Sonntag, 10. Februar 2008

Die 'Türkei-Connection', Teil 1

Teil 1: Bush versucht den Verkauf von Atom-Geheimnissen nachträglich zu legalisieren

Von Karl Weiss

US-Offizielle haben Atom-Unterlagen an eine private Gruppe verkauft, die sie an Israel und Pakistan weiter dealten (von wo sie an den Iran, Nord-Korea, Libyen und weitere gingen) Die Londoner Times hat veröffentlicht, wie US-Offizielle, beginnend im Jahr 2000, über eine private türkische Gesellschaft hoch geheime Atom-Unterlagen an Israel und an Pakistan (und damit später an den Iran, an Nord-Korea und an Libyen, wahrscheinlich auch an die Türkei und Saudi-Arabien) verkauft haben.

Castor

Dieser Deal wird jetzt von Präsident Bush mit einer geheimen Gesetzesvorlage versucht nachträglich zu legalisieren. Es handelt sich um eine nach dem Atomwaffensperrvertrag international geächtete Tat – und um eine mit Todesstrafe bedrohte in den USA.

Dies ist schlicht unglaublich. Der Schreiber dieser Zeilen hätte es auch nicht geglaubt und Sie nicht mit diesem Artikel belästigt, wäre da nicht ein Detail: Das Detail heißt Londoner Times. Dieses Blatt hat sich auch bereits der Unterschlagung von Fakten schuldig gemacht, aber wenn die Times etwas bringt, dann kann man seine Hand dafür ins Feuer legen: Alles ist bestens recherchiert und jeweils doppelt abgesichert.

Das gilt natürlich erst recht, wenn es ein wirklich heißes Eisen ist, wie in diesem Fall. Ein Eisen so heiß, dass der Präsident der Vereinigten Staaten vor ein internationales wie auch nationales Gericht gestellt werden müsste und eventuell auch noch der vorherige Präsident, sowie dass gegen die Vereinigten Staaten von Amerika Sanktionen des UN-Sicherheitsrats verhängt werden müssten. Aber langsam, alles der Reihe nach.

Zunächst seien hier einmal die drei Artikel der „Sunday Times“ verlinkt, die zu diesem Thema bisher erschienen sind, damit sich jeder überzeugen kann, hier wird keine halbgare Geschichte, basiert auf Vermutungen, erzählt:

6. Januar 2008

20. Januar 2008

27. Januar 2008

Was in diesen drei Artikeln erzählt wird, ist im wesentlichen das folgende:

Im Jahr 2000 kam es zu einem Kontakt einer privaten türkischen Organisation mit dem Namen American-Turkish Council (ATC) mit mehreren Diplomaten der Vereinigten Staaten in der Türkei. Die entscheidende Rolle spielte dabei nach allem, was man heute weiss, Marc Grossmann, ein Karriere-Diplomat und eng mit den Neocons um den US-Präsidenten Bush verbunden, unter Clinton Botschafter in der Türkei. Er war seit 2001 auf hohen Posten des US-Aussenministeriums und wurde kürzlich pensioniert.

Türkei

Doch um kein Aufsehen zu erregen, mussten verschieden Arme der US-Regierung dafür sorgen, dass alles geheim blieb und niemand der Beteiligten zur Rechenschaft gezogen wurde. In „antiwar.com“ heisst es dazu:

“…this group includes not only Grossman, but also Paul Wolfowitz, chief intellectual architect of the Iraq war and ex-World Bank president; former deputy defense secretary for policy Douglas J. Feith; Feith’s successor, Eric Edelman; and Richard Perle, the notorious uber-neocon whose unique ability to mix profiteering and warmongering forced him to resign his official capacity as a key administration adviser”

“..diese Gruppe [der „Unterstützer des Deals“] schliesst nicht nur Grossmann ein, sondern auch Paul Wolfowitz, den hauptsächlichen intellektuelle Planer des Irak-Krieges und ehemaligen Weltbank-Präsidenten; den früheren stellvertretenden Verteidigunsminister Douglas. J. Feith; Feiths Nachfolger Eric Edelmann und Richard Perle, der notorische Über-Neocon, dessen einmalige Gabe, grosse Profite mit Kriegstreiberei zu verbinden ihn zwang, seine offizielle Rolle als hauptsächlicher Regierungsberater aufzugeben.“

Bush und Wolfowitz

Beim ATC handelte es sich offenbar um eine Deck-Organisation für eine vereinigte Gruppe von Geheimdienst-Agenten aus der Türkei, aus Pakistan, aus Israel und aus Saudi-Arabien, die sich unter dem Mantel dieser Organisation mit Abgesandten von US-Stellen trafen, alles unter dem schützenden Mantel der türkischen US-Botschaft und von US-Konsulaten in der Türkei.

Es ging bei der ganzen Sache um hoch geheime militärische Unterlagen der Vereinigten Staaten, darunter solche über die Anreicherung von atomwaffenfähigen Uran, die Herstellung von Atombomben, aber auch um hochmoderne konventionelle Waffen, speziell Missil-Technik. Offenbar hatten die Auftraggeber aus Pakistan (das war nach diesen Erkenntnissen der Chef des pakistanischen Geheimdienstes Inter-Services Intelligence (ISI), Mahmud Ahmad, der 1989 den pakistanischen Diktator Pervez Musharraf an die Macht geputscht hatte) mit Hilfe israelischer Agenten, die viel Einfluss in den USA hatten (diese pakistanisch-israelische Achse benötigt bis heute eine Erklärung), sogenannte Maulwürfe in eine Reihe von akademischen Institutionen einschleusen können, die mit atomaren und anderen Waffen-Entwicklungen beschäftigt waren.

Die Maulwürfe kamen an hochgeheime Informationen und kopierten sie. Diese hochgeheimen Unterlagen mussten dann ausser Landes geschmuggelt werden. Ein risikoreiches Unternehmen! Wer erwischt worden wäre, hätte – wie in praktisch jedem Land - Höchststrafe wegen Landesverrat bzw. Hochverrat zu erwarten und Höchststrafe in den USA ist Todesstrafe. Würde sich wirklich herausstellen, dass Präsident Bush, damals im ersten Amtsjahr, hierin verwickelt war, hätte der Präsident der Vereinigten Staaten die Todesstrafe verwirkt!

Offenbar wurde das Schmuggeln so auf dem sichersten Weg, mit Diplomatengepäck, bewerkstelligt. Dazu mussten Diplomaten bestochen werden. Es flossen offenbar mehrmals und an verschiedene Personen Summen in der Grössenordnung zwischen 15 000 und 75 000 Dollar. Hier kommt anscheinend der damalige Botschafter der USA in der Türkei ins Spiel.

Das ATC war offenbar nur eine Deckorganisation, die direkt zu Mahmad Ahmad führte und von dort gingen die Informationen u.a. an den Vater der pakistanischen Atombombe, Abdul Qadeer Khan.

Pakistan und USA

Auch die in den Deal verwickelten israelischen Agenten bekamen die Informationen und Khan, das weiss man heute, gab all sein Wissen gegen gutes Geld an Nord-Korea, an Libyen und an den Iran weiter. Auch türkische und saudi-arabische Agenten sollen in die Sache verwickelt gewesen sein (man weiss aber nicht, ob deren Regierungen auch die Unterlagen bekamen).

Wenn es also, wie die USA selbst veröffentlicht haben, bis zum Jahr 2003 ein iranisches Atomwaffenprogramm gegeben haben soll, so haben die USA dazu die Unterlagen geliefert. Eventuell erklärt sich auch hieraus, wieso die USA immer weit kürzere Zeiträume angaben, bis zu denen der Iran funktionierende Atomwaffen haben könnte als die Internationale Atomenergiekommission. Wie auch immer, den Iran zu sanktionieren, weil er US-Unterlagen verwenden könnte, die man selbst verkauft hat, das ist schon ein wenig dreist, oder?

Heute kann man bestätigen, die Idee der Nicht-Weiterverbreitung der Atomwaffen ist gestorben. Jedes Land, das einigermassen sicher sein will, wird sich Atomwaffen beschaffen müssen. Die ‚Türkei-Connection’ hat dazu wesentlich mit beigetragen.

Kahn wurde bewiesen, er hatte wirklich seine Kenntnisse über Atomwaffen an verschiedene Länder verkauft und weitergegeben. Er wurde in Pakistan angeklagt und verurteilt deswegen und dann von Präsident Musharraf begnadigt. Ja, genau jener Musharraf, der einer jener blutigen Diktatoren in der Geschichte der Menschheit ist, ein enger Freund und Verbündeter der Regierung der Vereinigten Staaten und im Verdacht, an der Ermordung von Benazir Bhutto beteiligt gewesen zu sein.

Woher wissen wir (und die ‚London Times’) nun eigentlich von diesen Verkäufen von geheimem Nuklearmaterial an solche Staaten, von der Rolle Grossmanns usw.? Diese Informationen stammen von Sibel Edmonds.

Sibel Edmonds war zu jener Zeit (2000/2001) Übersetzerin für türkische Sprachen im FBI. Sie hatte damals viele abgehörte Telefongespräch für den FBI zu übersetzen, denn der FBI war diesem Spionageunwesen auf der Spur. Sie machte, wie dies natürlich Jemand innerhalb des FBI tun muss, Meldung von den Unregelmässigkeiten, von dem Geheimmaterial, das offenbar ins Ausland geschafft wurde und von den offen am Telefon angegeben Stellen zum Abholen der Bestechungsgelder.

Doch sie machte die Erfahrung, das FBI stellte die Nachforschungen (offensichtlich auf Anweisung von oben) ein und stattdessen wurde sie nun angeklagt, Unruhe im FBI verbreitet zu haben und wurde entlassen. Es waren also höchste Stellen selbst einbezogen, die Anweisungen an das FBI geben können!

Als sie mit ihren Kenntnissen an die Öffentlichkeit gehen wollte, erwirkte die US-Bundesstaatsanwaltschaft einen Maulkorb für sie (ein absolutes strafbewehrtes Verbot, über ihre Kenntnisse von innerhalb des FBI zu sprechen), der bis Ende 2007 ging. So kommt es, dass wir nun im Januar 2008 zum ersten Mal Dinge erfahren, die schon Jahre zurückliegen.

Sibel Edmonds ist auch schon vorher als „Whistleblower“ (Denunziant von Regierungs-Ungehäuerlichkeiten) aufgefallen. Sie hatte bei ihrer Übersetzertätigkeit auch Berichte von Agenten zu übersetzen, die eindeutig Erkenntnisse über die Vorbereitungen der Terroranschläge vom 11. September 2001 beinhalteten und die Behauptung der US-Regierung widerlegten, man habe vor den Anschlägen nichts davon gewusst.

Sie hat dies bereits an die Öffentlichkeit gebracht und hat auch vor der 9/11-Kommission ausgesagt. Was sie sagte, wurde aber einfach ignoriert und taucht nicht im Bericht der Kommission auf.

Sibel D. Edmonds

Sibel Edmonds ist, das kann man heute ohne Übertreibung sagen, eine der grossen Heldinnen der Gegenwart. Der Mut und die zähe Kraft, die sie aufbringt, um die Wahrheit ans Licht zu bringen, obwohl sie weiss, sie legt sich mit der mächtigsten Organisation der Menschheit an, ist bewundernswert. Man fragt sich, ob es einen Mann gegeben hätte, der diesen Mut aufgebracht hätte.

Auch ihre Erkenntnisse über die „Türkei-Connection“ hat sie bereits vor einem Parlamentsausschuss in den USA vorgetragen, ohne dass irgendeiner der Abgeordneten es für nötig gehalten hätte, dieser Sache nachzugehen. Unten werden wir noch sehen, warum auch die oppositionellen Demokraten nichts verlauten liessen.

Was hat es nun eigentlich mit Atomgeheimnissen auf sich? Jeder mit ein wenig Physik-Ausbildung weiss heute, wie prinzipiell eine Atombombe funktioniert und jeder mit einer Offiziersausbildung in einem der bestehenden Heere hat auch genauere Kenntnisse, wie man eigentlich eine Atombombe oder Wasserstoffbombe macht. Ähnliches gilt für die Hochanreicherung von Uran.

Die Geheimnisse beziehen sich auf die schwierigen Details. Wer Atombomben bauen will, trifft auf bestimmte typische Schwierigkeiten, die z.B. damit zusammenhängen, dass man dies Ding ja nicht so einfach einmal testen kann. Jeder, der sich schon einmal mit technisch anspruchsvollen Projekten beschäftigt hat, weiss: Der Teufel sitzt im Detail. Für die Herstellung einer funktionierenden und handhabbaren Atombombe ohne Hilfe von aussen braucht auch ein Spezialisten-Team an die 20 Jahre (wenn man nicht unbegrenzte Mittel zur Verfügung hat).

Atombombe 2.Weltkrieg

Die Geheimnisse beziehen sich nun auf die erprobten Lösungen im Detail. Damit kann ein relativ kleines Team innerhalb von 3 oder 4 Jahren eine Atombombe und dann auch eine Rakete zum Verschiessen herstellen.

Nun – soweit mag man das noch nicht als so unglaublich sensationell ansehen. Spione gab es ja schon seit Urzeiten und Verräter in den eigenen Reihen auch. Es wäre also nicht weiter verwunderlich, wenn dies als ganz normale Spionage-Affäre zu einer Anzahl von Festnahmen, zu Prozessen und Verurteilungen führte, wie man dies ja schon kennt.

Die unglaubliche Sensation ist: Nichts dergleichen geschieht! Es gibt keinerlei bekannt gewordene Untersuchungen oder Ermittlungen hierüber, obwohl drei Artikel in der Londoner Times ja nun nicht gerade ein unentdeckbares Versteck darstellen.

Keine einzige Organisation der Massenmedien, weder eine Zeitung, ein Magazin oder ein Rundfunk- oder Fernsehsender berichtete hiervon, obwohl man ja immerhin nun fast einen Monat Zeit hatte, den ersten Times-Artikel zu entdecken, zu lesen und zu veröffentlichen, was da unglaubliches steht.

Auch andere öffentliche Organisationen, z.B. politische Parteien, Parlamente oder die Polizeien oder die Regierungen der westlichen Länder, die ja alle hiervon betroffen sind oder die Justizbehörden irgendeines dieser Länder oder, oder, oder – niemand reagiert. Es ist, als ob die Londoner Times keine Leser mehr hätte, als ob sie ein einsamer Rufer in der Wüste wäre!

Dies allerdings ruft nun wirklich unsere Aufmerksamkeit hervor. Was, in drei Teufels Namen, kann alle diese Institutionen dazu bringen, auf Tauchstation zu gehen und das Spiel der drei Affen zu betreiben: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen?

Es gibt nur eine denkbare Erklärung: Es wurde, wohl ausgehend von der US-Regierung und eventuell über Nato-Kreise und persönliche Verflechtungen, eine generelle Parole ausgegeben, diese Aussagen von Sibel Edmonds und die Artikel der Times zu ignorieren, so zu tun, als gäbe es sie nicht, obwohl die Times schreibt, sie hat die wesentlichen von Frau Edmonds gelieferten Fakten mit ihren Kontaktmännern beim CIA abgecheckt und sie wurden von dort bestätigt. Dass solche „Parolen“ auch mit gewaltigen Nachdruck ausgegeben werden können, um nicht zu sagen von handfesten Drohungen begleitet, kann man sich vorstellen.

Dass dies allerdings so vollständig funktioniert, lässt einen doch erschaudern.

Nun werden Sie sagen, da sist ja ein riesiger Skandal, das ist ja wirklich nicht mehr zu übertreffen, aber wir müssen Sie enttäuschen: Es ist!

Hören Sie nur das folgende: Offensichtlich im Bewusstsein, dass dies bereits so bekannt geworden ist, dass es kaum auf Dauer unter dem Teppich gehalten werden kann, hat man sich offenbar überlegt, was man machen könne, bevor diese Dinge zu Angelegenheiten von Polizei und Justiz werden. Das einfachste ist natürlich, sie einfach für offiziell, für legal zu erklären. Und genau das hat die Bush-Regierung vor.

Am 22. Januar, als also bereits der zweite Artikel hierüber erschienen war, legte die Bush-Regierung einen Gesetzentwurf dem Repräsentanenhaus vor, der schlicht und einfach beinhaltet, Atom-Geheimnisse an die Türkei weitergeben zu können. Seitdem hat man nichts gehört von diesem Gesetzentwurf. Niemand hat ihn erwähnt. Er liegt da ganz still im Kapitol in Washington und wartet.

Auf was? Ganz einfach: Ein von der Regierung eingebrachter Gesetzentwurf, der für drei Monate nicht behandelt wird, ist automatisch angenommen!

Hören Sie sie trapsen, die Nachtigall? Eben!

Man muss jetzt nur drei Monate das Stillschweigen durchhalten, dann ist man aus dem Gröbsten raus.

Da steht in der Begründung auch noch ein kleines Detail, das uns einen weiteren Hinweis gibt, warum nicht wenigstens die Opposition diesen Spionagefall aufdeckt:

Bush schreibt dort, es handele sich um eine Übergabe von Atomgeheimnissen an die Türkei, die bereits 2000 ins Auge gefasst wurde – und zwar von der Clinton-Regierung!
Die war ja im Jahr 2000 und die ersten 15 Tage des Jahres 2001 noch im Amt. Seine eigene Regierung habe die bereits angefangene Aktion fortgesetzt.

So hat er, ob dies nun der Wahrheit entspricht oder nicht, gleich die Demokraten ins Stillschweigeabkommen mit einbezogen. Würden doch auch Clinton und eventuelle Minister und andere Mitglieder seiner Regierung mit betroffen sein. So kann die Sache auch aus dem Wahlkampf herausgehalten werden, denn jeder hat Dreck am Stecken und wird die Affäre nicht ohne Not erwähnen.

Sie haben nun genug von soviel Massenvernichtung, Verbrechen, Spionage, Korruption und politischen Dreck? Wem sagen Sie das?


Veröffentlicht am 9. Februar 2008 in der Berliner Umschau

Originalartikel


Hier geht es zum Teil 2 der 'Türkei-Connection'

Montag, 4. Februar 2008

Der Linkstrend hält an

"Grosse Koalition" weiter geschwächt

Von Karl Weiss

Der eindeutige Linkstrend bei den Bundesbürgern, der sich in allen Wahlen in der Bundesrepublik in den letzten Jahren abzeichnete, hat sich unverändert auch in den Landtagswahlen von Hessen und Niedersachsen weiter manifestiert. Das Hauptergebnis der Wahlen ist ein weiteres Abwenden von den beiden Parteien der „Großen Koalition“, was die Schwierigkeiten dieser Regierung für den Rest der Amtszeit noch weiter erhöhen dürfte.

Die Wahlauswertungen der Landtagswahlen in Niedersachsen und Hessen werden üblicherweise nur an den prozentualen Ergebnissen der Parteien festgemacht sowie an der Zahl der Mandate, die sie erhielt. Das führt aber zu Einseitigkeiten, so wie die Ansicht, die SPD habe in Hessen einen „großen Sieg“ errungen.

Erst wenn man auch die absolute Stimmenanzahl berücksichtigt, die historischen Fakten und die Bewegung in der Wahlbeteiligung, kann man zu Schlüssen über die Entwicklung der Stimmung in Deutschland kommen.

Seit Hartz IV

Tut man dies in Bezug auf die beiden Landtagswahlen vom Sonntag, kommt man zu einer klaren Einschätzung: Die Wähler haben, wie auch schon bei den vorherigen Landtagswahlen und bei der letzten Bundestagswahl, vor allem die beiden „Großen Volksparteien“ in offensichtlicher Weise abgestraft – und das ist nicht ein vorübergehender Trend, sondern eine Grundstimmung, die sich durch alle Wahlergebnisse der letzten Jahre seit Hartz IV zieht.

Dabei gibt es im wesentlichen keinerlei Tendenz, nach rechts zu gehen. Die Parteien am rechten Rand haben sogar noch einen Teil ihrer früheren Stimmen verloren. In Hessen, wo Koch einen Rechtsaussen-Wahlkampf geführt hat, wurde er abgewatscht wie noch kaum vorher ein Politiker in der Bundesrepublik in einer Wahl.

Mit anderen Worten: Es gibt einen generellen Linkstrend in der Wählerschaft. Der drückt sich aus:
  • In einer massiven Schwächung der rechten „Volkspartei“ CDU, die in beiden Ländern massiv Wählerstimmen verlor (keineswegs nur in Hessen!): 324 114 wählten in Hessen nicht mehr die CDU und 469 368 in Niedersachsen.
  • In einer Schwächung der SPD, die nun schon über viele Jahre in dieser Weise vor sich geht. In Niedersachsen, wo die SPD ihren grössten Einbruch bereits bei der letzten Landtagswahl hinnehmen musste, gelang es ihr, noch weiter Wähler zu verlieren und kam zum schlechtesten Ergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik. In Hessen konnte die SPD zwar nicht nur Prozente, sondern auch Wähler dazugewinnen, aber nur in untergeordnetenm Masse bei den Arbeitern (lediglich 1% mehr Arbeiterstimmen). Damit drückt sich hierin keine Umkehr des Trends aus, sondern nur der indirekte Effekt des „ Abstrafens“ von Koch. Sowohl Hessen als auch Niedersachsen waren historische Hochburgen der SPD. Nun hat sie in Hessen lediglich das zweitschlechteste Ergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik geschafft.
  • In der ständig weiter wachsenden Schar der Nichtwähler. In Niedersachsen brach nach einer niedrigen Wahlbeteiligung beim letzten Mal diesmal erneut die Beteiligung um weitere 10% ein und erreichte den historischen Tiefstand von 57%. In einer typischen Arbeiterstadt wie Wolfsburg fiel sie sogar auf 50%.
  • In einer zusätzlichen Abkehr auch von den beiden liberalen Parteien FDP und Grüne. In ihrem Haupt-Stammland Hessen verloren die Grünen 70 000 Wähler bzw. 2,6 Prozentpunkte. In Niedersachsen verloren beide Parteien Wählerstimmen - trotz prozentualen Zuwächsen.
Die Linke 2008
  • In einer in diesem Ausmass unerwarteten Stärkung der Partei „Die Linke“. Nach den Erfolgen der Linkspartei in Landtagswahlen im Osten war sie als reine Ostpartei abgetan worden. Nach dem Einzug in die Bremer Bürgerschaft erklärte man, sie werde bestenfalls in den Stadtstaaten im Westen Fuss fassen können. Nun sind alle diese Prognosen über den Haufen geworfen. Inzwischen müssen selbst die hartleibigsten Kritiker schon zugestehen: Die Linke wird in eine Reihe von Flächenstaaten auch im Westen ins Parlament einziehen und damit die Zahl der weithin in den Parlamenten vertretenen Parteien auf fünf erhöhen. Es braucht kaum ausdrücklich erwähnt zu werden: In absoluten Wählerzahlen hat bei weitem die Linke gewonnen.
Interessant dabei, auch das Monopolkapital teilt diese Einschätzung: Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) Jürgen Thumann warnte noch am Wahlabend:

"Ich betrachte die aktuelle Entwicklung mit allergrößter Sorge ... die Politik muss aufhören, ... über soziale Gerechtigkeit und Umverteilung zu reden. Der Linksruck in Deutschland setzt sich fort."

Nun, wir können Thumann die letzten Hoffnungen nehmen. Auch wenn sich die Politkerkaste von ihm den Mund verbieten lässt und nie wieder über soziale Gerechtigkeit und Umverteilung sprechen wird, werden die mündigen deutschen Bürger sich nicht das Denken von ihm verbieten lassen.

Wie schon ein altes deutsches Volkslied aus dem Widerstand gegen die (damals feudale) Obrigkeit sagt: „Die Gedanken sind frei!“

Hier der Text des Liedes, das etwa aus dem Jahr 1790 stammt und das 1842 von Hoffman von Fallersleben bearbeitet wurde (ja, genau jener, der „Das Lied der Deutschen“ schuf, dessen dritte Strophe heute unsere Nationalhymne ist), als Hymne an den aufgeklärten deutschen Bürger:

(Wer die Melodie eventuell nicht kennt, man kann das Lied auf einem Video auf dieser Seite gesungen hören.)


Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten,
sie fliegen vorbei, wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen.
Es bleibet dabei: Die Gedanken sind frei!

Ich denk' was ich will und was mich beglücket,
doch alles in der Still', und wie es sich schicket.
Mein Wunsch, mein Begehren kann niemand verwehren,
es bleibet dabei: Die Gedanken sind frei!

Ich liebe den Wein, mein Mädchen vor allen,
sie tut mir allein am besten gefallen.
Ich bin nicht alleine bei meinem Glas Weine,
mein Mädchen dabei: Die Gedanken sind frei!

Und sperrt man mich ein in finstere Kerker,
das alles, das sind vergebliche Werke.
Denn meine Gedanken zerreißen die Schranken
und Mauern entzwei, die Gedanken sind frei!

Drum will ich auf immer den Sorgen entsagen
und will mich auch nimmer mit Grillen mehr plagen.
Man kann ja im Herzen stets lachen und scherzen
und denken dabei: Die Gedanken sind frei!



Veröffentlicht am 4. Februar 2008 in der Berliner Umschau, hier um den Text des Liedes ergänzt

Originalartikel

Samstag, 2. Februar 2008

Hartz IV führt in Obdachlosigkeit

Nun ist es offiziell!

Von Karl Weiss

Nun ist es offiziell: Hartz IV führt zur Obdachlosigkeit! Was bisher von den bürgerlichen Medien immer wieder in Frage gestellt und als “Panikmache“ bezeichnet wurde, was die Politiker von SPD und Grünen wie auch von FDP und CDU/CSU immer wieder bestritten („Niemand braucht wegen Hartz IV befürchten, obdachlos zu werden!“), ist bereits seit einiger Zeit für Manche Realität geworden und wurde nun auch offiziell von der Stadt Duisburg verkündet: Hartz IV führt zur Obdachlosigkeit.

Hartz ueber Hartz IV. Dass die Arbeitslosen nur ein Jahr Arbeitslosengeld bekommen, 'ist ein grosser Fehler, ein Betrug ... an denen, die jahrelang eingezahlt haben.'

Im Oktober 2004, über 150 000 Menschen jeden Montag auf der Strasse, drei Monate vor Inkrafttreten von Hartz IV, kurz nachdem die endgültige Version von Hartz IV verabschiedet war (aber noch nirgends zu erhalten war), hatte Elmar Getto eine umfangreiche Recherche gestartet, was mit Hartz IV auf die Menschen in Deutschland zukommt. Ein Sachbearbeiter beim Arbeitsamt gab Auskunft, ein spezialisierter Rechtsanwalt, ein kleiner Parteipolitiker und dazu wurden die Tageszeitungen und andere Publikationen ausgewertet. Obwohl damals zuverlässige Auskünfte fast nicht zu bekommen waren und vieles an der Gesetzgebung von den bürgerlichen Medien bewusst weggelassen und verharmlost wurde, um die Montagsdemos klein zu reden, gelang es Elmar, eine Vorausschau auf das neue Deutschland unter Hartz IV zu erstellen, die sich mehr und mehr als visionär erweist: „Hartz IV – Hindernisrennen ins Elend“.

Hier einige Auszüge, in denen speziell auf die Tendenz hingewiesen wird, die Hartz IV-Betroffenen in die Obdachlosigkeit zu drücken:

„... wer nicht jeden der „Arbeitsplätze“, die ihm zugewiesen werden – seien es die 1 € - Jobs oder ‚reguläre’ Billigarbeit - ausfüllen kann, ohne aus persönlichen Gründen entlassen zu werden oder selbst zu kündigen, bekommt Sanktionen oder Streichung – und damit kann er seinen Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten, muss Rechnungen unbezahlt lassen und geht damit den ersten Schritt auf dem Weg ohne Wiederkehr ins Elend.“

„... z.B. jene gehören, die bei der Arbeit einschlafen (Wächterjobs), jene, die wegen der Eintönigkeit der Arbeit ‚ausrasten’, jene, die unter der Schwerstarbeit zusammenbrechen, jene, die wegen der grossen Entfernung am Arbeitsplatz fehlen, jene, die sich nicht auf andauernd neue Arbeiten einstellen können und nicht zuletzt jene, die Fehler bei der Arbeit machen, sei es verursacht durch Schlafmangel durch stundenlange Anfahrtswege oder aus anderen Gründen. Es würde ja keine unzumutbaren Arbeiten oder Arbeiten in unzumutbaren Entfernungen mehr geben.“

Hartz-Protest 02

„Entscheidet der „Agent“ (...) auf Sanktionen (vorgesehen sind Kürzungen von 10%, 20%, 30% und 60% der Leistungen) oder auf Streichen des ALG II (bei jungen Arbeitslosen), gibt es kein Entrinnen.“

„Selbst wenn man zum Beispiel noch jemanden hätte, der einem eine Rechtsschutzversicherung zahlte, damit man wenigstens noch anwaltlichen Rat und Hilfe einholen könnte, würde man sein „Recht“ erst nach Durchlaufen aller juristischen Instanzen bekommen – und dann wäre man längst obdachlos und hätte längst keine Adresse mehr, wo man noch zum Gericht vorgeladen werden könnte.“

„Er wird irgendetwas nicht mehr zahlen können, z.B. eine Strom- oder Nebenkosten-Rechnung, Geld, das für das Heizöl vorgesehen war, hierfür verwenden müssen, einen Teil der Miete schuldig bleiben müssen oder ähnliches. Damit ist der Anfang des unaufhaltsamen Abstiegs ins Elend gemacht, denn von was wollte er dies in Zukunft bezahlen? Auch wenn er versuchte, die Schulden um und um zu wenden, um Zeit zu gewinnen, es bliebe ja nichts übrig, von dem er bezahlen und aus der Falle wieder herauskommen könnte. Irgendwann würde man ihm lebenswichtige Dienste kappen (Strom, Gas, Wasser, Heizung) und/oder ihn aus der Wohnung werfen und nichts würde sein „Abgleiten“ in Obdachlosigkeit und Elend mehr aufhalten können.“

Hartz-Protest 01

Dies ist nun genau, was einem Arbeitslosen in Duisburg geschah. Man strich ihm alles einschliesslich des Mietzuschusses und als er empört fragte, wie er denn noch leben sollte, beschied man ihm (vor Zeugen): "Die Stadt Duisburg erklärt, dass es sanktionierten alleinstehenden ALG II-Beziehern zuzumuten ist, obdachlos zu werden."

Mitstreiter von der Duisburger Montagsdemo, die den Betroffenen begleitet hatten, wurden Zeugen der Aussage und berichteten dies auf der letzten Duisburger Montagsdemo.

Damit wird Elmars damalige Aussage, Hartz IV als solches, wie auch das versuchte Abblasen der Montagsdemos durch einige „Linke“ sei objektiv ein Verbrechen, eindrucksvoll bestätigt.

Alle, die glaubten, man solle doch versuchen, einige wenige Veränderungen an Hartz IV zu erreichen und es dürfe nicht radikal die völlige Abschaffung gefordert werden, sind von der Wirklichkeit widerlegt. Das Motto, das die Montagsdemos noch heute verfolgen, ist richtig: „Weg mit Hartz IV, das Volk sind wir!"

Wer bei den Montagsdemos mitmachen will, erfährt hier mehr.


Veröffentlicht am 1. Februar 2008 in 'Nachrichten - heute'

Originalartikel


Andere Artikel zur Hartz IV im Blog:

"Dossier Hartz IV – Hindernisrennen ins Elend"

"19 Fälle – Die Realität von Hartz IV"

"Nicht genug zu essen – Hartz IV – Realität in Deutschland 2007"

"Die neuesten Hartz-Sauereien – Das Mass ist voll!"

"Hartz IV – Absurd, absurder, am absurdesten – Das Chaos war geplant!"

"Hartz IV – Berliner Zeitung schert aus dem Chor der Missbrauchsankläger aus"

"5 Millionen Arbeitslose einstellen"

"Grundversorgung von 1600 Euro käme billiger als heute."

"Arbeitslosigkeit ist zum Delikt geworden"

"Hartz IV führt in Obdachlosigkeit"

"Hartz IV–Empfänger müssen kalt duschen, im Dunkeln sitzen und Wasser trinken"

"Hartz IV: Vertreibung von Mietern"

"Hartz IV–Betroffene: Daumenschrauben anziehen!"

"Hartz-IV: Jetzt auch noch Sippenhaft"

"Hartz IV: Nieder auf die Knie!"

"Kein Anspruch auf fabrikneue Kleidung"

"Hartz IV: Unter den Brücken schlafen?"

Freitag, 1. Februar 2008

1. Februar: Fleischpreis-Explosion in Europa?

Einfuhr billigen brasilianischen Rindfleisches gestoppt

Von Karl Weiss

Ab 1. Februar darf kein Rindfleisch aus Brasilien mehr in die EU. Das hat der zuständige Gesundheitskommissar der EU, Markos Kyprianou, am Tag vor dem Ablauf der Genehmigung, dem 30. Januar 2008, bekanntgegeben. Die Fleischexporte Brasiliens in die EU haben 2007 einen Umfang von 4,4 Milliarden US-Dollar gehabt, das ist ein ins Gewicht fallender Teil aller Fleischimporte. Es ist ein steiler Anstieg der Fleischpreise zu erwarten.

Brasilien ist der größte Fleischexporteur der Welt mit einem Anteil von 40% an allen Fleischexporten, ebenso der größte Exporteur von Rindfleisch und der größte von Hühnerfleisch. Der Anteil der EU an Brasiliens Fleischexporten ist bedeutend, aber keineswegs der größte. Noch mehr wird nach China, nach Russland und in Länder des Nahen und Mittleren Ostens exportiert

Fleischland Brasilien

Brasilianisches Rindfleisch hat die Preise in der EU niedrig gehalten, was dem Verbraucher zugute kam. Die Produzenten dagegen, das sind vor allem die Industrie-Grossbauern und die Lebensmittel-Industrie, fanden das gar nicht gut. Brasilien-Fleisch verdarb ihnen Maximalprofite. Sie haben daher ständig den Druck auf die EU-Kommission verstärkt, das Brasilianische Rindfleisch unter irgendeinem Vorwand aus der EU herauszuhalten. Besonders zeichnete sich dabei die irische Regierung aus, die eng mit Rinderzüchtern auf der grünen Insel liiert ist

Zuerst versuchte die Kommission etwas über die „Mad Cow“, den Rinderwahnsinn, auch BSE genannt. Es stellte sich aber bald heraus, andere Länder der EU waren da viel gefährlicher als Brasilien, wo es seit Jahren keinen Fall von BSE mehr gegeben hat. Während es in Europa üblich ist, Rinder mit gemahlenen Rindern zu füttern, was den BSE-Erreger weiterverbreiten kann, ist es in Brasilien für Alle ein Horror, überhaupt daran zu denken, man könne den Pflanzenfressern Rind gemahlene Artgenossen zu Fressen gegeben

Dann ging man auf die Sklavenarbeit. Es werden auf Farmen (Fazendas), die auch Rinder zum Schlachten verkaufen, Sklaven gehalten und man drohte, Brasilianisches Rindfleisch zu stoppen, wenn die Brasilianische Regierung das nicht unterbindet.

Rio de Janeiro, Zuckerhut und Corcovado von Niteroi aus

Diese sicherte daraufhin zu, die Fazendas, auf denen Rinder zum Export gehalten werden zu überprüfen und nur solche in eine Positiv-Liste aufzunehmen, die als sklavenfrei gelten. Man ging daran, zusammen mit den europäischen Behörden eine Positiv-Liste aufzustellen.

Währenddessen fanden die europäischen Behörden einen neuen Vorwand: Die Maul – und Klauenseuche. Vor zwei Jahren hatte es Fälle im Südwesten Brasiliens gegeben und eine Anzahl Rinder mussten geschlachtet und verbrannt werden.

Die EU-Kommission schickte dann eine Delegation nach Brasilien, die Fazendas und Schlacht- und Kühlhäuser inspizieren sollten, um die Gefahr einzuschätzen, ob aus Brasilien diese Rinderseuche eingeschleppt werden könnte. Was diese Kommission fand, ist mangelnde Rastreabilität der Brasil-Rinder. Darunter ist zu verstehen, nicht alle Rinder im Kühlhaus können lückenlos auf die Schlachthöfe und alle Fazendas zurückverfolgt werden, wo sie je gelebt haben. Dies sei aber notwendig, um auszuschliessen, dass sie eventuell auf einer Fazenda waren, die Maul- und Klauenseuche hatte.

In Rekordzeit hat nun die Brasilianische Regierung im Januar eine Positiv-Liste mit etwa 2700 Fazendas (von insgesamt etwa 10 000, die vorher exportierten) erstellt und nach Europa geschickt, die alle Kriterien der EU erfüllen sollen. Da eine Ultimatum bis Ende Januar gestellt wurde, hat man die Liste offensichtlich erstellt, ohne alle Fazendas zu inspizieren. Das nun wieder, was durch die extrem kurze Zeit des Ultimatums verursacht war, nahm die EU-Kommission zum Vorwand, um die Liste Brasiliens nicht zu akzeptieren und zugleich das generelle Verbot von Brasilianischem Rindfleisch zu erklären.

Ein ehemaliger Brasilianischer Agrarminister und heutige Chef des Exportverbandes Platini de Morais kommentierte dies mit den Worten: „Ich halte es lediglich für absurd, dass man das absolute Verbot von Rindfleisch aus den Staaten São Paulo, Paraná und Mato Grosso do Sul aufrecht erhielt, während in der gleichen Entscheidung englisches Rindfleisch freigegeben wird, wo die letzten Fälle von Maul- und Klauenseuche auftraten.“ Nach seiner Ansicht „macht dies deutlich, die Europäische Union legt zwei verschiedene Masse an, eins für die Vettern und eins für die Armen.“

Tatsache ist aber auch, die Liste der Brasilianischen Regierung war keineswegs überprüft. Ob sie überhaupt unter irgendwelchen Kriterien angelegt wurde, ist zweifelhaft.

Dagegen hat Radraig Walsh, der Chef des irischen Produzentenverbandes, die Entscheidung begrüsst. Die Zahl der autorisierten brasilianischen Farmen müsse limitiert werden. Nach dem Bericht der Delegation, so sagte er, dürften höchstens 300 brasilianische Fazendas die Erlaubnis erhalten, nach Europa zu exportieren.

300 Fazendas könnten nicht einmal 5% der bisher exportierten Menge erzeugen. Laut Walsh sei es aber sowieso besser, brasilianisches Fleich generell aus der EU zu halten.

Die EU-Kommission hat zugesagt, Inspektoren nach Brasilien zu schicken, die nach und nach bestimmte Fazendas besuchen und einige zur Export autorisieren können.

Bis auf diese Weise ins Gewicht fallende Mengen Brasilianischen Rindfleisches in die EU kommen könnten, würde es Jahre dauern.

Da zuviel Rindfleisch sowieso ungesund ist, kann die europäische Bevölkerung sich angesichts der nun mit Sicherheit steil steigenden Preise gleich an eine gesündere Ernährung gewöhnen.


Veröffentlicht am1. Februar 2008 in der Berliner Umschau


Originalartikel

Mittwoch, 30. Januar 2008

Dossier Totale Kreislaufwirtschaft, Teil 4

Teil 4: Widerlegen von Gegenargumenten

Von Karl Weiss

Auf den zweiten Teil des ‚Dossiers Totale Kreislaufwirtschaft‘ mit dem Titel „Dieses Irrenhaus könnte ein Paradies sein – Den Widerstand gegen den Kapitalismus organisieren“ kam ein Kommentar von ‚Köppnick‘ , der die wesentlichen Gegenargumente der Verfechter des bestehenden kapitalistischen Systems und des hemmungslosen Raubbaus bringt. Sie seien hier widerlegt.

Hier der Kommentar:

Köppnick - 14. Jan, 18:46

Die verschiedenen Rohstoffe und Abprodukte müssen jeder für sich bewertet werden. Am wenigstens problematisch ist das Verschwinden von Kohle, Erdöl und Erdgas für die weitere Existenz der Menschheit. Kohlenstoff und Wasserstoff stehen praktisch unbegrenzt in Form von Kohlendioxid und Wasser zur Verfügung. Die Verfahren zur Synthese von Kohlenwasserstoffen aus ihnen sind technisch einfach.

Theoretisch muss uns nicht einmal vor der Klimakatastrophe bange sein, denn es gibt technische Verfahren, um binnen weniger Jahrzehnte einen großen Teil des Kohlendioxids aus der Luft zu filtern. Was fehlt, ist der politische Wille und das zur Verfügung Stellen von ausreichend Geld.

Wenig problematisch sehe ich die Verringerung der Verfügbarkeit einiger chemischer Elemente. Die für das Leben notwendigen Stoffe (Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Eisen, ...) sind in ausreichender Menge vorhanden. Die in der Industrie benötigten kann man mehr oder weniger alle substituieren oder durch andere Techniken überflüssig machen.

Problematisch hingegen sind die in die Umwelt entlassenen Kunststoffe und ihre Verbrennungsprodukte, weil ihre Wirkung auf Lebewesen völlig unbekannt sind und aufgrund der schieren Vielzahl an Stoffen auch niemals aufgeklärt werden können.

Am problematischsten sind die radioaktiven Abprodukte zu bewerten. Während bei Kunststoffen wenigstens die Hoffnung besteht, dass in den folgenden tausenden von Jahren Sonne und Salzwasser viele dieser chemischen Verbindungen zerstören werden, gibt es keinen Mechanismus, der die Halbwertszeit radioaktiver Substanzen verringert. Bei einzelnen dieser Substanzen geht es nicht um Jahrhunderte oder Jahrtausende, sondern um Jahrmillionen.

Ich bin aber nicht pessimistisch, was unsere Fähigkeiten anbelangt, die anstehenden Probleme zu lösen. Es ist ja nicht nur so, dass unsere Probleme heute größer sind als früher, sondern im gleichen Maß sind auch unser Wissen und unsere Fähigkeiten gewachsen.

Und was den Kapitalismus betrifft: Ich hätte auch gern etwas Besseres, aber ich sehe derzeit keine funktionierende Alternative. Die wenigen Staaten auf der Welt, in denen etwas anderes probiert wird, sind technologisch weniger fortgeschritten und vielfach demokratisch nicht besser als das, was wir in den entwickelten kapitalistischen Staaten haben. Es ist sicher richtig, dass ein großer Teil der derzeitigen Probleme auf die Entwicklung des Kapitalismus zurückzuführen sind, aber die besten Möglichkeiten zur Lösung der Probleme gibt es auch nur dort.


Und hier meine Antwort:

Immerhin bemerkenswert, Köppnick: Sie sprechen sich nicht mit einem Wort gegen den Raubbau an den Rohstoffen der Erde aus. Mit anderen Worten: Sie verteidigen die irrwitzige Wegwerf-Ideologie, alles zu benutzen und dann als Abfall anzusehen, auf Halden zu befördern oder zu verbrennen. Irgendein vernünftiges Argument dafür bringen Sie allerdings nicht. Das einzige Argument, das Sie haben: Nach dem Ende aller dieser Rohstoffe werde es technische Möglichkeiten geben, diese Stoffe künstlich herzustellen oder sie gleichwertig zu ersetzen.

Tatsächlich ist dies so. Der menschliche Erfindergeist hat noch fast jede Herausforderung früher oder später gemeistert.

Allerdings müssen Sie in ihrem Kommentar indirekt selbst zugeben: Hier im Kapitalismus werden die bekannten Methoden nicht verwandt, ausser sie können Profite für einen Konzern erbringen. An dem von Ihnen gewählten Beispiel mit der Filterung des Kohlendioxids wird dies ja sehr deutlich. Obwohl eine Klimakatastrophe droht, die auf Dauer die Existenz der Menschheit gefährden würde, wie wir sie kennen, werden die bekannten Methoden, sie zu verhindern, nicht angewandt.

Insofern ist Ihre Aussage, wir würden schon alle Probleme lösen (und können daher getrost weiter raubbauen), mit nichts Faktischem untermauert.

Tatsächlich werden wir die Fähigkeiten haben, alle diese Probleme zu lösen, aber solange der Kapitalismus herrscht, werden sie trotzdem nicht gelöst - ausser breite Volksbewegungen erzwingen es.

Und dies einfach, weil hier allein die Besitzer und Manager der Gross-Konzerne und –Banken das Sagen haben und die tun nur, was den Profiten nützt. Die Menschheit, die kommenden Generationen, sind denen völlig egal. Darum nenne ich jene manchmal die Monster in den Vorstandsetagen.

Die Haltung: „Es wird schon irgendwie gelöst werden“ erinnert an die Aussage einer Romanfigur in Gabriel Garcias Marquez „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“:
„...wenn das Holz einmal zu Ende ist, gibt es längst Schiffe, die mit Erdöl fahren”.

Man nennt das üblicherweise ökologische Naivität.

Da gibt es auch eben noch ein anderes Problem: Die alternativen Stoffe und Methoden, die nach dem Verbrauch von bestimmten Rohstoffen deren Aufgabe übernehmen können, sind in der Regel weit aufwendiger, z.B. fünf Mal, zehn Mal, hundert Mal oder tausend Mal aufwendiger in der Herstellung oder im Abbau.

Was heisst das konkret? Die gesamten Werte, die in einem gegebenen Jahr (oder Monat) geschaffen werden, entsprechen in ihrem wirklichen Wert der Menge an Arbeit, die alle arbeitenden Menschen aufgebracht haben oder in anderen Worten, dem gerechten Lohn den sie dafür beanspruchen können und brauchen. Unser heutiger Lebensstil kann deshalb zum Teil recht aufwendig sein (man sehe sich nur die Zahl der Handys auf der Welt an, die fast alle nach Gebrauch weggeworfen werden), weil wir für fast Alles, was wir brauchen, die Rohstoffe überreich zur Verfügung haben. Werden wir einmal eine wesentliche Zahl von ihnen durch weit aufwendigere Verfahren ersetzen müssen, wird die Zahl aller geleisteten Arbeitsstunden (bzw. Ihr Wert) für weit weniger an benötigten oder wünscheswerten Gütern reichen.

Kurz: Der erreichte durchschnittliche Lebensstandard der Menschheit wird sich nicht halten lassen. Erst wenn man in Jahrhunderten genügend neue Werte angesammelt hat, wird man wieder auf ein von uns heute als normal angesehenes Lebensniveau kommen.

Das gilt auch, wenn wir dann bereits den Sozialismus haben. Wenn nicht, wird es sowieso keine Menschheit mehr geben, wie wir sie kennen. Im Sozialismus wird es selbstverständlich keine unfreiwillig Arbeitslosen geben und die Schaffenskraft Aller wird genutzt werden können zum Wohl der Menschheit. Damit wird zwar das genannte Problem verringert, aber die Tendenz bleibt eben trotzdem bestehen.

Am Schluss Ihres Kommentars durfte natürlich Ihre Verteidigung des Unterdrückungssystems Kapitalismus nicht fehlen. Wie üblich, versichern Sie, Sie hätten auch gern Besseres, aber das gäbe es eben nicht. Nur: Das wäre das Ende der Menschheit, wie wir sie kennen.

Bereits heute produziert der Kapitalismus über 3 Millionen tote Kinder pro Jahr als Folge des Elends (die tatsächliche jährliche Zahl von toten Kindern, die indirekt mit der Armut in Verbindung stehen, ist sogar 10 Millionen). Tendenz: stark steigend. Der Kapitalismus kann heute nicht ein einziges der Probleme der Menschheit mehr lösen.
  • Kohlendioxid vermindern, Klimakatastrophe verhindern und Überleben der Spezies Mensch sichern? Fehlanzeige!
  • Atomare Abrüstung? Im Gegenteil!
  • Friedliches Zusammenleben? Nein, mehr und mehr Kriege!
  • Soziale Errungenschaften ausbauen? I wo, abbauen, eliminieren!
  • Bürgerliche Rechte sichern? Stattdessen Überwachungsstaat, Folter, Militärtribunale!
  • Hungerkatastrophen und Flüchtlings-Desaster eliminieren? Keine Rede davon! Mehr und mehr rutschen in absolutes Elend, mehr und mehr werden vertrieben!
  • Agrarsubventionen streichen, um Entwicklungsländern eine Chance zu geben? Nein, nicht daran zu denken!
  • Kein Abbrennen und Abholzen der Regenwälder und anderer Wälder mehr? Pustekuchen, jedes Jahr wachsen die Flächen der zerstörten „Lungen der Erde“.
  • Weltfriedenspolitik? Fehlanzeige, immer aggressivere Konfrontationen!
Aber zum Glück wird genauso geschichtlich gesetzmässig, wie nach der Urgemeinschaft die Sklavenhaltergesellschaft kam, wie nach der Sklavenhaltergesellschaft der Feudalismus kam und nach dem Feudalismus der Kapitalismus kam, nach dem Kapitalismus der Sozialismus kommen, wenn er dies auch nicht automatisch tut, sondern wir aufgerufen sind, diese Revolution zu machen.

Karl Marx

Ihre Hinweise, dass die ersten Versuche mit dem Sozialismus nicht von Dauer waren, sind richtig, aber so ist das mit allen grundlegenden Neuerungen: Die Idee kann noch so gut sein, erst nach einer Reihe von Versuchen gelingt es vollständig.

Das war nicht anderes, als der Mensch begann, Flugapparate zu bauen: Die ersten stürzten alle ab (was aber auch immer bedeutet, sie flogen vorher). Heute ist der Luftraum schon so voll, dass manchmal schon Flugzeuge in der Luft zusammenstossen.


Veröffentlicht am 30. Januar 2008 in der Berliner Umschau

Originalartikel


Hier geht es zu Teil 1, zu Teil 2, zu Teil 3 und zu Teil 5 des Dossiers 'Totale Kreislaufwirtschaft'.

Dienstag, 29. Januar 2008

Exxon-Mobil gibt auf in Lateinamerika

Revolutionäre Gärung in Mittel- und Südamerika

Von Karl Weiss

Die immer deutlicher werdende revolutionäre Gärung in vielen Ländern Lateinamerikas hat anscheinend ein neues Opfer gefordert. Die Exxon-Mobil, größter Ölkonzern der Welt, will sich vollständig aus Lateinamerika zurück ziehen und die dortigen Besitze verkaufen. Der Exxon-Konzern reagiert damit auf verschiedene Verstaatlichungsaktionen und Abgabenerhöhungen an Staaten der Region. Kandidat für den Kauf des ganzen Pakets ist die halbstaatliche brasilianische Petrobras.

Exxon-Mobil ist bezüglich des Treibstoff-Marktes Marktführer in der Region. Allein in Brasilien verwaltet Exxon heute 1.800 Tankstellen sowie 43 Versorgungsterminals, hier noch unter dem Namen Esso. Neben Tankstellen und Versorgungsterminals hat Exxon-Mobil auch Raffinerien bzw. Beteiligungen an Raffinerien sowie Ölquellen bzw. Beteiligung an Ölquellen in Lateinamerika.

Sowohl in Venezuela als auch in Bolivien hat es letztlich Verstaatlichungen gegeben, die Infrastruktur-Anlagen der Erdöl- und Erdgasförderung betrafen. Auch in Ekuador gibt es jetzt solche Pläne. Soweit nicht verstaatlicht wurde, wurden Beteiligungen der jeweiligen staatlichen Öl-Unternehmen erzwungen und teilweise auch drastisch die Abgaben für die Förderlizenzen erhöht.

Mit anderen Worten: Mehr und mehr Länder in Mittel- und Südamerika wollen auch selbst beteiligt sein an dem Reichtum, der aus ihren Bodenschätzen fließt, nicht nur als Basis für die Profite von internationalen Öl-Konzernen dienen.

Ein klassisches Beispiel ist Venezuela, das lateinamerikanische Land mit der höchsten Erdölproduktion und den größten Ölreserven: Obwohl man schon seit langem einer der größten Erdölexporteure ist (Platz 4 oder 5, je nach Quelle), sah die Venezuelanische Bevölkerung absolut nichts von diesem Reichtum. Venezuela blieb eines der Armenhäuser Lateinamerikas – und das will dort schon etwas heißen.

Das Gross der Gewinne ging in die Taschen der Erdöl-Multis, ein kleinerer Teil ging an die nationale Oligarchie des Landes, einige tausend Familien, die seit den Zeiten der Unabhängigkeit des Landes dem Volk im Nacken sitzen und in extremem Reichtum und Luxus schwelgen, den sie vor allem aus den Staatskassen abzweigen. Diese Oligarchie ist traditionell eng mit den Vereinigten Staaten verbunden und stellte das Faustpfand des US-Imperalismus im Land dar.

Mit Präsident Chaves gibt es nun einzelne geringfügige Verbesserungen für das Volk, nachdem Venezuela jetzt einen etwas grösseren Anteil am Kuchen der Erdölgelder hat.

Brasilien war mit seiner halbstaatlichen Erdölgesllschaft Petrobras (51Prozent liegen beim Staat, der Rest in weit gestreuten Aktien, eines der größten Aktienvermögen Lateinamerikas) im Jahr 2006 die Öl-Autarkie feiern können, d.h. man produzierte eben so viel Erdöl wie man verbrauchte.

Logo Petrobras

Nachdem US-Experten es der brasilianischen Regierung vor einigen Jahrzehnten schriftlich gegeben hatten, es gebe kein Erdöl auf brasilianischem Boden, hat man trotzdem im Meer vor der Küste gesucht und traf auf nicht unerhebliche Reserven, die allerdings aus Tiefen von über Tausend Meter heraufgeholt werden müssen und unter Wasserschichten von Tausend und mehr Metern liegen. Ebenso ist dieses Erdöl eine mindere Qualität, ein sogenanntes „schweres“ Erdöl.

Ende letzten Jahres hat die Petrobras nun bekanntgegeben, im Meer vor der Küste der Bucht von Santos in noch größeren Tiefen und in noch tieferen Wassern ein erhebliches Feld von Erdöl und Erdgas gefunden zu haben, das die Reserven des bevölkerungsreichsten Landes Südamerikas um etwa 50 Prozent erhöht. Zudem ist dieses Erdöl von besserer Qualität. Damit wird (in etwa 7 Jahren) Brasilien unter die zehn oder elf größten Erdölförderländer (in etwa gleichauf mit Nigeria) vorstoßen und beginnen können, ins Gewicht fallende Mengen des „Schwarzen Goldes“ zu exportieren.

So ist die Petrobras zusammen mit der staatlichen venezuelanischen Ölfirma PdVSA natürlicher Kandidat, die Tankstellen, Anlagen und Liegenschaften der Exxon-Mobil zu kaufen. Es gibt auch die Möglichkeit, dass Exxon-Mobil nicht alles als Paket verkauft, sondern Ihre lateinamerikanischen Werte in kleineren Stücken veräußert.

Erhielte Petrobras den Zuschlag, begänne der einst verschwindend kleine Konzern in die Reihe der „Global Players“ vorzustoßen. Zwar wäre er auch dann noch nicht mit den Riesen-Multis der Ölbranche zu vergleichen (Exxon-Mobil, Chevron-Texaco, Shell, BP, Total), die alle zu den größten Unternehmen der Welt gehören, träte aber in die Konkurrenz mit den etwas kleineren Öl-Multis.

Die Exxon-Mobil gab unterdessen bekannt, sie werde ihre Aktivitäten in der Öl-Exploration und Förderung außerhalb der USA und Kanadas auf Afrika und Asien konzentrieren. Sie sei im Moment in wichtige Projekte in Azerbaijan, Norwegen, Kanada, Malaysia und in Ländern Afrikas involviert.


Veröffentlicht am 28. Januar 2008 in "Nachrichten - heute"

Originalartikel

Montag, 28. Januar 2008

Besiegte Krankheiten kehren zurück - Gelbfieber in Brasilien

Liebe in den Zeiten des Gelbfiebers

Von Karl Weiss

Einer der wichtigen Romane des großen lateinamerikanischen Dichters und Schriftstellers Gabriel Garcia Marques ist „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“. Dies Werk des kolumbianischen Nobelpreisträgers, sicherlich eine der schönsten Liebesgeschichten der Literatur, erschien 1985 und blieb für lange Zeit in vielen Beststellerlisten.

Letztes Jahr kam die Geschichte als Film heraus, unter Regie von Mike Newell. Der Start des Films in Deutschland ist für den 21. Februar 2008 vorgesehen. Wer Näheres zum Film wissen will, hier ist der Link.

Die Cholera, eine Krankheit, die zu Zeiten des Romans, Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, noch eine wichtige Rolle spielte, ist heute nur noch in wenigen Fällen eine wirkliche Gefahr. Das Cholera-Bakterium kann mit Antibiotika bekämpft werden. Das Gelbfieber dagegen, eine Krankheit, die von einem Virus übertragen wird, ist unheilbar und in 70% der Fälle tödlich. Das einzige Mittel dagegen ist die Impfung. Gleichzeitig ist diese Impfung eine der risikoreichsten von allen.

In Marques Roman erscheint die Cholera im Hintergrund, immer als dunkle Bedrohung. So ähnlich fühlt man sich heute in Brasilien, wenn man liebt, wie der Berichterstatter. Das Gelbfieber steht drohend am Horizont, so wird die Liebe um so bedeutender. „Carpe diem“.

Brasilien (topographisch)

Das Gelbfieber hat eine sogenannte wilde Form, die von einer Mücke mit Namen Haemagogus übertragen wird. Sie betrifft hauptsächlich wilde Tiere und nur in Ausnahmefällen Menschen, die sich in wilden, entlegene Gegenden aufhalten. Diese Form ist der Grund, warum allen Reisenden ins Amazonasgebiet die Impfung empfohlen wird.

So gibt es in Brasilien denn auch jedes Jahr in solchen Gegenden, fern jeder Zivilisation, Fälle von Infektionen und Toten durch Gelbfieber.

Die andere Form der Krankheit aber, das „städtische“ Gelbfieber, kann sich aus dieser Wildform entwickeln. Dieses Gelbfieber wird von der Mücke Aedes aegypti übertragen, dem Überträger des Denge-Fiebers - ein guter Bekannter fast aller Brasilianer. In diesem Moment, als diese Zeilen geschrieben werden, summt eine Mücke dieser Art um den Berichterstatter. Im Gegensatz zu deutschen Mücken sind die Dinger unheimlich schwer zu erschlagen.

Moskito Aedes aegypti

Es sind Mücken, etwas kleiner als unsere Deutschen, deren Beine schwarz-weiss gestreift sind – daher leicht zu erkennen.

Nun hat sich, zum ersten Mal in Brasilien seit den Zeiten des 2. Weltkriegs, ein solcher Stamm des Gelbfieber-Virus entwickelt, der von der Aedes-Mücke übertragen wird.

Der erste städtische Gelbfieber-Tote wurde in Brasiliens Hauptstadt Brasilia Anfang Januar registriert. Bis heute (23.1.08) sind es bereits 9 bestätigte Todesfälle durch Gelbfieber. Weitere 14 verdächtige Fälle sind in Untersuchung. Drei Personen haben sich bereits von der Erkrankung erholt oder sind auf dem Wege der Besserung.

Der erste Ausbruch scheint im ländlichen Gebiet des Bundestaates Goiás stattgefunden zu haben, das ist jener ländliche Staat im Landesinneren, der die Hauptstadt Brasilia umgibt. Der erste Todesfall war ein Tourist aus Brasilia, der sich in einem geschützten Erholungsgebiet von Goiás aufgehalten hatte und in einem Krankenhaus in Brasilia verstarb.

Das letzte Mal vorher, dass in Brasilien jemand an „städtischem“ Gelbfieber verstorben war, war 1942.

Erst am 10. Januar kam die Nachricht, es handelte sich wirklich um städtisches Gelbfieber. Die Brasilianer in fast allen Staaten und Regionen wurden aufgerufen, sich impfen zu lassen. Speziell in Goiás sind heute schon viele Einwohner geimpft. Allerdings ging dem Staat der Impfstoff aus und der staatliche Gesundheitssekretär von Goias erklärte, nun würde nur noch geimpft, wer ein staatliches Impfbuch vorweisen könne. Solche Bücher sind in ländlichen Gegenden in der Regel nicht vorhanden. Damit wird genau jenen, die sie am nötigsten brauchen, die Impfung vorenthalten.

Aber auch im Staat Minas Gerais, der an Goiás angrenzt, (von dem aus der Berichterstatter schreibt), besteht der Verdacht auf Gelbfieber. Im Norden des Staates, nahe der Grenze zu Goiás, wurden tote Affen gefunden, die eventuell Opfer der Krankheit wurden. Affen werden vom Gelbfieber genauso wie Menschen betroffen. Die Untersuchungen laufen noch.

1991 hatte sich der Berichterstatter bereits gegen Gelbfieber impfen lassen, weil eine touristische Reise ins Amazonasgebiet anstand. Wenige Tage nach der Impfung wurde er schwer krank und lag mit hohem Fieber und Schmerzen am ganzen Körper im Bett. Das ging zwar nach ein/zwei Tagen vorbei, war aber doch beängstigend.

Das ist eines der Probleme mit der Gelbfieber-Impfung. Die Impfreaktionen sind, individuell unterschiedlich, zum Teil äusserst schwer. Kindern und älteren Menschen wird darum von der Impfung abgeraten, wenn sie nicht unabdingbar ist. Der Impfschutz hält nur 10 Jahre vor und der Berichterstatter ist auch nicht jünger geworden seit 1991.

Bei der Massenabfertigung zum Impfen ist es vorgekommen, dass Personen, die keine Erfahrung damit haben, zweimal geimpft wurden. Sie liegen heute im Krankenhaus. Aber auch nur einfach geimpfte mussten in grosser Zahl in die Krankenhäuser eingeliefert werden. Heute liegen in ganz Brasilien weit mehr Patienten im Krankenhaus wegen der Impfung als wegen des Gelbfiebers.

Hier in Belo Horizonte sind Impfstationen an den beiden Flughäfen und am Busbahnhof eingerichtet, wo es bereits lange Schlangen gibt. Was tun?

So lebt man also seine Liebe in den Zeiten des Gelbfiebers.


Veröffentlicht am 28. Januar 2008 in der "Berliner Umschau"

Originalartikel

Samstag, 26. Januar 2008

AIDS, Malaria und Tuberkulose

Besiegbare Krankheiten weiten sich immer mehr aus

Von Elmar Getto

Ein weiteres Anzeichen, daß der Kapitalismus nun beginnt, in die kapitalistische Barbarei überzugehen, ist der massive Anstieg von schweren Infektionserkrankungen, das Wiedererscheinen von ganz oder fast ausgerotteten Krankheiten und der beginnende Rückbau der Gesundheitsversorgung in den entwickelten Ländern.

So war z.B. die Tuberkulose eine Krankheit, die in den entwickelten Ländern praktisch ausgerottet war und nur noch in einigen wenigen Entwicklungsländern eine Rolle spielte, was man mit wenig Aufwand in den Griff bekommen hätte - wenn man gewollt hätte.

Heute ist die Tuberkulose eine über große Teile der Entwicklungsländer bereits als Epidemie verbeitete Krankheit, die sich rasend schnell auch in die ärmeren Gebiete der entwickelten Länder vorfrißt.

Irgendeine Rückkehr zu den Methoden, mit denen es gelang, diese Krankheit fast auszurotten, ist nicht vorgesehen, wozu auch? Es sind ja fast nur die Armen, die betroffen sind! In Deutschland zum Beispiel waren wegen TB, wie man damals sagte, Anfang der sechziger Jahre noch routinemäßig Lungen-Röntgen-Aufnahmen für die ganze Bevölkerung vorgeschrieben.

Es wird nicht mehr lange dauern, bis sich wieder Krankheiten wie der Pest und der Lepra oder ähnliche Erkrankungen auszubreiten beginnen.

Das schreiendste Beispiel aber ist die Immunschwächekrankheit AIDS. Nachdem diese sich zunächst fast ungehemmt ausweitete, vor allem unterstützt durch die Legende, nur Gays und Drogensüchtige seinen betroffen, wurde sie - jedenfalls in vielen der entwickelten Länder -, hauptsächlich durch Aufklärung, zum langsameren Wachsen gebracht, in einige Ländern sogar zur Abnahme der jährlichen Neuerkrankungsfälle.

Dann wurden die antiretroviralen Medikamente entwickelt und es konnte die Zahl der weltweiten Todesfälle durch AIDS drastisch verringert werden. Es schien nur eine Frage der Zeit, bis AIDS besiegt wäre.

Doch diese Entwicklung ist inzwischen längst zum Stehen gekommen und hat sich in ihr Gegenteil verkehrt. Die Zahl der Neuerkrankungen an AIDS steigt wieder unaufhaltsam, die Zahl der AIDS-Toten geht wieder in die Höhe, in einigen Ländern im Süden Afrikas kann man inzwischen davon sprechen, daß bereits die ganze Bevölkerung bedroht ist.

AIDS hat sich zu einer weltweiten Epidemie entwickelt und weitet seine Einflußsphäre kontinuierlich aus. Auch in Deutschland und den USA, wo die Zahl der Neuerkrankungen (genau gesagt: neu positiv getesteten) über Jahre zurück gegangen war, ist die Krankheit wieder auf dem Vormarsch. In Südostasien, China und Osteuropa, wo sie erst mit Verspätung ankam, ist die Steigerungsrate immens. Allein in der Ukraine sind inzwischen bereits 250.000 Menschen bei einer Gesamtbevölkerung von 48 Millionen infiziert. In Deutschland sind es etwa 40.000 Personen im Moment.

Zu dieser Entwicklung hat mit die offizielle US-Politik beigetragen, der Kampf gegen AIDS dürfe ausschliesslich durch Aufrufe zur ehelichen Treue und zur Enthaltsamkeit geführt werden und auf keinen Fall durch Propagieren und Verteilen von Kondomen. Der Versuch, die Menschen dazu zu bringen, Sex nur noch innerhalb der Ehe zu machen, war immer schon verloren und wird auch jetzt nicht gewonnen werden können - abgesehen davon, dass damit religiöse Vorurteile den anderen Menschen übergestülpt werden sollen.

Man hat es inzwischen schriftlich, daß die Gesundheitsbehörden die Entwicklung dieser weltweiten Epidemie nicht mehr kontrollieren können. Die AIDS-Konferenz in Bangkok im vorletzten Jahr erklärte dies offiziell in ihrer Abschlußerklärung.

Im Moment sind weltweit 40,3 Millionen Menschen infiziert, das sind über doppelt so viele wie 1995, als es noch 19,9 Millionen waren. Davon sind 2,3 Millionen Kinder unter 15 Jahren. Auch dieser Anteil ist dramatisch gewachsen. Allein im vorletzten Jahr haben sich 4,9 Millionen Menschen neu infiziert. Gestorben sind vorletztes Jahr bereits 3,1 Millionen Menschen an AIDS. Im gesamten Zeitraum von 1981 bis 2005 sind 25 Millionen an AIDS verstorben.

Im Moment erhalten 90% der Infizierten nicht die antiretroviralen Medikamente, die ihr Leben verlängern könnten, weil die Pharmakonzerne darauf bestehen, hieraus Maximalprofite zu ziehen und diese Medikamente damit für die meisten unerschwinglich sind.

15 Millionen Kinder auf der Welt wachsen im Moment als AIDS-Waisen auf. Für Medikamente und Projekte gegen die wichtigsten Infektions-Erkrankungen in den Entwicklungsländern, AIDS, Malaria und Tuberkulose, wurden nach Angaben der WHO (Welt-Gesundheits-Organisation) für 2006 7,1 Milliarden Dollar benötigt. Die imperialistischen Länder haben aber nur 3,7 Milliarden zugesagt und nicht einmal das wurde ausgeschöpft, nicht ein Zehntel im ganzen Jahr dessen, was sie monatlich für Rüstung ausgeben.

Alarmierend ist aber auch das Vordringen bereits fast vergessener Krankheiten in den entwickelten Ländern.

In den USA ist die Situation besonders kritisch. Dort gibt es heute ganze Gebiete in bestimmten Bundeststaaten und ganze Stadtviertel in grossen Städten, wo fast niemand mehr irgendeine Art von Krankenversicherung hat. Da es sich um arme Bevölkerng handelt, haben sie damit keinerlei Zugang mehr zu Ärzten, Medikamenten, Erste-Hilfe-Stationen oder Krankenhäusern.

Die völlige Privatisierung des gesamten Gesundheitswesens, der Krankenkassen, Krankenhäuser und Krankenversicherungen, die auch in Deutschland bereits anvisiert ist, macht aus dem Gesundheitswesen eine Profitquelle für schnell wachsende Konzerne statt einer Dienstleistung für die Bevölkerung. Da bleiben die Armen natürlich auf der Strecke (und für die anderen steigen die Gesundheitskosten steil an). Je nach Quelle betrifft dies zwischen 10 und 20% der Bevölkerung im reichsten Land der Welt.

Obwohl die staatlichen Ausgaben für die Gesundheit pro Kopf der Bevölkerung höher sind als in den meisten anderen Ländern, kann das US-Gesundheitswesen als das ineffektivste aller grossen Länder angesehen werden. Gleichzeitig fallen die mit dem Gesundheitswesen befassten Konzerne wie Versicherungen, Pharma, Krankenhäuser und andere, von einem Freudentaumel in den nächsten aufgrund der steil ansteigenden Profite.

Auch in Deutschland gibt es bereits Zehntausende, die keine Krankenversicherung mehr haben, weil ihnen kein Hartz IV mehr zugestanden wird.

Das sind keine unerwünschten Nebenwirkungen des neoliberalen Ausverkaufs aller Werte, sondern dessen logische Konsequenz.

Ein anderes Beispiel ist die Malaria. Auch sie war durch eine Reihe von Maßnahmen bis etwa Ende der 80er-Jahre im wesentlichen bereits zurückgedrängt auf wenige „Hot Spots" in einigen Regenwaldgebieten ohne große Bevölkerung.

Heute gibt es bereits eine weltweite Malariaepidemie. Die Krankheit hat sich weit aus den tropischen Gebieten hinaus ausgeweitet, die jetzigen Erreger reagieren auf keines der klassischen alten Medikamente mehr und speziell unter den Ärmsten der Armen, die chronisch unterernährt sind, ist Malaria heute bereits die häufigste Todesursache, gerade auch unter Kindern.

Hätte auch nur einer der großen Pharmakonzerne auch nur einen Bruchteil dessen an Forschung und Entwicklung für neue Malaria-Medikamente oder eine Impfung ausgegeben wie man es für „Me too"-Arzneimittel tut, die längst auf dem Markt sind, aber eben vom Konkurrenten, dann hätte die Malaria schon ausgerottet werden können. Aber die betrifft ja fast nur Arme, also was kümmert es? Die Menschheit ist zu einem Mittel verkommen, die Profite der Großkonzerne zu sichern und zu erhöhen.

Auch im Fall AIDS wird gelegentlich ein neues antiretrovirales Medikament entwickelt, aber die eigentlich bei weitem nötigste Forschung und Entwicklung, die eines Impfstoffes, der die Krankheit ausrotten könnte, ist allerletzte Priorität der Pharmakonzerne. Auch von den jährlich 2 Milliarden Dollar für die öffentliche AIDS-Forschung gehen nur 650 Millionen in die Impfstoff-Forschung - und davon ist auch noch der weitaus größte Teil im Budget des „Walter Reed Army Institute" der US-Regierung, wo alles Mögliche geforscht wird für die militärische Anwendung solcher Retroviren, was als „Impfstoff-Forschung" getarnt ist.


Dieser Artikel erschien in seiner ursprünglichen Form am 2. Dezember 2004 in der Berliner Umschau. Hier eine vom Verfasser aktualisierte und erweiterte Version.

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Dieses Blog wurde eineinhalb

Von Karl Weiss

Rechtzeitig zum eineinhalbjährigen Geburtstag ist dieses Blog zum 500 000. Mal angeklickt worden nach 'blogcounter'.

Recht beachtlich für ein Baby. Es kann aber auch schon laufen. Dann auf die nächste halbe Million!

Mittwoch, 23. Januar 2008

Rechts bricht der Horror aus

Verliert Koch trotz seines Ausländer-Bashing die Wahlen in Hessen?

Von Karl Weiss

Am äußersten rechten Rand des deutschen politischen Spektrums gibt es ein schwarz-braunes Geschwurbel, das es (noch?) nicht wagt, offen mit den faschistischen Horden der NPD zu marschieren, aber in Vielem mit diesen übereinstimmt. Es handelt sich um Personen und Gruppen, die üblicherweise CDU (oder CSU) wählen, aber auch schnell zu einer DVU oder NPD überwechseln, wo diese eine Chance haben, ins Parlament zu kommen.

Ein Teil von ihnen ist auch Mitglied in CDU oder CSU. Ihre poltischen Repräsentanten sind Leute wie Schönbohm, Koch, Beckstein und ähnliche.

Es gibt aber auch eine nicht zu unterschätzende braun-schwarze Szene außerhalb der ach so christlichen Parteien. Um diese Gruppen von Personen zu integrieren , hat die NPD Tarnorganisationen aufgemacht, wie zum Beispiel „Pro Köln“ und „Pro NRW“. So wird u.a. berichtet: Teile der Führungsriege dieser Rechtsaussen-Organisationen traf sich am 11. September 2007 „mit anderen Kader aus der rechtsextremen Szene .... . Im Rahmen der so genannten Dienstagsgespräche sei diesmal Holger Apfel, Fraktionschef der NPD im sächsischen Landtag, als Referent eingeladen gewesen, hieß es.“ ( Quelle )

In dieser Art von Organisation sind nur wenige ausgewiesene NPDler, aber man versteht sich auch so blind.

Filbinger und Kohl
Der Faschist Filbinger war damals Stellvertreter Kohls als Parteivorsitzender der CDU

Es braucht keinerlei Erklärung, dass diese Klientel natürlich hell begeistert war, als Hessens Ministerpräsident Koch sein Schmutzkampagne gegen junge Ausländer begann. Das entsprach genau ihrem Geschmack. Vor allem natürlich, weil sie sicher waren, auch diesmal würde das Türken-Bashing funktionieren. Man muss nur an die niedrigsten Instinkte der Bundesbürger appellieren, schon reagieren sie mit Zustimmung zu extrem rechten Anschauungen und wählen wieder ‚richtig‘.

Nach den Umfragen hatte sich nämlich eine von diesen Leuten als gefährlich angesehene Situation ergeben, denn die Prozentzahlen der voraussichtlichen SPD-, Grüne- und Linke-Wähler stand praktisch gleichauf mit der vereinigten christlichen und FDP-Wählerschaft, wenn es der Linken gelingen würde, in den Landtag einzuziehen. Ohne die Linke könnte sich eine Mehrheit Rot-Grün finden.

Nun aber, mit Koch, der in der braunen Kiste kramt, würde der gleiche Effekt eintreten, der damals zum Wahlsieg Kochs geführt hatte: Der erschrockene Teil der Bundesbürger, der die Lüge glaubt, die Ausländer hätten ihre Arbeitsplätze abgebaut, würde erneut für Kochs Wahlsieg sorgen.

Doch zum Befremden Kochs und der braun-schwarzen Suppe geschah dies nicht, jedenfalls nicht in den Umfragen. Die weit überwiegende Mehrheit der Befragten beurteilt Kochs Vorstoss als Wahltaktik und sprang nicht auf den Zug des hessischen braun-schwarzen Expresses auf. Die letzten Umfragen ergeben sogar einen geringen Vorsprung (allerdings innerhalb der Fehlermarge) des Rot-Rot-Grün-Gespanns.

Adenauer und Globke
Der Faschist Globke war eine wichtige juristische Figur im Hitlerfaschismus. Adenauer holte ihn als Staatssekretär in seine Regierung.

Als Koch damals die „Anti-Doppelpass-Aktion“ durchzog, hatten sich noch glatte 5% der Wähler auf seine Seite geschlagen, die vorher nicht da gestanden hatten. Sieht ganz so aus (unabhängig davon, wie die Wahlen wirklich ausgehen), als ob der Bundes-Michel lernfähig ist. Er lässt sich nicht so leicht ein zweites Mal für dumm verkaufen.

Jener Teil der Wähler nämlich, die auf „Ausländer raus“ oder eigentlich genauer auf „Türken raus“ stehen, werden ständig an der Nase herumgeführt. Auch in dieser Diskussion wieder ging es ja im Kern darum: Wie werden wir die vielen Türken wieder los? Wäre nicht ein praktischer Ausweg, jeden, der einmal mit dem Gesetz in Konflikt kam, in die Türkei abzuschieben? Das wird suggeriert und man hofft, der erschrockene Bundesbürger fällt darauf herein.

Wie sind aber die Tatsachen? Wer in Deutschland geboren ist, akzentfrei deutsch spricht, niemals in der Türkei gelebt hat (oft nicht einmal akzentfrei türkisch spricht) und mit dem Gesetz in Konflikt kommt, ist nach internationalem Recht, über das sich Deutschland nicht einfach hinwegsetzen kann, Deutscher und hat das Recht auf deutsche Staatsbürgerschaft und darauf, hier bestraft und eventuell eingesperrt zu werden. Allerdings gibt es die Regelung, er muss dafür die türkische aufgeben, was viele nicht gern tun – und so öffnen sich rechtliche Leerräume, wenn es sich um Einzelfälle handelt.

Aber die Türkei würde natürlich nie zulassen, dass eine grössere Anzahl solcher junger Menschen dorthin gekarrt wird – und hat internationales Recht auf ihrer Seite. Dies Tatsachen werden den Bürgern konsequent vorenthalten. Sie wurden in der ganzen Diskussion nie erwähnt. Die Rechtsaussen suggerieren, man könnte alle Türken zurückschicken und die dagegen argumentieren, vergessen zu sagen, das ist sowieso Illusion.

In diesem Zusammenhang muss eben auch erwähnt werden, warum wir so viele Türken hier haben. In der Situation des deutschen Wirtschaftswunders in den 50er und 60er Jahren wuchs die deutsche Wirtschaft so schnell, dass bereits nach kurzer Zeit alle vorhandenen Arbeitskräfte absorbiert waren und das Wachstum sich allein deshalb zu verringern drohte, weil Arbeitskräfte fehlten. So beschloss man, in anderen Ländern Arbeitskräfte anzuwerben. Den grössten Erfolg hatte man damit in der Türkei. Viele Jahre lang zogen deutsch-türkische Anwerber-Kolonnen durch die Türkei – mit Vorliebe durch das Innere Anatoliens, wo das blanke Elend hauste – und versprachen den Himmel für die Männer, wenn sie nach Deutschland arbeiten kämen.

So kamen Hunderttausende von türkischen Männern hierher, die üblicherweise in Männerwohnheimen zusammengepfercht wurden. Doch nach einer Anzahl von Jahren in Deutschland hatten sie eben bereits das Recht auf eine Daueraufenthaltserlaubnis und die Industriebetriebe wollte die eingearbeiteten und fleissigen Arbeiter auch nicht wieder verlieren und so wurde ihre Situation offiziell und deutsch.

Bald hatten sie auch das international garantierte Recht auf Familienzusammenführung und durften Frau und Kinder nachkommen lassen. Sie zogen vom Männerwohnheim in Wohnungen um. Hätte man wirklich verlangen wollen, sie sollten Jahrzehnte von ihren Familien getrennt leben?

Diese türkischen Arbeiter haben einen wesentlichen Anteil am Schaffen jener Werte, die in Deutschland einen mässigen Wohlstand schufen. Sie haben soviel Recht hier zu sein, wie Sie und ich!

Diese türkischen Arbeiter, ihre Frauen, ihre Kinder und inzwischen auch schon Enkel und Urenkel sind längst Teil des Volkes in Deutschland geworden, sie sind Deutsche mit allen Rechten, auch wenn man mit einigen Tricks noch verhindert hat, dass sie alle die deutsche Staatsbürgerschaft bekamen.

Oettinger Rede für Filbinger
Baden-Württembergs Ministerpräsident Oettinger bei seiner legendären Reinwasch-Rede für den Faschisten Filbinger

Wenn die Rechtsaussen wieder und wieder suggerieren, man könne sie alle deportieren in die Türkei, so gibt es dafür weder eine irgendwie geartete Berechtigung noch Rechtsgrundlage. Die Kampagnen, die den Ex-Türken die Angst eintreiben, sie könnten deportiert werden, veranlassen sie, die türkische Staatsbürgerschaft nicht aufzugeben und das wiederum wird als Voraussetzung für die deutsche verlangt. So schafft man sie in ein Loch ohne Ausweg und Koch, Pofalla und Beckstein schenken ihnen auch noch ein Hohngelächter (das man angeblich von ihnen gehört haben will).

So macht man auf dem Rücken eines wesentlichen Teiles der Bevölkerung dreckige reaktionäre Politik.

Doch nun muss der rechte Sumpf fürchten, dass seine Rezepte nicht mehr aufgehen, dass der mündige deutsche Bürger immer wenige in diese Fallen stapft und die Demagogie zu durchschauen beginnt. Da bricht blankes Entsetzen aus, der Horror!

Filbinger - Schäuble
Hier erweist Schäuble dem Faschisten Filbinger "die letzte Ehre"

Ein Beispiel: Im Blog kewil (hier), der dem braun-schwarz-gestreiften Sumpf zuzuordnen ist, konstatiert man entsetzt: „Wahlprognosen: Ypsilanti gewinnt“.

Ein Kommentator auf jener Site mit dem Pseudonym „Onkel Peter“ bringt dies in jener typischen Weise auf den Punkt:

„Falls diese Prognosen zutreffen sollten, hat das deutsche Volk seinen Untergang verdient. Wegen erwiesener Dummheit ist es unwürdig weiterzuleben und hat anderen lebenstüchtigeren Völkern platzzumachen.“

Sehen Sie sich nur einmal an, wer bei „kewil“ im Impressum als Verantwortlicher genannt wird:

Mr Kewil B. R. Gozo
1571, Knights Templar Rd
Valletta, VLT01
Malta

Zwar wird dann gleich erklärt, diese Umfragen sind ja immer unzuverlässig und ein Beispiel der falschen Vorhersagen vor der Bundestagswahl 2005 gebracht, aber das klingt wie Pfeifen im Wald. Was damals nämlich falsch vorhergesagt wurde, war ein weit besseres Abschneiden der CDU/CSU als es dann tatsächlich eintrat. Nun ist die Hoffnung gering, dass diesmal die Umfragen genau im umgekehrten Sinn falsch sind.

Aber das letzte, was stirbt , ist die Hoffnung.

Auch wenn es diesmal erneut für Koch reichen sollte, die Rechtsaussen-Szene ist in heller Aufregung. Es droht die „strukturelle linke Mehrheit“ - wobei noch zu ergründen sein wird, was da links ist. Auf jeden Fall aber: Einen Glückwunsch an den aufgeklärten deutschen Bürger!


Veröffentlicht am 23. Januar 2008 in der Berliner Umschau


Originalartikel

Montag, 21. Januar 2008

Dossier 'Totale Kreislaufwirtschaft', Teil 3

Teil 3: Plastik-Holz – eine Zukunftslösung

Von Karl Weiss

In Deutschland wird heute weithin bereits in vorbildlicher Weise Abfall sortiert. Die Verpackungsabfälle, in Volumen ein grosser Teil des gesamten Abfalls werden in den meisten Gemeinden separat erfasst und – in der Regel – dem System Duales System Deutschland (DSD) zugeführt, üblicherweise unter dem Namen „Grüner Punkt“ bekannt. Aber dies ist eine Privatfirma, die Profit zu machen hat.

Ihre Profite sind sogar so gross, dass sich einer der grossen internationalen Hedge-Fonds (üblicherweise „Heuschrecken“genannt), die KKR, für diese deutsche Firma interessierte und sie „ausgesaugt“ hat. Heute ist die DSD GmbH zu einer Schimäre geworden. Die Abgaben werden immer weniger geleistet, die Verpackungen immer weniger gekennzeichnet und Minister Glos hat für 2010 schon ihre Auflösung verkündet.

Die grossmäulig Anfang der neunziger Jahre versprochene Wiederverwendung von Kunststoffen findet nur in untergeordnetem Masse statt. Die überwiegende Menge der Kunststoffe wird auf Abfallhalden geworfen oder in Müllverbrennungsnlagen oder Hochöfen verbrannt. Was verwertet wird, geht praktisch ausschliesslich in extrem „billige“ Anwendungen.

Das ganze Problem liegt daran, dass unsere Art von Politikern in Deutschland (und in ganz Europa) der absurden Ideologie anhängen, man brauche Probleme der Menschheit nur den „Kräften des Marktes“ zu übergeben, sprich den Kräften des Kapitalismus, dann würden sie gelöst. Der „Grüne Punkt“ ist eines der klassischen Beispiele: Dies war nie so und wird nie so sein! Die „Kräfte des Marktes“ lösen immer nur die Probleme der Grosskonzerne, Superreichen und Grossbanken, die des Restes der Menschheit, also weit mehr als 99%, werden nicht gelöst, sondern meistens verschlimmert.

Betrachten wir ein Teilgebiet des Problems, die Plastikabfälle. Plastik, also Kunststoffe, sind polymerisierte Produkte, die praktisch ausschliesslich durch Chemie auf Erdölbasis hergestellt werden. Es wird viel Geld in Form von Grossanlagen und Energie in ihre Herstellung gesteckt und sie bieten hervorstechende Eigenschaften. Es ist also ein haarsträubende Verschwendung, wenn man sie nach einmaligem Gebrauch (ein grosser Teil von ihnen sind ja Plastikverpackungen) in Müllverbrennungsanlagen „entsorgt“.

Da Müllverbrennung zu zusätzlichem CO2-Ausstoss und damit zur Beschleunigung der Entwicklung zur Klimakatastrophe führt, müssen diese Anlagen sowieso so schnell wie möglich stillgelegt werden. Auch ohne diese Notwendigkeit hätte man schon seit langem alle Müllverbrennungsanlagen stillegen müssen, denn sie sind aufgrund des PVC-Gehaltes im Plastikmüll und im Restmüll zu Dioxin-Schleudern geworden und gefährden somit die Gesundheit der Bevölkerung in nicht zu vertretender Weise.

Dioxin, selbst in winzigsten Mengen, ist nicht nur giftig, es reichert sich auch in den Fettgeweben an, es ist krebserregend, kann die Gene verändern (Missbildungen) und die Blut-Hirn-Schranke schädigen, was zu tiefgreifenden Verhaltensstörungen führen kann. Ausserdem schädigt es die Fortpflanzungsorgane und kann zu Sterilität führen.

Da sind wir dann auch schon beim zweiten Problem: Der Kunststoff PVC ist zwar billig zu haben, kostet aber zu viel. Er muss aus dem Verkehr gezogen werden.

PVC-Kosten Nr.1: Das Vorprodukt von PVC ist Vinylchlorid, ein extrem krebserregender Stoff. Hunderte von Chemiearbeitern sind bereits Opfer dieses heimtückischen Giftes geworden. Der Schreiber dieser Zeilen hat einen von ihnen persönlich gekannt.

PVC-Kosten Nr. 2: Die bevorzugte Anwendung von PVC ist die der Kabelisolierung. Damit ist PVC in viele Brände verwickelt. Fängt er einmal zu brennen an, entwickelt er dichte giftige und erstickende Gaswolken, die aus relativ leicht zu bekämpfenden Bränden entsetzliche Brandkatatstrophen mit vielen Toten machen, Ein Beispiel dafür war der Brand im Düsseldorfer Flughafen vor einer Anzahl von Jahren, der nur durch die PVC-Rauch-Vergiftungen zu einem tödlichen Ereignis wurde.

PVC-Kosten Nr. 3: PVC ist ein harter und brüchiger Kunststoff, der in dieser Form fast ohne Anwendungsgebiete ist. Er wird mit beträchtlichen Mengen von Weichmachern versetzt, die einen weichen und handhabbaren Kunststoff daraus machen. Diese Weichmacher, hauptsächlich der häufigste von ihnen, Di-(iso)-octyl-phthalat (DOP), sind aber gesundheitsschädliche Substanzen, die das menschliche Erbgut schädigen und zu männlicher Sterilität führen. Auch das ist ein zu hoher Preis für einen leicht zu ersetzenden Kunststoff.

PVC-Kosten Nr.4 : Der Chlorgehalt von PVC ist dafür verantwortlich, dass in den Abgasen von Müllverbrennungsanlagen Dioxin enthalten ist, das Super-Seveso-Gift, das selbst in kleinsten Mengen die Menschen schädigt. Allein dies wäre bereits ein ausrechender Grund für das Verbot von PVC.

Ist PVC erst einmal eliminiert, haben sich auch eine ganze Reihe von Probleme der Sortentrennung von Kunststoffen bereits erledigt.

Es wird dann möglich sein, die anfallenden Kunststoffabfälle durch eines oder mehrere der bekannten Verfahren in artenreine oder fast artenreine Kunststoffe zu trennen und sie einer erneuten Verwendung zuzuführen.

Ist PVC erst einmal ersetzt (es wird in seinen meisten Anwendungen durch Polyethylen (PE) ersetzt), wird PE der am meisten verwendete Kunststoff sein.

PE existiert prinzipiell in zwei Formen, dem PE hoher Dichte (HDPE) und dem niedriger Dichte (LDPE). Die meisten Anwendungen hat HDPE. Fast alles, was wir als Kunststoff-Flaschen und -Behältnisse für Haushalt, Kosmetik, Lebensmittel und chemische Produkte kennen, ist HDPE. Aber auch die grossflächigen Folien, die man am Bau und in der Landwirtschaft verwendet, sind aus diesem Material. Es gibt auch noch andere Anwendungen.

Hat man im Abfall erst einmal dies HDPE von anderen Kunststoffen getrennt und den Kunststoff zu kleinen Brocken vermahlen (oder zerschnitten, je nach Verfahren), kann man ihn erneut aufschmelzen und die entsprechenden Artikel erneut daraus herstellen, ohne dass die aufwendige Herstellung aus Erdöl und durch Polymerisation wiederholt werden müsste. Man muss ihn nur aufschmelzen und dann spritzgiessen und kommt so zu den entsprechenden Kunsstofferzeugnissen.

Nur ist natürlich das schlichte Wiederverwenden für die gleiche Anwendung eine Notlösung, wenn man nichts Besseres entdeckt. In vielen Fällen kann man aber unter Ausnutzen der speziellen Form, in der das Material beim Recyclen anfällt, einen wertvolleren Stoff als vorher daraus machen. Ein Beispiel dafür ist das Plastik-Holz aus HDPE.

Ein deutscher Erfinder hat ein besonderres Verfahren entwickelt, das eine übelegene Art von Polyethylen herstellt, das sogenannte Kunststoff-Holz oder Plastik-Holz. Dies beruht darauf, dass das HDPE nicht zu einem Pulver gemahlen wird, sondern nur zu kleinen Brocken. Diese werden dann nicht so weit erwärmt, dass sie schmelzen, sondern nur soweit, dass sie sich oberflächlich verbinden, ähnlich wie beider Herstellung von gesintertem Stahl.

Anschliessend kann nicht nur spritzgegossen, sondern auch extrudiert werden. Für diese Prozesse wird der Stoff noch mit einer kleinen Menge von Zusätzen vermischt.

Was da aus dem Extruder kommt und in ein Erstarrungsbad gelangt, ist ein Profil, das extreme Ähnlichkeit zu Holz hat. Wie Holz, ist es aus verbundenen kleinen, sehr widerstandsfähigen Einheiten aufgebaut. Allerdings ist die Basis HDPE viel resistenter als Holz. Es entsteht ein äusserst fester und harter Werkstoff, der viele Stähle in diesen Eigenschaften übertrifft. Speziell die Bruchfestigkeit ist weit dem Holz überlegen und auch den normalen Stählen.

Dabei kann dieser Werkstoff zu Kosten hergestellt werden, die deutlich unter denen spezieller hochfester Stähle sind, mit denen er in mancher Hinsicht vergleichbar ist.

Er kann gesägt und spanabhebend bearbeitet werden, man kann Nägel einschlagen und Holzschrauben eindrehen (versuchen Sie das einmal mit Stählen). Wenn man Holz mit Nägeln befestigt, öffnen sich mit der Zeit Risse im Holz, nicht so bei Plastik-Holz.

Kurz: Ein interessanter und leicht zugänglicher Werkstoff, der viele Vorteile von Stählen mit denen des Holzes verbindet, aber beiden in der Wasser-Resistenz üerlegen ist.

Allerdings ist er eben aus HDPE und kann somit brennen und brennt auch selbständig weiter, wie Holz. Das schliesst ihn von bestimmten Bau-Anwendungen aus.

Auf der anderen Seite hat er aber eben auch klare Vorteile gegenüber den beiden anderen Stoffen, mit denen er hier verglichen wird. Er ist absolut Korrosions-, Insekten- und Fäulnisfest, braucht also keinerlei Lackierung, kann andererseits aber in allen Farben und Formen hergestellt werden, ohne dass die Farbe mit der Zeit abblättert.

Und – natürlich muss kein Baum gefällt werden, um an diesen Werkstoff zu gelangen. Die Mengen von leicht aus Kunststoff-Abfällen zugänglichen HDPE-Abfällen wären bei einem weitgehenden Recycling viele Hunderttausende von Tonnen im Jahr.

Dazu kommt, man kann dies Material auch glasfaserverstärkt anwenden, dann wird es noch stabiler. Im Extremfall lassen sich auch Anwendungen mit Kohlenstofffaserverstärkung denken. Auch kann man den Kunststoff mit verschiedenen Füllstoffen versehen und damit seine Anwendungsbreite noch erhöhen.

In Rio de Janeiro in Brasilien gibt es bereits eine Fabrik mit dem Namen „Cogumelo“, die jährlich bereits 1000 Tonnen dieses Plastik-Holzes und daraus gefertigter Güter herstellt.

Das Institut IMA der staatlichen Universität UFRJ in Rio de Janeiro hat auf eine spezielle Art dieses Plastikholzes mehrere Patente und bezeichnet es als IMAwood.

Im Landesinneren des brasilianischen Bundestaates São Paulo, in Guaratingetá, gibt es eine Institution zur Wiedereingliederung von Drogensüchtigen und Drogenhändlern nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis, eine Gemeinschaft mit dem Namen „Esperança“ (Hoffnung). Dort wird Plastik-Holz hergestellt und verarbeitet und die (meist jungen) Menschen lernen diesen Werkstoff zu bearbeiten. Die Parallelen drängen sich auf zwischen den aus der Gemeinschaft ausgestossenen Menschen, die Wiedereingliederung suchen und dem Material, das fälschlicherweise als Abfall angesehen wurde und sich in einen wertvollen neuen Stoff verwandelt.

Die Institution, zunächst mit Mitteln der katholischen Kirche ins Leben gerufen, trägt sich inzwischen selbst. Den Internierten kann eine kleiner Lohn gezahlt werden. Sie lernen das, was man als Schreiner oder Zimmermann bezeichnen müsste, auch wenn es gar kein Holz ist, das bearbeitet wird.

Die Anwendungen von Plastik-Holz drängen sich auf und sind extrem vielfältig. Hier nur eine kleine Auswahl dessen, was heute bereits hergestellt wird:

- Kanaldeckel und Gullys (geschlossen oder durchbrochen), mit eindeutigen Festigkeitsvorteilen gegenüber den heute üblichen aus Gusseisen.

- Fenster und Fensterläden sowie Haustüren: Sieht aus wie Holz, ist aber resistenter und braucht aber nicht ständig mit neuen Anstrichen gegen Wasser, Insekten und Fäulnis geschützt zu werden.

- Pier, Landesteg: Diese ins Wasser vorspingenden Brücken, zum Beispiel ins Meer hinaus, sind traditionell äusserst anfällig. Plastik-Holz ist die ideale Lösung.

- Bahnschwellen: Man kann sie bereits mit Vertiefungen herstellen, die den Kontakt mit den Steinen der Aufschüttung als Untergrund verbessern gegenüber Holz. Holz muss in einem schwierigen Verfahren mit Teer angereichert werden, um den Schwellen Resistenz zu geben. Gegenüber Betonschwellen klare Festigkeitsvorteile. Plastik-Holz bröckelt nicht.

- Parkbänke und andere Freiluft-Möblierungen: Natürlich kann man die auch aus Beton herstellen, aber dann werden sie nicht angenommen. Ein Material, das sowieso schon wie Holz aussieht und bei entsprechender Pigmentierung ein völlig „hölzernes“ Aussehn hat, ist logischerweise für alle Freiluft-Holz-Anwendungen ideal, so etwa auch für Holz-Balkone und ähnliches. Nicht nur Parkbänke, sondern auch andere „Möblierungen“ von Parks, wie etwa Holzwege, Stege, Brücken, Geländer und ähnliches, sind ebenfalls ideale Anwendungen. Auch jede Art von Perolen zum Ranken von Pflanzen sind weit widerstandsfähiger aus Plastik-Holz als aus Holz. Überhaupt ist Plastik-Holz das ideale Material für jede Art von Garten- und Park-Gestaltung, wenn man nicht ständig das Holz mit neuen Anstrichen versehen will.

- Schrauben: Wegen seiner hohen Festigkeit kann Plastikholz auch für grössere Schrauben angewandt werden. Eine solche Schraube rostet nicht und kann noch nach Jahren ohne Probleme wieder gelöst werden.

- Schweine-Koben, Tierpferche und andere Abgrenzungs-Paneelen für Tierställe. Auch hier die offensichtlichen Vorteile gegenüber Holz oder Blech.

Wer diesen Werkstoff einmal auf einem Video sehen will, kann sich diesen Link ansehen.

Zwar ist der Text der Reportage über das Plastik-Holz in Brasilien in Portugiesisch, was man hierzulande natürlich nicht so häufig hört, aber auch ohne den Text zu verstehen, bekommt man einen guten Überblick über die vielfältigen Möglichkeiten dieses Recycling-Materials.

Veröffentlicht am 21. Januar 2008 in der Berliner Umschau

Originalartikel


Hier geht es zu Teil 1, zu Teil 2, zu Teil 4 und zu Teil 5 des Dossiers 'Totale Kreislaufwirtschaft'.

Sonntag, 20. Januar 2008

Offener Brief an die Herrschenden - Von den Arbeitern und dem Volk in Deutschland - 2

Vorschlag für einen Offenen Brief von Karl Weiss



Tatsächlich hättet ihr uns beinahe herumgekriegt. Wir waren schon fast überzeugt von den Stories vom angeblichen Sozialstaat, der uns alle zu einer großen Familie macht, vom Rechtsstaat, der Gerechtigkeit für alle einführt, von der Demokratie, in der wir angeblich das Sagen hätten und von der Verfassungsmäßigkeit, die uns vermeintlich alle schützt.

Fast waren wir schon überzeugt, wir hätten wirklich im Grunde die gleichen Interessen wie eure Konzerne und Banken und eure Politiker.

Fast glaubten wir bereits fest, daß all das, was wir uns wünschen, im Kapitalismus Wirklichkeit werden kann: Ausreichend Geld zum Leben, eine angemessene Wohnung, Ausbildung für die Kinder, Kinderbetreuung, damit die Frau mitarbeiten kann, genügend Arbeitsplätze für alle, die arbeiten wollen, eine komplette und fortgeschrittene Gesundheitsversorgung, Ausbildungs- und Studienplätze und eine lebenswerte Zukunft für unsere Kinder, eine auskömmliche Rente nach einem erfüllten Arbeitsleben und vielleicht sogar dann und wann noch kleine Extras.

Zu schön wäre es gewesen, wäre wirklich ein gerechter Staat zu schaffen gewesen, hier im Kapitalismus. Doch nun müssen wir entsetzt feststellen, daß dies alles nur eine Schlafpille mit begrenzter Wirkung war für uns, daß ihr all dies keineswegs vorgesehen habt für uns, ja, es geradezu als absurd anseht, daß wir es wollen.

Die Sechziger Jahre, die Siebziger Jahre und selbst noch die Achtziger Jahre haben es fast geschafft, uns dies alles als möglich zu verkaufen. Waren wir doch schon fast dort, es fehlte ja nicht mehr viel. Ja, es war schön, ein Auto zu haben und Urlaub machen zu können, wir wollen das nicht leugnen. Doch nun sehen wir bereits, daß sich so mancher das schon nicht mehr leisten kann und es auch für den Rest nicht mehr lange dauern wird. Es war angenehm, daß sich manche von uns sogar den Traum eines Häuschens erfüllen konnten, aber jetzt erleben wir, wie jene, die arbeitslos werden, die Abzahlungen in der Regel nicht mehr leisten können.

Ihr habt es uns nun wiederholt und ausführlich klargemacht: Ob wir genug zu essen haben, kümmert euch einen feuchten Kehricht, ob wir Arbeitsplätze haben, ob unsere Kinder eine Zukunft haben, das alles ist nicht euer Bier. Ihr habt euch nur um eure Profite zu kümmern und wir sollen sehen, wo wir bleiben.

Mit der Gesundheitsreform und den zehn Euro Eintrittsgeld beim Arzt habt ihr uns schon geschockt, aber wir glaubten meist immer noch, alles werde schon nicht so schlimm kommen. Als ihr die Renten immer weiter gekürzt habt, hofften wir noch, andere eurer Politiker könnten dies rückgängig machen.

Als dann aber Hartz IV eingeführt wurde und das Versprechen gebrochen war, es müsse keiner darben, wenn er keine Arbeit mehr findet, da wurden schon ganz schön viele aufsässig und begannen mit den Montagsdemos. Ihr habt es zwar geschafft, die wieder klein zu bekommen, aber macht euch keine Illusionen: Das ist nicht von Dauer.

Daß Hartz IV so durchgegangen ist, bei allen euren Parteien, bei den Gerichten, bei den Medien und sogar bei manchen Sozialverbänden, das allerdings hat uns zutiefst geschockt, kein Verfassungsgericht, das Einhalt geboten hätte. Nun wissen wir, Rechtsstaat, Demokratie, Grundgesetz: Alles hohle Phrasen, nur um uns zu täuschen.

Noch sind die meisten von uns gelähmt vor Entsetzen, nicht in der Lage, irgendetwas zu tun und ratlos, was getan werden müßte. Aber im Grunde, in der Tiefe unserer Herzen, wissen wir fast alle schon, was dies bedeutet und was wir tun müssen. Die meisten von uns wollen es sich noch nicht eingestehen, ringen noch mit sich.

Was das bedeutet - und das dringt mehr und mehr von uns ins Bewußtsein, ist: Der Kapitalismus hat sein Gesicht nicht gewandelt, es war lediglich eine kurze Phase in der Geschichte, in der ihr eure wahre Fratze verstecken konntet. Der Kapitalismus hat für uns keinerlei Zukunft und nicht für unsere Kinder. Wir werden die Revolution machen müssen und euch zum Teufel jagen.

Ihr versucht unsere Reihen zu spalten, wollt uns gegen unsere ausländischen Kollegen aufbringen. Aber wir wissen, woher der Wind weht, wir arbeiten mit ihnen seit vielen Jahren zusammen!

Ihr baut unsere Arbeitsplätze ab, gerade wie es euch gefällt. Ihr streicht unsere Löhne zusammen, verlängert unsere Arbeitszeiten, laßt die Renten ins Nichts fallen, laßt die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik durchziehen (natürlich für uns), während eure Großkonzerne und Banken überhaupt keine Steuern mehr zu zahlen brauchen. Ihr streicht die Lehrstellen, die unsere Kinder brauchen und ihr übernehmt nicht in ein festes Arbeitsverhältnis nach der Ausbildung, die noch eine gefunden haben.

Ihr beschimpft uns noch dazu, wir seinen Sozialschmarotzer, wenn wir keine Arbeit finden, wenn wir krank sind oder pflegebedürftig oder alt. Ihr betrügt uns um das Geld, das wir und unsere Väter und Mütter in die Sozialversicherungen eingezahlt haben. Ihr habt dies Geld für andere Dinge verbrauchen lassen und zuckt nun mit den Schultern: Nichts mehr da.

Ihr habt die Zeitungen und Zeitschriften, das Fernsehen und die Radios fest im Griff. Sie überschütten uns mit eurer Ideologie, daß der Staat nicht dazu da sei, für uns zu sorgen, wenn wir es brauchen. Wir hätten vielmehr alleine klar zu kommen. Das hätte uns eigentlich schon früher auffallen müssen, daß von den Medien Einmütiges kommt - und das dort Veröffentlichte nicht auf unserer Seite steht.

Aber auch diese Einsicht beginnt sich auszuweiten, ebenso wie jene, daß die Kommunisten vielleicht doch keine kleinen Kinder fressen. Wir beginnen nun auch bereits alternative Nachrichten im Internet zu finden.

Seit Jahren sinkt nun unser Reallohn und wird zusätzlich noch durch Arbeitszeitverlängerungen gekürzt. Ihr wollt uns bis 67 weiterarbeiten lassen, ja sogar von Rente mit 70 ist schon die Rede - und dann die Altersarmut für fast Alle von uns.

Tatsächlich haben wir schon begonnen, dies nicht mehr hinzunehmen. In den Wahlen, die ihr immer als große Ausrede hattet („Die Mehrheit hat sich dafür entschieden"), haben wir euren Politkern bereits Denkzettel gegeben, die sich gewaschen haben. Bei der letzten Bundestagswahl haben gerade noch 50 % der Wahlberechtigten die euch genehmen Parteien gewählt und wenn man alle abzieht, die noch glaubten, taktisch wählen zu müssen, sind es noch weit weniger. Das Vertrauen in eure Politker ist inzwischen nur noch bei 20 % der Bevölkerung vorhanden.

Da ist es ein Zufall, daß kürzlich der „Club of Rome", eine eurer Denkorganisationen, verkündet hat, daß man in Zukunft nur noch 20% brauchen werde, die anderen würden ohne Arbeit sein. Danke für die Offenheit.

Dabei ist es noch nicht einmal die Gegenwart, die uns so Angst macht und wütend, es ist vor allem die Zukunft, die ihr für uns vorgesehen habt. Fast jeder von uns muß mit Arbeitslosigkeit rechnen, noch bevor er in Rente gehen kann und dann heißt es, er sei arbeitsscheu. Jahrzehnte von Einzahlungen in die Sozialkassen und dann wird man mit Almosen abgespeist, die weit unterhalb der Armutsgrenze liegen, sei es bei Arbeitslosengeld II oder später der Rente.

Demütigende Bittgänge zu Behörden, die Kontrolleure in unsere Wohnungen schicken - und die Politiker tönen mit euren Medien im Chor: soziale Hängematte, arbeitsscheu, Mißbrauch!

Für den Rest des Lebens zur „Tafel", um noch etwas zu essen zu haben, die Gesundheitsversorgung so eingeschränkt, daß Nötiges nicht mehr durchgeführt wird, in eine Winz-Wohnung wechseln oder man wird ganz obdachlos. Das ist die Zukunft, die ihr uns bereitstellt. Und dann klingt es auch noch in unseren Ohren, wenn ihr hervorhebt, daß es in Entwicklungsländern den Menschen noch schlechter geht.

Auch Danke dafür, daß ihr einen eurer Politker gleich habt klarmachen lassen, daß uns das Essen bei der „Tafel" keineswegs garantiert ist: „Wer keine Arbeit hat, soll auch nicht essen."

Doch selbst das hätten wir uns vielleicht - oder jedenfalls so mancher von uns - gefallen lassen, denn man fällt leicht in Resignation, in Hoffnungslosigkeit, in Depression. Die ersten Selbstmorde Verzweifelter, der erste Hungertote.

Aber dann haben wir gemerkt, daß eure Pläne sich hauptsächlich gegen unsere Kinder richten. Waren wir schon aufmerksam geworden, als die Klassengrößen immer mehr anstiegen, als die Diskussion über Studiengebühren begann, so merkten wir endlich, wo es hinläuft, als ihr immer mehr Lehrstellen abschafftet, unsere Kinder verurteiltet, bei uns wohnen zu bleiben, wenn sie keine Arbeit finden und für sie fast nur noch Teilzeitstellen, Minijobs, Ein-Euro-Jobs, Zeitarbeit, Praktikum und prekäre Arbeit anbotet.

Wir lieben unsere Kinder und wir werden euch dies nicht mit unseren Kindern machen lassen! Das war ausschlaggebend, daß wir nun, wenn auch zunächst noch unbeholfen, zu kämpfen begonnen haben - zu kämpfen gegen euch. Ihr habt nicht die geringste Ahnung, wie stark die Wut in unserem Bauch ist und wie wild unsere Entschlossenheit.

Ihr seid noch nicht sehr beeindruckt von unseren Kämpfen - das wird sich legen. Tatsächlich ist es jenen Gewerkschaftsführern, die mit den euch genehmen Parteien verbändelt sind, bisher noch meistens gelungen, die Kämpfe abzuwürgen, ehe sie ans Eingemachte gingen, aber wir lernen. Seht nur, wie sich im Ver.di-Streik die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder in den bestreikten Betrieben verdoppelt hat.

Hartz-Protest 02

Doch ihr habt es auch schon gemerkt. Wir werden dies alles auf keinen Fall ergeben über uns ergehen lassen. Ihr bereitet euch schon darauf vor, dass wir kämpfen werden, nicht nur gegen Entlassungen, sondern für eine bessere Zukunft für uns und unsere Kinder. Warum sonst lasst ihr diesen Staat in eine Überwachungsstaat umwandeln? Um Terroristen oder Kinderschänder geht es nicht! Die liefern euren Politikern nur Vorwände.

Wir sind es, wir sind das Ziel all diesen Abbaus von selbstverständlichen bürgerlichen Rechten. Schon werden wir alle im Internet und am Handy überwacht, schon ist die Freiheit von Folter nicht mehr gewährleistet, schon wird vom wichtigsten Verbündeten das Recht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren aufgehoben und eure Politiker klatschen Beifall. Im Lokführerstreik wurde bereits das Streikrecht generell in Frage gestellt.

Ihr wisst, was auf euch zukommt!

Schon päppelt ihr wieder die faschistischen Horden hoch, so wie ihr es damals mit der Hitler-Brut gemacht habt. Doch ihr habt es schon gemerkt: Diesmal trifft dies auf entschlossenen und fast einmütigen Widerstand.

Ihr vertraut auf euren Gewalt-, Schnüffel- und Unterdrückungsapparat. Habt ihr schon vergessen, wie schnell einer der entwickeltsten Apparate dieser Art, jener der DDR, das Zeitliche segnete?

Ja, wir werden kämpfend lernen - und wir werden französisch lernen! Und wir werden uns erinnern: Montags geht man auf die Strasse!

Ihr könnt schon mal zu zittern anfangen.


Dieser Artikel, dessen erste Version in der "Berliner Umschau" am 3.6.2006 erschien (Übersetzung auf Englisch hier), wird hier nun aus Anlass der Umwandlung der Bundesrepublik in einen Schnüffelstaat und aus Anlass der angekündigten Werksschliessung von Nokia in einer erweiterten neuen Version veröffentlicht.

Mittwoch, 16. Januar 2008

Hunger - Verbrechen des Massenmordes

Es könnten 12 Milliarden Menschen ernährt werden

Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Von Elmar Getto

„Die ärmsten Länder müssen die höchsten Zinsen zahlen - das ist nicht gerecht", so äußerte sich der Österreicher Fischler, ehemaliger EU-Agrar-Kommissar, in Richtung Weltbank bei der Premiere des Dokumentarfilmes „We feed the world" von Erwin Wagenhofer über die Lebensmittelkonzerne. Der ehemalige Schweizer Parlamentarier Jean Ziegler, heute UN-Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf Nahrung, brachte es beim gleichen Ereignis auf den Punkt: „Der Hunger ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit!"

Im Film selbst sieht man Zieglers Aussage: „Wir sind in der Lage, 12 Milliarden Menschen zu ernähren. Daher ist jedes Kind, das heute an Hunger sterben muß, das Opfer eines Mordes."

Er macht die Lebensmittelkonzerne verantwortlich: „Sie operieren rein profitorientiert."

Ziegler, seit fünf Jahren in den Diensten der UN, unterstützt Fischler in seiner Aussage, daß der Kern des Hungerproblems die Verschuldung der Entwicklungsländer ist und die hohen Zinsen, die sie zahlen müssen. Er rief alle Bürger der demokratischen Zivilgesellschaft auf, ihre Stimme für ein Umdenken in Politik und Wirtschaft zu erheben. Nur „planetarisch" könne man „wirklich etwas unternehmen gegen die Kosmokraten, jene kalten Monster in den Megakonzernen."

Allerdings ist es nicht einfach so, daß die Zinsen um so höher sind, je ärmer ein Land. Vielmehr werden von allen Entwicklungsländern die jeweils höchsten Zinsen abverlangt, die das Land gerade noch ertragen kann, ohne völlig zusammenzubrechen (wobei da auch schon mal übertrieben wird, siehe Argentinien).

Im Moment z. B. muß die höchsten Zinsen Brasilien zahlen, mit fast genau 20 % (über 15% Realzins über der Inflationsrate), weil dort am meisten zu holen ist.
[Anmerkung vom Januar 2008: Heute sind die Zinsen in Brasilien niedriger, bei 11% - immer noch deutlich über der Inflationsrate - und immer noch die höchsten (oder zweithöchsten) aller relevanten Länder auf der Welt.]

Tatsächlich wohnen wir im Moment dem bei weitem größten Völkermord aller Zeiten bei.

Tausende sterben täglich, Zehntausende von Kinder im Monat, Millionen pro Jahr, Opfer von Unter- und Falschernährung aus Armut, von Krankheiten, die längst ausgerottet sein könnten, während die Großkonzerne, -banken und -spekulanten ihre Zinsen bei den Entwicklungsländern eintreiben.

Dieser Massenmord übertrifft selbst die Taten der deutschen Faschisten bei weitem.

All diese Menschen müssen sterben, nicht weil es nicht genug Lebensmittel gäbe, sondern weil die Monster in den Konzernzentralen diese lieber ins Meeer werfen lassen oder verbrennen oder in Lagerhallen vergammeln lassen oder gleich am Strauch, ohne sie zu ernten, als sie zunächst zum Stillen der Mindest-Bedürfnisse der Menschen zu verwenden.

Sie argumentieren, das gesamte Preissystem würde zusammenbrechen, wenn sie diese Agrarprodukte den Hungernden zukommen liessen. Das ist tatsächlich so - und die Armen brauchen auch einen gewissen Preis für Agrarprodukte, damit sie ihre Produkte verkaufen können und davon leben. So ist es im Kapitalismus: Man kann nichts machen, alles läuft immer auf die Bereicherung der Reichen und die weitere Verarmung der Armen hinaus.

Beeindruckend, wie manche Politiker, wenn sie nicht mehr in der Verantwortung stehen, plötzlich durchscheinen lassen, daß sie die ganze Zeit wußten, an was sie da beteiligt waren. Der ehemalige EU-Agrar-Kommissar Fischler war zu aktiven Zeiten einer der Hauptverantwortlichen für diese Verbrechen, denn die Abschottung der EU gegen Agrarimporte ist einer der wichtigsten Gründe, warum diese Länder keinerlei Chance zu einer Erholung haben, selbst wenn sie ausnahmsweise mal eine Regierung hätten, die versuchen würde, etwas für das Volk zu tun.

Die deutschen Wähler haben gerade eben ihre Stimme erhoben für ein Umdenken in Politik und Wirtschaft, nur wollen weder die Angehörigen der deutschen Politiker-Kaste noch die Mainstream-Medien verstehen, was sie ausgedrückt haben. [Anmerkung vom Januar 2008: Das bezieht sich auf die Ergebnisse der Bundestagswahl Ende 2005: Die niedrigste Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen seit Bestehen der Bundesrepublik.]

Die tun so, als hätten sie den Auftrag bekommen, so weiterzumachen wie bisher.

Der UN-Beauftragte legte seinen Finger in die Wunde, wenn er die gnadenlosen Super-Manager als Haupttäter ausmacht und sagt, daß die Konzerne nur auf Profit orientiert sind. Aber er vergißt hinzuzufügen, daß sie gar nicht anders können im Kapitalismus.

Wer die Bedingung ausklammert, daß wir im Kapitalismus leben, mag noch so recht haben, bleibt aber im Kern unredlich. Die Konsequenz aus diesen Erkenntnissen ist der Kampf für den echten Sozialismus.


Dieser Artikel von Elmar Getto erschien ursprünglich am 6. Oktober 2005 in "Rbi-aktuell", hier vom Autor redigiert. Auch in diesem Fall wieder überraschend die Aktualität des Artikels.

Karl Weiss - Journalismus

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