Zwei Marionetten
Von Karl Weiss
Der Berichterstatter hat sich der unangenehmen Aufgabe unterzogen, die erste Debatte zwischen den beiden Kandidaten McCain und Obama live und unmittelbar in der Originalsprache zu verfolgen. Dabei half natürlich, dass man hier in Brasilien eine ähnliche Zeitzone hat wie dort in den Vereinigten Staaten, denn von Deutschland aus hätte man um 3 Uhr morgens einschalten müssen.
Was sind die wesentlichen Lehren, die man aus dieser Debatte ziehen kann?
- Die Unterschiede zwischen den beiden Programmen sind minimal, etwa so wie jene zwischen Steinmeier um Merkel. Zwar gibt es Punkte, in denen die beiden deutlich verschiedene Meinungen darlegten, aber die sind völlig untergeordnet, wie z.B., ob der US-Präsident persönlich an Verhandlungen mit „bösen Buben“ teilnehmen soll oder nicht.
- Was sind die wesentlichen und wichtigen übereinstimmenden Punkte, die aus den Stellungnahmen hervorgingen?
Beide sind vor allem um die Vormachtstellung der USA als alleinige Supermacht besorgt. Sie wollen und werden alles tun, um diese zu erhalten. Zwar wollen und werden sie dies nicht in der gleichen Manier wie Bush junior tun, aber alle Änderungen sollen eben genau dazu dienen, diese Vorherrschaft nur noch intensiver zu sichern.
- Sie sind beide Repräsentanten des Imperialismus, in diesem Fall des US-Imperiums. Sie haben kein anderes Bandmaß als das der absoluten Vorherrschaft der USA über den Rest der Welt. Dies ist so absolut, dass sie dies kaum selber bemerken in seiner absurden Extremität.
Beide Kandidaten sind, wie fast immer bei bürgerlichen Politikern, Aushängeschilder von „Beratern“ und „Gönnern“, die im Hintergrund bleiben. Sie sind keine eigenständigen Personen in dem Sinne, dass sie je in der Lage wären, eine eigenständige (und eventuell unterschiedliche) Position zu artikulieren. Sie können mit Fug und Recht als Marionetten bezeichnet werden.
Sie mögen zwar privat eigene Meinungen haben, aber sie sind in der Öffentlichkeit darauf gedrillt, die abgesprochenen Programme zu repräsentieren. Beide tun dies eloquent, aber ohne eine spürbare innere Anteilnahme.
Dies wurde vor allem deutlich, als der Moderator mehrmals insistierend fragte, ob und inwieweit denn das Programm von Hunderten von Milliarden Dollar der Hilfe für „notleidende“ Banken und Finanzinstitutionen, das in jenem Moment in den Einzelheiten verhandelt wurde, die Regierungsprogramme beeinflussen würde. Beide gaben zwar zu, die finanziellen Möglichkeiten würden verringert, konnten aber keine klare Auskunft geben, wo man denn streichen solle und wolle und wieviel.
- Beeindruckend auch, wie beide Kandidaten gezwungen sind, die grossen Lebenslügen der US-Gesellschaft nachzukauen. Das beginnt bei der ersten grosssen Lebenslüge, die Obama besonders liebt, der angeblichen Aufsteigsmöglichkeit vom Tellerwäscher zum Millionär, wenn man es nur will und sich anstrengt. Dass dies für 99,99% der Tellerwäscher nicht gilt, will man nicht wahrhaben. Obama stellt sich selbst gerne als solch ein Beispiel hin. Nur bestätigen Ausnahmen immer einfach die Regel.
Die zweite grosse Lebenslüge ist, die USA wäre eine Demokratie und würde überall auf der Erde versuchen, die Demokratie einzuführen. In Wirklichkeit ist die USA unter allen westlichen Ländern das am wenigsten demokratische, wenn man unter Demokratie im wesentlichen die Gültigkeit der allgemeinen Menschenrechte versteht. Ein grosser Teil der Militärdiktaturen der letzten 100 Jahre wurden von den USA „inspiriert“ und/oder von Söldnern/Freunden der US-Regierung durchgeführt. Es lässt sich kaum etwas noch weniger demokratisches vorstellen wie die USA. Interessant auch, dass ein kleiner Zipfel dieser Diskussion in der Debatte aufkam, als Obama den Republikanern vorwarf, den (kürzlich zurückgetretenen) pakistanischen Militärdiktator Musharraf zu seinem Putsch animiert und ihm Hlfestellung gegeben zu haben. McCain verneinte dies keineswegs, sondern sagte, zu jener Zeit sei Pakistan ein „failed state“ gewesen (und damit sei ein Militärputsch wohl gerechtfertigt). So einfach ist das mit dem „Verbreiten der Demokratie“: Definiert man ein Land nach eigenem Gutdünken als „nicht funktionierendem Staat“, dann muss es sich leider, so leid es uns tut, eine Militärdiktatur gefallen lassen.
Schliesslich die dritte Lebenslüge der US-Gesellschaft: Es sei keineswegs das inperialistische Interesse an Dominanz, in diesem Fall über die ganze Welt, die zu völkerrechtswidrigen Überfällen auf andere Länder und Genoziden wie im Irak führt, nein, es ginge um den Kampf gegen den Terrorismus, wie in Afghanistan und dem Irak bzw. um Verhindern von „ethnischen Säuberungen“, wie im früheren Jugoslawien. Nur sind in allen diesen Fällen die Begründungen bereits widerlegt, auch wenn die Kandidaten sie immer erneut auftischen, so als ob das nicht so sei. Auch hat man keinerlei Probleme mit ethnischen Säuberungen, wenn sie von Israel durchgeführt werden.
- Beide wiederholten im ersten Teil der Debatte immer wieder die Punkte ihres ökonomischen Regierungsprogramms, so als ob die vergangene Woche mit einem Beinahe-Zusammenbruch des gesamten weltweiten Finanzsystems nicht stattgefunden hätte. Beide geben zwar an, in die Verhandlungen über das Paket der Hilfe für die notleidenden Banken und Finanzinstitutionen einbezogen zu sein, konnten aber keinerlei Angaben über den Verhandlungsstand machen. Sie wiederholten nur ihre Positionen hierzu, im gleichen Wortlaut wie 4 Tage vorher. Beide stellten dies Programm so dar, als ob nun zwar Geld ausgegeben würde, nur später, wenn die Krise ausgestanden sei, käme dies wieder in die Kassen zurückgeflossen. Das ist aber bekannterweise grossenteils eine Illusion. Daraus ergibt sich, was beide im zweiten Teil der Debatte über die Aussenpolitik sagten: Es wurde nicht im geringsten über Einschränkungen der Rolle der USA als weltweiter „Polizist“, über Verringerungen der Präsenz im Ausland gesagt
- Entweder haben beide nicht begriffen, was der Ausbruch einer von den USA ausgehenden Wirtschaftskrise bedeutet oder sie versuchen den Wähler darüber zu täuschen, beide in gleichem Masse.
Zwar sagte Obama am Anfang, die USA ständen vor einer „Rezession“ (das verniedlichende Wort der bürgerlichen Ökonomen für die Wirtschaftskrise), der grössten seit der „grossen Depression“ (das war die Wirtschaftskrise, die 1929 begann und sich bis zum Ausbruch des zweiten Weltkriges 10 Jahre später hinzog) und McCain bestätigte, man stehe vor der grössten Krise, seit er lebe („und ich bin schon ziemlich lange auf der Welt“), ja, er legte sogar noch einen drauf und sagte, man stehe mit dem 700-Milliarden-Dollar-Hilfsprogramm keineswegs am Anfang des Endes der Krise, sondern nur am Ende des Anfangs. Doch wenn es um die Lehren daraus ging, war völlige Leere. Beide wiederholten das ökonomische und aussenpolitische Programm, das bereits auf beiden Parteitagen im August vorgestellt worden war.
Es war eine fast unglaubliche Szene, als der Moderator der Debatte drei Mal nacheinander fragte, was die Kandidaten denn nun aus ihrem Programm an Ausgaben streichen würden und dreimal von beiden keine vernünftigen Antworten bekam. Anscheinend haben die ‚Berater’ der beiden noch keine Zeit gefunden, die Programme den neuen Gegebenheiten anzupassen und so blieben beide in ihren Worthülsen stecken und konnten nicht mehr vor noch zurück.
Und was lernt man von Seifenblasen? Sie mögen wunderschön schillern, sie mögen sogar für eine ganze Zeit gross und grösser werden. Doch immer kommt der Moment, in dem sie platzen.
Genau das wird dem Dollar passieren, zu irgendeinem Zeitpunkt dieser Krise. Und das wird die Funktion des Dollars als Welt-Leitwährung beeinträchtigen oder ihn sogar ganz von diesem Thron stossen. Je nachdem, wie tief der Dollar dann fallen wird, wird die alleinige Supermacht USA entweder stark in ihren internationalen Ambitionen beschränkt oder sie wird zusammenschrumpeln zu einer von mehreren Weltmächten oder wird im Extremfall sogar nur noch eine regionale Grossmacht sein, so wie es mit Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion geschah.
Dies alles ist den Kandidaten entweder nicht klar oder sie wollen es einfach nicht wahrhaben oder sie täuschen die Wähler bewusst darüber. Beide stellten die Vergangenheit dar und waren noch nicht in der Gegenwart angekommen. Beide waren sich einig, nicht einen Cent von den Militärausgaben zu streichen. Beide stimmten darin überein, die aus dem Irak abzuziehenden Truppen nun nach Afghanistan zu schicken. Obama fragte nicht einmal nach, wohin denn die Milliarden im Irak verschwunden sind.
Beide drohten dem Iran, Russland (das angeblich Georgien überfallen hat), China, Nord–Korea und Syrien, erklärten, ein Zurückrudern aus den Konsequenzen der „orangenen Revolution“ in der Ukraine könnte nicht hingenommen werden, sowohl die Ukraine als auch Georgien könnten in die NATO aufgenommen werden, sobald sie die Voraussetzungen erfüllten (was bedeutet, Georgien muss erneut seine abtrünnigen Provinzen überfallen und die Ukraine muss die russische Flotte aus Sewastopol vertreiben).
Beide sagten, sie wollten nicht zurück zum kalten Krieg, erklärten aber nicht, wie das funktionieren soll, wenn man Russland als Diktatur bezeichnet (Russland ist nicht mehr Diktatur als die USA) und als absolut Böses hinstellt wie einst Reagan die Sowjetunion. Obama kündigte noch eine Spezialbehandlung von Hugo Chávez an, was auch nur als Drohung verstanden werden kann. Er gab ebenso eine offene Drohung an Pakistan ab: Wenn die neue Regeirung dort nicht mit den Rückzugsräumen der Taliban in jenem Land aufräume, würde man auch Pakistan angreifen (was Bush ja in Wirklichkeit schon tut).
Allerdings sind die Zeiten bereits vorbei, als die US-Regierung nur zu drohen brauchte und alle mussten wohl oder übel folgen oder wurden mit völkerrechtswidrigen Kriegen überzogen.Schon heute kann man nicht mehr als einen Krieg zur gleichen Zeit führen, ohne in ernsthafte Schwierigkeiten zu kommen, wie im Moment in Afghanistan. Schon heute muss man zähneknirschend hinnehmen, dass eine Anzahl von Staatschefs einfach nicht mehr den USA gehorchen und damit bis auf weiteres davonkommen. Der Status der alleinigen Supermacht der USA ist bereits heute mit Einschränkunungen zu versehen – wie sehr dann erst, wenn die Krise ihren Höhepunkt erreichen wird.
Ja, in den Vereinigten Staaten werden eine Menge der „Führer“ noch einiges lernen müssen, bis sie in ihre neue Rolle hineinwachsen können.
Veröffentlicht am 29. September 2008 in der Berliner Umschau
Originalveröffentlichung
Trackback URL:
https://karlweiss.twoday.net/stories/5223864/modTrackback