pappen, auf die sie geschrieben haben: „WIR sind Grohe“, so zeigt das beispielhaft, wie die Identifizierung der Belegschaft mit der Firma war: vollständig. Mit Standorten in ländlichen Regionen (Lahr, Hemer, Menden, Herzberg) und einer Belegschaft voll auf Unternehmenslinie, etwas Besseres kann eine AAC nicht finden.

Nun war Grohe nach Meldungen eines Internetportals an eine britische Investmentgruppe verkauft worden. Ob das auch schon eine AAC war, konnte nicht festgestellt werden. Jedenfalls wurde Grohe Mitte 2004 von den US-Firmeninvestoren ‘Texas Pacific Group’ und ‘Crédit Suisse First Boston Private Equity’ übernommen (man beachte die typische Zusammenarbeit einer AAC mit der Unterabteilung einer Bank). Zunächst ahnte niemand Schlimmes.

Die neuen Eigner war nicht als Hedge-Fond-Gesellschaft bekannt (der Begriff „private equity“ allein sagt noch nichts über die Absichten, auch wenn man in Zukunft aufmerksam werden sollte, wenn der Begriff auftaucht). Unbekannt sein ist in vielen Fällen natürlich Voraussetzung für ein reibungsloses Durchziehen des ‚Coup’, denn es gibt meist schwerste Widerstände, wenn von vornherein jeder weiß, wer der neue Besitzer ist und was er machen wird.

Aus diesem Grund werden auch andauernd neue AACs gegründet, deren Namen noch nicht auf den bekannten Listen stehen. Der oben zitierte US-Analyst sagte: „Täglich werden 10 neue gegründet und fünf gehen ein.“

Dazu kommt, daß die Firmen regelmäßig rettungslos verschachtelt sind, über andere Firmen, über Einzelpersonen und mit allen sonst noch möglichen Tricks. Die eigentlichen Holdings sitzen meist in Steuerparadiesen wie den Cayman Islands oder Jersey. Wird Geld aus den überfallenen Firmen herausgepumpt, wird es sofort durch hundertfache Überweisungen von Konto zu Konto „gewaschen“, aufgeteilt in kleine Portionen und verschwindet unnachweisbar im Orkus internationaler Transaktionen.

Zur völligen Sicherheit baut man oft noch eine sogenannte „Orange“ ein, über dessen Konto alles läuft. Das ist eine Person, die gar nicht existiert und für die jemand sich ausgegeben hat mit falschen Papieren. Bestimmte Banken, z.B. auf den Bahamas, sind bekannt dafür, vorgelegte Ausweis-Papiere nicht zu überprüfen (im Prinzip müssen Banken bei Ausländern die Identität bei der Botschaft des Heimatlandes überprüfen).

Selbst wenn es eventuell ein Fahnder schaffen sollte, das Geld über die vielen Konten zu verfolgen, trifft er plötzlich auf eine Einzelperson, an die das Geld gegangen ist, die nicht aufzufinden ist und daher auch keine Auskünfte geben kann.

Derjenige hebt in regelmäßigen Abständen die eingegangenen Gelder von „seinem“ Konto ab und zahlt sie auf der anderen Straßenseite bei einer Bank auf andere Konten wieder ein. Damit ist die Spur des Geldes nicht mehr zu verfolgen (dies ist übrigens generell eine beliebte Geldwaschmethode). Natürlich werden solche Konten mit falschen Identitäten ständig gewechselt, um nicht aufzufliegen.

Daß hier kriminelle Methoden verwendet werden, hängt damit zusammen, daß dies einer der Schwachpunkte des Vorgehens ist. Man ist zwar Besitzer der Firma, muß aber nun große Mengen Geld hinausschaffen, ohne allzuviel Aufsehen zu erregen. Bestimmte Mengen kann man noch über Umleitung von Rohstoffkäufen über eine Firma der Gruppe der AAC mit überhöhten Preisen verschieben, andere können mit Beratergebühren, fingierten Gutachten, hohen Rechnungen für Meetings bei der AAC und ähnlichem außer Haus geschafft werden. Auch darf die Besitzerfirma natürlich angemessene Gewinnabführungen verlangen.

Ebenso ist es ein probates Mittel, jeden Tag eine Überweisung eines „krummen Betrages“ unter einer ständig wechselnden Begründung zu veranlassen. Solche Begründungen sind z.B. ‚außerordentliche Aufwendungen’ (Synonym für Bestechungsgelder), ‚Reisespesen Direktor Smith’ (das sich eine entsprechende Reisekostenabrechnung nicht finden läßt, ist dann eben Schlamperei), ‚Aufwandsentschädigung für Nachprüfungen’ usw. usw. Sind das täglich Beträge um die 20.000 Euro, hat man am Ende des Jahres mehr als 6 Millionen überwiesen.

Aber richtig große Geldmengen im Bereich von 100 Millione Euro kann man nicht mehr „unter der Hand“ verschieben. Da muß dann wirklich von der verantwortlichen Person eine Überweisung angeordnet werden mit der einzigen Begründung, daß sie von der verantwortlichen Person angeordnet wurde. Oft läßt die sich das Geld auch bar übergeben. Sollte später, wenn die Firma schon bankrott ist, eine Untersuchung angestellt werden, ist der damals Verantwortliche längst in Neuseeland oder „nicht mehr in der Firma“ oder sonstwie nicht anzutreffen und zu befragen, warum er das angeordnet habe (man arbeitet in besonders krassen Fällen auch mit falschen Identitäten).

Tatsache ist, Grohe ist heute völlig überschuldet, obwohl man noch vor kurzem keinerlei Bankkredite hatte. Wie und wo das ganze Geld hin ist, scheint ein Rätsel zu sein. Auch aus der Pensionskasse scheint Geld verschwunden zu sein. Im Moment ist man gerade in der Phase, wo man sich noch den Anschein gibt, als wolle man das Überleben der Firma durch Lohnsenkungen, Entlassungen, Aufgeben von Standorten, Verlängerung der Arbeitszeit und den weiteren bekannten Maßnahmen sicherstellen, doch mit großer Wahrscheinlichkeit wird sich bald herausstellen, daß schon gar keine Überlebensfähigkeit mehr besteht.

Besonders kurios ist, daß ausgerechnet jetzt mit dem lächerlichen Argument der Arbeitsplatzabbau begründet wird, im Ausland seien die Löhne niedriger. Der Niedergang von Grohe hat natürlich mit den Lohnkosten soviel zu tun wie die Kuh mit dem Tanzen. Die mit einem Gutachten beauftragte McKinsey-Gruppe hätte mal untersuchen sollen, wie und wohin das Geld verschwunden ist, aber das ist natürlich nicht ihre Aufgabe. Die finden immer genau das heraus, was sie finden sollen.

Sehr charakteristisch auch das Argument, das man gegenüber der Belegschaft im Werk Herzberg gebracht hat, das vollständig geschlossen werden soll: Die Belegschaft könne ja das Werk kaufen! Der Zynismus dieser ‚Herren’ kennt offenbar keine Grenzen. Selbst wenn das Werk für einen symbolischen Euro verkauft würde (was diese ‚Herren’ natürlich nicht machen würden), stünde die Belegschaft da mit einem Schuldenberg, der unmöglich zu bezahlen wäre.

Im Fall Grohe ist nicht mehr genau festzustellen, wer die eigentliche AAC war. Wahrscheinlich schon jene britische Investmentgruppe, die zuerst zugeschlagen hat. Eventuell ist der momentane Besitzer sogar an einer Sanierung interessiert, aber viel wahrscheinlicher ist, daß sich nach dem ersten Überfall noch eine zweite AAC über die Reste hergemacht hat. In diesem Fall dürfte die Grohe in Wirklichkeit längst Pleite sein und man „spielt“ nur Sanierung, damit es nicht so auffällt.

Die verschiedensten Vertuschungsmethoden sind natürlich bei den Überfällen der AACs gang und gäbe. Manchmal wird wegen der Notwendigkeit des Vertuschens von dem, was wirklich vorgeht, der Zeitraum für das Umsetzen des ‚coup’ unangenehm lang, was natürlich die Profitrate verringert. Aber die Firmen können nicht alle völlig ohne einen gewissen „Anschein“ vorgehen. Das trifft besonders auf die zu, die große Monopole sind oder deren Tochterfirmen. Diese können natürlich nicht solche Methoden wie die oben genannten „Orangen“ anwenden, ebensowenig den verantwortlichen Chef, der sich mit einem falschen Pass ausgewiesen hat und am Ende spurlos verschwindet, auch die Geldwäsche und die Holding auf den Cayman Inseln funktionieren da nicht.

Ein Beispiel ist das Engagement der BMW bei Rover/Leyland in England. Zunächst gab man sich den Anschein, als wolle man wirklich die Marke Rover wieder aufpolieren und weiterführen. Wer aufmerksam beobachtete, sah allerdings bereits, daß man nie so weit ging, ein Rover-Auto an prominenter Stelle in BMW-Verkaufsräume zu stellen.

Zunächst verkaufte man die Gewinn abwerfende Sparte Land Rover. Wo das Geld dieses Verkaufs geblieben ist, ist bis heute nicht geklärt. Dann erklärte man Monat für Monat, man mache gewaltige Verluste. Dies ist einerseits nicht zu überprüfen und hat andererseits den Vorteil, daß man dies mit Gewinnen aus der Muttergesellschaft verrechnen kan. Damals ergab das noch einen Sinn, den es gab noch eine geringfügige Besteuerung von Gewinnen von Großkonzernen in Deutschland, die heute ja praktisch abgeschafft ist.

Daß während dieser ganzen Zeit BMW dafür gesorgt hätte, daß Rover attraktive Autos baut und auf dem Markt vorankommt, kann niemand behaupten. Lediglich den Mini brachte man neu heraus und hatte ein attraktives Nischenauto, die anderen Neuerscheinungen hatten nicht das geringste von einem BMW-Flair.

Als BMW sich von Rover verabschiedete, nahm man den Mini mit und hinterließ eine ausgeblutete Firma mit riesigen Schuldenbergen. Die wurde dann von einer kleinen Investmentfirma übernommen, die wiederum verkündete, sie werde die Marke Rover und die Fabrik sanieren. Tatsache ist, daß die Investmentfirma noch mehr Kredite auf die Rover nahm und schon nach recht kurzer Zeit den Vergleich anmeldete und von der Bühne verschwand. Die Abwicklung des Restes überließ man den Vergleichsverwaltern und damit dem englischen Staat, der dann, wie üblich, die Drecksarbeit des Entlassen der restlichen Mitarbeiter für die AACs übernimmt.

Mit großer Wahrscheinlichkeit ist auch bei Grohe nichts anderes zu erwarten. Wenn die „Heuschrecken“ abgegrast haben, wird der Staat zu Hilfe gerufen.

Die Regelungen des Vergleichsverfahrens oder Konkursverfahrens sind beeindruckend. Der frühere Besitzer wird in keinster Weise mehr behelligt, Untersuchungen über die Ursachen der Schuldenberge werden nicht angestellt, der eingesetzte Vergleichsverwalter verdient sich noch ein kleines Vermögen, die Banken jammern, sie verlören Geld, nachdem sie vorher Kredite an eine Firma gegeben hatten, von der sie wissen mußten, daß sie ausgelutscht wird (weil sie selbst daran beteiligt waren) und die entlassenen Mitarbeiter haben nicht einmal mehr eine Instanz, wo sie die ausstehenden Löhne einklagen könnten.

Im Kern ist jeder AAC-Coup kriminell, weil die Techniken des Entfernens der Gelder aus der Firma kriminell sind, in der Regel einfach 'Untreue', ‚Betrug’ oder auch ‚Veruntreuung’. Allerdings kann das ganze meist perfekt vertuscht werden, weil in einer kapitalistischen Firma ja Tyrranei herrscht. Der Besitzer oder dessen Beauftragter haben die Befugnisse absolutistischer Herrscher.

Ob die Regeln korrekter Buchführung angewandt werden, entscheiden allein sie, ob über bestimmte Anweisungen schriftliche Aufzeichnungen in die Akten kommen, entscheiden allein sie, sie können kriminelle Aktionen ihrer Untergebenen befehlen, die dann nur noch entscheiden können, ob sie gehorchen oder ihren Arbeitsplatz verlieren. Kurz: Die Möglichkeiten, ihre Straftaten unkenntlich zu machen oder sogar Untergebenen aufzuhalsen, sind unendlich. Irgendeine neutrale und kritische Überprüfung von Buchführung und Unternehmensentscheidungen gibt es nicht. Die Bilanz-Überprüfungen durch Firmen wie KPMG oder anderen sind nichts als Alibi-Veranstaltungen.

Ein Mitarbeiter, z.B. ein Buchhalter, der zu kriminellen Techniken gezwungen wurde, ist selbst mitschuldig und wird sich hüten, diese Straftaten offenzulegen, auch nach dem Ende einer Firma.

Die gleiche Bundesrepublik, die fast allen Tätern der faschistischen Verbrechen Straffreiheit gewährt hat, weil sie ja angeblich „im Befehlnotstand gehandelt“ hätten, ist nicht bereit, Firmenbeschäftigten das gleiche Privileg „Befehlnotstand“ zuzugestehen. Wenn eindeutig ist, daß der Mitarbeiter nichts zu seinem eigenen Vorteil getan hat und er glaubhaft machen kann, daß er bei Ungehorsam entlassen worden wäre, bekommt er bestenfalls ‚mildernde Umstände’. Andererseits werden die Verantwortlichen für solche Straftatbestände praktisch nie verurteilt. Der Prozess gegen Ackermann hat exemplarisch gezeigt, daß es fast unmöglich ist unter den herrschenden Umständen, jemandem schuldhaftes Handeln nachzuweisen, wenn er zu jener Zeit das Sagen in einer Firma hatte.

In diesem Sinne handeln die AACs am Ende doch nicht kriminell – jedenfalls läßt es sich nicht nachweisen. Falls sich etwas nachweisen läßt, sind die Verantwortlichen nicht aufzufinden und die Firmen in Steuerparadiesen kann man sowieso für nichts verantwortlich machen.

Natürlich wäre es möglich, mit gesetzlichen Maßnahmen einem solchen Treiben ein Ende zu setzten. Daß es dazu irgendeinen politischen Willen im heutigen Kapitalismus gibt, kann ausgeschlossen werden. Der Kommentar der „Financial Times“ war deutlich: „Wer von Heuschrecken redet, will noch mehr Staatskontrolle über die Unternehmen.“ NOCH mehr, welch ein Horror!

Den Betroffenen wird nichts anderes übrig bleiben, als zäh und kühn um jeden Arbeitsplatz zu kämpfen und vor allem sich klarzumachen, daß für die Zukunft ihrer Kinder der Sozialismus erkämpft werden muß.

Bleibt noch eine weitere Frage zu klären: Sind die Hedge-Fonds-Gesellschaften oder AACs die Zukunft des Kapitalismus? Kann der Kapitalismus mit ihnen eventuell das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate überlisten?

Nein, das wäre ein grundlegender Irrtum. Was die AACs aus den Unternehmen herausholen, ist ja ‚eingefrorener’ Profit von vorher. Sie schaffen ja keinerlei neuen Profit. Ein Unternehmer, der solide wirtschaftet und noch viele Jahre etwas von seiner Firma haben will, beläßt wesentliche Teile seines Profits in der Firma, um sie zu stärken und so seinen zukünftigen Profit zu sichern.

Die AAC holt lediglich in kurzer Zeit diesen angesammelten Profit aus der Firma.

Dazu kommt, daß die Zahl der von AACs auszusaugenden Firmen sich in engen Grenzen hält. Zunächst sind schon einmal alle kleineren Firmen (in der Größenordnung bis zu etwa 500 Beschäftigten) für diese Art der Betätigung nicht geeignet, weil bei ihnen einfach nicht viel zu holen ist. So eine AAC hat ja auch Kosten. Ein erfahrener Chef für die auszusaugende Firma würde der AAC pro Jahr bei einer kleineren Firma schon mehr kosten, als er dort überhaupt rausholen kann.

Auch wirkliche Großunternehmen, erst recht die Monopole, stehen den AACs nicht zum Aussaugen zur Verfügung. Diese großen Konzerne sind ja fast ausnahmslos Aktiengesellschaften mit größenordnungsmäßig 100.000 bis 500.000 Aktien an der Börse. Solche Mengen von Aktien kann man natürlich nicht still und heimlich aufkaufen, ohne aufzufallen.

Außdem haben zum Beispiel alle deutschen Momopolunternehmen eine Höchststimmrechtsklausel im Gesellschaftsvertrag. Jemand mit mehr als z.B. 10% der Aktien hat trotzdem nur Stimmrecht für 10 %. Die Herren in den Monopolunternehmen sind ja die Vorstände, keineswegs mehr die Besitzer. Die Aktionäre sind lediglich Stimmvieh.

Es gibt also praktisch nur eine Möglichkeit, Großkonzerne und Monopolunternehmen aufzukaufen: man kann ein Übernahmeangebot unterbreiten und hoffen, daß sich genug Aktionäre finden, die es annehmen. Besteht auch nur die geringste Möglichkeit, daß die Gesellschaft, die das Angebot unterbreitet, die Firma lediglich aussaugen will, wird der Vorstand dies den Aktionären schon klarmachen und sie werden ein solches Angebot nur annehmen, wenn es meilenweit über dem Aktienkurs läge. Damit aber würde der schöne Profit schon wieder draufgehen. Die AACs haben ja kein Interesse, die früheren Aktionäre reich zu machen, sie wollen ihre Firma bereichern.

Die Zielgruppe der AACs beschränkt sich also im wesentlichen auf mittlere Firmen, im Bereich von etwa 500 Mitarbeitern bis etwa 10.000 Mitarbeitern – in Ausnahmefällen bis zu 25.000.

Aber auch diese sind zum allergrößten Teil unverkäuflich. Sei es, daß es GmbHs sind und die Eigner nicht verkaufen, sei es daß sie sich über Namensaktien abgesichert haben und nicht verkaufen oder sei es, daß sie die oben schon genannte Höchststimmrechtsklausel im Gesellschaftervertrag haben. Es gibt auch weitere Klauseln, wie eine Gesellschaft sich gegen unerwünschte Übernahmen schützen kann. In vielen Gesellschafterverträgen ist z.B. geregelt, daß ein Verkaufswilliger seine Anteile (oder Aktien) zunächst den anderen Eignern zum Kauf anbieten muß, bevor er nach außen verkaufen darf.

Dazu kommt die Rolle der Hausbanken. Gegen deren Willen ist fast nichts möglich. Solange die Hausbank sich mehr verspricht von einer weiter bestehenden Firma als von den Gewinnen, die beim Aussaugen abfallen, ist kaum etwas zu machen.

Kurz: Auch innerhalb der Zielgruppe sind nur äußerst selten Schnäppchen zu finden, die übernommen und ausgesaugt werden können. Das „know how“ der erfolgreichen AACs besteht hauptsächlich darin, solche Firmen zu finden. In einem Land wie Deutschland dürften kleine Heerscharen von „Ermittlern“ unterwegs sein, um mögliche Kandidaten herauszufinden und den richtigen Zeitpunkt zum Zuschlagen zu eruieren.

Erfährt man zum Beispiel, daß der „Patriarch“ einer Firmengruppe gestorben ist und sich Gerüchte über Erbstreitigkeiten halten, dann kann die AAC wie ein Phönix aus der Asche als Lösung aller Probleme auftreten und den Streithähnen ein sattes Angebot für die Firma vorlegen. Oft ist die Habgier so groß, daß es angenommen wird.

Es gibt also nur selten gute und lohnende Objekte für die AACs. An den beiden oben genannten Beispielen konnte man auch schon sehen, daß sich hier offenbar nacheinander zwei AACs an so einem Brocken gütlich getan hatten. Ebenso kommt es vor, daß eigentlich wenig solide Firmen übernommen und leergesaugt werden, was natürlich weit weniger Profitrate erbringt. Da heute das Aufsteigen neuer Gesellschaften relativ selten ist, kommt auch wenig Nachschub. Die möglichen Kandidaten werden also tendenziell auch noch weniger.

So ist also klar, daß die AAC-Hausse eine zeitweilige ist und für die Geldanleger im allgemeinen kein Problem löst.

Der Kapitalismus hat keinen Ausweg. Die Kapitalisten haben ihre Totengräber schon geschaffen und sind auch noch gezwungen, sie in Wut und Rage zu bringen. Wenn nicht alles täuscht, ist ihr Ende damit besiegelt.


Ein Artikel (besser : Dossier) von Elmar Getto aus dem Jahr 2005, hier geringfügig vom Autor redigiert. Beeindruckend, wie aktuell und taufrisch dies auch heute noch ist, auch wenn die Liste mit den "Heuschrecken" in Deutschland schon überholt sein dürfte. Er erschien damals bei 'RBI-aktuell'.

Freitag, 9. November 2007

Der gläserne Normalbürger, Teil 3

Was der Fall Palocci lehrt

Von Karl Weiss

Die Offenlegung aller Bankkonten der Bundesbürger für Beamte (und Beamtenanwärter) in der Bundesrepublik, die schon seit dem 1. April 2005 gilt, gefährdet die Privatsphäre von Hunderttausenden von Bürgern, ja, macht sie sogar leicht verwundbar gegenüber Erpressungen bzw. „Schutzgeldzahlungen“. Das Bankgeheimnis, das von ‚attac’ als absolut unnütz und überholt bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit ein Schutz gegen die völlige Offenlegung aller privaten Beziehungen, die eben typischerweise mit Geldüberweisungen einhergehen.

Hat zum Beispiel ein Mann eine Geliebte, auf deren Konto Gelder überwiesen weden, ist eine Rechnung von einem „Restaurant“ leicht als von einem Bordell-Betrieb zu erkennen, so wird die Privatsphäre gebrochen. Mag dies jemand noch als akzeptabel ansehen („was hat der Lüstling auch ausserhalb der Ehe zu fischen“), so wird es noch viel interessanter, wenn zum Beispiel Überweisungen auf das Konto einer oppositionellen Partei festzustellen sind, seien es „Die Linke“ oder die DKP oder die MLPD. So lassen sich leicht systemkritische Menschen aussortieren und zugleich in die Listen derer zu setzen, die man in die neuen Konzentrationslager schicken wird, sobald man die Macht übernommen hat.

Am Anfang waren noch Restriktionen für die Abfragen von Beamten bezüglich der Bankkonten von der Bundesregierung festgelegt worden. Dadurch entkam man auch einem Prozess vor dem BVG wegen Verfassungswidrigkeit des neuen Gesetzes. Nur bestimmte Beamte, die in ganz bestimmten Dienststellen arbeiteten, bekamen den ‚Code’,der es ihnen ermöglicht, in die Bankcomputer einzudringen und Abfragen zu starten. Die Polizei zum Beispiel durfte damals noch nicht abfragen. Auch waren zunächst nur die einfachen Grundfakten der Konten für die verbeamteten Schnüffler geöffnet: Die Tatsache des Kontos, die Identität der Person und die Kontostände jeweils am Jahresende.

Stasi 2.0

Inzwischen ist genau das geschehen, was damals schon die meisten Beobachter vorhergesagt haben, die nicht im Dienst der Herrschenden berichten: Die Berechtigung des Aufdeckens der Bankkonten der Bundesbürger gilt jetzt bereits für alle Dienststellen, also auch die Polizei, den Verfassungsschutz und den BND. Ebenso sind die Daten, die eingesehen werden können, auf die gesamten Informationen über das Konto erweitert worden.

Ein Mitarbeiter der Datenzentrale einer grossen bundesdeutschen Bank sagte, wer den Zugangscode hat, für den werden alle Kontodaten, also auch jede Kontobewegung, zugänglich gemacht. Die andere Seite erscheint in der Aussage eines Kriminalbeamten, der bestätigt, man habe den Zugangscode und könne auf die Daten zugreifen, wenn das die Ermittlungen erfordern.

Auf die Nachfrage, ob denn irgendjemand überprüft, ob dies wirklich für Ermittlungen notwendig war, kommt die Antwort: „Nein, aber wir tun dies natürlich nur, wenn es nötig ist.“

Keine Mitteilung an die Betroffenen

Auch die Massnahme, die vor der Einführung von vielen gefordert wurde, die Mitteilung an die Betroffenen, wird selbstverständlich nicht durchgeführt. „Da konnte ja ein Verdächtiger merken, dass man ihm auf der Spur ist.“

Diese Recherche wurde von einem Bekannten des Autors durchgeführt, der gerne einen Geldbetrag, der auf seinem Konto einging, vor den Behörden verheimlicht hätte. Er glaubte, nur der Kontostand am Jahresende werde bekannt und hob das Geld rechtzeitig vor diesem Datum ab. Er musste allerdings verwundert feststellen, die Finanzbehörden hatten den Eingang des Geldes registriert und er wurde zu diesem Vorgang befragt. Man wusste anscheinend den genauen Betrag und von wo das Geld überwiesen wurde.

Gegen Steuerhinterziehung

Dies ist auch die Begründung, die ‚attac’ angibt, warum man die Aufhebung des Steuergeheimnisses befürwortet. So sei es erleichtert, Steuerhinterziehungen zu verfolgen. Das Zahlen von Steuern sei Bürgerpflicht und man sei gegen Steuerhinterziehung. Angemerkt sei, dass dadurch natürlich auch das Anfallen der von ‚attac’verteidigten „Tobien-Steuer“ überprüft werden könnte.

Auf den Einwand, die wirklichen grossen Steuerhinterzieher würden ja gar nicht erfasst, weil sie alles über Konten im Ausland laufen lassen würden, wofür der ‚Kleine Mann’ weder Zeit noch Geld noch Gelegenheit hat, sagte ein Vertreter von attac, man habe dies Gesetz ja auch nur als Schritt in die richtige Richtung begrüsst, nicht vollständig.

Weche Gefahren aber lauern, wenn man jeglichen Beamten und Beamtenanwärter völlig freien Zugang zu allen Konten der Bundesbürger in Deuschland gewährt, zeigt der brasilianische Fall Palocci.

Der Fall Palocci

Pallocci, das war der mächtige Finanzminister der Lula-Regierung in der ersten Regierungsperiode, der üblicherweise als der angesehen wurde, der wirklich die Richtlinien der Politik bestimmte.

Palocci
Palocci

In einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss des brasilianischen Bundestags, dem sogenannten Bingo-CPI, kamen Fakten ans Tageslicht, die sich auf die Zeit bezogen,als Palocci Bürgermeister der Stadt Riberão Preto im Landesinneren von São Paulo gewesen war.

Er war von einem damaligen Parteifreund angeklagt worden, von allen Unternehmen, die Aufträge der Stadt bekommen wollten, eine monatliche Zahlung von 50 000 Reais (etwa € 20.000) verlangt und bekommen zu haben, womit er einen heimlichen Wahlkampffonds der PT, seiner Partei, fütterte. Das ist also eine typische Mafia-Kriminalität, die Schutzgeld-Zahlung.

Villa mit Gelagen und Festen mit Prostituierten

Dies war noch nicht bewiesen, aber bewiesen war bereits, es hatte eine Villa in Riberão Preto gegeben, wo PT-Politiker sich mit Lobbyisten trafen und wo auch Gelage und Feste mit Prostituierten abgehalten worden waren.

Das kennt man doch aus Deutschland , nicht wahr, die Vertreter einer angeblichen Arbeiterpartei mit Industrie-Bossen in eigens angemieteten Wohnungen auf Festen mit Prostituierten? Oder nicht, VW, oder nicht, Herr Hartz?

Die entscheidende Frage für eine eventuelle Anklage gegen Palocci wegen dieser Affäre war nun, war Palocci auch Stammgast in dieser Villa gewesen? Die Villa hatte, wie in Brasilien üblich, einen Hausmeister, in diesem Fall mit dem Namen Francenildo Santos Costa.

Der hatte bereits bei der Polizei ausgesagt, er habe Palocci, dessen Gesicht in ganz Brasilien bekannt war, in dieser Villa ein- und ausgehen gesehen. Er war allerdings noch nicht vor dem Untersuchungsausschuss erschienen, denn ein Parteifreund von Palocci hatte noch rechtzeitig eine äusserst verdächtige einstweilige Verfügung dagegen beim Obersten Brasilianischen Gerichtshof erwirkt.

Die kriminelle Tat

Aber auch das war Nichts von Dauer und die Position Paloccis war äusserst delikat. Da beschloss er etwas, was viele unseren Mafia-Politikern zutrauen, aber doch selten bewiesen wird: Eine kriminelle Aktion.

Er liess beim Chef der bundeseigenen Sparkasse (Caixa Economica Federal) anrufen. Der Anruf aus seinem Büro wurde später bei der Untersuchung dieses Vorfalls einwandfrei geortet. Es wurde der Auftrag gegen, das Konto des Hausmeisters bei dieser Sparkasse zu durchforsten, ob man eventuell Verdächtiges finden könnte. Der Bank-Chef liess sich das natürlich nicht zweimal sagen, denn Palocci war ja sein Chef.

Die Konto-Daten wurden durchforstet und man fand tatsächlich einzelne Geldeingänge, die eventuell bei einem so armen Mann wie dem Hausmeister ungewöhnlich sein konnten (später stellten sie sich als völlig harmlos heraus). Der Rückruf direkt vom Apparat des Bank-Chefs in Paloccis Büro wurde später ebenso exakt geortet.

Riesige Schweinerei

Nun kam eine der grössten Schweinereien, die in Brasilien je von einem Politiker unternommen wurde (und in Brasilien wurden von ihnen schon viele unternommen): Die eventell verdächtigen Geldeingänge auf dem Konto des Hausmeisters liess man von Seiten von Palocci an ein Nachrichtenmagazin (Época – vergleichbar mit dem Spiegel oder Focus - von der Gruppe Globo, zu der viele Zeitungen, Zeitschriften und der bei weitem am meisten gesehene TV-Sender in Brasilien gehören) durchsickern und liess auch gleich den Verdacht mitveröffentlichen, das könnten Gelder der Opposition gewesen sein, um ihn zu einer falschen Aussage gegen Palocci zu bringen.

Parallel dazu liess Palocci durch eine ihm unterstellte Behörde, die unter anderem Geldwäsche verfolgt, gegen den Hausmeister ein Verfahren wegen des Verdachts der Geldwäsche eröffnen.

Plötzlich stand also ein kleiner Mann unter heftigstem Beschuss, weil er es gewagt hatte, in einem Verfahren gegen einen Mächtigen die Wahrheit zu sagen.

Palocci fällt

Allerdings hatte Palocci unterschätzt, wie viele Feinde er sich schon unter der brasilianischen Plutokratie gemacht hatte. Die Bundespolizei wurde auf die Fährte gesetzt, woher denn die Faksimiles von Kontoauszügen des Hausmeisters kommen und das Schema Paloccis flog innerhalb von eineinhalbWochen auf. Als die Telefonate entdeckt wurden, mussten die beteiligten Personen allesamt das Handtuch werfen: Der Bankchef, der Sekretär Paloccis, der die Telefonate getätigt und die Unterlagen an die Época übermittelt hatte und schliesslich auch Palocci selbst.

Lula hatte nicht die geringste Lust, selbst in etwas hineingezogen zu werden, von dem er bestenfalls Kenntnis hatte (was er natürlich leugnet).

Bankgeheimnis

Das alles auf der Grundlage: In Brasilien ist das Bankgeheimnis geschützt. Nur mit einer richterlichen Verfügung dürfen die Banken Unterlagen über ein Bankkonto herausgeben. Also eine kriminelle Tat.

Da hat sich also gleich ein ganzes Sammelsurium von Straftaten auf Paloccis Konto angesammelt. Das heisst natürlich gar nichts. Bis heute ist Palocci wegen keiner dieser Taten angeklagt. Aber auch das kennen wir ja in Deutschland. Auch Lambsdorf und Kohl kamen davon, ebenso wie Esser und Ackermann.

Mafia-typische Verbrechen

Tatsächlich handelt es sich hier um eine Zusammenstellung von Verbrechen, wie sie u.a. für die Mafia typisch ist. Allerdings hat die Mafia typischerweise keinen leichten Zugang zu Nachrichtenmagazinen. Insoweit ist also eine Politiker-Mafia noch weit gefährlicher als die normale.

Deutlich wird aber an diesem Fall: Der kleine Mann, wenn die Daten seines Bankkontos leicht zugänglich sind, sei es für die Politikermafia, oder auch für andere Kriminelle, seien es Beamte oder solche, die „Freunde“ als Beamte haben, ist extrem verwundbar.

Politiker-Mafia

Dabei muss man keineswegs wirklich etwas zu verbergen haben. Einige mittlere Beträge, die zwar aussergewöhnliche Eingänge sind, aber in Wirklichkeit leicht erklärlich, können dazu ausreichen, unsereinen fertig zu machen im Auftrag von Leuten, deren Identität einem überhaupt nicht bekannt wird, so wie der kleine Hausmeister in Brasilien fast fertig gemacht worden wäre.

Die Möglichkeiten, die sich zu kriminellen Taten eröffnen, wenn über eine Million Bundesbürger (von denen ganz sicherlich auch ein paar kriminell sind) nach Belieben Zugriff zu allen unseren Konten haben, sind Legion. Vom „Fertigmachen“ über Erpressungen bis hin zu „Schutzgeldzahlungen“

Vielleicht sind diese Möglichkeiten, verhindern zu können, dass ein „Kleiner Mann“ eventuell gegen einen aussagt, sogar entscheidend gewesen, als unsere allseits geliebten Politiker dieses Gesetz beschlossen haben.


Veröffentlicht am 8. November 2007 in der Berliner Umschau

Originalartikel


Hier geht es zu Teil 1 und Teil 2 von 'Der gläserne Normalbürger'

Donnerstag, 8. November 2007

China, die neue Supermacht - oder doch nicht?

Verkauft China seine Dollars?

Von Karl Weiss

Eine Anzahl von Meldungen aus den letzten beiden Wochen legen nahe: China ist bereits zu einer Supermacht herangewachsen und beginnt nun in den Wettbewerb mit der vorher einzigen Supermacht, den USA, zu treten.

Zuerst, noch im Oktober, ging die Meldung um die Welt: Im September hat China Deutschland bereits als Exportweltmeister ausgestochen. Zwar wird Deutschland in der Gesamtrechnung der Exporte für 2007 wahrscheinlich noch einmal die Nase vorn haben und wieder Exportweltmeister sein, aber für das kommende Jahr ist bestenfalls ein zweiter Platz drin.

Wirtschaftsmacht China

Dann kam die nächste: Voraussichtlich wird China im kommenden Jahr nach dem PPP-Vergleich (siehe auch diese beiden Dossiers hier und hier)
bereits das höchste Sozialprodukt auf der Welt haben und sowohl die USA alleine als auch die EU als Ganzes überholt haben.

Auch wenn China nach dem Wechselkurs-Vergleich noch deutlich hinter den USA im GNP (Gross National Product) liegt, so ist doch die Dynamik der chinesischen Wirtschaft im Moment eine Vielfache der US-Wirtschaft und das Gleichziehen erscheint so nur eine Frage der Zeit. Zudem ist der ständig fallende Wert des Dollars gegen alle anderen Währungen ein Faktor, der die Bedeutung der Wirtschaftsmacht USA beständig verringert.

Dann kamen zwei Nachrichten vom 6.11.: PetroChina, das am Vortag an die Börse ging, wurde bereits am ersten Tag zum größten Unternehmen der Welt mit einem Aktien-Gesamtwert von über 1 „Trillion“ (das ist nach deutscher Zählweise eine Billion, also 1000 Milliarden) Dollar. Am gleichen Tag auch eine andere Meldung: Es wurde ein „Rotes Telefon“, eine Direktleitung von Washington nach Peking gelegt, damit sich die Präsidenten im Zweifelsfall direkt unterhalten können.

All dies belegt: Die Zeit, als die USA alleinige Supermacht waren, sind vorbei. Wir haben wieder die Situation von zwei Supermächten und einer Anzahl von Grossmächten, wie vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion, nur diesmal mit China als zweiter Macht.

Macht der Supermacht USA begrenzt

Dazu kommt, die Basis der bisher einzigen Supermacht USA ist auch in anderer Hinsicht angeschlagen. Zwar hat man noch die grösste Wirtschaft der Welt, zwar hat man noch die Weltleitwährung, zwar werden fast alle Erdölkontrakte noch in Dollar ausgefertigt, zwar ist die USA weiterhin die bei weitem stärkste Militärmacht auf der Welt und niemand kann es wagen, sich mit dieser Supermacht auf gleicher Augenhöhe militärisch anzulegen, aber der Einfluss der USA auf alle Abläufe auf der Welt, der bis zum Afghanistan- und Irak-Überfall in praktisch allen Fällen ausschlaggebend war, ist heute begrenzt, wenn auch immer noch gross.

Die Faszination, die das „strahlende Amerika“ mit seinen Filmen und seinem Pioniergeist in praktisch jedem Land ausübte, ist verblasst. Die Absurditäten der militärischen Überfälle auf arme Länder mit Folter und Massakern, nur notdürftig kaschiert unter dem Mäntelchen „Demokratie bringen“, haben Millionen und Abermillionen von kritischen Menschen überall auf der Welt zu „US-Skeptikern“ gemacht und das hat weit tiefergreifende Auswirkungen, als es die Strategen in Washington vorausgesehen hatten und wahrhaben wollen.

Ein Beispiel war die Abstimmung über die Kuba-Sanktionen letzte Woche in der UN-Vollversammlung. Die US-Sanktionen gegen Kuba wurden mit 180 Stimmen gegen 4 bei einigen wenigen Enthaltungen verurteilt und die USA aufgefordert, sie einzustellen. Die vier Stimmen dagegen waren die der USA, Israels sowie von zwei winzigen US-Protektoraten im Pazifik, die rein formal als eigenständige Länder fungieren.

Zwar hatte diese Abstimmung keinerlei reale Bedeutung, weil die US-Regierung sich natürlich einen feuchten Kehricht um eine solche Verurteilung schert, aber sie war doch gleichzeitig ein Menetekel: USA und Israel sind isoliert auf der Welt. Soweit sie noch Anhänger haben, dann nur wegen tatsächlicher Abhängigkeiten oder wegen ideologischem Gleichklang.

„Business as usual“

Natürlich herrscht in Washington „business as usual“, aber langsam wird die Tatsache, dass man Gesellschaft bekommen hat auf der Ebene „Supermacht“, sich langsam auch ins Bewusstsein des offiziellen Washington einschleichen.

Dabei sind die beiden neuen Supermächte in einer speziellen und engen Weise miteinander verbunden, ja sogar aneinandergekettet, die einen gewaltigen Unterschied zum Zustand der zwei Supermächte USA und Sowjetunuion ausmacht, wie er bis etwa 1990 herrschte. Das ganze chinesiche Währungssystem und damit auch die ganze Wirtschaft sind nämlich basiert auf einer imensen Anhäufung von Dollars und Dollarbonds im chinesichen Staatsschatz.

Wirtschaftsmacht China 1

Jeder Fall des Dollar schwächt auch China und China hat das allergrösstes Interesse, den Dollar so stark wie möglich bleiben zu lassen und ihn weiterhin als Weltleitwährung zu haben. Andererseits will China aber selbst Supermacht werden und das geht nur, wenn man etwas von den USA abknapst.

Damit steht der Wirtschaftkoloss China vor einer praktisch unlösbaren Aufgabe: Einerseits die seiner wirtschaftlichen Stärke angemessene internationale Stellung einzunehmen, was ja im wesentlichen auf Kosten der Vereinigten Staaten gehen muss, auf der anderen Seite aber die Kraft der Wirtschaft der USA, wenn möglich, unverändert lassen, um den Dollar als Basis Chinas nicht zu schwächen.

Wahrscheinlich wird allerdings die tatsächliche Entwicklung den Chinesen gar nicht viel Spielraum lassen. Wenn, wie vorauszusehen, die Wirtschaft der USA unweigerlich in eine Krise schlittert, wenn der Dollar weiterhin beständig an Wert verliert, wenn die Kaufkraft des Kunden „US-Markt“ angeschlagen wird, dann wird China mitleiden, ob es will oder nicht.

Wohin das im Einzelnen führt, kann man nicht sagen.

Sieht man das Ganze aus der Sicht der US-Regierung, so ist die Drohung riesig und man möchte nicht in deren Haut stecken. Nicht nur, dass der chinesische Drache das Haupt erhebt, er hat auch die Hand auf einer Anzahl von Dollars und Dollar-Bonds, die ausreicht, die USA in den Bankrott zu treiben, wenn man will.

Würde China jetzt beginnen, massiv Dollars und Dollar-Bonds zu verkaufen, ginge der Dollar und der Wert seiner Bonds in den Keller – und das könnte heissen ins achzehnte Untergeschoss. Die gesamte Wirtschaftsmacht USA wäre stark angeschlagen und von einer Supermacht könnte keine Rede mehr sein.

Wie man am Beispiel der Sowjetunion gesehen hat, muss hinter einer grossen Militärmacht immer auch eine grosse Wirtschaftsmacht stehen, sonst ist es aus mit der Rolle als Supermacht.

Gleichzeitig würde aber ein völliger Verfall des Dollars die Basis der chinesischen Wirtschaft bis ins Mark erschüttern. Das wäre dann auch schon das Ende der eben errungenen Position der zweiten Supermacht.

Das Ergebnis könnte in diesem Fall eine polyzentrische Welt werden, in der eine Anzahl grosser Mächte um die Vorherrschaft kämpfen.

Es könnte aber auch sein, dass China es doch schafft, sich von der Bindung an den Dollar zu lösen, ohne seine extreme wirtschaftliche Dynamik zu verlieren. Dann könnte wieder ein anderes Szenario aufscheinen: Das mit der einzigen Supermacht China.


Veröffentlicht am 7. November 2007 in "Nachrichten-heute"

Originalartikel

Mittwoch, 7. November 2007

Brasilien: São Paulo ist Meister

Fussball: Brasilien und Südamerika

Von Karl Weiss

Bereits 5 Spieltage vor Schluss ist der São Paulo F.C. nun auch rechnerisch Meister der A-Serie der brasilianischen Fussballmeisterschaft. Mit einem Sieg gegen Sport Recife im heimischen Morumbi-Stadion mit Anrecht auf eine Freistoß-Tor des Torhüters Sene wurde endgültig abgesegnet, was bereits seit dem Sieg gegen den damaligen Haupt-Verfolger Cruzeiro Belo Horizonte klar war: Der Club aus der größten Stadt südlich des Äquators hat mit Abstand die beste Saison hingelegt.

Das Geheimnis der Mannschaft ist die Abwehr und der Torhüter. Dies wird deutlich, wenn man die Zahl der geschossenen und erhaltenen Tore ansieht. In der aktuellen Tabelle vom Abend des 4. November 2007, mit 3 Spieltagen ausstehend, hat São Paulo nur 13 Tore in der ganzen Saison hinnehmen müssen und 14 Punkte Vorsprung vor dem Zweiten. Der zweitbeste in dieser Spalte ist Fluminense Rio de Janeiro, heute Sechster, mit 34 Gegentoren!

Obwohl Torhüter Rogerio Sene, der Freistöße schießen kann wie sonst (fast) nur noch Ronaldinho, schon nicht mehr der jüngste ist, gehen Gerüchte um ein Angebot aus Europa für ihn um. Da allerdings nach allgemeiner Kenntnis Mailand keinen dritten großen Club hat, sind seine Chancen für einen lukrativen Europa-Vertrag wohl gering. (Anmerkung: Die beiden anderen überragenden brasilianischen Torhüter, Dida und Julio Cesar, spielen bei den beiden mailändischen Vereinen A.C. respektive Inter.)

Der Angriff des Meisters dagegen ist nur durchschnittlich: Mit 51 erzielten Toren bleibt man hinter dem besten Sturm, dem von Cruzeiro, jetzt Dritter (71), hinter Náutico Recife, Fünfzehnter (61), Botafogo Rio de Janeiro, Achter (56), Santos, heute Zweiter (52), Flamengo Rio de Janeiro, Vierter (52), Sport Recife, Dreizehnter (52), Atlético Mineiro Belo Horizonte, Vierzehnter (52 und gleichauf mit einer Anzahl anderer Clubs, darunter dem Elften, Figuerense Florianópolis.

Der Meister in seiner besten heutigen Besetzung kann auf internationalem Niveau absolut mithalten, auch wenn keine einziger der Spieler über das Land hinaus bekannt ist. Das wurde belegt, als sich São Paulo vor kurzem in der Copa Sulamericana gegen Libertadores-Sieger Boca Juniors Buenos Aires durchsetzte. Man könnte heute auf gleicher Augenhöhe einen F.C. Bayern München, Barcelona, A.C. Mailand oder Real Madrid begegnen.

Damit ist São Paulo gleichzeitig auch Rekordmeister mit 5 Meisterschaften. Brasilianische Meisterschaften, bis vor vier Jahren noch als Turniere ausgetragen, gibt es erst seit 1971.

Allerdings gibt es eine Polemik über das Jahr 1978, in dem 13 Vereine eine eigene „Gegenliga“ aufmachten und ihren eigenen Meister kürten, damals Flamengo. Der „offizielle“ Meister des Fussballverbandes war dagegen Sport Recife. So kommt es, dass der Verband für Flamengo nur 4 Meisterschaften zählt, während alle Anhänger von Flamengo wissen, man hat 5 Meisterschaften gewonnen und São Paulo hat jetzt lediglich aufgeholt.

Was jetzt noch offen ist und an den letzten drei Spieltagen für viel Aufregung sorgen wird, ist, wer sich mit den Plätzen zwei, drei und vier für die Libertadores des nächsten Jahres qualifizieren wird, wer in der zweiten Jahreshälfte an der Copa Sulamericana teilnehmen darf (Plätze 5 bis 11) und wer in den sauren Apfel beissen muss und absteigen.

Im Moment sind es Santos, Cruzeiro und Flamengo, mit nur vier Punkten Abstand zwischen ihnen, die auf den Libertadores-Plätzen stehen. Dabei ist Flamengo allerdings nur durch das Torverhältnis von zwei Verfolgern getrennt, Palmeiras São Paulo und dem Lokalrivalen Fluminense.

Im Abstieg steht bereits fest, América Natal und Juventude Caxias do Sul müssen im nächsten Jahr in der B-Serie antreten. Die beiden anderen Abstiegsplätze sind aber heftig umkämpft.

In einer Energieleistung hat Paraná Curitiba, das fast schon abgeschlagen auf dem drittletzten Platz lag, durch mehrere Siege, zuletzt gegen den Mitkandidaten Goiás Goiánia, Anschluss gefunden und ist heute Punktgleich mit Goiás, das nun auf dem viertletzten Platz liegt. Corinthians São Paulo, vor zwei Jahren noch Meister, nach Flamengo der Verein mit der größten Anhängerschaft in Brasilien, konnte am letzten Sonntag mit dem Ausgleich in der 92. Minute einen wertvollen Punkt gegen den Tabellen-Neunten, Atlético Paranaense Curitiba erringen und liegt jetzt einen Punkt vor dem Abstiegsplatz. Aber es ist noch nichts entschieden.

Die beiden anderen Abstiegsplätze werden zwischen Náutico, Corinthians, Goiás und Paraná ausgetragen, wobei es am 11.11. noch zu einem 6-Punkte-Spiel zwischen Goiás und Corinthians auf der Serra Dorada in Goiás kommen wird.

Die besten Chancen zu entkommen hat wohl Náutico, mit den meisten Punkten, mit zwei Heimspielen, u.a. noch gegen den abgeschlagenen Tabellenletzten América. In höchster Not ist Paraná, das noch zwei Auswärtsspiele hat, die geringste Punktzahl und das Heimspiel gegen den Zweiten Santos. Zwischen Goias und Corinthians dürfte der viertletzte Platz vergeben werden. Dieses Duell kann Goiás bereits am kommenden Sonntag in der direkten Begegnung für sich entscheiden. Sollte dem Meister in Unentschieden Corinthians (bereits 12 Unentschieden in dieser Saison) aber in Goiánia wieder ein Unentschieden gelingen, ist alles offen.

Inzwischen wurden auch die nächsten Spiele in der diesjährigen Copa Sulamericana ausgetragen.

Die beiden letzten brasilianischen Vereine sind bereits ausgeschieden. Vasco Rio de Janeiro konnte erwartungsgemäss die 2: 0 – Niederlage in Mexiko-Stadt gegen America nicht wettmachen, gewann nur 1: 0 und schied aus. São Paulo musste dagegen büssen, dass das entscheidenden Spiele gegen die Millionarios aus Kolumbien mit einer Ersatzmannschaft bestritten werden musste, weil man gerade in einer kritischen Phase in der Meisterschaft war und die brasilianische Meisterschaft Vorrang hatte. Zu Hause verlor man 1: 0 und auf der Höhenlage von 2500 m in Bogota sogar 2: 0 und war damit auch draussen.

In den anderen beiden Viertelfinalen setzten sich die beiden verbliebenen argentinischen Vereine durch. Arsenal konnte überraschend mit einem 3:1-Auswärtssieg Chivas aus Mexiko ausschalten, während River Plate Buenos Aires trotz der Verlegung der Spiele mit dem uruguayanischen Vertreter Defensor Montevideo auf Zeitpunkte nach allen anderen Spielen mit einen 2:2-Unentschieden auf der anderen Seite des Rio de la Plata ein gutes Ergebnis erzielen, das zu Hause dann ein 0:0 –Unentschieden wegen der Auswärtstore zum Weiterkommen ausreichen liess.

Im Halbfinale treffen jetzt die beiden argentinischen Vertreter aufeinander, mit Hinspiel in Buenos Aires am 7.November und dem Rückspiel in Sarandí am 14. River Plate ist Favorit. Es wird also auf jeden Fall ein argentinischer Vertreter im Endspiel stehen.

Im zweiten Halbfinale trifft America Mexiko-Stadt auf die kolumbianischen Millionários, was eigentlich kein Problem für den mexikanischen Meister darstellen dürfte. Die Höhenlage in Bogota, die dem kolumbianischen Club immer einen Vorteil gab, greift ja gegen den Verein aus der mexikanischen Hauptstadt nicht, denn die liegt noch höher. Zudem ist das Rückspiel in Mexiko.

Damit sind zwei Endspiele zwischen River Plate Buenos Aires und America Mexiko-Stadt am 29. November und 5. Dezember zu erwarten. Favorit ist America, zumal es das Rückspiel wieder in der Höhenlage in Mexiko-Stadt haben würde.


Veröffentlicht am 7. November 2007 in der Berliner Umschau

Originalartikel

Samstag, 3. November 2007

Vorbeugender Todesschuss in der EU offiziell eingeführt

Scotland Yard schuldig - keinerlei Konsequenzen

Die Ermordung von Jean Charles Menezes wird ungesühnt bleiben

Von Karl Weiss

Der Fall Jean Charles Menezes: Am 1. November ist in London der zweifelhafte Ersatzprozess zu einem Schuldspruch gekommen, den die britische Justiz gegen “die Polizei” statt gegen die verbeamteten Mörder veranstaltet hat. Scotland Yard wurde für schuldig erklärt. Der Richter erklärte in seiner Zusammenfassung der Ermittlungsergebnisse, die Polizei führte ihre Operation so schlecht durch, dass das Publikum in Gefahr war und Jean Charles erschossen wurde. Folgerungen: keine!

Mit Scheinattentäter verwechselt

Am 22. Juli 2005, zwei Wochen nach den Terroranschlägen in der Londoner U-Bahn mit vielen Toten und einen Tag nach einem Schein-Attentat (Nachahme-Täter ohne funktionierenden Sprengstoff) von vier jungen Leuten, wurde Jean Charles, ein Brasilianer, der legal in Großbritannien lebte und als Elektriker arbeitete, mit einem der vier Verdächtigen des Scheinattentates verwechselt.

Jean Charles Menezes
Hier sei in Gedenken an den Ermordeten sein Bild eingestellt

Als er sich in der U-Bahn gesetzt hatte, stürmten Polizisten einer sogenannten Elitetruppe in Zivil in den Waggon, ohne anzukündigen, sie seien Polizisten. Sie riefen nur „down!, down!“ und schienen in diesem Moment für die Zeugen eine bewaffnete Bande zu sein, die einen Überfall durchführte.

Exekution eines bereits Überwältigten

Jean Charles reagierte so wie andere Passagiere. Er erhob sich und ging in die entgegengesetzte Richtung. Er wurde von insgesamt fünf Polizisten überwältigt und festgehalten. Obwohl er nicht einmal mehr den kleinen Finger rühren konnte, schossen die Polizisten ihm insgesamt acht Mal in den Kopf. Das gesamte Gesicht wurde weggeschossen. Eine Identifizierung war erst Tage später durch einen DNA-Test möglich.

Es wurde also genau das durchgeführt, was Innenminister Schäuble auch bereits für Deutschland gefordert hat: Der vorbeugende Todesschuss bei Terrorverdacht.

Welches Niveau des Verdachts ist notwendig?

Nur hatte Jean Charles absolut nichts mit Terrorismus zu tun. Er hatte nur das Pech, im gleichen Häuserblock wie einer der Verdächtigen zu wohnen. Da kommen wir auch schon zu einem der entscheidenden Punkte: Es wird, wenn von Terrorverdächtigen gesprochen wird, so wie das der Präsident des BKA, der Innenminister, Beckstein und eine Horde weiterer Politiker zu tun pflegen, nie vom Niveau des Verdachtes gesprochen.

Ist er mit höchster Wahrscheinlichkeit in die Vorbereitung eines Teroranschlages verwickelt? Gibt es konkrete einschlägige Zeugenaussagen gegen ihn? Wie ist die Zuverlässigkeit der Zeugen einzuschätzen?

Der Fall Menezes zeigt, nein, man legt sich keineswegs auf wirklich heisse Fährten fest. Ein so minimaler Verdacht wie der, im gleichen Häuserblock wie eine Verdächtiger (nicht etwa eines Terroranschlages, sondern eines Scheinanschlages) zu wohnen, reichte bereits aus, um den vorbeugenden Todesschuss einzusetzen.

Jeder kann unschuldig in Verdacht geraten!

Sie, ich, jeder von uns kann so völlig ohne konkrete Verdachtsmomente innerhalb von Minuten zu einem „potentiellen Terroristen“ werden, denn man in den Kopf schiessen muss, weil er sonst eventuell noch den Sprengstoffgürtel auslösen könnte, den Terroristen ja immer am Körper tragen.

Damit ist auch die landläufige Gegenargumentation widerlegt, wer nichts getan habe, brauche auch nichts zu befürchten. Jean Charles Menezes, nicht mehr erkennbar wegen des fehlenden Gesichtes, winkt uns aus seinem Grab zu: Jeder, jeder kann unschuldig in Verdacht geraten!

Lügen und erschreckende Details

Die Meldungen hier in Brasilien zu dieser Schein-Verurteilung der englischen Polizei beziehen sich meist auf Details, die währenddes Prozesses ans Tageslicht kamen bzw. die als Erfindung der Polizei entlarvt wurden:

Er hätte trotz eines warmen Sommertages eine dicke Jacke getragen, unter der ein Sprengstoffgürtel hätte stecken können. Das war eine Polizeilüge. Er hatte eine leichte Jeans-Jacke an, unter der kein Sprengstoff zu verstecken war. Er sei auf der Flucht vor den Polizisten über eine Absprerrung der U-Bahn gesprungen. Das Video zeigte: Er schlenderte völlig unbedarft in den Bahnhof, holte sich eine Zeitung aus dem Automaten, kaufte ein Ticket, ging ganz ruhig durch die Sperre und bestieg den U-Bahn-Zug.

Andere Polizei-Erfindung: Er sei illegal in England gewesen, deshalb sei er vor Polizisten geflüchtet. In Wirklichkeit hatte er eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Er flüchtete auch überhaupt nicht.

Ebenso wurde deutlich: Er wurde von seinem Haustor bis zur U-Bahn von vielen Zivil-Polizisten überwacht, die über Funk mehrfach die Einsatzleiterin fragten, ob sie ihn nicht ansprechen oder überwältigen sollen. Nach den Aussagen wurde immer wieder Anweisung gegeben, ihn nur zu beobachten.

Die Ausrede für dies unverständliche Verhalten der Einsatzleitung war, man befürchtete, er habe eine Sprengstoffgürtel an und würde ihn zünden, wenn man ihn stoppt. Nur war aber die Behauptung mit der dicken Jacke schon widerlegt und es wurde unhaltbar, weiterhin vom Sprengstoffgürtel zu sprechen. Auch hat noch nie ein Terrorist ausserhalb des Nahen und Mittleren Ostens einen Sprengstoffgürtel benutzt.

Bewusstes Hinlenken auf neue Katastrophe?

Es wird deutlich, es handelte sich darum, man wollte den Zwischenfall bewusst zuspitzen, indem man wartete, bis die „Elitetruppe“ den Verdächtigen erreicht hatte. Das war nämlich erst in jener U-Bahn-Station der Fall. Hier, ausgerecht am Ort mit der grössten Menschenansammlung, liess man nun die Truppe auf den Verdächtigen los.

Pleiten, Pech und Pannen? Nicht unbedingt. Die andere Theorie ist, man wollte, soweit möglich, eine neue zugespitzte Situation schaffen, die dann eventuell endgültig die ganze Bevölkerung dazu gebracht hätte, dem völligen Aussetzen aller bürgerlichen und demokratischen Rechte zuzustimmen.

Laut den Zeugenaussagen hätte Jean Charles, wäre er wirklich ein Terrorist mit Sprengstoffgürtel gewesen, nämlich sehr wohl noch Zeit gehabt, eine Sprengung auszulösen, bevor er überwältigt wurde – in einer vollbesetzten U-Bahn!

Kaltblütiger Mord

Eine Erklärung, warum man ihn, nachdem er keinen Sprengstoffgürtel gezündet hatte und von fünf Polizisten überwältigt und festgehalten war, dann noch erschossen hat (kaltblütiger Mord)– und warum mit so einem Overkill von 8 Schüssen in den Kopf – gibt es nicht. Die Einsatzleiterin hat in mehreren Aussagen in Abrede gestellt, den Tötungsbefehl gegeben zu haben. Die wahrscheinlichste Deutung ist, die „Elitetruppe“ hat den generellen Auftrag, keine Zeugen für ihr Vorgehen zu hinterlassen – auch wenn das in einer vollbesetzten U-Bahn-Station ein wenig absurd ist.

Aber was ist schon nicht absurd an diesem Fall.

Die Mitglieder der „Elitetruppe“ (wenn das die Elite ist, dann stelle man sich die anderen vor!) bekamen vor Gericht das Recht, ihre Aussagen hinter einem dunklen Vorhang und unter einem Code-Namen zu machen. Auch das widerspricht bereits einem rechtsstaatlichen Prozess.

Einmaliger Ausrutscher?

All diese vielen absurden Details lenken aber eigentlich von dem Hauptpunkt ab: War dies ein einmaliger Ausrutscher? Hat man sich entschuldigt und für die Zukunft dafür gesorgt, dass so etwas nicht wieder geschehen kann? Nein, im Gegenteil.

Bereits damals hat der Premier Blair ausdrücklich betont, er werde sich nicht hierfür entschuldigen, denn man hätte so handeln müssen, es hätte sich ja um einen Terroristen mit Sprengstoffgürtel handeln können. Es gab aber gar keine dicke Jacke, unter der ein solcher Gürtel hätte versteckt werden können. Er hatte also in Wirklichkeit einen anderen Grund, denn er benutzte eine Ausrede, wie sich dann ja herausstellte.

Selbstverständlich hat er auch später jegliche Entschuldigung abgelehnt.

Keinerlei Entschuldigung

Auch der andere Verantwortliche, der damalige Chef von Scotland Yard, der zufällig auch Blair hiess, hatt Gleichlautendes gesagt. Alles sei korrekt abgelaufen, kein Polizei-Fehler, nur eine tragische Verwechslung.

Auch der englische Innenminister hat immer wieder betont, gegen mutmassliche Terroristen müsse man so vorgehen. Es handele sich um einen tragischen Unglücksfall, aber das Vorgehen sei völlig korrekt gewesen.

Justiz stützt Vorgehen - keine Straftat

Dazu kommt nun, die englische Justiz hat genau diese Auslegung gestützt, indem sie die Eröffnung eines Verfahrens gegen die verbeamteten Mörder von Jean Charles ablehnte und dies dann auch in der Revisionsinstanz bestätigte. Stattdessen hat sie nun das unwürdige Schauspiel eines Prozesses durchgezogen, der die Polizei verurteilte, nur gibt es keinerlei Konsequenzen.

Vorbeugender Todesschuss offiziell eingeführt

Damit ist der vorbeugende Todesschuss auf eventuell Terrorverdächtige, auch wenn bestenfalls winzigste Hinweise gegen die Person vorliegen (wie das Wohnen im gleichen Häuserblock wie ein Verdächtiger), zur offiziellen EU-Politik geworden. Umso mehr gilt dies natürlich für weniger weitgehende Massnahmen, wie das „Verschwinden-lassen“ (Festnehmen ohne Anklage, ohne Benachrichtigung der Angehörigen und ohne Recht auf einen Anwalt und in Folterhöhlen stecken).
Der grosse Bruder von jenseits des Atlantik hat es uns vorgemacht, nun wird es Zeit, dies auch hier zu praktizieren.

Kein Gesetz nötig

Man braucht nämlich, so hören wir Verteidigungsminister Jung sagen, dafür überhaupt keine Gesetze. Dort in England gab es ja keineswegs ein Gesetz, das den vorbeugenden Todesschuß erlaubt hätte. In einem „übergesetzlichen Notstand“ ist der Regierung und ihren Polizisten und Soldaten immer alles erlaubt – und wer den übergesetzlichen Notstand feststellt, ist natürlich die Regierung – dazu ist sie ja Regierung – verstanden? Na endlich.


Veröffentlicht am 2. November 2007 in der Berliner Umschau

Originalartikel

Freitag, 2. November 2007

Sex unter 18? 10 Jahre Gefängnis!

Die Absurditäten der christlichen Extremisten in den USA

Von Karl Weiss

Das Apellationsgericht von Atlanta hat nach vier Jahren die Strafe für Genarlow Wilson aufgehoben, der es gewagt hatte, bereits unter 18 Sex zu haben.

Hieronymus Bosch Der Garten der Lüste

Georgia, der US-Bundesstaat mit der Hauptstadt Atlanta, so etwas wie die Hauptstadt des Südens der USA, ist seit Jahren fest unter der Knute extremistischer republikanischer Christen, die, wie auch in anderen Bundestaaten, die Strafgesetzgebung nach und nach entsprechend ihren Moralvorstellungen umgestalten.

Absurd-hysterische Gesetze

Der junge Genarlow war dort vor vier Jahren zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil er mit seiner zwei Jahre jüngeren Freundin Oralsex gemacht hatte. Diese Art absurd-hysterischer Gesetze wird über die EU jetzt auch versucht, Europa überzustülpen.

Genarlow hatte mit 17 Jahren eine Freundin, die 15 war. Beide hatten Oralsex und das war herausgekommen. Dies wurde laut einem damals neuen Gesetz als „Kindsmissbrauch“ geahndet, weil in vielen Staaten der USA – und nach einer Gesetzesvorlage der Bundesregierung bald auch in Deutschland – alle unter 18 als „Kinder“ definiert werden und damit der gesamte Bereich von Sex unter Gleichaltrigen, die unter 18 sind, unter „Kinderschändung“ fällt.

Hieronymus Bosch, Garten der Lüste, Ausschnitt 17

Interessant die Frage, warum die junge Dame nicht auch wegen Kindsmissbrauch angeklagt wurde, da sie doch ebenfalls Oralsex mit einem 17-jährigen „Kind“ gemacht hatte.

Oralsex ist pervers

In Georgia, wie auch in anderen von den christlichen Extremisten gehaltenen US-Staaten (z.B. auch Michigan, also nicht nur Südstaaten; siehe den Fall in Michigan hier) kam noch die Besonderheit hinzu: Man hatte keine so schwere Bestrafung für „normalen“ Sex unter Minderjährigen vorgesehen, aber sehr wohl für angeblich perverse Abarten. Darunter fällt nach der Meinung christlich-extremistischer Spinner der Oralsex. Näheres hierzu in diesem Artikel.

Hätte Genarlow mit seiner Freundin nur Sex mit Penetration gemacht, wäre die Höchststrafe 12 Monate Gefängns gewesen. Auch bereits absurd, aber die christlichen Hysteriker sind erprobt darin, immer absurdere Strafbestände zu schaffen.

Keine vorzeitige Entlassung auf Bewährung

Nun hatte Genarlow in Erwartung von zwei Jahren abgebüsster Gefängnisstrafe zum ersten Mal die Möglichkeit, um eine vorzeitige Entlassung auf Bewährung zu bitten und tat dies. Doch der Staatsanwalt tat alles, um seine vorzeitige Entlassung zu verhindern. Auch er ist offensichtlich einer jener „wiedergetauften“ Christen vom Typ Bush, die sich als der wandelnde Wille Gottes auf Erden begreifen.

Bosch, Garten der Lüste, Ausschnitt 18

Der junge Genarlow, verurteilt 2004, ist seit Dezember 2005 im Gefängnis. Sein Anwalt hat dann, da die vorzeitige Freilassung aussichtslos erschien, eine Revision des Verfahrens angestrengt.

Soeben ist die Entscheidung des Appelationsgerichtes mit 4 zu 3 Stimmen gefallen: Die Strafe für Genarlow wurde aufgehoben. Die Mehrheit argumentiert, die Tat von Genarlow sei zwar bestrafenswert gewesen, aber doch in der Schwere nicht mit dem Missbrauch eines Kindes durch einen Erwachsenen zu vergleichen. Die Minderheit dagegen bezog sich auf den zur Tatzeit geltenden Gesetzeswortlaut, der tatsächlich im Fall erschwerender Umstände eine Strafe von 10 Jahren vorsah. Als erschwerender Umstand wurde der Fakt des Oralsexes eingestuft.

Keine Freilassung

Wenn man meinte, Genarlow sei nun freigelassen worden, so irrte man. Im Fall von Aufhebung von Bestrafungen hat die Staatsanwaltschaft das Recht auf eine neue Verhandlung, wenn sie dies beantragt, was hier wohl erfolgen wird. Dann wird es von der Entscheidung eines weiteren Richters abhängen, ob Genarlow bis zu jenem Prozess in Freiheit kommt oder ihn im Gefängnis abwarten muss.

Bosch, Garten der Lüste, Ausschnitt 2

Für Genarlow wird es einen riesigen Unterschied ausmachen, ob es bei der Aufhebung seiner Strafe bleibt oder ob er vorzeitig auf Bewährung entlassen wird, denn in den USA ist jeder rechtskräfteig wegen eines Sexualdeliktes Verurteilte sein Leben lang gebrandmarkt.

Lebenslängliche Brandmarkung

Er muss sich lebenslänglich mit seinem Aufenthaltsort melden und wird dann im Internet als „Sex Offender“ gebrandmarkt, mit Foto, Adresse und Benennung seiner Straftat (in diesem Fall „sexueller Angriff mit erschwerenden Umständen auf Minderjährige“).

Bosch, Garten der Lüste, Ausschnitt 7

Auch in Europa beginnen die Regierungen und speziell in Deutschland die christliche Union unter Frau Merkel bereits die ersten Gesetze dieser Art zu versuchen, heimlich, still und leise durch den Bundestag zu bringen. Die entsprechenden Artikel zu diesen Umtrieben sind die beiden Dossiers Verschärfung Sexualstrafrecht Teil 1 und Teil 2.

Zusatz zum Artikel (November 2008)

Mit Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt am 4. November 2008 ( hier: http://www.bgblportal.de/BGBL/bgbl1f/bgbl108s2149.pdf ) sind die wesentlichen Neuerungen dieses absurden Gesetzes nun Wirklichkeit in Deutschland geworden. Wie jeder weiss, hat keine Zeitung, kein Fernsehen, über die Verabschiedung berichtet. Man kann ohne Übertreibung sagen, es wurde heimlich durchgezogen. Dies vor allem, weil den einschlägigen Politikern natürlich klar war, was sie da beschlossen.

Das entscheidende ist, man hat nun Instrumente in der Hand, fast jeden beliebigen Menschen in Deutschland unter schwerste Anklagen zu stellen, die ihn der abscheulichsten Verbrechen anklagen, die man sich vorstellen kann („Kinderporno-Verbreitung“). Da die Regelung der „wirklichkeitsnahen Beschreibungen“, des neuen Kinderporno-Alters bis achtzehn und der Einbeziehung von Personen, die aussehen, als ob sie jünger wären, beschlossen wurden, ist nun fast jeder Porno auch gleich Kinderporno.

Man kann erwarten, dies wird keineswegs breit angewandt werden. Dazu haben die Staatsanwaltschaften auch keine Zeit noch Personal. Es geht darum, Material gegen Dissidenten zu haben. Kann man einen politischen Dissidenten mit einer Anklage wegen Kinderporno überziehen, ist er völlig unglaubwürdig geworden.



Veröffentlicht am 1. November 2007 in "Nachrichten - heute"

Originalartikel


Hier eine Anzahl Links zu anderen Artikeln im Blog zu hysterischen Kinderporno-Verfolgungen, christlich-extremistischen Absurditäten und Sexualstrafrechts-Verschärfungen:

- USA: Absurditäten des religiösen Extremismus

- Schnüffeln im Sexualleben der Bundesbürger

- ...promt ging die Sache in die Hose –Rasterfahndung hätte um ein Haar eine Firma gekostet

- Schon in den USA, bald auch bei uns – Gefängnis für Sex unter 18

- Die Zukunft der USA unter den extremistischen Christen

- Sex?? Gefängnis!!

- Operation Ore, Teil 1: Der grösste Polizei-, Justiz- und Medien-Skandal des neuen Jahrtausends

- Operation Ore, Teil 2: Die Berühmtheiten unter den Verdächtigten, die Rolle der Polizei

- Operation Ore, Teil 3: Die Rolle der Politik und der Medien

- Dossier Verschärfung Sexualstrafrecht, Teil 1

- Dossier Verschärfung Sexualstrafrecht, Teil 2

- Die Dossiers Verschärfung Sexualstrafrecht

- Schärferes Sexualstrafrecht soll Donnerstag durch den Bundestag

- Hurra! Sie haben es gestoppt

- Justiz im US-Bundesstaat New Jersey: Kein Internet für „Sex Offenders“


Zusatz zum Artikel (5.7.08)

Nur um einen ungefähren Eindruck zu geben, mit welcher Grössenordnung von Problem man in einem "normalen" Land zu rechnen hat, wenn Sex mit 15-jährigen Mädchen oder jüngeren auch dann als "Kinderschänden" bestraft wird, wenn es sich um einverständlichen Sex unter (fast ) Geichaltrigen handelt, hier eine aktuelle Zahl aus Brasilien:
Bei einer anonymen Umfrage mit repräsentativem Charakter wurden u.a. die Mädchen befragt, mit welchem Alter sie das erste mal Sex hatten (die Frage bezog sich dabei eindeutig auf "richtigen" Sex, also Penetration): Das Ergebnis: Schon mit 15 oder jünger hatten Sex 36% (in Worten: sechunddreissig) der Mädchen!

Donnerstag, 1. November 2007

Bert Brecht - Die Resolution der Kommunarden

Da das Topic Alternativ-Politik in diesem Blog etwas unterbelichtet ist, stelle ich hier ein Gedicht von Bert Brecht ein, das ich gerade ausgegraben habe und das für sich selbst spricht.
Karl Weiss


Resolution der Kommunarden

Von Berthold Brecht

In Erwägung unserer Schwäche machtet
ihr Gesetze, die uns knechten soll'n
die Gesetze seien künftig nicht beachtet
in Erwägung, daß wir nicht mehr Knecht sein woll'n

In Erwägung, daß ihr uns dann eben
mit Gewehren und Kanonen droht
haben wir beschlossen,
nunmehr schlechtes Leben
mehr zu fürchten als den Tod.

In Erwägung, daß wir hungrig bleiben
wenn wir dulden, daß ihr uns bestehlt
wollen wir mal feststell'n,
daß nur Fensterscheiben
uns vom Brote trennen, das uns fehlt.

In Erwägung, daß da Häuser stehen
während ihr uns ohne Bleibe laßt
haben wir beschlossen, jetzt dort einzuziehen
weil es uns in uns'ren Löchern nicht mehr paßt.

In Erwägung, es gibt zuviel Kohlen
während es uns ohne Kohlen friert
haben wir beschlossen, sie uns jetzt zu holen
in Erwägung, daß es uns dann warm sein wird.

In Erwägung, es will euch nicht glücken
uns zu schaffen einen guten Lohn
übernehmen wir jetzt selber die Fabriken
in Erwägung, ohne euch reicht's für uns schon.

In Erwägung, daß wir der Regierung
was sie immer auch verspricht, nicht trau'n
haben wir beschlossen, unter eig'ner Führung
uns ein gutes Leben aufzubau'n .

In Erwägung, ihr hört auf Kanonen
and're Sprachen könnt ihr nicht versteh'n
müssen wir dann eben, ja das wird sich lohnen
die Kanonen auf euch dreh'n.

Mittwoch, 31. Oktober 2007

Fussball-WM 2014 in Brasilien - ja und?

Die Königlichen Hoheiten winken huldvoll aus den Ehrenlogen

Von Karl Weiss

Als die Entscheidung der Vergabe der Fussball-WM 2014 nach Brasilien bekanntgegeben wurde, gab es in Brasilien nicht ein einziges Freudenfeuerwerk. Das hing natürlich auch damit zusammen, dass Brasilien als einziger Kandidat übriggeblieben war und man bereits wusste, wer ausgewählt wurde. Aber es hing auch damit zusammen, dass der Fussball in Brasilien eine Sache ist, in der ein Fan bestenfalls als passiver Konsument geduldet wird. Wie im Kaiserreich wird alles von oben gesteuert und niemand hat ein Mitspracherecht.

Romario und Parreira beim Abschiedsspiel

Nun, das ist wohl auch nicht so wesentlich anders als im ‚Kaiserreich’ F.C. Bayern München oder beim DFB. Fans sind zwar im Fussball durchaus willkommen – als willenlose Claqueure. Aber als erwachsene Menschen, die einen Anspruch darauf haben, gehört zu werden, sind sie in allen Ländern den Fussball-Oberen nicht genehm.

Man stelle sich vor, ein Mayer-Vorfelder hätte regelmässige Umfragen über anstehende Fragen unter Fans durchführen lassen. Das ist in etwa so, als ob der Sonnenkönig Ludwig der Vierzehnte von seinen diversen weiblichen Gespielinnen gelassen hätte.

Und so ist es mit dem Fussball bis heute in fast allen Ländern. Wer eine Ausnahme kennt, ist mit seinem Kommentar willkommen.

Die Fans in Brasilien lassen ganze Feuerwerke bei jedem Tor ihres Vereins in die Lüfte steigen, aber die WM im eigenen Land (auch wenn man es schon vorher wusste) war keine Feier wert. Rein zufällig war der Berichterstatter vor einigen Jahren auch an jenem Tag in Deutschland, als verkündet wurde, die WM 2006 werde in Deutschland stattfinden. Auch damals: Keine Freudenfeuer, keine spontanen Zusammenkünfte, um zu feiern. Fussball ist aufgeteilt in die „Grosskopferten“, die bestimmen, und uns, die wir zu konsumieren haben.

Fussball ist ein letztes Überbleibsel des Feudalismus. Herrscher defilieren, lassen sich feiern oder weisen harsch Kritik zurück. Die Politiker schwänzeln um den Fussball herum wegen seiner Popularität und übergeben öffentliche Gelder in ungeahntem Ausmass an die Veriene.

Die Sauereien, die Korruption, der Missbrauch öffentlicher Gelder, die Schiedsrichterskandale, die Steuerhinterziehung, all das ist international. Inter Mailand, Real Madrid, Borussia Dortmund, alle schon dreimal bankrott und doch sind sie da. Gesponsort mit Steuergeldern? Die Präsidenten von Vereinen, die sich reich geschwindelt haben: Bis heute wurde noch kein einziger zur Rechenschaft gezogen.

Die FIFA hatte eine Rotation der Kontinente beschlossen, um die extreme Dominanz, die Nordamerika und Europa bei der Austragung der Fussball-WMs hatten, etwas zu mildern. Nach der „Asien-WM“ 2002 in Japan und Südkorea war Europa dran, diesmal mit Deutschland 2006. Danach wurde Afrika ausgewählt und innerhalb kurzer Zeit stellte sich Südafrika als einzig übriggebliebener Kandidat für die WM 2010 heraus.

Als nächstes kam Südamerika dran, wo schon seit 1950 nur noch eine Weltmeisterschaft stattgefunden hatte, in Argentinien 1978. Argentinien winkte schnell ab als möglicher Kandidat. Nur Kolumbien und Brasilien blieben über. Doch Kolumbien hatte keine Chance, denn man hatte an dies Land bereits die WM 1986 vergeben gehabt, doch es musste diesen Auftrag zurückgeben, weil es in einem Bürgerkrieg versunken war; Mexiko sprang in die Bresche. So gab Kolumbien denn auch bald auf. Blieb nur Brasilien, immerhin der einzige fünfmalige Gewinner dieser Weltmeisterschaft. Das letzte Mal war die WM 1950 in Brasilien gewesen.

Um den feudalistischen Charakter des Weltfussballs richtig deutlich zu machen, kam es denn auch bei der Pressekonferenz, welche die Fifa gestern zusammen mit den Repräsentaten Brasiliens, unter ihnen Präsident Lula, im neuen aufwendigen FIFA-Gebäude in der Schweiz anlässlich der Verkündigung der „Wahl“ Brasiliens für die WM 2014 abhielt, zu einer Szene des Zusammenstosses zweier Welten, wie sie nicht charakteristischer hätte sein können.

Der Präsident des brasilianischen Fussball-Verbandes Teixeira ist der Schwiegersohn von João Havelange, dem legendären brasilianischen Sonnenkönig im Fussball, lange Jahre “Besitzer“ der FIFA. Wie die Regeln es wollen (natürlich gibt es keine weibliche Erbschaft der Macht im Fussball) wird der Schwiegersohn der neue König. So steht auf der einen Seite die königliche Phalanx.

Da gab es auf der anderen Seite aber Journalisten aus der heutigen, der realen Welt und die wagten es Fragen zu stellen. Da war eine unwürdige Plebejerin, eine kanadische Journalistin, so kühn, eine „ungehörige“ Frage an seine Majestät, König Teixeira, zu stellen. Sie sagte, Brasilien sei doch, wenn man den Irak und Afghanistan mal ausnehme, das Land mit der höchsten Zahl der Morde auf der Welt und auch sonst geprägt von Gewalt. Was Brasilien denn zu tun gedenke, um bis 2014 zu Umständen zu kommen, unter denen die vielen Besucher nicht in akuter Gefahr wären.

Statt nun den Plan Brasiliens zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität darzulegen – das konnte er auch nicht, denn es gibt ihn nicht – begann der Erbe des Sonnenkönigs mit rotem Kopf zu fragen, wer den die (unverschämte) Fragerin sei, wie ihr Name sei, von welcher Publikation und aus welchem Land.

Kaum hatte er „Kanada“ gehört, begann er zu räsonieren. Die Gewalt sei doch wohl ein internationales Problem und nicht ein spezifisch brasilianisches. So würden in den USA (immerhin weiss der Mann, dass USA und Kanada in Nordamerika liegen) doch in regelmäßigen Abständen bewaffnete Schüler in die Schulen gehen und reihenweise Menschen umbringen und überhaupt Kanada: Bei der kürzlich ausgetragenen Weltmeisterschaft „unter 20“ dort hätten kanadische Polizisten chilenische Spieler verprügelt.

Tja, so weist man unverschämte Frager zurecht, wenn man König ist.

Der „Clash“ der Kulturen.

Die Brasilianer sind nun natürlich keineswegs traurig, dass die Weltmeisterschaft bei ihnen stattfinden wird. Sie wissen ja auch noch nicht, wie die Eintrittskarten in die Stadien aufgeteilt werden. Sie glauben heute noch, eine reale Chance zu haben, solche Karten zu ergattern, speziell zu den Spielen Brasiliens.

Würde einer von ihnen Kontakt zu deutschen Fussballfans haben, so könnte er erfahren, nur etwa 25% der Eintrittskarten der Spiele der einheimischen Mannschaft werden unter den Fans verlost, die sich im Internet als Kandidaten eingetragen haben. Sie müssen Internet haben und müssen Bankkonto haben, was auf die überwiegende Mehrheit der brasilianischen Fans nicht zutrifft. Ein wesentlicher Teil der Karten wird über die Sponsoren-Firmen verteilt. So trifft sich in den Stadien statt der Fans eine Mischung von unerträglichen Schicki-Mickis mit Kokain-Genuss mit Leuten aus anderen Ländern.

Aber – wie gesagt - das wissen die Fans in Brasilien nicht und so freuen sie sich wirklich ehrlich auf jene Weltmeisterschaft.


Veröffentlicht am 31. Oktober 2007 in der Berliner Umschau

Originalartikel

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