Promt ging die Sache in die Hose

Rasterfahndung nach Kinderporno-Konsumenten hätte um ein Haar eine Firma gekostet

Von Karl Weiss

„Das ist der Fluch der bösen Tat, dass sie fortwährend Böses mag gebären...“

Die Behörden in Sachsen-Anhalt haben mal eben ganz schnell 22 Millionen Kreditkarteninhaber von den Kreditkarten-Firmen auf die Überweisung auf ein bestimmtes Konto untersuchen lassen. Ja, das muss man sich ganz langsam auf der Zunge zergehen lassen. Die ist wirklich passiert, hier in der Bundesrepublik, im Januar 2007. Dabei wäre beinahe eine Firma ins Aus getrieben worden. So ist das mit den bösen Taten.

Aber lassen wir dabei für dieses Mal ganz die Frage des Datenschutzes, des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung und des Schutzes der Privatsphäre weg.

Nun, mag der geneigte Leser antworten, da wird es ja wohl um schwerste Delikte gegangen sein: Mord, Entführung oder ähnliches, sonst hätte doch eine bundesdeutsche Behörde so etwas nicht angeordnet.

Damit sind wir denn schon am Kern der Sache:

Die Straftat, deren die Überweiser hätten angeklagt werden können, kann mit maximal zwei Jahren bestraft werden - allerdings nur in schweren Fällen. Das entspricht z.B. der Straftat Sachbeschädigung.

Na, aber - mag nun ein Anderer einwenden - ging es hier nicht um die Ermittlungen gegen Mitglieder eines Kinderporno-Ringes? Nein, ging es nicht. Es ging um die Ermittlung von Konsumenten, von Leuten, die sich Kinderpornomaterial anschauen wollen. Das war eben gerade das Böse an der Tat: Man hatte Schwierigkeiten, die Kinderpornohersteller ausfindig zu machen, die sich anscheinend auf den Philippinen verstecken, da ließ man seine Wut an einigen hundert mutmaßlichen Kinderporno-Konsumenten und 22 Millionen Kreditkartenbesitzern aus.

Was nun passierte – und charakteristisch für die Weiterungen von bösen Taten ist – war folgendes: Eine der Personen, die als Überweiser auf das fragliche Konto ermittelt wurde, das eventuell einen Zugang zu kinderpornografischen Bildern hätte eröffnen können, war ein Unternehmer. Ein Großaufgebot der Polizei stand da nun plötzlich vor seiner Firma, um alle Akten, alle Computer usw. zu beschlagnahmen - meldet die Site gulli.com unter „news“. Das wäre das Aus der Firma gewesen.

Der Unternehmer war aber unschuldig. Seine Kreditkarte wurde geklont und eine Menge Abbuchungen getätigt, die nicht von ihm stammten. Er hatte zum Glück schon Einspruch eingelegt und konnte diese Einsprüche vorweisen. Wäre das Klonen ein wenig später geschehen und er hätte noch gar nicht eingesprochen, wäre seine Firma und seine Existenz wie auch die der Familie den Bach hinunter gegangen; ganz zu schweigen von den Beschäftigten seiner Firma.

Nun, so mag nun ein Dritter einwenden, Zufälle und Unschuldige, die ins Getriebe geraten, das wird es immer geben. Deshalb kann man doch keine Kinderporno-Leute laufen lassen. Aber es waren eben nicht die Kinderpornoleute, sondern schlichte Konsumenten, die ermittelt werden sollten.

Und Zufälle und versehentlich Verdächtigte gibt es immer wieder, aber wenn man 22 Millionen überprüft, dann gibt es mit Sicherheit solche Fälle; das ist ein Fluch, in diesem Fall nicht der der bösen Tat, sondern der der großen Zahl.

Das ist ja einer der Gründe, warum das Bundesverfassungsgericht eine Rasterfahndung an extrem klare Kriterien geknüpft hat. Wenn man eine hohe Zahl von Leuten überprüft, ergeben sich immer eine Anzahl von Zufalls-Treffer, die der Betroffene oft nur schwer widerlegen kann, im Extremfall überhaupt nicht. Wer Rasterfahndung betreibt, dreht für eine Anzahl von zufällig Betroffenen die Beweislast um.

Bleibt schließlich noch das letzte Argument, das jemand einwenden mag. Die Konsumenten von Kinderporno würden ja erst den Markt schaffen, auf dessen Grundlage Kinderpornoringe ihre Profite machen. Das ist ernst zu nehmen.

Allerdings sagen Fachleute dazu, dass es bisher noch keinen einzigen Fall gegeben hat, in dem Kinderpornos für einen Markt gemacht wurden. Leute, die Kinder sexuell attackieren, tun dies aus Lust und aus Machtstreben. Dabei werden oft Fotos gemacht und Videos aufgenommen. Diese werden dann später ins Internet gestellt oder auf anderem Weg vermarktet, aber das war nicht die Ursache des Angriffs auf die Kinder, sondern ist ein zusätzlicher Profit, den sich solche Leute verschaffen wollen.

Charakteristisch für Kinderporno ist, diese Photos und Videos sind alt, oft Jahrzehnte alt. Die Kinderschänder wollen sich nicht der Gefahr aussetzen, gefasst zu werden. Deshalb bringen sie die Bilder und Videos nicht taufrisch auf den Markt, sondern Jahre oder Jahrzehnte später. Dann können die Kinder, die inzwischen oft schon erwachsen sind, oft nicht mehr erkannt werden und auch die Straftäter selber haben oft schon ihr Aussehen geändert.

Die Strafbarkeit des bloßen Besitzes ist also zweifelhaft. Offenbar ist sie aus dem Bestreben der Politiker-Kaste entstanden, die Aufmerksamkeit von Hartz IV, Rente mit 67, Steuergeschenke an Unternehmen und Klimakatastrophe abzulenken und die Menschen stattdessen in einen heroischen Kampf gegen „Kinderpornobanden“ zu verwickeln, den sie selbst siegreich anführen.

Aber es gibt noch einen ganz anderen, genauso schwerwiegenden Aspekt an dieser „Operation Mikado“ genannter Kreditkartenüberprüfung aller Besitzer von VISA- und Mastercard-Karten. Die Behörden (Polizei, Staatsanwaltschaft, Innenministerium) haben nicht etwa selbst die Verdächtigen aus den 22 Millionen Bundesbürgern herausgesucht. Sie haben das den Kreditkartenfirmen überlassen, also privaten Unternehmen.

Die Innenministerin von Sachsen-Anhalt rühmte sich dessen auch noch, denn wenn man dies eine private Organisation machen ließe, dann sei es keine Rasterfahndung.

Man stelle sich nur einmal vor, eine der Personen, die jene Liste von Leuten bei den Kreditkartenfirmen zusammengestellt haben, die jene Überweisung getätigt haben, sei, sagen wir einmal, ein wenig locker in der Handhabung der Daten.

Er hätte ein Familienmitglied auf der Liste entdeckt – und siehe da, plötzlich ist einer der vermutlichen Täter nicht mehr auf der Liste.

Oder ein anderer, der vielleicht die Chance sieht, ein gutes Geld zu verdienen. Er kennt eine der Personen auf der Liste, nimmt dessen Namen heraus, ruft ihn an und verlangt, sagen wir mal, 100.000 Euro dafür - oder vielleicht auch 1 Million - , um ihm die Schande zu ersparen, als Sexualtäter gebrandmarkt zu werden.

Nun, all solchen Dingen öffnet man Tür und Tor, wenn man private Organisationen mit Ermittlungen polizeilicher Art beauftragt.

Wie gesagt: „Das ist der Fluch der bösen Tat, dass sie fortwährend Böses mag gebären.“



Dieser Artikel wurde am 9. 2. 2007 in "Journalismus - Nachrichten von heute" veröffentlicht.

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