Die Grünenisierung der Linkspartei schreitet voran

Bonkismus

Von Karl Weiss

Die 'Berliner Umschau' dokumentierte die "Programmatischen Eckpunkte" von Julia Bonk und Gen. unter dem Titel: „Freiheit und Sozialismus - let’s make it real". Dieses Papier von Katja Kipping, Caren Lay und Julia Bonk läßt ahnen, in wie beschleunigten Tempo offensichtlich die Grünenisierung der Linkspartei voranschreitet, wenn dies als Papier der Partei akzeptiert wurde, ohne heftigsten Widerstand auszulösen. Der damalige langsame Entwicklungsprozeß der Grünen von einer Protestpartei zur staatstragenden imperialistischen Partei scheint von der Linkspartei im Schnellzugtempo nachvollzogen werden zu sollen.

Eine Reihe von Stellen dieses Papiers (nennen wir es vereinfachend Bonk-Papier, nach der bekanntesten der drei Verfasserinnen) kamen dem Kommentaristen auffallend bekannt vor. Nach ein wenig Nachdenken stellte sich auch heraus, warum. Der Verfasser war nämlich 1968/1969 selbst eine kurze Zeit lang im ideologischen Wahn des Antiautoritarismus befangen und kennt daher den Duktus.

Tatsächlich ist das Bonk-Papier in wesentlichen Stellen antiautoritär und so die Wiederholung von längst widerlegten Thesen, längst überwunden geglaubten Sektierertum-Anwandlungen und hundertfach in der Praxis belegter Unpraktizierbarkeit.

Ganze Abschnitte scheinen aus der Feder von 68er-Antiautoritären zu stammen. Dazu gehören die Teile gegen den Zwang zur Arbeit und jene, die individuelle Freiheit betonen - im deutlichen Gegensatz zur Freiheit der Gesellschaft. Auch die besonders wirren Aussagen gegen „repressive Normsetzungen", wo man sich nicht mehr um die Unterdrückung durch den Staat sorgt, sondern um die „Unterdrückung von Individuen durch die Gemeinschaft".

Auch die „Einführung von Zwangskollektiven" wird gegeißelt, kurz, die Individualität ist die angebetete Gottheit. Die Individualität, das „selbstbestimmte Leben", „Verfügungsgewalt über das eigene Leben", gegen Kollektivität und „Fremdbestimmung".

Kennzeichnend die Stelle, wo es heißt: „Wir brauchen die gleiche Freiheit wie die Luft zum atmen. Sie ist Sinn unserer Politik." Wobei aus dem Zusammenhang klar hervorgeht, daß mit Freiheit die individuelle Freiheit gemeint ist, nicht die gesellschaftliche, kollektive Freiheit. Wenn das aber „Sinn unserer Politik" ist, also der Zentralpunkt, dann kann man ohne Zögern in die FDP eintreten. Das wird dort genau so unterschrieben.

In einem ganzen Absatz wird über die „Geschichte der Linken" gesprochen. Hat man wirklich die Geschichte der Linken studiert? Warum ist dann nicht aufgefallen, daß immer dann, wenn man die individuellen Freiheiten zum Entscheidenden macht, man in der Falle des Kapitalismus gefangen ist, so wie es alle waren, die den Antiautoritarismus nicht überwunden haben.

Was ist aus denen geworden, die den Antiautoritarismus umsetzen wollten, mit „Transformationsprojekten" (damals nannte man das den ‚Gang durch die Institutionen’), so wie das Bonk-Papier? Ein Teil von ihnen saß nach dem Abflauen der 68er-Bewegung in irgendwelchen Grüppchen, die zusammenfassend als „Spontis" bezeichnet wurden (so wie Joschka Fischer zum Beispiel), ein anderer Teil beim KB Nord usw. Die meisten von ihnen fanden sich nach und nach bei den Grünen ein.

Der kleine Teil, der dort bei den „Fundamentalisten" war, ist längst nicht mehr dort - so mag denn der eine oder andere auch in der Linkspartei oder WASG sein. Die überwiegende Mehrheit aber bildete das, was damals als der „Realo"-Flügel der grünen Partei bezeichnet wurde und heute praktisch die ganze grüne Partei umfaßt.

Wenn man denn also von der Geschichte der Linken lernen will, so ist die erste Lektion: Mit Überbetonung der individuellen Freiheit als „Sinn der Politik" kommt man im Kapitalismus dahin, wo heute die grüne Partei ist: Mitträger von imperialistischen Überfällen auf andere Länder und von Hartz IV.

In diesem Sinne ist das Bonk-Papier als Menetekel an der Wand der Linkspartei aufzufassen, wohin man unweigerlich rutscht, wenn man nicht energisch gegensteuert.

Und das Ganze hat, so wie es auch bei den Grünen war, eine Klassenbasis: das Kleinbürgertum. Dies wird im Bonk-Papier an allen Ecken und Enden deutlich. Besonders klar am Ende, wo es heißt: die „Menschen [haben] ... mehr zu verlieren als nur ihre Fesseln", denn genau das prägt den Kleinbürger; im Gegensatz zum Proletarier hat er etwas (wenn auch wenig) zu verlieren, wenn er sich für den Sozialismus entscheidet (wenn er auch eine Welt zu gewinnen hat, wenn er sich auf die Seite der Arbeiter stellt).

Sei es, daß er ein kleines Geschäft hat, einen Bauernhof, oder - wie heute meistens- Privilegien in seiner Arbeit. Er kann die Arbeit weit weniger fremdbestimmt gestalten als der Arbeiter, ist meist „Kopfarbeiter" und stirbt oft fast vor Furcht, er könnte in so eine fremdbestimmte Situation kommen wie der Arbeiter.

Der Abschnitt, in dem von der „Geschichte der Linken" gesprochen wird, ist besonders aufschlußreich, denn er zeigt nicht nur die mangelnde Aufarbeitung dieser Geschichte, sondern auch die zweite Grundlage des Papiers neben dem Antiautoritarismus, den Antikommunismus - der fast immer als Zwillingsbruder des Antiautoritarismus daherkommt.

Zunächst wird mal eben ganz schnell Marx für überholt erklärt. Nun, das haben immer alle Antikommunisten gesagt, aber jeder, der auch nur versucht hat, einen einzigen Gedanken von Marx zu widerlegen, ist gescheitert. So auch hier wieder, man versucht nicht einmal mehr, Marx zu widerlegen. Man erklärt einfach schnoddrig, die Sache mit dem Hauptwiderspruch sei eine Falle (Marx als Fallensteller, wie lustig).

Die Wirklichkeit besteht nicht ausserhalb unserer Köpfe.
Kurz, es gibt keinen Kapitalismus. Die Wirklichkeit besteht nicht außerhalb unserer Köpfe. Die Ökonomie ist nicht die Grundlage der Gesellschaft, der Hauptwiderspruch zwischen der gesellschaftlichen Produktion und der privaten Aneignung besteht nicht, oder wenn er besteht, dann bestimmt er nicht das ganze Leben in der Gesellschaft. Marx ist eine „ökonomistische Verkürzung".

Oh, meine liebe Julia Bonk, da mußt du noch viele Brötchen essen, bis du es mit Karl Marx aufnehmen kannst (deshalb hast du es auch gar nicht erst mit Argumenten versucht?).

Dann wird der Antikommunismus auf den Punkt gebracht: Kommunismus ist der Hauptfeind der „individuellen Freiheit": „Leider wurde und wird im Namen sozialistischer oder kommunistischer Zielsetzungen die individuelle Freiheit nur zu oft als nachrangig betrachtet."

Der Antikommunismus ist aber auch dringend notwendig, denn sonst müßte man sich ja mit der häßlichen Frage der Revolution auseinandersetzen - und das will man ja gerade vermeiden. Hat man erst einmal den Hauptwiderspruch gekippt, dann gibt es keinen Kapitalismus mehr (denn der war ja gerade durch diesen definiert) - und dann braucht man diesen Kapitalismus ja logischerweise auch nicht mehr zum Teufel jagen- was hat man sich dadurch an Arbeit gespart!

Statt der Revolution Stärkung des (kapitalistischen - oder wie man es auch immer nennt) Staates: „Staat und Politik müssen im Sinne des öffentlichen Interesses handlungsfähig bleiben."

Im Prinzip hätte man sich dann natürlich auch das Wort „Sozialismus" sparen können, denn das gibt es ja nur im Zusammenhang mit der „Hauptwiderspruchsfalle", aber man hat es eben so lieb gewonnen, daß man es immer noch verwendet (und sonst wäre man natürlich auch in der ‚Partei des Demokratischen Sozialismus’ fehl am Platz, nicht wahr?)

So wird dann auch gesagt, wie man zu jener Gesellschaft kommen will, die man anstrebt und verschämt immer noch als „demokratisch sozialistisch" bezeichnet. Nein, dazu braucht man keine Revolution, wo käme man denn da hin? Man braucht einfach nur „Transformationsprojekte"! Wie konnten Marx, Engels, Lenin und alle anderen dies nur nicht erkennen?

Die Monopolkapitalisten haben gar nicht die Macht! Glaubt es doch endlich! Das sieht nur so aus! Man kann denen durch Transformationsprojekte die wirtschaftliche Macht durch die Hintertür rauben! Glaubt ihr nicht? Seht doch!

Wir wollen ... die „Transformationsprojekten hervorheben, die uns zentral erscheinen, die das Potential haben, die Gesellschaft sowie die ökonomischen Machtverhältnisse schrittweise zu verändern..."

Denn aus der ökonomischen Macht wächst ja keine politische Macht, die wird vielmehr durch uns, die Linkspartei, repräsentiert, wenn wir in der Regierung sind - und von dort aus die falsche Gesellschaftsordnung einfach wegreformieren!

Dann kann man ins Schwärmen kommen. Was da alles unter den „Transformationsprojekten" steht, ist einfach sagenhaft. Wenn das alles umgesetzt ist, wird der Kapitalismus zum reinen Paradies (halt, den gibts ja gar nicht, also das ungenannte Ding, das anstelle dessen heute besteht)!

Und da das Großkapital ja nicht die Macht hat, kann es gar nichts dagegen machen, daß wir die Transformationsprojekte nach und nach durchsetzen und so aus der bösen, häßlichen Gesellschaft ein Paradies auf Erden machen!

Wie man denn dies alles durchzusetzen gedenkt? Da muß man zurückgehen und weiter oben nachlesen:"Die Einheit zwischen Protest, Gestaltung und über den Kapitalismus hinausweisender Alternativen ist eine schon im „strategischen Dreieck" beschriebene Notwendigkeit."

Daß da wieder der Begriff „Kapitalismus" auftaucht, der doch soeben zu den Akten gelegt worden war, ist nur ein kleiner Schönheitsfehler. Was da eigentlich gesagt wird, ist: Das Volk da draussen darf protestieren, wir von der Linkspartei zeigen die Alternativen auf und wir gestalten dann in den Regierungen mit, so daß dies auch verwirklicht wird.

Schon haben wir uns die Revolution gespart. Daß die bisherigen Erfahrungen des Volkes mit dem „Gestalten" der Linkspartei in den Regierungen allerdings nicht auf diese Alternativen hinauslief, sondern genau aufs Gegenteil, so wie auch schon beim gleichen Projekt der Grünen in den Jahrzehnten vorher, das blenden wir hier einfach mal aus, denn eine wirkliche Bonkige Theorie braucht sich natürlich nicht an der Praxis messen lassen, sondern wird an der Schönheit der Worte gemessen - und darin sind wir Meister.

Früher nannte man das „fortschrittlich", wie langweilig, wir sprechen jetzt von „emanzipierend" oder besser noch „emanzipatorisch" - ist das nicht schick? Un die „emanzipatorische Linke" ist die NEUE LINKE - da spielt es doch keine Rolle, daß sie sich durch Versatzstücke alter, längst von der Wirklichkeit überrollter Theorieansätze definiert.

Und dann kommt die schönste Stelle: „Eine emanzipatorische Linke darf, wenn sie sich ernst nimmt, nicht nur ihre theoretischen Grundlagen verkünden. Sie muß ihre Grundsätze auch bei der Lösung konkreter Probleme anwenden."

Nein, kann nicht wahr sein - ob die das alleine herausgefunden haben?

Und gleich danach kommt die oben schon zitierte Stelle mit dem „strategischen Dreieck", das ja nun in der Praxis schon bewiesen hat, zum Gegenteil des Erwünschten zu führen. Und was ziehen wir daraus für Konsequenzen - natürlich gar keine! Man kann doch eine Bonkige Theorie nicht umwerfen, nur weil sie nicht funktioniert!


Artikel der 'Berliner Umschau' vom 10. Mai 2006, hier leicht redigiert. Besonders aktuell nun wieder angesichts der aktuellen Entwichlungen in der Linkspartei.

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