Das ist einfach krank

Wikileaks meets Michael Moore


Von Karl Weiss


Wenn irgendjemand noch einen Beweis dafür braucht, wie abgrundtief krank das US-System ist, der findet ihn hier. Das ganze System einschließlich der Medien ist so unvorstellbar abartig und bar jeder minimalen Seriosität, dass man heulen könnte. Sehen sie sich nur diese Geschichte an, wie WikiLeaks und Michael Moore zusammenkamen.


Sie können sich bei ausreichenden Englisch-Kenntnissen auch die Originalgeschichte im Blog von Michael Moore ansehen, hier:

http://www.michaelmoore.com/words/mike-friends-blog/viva-wikileaks oder diesen Artikel weiterlesen.

Also, Michael Moore ist der einzige mir bekannte kritische Filmemacher in den Vereinigten Staaten. Er brachte 2008 den Film „Sicko“ (das ist umgangssprachlich „krank“) heraus, in dem er das US-Gesundheitssystem anklagt, das extrem teuer und dazu nicht hilfreich ist, weil Gesundheit in den USA ausschließlich zum Profitmachen für Versicherungsunternehmen gedacht ist und die Bevölkerung das Nachsehen hat.

In dem Film bringt Michael Moore unter anderem drei Personen, die von den Attentaten des 11. Septembers 2001 in New York betroffen waren, nach Kuba zur gesundheitlichen Behandlung, die ihnen in den USA verweigert worden war.

Moore schreibt in seinem Blog, die Versicherungsunternehmen hätten Millionen ausgegeben, um irgendetwas gegen ihn zu finden, als sie des Inhalts dieses Filmes gewahr wurden. Das Finanzministerium der Bush-Administration hat ihm sogar mitgeteilt, man prüfe welche Gesetze er gebrochen haben könnte, als er diese US-Bürger nach Cuba brachte.

Nach meinen Recherchen wurde dieser Film in Europa nie gezeigt, wohl weil er sich ausschließlich auf das kranke Gesundheitssystem der USA bezieht.

Dann begann die Versicherungs-Industrie, die bereits gesagt haben soll, man müsse „Michael Moore von einer Klippe stürzen“ mit Exil-Kubanern zusammenzuarbeiten, die sich vor allem im Raum Miami zusammenballen und ließ sie schlecht über Michael Moore sprechen.

In Kuba selbst erfand ein offizieller Agent der Regierung der Vereinigten Staaten eine Story, um Kuba und Michael Moore zu gleicher Zeit schlecht zu machen und sandte sie als Geheime Depesche an seine Auftraggeber in den USA: Angeblich sei Michael Moores Film in Cuba zensiert worden und dürfte nicht gezeigt werden. Die von Michael Moore im Film gezeigten Krankenhäuser seien für normale Kubaner gar nicht zugänglich und das kubanische Regime wollte die Bevölkerung daher solche Gesundheitseinrichtungen nicht sehen lassen. Dieser Bericht war frei erfunden.

In Wirklichkeit ist Michael Moores „Sicko“ in einer spanischen Fassung in vielen Lichtspieltheatern in Kuba gelaufen und es gab keinerlei Restriktionen. Die gezeigten Krankenhäuser existieren wirklich und die kubanische Bevölkerung hat Zugang zu ihnen. Nach der Saison in den Filmtheatern wurde „Sicko“ in Kuba auch noch im Abendprogramm des staatlichen Fernsehens gezeigt, in einer ungekürzten Version.

Und nun kommt WikiLeaks ins Spiel. Die Geheime Depesche nämlich, die einer der US-Agenten in Kuba an seine Chefs in den USA gesandt hatte (wo die Behauptung des Verbots des Filmes in Kuba enthalten war) wurde am 17. Dezember 2010 von Wikileaks veröffentlicht, womit diese Lügengeschichte eigentlich aufgeflogen sein müsste.

Doch was geschah? Die Medien in den USA berichteten, aber sie berichteten genau anders herum. Sie prüften nicht nach, ob Michael Moores Film wirklich in Kuba verboten war, sondern sie berichteten, genau dies sei der Fall, denn in jener Depesche wurde dies ja behauptet. „Fox News“, das Programm der Rechtsaußen, berichtete dies zwei Mal, aber auch „Reason Magazin“, „Spectator“ und „Hot Air“ und eine Menge rechter Blogs, ja sogar der englische „Guardian“ übernahm die Story ohne zu verifizieren. Später kamen noch dazu „BoingBoing“ und „Nation“.

Niemand in US-Redaktionen hatte sich die Mühe gemacht zu checken, ob Kuba diesen Film wirklich zensiert hatte. Die Behauptungen des Agenten wurden einfach als wahr an die Leserschaft gegeben, obwohl jeder vernünftig denkende Mensch schnell auf die Idee kommt, das muss gecheckt werden. Schliesslich stellt WikiLeaks so etwas ja genau zu diesem Zweck in das Internet, um zu zeigen, wie oft solche „Berichte an die Heimat“ von Agenten nichts als Lügenpropaganda sind.

Jeder Journalist, der das mindeste getan hätte, was verlangt werden kann, nämlich zu googeln, ob „Sicko“ in Kuba wirklich verbannt wurde, hätte keine 20 Sekunden gebraucht, um dies als Geschmier von US-Agenten der niedrigsten Kategorie (vielleicht gibt es auch keine andere Kategorie) zu entlarven – doch nicht einmal diese 20 Sekunden hat man mehr in US-Redaktionen.

Was heute offizieller Journalismus ist, das erfüllt nicht die geringsten Anforderungen an wirklichen Journalismus, es werden nur ungeprüft Agenturmeldungen herausgehauen und die Agenturmeldungen selbst sind hauptsächlich „Entertainment“ oder Bestätigungen von vorherrschenden Vorurteilen oder so verkürzte Darstellungen, dass von Information nicht die Rede sein kann. Wirklich investigativer Journalismus, wie ihn Michael Moore bringt oder wie es die Veröffentlichungen von Wiki Leaks darstellen, ist sowieso so selten, dass Sie alle diese Journalisten an den Fingern einer Hand abzählen können.

Michael Moore berichtet genüsslich in seinem Blog, was das kubanische Gesundheitssystem in einem der armen Länder der Welt, noch zusätzlich betroffen von dem US-Boykott, erreicht hat: Die Kinder-Sterblichkeits-Rate ist geringer als in den USA, die Lebenserwartung ist lediglich 7 Monate kürzer als in den USA (also weit höher als in fast allen Entwicklungsländern) und die Welt-Gesundheits-Organisation hat festgestellt, dass Kuba lediglich zwei Plätze hinter den reichsten Ländern der Welt landet, was das Gesundheitssystem betrifft.

Nun, dies alles muss man ganz langsam „genießen“ und sich dessen gewahr werden, was das bedeutet: Siehe Überschrift.
grood - 20. Dez, 00:49

Arte hat Sicko gezeigt

Kleine Ergänzung:
http://www.arte.tv/de/filme/1577620.html

Ich glaube mich auch an eine Sendung aus dem letzten Jahr zu erinnern. Allerdings habe ich auf die Schnelle nicht dazu gefunden.

Gruß

AnonSphere - 20. Dez, 05:46

Zur Ergänzung

Den Film gibt es auf Deutsch bei einem großem halblegalem Filmportal mit kino im Namen.

Gockeline - 20. Dez, 09:41

Sind wir nicht auf dem besten Weg Amerika nachzueifern???

Amerika war das Wunderland,das es nachzuahmen gilt.
Deutsche Manager wollen so viel verdienen die amerikanischen Manager!
Unternehmen haben ihre Strukturen in den Betrieben dem amerikanischen angepasst.
Versicherungen ebenso.
Banken sowieso!
Politik hechelt hinterher!
Die EU ist auf dem besten Weg ihrem Vorbild Amerika nachzuahmen.
Amerikaner werden mit Absicht dumm gehalten,
damit sie nicht merken was Politik und Wirtschaft mit ihnen machen.
Dafür bekommen sie ihre Holywoodtraumfabrik, damit ihnen die Sinne vernebeln.
Amerika ist kein Rechtsstaat mehr!
Amerika führt weltweit die meisten Kriege im Namen des Friedens???
Amerika jagd jeden der ihren Traum behindert,anklagt,aufdeckt!

paral - 21. Dez, 21:26

Die kranke USA

Ich hoffe dass uns Wikileaks für alle Zeiten erhalten bleibt .
Je mehr wir über dieses kranke Land erfahren um so mehr kann man sich vor falschen Illusionen dieses Landes schützen.
Dieses einst wunderbare Land der unbegrenzten Möglichkeiten wurde von ein paar wenigen Politikern innerhalb von 60 Jahren in den Abgrund gestossen.
Und kommt jemand um ihnen den Spiegel ihrer Taten vor's Gesicht zu halten dann wird mit der Todesstrafe gedroht, alle Achtung !
Das ist Faschismus,da hatte man in Deutschland während des 2.Weltkrieges die Gestapo und die SS-Schergen die Menschen an den Galgen brachte.
Gibt es Parallelen?

Rene1234 - 22. Dez, 13:45

Ein bisschen peinlich

Groß über den Journalismus herzuziehen, und dann den hier zu bringen: "Nach meinen Recherchen wurde dieser Film in Europa nie gezeigt, wohl weil er sich ausschließlich auf das kranke Gesundheitssystem der USA bezieht."

Ich weiß nicht, was du da recherchiert hast, aber es benötigt keine zehn Sekunden, um herauszufinden, dass "Sicko" in Deutschland in den Kinos gelaufen ist. Das dann noch als "Recherche" zu verkaufen, ist zudem ziemlich dick aufgetragen.

Nicht minder peinlich ist es natürlich von den großen Medien, diese Wikileaks-Info ungeprüft weiterzuverbreiten.

Karl Weiss - 22. Dez, 18:39

Richtig

Hallo Rene,

Sie haben Recht. Meine Recherche war lediglich das Eingeben von ein paar Worten bei Google, aber ich hatte dabei nicht bedacht, dass ich natürlich das Wort "Deutschland" mit eingeben muss, sonst bekomme ich hier ja nur portugiesische Resultate oder bestenfalls englische.

So dachte ich, diese Recherche sei genug.

Typischer Fehler von Leuten wie mir, deren Beruf nicht der Journalismus ist. Darum bezeichnen ich und andere sich ja auch als Bürger-Journalisten.

Das nimmt mir aber nicht das Recht, die Profi-Journalisten anzuklagen, wenn sie die bei ihnen sicherlich vorhandenen Kenntnisse über so eine Recherche überhaupt gar nicht erst anwenden.

Ebenso wenig ist es mir peinlich. Bisher habe ich hier in den vier einhalb Jahren dieses Blogs und mehr als 700 Artikeln lediglich drei Fehler gemacht, wobei ich die dann auch zugebe und korrigiere - was bei den professionellen Journalisten eben auch nicht der Fall ist. So hat sich von den im Artikel genannten veröffentlichten US-Quellen NICHT EINE EINZIGE berichtigt.

Lediglich die einzige Nicht-Amerikanische Quelle, der britische Guardian, hat seinen Fehler berichtet und sich entschuldigt. Hut ab vor dem Guardian!

Übrigens, im Artikel ist noch ein kleiner Fehler: der Film ist nicht von 2008, sondern von 2007. Das hätte ich bei einer richtigen Recherche auch herausgefunden.
sachmed - 23. Dez, 11:27

ich bin mal wieder begeistert

von dem artikel. Mir ist auch schon aufgefallen, dass die medien manipulativ sind.
Zufällig kommen sie mit einem herrn dübel daher, wenn es darum geht hartz 4 sätze zu kürzen. Hat ja schon einmal funktioniert, bevor hartz 4 kreiert worden ist, da waren es die arbeitslosen urlauber auf "malle".
Die berichterstattung über den israel - palästina konflikt ist mehr als dürftig.
Man zeigte, wie sich die israelis aus einer siedlung zurück zogen und verschwieg, wie sie an anderer stelle um so mehr grenzgebiete bebauten.
Sieht man unsere medien, dann ist die kaufkraft der deutschen enorm und hat sich schon wieder gesteigert. Ich mag das kaum glauben, angesichts des lohngefüges.
halbwahrheiten und skandale, hauptsache die leute konsumieren den mist, denn das bringt auch im journalismus geld.
Mach bitte weiter so, lieber karl. Ich finde die berichte immer sehr aufschlussreich!

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