Auf dem Weg zum Entwicklungsland
Rasche Abnahme des Anteils
Von Karl Weiss
Ein neues Allzeit-Tief wird die Kaufkraft der Arbeitnehmer in der Bundesrepublik dieses Jahr erreichen, hat das WSI-Institut des DGB ausgerechnet. Am Jahresende wird der Anteil der Arbeitenden am Volkseinkommen auf einer historischen Tiefmarke von etwa 38% liegen. Den Rest von 62% haben die wenigen Reichen, Superreichen und Kapitalisten eingesteckt.
Die Grössenordnung von 38%, die jetzt erreicht wurde, ist Lichtjahre von den 56 % entfernt, die Deutschlands Arbeiter und Angestellte im Jahr 1960 bekamen, aber auch weit von den 40,5%, die man noch vor einem Jahr, 2006, erreichte. Diese Entwicklung zeigt die rasante Geschwindigkeit des Lohnabbaus an, der die Republik erschüttert.
Schnell steigen die Armutsquoten, in die Millionen gehen inzwischen bereits die Zahl der prekär Verdienenden, die Anspruch auf einen Hartz-IV-Zuschuss haben, weil sie weniger als die sowieso nicht ausreichenden Hartz-IV-Brosamen erhalten.
Diese rasche Entwicklung beschleunigte sich noch in den letzten Jahren, seit Hartz IV eingeführt wurde. Damit bestätigen sich die Vorhersagen, die Elmar Getto bereits vor der Einführung von Hartz IV gemacht hat (siehe diesen Artikel: „Dossier Hartz IV – Hindernisrennen ins Elend“) und werden die Aussagen der Politiker und Medien widerlegt, die damals dies alles für „Panikmache“ erklärten und behaupteten, Einigen werde es sogar besser gehen, nur Wenige würden verlieren.
Tatsächlich war Hartz IV, das am 1. Januar 2005 in Kraft trat, der Startschuss für die gewaltigste Umverteilungsoffensive zur Seite der Kapitaleigner, die es in der deutschen Kapitalismusgeschichte je gegeben hat. Die Kinderarmut steigt nun um Hunderttausende in jedem Quartal, die angebotenen Arbeitsplätze sind fast ausschliesslich Extrem-Niedrig-Lohn-Plätze, die Altersarmut greift bereits um sich, während die Komiker von Kapitalisten von Arbeitskräftemangel sprechen, während Monat für Monat mehr als 6 Millionen Deutsche (und deren Familien) im Bezug von Arbeitslosengeld stecken, davon mehrere Hunderttausend Hochqualifizierte.
Der Beginn der beschleunigten Umverteilung zugunsten der Kapitalbesitzer kann etwa im Jahr 1991 angesiedelt werden, als der Anteil der Arbeitenden, genannt Netto-Lohn-Quote, noch bei fast der Hälfte des Volkseinkommens lag. Seit damals nimmt der Arbeitnehmeranteil Jahr für Jahr ab, mit einer bedeutenden Beschleunigung seit 2005.
Irgendetwas von einem „Aufschwung“ oder auch nur von einer Verlangsamung dieser Ausbeutungssteigerung ist nirgendwo auch nur am Horizont zu erkennen. Es wird deutlich, die Behauptung des Wirtschaftsaufschwungs ist nicht auf Fakten basiert. Der einzige Aufschwung ist bei den Reichen-Einkommen und Kapital-Gewinnen festzustellen. Für die Menschen in Deutschland dagen wird das Tal der Tränen immer tiefer – und das immer schneller.
Fast alle, die selbst Kapitalisten sind oder im wesentlichen von angelegtem Geld leben, fallen dagegen von einem Einkommenshoch ins Andere. Niemals zuvor war in der Bundesrepublik die Verteilung so einseitig.
Vor kurzem noch galten etwa 10% der Bundesbürger offiziell als arm, jetzt sind es bereits 20%!
Der Kommentator „solitaire 100“ in der „ Süddeutschen“ schreibt dazu am 29. November:
„Die vielen neu geschaffenen Jobs haben nach Berechnungen des WSI nicht zu einer Verringerung der Einkommensunterschiede geführt. Mehr als die Hälfte der Stellen seien prekäre Beschäftigungsverhältnisse, zum Beispiel Zeitarbeit, Minijobs oder schlecht bezahlte Arbeiten.
Einer der Gründe ist, dass in Deutschland an manchen Stellen ein fieses Spiel gespielt wird.
Wenn es zu Lohnerhöhungen kommt, werden eigene Mitarbeiter entlassen und stattdessen Leiharbeitskräfte eingestellt. Beliebt ist es auch, Vollzeit-Jobs abzubauen und durch 400,00 Euro Jobs zu ersetzen. Und man findet das auch noch intelligent. Und da gibt es ja noch die Niedriglohn-Jobs, (...).
Ich würde da eher von Heuchelei Sprechen !
Das ist wohl ein Ergebnis von der Agenda 2010. Dieses als " Erfolg" zu verkaufen, ist ordinär!“
Dabei ist das am meisten Erschütternde nicht einfach die skandalös niedrige Zahl des Anteils derjenigen, welche die Arbeit machen, sondern vor allem die Geschwindigkeit der Abnahme und damit die der Zunahme der Armut.
Zwei bis zweieinhalb Prozent des gesamten Einkommens des Landes wurde in diesem Jahr von den Arbeitenden auf die umgelegt, die „ihr Geld arbeiten lassen“, das bedeutet in zehn Jahren 20 bis 25 % weniger als heute – das aber nur, wenn sich die Umverteilung nicht noch beschleunigt, wie das in den letzten drei Jahren der Fall war. Auch ohne diese Beschleunigung werden wir also im Jahr 2017 bei etwa 18% oder weniger Anteil der Arbeitenden am Gesamteinkommen angekommen sein.
Typisch für Entwicklungsländer
Das ist die typische Zahl eines der besonders wenig entwickelten Entwicklungsländer, wie etwa jene in Afrika: Kenia, Kongo, Sudan. Jetzt wissen wir also, wohin die Reise geht, wenn wir es uns gefallen lassen. Dabei geht es lediglich um den Zeitraum von 10 Jahren!
Innerhalb von zehn Jahren wollen sie uns auf das Niveau armer Entwicklungsländer heruntergewirtschaftet haben!
Es verwundert also gar nicht, warum der Streik der Lokführer auf so viel Sympathie oder jedenfalls Verständnis in der Bevölkerung trifft. Die Menschen sind ja aufmerksam und sehen, was vor sich geht. Ihnen ist klar, unser einziges Mittel, dies aufzuhalten ist der Streik. Je mehr wir in Streiks Erfahrungen sammeln, umso mehr werden wir die Kraft entwickeln, diese Offensive zu stoppen – und schliesslich selbst in die Offensive zu kommen.
Darum: Solidarität mit dem Streik der Lokführer!
Veröffentlicht am 30. November 2007 in der Berliner Umschau
Originalartikel
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