Mittwoch, 18. Februar 2009

EU-Produktion kollabiert

Beispiellose Einbrüche aller Industriesektoren

Von Karl Weiss

Als „Kollaps aller Industriesektoren“ bezeichnet die EU-Kommission in einer internen Analyse den wirtschaftlichen Abschwung. Während deutsche Minister noch von einem „Problem hauptsächlich der Automobilindustrie“ schwafeln, wird EU-weit bereits festgestellt: Beispiellose Einbrüche in allen Industriezweigen.

EU: Industrieproduktion 2007 bis 12.2008

Kommissar Verheugen wird zitiert: „Völlig neu sind Ausmaß und Geschwindigkeit der Krise.“ Sowohl das verarbeitende als auch das Baugewerbe erleiden „bisher nicht gekannte Produktions- und Absatzrückgänge“. Es ist Tatsache, dass die Automobilindustrie am stärksten betroffen ist, weil bei ihr die verschlechterten Kreditbedingungen eine besondere Rolle spielen und zur eigentlichen Wirtschaftskrise hinzukommen. 60 bis 80 % der Privatwagen werden über Kredit gekauft, weiss die Studie.

Dazu kommt, die Monopolkonzerne können wegen der Finanzkrise nicht das Mittel des Auflegens von Anleihen benutzen, das ihnen typischerweise als billige Geldquelle zur Verfügung steht. Die beiden französischen Autobauer PSA (Peugeot und Citroen) und Renault haben vergeblich versucht, solche Anleihen zu verkaufen. Die Anleger sind in Panik und kaufen praktisch nur Staatsanleihen.

Besonders dramatisch ist laut der Studie die Lage bei den Lastwagen. Die monatlichen Lkw-Bestellungen in der EU seien von 38.000 im Januar 2008 auf 600 im November zusammengebrochen. "Es muss betont werden, dass die tägliche Produktionskapazität eines europäischen Herstellers allein schon bei rund 900 Fahrzeugen liegt", heißt es in dem Papier.

In der Stahlindustrie liegen die Absatzeinbrüche bei 43 bis 57%. China, Indien, Russland und möglicherweise die USA schotten ihre Märkte immer weiter gegen EU-Stahl ab. Zugleich warnt Verheugen vor allzuviel „Unternehmensrettungen“: „Die finanziellen Möglichkeiten der EU und der Mitgliedsstaaten stoßen an ihre Grenzen.“

Auf einem EU-Sondergipfel zur Krise am 1. März sollen die Probleme besprochen werden.


Veröffentlicht am 18. Februar 2009 in der Berliner Umschau

Dienstag, 17. Februar 2009

Derivate - 'All diese Verluste gingen vorher als Gewinne an Privatpersonen'

Ein Interview mit einem Banker über die Quintessenz der Finanzkrise

Von Karl Weiss

Dieses Interview wurde durch schriftliche Fragen und Antworten durchgeführt, wobei z.T. mehrmals nachgefragt wurde. Es wurde anschliessend redaktionell bearbeitet – das betrifft zum Beispiel die Übersetzung von Spezial-Banker-Kauderwelsch, das für den Normalbürger unverständlich ist. Hier ist nur ein kleiner Teil des Interviews wiedergegeben, der den Kern der Finanzkrise betrifft.

Der Interviewte, wir nennen ihn hier Walter, ist Deutscher und arbeitet bei einer international tätigen Bank in einem Land in Südamerika. Weil er einige Dinge beschreibt, die seine Chefs eventuell nicht gerne so in der Öffentlichkeit sehen, hat er mich gebeten, seine Identität nicht offenzulegen.

Insofern ist dies kein journalistisch einwandfreies Interview. Aber vom Inhalt her kann beurteilt werden, ob es die Sache trifft und ob es Wert war, veröffentlicht zu werden, ohne (wie es korrekt wäre) die Person des Interviewten offenzulegen.


Frage: Hallo Walter, die Banken stehen ja nun wegen der Finanzkrise im Mittelpunkt des Interesses. Ich danke dir daher, dich für dies Interview zur Verfügung gestellt zu haben. (...) Was alle interessiert, was sind das für Risiken, was sind das für „Derivate“, die da den Banken solche Schwierigkeiten bereiten? Es scheint, ein wesentlicher Teil der Banken kann nur mit Staatshilfe überleben, weil man mit hohen Summen von „Derivaten“ spekuliert hat. Kannst du uns das ein wenig erklären?

Walter: Ja, im Prinzip sind „Derivate“ Wertpapiere, die sich auf bestimmte bestehende Verpflichtungen (Schulden) beziehen und ein gebündeltes Stück Erwartung von zukünftigen Gewinnen bzw. Wertsteigerungen darstellen. Ein typisches Beispiel für die Grundlage davon hast du ja schon in jenem Artikel beschrieben, den du mir zur Verfügung gestellt hast. Da wird das Beispiel der „Sub Prime Hypotheken“ gebracht. Übrigens meinen Glückwunsch zu diesem Artikel. [Das bezieht sich auf „Woran die Banken kranken“] (...)

Der Rettungs-Plan

Ein anderes Beispiel für eine zugrunde liegende „Schuld“, d.h. Gewinnerwartung, ist dies – ich nehme hier ein Beispiel, wie es sich so ähnlich in meiner Praxis zugetragen hat: Ein Mann hatte vor fünf Jahren eine Anzahl von Eigentumswohnungen, die er vermietete. Nehmen wir an, er erhielt im Jahr 100 000 Dollar an Mieteinnahmen aus ihnen. Nun liess er in einem ersten Schritt die Bank diese Vermietungen verwalten, dann hatte er keine Arbeit mehr damit. Die Bank zieht ihm dafür 10% der Einkünfte ab, also 10 000 Dollar pro Jahr. Das ist für die Bank fast reiner Gewinn, denn sie hat sowieso eine Immobilienabteilung, wo nur ein bischen zusätzliche Arbeit anfällt.

Nun wollte aber der Mann mit den Eigentumswohnungen sich eine neue Jacht kaufen und brauchte Cash. Er bietet der Bank einen Vertrag an, der dieser die Einnahmen der nächsten fünf Jahre aus diesen Eigentumswohnunen zusagt, wenn man ihm einen hohen Betrag an Bargeld übergibt. Die Bank nimmt an und lässt ihn 15% der Summe an Abgabe zahlen (...). Das bedeutet, er erhält nicht 450 000 Dollar, sondern nur 382 500. Die anderen 67 500 gedenkt die Bank einzustecken. Doch das ist für die Bank noch keineswegs ausreichend, 15% auf 5 Jahre ist sogar wenig.

Doch die Bank verlangt auch die Verpfändung von einer der Eigentumswohnungen, die zu jenem Zeitpunkt in etwa den Wert von 450 000 Dollar repräsentierte, als Sicherheit. Das hatte für die Bank den grossen Vorteil, sie konnte eine Hypothek zu günstigen Zinsen auf diese Eigentumswohnung aufnehmen. Zu jenem Zeitpunkt waren 1% pro Jahr möglich! Das geht unter Banken, aber es gibt auch einen Trick, wie die Bank sich selbst eine solche Hypothek „auszahlen“ kann, ohne Zinsen in diesem Fall. Das wichtige an der ganzen Sache ist, für die Auszahlung von 382 500 Dollar an den Mann mit den Eigentumswohnungen braucht man fast kein Geld der Aktionäre oder der Einleger anzutasten. Mit anderen Worten: Man bekommt Zinsen, ohne Geld einzahlen zu müssen!

Nun tut die Bank noch ein Übriges, denn sie will nicht nur Zinsen ohne Einzahlung kassieren, sie will eine hohe Rendite, ohne überhaupt Kapital investiert zu haben: Sie erhöht die Mieten der Eigentumswohnungen um den maximal denkbaren Wert. Zwar gibt das teilweise Widersprüche und Zivil-Prozesse, aber ein Teil der Mieter wird sich mit Sicherheit einschüchtern lassen von den Namen der Rechtsanwaltskanzleien, mit denen sie es aufnehmnen müssten, resigniert und zieht aus. Dann kann die Bank zu deutlich höherer Miete neu vermieten. Insgesamt rechnet die Bank innerhalb der fünf Jahre da nun zum Beispiel mit zusätzlichen Einnahmen von 100 000 Dollar

Also machen wir die Rechnung auf: Die Bank hat dem Mann 382 500 Dollar ausgezahlt, musste aber dafür nicht in die Tasche greifen (genau gesagt, gibt es da geringe Zinskosten, aber das kann hier vernachlässigt werden). Sie erhält von ihm sowieso schon 50 000 Dollar für die 5 Jahre wegen der Verwaltung. Dazu kommen nun die 15%, also die 67 500 und eben die erwarteten zusätzlichen 100 000, macht zusammen 217 000 Dollar an Einnahmen. Die eigenen Kosten für die Verwaltung, die Anwälte, die kleinen Zinskosten usw. setzt sie mit 17 000 an, also 200 000 in fünf Jahren Reingewinn, das sind 40 000 pro Jahr, also über 10% auf die Nominalsumme, aber in Wirklichkeit müssen hierfür nur etwa 17 000 Dollar aufgebracht werden. Mit einem Einsatz von 17 000 Dollar fünf Jahre hintereinander 40 000 Reingewinn zu machen, das muss einem erst mal einer nachmachen. Verteilt man die 17 000 auf 5 Jahre, so sind das pro Jahr 3 400 Dollar Kapitaleinsatz. Damit bedeuten 40 000 Dollar über 1000% Gewinn – und das fünf Jahre lang!

Nun hatte aber die Bank eine hohe Anzahl solcher Geschäfte, vielleicht nicht alle mit über 1000% Gewinn jährlich, aber eben doch auch andere sehr gute Geschäfte, die allerdings allesamt in Wirklichkeit erst noch realisiert werden müssen. Nun bündelt sie eine hohe Anzahl solcher Geschäfte zu einem „Derivat“ und bietet dies anderen Banken an, zum Beispiel mit einer Gewinnerwarteung von 30% im Jahr bei einem Gesamtkapitaleinsatz von 30 Millionen Dollar. Das ist „Erwartung“, das wird nicht garantiert! Das wird sie natürlich nur los, wenn ihr die Ratingagenturen für dieses Derivat eine gute Klassifizierung geben, zum Beispiel AA. Das bekommt sie, weil es die berühmte XY-Bank ist. Sie verkauft also das Derivat und erhält Cash dafür, eben 30 Millionen Dollar. Nun hat also eine andere Bank diese Gewinnerwartung in der Hand – und naürlich das Risiko.

Denn was passiert nun? Dort, wo der Mann die Eigentumswohnungen hat, platzt die Immobilienblase, die Wohnungen verlieren rasend an Wert und auch die Mieten sind in Talfahrt. Der Hypothek von 450 000 auf das verpfändete Appartment steht nach kurzer Zeit nur noch ein Wert von 250 000 gegenüber. Es klappt, alle Mieter aus den Wohnungen rauszukriegen, aber die Neuvermietung zu annehmbaren Preisen ist nicht möglich. Lange Leerstände. Schliesslich muss man sich mit der Vermietung zum halben Preis zufriedengeben, um nicht noch mehr zu verlieren und selbst dann kann man nicht alle vermieten.

Statt 500 000 Dollar Mieteinnahmen in 5 Jahren hat man am Ende nur 200 000 erzielt.

"Ich bin in Ordnung, ich bin auf einen Steuerzahler gefallen"

Dazu kommt: Die Hypothek muss zurückgezahlt werden, denn am Ende der fünf Jahre hat der Verpfänder natürlich das Recht, sein Eigentum ohne Belastung zurückzuerhalten. Da aber inzwischen November 2008 ist und die Banken untereinander kein Geld mehr fast ohne Zinsen verleihen, muss dazu nun richtig Geld in die Hand genommen werden. In einem solchen Fall kann es sich leicht ergeben, dass man für einen solchen Betrag von 367 500 Dollar, den man ausgegeben hat, nur 100 000 zurückbekommt, also statt über 1000 % Gewinn einen Verlust von fast zwei Drittel der Summe verbuchen muss. Das wird zwar dadurch abgemildert, dass am Anfang nicht wirklich Geld aus den Einlagen genommen werden musste, aber das gilt ja nur für die Bank, die das Derivat verkauft hat. Jene andere Bank, die es gekauft hat, musste ja wirklich 30 Millionen Dollar auf den Tisch des Hauses legen. Sie muss also in so einem Fall glatt einen Verlust von – sagen wir - 21 der 30 Millionen Dollar in die Bilanz schreiben, wenn auch die anderen Teile des Derivats im gleichen Sinne eingebrochen sind. (...)

Es sind ja noch viele andere Geschäfte im Derivat und die Bank, die es gekauft hat, muss nun das Bündel aufschnüren und eines der Geschäfte nach dem anderen überprüfen und sehen, wo wirklich Geld hereinkam und wo nicht. Darum dauert es auch so lange, bis die Banken ihre Verluste übersehen können. Die Banken benutzen dies aber auch, wenn es darum geht, zu verstecken, dass man schon pleite ist. Man erklärt in alle Himmelsrichtungen, es sei bereits alles verbucht, schreibt ein, zwei Quartale rote Zahlen und hofft auf Staatsknete. Niemand weiss ja, wieviel vom Gesamt wirklich schon abgeschrieben wurde.

F.: Vielen Dank für diese Erläuterungen. Handelt es sich dabei im Kern immer um Immobiliengeschäfte?

W.: Nein, da sind auch andere Geschäfte dabei. Hier ein anderes Beispiel aus meiner Praxis. Nehmen wir noch einmal den Mann mit den Wohnungen. Er hat ja von den 382 500 Dollar eine Jacht gekauft. Nehmen wir nun einmal an, er hat die nicht zu seinem Vergnügen gekauft, sondern um mit dem Verleih Geld zu verdienen. Er zahlt einer Jachtverleih-Agentur 5 000 Dollar pro Monat für einen Liegeplatz und die Dienste und die verleiht für ihn die Jacht. Nehmen wir an, er kann 150 000 Dollar pro Jahr mit diesem Verleih verdienen, das macht abzüglich der 12 Mal 5 000 = 60 000 also einen Gewinn von 90 000 Dollar pro Jahr.

Nehmen wir nun an, er hat Geschmack am Verleih von Jachten gefunden und will eine weitere kaufen. Dazu will er mit der Bank etwas ähnliches machen wie mit seinen Wohnungen. Er verkauft die Einnahmen aus dem Jacht-Verleih an eine Bank und erhält dafür Geld für eine weitere – natürlich mit Abschlag. Nehmen wir also wieder einen Fünf-Jahres-Zeitraum. Der theoretisch erzielbare Gewinn in dieser Zeit mit dem Verleih der ersten Jacht ist 5 mal 90 000, also 450 000 Dollar. Diesmal will die Bank 20% Tantieme (Abgabe), zahlt also nur 360 000 Dollar aus. 20% auf fünf Jahre ist wiederum sehr billiges Geld, aber die Bank lässt sich wiederum das Objekt, in diesem Fall die Jacht (die erste), als Sicherheit überschreiben. Nun kann sie auf diese Sicherheit wiederum eine grosse Menge Billig-Geld aufnehmen. Da war es zu jenen Zeiten möglich, eine Schuldverschreibung auf den vollen Kaufpreis der Jacht, also 382 500 Dollar, zu bekommen. Damit hat man also das Geld zum Auszahlen wieder fast umsonst bekommen und noch 22 500 Dollar dazu.

So ein Geschäft könnte die Bank wiederum in ein Derivat verpackt und verkauft haben. Nun brach aber die Wirtschaftskrise aus und der Jacht-Verleih kam praktisch zum Erliegen. Warum? Die Superreichen, die auch jetzt noch Superreich sind, haben fast alle selbst Jachten. Der Verleih fand im wesentlichen an mittlere Finanzmanager statt, die jetzt reihenweise auf die Strasse flogen, so wie zum Beispiel fast die ganze Belegschaft von Lehman Brothers. Andere müssen täglich mit Entlassung rechnen und leihen sich auch keine Jachten mehr aus.

USA: Arbeitsloser Akademiker, Ende November 2008

Nun schwimmt die Jacht also nutzlos im Wasser, kostet 5 000 Dollar pro Monat und bringt fast nichts ein. Auch ihr tatsächlicher Wert bricht damit ein und trotzdem muss der Betrag zum Zurückzahlen der Schuldverschreibung mit dem vollen Wert aufgebracht werden, aber die anderen Banken leihen einem kein Billig-Geld mehr. Damit wird diese Story mit der Leih-Jacht zu einem der schärfsten Verlustgeschäfte der Krise. Das Ganze bleibt wieder bei jener Bank hängen, die jenes Derivat gekauft hat.

F.: Das war sehr aufschlussreich. Könntest du jetzt einmal für unsere Leser aufzeigen, wo eigentlich das Geld herkam, wer gewonnen hat bei dem Geschäft und wer Verluste gemacht hat. Wo ging das Geld hin, das nun fehlt?

W.: Zunächst: Wer hat den ganzen Wahnsinn finanziert? Das war im wesentlichen China. Die dortige Regierung hat nämlich immer und jegliche Dollarbonds aufgekauft, welche die US-Fed [US-Zentralbank] ausgegeben hat und tut dies bis heute. Damit konnten die USA ihre Verschuldung ins grenzenlose treiben, sind nun aber auf Gedeih und Verderb mit China verbunden. Zweitens: Wer hat den Gewinn eingesteckt? Ganz klar: Zum einen der Besitzer der Eigentumswohnungen, der ja für fünf volle Jahre grosse Teile der Erträge bekam, obwohl die später gar nicht anfielen. Als zweites die erste Bank, die das Derivat verkauft hat. Sie musste ja die Verluste nicht tragen, hat aber die Gewinne längst an ihre Top-Manager und Aktionäre ausgeschüttet. Drittens: Wer hat den Verlust? Die andere Bank, die jenes Derivat gekauft hat, im Vertrauen auf jene Bank und die Rating-Agentur.

Selbstverständlich stehen allen jetzt auftauchenden Verlusten frühere Gewinne gegenüber, die alle bei Privatpersonen gelandet sind. Ja, so ist das: Alle diese Verluste gingen vorher als Gewinne an Privatpersonen. Die Verluste hängen jetzt bei Finanzinstitutionen und werden an den Steuerzahler weitergereicht.


Veröffentlicht am 17. Februar 2009 in der Berliner Umschau

Montag, 16. Februar 2009

Hartz IV 2009: Persönliche Notlagen? Die "Arge" sch.... drauf!

Hartz IV ist Skandal!

Von Karl Weiss

Es gibt unzählige Fälle in der Welt von Hartz IV, in denen die „Argen“ die Auszahlung von Leistungen verweigern, einfach nicht zahlen, auch und gerade dann, wenn der Antragsteller völlig ohne Mittel ist und nichts mehr zu Essen hat. Es scheint, der Herr de Sade persönlich hat die „Argen“ in Sadismus ausgebildet. Andererseits ist die „Arge“ Bonn, eine der berüchtigsten von allen, aber schnell bei der Hand, die Polizei zu holen und Hausverbote auszusprechen, wenn Begleitpersonen auf den Rechten der Betroffenen bestehen.

In Bonn war vor einiger Zeit schon einmal der Gerichtsvorsteher auf dem Weg zur Oberbürgermeisterin, um ihren BMW zu pfänden, weil sich die „Arge“ immer wieder geweigert hatte, Leistungen auszuzahlen.

Eine Anzahl von Hartz-IV-Geschädigten hatte sich an das „Erwerbslosenforum“ gewandt, weil ihnen über einen Monat oder sogar mehrere Monate keine Leistungen von der „Arge“ Bonn ausgezahlt worden waren. Immer wenn die Geschädigten bei der Arge vorsprechen wollten, wurden sie abgewiesen – eine Praxis, die nicht nur in Bonn alltäglich ist.

So gingen denn Begleitpersonen von der Kölner Erwerbsloseninitiative und vom Erwerbslosenforum mit ihnen und erreichten tatsächlich, dass sie vorgelassen wurden. Doch einem der Antragsteller wurde erneut die Anname des Antrags verweigert, was gar nicht zulässig ist. Als die Begleitpersonen dagegen protestierten, erklärte eine Person von der Bonner Arge den Arbeitsablauf gestört und holte die Polizei, um die Beistände entfernen zu lassen. Die aber, statt zuerst einmal die Situation zu klären, kam denn auch gleich dem Verlangen der Arge nach und entfernte die Beistände. Auch dies gesetzwidrig, denn jeder hat Anspruch auf Beistände, wenn er zur Behörde geht.

Aber die Frage von Gesetzwidrigkeiten ist inzwischen sowieso nicht mehr auf der Tagesordnung, denn die sind so häufig bei Hartz IV, dass die gesetzeskonformen Teile dagegen untergehen. Das ganze Hartz IV ist eine Gesetzwidrigkeit – und so war es auch geplant, es ist ein Skandal!

Hier neue Beispiele:

M. war arbeitslos geworden und hatte im November seinen Antrag auf Arbeitslosengeld 2 abgegeben, hat aber bis heute kein Geld erhalten, ebensowenig wie einen Bescheid. Die Arge behauptet, es fehlten zwei Kontoauszüge. Die hat er aber bereits drei Mal dort abgegeben. Solche Fälle von bei der Behörde „verlorenen“ Unterlagen und verschlampten Anträge sind Legion. Das Arbeitslosenforum gab M. einen Betrag zum Lebensunterhalt, bis er endlich Geld sieht, denn er ist mittellos und ohne Lebensmittel und müsste hungern, wenn es nach der CDUSPDGrüneFDPCSU-Behörde gehen würde.

Anderes Beispiel:

Frau S. Hat sich von ihrem gewalttätigen Mann getrennt und hat eine schwerkranke Tochter. Sie hat eine Wohnung gefunden, doch keinerlei Möbel. Ihr steht eine Erstausstattung mit Möbeln zu, doch die Arge übernahm das wochenlang nicht. Frau S. muss mit ihrer Tochter auf einer Decke auf dem Boden in der leeren Wohnung schlafen. Die Arge weiss das und bleibt untätig. Schliesslich können Beistände, die mit Frau S. zur Arge gehen, erreichen, dass die Übernahme der Möbel für die darauffolgende Woche zugesagt wird. Allerdings ist der zugesagte Betrag zu gering. Das reicht nicht hinten und vorne. Der Sachbearbeiter erklärt schnippisch, man könne ja widersprechen.

Weiteres Beispiel:

Die Schülerin V. geht zur Fachschule und hat Anspruch auf die Leistungen. Doch die ARGE rührt sich wochenlang nicht nach der Abgabe des Antrags. Schliesslich wurden ihr mit grosser Verspätung die Leistungen für Januar ausgezahlt und eine Mietgarantie zugesagt. Die Miete wurde aber nicht bezahlt. V. ist von Kündigung bedroht. Ein Schreiben des Anwalts rührt die Behörde nicht im mindesten. Offenbar sch... man drauf. Erst nach einem Eilantrag beim Sozialgericht wird schliesslich die Miete überwiesen. Es habe einen Zahlendreher bei der Kontonummer gegeben. Doch im Februar wieder das gleiche Lied. Die Leistung wird nicht bezahlt, die Miete auch nicht. Schliesslich erreichen Begleitpersonen, dass V. wenigstens 100 Euro bekommt. Für die kommende Woche ist Bezahlung zugesagt. Was wird dann wohl die Ausrede sein?


Veröffentlicht am 16. Februar 2009 in der Berliner Umschau

Samstag, 14. Februar 2009

Die Krise hat Marx auf die Tagesordnung gebracht

Die bürgerliche Presse hat schon Angst und versucht zu ironisieren

Von Karl Weiss

Originalveröffentlichung

Verwundert schreibt die „Süddeutsche“ (hier) im Wirtschaftsteil (!) unter dem Titel „Frisches Kapital“: „Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat viele animiert, über das System an sich nachzudenken.“ Es gibt Marx-Studiengruppen an Universitäten und ausserhalb und das „Kapital“ von Karl Marx wie auch das „Kommunistische Manifest“, das er zusammen mit Friedrich Engels verfasst hat, sind Verkaufsschlager.

Karl Marx

Der Berliner Dietz-Verlag hat das „Kapital“ nach eigenen Angaben 2008 rund 3500 Mal verkauft, als Rekordtitel des Verlags, fast das dreifache des Vorjahres und das Fünffache von 2005. "Das ist zwar nicht nur durch die Krise hoch gegangen, aber sie hat sicher noch einmal einen Schub gegeben" wird der Geschäftsführer des Verlages zitiert. Der erste Band, so berichtet er, war sogar sechs Wochen lang ausverkauft nach dem Beginn der Krise. Man behalf sich mit dem entsprechenden Band aus der Gesamtausgabe.

Auch ein Sprecher des Kroener-Verlages, der ebenfalls das „Kapital“ vertriebt, spricht von einer „enormen Steigerung der Nachfrage“.

Der Studentenverband der Linken hat in 38 Städten in Deutschland Leserkreise Karl Marx organisiert. An verschiedenen Hochschulen werden – von diesem Verband und von Privatpersonen - ausserhalb des normalen Studienbetriebes Marx-Seminare organisiert – freiwillig, zusätzlich zum Studium.

Im Leserkreis an der Leipziger Uni wurde die Nachfrage so gross, dass man in zwei Gruppen teilen musste. Doch dieses Interesse ist nicht erst seit dem „Schwarzen September“ 2008 erwacht. Der Leserkreis dort besteht schon seit eineinhalb Jahren, nur ist er jetzt viel grösser geworden.

Da trifft es sich gut, dass 2008 auch das Marx-Jubiläums-Jahr war, 125. Todestag. Da hatte die gleiche „Süddeutsche“, die heute von den Leserkreisen berichtet, noch über Buchhandlungen geschrieben: „ ... lagert in der Abteilung Philosophie "Marx, Karl" mit seinem "Kapital" und wird nicht gekauft.“

Damals, vor einen Jahr (wie lange das nun schon in der Vergangenheit zu liegen scheint, nicht wahr?) hatte man auch einen Text zur MLPD im Gedenkartikel zum 125.Todestag, im gewohnt zynisch-arroganten Ton. Hier ist, was ein bürgerlicher Journalist über die MLPD zu sagen hat:

„Ein bekannter Vertreter dieser auch K-Gruppen genannten Organisationen ist die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands, kurz MLPD.

Im vergangenen Jahr hat die Partei mit ihren geschätzten 2300 Mitgliedern ihr 25-jähriges Jubiläum gefeiert. Damals, im Juni 1982, hatten sich versprengte Kommunisten und Sozialisten aus ganz Deutschland in einem Bochumer Hotel zusammengefunden. Es war ein Geheimtreffen, nicht einmal die Lieben daheim sollten davon etwas erfahren. Erst Monate nach der Gründung hat es einen offiziellen Gründungskongress gegeben.

Hervorgegangen ist die MLPD aus dem Kommunistischen Arbeiterbund Deutschlands (KABD). Darin waren all jene organisiert, die links von der DKP eine politische Heimat suchten. Im Gegensatz zur DKP war den MLPDlern die DDR verhasst - dort werde nicht der wahre Sozialismus gelebt, hieß es, sondern lediglich ein neuer Typ des Kapitalismus wiederhergestellt.

Erster Vorsitzender der neuen Partei wurde und ist bis heute Stefan Engel, ein gelernter Schlosser. Inzwischen gibt der selbsternannte Arbeiterführer, Internationalist und Theoretiker als Beruf "Freier Publizist" an. Als solcher erteilt er den Genossen an der MLPD-eigenen Kaderakademie Nachhilfe in der "Erlernung der dialektischen Methode in der Arbeiterbewegung", wie es in einer Selbstbeschreibung heißt.

Unermüdlich kämpfen er und seine Genossen für die Auferstehung des Kommunismus. Die MLPD verstehe sich als "Vorhutorganisation" für den "echten Sozialismus". Weil das nicht unbedingt grundgesetzkonform ist, wird sie wohl auch vom Verfassungsschutz beobachtet.

(...)
Drei wirklich große Erfolge können der MLDP zugeschrieben werden: Mit Monika Gärtner-Engel, der Ex-Frau von Stefan Engel, sitzt ein echtes ZK-Mitglied der MLDP im Stadtrat von Gelsenkirchen; bei der Bundestagswahl 2005 sammelte sie 45.116 Zweitstimmen - verglichen mit 1998 (4713 Stimmen) hat sich das Ergebnis praktisch verzehnfacht; mit Michael May hat die MLPD den größten politischen Einzelspender Deutschlands (mehr als 2,5 Millionen Euro hat er einmal vermacht) auf ihrer Seite.

Bei der Wahl 2005 ist es der MLPD übrigens nicht gelungen, mit der PDS gemeinsame Sache zu machen. Den Biskys und Gysis war die MLPD wohl doch viel zu links.“

Nimmt man die Ironie heraus, so kann man das Unbehagen über diese „Gruppe“ spüren – und wie viel angenehmer ihm die Biskys und Gysis sind. Anscheinend werden die bürgerlichen Schreiberlinge sich langsam an das Gefühl des Unbehagens gewöhnen müssen.

Wie begannen Marzx und Engels doch ihr „Kommunistisches Manifest“: „Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst des Kommunismus.“

Freitag, 13. Februar 2009

Schon wieder faschistischer Überfall auf wehrlose Person

Die Polizei weiss von gar nichts – Die NZZ sagt „angeblich“

Von Karl Weiss

Ein neuer Fall aus der Reihe von Überfällen von Faschisten auf harmlose und wehrlose Bürger erschüttert im Moment die Schlagzeilen hier in Brasilien. Nur fand dieser Überfall nicht in Brasilien statt (im Gegenteil, hier treten Skinheads so gut wie nicht in Erscheinung), sondern in der Schweiz. Die Brasilianerin Paula Oliveira, 26 Jahre, ist Rechtsanwältin und arbeitete in der Schweiz bei einer internationalen Firma mit Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung. An einem Bahnhof in einem Randgebiet von Zürich wurden drei Skin-Heads auf sie aufmerksam.



Sie wurde in einen abgelegenen Park geschleppt, geschlagen, getreten, gefoltert und am ganzen Körper mit insgesamt etwa 100 Schnitten durch Teppichmesser übersät. Sie war schwanger mit Zwillingen und erlitt einen Abort als Folge dieses Anschlags (wahrscheinlich wegen der schweren Tritte in den Bauch).

Die Polizei wurde nach dem Abort auf der Bahnhofstoilette gerufen und konnte sich der immensen Zahl der Schnitte am Körper vergewissern und nach der Einlieferung ins Krankenhaus auch innerhalb 5 Minuten die Tatsache des Aborts bestätigt bekommen. Trotzdem behauptet die Polizei bis heute, Tage nach dem Anschlag, die medizinischen Umstände seien ungeklärt. Das Opfer berichtete, die Polizisten hätten sie immer wieder insistierend befragt, ob sie sich die Schnitte nicht selbst beigebracht hätte. Die Polizei hat den Überfall nicht in seinen täglichen Report von Gewalttaten aufgenommen, angeblich, weil die Umstände „offen“ seien.

Die Neue Züricher Zeitung (NZZ), ein Blatt, das üblicherweise als „konservativ“ bezeichnet wird, aber auch schon mehrmals Sympathien für Rechtsextremisten erkennen ließ, berichtet in folgender Weise:

„Brasilianerin soll misshandelt worden sein.“ „Angeblich Übergriff von Rassisten in Zürich.“ „Ein Sprecher der Stadtpolizei Zürich (...) hat am Donnerstagmorgen [!!] grundsätzlich bestätigt, dass es am Montagabend [!!! Also drei Tage nicht gemeldet!] beim Bahnhof Stettbach einen Vorfall gegeben habe, an den eine Patrouille ausgerückt sei.“ „Wieso die Gewaltanwendung nicht kommuniziert worden ist, ließ der Polizeisprecher offen.“ „...der zuständige Polizeidetektiv Zweifel an der Version der Brasilianerin geäußert habe. Bei der Befragung habe er vom mutmaßlichen Opfer wissen wollen, ob es sich die Verletzungen selber zugefügt habe.“



In einem anderen Artikel berichtet man: „Am Montagabend, 9. Februar 2009, wurde die Stadtpolizei Zürich zum Bahnhof Stettbach gerufen, da sich dort eine Frau mit Schnittverletzungen befand. Die Umstände, die zu diesen Verletzungen geführt haben, sind unklar. Die Stadtpolizei Zürich ermittelt und sucht Zeugen.“

Im gezielten Weglassen von Informationen sind die Reaktionäre Meister. In jenem oben angeführten Artikel wird nicht mit einem Wort erwähnt, dass Frau Oliveira in der Schweiz Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung hat. Da in den entwickelten Ländern öfters illegale Ausländer aufgegriffen werden, wird damit indirekt angedeutet, es könne sich um eine solche gehandelt haben.

Die brasilianische Botschaft in der Schweiz teilte mit, die Züricher Polizei habe sich geweigert, ihr irgendwelche Informationen über den Fall zu geben. Wenn man Auskünfte wolle, solle man sich an das Opfer wenden.

Die NZZ wurde überhaupt erst auf den Vorfall aufmerksam, weil die großen brasilianischen Medien über den Fall berichteten. Hätte es das nicht gegeben, wäre der Überfall in der Schweiz oder in Deutschland bis heute nicht bekannt.

Nun stellen Sie sich einmal vor, es hätte sich um einen Schweizer Rentner gehandelt, der von ausländischen Jugendlichen verprügelt und zerschnitten worden wäre. Hätte die NZZ dann auch gesagt „angeblich“. Hätte die Polizei die Gewalttat nicht gemeldet, weil nicht alle Einzelheiten geklärt wurden? Hätte man ständig insistierend den Rentner gefragt, ob er sich die Verletzungen selbst beigebracht hätte?

Das Opfer hat berichtet (um das zu wissen, musste man die brasilianischen Medien lesen), die drei Angreifer seien glatzköpfig gewesen. Einer der drei habe am Hinterkopf ein Hakenkreuz tätowiert gehabt (!). Die drei seinen wohl auf sie aufmerksam geworden, weil sie am Ausgang des Bahnhofs mit ihrer Mutter auf Portugiesisch telefoniert habe.

Offenbar beschlossen die drei „starken Machos“, so stark, dass sie es zu dritt wagten, es mit einer Frau aufzunehmen (das sagt bereits alles über Faschisten), als sie sahen, sie ist schwanger und spricht ausländisch, es den Ausländern zu zeigen, auch noch Kinder in der Schweiz bekommen zu wollen.

Es ist offensichtlich, selbst eine Geisteskranke könnte sich schwerlich hundert Schnitte am Körper beibringen – ganz zu schweigen von Schnitten, die Buchstabenkombinationen ergeben und von Tritten in den Bauch, die einen Abort provozieren. Und diese Frau, eine wirklich erfolgreiche Brasilianerin – Rechtsanwältin, bei einem internationalen Konzern beschäftigt, in die Schweiz zum Arbeiten geschickt, mit einem Schweizer liiert, Zwillinge erwartend – hat nun wirklich so gar nichts von einer Geisteskranken. Die Versuche von Polizei und NZZ, die These von den selbst beigebrachten Verletzungen aufrecht zu erhalten, ist zum Scheitern verurteilt.

Trotzdem zeigt die Frechheit, mit der dies immer wieder betont wird, wie sicher sich inzwischen solche Helfershelfer der Faschisten bereits fühlen können in Europa.

Und da wir gerade bei Helfershelfern der Faschisten sind: Die Skinheads haben nicht einfach nur die Haut von Frau Oliveira zerschnitten, sie haben auch an mehren Körperstellen das Signum der rechtsextremistischen Schweizer Partei SVP eingeritzt. Da wird diese Partei doch einiges zu klären haben.

Es gibt auch bereits eine Stellungnahme der Partei dazu, die schlicht erklärt, man habe damit nichts zu tun, aber ganz so leicht wird man da wohl nicht davonkommen. Wie wären die Täter auf die Idee gekommen, den Namen dieser Partei in die Haut des Opfers zu ritzen, wenn sie sich nicht dort wohl aufgehoben fühlten? Da reicht es nicht aus zu erklären, man sei gegen gewaltsame Anschläge gegen Ausländer, wenn gleichzeitig auf der Internet-Site der Partei gegen Ausländer gehetzt wird. Auch die anderen Parteien der Schweizer Regierungskoalition werden erklären müssen, wie sie es sich vorstellen, weiter mit dieser Partei zu koalieren.

Das Schema ist das Gleiche wie im Fall des Passauer Polizeidirektors Mannichl, wo interessierte rechte Kreise das Opfer zum Täter stilisieren wollen. Näheres dazu in diesem Artikel: „Mordanschlag auf Polizeidirektor: Staatsschutz gab Alibi“ (https://karlweiss.twoday.net/stories/5481202/ )

Auch im Fall Mannichl war der Zusammenhang völlig klar: Mannichl war als Gegner der NPD bekannt und hatte schon anonyme und offene Drohungen erhalten. Nun zu versuchen, den Mordversuch an ihm als „Familienstreitigkeit“ darzustellen, ist absurd.

Auch jetzt tauchen im Internet wieder jene Stimmen von ganz rechts auf, aus dem Umfeld von Broder und ähnlichen Gesellen und in bestimmten Blogs und in Kommentaren zu Meldungen hierzu. Als Beispiel sei hier nur die atemberaubende Unverschämtheit im Blog „Fakt-Fiktion“ zitiert, wo der Protagonist, der sich hinter einem Spitznamen versteckt und keine Kontaktadresse angibt, folgendes zum Fall der verprügelten und zerschnittenen brasilianischen Anwältin schreibt:

„Haha! Brasilianerin “SVP” eingeritzt! Beweis siehe Foto! Kommt uns doch irgendwie bekannt vor!“

Wer angesichts eines so misshandelten Körpers und eines unfreiwilligen Abortes in lautes Gelächter ausbrechen kann, der kann einem nur kalte Schauer den Rücken hinunter laufen lassen. Man stelle sich vor, wenn dieses Gesocks wieder an die Macht käme!

Inzwischen musste die Brasilianerin, die schon in ihre Wohnung in der Schweiz zurückgekehrt war, erneut ins Krankenhaus eingeliefert werden. Offenbar hatte man auch im Krankenhaus der Geschichte keinen Glauben geschenkt. Tritte mit schweren Stiefeln in den Bauch, die einen Abort provozieren, können offenbar auch andere schwere Schäden verursachen. Dazu kommt: Eine an hundert Stellen eingeritzte Haut ist extrem für Infektionen anfällig. Wieso man die brasilianische Anwältin nach Hause geschickt hatte, ist unverständlich.

Aber so ist es in einer Welt von „Konservativen“ und offenen Rechtsextremen: Ausländer sind generell unglaubwürdig, während einheimische Skinheads Schutz verdienen.


Veröffentlicht am 13. Februar 2009 in der Berliner Umschau


Zusatz zum Artikel

Tatsächlich scheint sich jetzt herauszustellen, dass die Brasilianerin diesen Überfall vorgetäuscht hat, aus welchen Gründen auch immer. Es war ein Fehler von mir, diese Möglichkeit im Artikel nicht erwähnt zu haben, denn es ging ja gar nicht um diesen Einzelfall.

Aber nun haben die Faschisten schon wieder zugeschlagen, wie um die Berechtigung dieses Artikels trotzdem zu unterstreichen.

Bei der Rückfahrt vom faschistischen Aufmarsch in Dresden am 14. Februar 2009 und den entsprechenden Gegendemonstrationen hat ein Bus voller bewaffneter faschistischer Verbrecher eine Gruppe von Gegendemonstranten überfallen, die an einer Autobahnraststätte in Thüringen Pause machten. Mehrere der Gegendemonstranten, die mit einem vom DGB gecharterten Bus unterwegs waren, wurden verletzt, zwei mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Interessant, wie die Polizei immer die Busse mit Gegendemonstranten durchsucht und jedes Stückchen Transparent-Holz beschlagnahmt, das zu einem Schlagstock umgewidmet werden könnte. Die Busse der Faschisten dagegen (auf der Rückfahrt!) strotzen nur so vor Totschlägern, Schlagringen, Schlagstöcken, Würgeketten usw. Was will uns das sagen?


Weiterer Zusatz zum Artikel

Wie um die Notwendigkeit dieses Artikels zu unterstreichen - und unabhängig, ob Frau Oliveira wirklich von Skinheads überfallen wurde - ist soaeben die Statistik "rechtsextremer" (will sagen faschistischer) Gewalttaten von 2008 veröffentlicht worden:
Meldung vom 17.2.09:
"Die Zahl der rechtsextremen Straftaten ist laut «tagesschau.de» im Jahr 2008 deutlich gestiegen. Nach vorläufigen Angaben des Bundesinnenministeriums habe es im vergangenen Jahr fast 14 000 rechtsextreme Straftaten gegeben, berichtete das Internet-Portal am Dienstag.
Darunter seien 735 Gewalttaten gewesen. Im Jahr 2007 hätten die vorläufigen Zahlen mit 10 935 deutlich unter den aktuellen Werten gelegen, die das Bundesinnenministerium auf monatliche Anfragen der Linksfraktion übermittelt habe. Die Zahl der bei Gewalttaten verletzten Menschen sei von knapp 600 auf 773 gestiegen.
Damit liegen die Werte laut «tagesschau.de» für 2008 auf Rekordniveau. (...) Auch habe es 2008 mindestens ein Tötungsdelikt gegeben, das in der Statistik noch nicht enthalten sei."

Donnerstag, 12. Februar 2009

Ist das bei Ihnen in der Firma?

Überwachungskameras auch auf dem Klo

Von Karl Weiss

Originalveröffentlichung

Wie wir schon von den Fällen Lidl, Telekom und Bahn wissen, die Neugier der Oberen in den Firmen über die privaten Dinge aller Beschäftigten bis hinein in ihre intimsten und persönlichsten Belange und am meisten empfindlichen Daten ist unersättlich und man sagt auch noch ganz frech, das sei geboten, um eventuelle kleine Vergehen von einigen wenigen Beschäftigten aufzuklären.

Wir wissen heute, die Bahn hat von über 100 000 Mitarbeitern die Kombination Name - Kontonummer an private Organisationen weitergegeben. Für einhunderttausend solche Kombinationen zahlen heute kriminelle Organisationen Millionen von Euro. Denn mit dieser Kombination kann jeder klevere Kriminelle Konten abräumen, speziell wenn er noch Verbindungsmänner in den grossen Banken hat, die für ihre Dienste weit mehr beziehen als ihr monatliches Gehalt.

Video-Überwachung auch auf dem Klo

Sehen Sie sich also dies Photo gut an. Kennen Sie den Typen vielleicht? Ist das vielleicht in Ihrer Firma, wo sogar auf dem Klo eine versteckte Kamera angebracht ist?

Und selbst wenn es das nicht ist, seien Sie generell misstrauisch. Alle Möchte-Gern-Sherlock-Holmes in den Direktionsetagen sind nun auf den Geschmack gekommen. Bei Lidl ist keiner von ihnen belangt worden, lediglich die Firma bekam eine "Peanuts"-Geldstrafe. Bei der Telecom bisher nichts! Keinerlei Bestrafung - alle scheinen unter den Tischen zu liegen vor Lachen über die "Aufklärer". Und das gleiche bei der Bahn. Mehdorn ordnete ein kleines Bauernopfer an und wird unversehrt herauskommen.

Da wird Ihr Chef nicht nachstehen wollen. Forschen Sie nach!

Übrigens: Auf dem Klo (und nicht nur dort) pflegen die Kameras hinter dem Lüftungsgitter angebracht zu sein.

Dienstag, 10. Februar 2009

Sind die lernfähig?

“ ... die berühmte Binnennachfrage”

Von Karl Weiss

In Davos in der vorletzten Woche wurde es mehrmals angesprochen: Man könne die dort Versammelten nicht einfach generell verurteilen, weil sie (zusammen mit anderen) die Hauptverantwortlichen für die multiple Krise sind, denn sie könnten ja lernen aus den Fehlern und in Zukunft zu einem „stabilen Kapitalismus“ beitragen. Sind sie wirklich lernfähig? Ist ein "stabiler Kapitalismus" möglich, in dem die Binnennachfrage immer der tatsächlichen Produktion angepasst wird?Die Antwort ist in einem Kommentar von letzter Woche zu finden.

Deutschland: Brutto-Inlandsprodukt, Einkommen, Renten, Prozent gegen Vorjahr, bis 2008

In der „Süddeutschen“ wird der Tarifabschluss bei der Bahn kommentiert. Wird er dort begrüsst, als Zeichen der Zeit, dass man seine Lektion gelernt hat? Zum ersten Mal seit langer Zeit ein Tarifabschluss bei der Bahn, der (wenn auch geringfügig) über der Inflationsrate liegt, zum ersten Mal seit langer Zeit bei einem der grossen Arbeitgeber in Deutschland eine (wenn auch minimale) Reallohn–Anhebung? Nein, man will die Lektion nicht lernen.

Der Abschluss wird – wie immer – als Ausgeburt der Unvernunft dargestellt: „Tarifverträge sind selten das Ergebnis von Vernunft oder Unvernunft.“ Es wird gedroht: „Abgerechnet wird später.“ – und dann noch einmal: „Abgerechnet wird danach.“ Ein Horrorgemälde: „Die Lohnsteigerungen ... übertreffen ... auch diejenigen aus dem zurückliegenden Aufschwung.“ Mein Gott wie fürchterlich! Da lagen sie nämlich weit unter der Inflationsrate.

Die Binnennachfrage wird ironisiert: „die berühmte Binnennachfrage“. Und natürlich, das durfte nicht fehlen: „ ... weil höhere Löhne für die Firma, die sie zahlen muss, erst einmal bedeuten, dass die Kosten dieser Firma steigen, ohne dass diese unmittelbar Aussicht auf mehr Absatz hat.“

Nun könnte man natürlich argumentieren: Wie stellt sich denn der Kommentator vor, dass der Absatz von Bahnfahrkarten der Bahn ansteigt, wenn es keine erhöhte Binnennachfrage gibt? Auf Ausländer hoffen, in deren Heimatländer noch die Binnenachfrage belebt wird? Werden die nach Deutschland kommen und hier bahnfahren?

Aber es ist aussichtslos zu argumentieren. Der Kommentator hat sein Einmaleins gelernt und da gibt es keine Binnennachfrage. Da gibt es nur Export, Export, Export. Deshalb, so weiss er, ist die Krise auch nicht hausgemacht, sondern die Schuld der Ausländer. Die kaufen einfach nicht mehr die deutschen Waren, diese Idioten!

Glauben Sie wirklich, diese Bande von Nutzniessern und Apologeten des Kapitalismus ist lernfähig? Glauben Sie, die werden einen „stabilen Kapitalismus“ schaffen, in dem jedes Jahr auf der Basis Inflation plus Produktivitätsanstieg die Löhne erhöht werden? Na sehen Sie!


Veröffentlicht am 10. Februar 2009 in der Berliner Umschau

Zusatz zum Artikel

Hier die unten von "expat" erwähnte Statistik

Entwicklung der Reallöhne pro Kopf* in Europa von 2000 bis 2008

Statistik Reallöhne

Montag, 9. Februar 2009

Woran die Banken kranken

„Lass alle Hoffnung fahren!“

Von Karl Weiss

Es kann absolut keine Rede davon sein, dass die „Bankenrettungspakete“, von denen inzwischen bereits jedes Land, das etwas auf sich hält, eins oder mehrere hat, für die gewaltigen Risiken ausreichen könnten, die sich im Taumel der riesigen Profite aus Spekulationen aufgehäuft haben. Im Artikel „Weitere gigantische Finanzmarktrisikenvom 28. Oktober 2008 hatte der Berichterstatter bereits darauf aufmerksam gemacht. Vielmehr kommt da mindestens noch einmal eine gleiche Grössenordnung nach oder sogar noch einmal weit mehr.

USA: Foreclosure Zwangsversteigerung

Um zu verstehen, um was es sich eigentlich handelt, sei hier ein stark vereinfachtes Beispiel gebracht:

Nehmen wir an, es gab ein Einfamilienhaus im US-Staat Ohio (eines der großen Zentren der jetzigen Zwangsversteigerungen) Ende 2004/Anfang 2005, das nach normalen Maßstäben 100.000 Dollar wert gewesen wäre, bereits abgezahlt. Nun hatte sich aber die Immobilienblase aufgewölbt und das Haus wurde mit 200.000 Dollar eingeschätzt. Zu jener Zeit gab es nun Finanzinstitutionen, die volle 200.000 Dollar als Hypothek auf ein solches Haus ausschütteten.

Nun werden Sie sagen, das ist doch verrückt, man kann doch keine Hypothek auf den volle Wert ausschütten, noch dazu in einer Hochpreisphase. Interessanterweise endeten diese Verrücktheiten nicht damit. Man gab vielmehr diese verrückten Hypotheken auch noch an Hausbesitzer, die bestenfalls für die Hälfte der fälligen monatlichen Abzahlungsraten ‚gut’ waren. Das nannte man intern „Sub-Prime-Hypo“. Ob das nun wirklich verrückt war, ist aber die Frage. Man kann auch die These aufstellen, die Bank musste lediglich groß genug sein, um sicher sein zu können: Im Fall, das alles auffliegt, kann sie die Politik zwingen, ihre Verluste aus Steuerzahlergeldern aufzufangen.

Der Rettungs-Plan

Zu jener Zeit konnte eine große Bank Gelder von der Fed (der US-Zentralbank) zu 1 % Zinsen pro Jahr (oder einem ähnlichem Wert) bekommen. Das war weniger als die Inflationsrate, also in Wirklichkeit bekam man dieses Geld geschenkt (man musste es natürlich zurückzahlen, aber später, wenn es schon weniger wert war). Man wolle die Überproduktionskrise verhindern (in Wirklichkeit wurde sie nur hinausgezögert, um dann umso intensiver zuzuschlagen) und wollte riesige Konsummengen über Kredit finanzieren. So nahmen die Banken denn wahnwitzige Mengen von Billiggeld (oder Umsonstgeld) auf und drückten Extrem-Risiko-Kredite (Sub-Primes) in den Markt, dass den Konsumenten das Wasser im Munde zusammenlief.

Doch zurück zu unserem Haus in Ohio: Der Zinssatz war am Anfang 4% pro Jahr, das war relativ extrem billig für einen Privatmann und extrem viel Geld für den Hausbesitzer. Nehmen wir an, es sei eine Rückzahlung des eigentlichen Wertes über 25 Jahre Laufzeit vereinbart worden. Dann hatte also die Familie des Hausbesitzers, nennen wir ihn John Doe, monatlich etwa 1340 Dollar zu zahlen.

Nun kam allerdings das Jahr 2006 und die Zinsen stiegen auf 5,5% im Jahr und die Bank wollte wegen des erhöhten Risikos eine Rückzahlung innerhalb 20 Jahren (sehen Sie mal in Ihrem Hypothekenvertrag nach, die Bank hat das Recht dazu, dies jederzeit zu verlangen), damit erhöhte sich die monatliche Zahlung auf etwa 1740 Dollar, was diese Familie schon in Schwierigkeiten brachte, aber noch aufzubringen war, wenn man an vielen anderen Dingen sparte. Doch dann kam das Jahr 2007 und die Zinsen stiegen auf 7% und die Rückzahlungsfrist wurde auf 15 Jahre neu festgesetzt und damit stieg die monatliche Zahlung auf 2280 Dollar. Das war zu viel für die Familie. Nun nahm man einen neuen Kredit auf, diesmal auf den schicken Toyota SUV, den man (u.a.) von den ursprünglichen 200 000 Dollar gekauft hatte, mit dem bezahlte man die Raten und hoffte, die Zinsen würden wieder fallen im nächsten Jahr und eventuell auch erneut auf 20 Jahre umgeschuldet werden.

"Ich bin in Ordnung, ich bin auf einen Steuerzahler gefallen"

Als aber das Jahr 2008 kam, war es umgekehrt: Die Bank (das war längst nicht mehr der Kreditvermittler, bei dem man die Hypothek bekommen hatte, sondern eine ganz andere, den Does unbekannte Bank in einem fernen Land) verlangte eine erneute Zinserhöhung und erneut eine schnellere Rückzahlung. Damit waren die Möglichkeiten der Does erschöpft. Man musste das Haus aufgeben und bekam dafür von der Bank immerhin eine Ausgleichsquittung, man sei nichts mehr schuldig (In Wirklichkeit begehen Banken nicht solche Großzügigkeit, aber es läuft sowieso aufs Gleiche hinaus, denn bald wird bei den Does nichts mehr zu holen sein). Der Toyota, auf den beliehen worden war, wurde auch bald zu teuer in den Raten und auch ihn verloren die Does – immerhin ohne weitere Schulden zu haben, denn jetzt brauchte man sein Geld für die Miete.

Die Bank hatte nun Anfang 2008 eine Haus, dessen Wert zu diesem Zeitpunkt noch mit 120 000 Dollar bewertet wurde, denn die Immobilienblase war schon seit geraumer Zeit am Platzen. Wäre der Wert noch bei 200 000 geblieben, hätte die Bank immerhin 10,7% Zinsen pro Jahr auf seine ursprünglich eingesetzten 200 000 Dollar erzielt gehabt. Hätte man – sagen wir – 800 000 solcher Kredite ohne die Immobilienkrise durchgebracht, hätte man einen Reingewinn von grössenordnungsmässig 16 Milliarden Dollar („Billions of Dollars“) pro Janr verbuchen können, ohne auch nur einen müden Cent an Eigenmitteln (Einlagen der Kunden) eingesetzt zu haben. 16 Milliarden Dollar Reingewinn pro Jahr ohne Eigenkapital zu benutzen, das ist selbst für einen hartgesottenen Banker etwas, was ihm Freudentränen in die Augen treibt.

Mit dem Wertverfall aber kam man auf einen offiziellen Verlust von 15 660 Dollar plus dem verringertem Wert des Hauses von 80 000 Dollar (da kommt eigentlich noch ein kleiner Zinsgewinn dazu, aber die Details interessieren im Moment nicht). Diesen Verlust musste man nun abschreiben, d.h. er musste in die Bilanzen eingehen.

USA: Arbeitsloser Akademiker, Ende November 2008

Das war aber zu diesem Zeitpunkt schon gar nicht mehr realistisch. Obwohl die Bank einen satten Verlust abgeschrieben hatte (etwa 100 000 Dollar, war der Buchwert immer noch bei weitem zu hoch. In Wirklichkeit ist das Haus ja nur noch wert, was bei einer Zwangsversteigerung erzielt wird und das wäre dann Ende 2008 gewesen, aber da war auch der nominale Wert bereits auf 75 000 gesunken, bei einer Zwangsversteigerung wären nur 60 000 zu erzielen gewesen, denn fast niemand kauft bei Immobilienpreisen im freien Fall ein Haus, wenn es schon bald viel billiger sein wird. Dieser zusätzliche Verlust von weiteren 60 000 Dollar über den vorherigen hinaus steht aber noch nicht in den Büchern der Bank. Dort steht noch ein Wert von 120 000 (Sie erinnern sich, wie damals Banken Verluste angaben, gleichzeitig aber viele sagten, da kommt noch viel nach).

Nun kam aber auch noch die Wirtschaftskrise und in der Region von Cincinnati, wo die Does wohnen, werden Zehntausende auf die Straße gesetzt. Damit brechen die Immobilienpreise noch weiter ein. Heute, Februar 2009, ist für das Haus der Does nicht mehr als 45 000 zu erzielen, weil in einer solchen Situation niemand ein Haus kauft. Wahrscheinlich wird sich der Wert am Ende auf etwa 30 000 einpendeln. Das wäre der Wert, bei dem Spekulanten zugreifen würden, denn man hofft, irgendwann werde sich wieder ein Markt für Häuser entwickeln.

Dieser Wert von 30 000 für jenes Haus, für das man 200 000 ausgegeben hat, ist aber ein Desaster für die Bank. Wenn sie noch 800 000 andere Häuser mit ähnlichen Zahlen hat, so ist sie schlicht pleite, denn sie hätte um die 136 Mrd. Dollar an Verlusten abzuschreiben, während ihr Eigenkapital nur – sagen wir – 80 Mrd. Dollar beträgt. Nur weiss das noch niemand. Wenn man es wüsste, würde die Aktie auf Null fallen und niemand würde der Bank mehr sein Geld anvertrauen. Also, psssst!

Northern Rock Pleite

Man hat für den ersten Verlust (der war etwa 100 000 Dollar, nicht wahr?) bereits Gelder von Staat in Anspruch genommen aber man muss unbedingt den noch ausstehenden Verlust verheimlichen. Vielleicht kann man nacheinander noch zweimal Staatsgelder in Anspruch nehmen, vielleicht lässt sich ja die Pleite vermeiden.

Das Ganze sollte so ungefähr deutlich machen, was bisher in der Finanzkrise geschah und was noch aussteht. Es sei dazugesagt, das ist extrem vereinfacht, taugt aber zur Verdeutlichung.

Das Ausschlaggebende ist nicht nur, dass die Banken bestimmte Wertberichtigungen bisher nicht gemacht haben und dies verschweigen, sondern auch, dass die Wirtschaftskrise, die im Kern die Finanzkrise ausgelöst hat (nicht: verursacht hat), nun ständig die Finanzkrise weiter verschärft und vice versa.

Der Bundesbankpräsident Weber z.B. sagt dazu im Januar 2009: „Das eigentliche Ausmaß der weltweiten Finanzkrise ist noch längst nicht absehbar. Der wirtschaftliche Abschwung ist stärker und weltweit umfassender, als wir das erwartet haben. Es macht mir Sorge, daß es noch nicht gelungen ist, die Krise an den Finanzmärkten einzudämmen. Es gibt derzeit immer neue Verwerfungen, mehr betroffene Segmente und neue Verluste, die zu weiterem Abschreibungsbedarf führen".

Immobilienkrise USA

Das kann man die zweite Phase der Finanzkrise nennen. Sie wird noch einmal mindestens so schlimm wie die erste und ist erst am Anfang. Wenn also die USA einen Banken-‚bailout’-Plan von 850 Mrd. (in amerikanischem Englisch: Billions) Dollar aufgelegt hatten und einen wesentlichen Teil des Geldes bereits ausgegeben haben (nicht wirklich ausgegeben, aber garantiert, was aufs Gleiche hinausläuft), so wird noch einmal eine vergleichbare Grössenordnung auf sie zukommen oder eventuell weit mehr. Darum haben bestimmte Fachleute bereits angeregt, den gesamten Bankensektor zu verstaatlichen, denn das kommt billiger. Wenn also die Bundesrepublik einen „Banken-Rettungsschirm“ von 450 Mrd. Euro aufgespannt hat (und andauernd versichert, das Geld sei ja nicht weg, es seien nur Garantien – doch das ist nichts als Pfeifen im dunklen Wald), so wird noch weit mehr auf sie zukommen. Nichts umsonst ist auch hier die Verstaatlichung aller Banken (oder fast aller) bereits im Gespräch. Man hat sogar schon einen Gesetzesentwurf dafür vorgelegt, wie man ohne zu hohe Kosten enteignen kann.

In Davos, wo sich vorletzte Woche fast alle Hauptverantwortlichen der Finanzkrise versammelten und so taten als seien sie diejenigen, welche die Menschheit vor der Krise retten könnten, waren sich fast alle einig: Die Finanzkrise ist bei weitem nicht ausgestanden. Voraussichtlich kommt noch weit mehr als das Doppelte der bereits garantierten Summen. Der Professor Roubini, einer der die Krise hatte kommen sehen, schätzte dort die noch ausstehenden Verluste und nicht getätigten Abschreibungen auf etwa 3,6 Billionen Dollar (in US-Englisch: Trillions of Dollars), also 3600 Milliarden Dollar, davon etwa die Hälfte in den USA, die andere in Europa. Der US-Anteil von 1,8 Billionen stünde einem gesamten Kapital (zu Beginn der Krise) der US-Finanzinstitutionen von 1,4 Billionen Dollar gegenüber, also ist man generell pleite.

Dabei wurde hervorgehoben, dass es sich beim zweiten Teil der Finanzkrise nicht einfach um eine Bankenkrise handeln werde, sondern weit mehr Institutionen betroffen sein werden, so wie Hedge-Fonds, wie Kreditkartenorganisationen, die Versicherungen, Rückversicherer und auch bei vielen Firmen „faule“ Papiere auftauchen werden (der Milliardär Merkle konnte ein Lied davon singen, als er sich vor den Zug warf). Ebenso wird es nicht mehr nur um platzende Hypotheken gehen, sondern auch um riesige Mengen an Kreditkarten-Rechnungen, die nicht mehr bezahlt werden können und um Autokredite, die nicht mehr bezahlt werden und um andere geplatzte Kredite.

Börsenkurse in der Krise: Dow, Dax und Nikkei von August 2008 bis Oktober 2008

Auf diesem Weg ist jede Entlassungwelle eine neue Verschärfung der Krise und jede Verschärfung der Finanzkrise verursacht weniger bezahlbare Kredite für die Unternehmen, was wieder Entlassungwellen verursacht und so weiter.

Die Finanz- und Kredit- und Wirtschaftskrise schaukeln sich so gegenseitig hoch bis zum Tor der Hölle, wo laut Dante steht: „Lass alle Hoffnung fahren!“

Natürlich könnte man versuchen den Kapitalisten zu erklären, sie sollten sich mit weniger Gewinn zufriedengeben und nicht entlassen, um dieses Aufschaukeln zu verhindern, aber das geht im Kapitalismus nicht. Würde einer der Kapitalisten dies wirklich tun, würde er schnellstens von seinen Konkurenten vom Markt verdrängt.

Massive Streiks, Generalstreiks und Volksaufstände könnten dies schaffen, aber davon sind wir noch etwas entfernt.

Und wenn wir soweit sind, dann werden wir uns natürlich nicht mit einer geringfügig verringerten Kapitalismus-Krise zufriedengeben, sondern gleich das ganze System hinwegfegen und weltweit den echten Sozialismus errichten, oder nicht?

Lesen wir Marx und Engels, wir werden es demnächst brauchen!


Veröffentlicht am 9. Februar 2009 in der Berliner Umschau

Freitag, 6. Februar 2009

27-Jahres-Tief

"carmaggeddon"

Wer ein Verhältnis zu Zahlen hat und der Wahrheit ins Auge sehen will: Die Wirtschaftskrise ist bereits bei weitem das schlimmste, was man gesehen hat. Hier die Autoverkaufszahlen in den USA im Januar im Jahresvergleich (bei CNN wurde das "carmaggeddon" genannt):

GM: 129 000 (-49%!!!)

Ford: 90 600 (-39%)

Chrysler: 62 000 (-57%!!!)

BMW: 14 300 (-16%)

Daimler-Benz: 12 200 (- 43%)

VW: 12 700 (- 12%)

Audi: 4 700 (- 26%)

Porsche : 1 746 (- 36%)

Toyota: 117 300 (-34%)

Insgesamt wurde in den USA ein 27-Jahres-Tief erreicht.


Veröffentlicht am 4. Februar 2009 in der Berliner Umschau

Mittwoch, 4. Februar 2009

Brasilien liefert Battisti nicht aus

Politische Verfolgung?

Von Karl Weiss, Belo Horizonte

Zwischen Italien und Brasilien gibt es ernsthafte diplomatische Verstimmung. Der als Terrorist und Mörder in Italien verurteilte Cesare Battisti hat sich nach Brasilien geflüchtet und soll nicht nach Italien ausgeliefert werden. Die italienische Regierung reagierte empört. Was steckt dahinter?

Der brasilianische Justizminister Tarso Genro hat entschieden, den nach Brasilien geflüchteten ehemaligen Militanten der PAC, eine der Gruppen von radikalen Linken, die zeitweise den bewaffneten Kampf predigten, nicht nach Italien auszuliefern. Battisti wurde in Italien wegen vier Morden in Abwesenheit zu einer lebenslänglichen Strafe verurteilt.

Genro, der selbst zur Zeit der brasilianischen Militärdiktatur einer Gruppe angehörte, die zeitweise den bewaffneten Kampf propagierte und der als Terrorist galt und ins Ausland flüchten musste, hat die von Italien eingereichten Unterlagen über den Prozess in Abwesenheit studiert und kam zu dem Schluss, es sei kein Mord Battistis beweisen worden und das Urteil stelle eine politische Verfolgung dar. Politisch verfolgte aber aber einen Anspruch darauf, nicht ausgeliefert zu werden.

Nach Aussage von Genro wurde im Prozess lediglich bewiesen, dass Battisti eine Zeit lang Mitglied der PAC gewesen war, was dieser auch nicht bestritten hat. Er wurde pauschal wegen vier Morden verurteilt, weil man diese Morde der PAC zuschreibt. Die einzigen Anhaltspunkte sind Aussagen von anderen Gruppenmitgliedern, die vom Staatsanwalt für diese Aussagen Straffreiheit bzw. Strafmilderung bekommen haben. Diese Zeugen hätten alles gesagt, was der Staatsanwalt hören wollte. Zwei der vier Morde fanden zudem zur gleichen Zeit an verschiedenen Orten statt, so dass Battisti unmöglich in beiden Fällen der Täter sein konnte.

Das italienische Justizsystem stand nach der Umgründung aller poltischen Parteien wegen der nachgewiesenen Verbindungen zur Mafia bereits mehrfach unter heftigen Anklagen, so u.a. im Zusammenhang mit dem Wiederaufleben von mehreren Mafia-Organisationen in Italien (was den Verdacht zuließ, die politischen und Justiz-Patronagen der Mafia seien fortgeführt worden oder nach kurzer Unterbrechung wieder aufgenommen worden) und dem Einfluss, den der reaktionäre Ministerpräsident Berlusconi ausübt, der andauernd neue Gesetzesvorhaben ins Parlament einbringt, die ihn und seine Clique vor Korruptions-Verfolgungen schützen sollen.

Battisti lebte versteckt in Frankreich. Doch Frankreich entschied, es müsse ihn an Italien ausliefern, weil die EU-Regeln dies unabhängig vom Einzelfall vorsehen. Daraufhin floh Battisti aus Frankreich und kam auf mehreren Umwegen nach Brasilien. Er wurde in Brasilien in Auslieferungshaft genommen. Nach der Entscheidung des Justizministers hat Italien den Obersten Brasilianischen Gerichtshof angerufen. Battisti ist weiterhin in Auslieferungshaft, bis dieser entscheidet.

Battisti selbst bestreitet alle Morde und hebt hervor, bei zweien der Morde, die der PAC zur Last gelegt werden, schon gar nicht mehr in der Gruppe gewesen zu sein.

In allen zivilisierten Ländern gibt es im Fall einer Verurteilung in Abwesenheit die Regel, dass der Verurteilte das Recht auf einen neuen Prozess hat, in dem er anwesend ist, wenn er gefasst wird. Dies Recht bestreitet aber die italienische Justiz Battisti. Man will ihn lediglich ausgeliefert haben, um ihn die lebenslange Haftstrafe abbüßen zu lassen.

So hat die deutsche Justiz z.B. mehrmals Verbrecher aus den Todeslagern der Hitler-Faschisten in Abwesenheit verurteilt. Waren sie in Deutschland aufgespürt, wurde ihnen ein neuer Prozess garantiert, der allerdings wegen der langen vergangenen Zeit nur die geringsten Teile der tatsächlichen Verbrechen aufklären konnte.

Battisti weist daraufhin, dass eine Genossin aus der PAC, die auch für die gleichen Morde verurteilt wurde und in Italien einsitzt, mit absolutem Entzug von Tageslicht gefoltert wird und dies auch auf ihn zukäme, wenn er ausgeliefert würde.

Währenddessen schäumen einige der reaktionären italienischen Regierungspolitiker vor Wut. Einer forderte sogar, das für diese Woche in London angesetzte Fußball-Freundschaftsspiel zwischen Italien und Brasilien abzusagen. Der italienische Außenminister erklärte, Genro sei „einer der Kommunisten der extremen Linken“. Wie weit rechts muss der wohl stehen, dass er einen biederen Sozialdemokraten nicht mehr von einem Linksradikalen unterscheiden kann?

Interessanterweise kamen aus Italien bisher nur formale oder unsachliche Argumente. Ob man keine sachlichen hat?


Veröffentlicht am 4. Februar 2009 in der Berliner Umschau

Dienstag, 3. Februar 2009

In the Valley of Elah

“Es ist der Fluch der bösen Tat, dass sie fortwährend Böses muss gebären“

Von Karl Weiss

Den deutschen Namen des Filmes kenne ich nicht, er stammt aus dem Jahr 2007 und heißt in der der Original-US-Version wohl „In the Valley of Elah“ (Bezug auf die Bibel, Geschichte von David und Goliath?), mit Tommy Lee Jones in der Hauptrolle des Vaters eines US-Soldaten, der aus dem Irak zurückkommt und wenige Tage später ermordet wird, in der Rolle seiner Frau Susan Sarandon. Der Film wurde hier in Brasilien an einem Sonntagmorgen im Kabelfernsehen gezeigt. An einem anderen Sonntagmorgen – ob das wohl Zufall ist? – wurde eine Dokumentation gezeigt, ich glaube, es war im „History Channel“ über US-Soldaten, die aus dem Irak zurückkommen.

Irak: Weinendes blutbeflecktes Kind, dessen Vater und Mutter soeben von US-Soldaten ermordet wurden

Im Kern geht es in beiden Fällen um die entsetzlichen Gräueltaten gegen Zivilisten, die von den US-Truppen im Irak begangen wurden und werden – und wohl im gleichen Masse in Afghanistan - und darum, dass diese nicht nur Auswirkungen auf die Iraker haben, an denen so etwas verübt wird (wie auch auf alle umliegenden Völker, die gut informiert sind, was dort vorgeht), sondern eben auch auf die Täter bzw. deren Kameraden.

Im Irak sind bisher schon nach den vorsichtigsten Schätzungen aller halbwegs glaubwürdigen Quellen zumindest eine Million Zivilisten durch Aktionen des US-Militärs ermordet worden, nach anderen Schätzungen weit mehr. Das Verhältnis von getöteten „feindlichen Kämpfern“ zu Zivilpersonen liegt bei glatt 1 : 100. Ein großer Teil dieser Opfer geht auf Luftangriffe zurück, eine Mordmethode, die sich speziell durch ihre Unpersönlichkeit auszeichnet, aber ein nicht zu unterschätzender Teil der Gräueltaten wurde und wird Angesicht zu Angesicht durchgeführt und die Taten prägen sich den Tätern und den anderen gegenwärtigen Soldaten unauslöschlich ein.

Irak: Weinendes Kind, dessen Vater un Mutter soeben von US-Soldaten ermordet wurden

Die Dokumentation war beeindruckend. Die Soldaten sind deprimiert. Einer sagt: „Was wir getan haben, ist unverzeihlich!“ Ein anderer: „Ich selbst habe die Zivilisten nicht erschossen, aber ich war der Teil der Gruppe, die dies tat. Ich kann dies nie vergessen. Ich kann mit dieser Erinnerung nicht leben.“

Offenbar gibt es bei der Spezies Mensch trotz aller Indoktrination ein ursprüngliches Gefühl für richtig und falsch, zumindest was extreme Fälle betrifft, wie ohne jede Not Zivilisten zu ermorden und zu verstümmeln.

Die Zahl der Selbstmorde bei US-Soldaten, die aus dem Irak zurückkommen, ist erschreckend hoch und steigt weiter an. Meistens versuchen die Soldaten mehrere Monate lang, wieder in ein normales Leben zurückzufinden, was einem Teil auch gelingt. Viele aber merken, sie können nie wieder ein normales Leben leben. Sie schotten sich von der Familie ab. Reihenweise gehen Ehen und Verlobungen zu Bruch. Die Soldaten beginnen sich „sonderbar zu benehmen“.

Irak-Krieg US-Aggression

Es gibt psychologische Hilfszentren, aber nur wenige im Land. Die Soldaten müssen, um dort behandelt zu werden, ihre heimische Umgebung verlassen, was meistens jede Möglichkeit einer erfolgreichen Behandlung bereits verhindert. Im Gegenteil: In diesen Behandlungszentren ist die Zahl der Selbstmorde überproportional hoch.

Dazu kommen die Drogenprobleme. Laut Aussagen von Soldaten im Film und in der Dokumentation nehmen praktisch alle US-Soldaten im Iran Drogen, „weil man es sonst nicht aushält“. Während in US-Kasernen regelmäßig Drogentest durchgeführt werden, ist das Einschmuggeln von Drogen durch Truppen in die Unterkünfte im Irak allgemein bekannt und „genehmigt“. Auch Soldaten, die aus dem Irak zurückkommen, werden in US-Kasernen keinen Drogen-Kontrollen unterzogen, wird im Film gesagt.

In den Behandlungszentren werden zwar auch Entzugskuren angeboten, aber das erhöht die dortigen Probleme nur noch, weil die oft sehr beträchtlichen Entzugserscheinungen noch zur Depression hinzukommen. Ein Teil der Soldaten schafft es selbst, von den Drogen loszukommen, aber ein wesentlicher Teil ist dauerhaft drogenabhängig. Damit ist aber ihre kriminelle Karriere vorgezeichnet. Man braucht viel Geld für Drogen und muss stehlen und/oder überfallen, um ans Geld zu kommen und man wird mit verbotenen Drogen erwischt. So ist denn auch ein Teil der zurückgekehrten Irak-Soldaten, der vom Sprecher der Dokumentation auf 20% (der Überlebenden) geschätzt wird, heute bereits im Gefängnis oder verurteilt.

Irakkrieg

Das Interview mit einem von ihnen in der Dokumentation ist erschütternd. Der Häftling sagt, er sei eigentlich ganz froh im Gefängnis zu sein, denn so könne er sich vorstellen, er büße hier seine Schuld aus dem Irak ab. Außerdem fände er sich draußen sowieso nicht mehr zurecht.

Im Film “In the Valley of Elah” ruft der Sohn seinen Vater, ebenfalls Soldat, aus dem Irak an und sagt, er müsse ihn hier rausholen. Der Vater weiss, das ist nicht möglich und versucht seinen Sohn zu beruhigen. Der merkt, es gibt keine Hilfe für ihn und reagiert zynisch und brutal.

Was ihn zu jenem Hilferuf geführt hat, erfährt der Vater später von einem Kameraden seines Sohnes. Der Sohn hatte einen großen Army-Truck zu fahren und hatte Anweisung, auf keinen Fall anzuhalten, wenn sich jemand vor den Lastwagen stellte, denn dies seien oft Fallen der Widerstandskämpfer. Als er einmal diesen Befehl ausführt, stellt er fest, er hat ein Kind totgefahren und es war keine Falle. Er steigt aus und macht mit dem Handy ein Foto der Szene. Dies Foto schickt er dem Vater. Aber der versteht nicht, weil auf dem Foto das tote Kind nicht zu erkennen ist.

Später schickt der Sohn kurze Videos, mit dem Handy aufgenommen, an den Vater, der nicht begreift, was da gefilmt ist. Der Sohn hatte begonnen, irakische Verletzte, die man ins Krankenhaus (und Gefängnis) fährt, zu foltern. Er greift in deren Wunden und fragt, ob das weh tue, während der Verletzte schreit wie am Spieß. Er mach dies nun so häufig, dass alle Kameraden ihn „Doc“ nennen.

Am Ende findet der Vater heraus, wie sein Sohn ermordet wurde. Die Gruppe von Soldaten, eben aus dem Irak zurückgekommen und unter Drogen, geht am Abend in ein Strip-Lokal. Der Sohn beginnt dort die Stripperinnen unflätig zu beschimpfen und anzugreifen. Die ganze Gruppe wird aus dem Lokal geworfen. Die anderen sind sauer auf den Sohn und es entsteht ein Streit. Mitten im Streit greift plötzlich einer der Soldaten zum Messer und ermordet den Sohn mit über 20 Messerstichen.

Anschließend beginnt die Grupe zu beraten, wie man das Verbrechen vertuschen könnte. Man zerschneidet die Leiche in viele kleine Stücke (einer der Soldaten ist Metzger) und will sie dann fortschaffen, aber alle haben so viel Hunger, dass sie erst einmal Hühnchen essen gehen. Als sie zum Tatort zurückkommen, haben Tiere die Leichenteile bereits zerstreut. So fährt man zur Kaserne zurück und verspricht Stillschweigen.

Das ist das andere Problem, mit dem viele Familien zurückgekehrter Soldaten zu kämpfen haben: Die Soldaten, die für Jahre im Irak waren, sind oft völlig verroht und gewalttätig. Sie sind oft nicht mehr zu liebevollen oder freundschaftlichen Beziehungen mit anderen Menschen fähig. In der Regel sagen die Eltern oder Ehefrauen oder Bräute der Soldaten, was da zurückkam, war nicht mehr der geliebte Sohn, Mann oder Bräutigam.

Ein zusätzliches Problem ergib sich daraus, dass die USA Frauen als ganz normale Soldaten zusammen mit den Männern „kämpfen“ lassen. Einer der interviewten Soldaten in der Dokumentation sagte, alle Soldatinnen seien ein- oder mehrmals vergewaltigt worden. Er deutet an, dass er zumindest durch Festhalten auch daran beteiligt war. Anscheinend beschließen bestimmte Gruppen der Soldaten einfach, eine der Kameradinnen zu vergewaltigen und nehmen sie sich dann einer nach dem anderen vor, während die anderen sie festhalten. Die Soldatinnen werden dann anschließend „vergattert“, auf keinen Fall ihre Vergewaltiger anzuzeigen, sonst sei das „Verrat“.

So haben dann diese Frauen noch ein zusätzliches psychisches Problem, wenn sie zurückkommen. Auch bei ihnen ein Zurückziehen von der Welt, Gewaltausbrüche, Drogen und Kriminalität.

Bei all dem ist ein Problem noch gar nicht erwähnt, das sich erst mit der Zeit herausstellt: Die Strahlenkrankheit. Im Irak (wie auch in Afghanistan, wie auch von Israel im Libanon, in Syrien und in Gaza) wird abgereichertes Uran in Geschossen und Sprengköpfen eingesetzt, so wie schon vorher im 1. Golfkrieg 1991. Von den über 500 000 damals dort eingesetzten Soldaten sind im Bereich von 325 000 verschieden stark verstrahlt und krank geworden. Insgesamt sind nach Auskunft der Veteranenorganisation des 1.Golfkrieges über 11 000 bereits daran gestorben, es werden weitere Tausende Todesfälle noch erwartet. Die Zahl von 325 000 bezieht sich auf arbeitsunfähig Erkrankte. Näheres zu diesen Fällen in diesem Artikel: „11 000 Tote – und niemand erwähnt es

Die Soldaten, die aus dem Irak zurückkommen, sind also zusätzlich von der Strahlenkrankheit bedroht, so als ob sie ohnedies nicht schon genug Probleme hätten. Abgereichertes Uran strahlt fast genau so stark wie reines metallisches Uran ohne Anreicherungsprozess und das ist viel. Jeder, der sich gezwungenermaßen viel in der Nähe solcher Geschosse, Raketen und Munition aufhält bzw. dessen Staub am Abschussort oder am Einschlagsort einatmet, bekommt Strahlenschäden, die sich bei geringer Dosis erst nach Monaten oder Jahren bemerkbar machen. Häufig sind dies Erkrankungen an Leukämie und anderen Krebserkrankungen, aber auch die Schädigung des Gewebes selbst (ohne Krebs) kann bereits zu schwersten Krankheitssymptomen und zum Tod führen.

Es sei daran erinnert: Diese Munition wurde in wesentlichen Teilen über Deutschland in dem Irak geliefert. Seit Anfang des Irak-Krieges haben bekanntlich Bundeswehrsoldaten die Bewachung der US-Kasernen in Deutschland übernommen, wo all dies zwischengelagert wurde und wird. Sie waren also zum mindesten zum Teil dieser Strahlung ausgesetzt.

So hat denn auch jemand schon bei einem SPD-Abgeordneten nach den Schäden durch Strahlung durch abgereichertes Uran gefragt und bekam prompt Antwort: Die Bundeswehr (wer auch sonst, nicht wahr?) habe das bereits überprüft und alles als ungefährlich eingestuft. Wie schön, dass die Gesetze der Physik ausser Kraft gesetzt wurden.

Kaum etwas kennzeichnet die Zersetzung dieses Gesellschaftssystems Kapitalismus und seiner Politiker (in den USA wie in Deutschland) klarer als die völlige Gleichgültigkeit, die man den eigenen Soldaten entgegenbringt, während man sie gleichzeitig für politische Propaganda benutzt.


Veröffentlicht am 3. Februar 2009 in der Berliner Umschau

Montag, 2. Februar 2009

Lula kritisiert entwickelte Länder

„...den „Gott Markt“ angebetet“

Von Karl Weiss

In einer mit Ironie gespickten Rede hat der brasilianische Präsident Lula auf dem Welt-Sozialforum in Belem in Brasilien die entwickelten Industriestaaten kritisiert. Er sagte, diese Länder hätten den „Gott Markt“ angebetet, der alles lösen würde, aber nun habe dies die Krise ausgelöst.

Morales und Lula in Santiago

Gleichzeitig mit dem Welt-Finanz-Forum in Davos, wo sich (fast) alle Verantwortlichen für die Krise versammelten, fand in Belem in Brasilien an der Amazonasmündung das Welt-Sozialforum statt, das zum Motto zu haben scheint: „Wir haben es doch die ganze Zeit gesagt!“

Auf der Veranstaltung „Lateinamerika und die Herausforderung der Krise“ sprachen vor etwa 8000 Menschen neben Lula auch die linken südamerikanischen Präsidenten Evo Morales aus Bolivien, Hugo Chaves aus Venezuela, Rafael Correa aus Ekuador und Fernando Lugo aus Paraguay.

Lula sagte: „Ich hoffe, der Internationale Währungsfond IWF [der den Entwicklungsländern immer vorschreibt, was sie zu tun haben] wird nun Obama sagen, wie die Vereinigten Staaten repariert werden können, wird Deutschland sagen, wird Sarkozy sagen, wird allen diesen Ländern sagen, wie man in Ordnung bringt, was sie hervorgebracht haben.“

Chávez und Lula

Weiterhin sagte er: „Die jetzige Krise eröffnet die Möglichkeit, es jenen heimzuzahlen, die immer dachten, sie wüssten mehr als wir, wie man mit hoher Arbeitslosigkeit umgeht, denn was die bisher hervorgebracht haben, waren große Geldsummen für Banker.“

„Die Krise ist eine Folge der Politik dieser Länder in den vergangenen 20, 30 Jahren. Diese Krise wurde nicht in Brasilien geboren und nicht durch die Politik von Hugo Chávez, sie entstand aus der Logik dieser Länder in dieser Periode, dass der Staat zu gar nichts nutze sei und der „Markt“ die Länder entwickeln und soziale Gerechtigkeit bringen würde. Dieser „Gott Markt“ ist nun zusammengebrochen, weil es keine Kontrolle gab, aber stattdessen Spekulation.

Und nun? Welchen „Gott“ bitten sie jetzt um Hilfe? Den Staat, der doch zu gar nichts nutze war! Doch nun gibt er Milliarden von Dollar und Euro, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln.“

Lula kündigte auch ein Programm zum Bau von einer Million „Volkshäuser“ an, kleine Häuser, die armen Familien gegen eine symbolische Miete zur Verfügung gestellt werden. Er hob auch hervor, dass die halbstaatliche brasilianische Petrobras mit Milliardenbeträgen dabei sei, mehrere neue große Ölquellen im Atlantik vor der brasilianischen Küste zu erschließen, was eine große Zahl von Arbeitsplätzen schaffen würde. Er behauptete: „ ... das brasilianische Volk wird nicht für diese Krise zahlen.“ Ob er damit den Mund zu voll genommen hat, muss sich noch herausstellen.


Veröffentlicht am 2. Februar 2009 in der Berliner Umschau

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