Deutschland in der Krise
Von Karl Weiss
Die Ergebnisse des vierten Quartals des Vorjahres zeigen: Entgegen der Gesundbeterei der Politiker, der ‚Bild’ und der Wirtschaftsinstitute sowie der Wirtschafts-“Weisen“ gibt es keinen Aufschwung. Die Krise ist nicht zu Ende. Sie kann auch noch gar nicht zu Ende sein, denn die eigentliche Kern der kapitalistischen Wirtschafts-Krise, die Überproduktion im Vergleich zur Konsumption, ist ja nicht abgebaut.
Es müssen die Produktionskapazitäten der geringeren Lohnsumme angepasst werden, also massiv Kapazitäten vernichtet werden. Das ist der Kern der Krise. Das ist noch nicht geschehen. Man könnte natürlich stattdessen auch die Löhne deutlich anheben, aber das wird ohne Kampf im Kapitalismus nicht geschehen.
Zwar befinden sich Produktion, Exporte, Investitionen und privater Verbrauch nicht mehr im freien Fall wie in der ersten Hälfte 2009, aber die Beruhigung geht über eine Seitwärtsbewegung, also ein Plateau auf dem erreichten niedrigen Niveau, nicht hinaus.
Nimmt man beim deutschen Brutto-Inlandsprodukt (BIP) das Niveau des Jahres 2000 als 100, so war der Höhepunkt im ersten Quartal 2008 mit einem Index von etwas über 111 erreicht (11 Prozent Wachstum in etwas mehr als 7 Jahren, welch phantastische Leistung). Ab dann ging es bergab (wichtig: Die Krise begann nicht mit der Lehmann-Pleite, sie hat diese vielmehr ausgelöst). Bis zum dritten Quartal 2008 war man schon auf fast 110 abgerutscht, dann begann der steile Fall: 4. Quartal 2008: 108; 1.Quartal 2009: 104. Danach pendelte sich der Index um die 105 ein. Im 4. Quartal ist das BIP genau auf diesem niedrigen Niveau des 3. Quartals geblieben.
Das BIP des 4. Quartals 2009 liegt um 5,6% unter dem Niveau des ersten Quartals 2008, dem letzten Vorkrisenquartal. Man hat es also fertiggebracht, mehr als die Hälfte des Wachstums der vorherigen acht Jahre in eineinhalb Jahren wieder zu verlieren. Phantastisch, dieser Kapitalismus in seiner Endphase, nicht?
Der ehemalige Bankier und Finanz-Staatssekretär Jürgen Jahnke erklärt in seinem interessanten Portal http://www.jjahnke.net/ im Rundbrief vom 10.2. 2010 (hier: http://www.jjahnke.net/rundbr67.html#wir ) zusätzlich, dass es nur deshalb nicht noch weiter abwärts gegangen ist, weil die Importe weiter zurückgegangen sind (die gehen ja negativ in die Rechnung ein, das gibt also ein Plus), was ja eben auch nur zeigt: Die Wirtschaft kauft weniger, es gibt also kein Ende der Krise. Dieses würde sich ja gerade dadurch ankündigen, dass die Importe wieder steigen, dass die Investitionen steigen, weil die Unternehmen steigende Umsätze erwarten.
Bei Jahnke in jenem Rundbrief kann man auch gleich nachlesen, warum die Krise in Deutschland nun ständig schlechtere Zahlen als die vergleichbaren Wirtschaften der USA, Großbritanniens und Frankreichs aufweist: Die deutsche Lohn- und Gehaltssumme ist von Dezember 2008 bis 2009 noch einmal um 8,7% zurückgegangen, nachdem es bereits seit dem Jahr 2000 als einzigem größeren Land kein Wachstum auf diesem Feld mehr gab. Im Vergleich zum Vorkrisen-Dezember 2007 fiel sie sogar um 12%. Wie soll sich die deutsche Wirtschaft erholen, wenn die Lohn- und Gehalts-Empfänger in immer schnellerem Rhythmus weniger in der Tasche haben?
Meinen die schlauen Volkswirtschaftler, die Reichen würden ihre Ausgaben so steigern, dass das aufgewogen würde? Nun, zu so abenteuerlichen Aussagen lassen sich nicht einmal die Vollidioten von der Volkswirtschafts-Branche hinreißen.
Nein, sie sagen, was sie immer gesagt haben: Rettung gibt es nur durch den Export. Die Binnennachfrage ist so unwichtig wie sonst nichts und der Export wird wieder anziehen.
Tja, nur das tut er nicht. Zwar hat der freie Fall der deutschen Exportzahlen ebenfalls aufgehört und es gibt auf niedrigem Niveau Schwankungen nach oben und unten, aber man wird davon ausgehen müssen: Der deutsche Export wird nie wieder zu jenen Höhenflügen aufbrechen, die Deutschland für viele Jahr zum Export-Weltmeister machten. Und das ist auch gut so, denn das internationale Ungleichgewicht zwischen riesigen Exportnationen (Deutschland, China) und riesigen Importnationen (vor allem die USA, aber auch Großbritannien) war eine der Ursachen, warum diesmal der Einbruch so gewaltig war – ganz zu schweigen von dem, was noch kommt.
Und da gibt es den Konsum-Einbruch. Auch wenn unsere Herren Volkswirtschaftler das nicht wahrhaben wollen, denn in ihrer Ideologie gibt es keine Nachfrage-Komponente, die ständig fallende deutsche Lohn- und Gehaltssumme führt zu einer ständigen Verringerung des inländischen Konsums, was zusammen mit dem fehlenden Export-Aufschwung alle Wachstumshoffnungen gründlich zunichte macht. Zwar konnte das mit der Abwrackprämie eine Zeitlang verdeckt werden, aber nun kommt mit deren Auslaufen der Effekt der Vorwegnahme von Auto-Käufen zur Geltung und der Konsum, der (unter Einschluss der Auto-Käufe) eine Zeitlang anstieg, zeigt erneut desaströse Zahlen.
Die Nachrichtenagentur AFP berichtet nun zum deutschen Außenhandel von 2009: Dies war das schlechteste Jahr seit 1950. Der Exporteinbruch liegt nach dieser Meldung bei 18,4% gegen 2008, wobei aber auch jenes Jahr bereits niedriger lag als das Vorjahr, das letzte Vorkrisenjahr 2007.
Das Ganze hat noch eine andere Dimension – und die sollte uns besonders kümmern: Die Steuereinnahmen fallen unter diesen Bedingungen deutlich (bei weniger Lohnsumme auch weniger Steuereinnahmen, bei weniger Konsum auch weniger Steuereinnahmen) und damit werden die Staatskassen, die sowieso bereits durch die Bankenhilfen geplündert wurden, immer klammer. Das riecht nach Steuererhöhungen (oder Erhöhungen von Abgaben), auch wenn die Koalition weiterhin von Steuerabbau spricht. Erinnern wir uns, dass bereits vor den Wahlen, aus denen Merkel und Westerwelle als strahlende Sieger hervorgingen, Zahlen von 25 % Mehrwertsteuer kolportiert wurden. Kann es sein, dass man nur noch die Wahlen in NRW abwartet, bis da „Butter bei die Fische“ gegeben wird?
Veröffentlicht am 23. Februar 2010 in der Berliner Umschau