Der Widerspenstigen Zähmung
Von Elmar Getto
Heute zunächst ein weiterer wichtiger Artikel von Elmar Getto, einer der letzten von ihm in der "Berliner Umschau", diesmal zur Linkspartei, hier leicht redigiert vom Autor. Erschienen zuerst am 8. Dezember 2005, ist der Artikel heute wieder besonders aktuell angesichts der Auseinandersetzungen über das Eintreten in eine neue Berliner Regierung.
Als die Grünen Anfang der 80er Jahre zum ersten Mal in eine Koalition mit der SPD geholt wurden, das war in Hessen unter Ministerpräsident Börner, begann ihr Prozeß des Übergangs zu einer kapitalistischen Partei. Genau die gleichen Erscheinungen kann man nun bei der Partei ‚Die Linke’ beobachten, nur im Zeitraffer.
Unter ständigen Hinweisen auf die ‚Einheit der Partei’ und ‚man müsse doch die Querelen überwinden’, werden die Linken systematisch, ein Grüppchen nach dem anderen, ausgegrenzt, bis nur noch eine systemtreue Partei, basiert auf Antikommunismus, übrig ist. Dann ist „Der Widerspenstigen Zähmung" gelungen und es ist nicht mehr schwierig, in einem zweiten Schritt die Partei auf den Weg zu bringen, den imperialistischen Agressionskurs mitzutragen.
Das nannte man bei den Grünen die ‚Schaffung der Koalitionsfähigkeit’. Das Schema ist einfach und verständlich. Man gibt in kleinen Dosen ‚Kröten zu schlucken’, begründet das immer damit, man müsse in Koalitionen eben Kompromisse eingehen – aber andererseits könne man eben auch auf Entscheidungen einwirken – erwähnt immer wieder die berühmten Sachzwänge – wenn man an der Regierung sei, könne man sich gewissen Dingen eben nicht entziehen -, und bekommt so innerhalb der Partei immer Mehrheiten für die 'Kröten', wenn auch manchmal knappe. Wenn die Mehrheit einmal nicht zustande kommt, wird solange weiter Druck gemacht und neu abgestimmt, bis die richtige Mehrheit da ist.
Das führt nach und nach dazu, daß sich immer wieder Einzelpersonen und kleine Gruppen von der Partei verabschieden, die ihre Grundprinzipien verletzt sehen. Andererseits führt diese Politik dazu, daß der Abschaum der kleinbürgerlichen Intellektuellen nach oben und in die Partei gespült wird, Karrieristen, die für fette Pfründe die eigene Mutter verkaufen würden und so viel Grundsätze haben wie eine Kuh (das Rindvieh sei um Entschuldigung gebeten).
So wurde aus der linken, basisdemokratischen und umweltbewegten Partei der Grünen jenes Zerrbild, das unter Schröder jedes imperialistische Eroberungsabenteuer mitmachte ebenso wie die Brutalisierung der Polizei im eigenen Lande. Man watete sogar bis zu den Knöcheln in Blut , sei es bei der Bombardierung Serbiens, beim Eingreifen im Kosovo oder beim Überfall auf Afghanistan. Leute wie Fischer, Beck und Schmierer sind die Symbole dieser Partei und das sagt alles.
Die überwiegende Mehrheit der Umweltaktivisten haben der Partei den Rücken gekehrt, praktisch alle, die Umwelt- und soziale Protest-Aktivitäten verbanden und links waren, ebenso wie alle, denen die Basisdemokratie Anliegen und nicht nur schöner Schein war. Auch einige Sponti- und feministische Gruppen sowie die gesamte Trotzkisten-Truppe haben die Partei verlassen, sofern sie nicht selber zum Imperialismus überliefen.
Außer der Masse der passiven Parteimitglieder besteht sie heute praktisch nur noch aus karrieristischen Kleinbürgern und Intriganten. Sie ist eine imperialistische Partei geworden mit allen Attributen. Wenn heute ein grüner Würdenträger (außer Ströbele) bei den Anti-Castor-Demos in Aahaus auftauchen würde, liefe er Gefahr, verprügelt zu werden.
Nun, angesichts der Regierungsbeteiligungen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, zu der die WASG jetzt gleich noch mitverdonnert ist, beginnt der identische Prozeß in der Linkspartei, die sich eben mit der WASG vereinigen will, nur diesmal schneller.
Es wird an keiner Stelle innerhalb der offiziellen Parteitreffen erlaubt, offen zu diskutieren, was dort in der Regierung bereits an mit „links" unvereinbaren Zugeständnissen gemacht wurde und was man dafür wirklich positiv erreichen konnte. Die Protagonisten dieser Regierungsbeteiligungen werden bestenfalls einmal freundlich ermahnt, so wenn Lederer sagte, der Diskussionsprozeß sei bereits gescheitert. Wer dagegen die notwendige Diskussion über Mindestkriterien für eine Regierungsbeteiligung anmahnt, wie die Berliner WASG, wird praktisch zum Austritt gedrängt oder sogar mit Ausschluß bedroht.
Fast wortgetreu identisch die Aussage von Klaus Ernst „man habe nichts zu verlieren als die Zerstrittenheit" mit einer damaligen von Joseph Fischer.
Natürlich kann man in Regierungskoalitionen eintreten oder sogar allein eine Regierung übernehmen, wie es bei der Linkspartei im Osten gar nicht mal unmöglich wäre, wenn sie es sich jetzt nicht gleich mit allen Wählern verdirbt, so wie sie es in Berlin tut (Wer jeden Tag die Nahverkehrspreise in Berlin zahlt, hat eben Schwierigkeiten, nicht „auf die Politik des Senats fixiert" zu sein).
Wenn man zum Beispiel Hartz IV zu Fall bringen kann, das wäre ein Preis, für den es sich lohnte, in die Regierung zu gehen. Oder wenn man dann die gesetzliche 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich durchsetzen könnte, was wirklich viele in Arbeit bringen würde. Oder wenn man einen Mindestlohn von 10 Euro pro Stunde durchsetzen könnte, mit hohen Strafen für Arbeitgeber, die darunter bleiben. Aber all dies könnte sowieso nur durchgesetzt werden, wenn das Volk auf der Straße ist – doch von diesem redet die neue Partei nur mit spitzen Fingern.
Aber wer in Regierungskoalitionen eintritt und dann die Nahverkehrspreise mit hochsetzt, mit für brutale Polizeieinsätze gegen Linke verantwortlich ist, Hartz IV mit umsetzt und mithilft, die Arbeitslosen aus den Wohnungen zu werfen, Ein-Euro-Job-Zwangsarbeit mit hochfährt, für den Verkauf städtischer preiswerter Wohnungen stimmt und schließlich noch seine Stimme für die imperialistische EU-Verfassung abgibt, der führt die Taktik des „eine-Kröte-nach-der-anderen-schlucken-bis-kein-Prinzip-mehr-übrig-ist" durch.
Charakteristisch, daß weder auf dem jüngsten Parteitag der Berliner Linkspartei noch auf dem jüngsten Einigungstreffen zwischen WASG und PDS von auch nur einem dieser Themen die Rede war. Solche Dinge werden ausgespart und stattdessen Nebelschwaden von „Schönsprech" verbreitet.
Die Teile der WASG, die biedere Sozialdemokratie aus der Ecke der Gewerkschaftsführung mit einem soliden Schuß Antikommunismus verbinden, für die Klaus Ernst stellvertretend steht, können natürlich ohne Schwierigkeiten integriert werden. Dagegen wird ausdrücklich betont, daß die Tür der Linkspartei für niemanden offen steht, „der nicht mit am Tisch sitzt".
Das heißt, die Ausgrenzung von DKP und MLPD, die im Wahlkampf noch feige mit Schwierigkeiten wegen der Eile begründet worden war, ist in Wirklichkeit eine heimliche inhaltliche Festlegung auf den Antikommunismus. Auch die Aussage, daß man für Sozialismus „im Rahmen der Demokratie" sei, ist identisch damit. Im Jargon der kapitalistischen Parteien heißt das: Strikt antikommunistisch, mit uns ist Revolution nicht zu machen!
Gleichzeitig werden „Parteilose" willkommen geheißen, d.h. dem trotzkistischen Entrismus ausdrücklich die Tore geöffnet. Na ja, wo Antikommunismus ist, sind Trotzkisten nie weit.
Der Schreiber dieser Zeilen war damals, Anfang der 80er-Jahre, guter Bekannter eines Grünen, der zu jener Zeit fleißig zu den Demonstrationen gegen die damals geplante Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf fuhr. Dort bekam er öfters Polizeiknüppel zu spüren, dabei auch immer hessische Polizei vertreten, also Polizeieinsätze, für die Grüne mit verantwortlich waren. U.a. gab es dabei auch einen Toten.
Damit begann langsam sein Weg von den Grünen weg, denn ein Polizeiknüppel auf dem Kopf ist ein sehr überzeugendes Argument – gegen jene, die verantwortlich sind für die Polizei.
Nun ist es ein WASG-Mitglied, das zu den Bekannten des Schreiberlings gehört und bereits beginnt, „Bauchweh" zu bekommen angesichts der strikten Gleichschaltung der WASG mit dem Berliner Senat und der Mecklenburgischen Regierung. Die Selbstverständlichkeit, daß VOR der Vereinigung eine gemeinsame Diskussion und Entscheidung der beiden Gesamt-Parteien über das Verbleiben der zukünftigen Vereinigten Partei in jenen Regierungen zu erfolgen hat, ist bereits vom Tisch gewischt.
Man tut so, als seien das Entscheidungen der Berliner bzw. Mecklenburger, aber das hat Auswirkungen auf die gesamte zukünftige Partei, deshalb müßte es von allen entschieden werden.
Nun – da kann man das „Bauchweh" verstehen.
Bereits im kommenden März können nach den Landtagswahlen in drei Bundesländern neue Regierungsbeteiligungen (oder jedenfalls eine) anstehen und bisher hat man nicht einmal angefangen über die Inhalte der bereits bestehenden in den beiden Gesamt-Parteien zu diskutieren. Man kann bereits voraussehen, daß dann die Krötenschluckerei in den Wochenrhythmus übergehen könnte. Der Prozeß, der bei den Grünen in etwa 18 Jahre von 1980 bis 1998 dauerte, könnte so von der Linkspartei in wenigen Jahren absolviert werden.
Das ist auch logisch, denn wir haben heute eine andere Situation. Arbeiter und Volk haben begonnen aufzuwachen und die Kämpfe beginnen sich auszuweiten. Mit dem Schröder-Kabinett wurde die erste Regierung schon gestürzt. Auch wenn sich die politische Krise jetzt mit der Übernahme der neuen Regierung zeitweise etwas beruhigt hat, werden doch die verschärften Angriffe, die sich bereits abzeichnen, auch auf einen verschärften Widerstand stoßen. Auf welcher Seite die Linkspartei, einmal vereinigt, stehen wird, auf der Seite derer, die die Polizei gegen diese Kämpfe einsetzen, so wie beim Streik bei Infineon in München, oder auf der Seite derer, gegen die Polizei eingesetzt wird, wird sich zeigen.
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