214 Milliarden Dollar pro Grad
Von Elmar Getto
Hier noch einer der letzten Artikel von Elmar Getto in der "Berliner Umschau". Diesmal geht es wieder um erneuerbare Energien. Der Artikel erschien zuerst am 15. November 2005. Zu diesem Zeitpunkt schien es noch so, als könnte sich eine Änderung der Monopolpolitk zu den erneuerbaren Energien anbahnen. Doch mit dem Fortschreten der Politik Merkel'scher Prägung wurde alles wieder ins letzte Jahrtausend zurückgeschraubt.
Wenn ein Vertreter des Industrieinstituts DIW regenerative Energien preist, dann muß schon wirklich etwas geschehen sein. Sind die Kapitalisten plötzlich vernünftig geworden? Haben sie sich etwa von ihrer rein auf Profit ausgerichteten Politk verabschiedet? Weit gefehlt. Sie (oder besser: Teile von ihnen) sehen aber nun ihre eigenen Profite gefährdet, wenn weiterhin stur an der Verbrennung fossiler Energiestoffe als wesentliche Quelle der benötigten Energie festgehalten wird.
Ein Herr Dr. Ziesing vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin hat in einem Vortrag bemerkenswerte Einsichten gezeigt. Er sagte unter anderem, daß es einen bereits überall sich abzeichnenden Klimawandel gebe, der von Treibhausgasen aus fossilen Brennstoffen verursacht werde - eine Einsicht, die wesentliche Teile des Monopolkapitals bisher streng verneint hatten.
Gerade eben hatte noch der Bundesverband der deutschen Industrie der neuen Regierung die Aufgabe gestellt, die Ziele des Kyoto-Protokolls abzuschwächen, weil die finanziellen Belastungen zu hoch seinen. Der BDI also voll auf Bush-Kurs.
Ziesing will - kein Wunder bei seinen Auftraggebern - vom menschlichen Leid und von Umweltzerstörungen absehen, die vom Klimawandel verursacht werden, aber er hat eine klar wirtschaftsorientierte Sicht davon: Nach seinen Angaben kostet im Moment ein Grad Celsius globaler Erwärmung für die Menschheit „214 billion US-Dollars“.
Das ist allerdings etwas komisch: Vorher gab es das alles gar nicht und jetzt hat man bereits auf die Billion genau errechnet, was es kostet. Nun, diese Zahl muß man sicherlich mit Vorsicht genießen. Zunächst handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit wiederum um eine Verwechslung aufgrund der unterschiedlichen Zählweise im englischsprachigen und deutschsprachigen Raum. Wir zählen: Million - Milliarde - Billion - Billiarde, auf Englisch wird gezählt: millon, billion, trillion, quatrillion. Also handelt es sich wahrscheinlich um 214 Milliarden US-Dollar.
Wenn das so ist, so mag das die Zahl für das nächste Grad globaler Erwärmung sein, aber das folgende Grad wird mit Sicherheit weit teurer.
Man weiß nicht, woher das DIW diese Zahl hat und wie irgendjemand darauf gekommen ist, aber wahrscheinlich handelt es sich um Schätzungen der Rückversicherer. Die Rückversicherer, die also die Versicherungen gegen große, ihre Kapazität eventuell überschreitende Schadensfälle versichern, müssen letzlich für große Katastrophen aufkommen, wie z.B. für die massiven Schäden, die ‚Katarina’ und ‚Rita’ an Ölplattformen im Golf von Mexico verursacht haben, an Industrieanlagen und an öffentlichen Gebäuden an der Golfküste und in New Orleans, die beschädigt oder zerstört wurden.
Die Rückversicherer haben deshalb - im Gegensatz zu den Öl- und Energiekonzernen nicht das geringste Interesse, am Verbrennen von Kohle und Öl, von Benzin und Diesel festzuhalten. Und die Rückversicherer müssen ihre Prämien wiederum am erhöhten Risiko ausrichten, also müssen die Versicherer mehr zahlen, wenn sie sich rückversichern wollen und das bedeutet wiederum höhere Prämien für die Versicherungen von Plattformen, von Industrieanlagen, von Verwaltungsgebäuden, von Häusern usw. Es mag einer sagen, das geben die einfach an die Preise weiter, aber die Monopolkonzerne nehmen sowieso schon die höchsten Preise, die sie bekommen können.
Zumindest zum Teil wird dies vom Profit abgehen - und da sind wir am einzig empfindlichen Punkt jener Herren angelangt (den zweiten empfindlichen Punkt, wenn man ihnen ihre Prostituierten-Reisen streichen würde, wollen wir hier nicht besprechen).
Hier gibt es also absolut unterschiedliche Interessen unter den Großkonzernen. Energiekonzerne (wie RWE oder eon) sind natürlich daran interessiert, daß alles bleibt, wie es ist, denn sie verdienen sich dumm und dappig und ihre wichtigsten Investitionen sind ja bereits bezahlt und abgeschrieben: Milliardengewinne! Das gleiche gilt für die Öl-Riesen, von denen wir hier in Europa die BP, die Shell und die Total haben. Sie mögen noch so sehr ein umweltfreundliches Image mit irrwitzigem Werbeaufwand versuchen vorzuspiegeln, 99% ihrer Aktivitäten sind so schmutzig wie das Erdöl.
Diese Konzerne stehen daher auch hinter der Energiepolitik der EU-Kommission, die erneuerbare Energien bestenfalls als Alibi betreibt, wenn gerade nichts anderes anliegt.
Auch die Automobil-Riesen waren lange Zeit engst mit Big Oil verwoben und verkündeten im Gleichklang mit ihnen: „Erneuerbare? Alles noch nicht ausgereift und zu teuer!" Doch jetzt beginnen sie zu spüren, daß bei den jetzigen Benzinpreisen der Absatz von Autos stagniert oder sogar einbricht, speziell der hubraumstarken Modelle, die so viel Profit bringen. Langsam aber sicher beginnen sie teilweise mit Absetzbewegungen von der Erneuerbaren-Abwehrfront.
Auch andere Industrievertreter sehen absolut nicht ein, wieso sie für die Profite jener Konzerne bluten sollen.
Und so kommt dann zustande, daß Herr Ziesing die erneuerbaren Energien preist. Er hat auch noch das Abhängigkeits- und Verfügbarkeitsargument: Über 70% der Öl- und über 50% der Gasreserven liegen in OPEC-Regionen vorwiegend des Nahen Ostens und 10% der Öl- sowie 32% der Gasreserven befinden sich in Russland. Sie sind also von Unsicherheiten und Risiken geprägt.
Es kann dem deutschen Monopolkapital natürlich keineswegs egal sein, wenn die US-Monopole den Zugang zum Irak-Öl jetzt exklusiv haben und auch noch drohen, mit dem Iran und Venezuela zwei weitere der größten Welt-Ölversorger anzugreifen. Ebensowenig schmeckt ihm eine Abhängigkeit von Russland.
Es ergibt also schon einen Sinn, wenn das DIW jetzt auch auf erneuerbare Energien setzt. Wichtig auch, daß die Kapitalistenfront an dieser Stelle bröckelt. Es wird leichter, gegen die allgemeine Widerstandsfront der Mainstream-Medien zu argumentieren.
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