Streik der Lehrer an Staatsschulen in São Paulo
Von Karl Weiss
Die geringe Bezahlung von Lehrern ist ein typisches Anzeichen von Entwicklungsländern. Während in den entwickelten Industriestaaten die Lehrerbesoldung auf der gleichen Ebene liegt wie die von Richtern oder von Ärzten im Staatsdienst, sind die Personen, die am meisten die Zukunft des Landes bestimmen, die Lehrer, in Entwicklungsländern durchweg chronisch unterbezahlt. In São Paulo, Brasilien, wehren sich nun die Lehrer an den Schulen des Staates (Bundeslandes) mit einem Streik und Demonstrationen gegen die ständig sinkende Realbezahlung.
In Brasilien war die Bezahlung der Lehrer immer schon weit unterhalb von allem, was Studierte an anderen Arbeitsplätzen verdienen, aber die 8 Jahre Neoliberalismus des Präsidenten Cardoso haben dies zum offenen Skandal werden lassen. Er hat während der ganzen 8 Jahre seiner Herrschaft keine einzige Lohnerhöhung im öffentlichen Dienst zugelassen (mit der Ausnahme einiger kleiner Gruppen), was für die Lehrer bei 50% Inflation während dieser 8 Jahre ihre sowieso schon kleinen Gehälter zu einem Hungerlohn gemacht hat. Dies betrifft sowohl Grundschul- und Hauptschul- als auch Lehrer des 2. Grades (was unseren Gymnasiallehrern entspricht).
Man sehe sich an, was die Lehrer verdienen, die im Streik stehen:
Ein Lehrer der Klassen 1 bis 4 bekommt monatlich bei einer 40-Stunden-Woche 1167 Reais (467 Euro), einer der Klassen 5 bis 8 1351 Reais (540 Euro), Schuldirektoren bekommen 1409 Reais (564 Euro), Schulräte 1638 (655 Euro). Das Hilfspersonal der Schulen (Hausmeister, Bibliothekar usw. ) erhält im Monat 635 Reais (254 Euro), die Mitarbeiter im Schulsekretariat 882 Reais (353 Euro).
Wer schon einmal mit Hartz-IV 347 Euro plus Miete auskommen musste, hat eine Vorstellung, was eine solche Bezahlung bei Vollzeitarbeit bedeutet (die Lehrer müssen natürlich ihre Miete von diesem Gehalt aufbringen).
Jeder kann sich vorstellen, wer unter diesem Bedingungen noch Lehrer wird, nur Idealisten und Leute, die als Lehrer ungeeignet sind.
Die Regierung Lula hat soeben den Bundes-Lehrern – wie auch anderen Bundes-Beschäftigten im öffentlichen Dienst - eine Erhöhung über der Inflationsrate zugestanden. Der Bundesstaat São Paulo aber wird von einem Vertreter der neoliberalen Oppositionspartei PSDB geleitet, der Partei des früheren Präsidenten Cardoso, deren Motto ist: „Keinerlei Erhöhung für öffentliche Bedienstete, Privatisieren von allem und der Markt richtet dann alles.“
Diesmal wird jener Gouverneur aber nicht darum herumkommen, denn der Streik hat offensichtlich eine hohe Beteiligung. Auch wenn der zuständige Staatssekretär behauptete, nur 2% der Schulen seien vollständig geschlossen, so zeigte sich bei der Demonstration und Kundgebung am Freitag im Zentrum von Saõ Paulo, wie gross die Beteiligung ist.
Die „ Avenida Paulista“, der traditionelle Ort für Feiern und Demonstrationen in der grössten Stadt der südlichen Hemisphäre, war schwarz vor Menschen. Der Gouverneur hat inzwischen bereits 12% Erhöhung angeboten.
Veröffentlicht am 24. Juni 2008 in der Berliner Umschau
Originalveröffentlichung