Vor über einem Jahr... (belogen und betrogen)
Von Karl Weiss
Wenn die "Financial Times Deutschland" (FTD) einen Artikel mit "Ein schockierender Schock" überschreibt, weiß man schon, da wird ironisiert. In diesem Fall belegt die FTD mit eindeutigen Zahlen: Der angebliche Schock der Pleite der Lehmann Brothers vor über einem Jahr, im September 2008, war nicht der Auslöser, sondern die Folge der Finanzkrise. Wenn aber die Gefährdung der Banken lediglich Ausdruck, nicht Ursache der Krise ist, kann man sie auch nicht durch Banken-Retten bekämpfen – oder?
Wie, was, wo, das kann doch nicht sein! Alle diese Hunderte von Milliarden Dollar und Euro von unseren Steuergeldern wurden an die Banken transferiert, ohne dass dies gegen die Krise wirken konnte? Man hat uns belogen und betrogen? Also das wollen wir nun genau wissen!
Nun, hier ist, was die FTD sagt, und die ist eine Autorität in diesen Dingen:
„... war die Finanzmarktkrise schon seit einem Jahr in vollem Gange, als Lehman unterging. Die US-Rezession war bereits ein Dreivierteljahr alt und hatte das erste Fiskalpaket verschlungen. Die Kreditvergabe an die privaten US-Haushalte hatte sich bereits von einem annualisierten Wert von 813 Mrd. $ im dritten Quartal 2007 auf 7 Mrd. $ im dritten Quartal 2008 verlangsamt (jene an die nichtfinanziellen US-Firmen von 1439 auf 547 Mrd. $). Entsprechend war der Frühindikator für den OECD-Raum per September 2008 schon seit Monaten im freien Fall. Die Auslandsaufträge in der deutschen Industrie lagen bereits damals um 13,3 Prozent unter dem Vorjahr.“
Und weiter:
„Ein ... durchsichtiger Versuch, sollte man meinen. Aber dann geschah das Bestürzende: Die meisten Journalisten hatten sich den Bären aufbinden lassen. (...). ... Schockstarre ... ist das Ding, in welches die Pleite von Lehman Brothers ... angeblich die ganze Welt versetzt hatte. In der Lesart der Politiker und der Bankiers war die Lehman-Pleite nämlich nicht etwa die Folge der Kreditklemme, sondern ihre Ursache. Das gab den einen den perfekten Vorwand dafür, Billionen in das Finanzsystem reinzupumpen, und den anderen die willkommene Ausrede dafür, diese Billionen in Empfang zu nehmen.“
Ja, nun mal langsam, was war denn dann die Ursache der Finanzkrise? Die FTD bleibt uns keine Antwort schuldig: „...die Ursache der Krise sind und bleiben überschuldete und daher zahlungsunfähige Verbraucher sowie Firmen rund um die Welt.“
Sie sagt uns zwar nicht, warum denn die Verbraucher und Firmen überschuldet waren, aber sagt klar und deutlich, was die Krise nicht bekämpft: „ ... ist dieses Problem nicht dadurch passé, dass die Staaten auf die Pleite zusteuern.“
Es sei noch nachgetragen, warum es so viele Zahlungsunfähige gab zu diesem Zeitpunkt: Die Banken hatten Kredite zu vorteilhaften (und teilweise unanständigen) Bedingungen gegeben, so wie auch andere Finanzinstitutionen. Sie mussten wissen, das können viele der Kreditnehmer nicht zurückzahlen, aber sie waren wohlgemut, sie wussten ja, sie könnten sich im Zweifelsfall am Staat (und Steuerzahler) gütlich halten, denn sie sind es schließlich, die anschaffen.
Fazit: Man hat uns von vorne und hinten belogen und betrogen.
Die Rettung der Banken hat uns nicht aus der Kreise geholfen, sondern eine neue Dimension hinzugefügt, das Problem der überbordenden Staatsverschuldung.
Und da gibt es – das erwähnt die FTD nur indirekt – das eigentliche Problem: Die Überproduktionskrise: Die tendenziell sinkenden Löhne reichen nicht mehr aus, um alle produzierten Güter zu kaufen. Die gesetzmäßige kapitalistische Krise muss Unmengen von Produktionskapazitäten (und damit meist auch Arbeitsplätzen) vernichten, um einen neuen Beginn auf niedrigerem Niveau möglich zu machen.
Und das hat bisher nicht stattgefunden in Deutschland. Die Kurzarbeit löst dies Problem nicht. Die Krise steht uns noch in ihrer Wucht bevor. Und alles Geld, das die Regierung dringend brauchen würde, um die Folgen abzudämpfen, hat sie bereits an die Banken vergeben.
Die neue Regierung versucht all das noch ein wenig hinauszuschieben, wenigstens bis nach den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, aber das ist ein Tanz auf dem Vulkan. Je weiter sich die Probleme aufstauen, desto steiler der Abfall.
Die spontanen Streiks bei Daimler-Benz in Sindelfingen gegen die Verlegung der C-Klasse in die USA waren das Wetterleuchten.
Nur der konsequente Kampf kann verhindern, dass alles auf die Schultern des „kleinen Mannes“ abgeladen wird.
Veröffentlicht am 16. Februar 2010 in der Berliner Umschau