Brasilien jenseits von Fussball und Samba - Teil 10: Sivam - Big Brother in Amazonien

Teil 10: SIVAM - Big Brother in Amazonien

Von Elmar Getto

Es war bereits das größte Geschäft aller Zeiten genannt worden. Das war es wohl nicht, aber für das Entwicklungsland, das es zahlen mußte, war es Teil des gewaltigen Anstiegs der Staatsverschuldung in den 90er Jahren. Brasilien wurde dazu gebracht, für offiziell etwa 1,4 Milliarden Dollar (wahrscheinlich aber einschliesslich der Peripherie-Systeme und Flugzeuge mehr als 9 Milliarden Dollar) ein System der Überwachung des Amazonasgebietes zu kaufen, das sich jetzt als völlig unbenutzbar für Brasilien herausstellt, aber den USA die völlige Kontrolle über dieses Gebiet Tausende von Kilometern außerhalb der US-Grenzen garantiert.

Brasilien (topographisch)

Das erste Mal, daß man vom Projekt SIVAM (Sistema de vigilância de Amazônia, Amazonienüberwachungssystem) gehört hat, war 1992 auf der Welt-Umwelt-Konferenz RIO 92, in der es als Beweis für die angeblichen ‚ungeheuren Anstrengungen’ der Großmächte zum Umweltschutz vorgeführt wurde. Aus heutiger Sicht kann man es als sicher ansehen, daß es offizielle Stellen der USA waren, die diese Idee in das Treffen einführten, sei es direkt oder indirekt.

Verschiedene Umweltschutzorganisationen priesen das Programm als „richtungsweisend“ (Man sehe sich immer genau an, wer hinter "Umweltschutzorganisationen" steckt, "Greenpeace" zum Beispiel hat sich letzthin mehrfach mit Grosskonzernen ins Bett gelegt, "Rettet den Regenwald" betreibt - bewusst oder unbewusst - das Geschäft der Ölkonzerne).

Es war der konzentrierte Ausdruck der ganzen hoffnungsvollen Situation, die in jenem Jahr herrschte. Der Block der zweiten Supermacht, der Sowjetunion, wie auch sie selbst, waren zusammengebrochen und man glaubte weithin, nun würde eine Zeit des weltweiten Friedens anbrechen - jedenfalls alle, die noch an den Kapitalismus glaubten.

Regenwald

Die Belange des Umweltschutzes und des Kampfes gegen die Drogen würden endlich die ihnen zustehenden Prioritäten bekommen. SIVAM schien auf den ersten Blick der Plan gewordenen Ausdruck dieser Hoffnungen zu sein.

Es geht um das Gebiet des Amazonas-Urwaldes. Zum einen wurde bereits damals hemmungslos und ungebremst abgeholzt und abgebrannt (interessant, nicht wahr, wie lange zurück das alles schon so war und bekannt war). Zum anderen ist das Amazonasgebiet der Hauptumschlagplatz des Kokain-Schmuggels aus Kolumbien und Peru nach den USA und Europa.

SIVAM Slide 7

Ein Überwachungssystem, sei es auf Radar- oder Satellitenbasis, würde dem Einhalt gebieten können. Würde man erst einmal in Echtzeit wissen, wo im Moment gerade gefällt und abgebrannt wird, könnte man das auch unterbinden. Würde man auf den Bildschirmen ablesen können, wo die Kleinflugzeuge landen und mit der Drogenfracht beladen werden, die mit Booten herangeschafft wurden, um dann nach Mittelamerika ausgeflogen zu werden, so würde die entscheidende Basis des Drogenhandels mit Leichtigkeit außer Gefecht gesetzt werden können.

Wer weiß, dass es in Wirklichkeit Kapitalismus und Imperialismus sind, die beides verursachen, nicht mangelnde Technik, war damals schon skeptisch.

So wurde das System damals, 1992, vorgestellt. Es wäre bereits zu jener Zeit möglich gewesen, die richtigen Fragen zu stellen, die dieses System schnell und offensichtlich hätten suspekt werden lassen, aber in der allgemeinen Euphorie wollte wohl niemand Spielverderber sein.

Es wurde behauptet, das System sei offen und jeder, der die technologischen Fähigkeiten hätte, könne einen Kostenvoranschlag einreichen. Später würde die billigste technisch durchführbare Lösung ausgewählt werden. Und es wurde so getan, als würden die Großmächte, allen voran die USA, das System zahlen. In Wirklichkeit – und das hätte einem aufmerksamen Beobachter damals schon auffallen können – wollten sie lediglich Kredite „zu üblichen Bedingungen“ bereitstellen, wer zahlte, sollte Brasilien sein, das heißt der brasilianische Steuerzahler.

SIVAM Slide 2

Als – Jahre später – SIVAM verwirklicht wurde und die Kredite flossen, waren sie wichtiger Teil des Anstiegs der brasilianischen Staatsverschuldung, die sich zwischen 1994 und 2002 verdoppelte, z.T. auch deshalb, weil der Dollar ständig mehr Wert wurde als der brasilianische Real. Heute ist sie völlig jenseits jeglicher Bezahlbarkeit, eine entsetzliche Bürde auf dem Rücken des ganzen brasilianischen Volkes, das Ende jeglicher Hoffnung auf jedwede Besserung für die jungen Brasilianer. Nicht nur wegen der hohen Summe der Gesamtverschuldung (etwa 600 Milliarden Euro), sondern vor allem wegen der hohen Zinsen. Kann sich Deutschland z.B. jederzeit Geld für etwa 3% Zinsen pro Jahr aufnehmen, muß Brasilien 20% zahlen!

Zunächst kam die Verwirklichung von SIVAM nicht voran. Man hätte schon hoffen können, der Plan bliebe in der Schublade wie so viele in Brasilien. Der damalige Präsident Collor wurde wegen Korruption abgesetzt und der Vize-Präsident Franco übernahm das Zepter. Er hatte anderes zu tun als das Amazonasgebiet mit Radarstationen vollzustellen, er mußte mit einer Inflation fertigwerden, die bis auf 40% im Monat stieg. Tatsächlich gelang es 1994 mit dem ‚Plano Real’, die Inflation in den Griff zu bekommen. Die Dankbarkeit der Brasilianer hierfür war ausschlaggebend dafür, daß bei den anschließenden Wahlen der dafür zuständige Minister Cardoso zum Präsidenten gewählt wurde.

Dessen acht Jahre währende Amtszeit wurde zu einer der größten Katastrophen für das Volk in der brasilianischen Geschichte. Nicht nur, daß die Last der öffentlichen Schulden sich verdoppelte, es wurden auch alle vom Internationalen Währungs Fond (IWF) geforderten Auflagen befolgt.

Telecomsivam

Dazu gehörte
  • die Privatisierung einer großen Zahl staatlicher Unternehmen,
  • der (fast) gesamten Elektrizitätzwirtschaft,
  • der größten Minengesellschaft des Landes (und eine der größten der Welt) Compania do Vale do Rio Doce (CVRD) und
  • des gesamten Telekommunikationssektors,
  • der erfolgreichen Flugzeugfirma Embraer,
  • die Vollendung der weitgehenden Privatisierung des Erziehungswesens,
  • die Berechtigung der ausländischen Konzerne, ihre Gewinne ins Ausland zu schaffen, bevor Gewinnsteuer abzuführen war (und sie damit fast völlig von Steuern zu befreien),
  • die gleichzeitige massive Erhöhung der Steuerlast für kleinere brasilianische Unternehmen und die Beschäftigten,
  • die Liberalisierung des Bankenwesens (Präsident Cardoso kam selbst aus einer Bankiersfamilie) mit der Übernahme der Verluste Pleite gegangener Banken,
  • die Öffnung des Kapitalmarktes für die ausländische Spekulation (was weitere gigantische Erhöhungen der Schulden hervorrief),
  • die Öffnung der Privatisierungen für ausländische Investoren (was einigen französischen und spanischen Konzernen zu märchenhaften Gewinnen auf Kosten der brasilianischen Bevölkerung verhalf) und
  • eine vollständige Untätigkeit gegenüber der zum Regelfall werden Korruption.
Es gibt im Gegenteil klare und deutliche Anzeichen, daß die Regierung Cardoso selbst tief im Sumpf der Korruption steckte.

Während dieser 8 Jahre wurden die Löhne und Gehälter der Lehrer und Hochschullehrer nicht erhöht, wodurch sie durch die Inflation mehr als halbiert wurden. Zusätzlich wurden die Leistungsüberprüfungen des öffentlichen Schulsystems abgeschafft. Beide Maßnahmen zusammen haben das öffentliche Schul- und Hochschulsystem Brasiliens, das vor dem Beginn der Militärdiktatur 1964 das Paradepferd der Administration war, (mit wenigen Ausnahmen) zu einem Desaster werden lassen, das heute nicht mehr den geringsten Anforderungen genügt.

Während dieser 8 Jahre stieg die Kriminalitätsrate, speziell im Zusammenhang mit dem Drogengebrauch und –handel, steil an und hat Brasilien zu dem Land mit den höchsten Gewaltraten der Menschheit gemacht. Wesentlich hierfür war, daß die Hintermänner des Drogenhandels, alle selbst Teil der herrschenden Schicht Brasiliens, ohne Ausnahme unbehelligt blieben.

Während dieser 8 Jahre vervielfachte sich die Spanne des Einkommensunterschiedes zwischen Brasiliens Superreichen und der armen Bevölkerung, ohne daß auch nur ein winziger Teil der riesigen Ressourcen des Landes eingesetzt worden wäre, um diese Spanne zu verringern.

Während dieser acht Jahre wurde das System SIVAM gekauft und installiert und das Geld dafür und für die Zinsen und Zinseszinsen aus der brasilianischen Bevölkerung herausgepreßt, während gleichzeitig staatliche Unternehmen zu einem Tausendstel oder einem Millionstel ihres Wertes an private und ausländische Anleger verschleudert wurde (die CVRD z.B. wurde zu einem Preis verhökert, der – 1 Jahr vor der Versteigerung - etwa dem Gewinn EINES MONATS dieser Gesellschaft entsprach).

In den Jahren 1993 und 1994 wurde darüber beraten, welches der angebotenen Systeme man für das SIVAM verwenden würde. Es kann aus heutiger Sicht als sicher gelten, daß von Anfang an nur das vom US-amerikanischen Raytheon-Konzern angebotene in Erwägung gezogen worden war. Wahrscheinlich war das Ganze eine Idee aus der Raytheon-Gruppe, von offiziellen US-amerikanischen Stellen ins Gespräch und die Rio-92-Konferenz gebracht, um dem Rüstungskonzern ein sagenhaftes Geschäft zu verschaffen.

Amazonas

Es wurden Berichte in brasilianischen Zeitungen veröffentlicht, in denen davon die Rede war, wie brasilianische Regierungsbeamte und deren Familien in konzerneigenen Jets des Raytheons-Konzern herumgeflogen wurden. Ebenso sind diverse Einladungen zu üppigen Mahlzeiten berichtet wurden. Das dürfte aber mit Sicherheit nur die Spitze des Eisbergs von dem sein, was an Bestechungsgeldern und –vorteilen geflossen ist. Ein Abgeordneter stellte sogar einmal die Frage, woher eine von ihm vermutete phantastische Zunahme des Reichtums von Präsident Cardoso kam, aber all dies wurde in der Öffentlichkeit nicht weiterverfolgt.

Der auffallendste Hinweis auf Korruption in diesem Zusammenhang kam aus dem Mund eines der selbst hundertfach der Korruption angeklagten Politikers, dem alten Haudegen der brasilianischen Politik, dem getreuen Abbild von Franz Josef Strauss, Antonio Carlos Magalhães, kurz ACM genannt, dem reaktionärsten Politiker seiner Zeit in Brasilien. Er war zu dieser Zeit in Bedrängnis geraten, weil in zwei Parlamenten, dem Bundesparlament und dem Landesparlament seines Heimat-Bundeslandes Bahia Untersuchungsausschüsse eingerichtet worden waren, die Korruptionsvorwürfe gegen ihn und mit ihm verbundenen Politikern prüfen sollten. Offensichtlich hatte er sich in seiner Sorglosigkeit dazu hinreißen lassen, einige seiner Bereicherungsaktionen nicht ausreichend mit „Geheimschutz“ zu versehen.

Brasilien: Soja-Pflanzungen auf Regenwald-Gelände

Im Jahr 1995 trat er nun plötzlich mit Drohungen auf. Er habe Beweise für Korruption im Zusammenhang mit SIVAM und es würde schlimm für die Bundesregierung aussehen, wenn er diese an die Öffentlichkeit brächte. Dies stand damals in vollem Wortlaut in der Zeitung. Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß ACM mit seiner Partei PFL selbst Teil der Koalition war, die die Regierung stützte.

Kurz darauf berichtete die „Folha de São Paulo“, die größte Tageszeitung Brasiliens, daß geheime Verhandlungen stattgefunden hätten und Regierung und ACM sich auf einen Kompromiß geeinigt hätten: Die Regierung würde mit ihren Mehrheiten die beiden Untersuchungsausschüsse „ohne Ergebnis“ beenden und ACM würde seine Beweise nicht an die Öffentlichkeit bringen. Tatsächlich wurden die beiden Untersuchungsausschüsse beendet, ohne daß sie Belastendes gegen ACM gefunden hätten und ACM kam nie wieder auf das Thema „SIVAM“ zurück. Die „Folha“ wurde nie wegen Verleumdung angeklagt.

Es muß also als extrem wahrscheinlich, wenn nicht als bewiesen gelten, daß es wirklich eine solche Vereinbarung gegeben hat. Damit wäre dann auch beweisen, daß die Vergabe von SIVAM an Raytheon wirklich auf Korruption beruhte.

Regenwald-Abholzung Brasilien

Dafür gibt es auch noch andere Hinweise. Das Raytheon-System war nämlich das teuerste der in der Konkurrenz verbliebenen. Sowohl eine russische als auch eine französische Firma hatten ebenfalls Vorschläge für Überwachungssysteme der Amazonasregion eingereicht (Auch die deutsche Dasa, die aber schon in einer frühen Phase wegen eines zu teuren Ansatzes ausschied). Diese beiden Systeme beruhten auf der Überwachung durch moderne Satelliten, eigens für das System in eine geostationäre Umlaufbahn gebracht, während das Raytheon-System im wesentlichen auf 20 großen Radarstationen im Urwald selbst sowie weiteren in 99 Flugzeugen aufbaute und eine Satelliten-Unterstützung nur als Absicherung vorgesehen war. Dazu muß man wissen, daß Raytheon der wichtigste Hersteller von kompletten Radaranlagen auf der Welt ist.

Das US-System kostete – einschließlich der ganzen Computerausrüstung und unter Zuhilfenahme von radar- und kamerabestückten Flugzeugen – fast 1,4 Milliarden Dollar. Die beiden Systeme aus Rußland und Frankreich wurden – einschließlich der Computerausrüstung zur Auswertung und eigener Satelliten - billiger angeboten. Der Site
http://www.american.edu/TED/SIVAM.HTM
ist zu entnehmen, daß das russische Angebot nur ein Drittel des Raytheon-Systems gekostet hätte.

Da mußte schon ein wichtiger Grund gefunden werden, um das teure System zu nehmen. Zunächst gab es nur allgemeine Aussagen, das US-System sei das einzige, das den Anforderungen gerecht würde. Als dann aber einige Abgeordnete nach Frankreich und Rußland gereist waren und in der brasilianischen Öffentlichkeit nach Erklärungen verlangte (von ihnen kam auch die Information, daß die beiden Voranschläge billiger waren), rückte man mit einer Begründung heraus: Sattelitengestützte Systeme könnten nicht durch die Wolken sehen und über dem Regenwald ist es fast ständig bewölkt, da sei nur ein radargestütztes System geeignet. Klang zunächst einleuchtend und das Thema verschwand aus der öffentlichen Diskussion.

Inzwischen weiß man, daß moderne Satelliten-Aufklärung u.a. mit Infrarot-Kameras arbeitet, die sehr wohl durch Wolken sehen kann. Der Grund war also vorgeschoben. Es muß andere Gründe gegeben haben, warum Brasilien zu viel ausgab, um dieses Überwachungssystem zu installieren. Weder die damalige Bundesregierung Brasiliens noch die darauffolgende Lula-Regierung haben hierzu je Auskunft gegeben.

Es muß nach menschlichem Ermessen davon ausgegangen werden, daß ein Teil dieser Millionen auf den Konten sowieso schon reicher Brasilianer gelandet ist.

Aber selbst das ist noch nicht alles. Aus Meldungen der Zeitung „Folha“ aus der damaligen Zeit ging hervor, daß die Kosten des Systems in Wirklichkeit viel höher seien. Es wurde von bis zum 10-fachen gesprochen. Ein Teil der Anlagen und Flugzeuge sei einfach nicht in das „SIVAM“ genannte System einbezogen worden, sondern liefe unter anderem Namen, so daß seine Kosten nicht als Kosten des Systems erscheinen. Auch wegen dieses Artikels wurde die „Folha“ nie verklagt.

Noch mehr: Während ein satellitengestütztes System naturgemäß wenig Unterhaltskosten verursacht, sind die boden- und flugzeuggestützten Radarsysteme ein hoher laufender Kostenfaktor. Die Radarstationen (und der Zugang zu ihnen) müssen ständig gewartet und freigehalten werden, ein großer Teil der 8 Jets 99 Propeller-Flugzeuge muß ständig in der Luft gehalten werden. Die Kosten allein für die Flüge sowie die Wartung der 8 Jets und 99 Propeller-Flugzeuge sind schon horrend.

Im einzelnen werden auf einer Website http://www.militarypower.com.br/frame4-opin8.htm
über das System folgende Komponenten angegeben: 6 Satelliten, 19 fixe Radarstationen, 6 transportable Radarstationen, 3 regionale Überwachungszentren, 200 Umweltüberwachungsstationen, 70 meteorologische Stationen, 300 Radiosender, 940 V-Sat-Empfangsstellen, 5 Jet-Flugzeuge EMB 145, 3 Jet-Flugzeuge EMB 145 SR und 99 Propeller-Flugzeuge ALX.

Fast scheint es so, als hätten wir hier ein Land vor uns, bei dem es auf Kosten nicht so genau ankommt.

Nun, so sagt man sich, selbst wenn es so ist, jetzt gibt es wenigstens ein Überwachungs-System und der Drogenhandel und die Regenwald-Vernichtung werden unterbunden.

Schön wärs!

Am 25. Juli 1997 wurde offiziell der Baubeginn des Systems verkündet. Das System ist inzwischen installiert. Im Jahr 2002 wurde der erste Teil eingeweiht, seit Mitte 2002 ist auch die Zentrale mit der ganzen Computerauswertung in Manaus fertig. Am 18. Oktober 2004 wurde das System als zu 98% in Funktion gemeldet und der erste Test des Gesamtsystems wurde erfolgreich abgeschlossen. Seitdem ist das SIVAM völlig aus den Medien Brasiliens und der Welt verschwunden.

Es gibt da auch noch ein gewisses Detail dieses Plans, das wenig Beachtung gefunden hat, aber eine Erklärung für das völlige Fehlen von Ergebnissen des Systems geben kann: Das System SIVAM steht unter der Überwachung der Regierung der USA. Alle Daten laufen zunächst in einem Raum zusammen, der ausschließlich von den USA genutzt werden kann. Erst danach werden diese Daten an die brasilianischen Auswerter weitergegeben. Sollte die US-Regierung aus irgendwelchen Gründen bestimmte Daten nicht an die Brasilianer (und eine eventuelle Öffentlichkeit) weitergeben wollen, tut sie es nicht.

Harsche Kritik an diesem Konzept kam speziell von einem Fachmann, dem Physiker und emeritierten Professor der Stattlichen Universität von Campinas (UNICAMP), Rogério Cerqueira Leite:
http://www.scielo.br/scielo.php?pid=S0103-40142002000300010&script=sci_arttext&tlng=pt

Er wies besonders darauf hin, daß ein Projekt dieser Größenordnung und von strategischer Bedeutung (es erfaßt etwa 60% des Staatsgebietes von Brasilien) nicht mit einer Technik hätte realisiert werden dürfen, deren Implikation ist, daß eine ausländische Macht das Erst-Zugangsrecht hat. Er berichtet außerdem, daß die Gesamtkosten fast 1,8 Milliarden US-Dollar betragen.

Wie es zu dieser US-Connection kam, wird klar, wenn man noch einmal in die Anfangszeit des Projektes zurückgeht. Die ersten, die das Projekt gefordert haben, waren nämlich die brasilianischen Militärs. Sie stellten fest, daß Brasilien über einen wesentlichen Teils seines Territoriums nur eine begrenzte Souveränität hat. Angesichts der schwierigen Umstände im Amazonasgebiet, der geringen Bevölkerungsdichte, der praktisch nicht vorhandenen Straßenverbindungen und des Zugangs ausschließlich über Schiffe und Fluggeräte, sei mit normalen militärischen Mitteln dieses Gebiet praktisch nicht zu verteidigen. Es sei daher ein Überwachungssystem notwendig.

Im nächsten Gedankenschritt wird dann gesagt, daß, selbst wenn man ein Überwachungssystem hat, ein Land wie Brasilien nicht die Möglichkeit hat, ein solch riesiges Gebiet gegen einen eventuellen Aggressor zu verteidigen. Dazu sei nur eine Großmacht fähig. Und welche Großmacht kommt in Frage? Nur die Vereinigten Staaten von Amerika! Da komme es dann recht, daß „rein zufällig“ eine US-Firma einen Vorschlag für ein Überwachungssystem vorgelegt hat. Die Verwendung dieses System würde dann auch sicherstellen, daß die USA im Ernstfall diesen Teil Brasiliens verteidigen würden.

Nun, jedem aufgeklärten Zeitgenossen stehen bei dieser Argumentation die Haare zu Berge, wenn man nur an den Irak denkt. Auch muß man natürlich in diesem Zusammenhang sehen, daß US-Truppen (und vor allem Söldner) im benachbarten Kolumbien eine Krieg gegen aufständische Guerrillas führen.

Vor allem aber wird mit dieser Argumentation widerlegt, daß eine Ausschreibung unter fairen Bedingungen stattgefunden hat. Die US-Regierung hätte ihren „Verteidigungs-Anteil“ an brasilianischem Gebiet offensichtlich nicht übernommen, wenn nicht das Angebot der US-Firma angenommen worden wäre. Auch damit ist also bewiesen, daß hier eine beachtliche Menge von schmutziger Wäsche herumliegt.

Die brasilianischen Medien, in den Händen derselben Kaste, die aus solchen Aufträgen Nutzen zu ziehen pflegt, zeigt nicht die geringste Lust, zur Aufklärung und zum Waschen dieser Wäsche beizutragen - wen wundert's.

Wer interessiert ist, ein wenig in die Details des technisch sicherlich extrem interessanten Systems einzusteigen, der kann mit der Site (auf Englisch) http://web.mit.edu/12.000/www/m2006/kvh/sivam.html
anfangen, auf der von Raytheon-Leuten das System vorgestellt wird. Wenn man SIVAM (auf Englisch) googelt, kommen noch eine Menge anderer Sites. Wer einen unkritischen Artikel auf Deutsch will, kann ihn unter http://www.brasilienportal.ch/index.cfm?nav=12,3,13,20,380
finden.

Nun, so fragen sich natürlich der Fachmann und der Laie, was hat das Ganze nun gebracht? Ist der Drogenschmuggel über das Amazonasgebiet unterbunden worden? Ist das Abbrennen und Abholzen des Amazonas-Urwalds gestoppt?

Nichts dergleichen!

In den letzten Jahren und Monaten, seit SIVAM voll funktionsfähig ist und es ein leichtes gewesen wäre, die Flugpisten und Flugzeuge mit den Drogen zu orten und aufzubringen, ist in Brasilien nicht ein einziger größerer Drogentransport aufgeflogen – jedenfalls gibt es nichts in den Medien, weder dort noch anderswo. Offensichtlich kann niemand ein Interesse haben, solche Erfolge geheimzuhalten.

Man kann also davon ausgehen, daß wirklich keine Drogentransporte aufgeflogen sind. Wie soll man das verstehen? Man kauft und installiert eines der teuersten Systeme der Welt, um es anschließend nicht zu benutzen? Oder funktioniert es vielleicht gar nicht? Extrem unwahrscheinlich. In dieser Hinsicht dürfte Raytheon zuverlässig sein.

Gibt es in den USA oder Europa Meldungen über extreme Verknappungen und Preisanstiege von Kokain? Nein, auch nicht im Gegenteil, das Angebot von Kokain hat sich in den entwickelten Ländern seitdem erhöht. Der „Export“ über das Amazonasgebiet geht also weiter.

Dann bleibt nur eine Erklärung (falls einer eine logische andere hat, es können jederzeit Kommentare geschrieben werden): Die US-Administration benutzt das SIVAM anscheinend ausschließlich, um seinem CIA das Monopol über den Kokain-Handel zu sichern, nicht um ihn zu unterbinden. Es ist ja seit dem Buch des Aufklärungsjournalisten Garry Webb aktenkundig, daß ein wesentlicher Teil des Kokain-Schmuggels aus Peru und Kolumbien vom CIA unternommen wird. Garry Webb mußte für diese Entdeckungen sterben.

Falls überhaupt entsprechende Meldungen an brasilianische Stellen weitergegeben werden, kann auch hier das Eingreifen „höherer Stellen“ Brasiliens, um ihre eigenen Drogentransporte zu schützen, nicht ausgeschlossen werden.

Und das Abbrennen und Abholzen?
Sind doch nun ständig Flugzeuge mit Infrarot-Detektoren unterwegs, die innerhalb kürzester Zeit jede größere illegale Aktion orten können.

Gerade vor kurzem ging erneut die Meldung durch den Blätterwald, daß die Regenwaldvernichtung im Amazonasgebiet im letzten Jahr alle Rekorde gebrochen hat. Dabei ist interessant, daß diese Zahlen nicht etwa aus einer SIVAM-Auswertung stammen, sondern von einem brasilianischen meteorologischen Institut, das schon seit vielen Jahren mit Wettersatteliten solche Auswertungen vornimmt. Es wurde und wird also offensichtlich innerhalb des SIVAM-Systems von Anfang an verhindert, daß Daten und Informationen über die Regenwaldvernichtung gesammelt und weitergegeben werden.

Das ergibt auch einen Sinn, wenn man weiß, daß es ja vor allem eben jene Mächtigen in Brasilien sind, die Profit aus den Hölzern und dem Soja-Anbau und den Viehweiden auf abgebrannten Regenwaldflächen ziehen. Diese Mächtigen haben natürlich auch das System SIVAM in der Hand (jedenfalls das,was die US-Stellen durchlassen) und können dafür sorgen, daß sie dort nicht gestört werden.

Die Regierung Lula, wenn wir ihr nicht unterstellen wollen, daß sie selbst in solche Aktivitäten verwickelt ist, tut nichts dagegen. Auch das ergibt einen Sinn, denn Lula muß sich ja mit genau diesen Mächtigen Brasiliens gut stellen, will er Gesetze durchbringen und will er vermeiden, daß seine Dekrete von den Parlamentariern niedergestimmt werden.

Das alles ergibt also in perfekter Weise einen Sinn. Das einzige, was keinen Sinn ergibt, ist SIVAM, außer natürlich für die Raytheon und für die Geldgeber, die dicke Zinsen und Zinseszinsen einstreichen. Und natürlich die herrschenden Schichten in Brasilien, die nun noch ungestörter dem Regenwald den Garaus machen können. Nicht zu vergessen der CIA, der jetzt das Kokain-Transport-Monopol hat. Ah, und da ist natürlich noch die US-Regierung, die jetzt die praktische Souveränitat im Amazonasgebiet ausübt, viele tausend Kilometer außerhalb der US-Grenzen.

Alles bezahlt vom brasilianischen Steuerzahler – mit Zins und Zinseszins und Zinseszinseszins und...


Hier stelle ich einen der wichtigsten Artikel der Brasilien-Reihe von Elmar Getto in mein Blog, der ursprünglich am 15. Juni 2005 in der 'Berliner Umschau' (damals Rbi-aktuell) veröffentlicht wurde. Er hat sich bereits mehrfach as extrem notwendig und aktuell erwiesen, vor allem deshalb, weil die gesamte bürgerliche Medienwelt, sei es in den USA, in Brasilien oder in Deutschland, so tut, als gäbe es kein SIVAM. Er ist vom Autor leicht redigiert und aktualisiert.


Hier die Links zu allen Teilen der Reihe „Brasilien jenseits von Fussball und Samba“

- Teil 1: „Wie der Amazonas zu seinem Namen kam“

- Teil 2: ‚Menschenfresser-Country’

- Teil 3: „Ausgerottete Künstler“

- Teil 4: Niemeyer ist 100 – ‚Auf dem Höhepunkt des Schaffens’

- Teil 5: Brasilien und Gold

- Teil 6: Die Landschaften Brasiliens – Der Amazonas-Regenwald

- Teil 7: Brasilien und der Strom

- Teil 8: Die Landschaften Brasiliens – Mata Atlântica

- Teil 9: Santos Dumont und der erste Motorflug

- Teil 10: SIVAM – Big Brother in Amazonien

- Teil 11: Sprit aus nachwachsenden Rohstoffen

- Teil 12: Regenwaldvernichtung und Trockenheit im Amazonasgebiet

- Teil 13: Wie unsere Zukunft in der beginnenden kapitalistischen Barbarei aussähe – „Ich habe kein Leben“

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