Der Linkstrend setzt sich fort
Von Karl Weiss
Wie üblich, werden die Wahlergebnisse der drei Landtagswahlen im Saarland, in Sachsen und in Thüringen und der Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen praktisch ausschließlich in Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen angegeben. Dadurch werden die wirklichen Ergebnisse mehr verdeckt als geklärt.
Die kapitalistischen Einheits-Medien tönen praktisch unisono: Einbruch nur der CDU; SPD geht nun mit grosser Zuversicht in die Bundestagswahlen; ein Trend zu den kleinen Parteien.
Das ist genau nicht das Ergebnis. Zieht man die absoluten Stimmenzahlen und die Wahlbeteiligung mit in die Auswertung, kommt man zu einer anderen Auswertung: In der Deutschen Bevölkerung gibt es einen generellen Linkstrend. Wie kommt man zu dieser Erkenntnis?
1. Die wichtigsten Resultate der letzten Landtagswahlen und auch der jetzigen zeigen klar: Die Deutschen sehen jene Politiker mehr und mehr mit Abscheu und trauen keinem von ihnen mehr. Nur so lässt sich erklären, dass trotz der intensiven Aufrufe, zur Wahl zu gehen, sonst habe man kein Recht, in der Politik mitzureden, die Wahlbeteiligungen ständig weiter fallen. In Thüringen mit 55,5% Beteiligung und in Sachsen mit 51,9% wurden neue Rekorde in niedriger Wahlbeteiligung bei diesen Landtagswahlen aufgestellt.
2. Die beiden früheren „Volksparteien“ – beide können inzwischen als Rechtsparteien angesehen werden - verlieren praktisch ohne Unterlass Wähler, mal schneller, mal weniger schnell, mal mehr bei der SPD, mal mehr bei der CDU. Dieser Trend fand bereits vor der Grossen Koalition statt und hat sich während dieser letzten Legislaturperiode im allgemeinen sogar noch beschleunigt. Man kann mit Sicherheit vorhersagen: Beide werden bei den Bundestagswahlen neue Minus-Rekorde in der Zahl ihrer Wähler bei Bundestagswahlen seit Jahrzehnten aufstellen.
3. Die CDU/CSU: Ihr werden in den Umfragen ständig um die 38 bis 40% der abgegebenen Stimmen zugestanden, doch dies dient nur dem Täuschen der Bundesbürger. In Thüringen mit 31,2% und im Saarland mit 34,5% kam die CDU zu Einbrüchen, die geradezu geschichtlich sind. Das sind beides Bundesländer, in denen vor wenigen Jahren noch eine absolute CDU-Mehrheit herrschte! Sachsen dagegen gilt (neben Bayern) noch gewissermassen als Stammland der CDU bzw. CSU. Auch hier: Noch vor kurzem auf stolzen Rossen mit absoluter Mehrheit. Insofern sind auch die 40,2% der CDU in Sachsen nichts weiter als einen neuer gewaltiger Einbruch, denn die Wahlbeteiligung in Sachsen ist nun fast genau bei der Hälfte der Wahlberechtigten angelangt. Heute gibt es kein Bundesland mit absoluter CDU- oder CSU-Mehrheit mehr! Die Vorstellung, die CDU/CSU könnte bei den Bundestagswahlen in die Nähe der 40% kommen, ist abenteuerlich!
4. Die SPD: Sie wird von der Mehrheit der Deutschen auch bereits als rechte Partei wahrgenommen und die Wähler laufen ihr ebenfalls in Scharen davon. In Sachsen ist sie sowieso bereits im 10%-Ghetto, auch hier: Deutliche Verluste an Wählern, auch wenn die relative Prozentzahl gleichblieb. In Thüringen verlor sie nicht Wähler, weil sie bereits vor vier Jahren einen Einbruch erlebte. Der geringe Gewinn in Prozenten spiegelt aber keinen Zuwachs von Wählern wieder, weil die Wahlbeteiligung auch hier fiel. Im Saarland, wo zum ersten Mal nach der Vereinigung von Lafontaine mit der WASG und der PDS Landtagswahlen stattfanden, gab es als Sonderbewegung gegen den allgemeinen Trend eine deutlich höhere Wahlbeteiligung als 4 Jahre zuvor (etwa plus 13%). Doch das ist fast allein auf den Effekt Lafontaine zurückzuführen und so kamen denn die zusätzlichen Stimmen fast alle der Linken zu gute, die dort ihr höchstes Ergebnis in einem westdeutschen Bundesland einfahren konnte: Über 20% der abgegebenen Stimmen. Auch hier erneute Stimmen-Verluste für CDU und SPD. Der Linkstrend kommt klar zum Ausdruck.
5. Die „kleineren Parteien“. Angeblich gäbe es einen Trend zu FDP und Grünen, zum Teil auch zur Linken. Das ist eine falsche Interpretation. Grüne und FDP sind nun bereits eine gute Zeit in der Opposition, die FDP schon über 10 Jahre. Da kann man sich leichter als Alternative darstellen, weil man nicht für die Politik verantwortlich gemacht werden kann. Sobald einer der beiden (oder beide) in die Regierung eintreten, werden sie alle diese Neu-Wähler wieder verlieren, denn man wird sehen, sie sind keine Alternativen. Beide werden in diesem Fall erneut Schwierigkeiten haben, überall in die Landtage einzuziehen. Die Linke dagegen ist ein anderer Fall. Sie profitiert von dem Linkstrend der Deutschen. Sie kann bis zu einem bestimmten Grad wirklich als Alternative wahrgenommen werden und hat denn auch im Saarland einen echten Sieg errungen. In Thüringen aber stagniert sie schon, wenn auch auf hohem Niveau (27,4%). In Sachsen allerdings, wo sie nach der CDU schon die zweitstärkste Kraft war – und auch blieb – verlor sie massiv Wähler, was durch den Prozentverlust ( - 3,3%) nur unzureichend wiedergegeben wird. Dort hatten die Wähler Anschaungsunterricht in „Linke“, als der Privatisierung von städtischen Wohnungen zugestimmt wurde.
6. Der wichtigste Beleg für den Linkstrend in der Deutschen Bevölkerung ist aber das Abschneiden der Rechtsextremisten und Faschisten. Gerade Thüringen und Sachsen waren zwei der wichtigsten Hochburgen. In beiden Ländern verloren sie aber Stimmen und Prozente, in Thüringen blieben sie außerhalb des Parlaments. Das belegt in phantastischer Weise: Die Deutschen haben ihre Lektion gelernt. In der tiefsten Wirtschaftskrise seit derjenigen, die Hitler nach oben spülte, gibt es nicht die geringste Tendenz zu den Faschisten! Das ist in Europa einmalig! Der deutsche Michel belegt eine tiefe und generelle politische Aufgeklärtheit, die jedem denkenden Menschen das Herz höher schlagen lässt. Sieht man zum Beispiel in unsere Nachbarländer Frankreich, Dänemark oder Österreich, so wird deutlich, wie aufgeklärt der deutsche Wähler ist.
Nun mag jemand einwenden, die ständig sinkenden Wahlbeteiligungen seien nicht auf einen Linkstrend oder eine politische Aufgeklärtheit zurückzuführen, sondern auf eine allgemeine Politikverdrossenheit, wie uns die kapitalistischen Einheitsmedien weismachen wollen. Aber gerade die Saarland-Wahlen haben diese These widerlegt: Wenn die Wähler etwas sehen, was sie als linke Alternative ansehen können, gehen sie wieder zur Wahl und wählen diese Alternative. Sie sind also auf der Suche nach einer wirklichen Alternative – und zwar links. Das hat nichts mit Politikverdrossenheit zu tun, sondern ist eine immens politische Bewegung.
Veröffentlicht am 2. September 2009 in der Berliner Umschau
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