Neuer Justizskandal in Deutschland

Landessozialgericht bestätigt Sperrzeit gegen Krankenhausangestellte

Kommentar von Karl Weiss

Die skandalreiche Geschichte bundesrepublikanischer Justiz, belastet durch faschistische Richter und Nichtanklagen und Freisprüche von faschistischen Verbrechern, hat ein neues Skandal-Kapitel erhalten: Das Landessozialgericht Mainz bestätigte das Verhängen einer Sperrzeit („eigenes Verschulden“) gegen eine Angestellte eines katholischen Krankenhauses, die wegen Kirchenaustritt entlassen worden war.

Ein Gang zum Bundessozialgericht zwecks Überprüfung dieser Entscheidung wurde ihr verwehrt. Ein weiterer Fall, in dem die deutsche Unrechtsjustiz in enger Umarmung mit den Religionen Skandalentscheidungen trifft.

Dies ist gleich eine Ansammlung mehrerer Skandale.

1. Skandal:

Krankenhäusern darf nicht gestattet werden, Angestellte zu entlassen, weil sie nicht (mehr) die Meinungen der Trägerorgnisation teilen, in diesem Fall der Caritas. Genausowenig wie es einem industriellen Unternehmen gestattet ist, einen Beschäftigten wegen Gewerkschaftsmitgliedschaft zu entlassen, weil die Gewerkschaft ein „feindliche“ Organisation sei, genausowenig darf die Trägerorganisation eines Krankenhauses die ideologische Übereinstimmung mit denen der Organisation (Kirchenmitgliedschaft) zur Bedingung der Beschäftigung machen.

Dagegen wird argumentiert, wer in „Tendenzbetrieben“ beschäftigt sei, von dem könne verlangt werden, mit der Tendenz übereinzustimmen. Das gilt zum Beispiel für Redakteure (aber nicht Putzfrauen) einer konservativen Zeitung wie auch für die mit Politik beschäftigten Angestellten einer politischen Partei. Ebenfalls wird dies für Kirchenangestellte konstatiert.

Nun ist aber ein Krankenhaus keine Kirche und damit kein Tendenzbetreib – im Gegensatz zu der kirchlichen Organisation selbst. Es gibt keine katholische oder protestantische, atheistische oder jüdische Medizin.

2. Skandal:

Kirchliche Krankenhäuser werden fast ausschliesslich von den Steuerzahlern finanziert und von den Krankenkassenleistungen der Versicherten unterhalten. Sie gehören der Gemeinschaft der Steuerzahler und der Gemeinschaft der Krankenkassen-Kunden – kurz: Dem ganzen Volk. Damit ist unvereinbar, die Kirchenmitgliedschaft zwangsweise zur Beschäftigungsvoraussetzung zu machen.

3. Skandal:

Die Meinungsfreiheit und die Religionsfreiheit sind grundgesetztlich geschützte Güter. Die Religionsfreiheit beinhaltet auch das Recht, sich nicht religiös betätigen zu wollen oder jedenfalls nicht im Rahmen einer offiziellen Religion. Sie stehen eindeutig über dem Interesse einer Religion, in ihren Einrichtungen (auch solchen, die nicht oder nur marginal von ihr finanziert werden) nur Mitglieder beschäftigen zu wollen. Die Entlassung kann daher nicht akzeptiert werden.

4. Skandal:

Im Kern ging es hier ja gar nicht mehr um die Entlassung, sondern um die Annahme der Arbeits“agentur“, eine solche Entlassung sei selbstverschuldet, denn die Angestellte kannte ja die Politik der Caritas. Das aber nimmt faktisch allen die Religionsfreiheit, sobald sie in einer kirchlichen Einrichtung beschäftigt sind, auch wenn diese nicht die eigentliche kirchliche Organisation ist. Das würde also auch für kirchliche Kindergärten, kirchliche Schulen oder Schwesternheime gelten. Die Religionsfreiheit ist aber ein übergeordnetes Gut. Das gilt umso mehr, wenn es sich nicht um die Frage der Einstellung, sondern um eine Entlassung geht.

5. Skandal:

Die staatliche Arbeitsverwaltung darf sich nicht die Interessen einer privaten Organisation zu eigen machen, indem sie deren Ansprüche an die Beschäftigen zum Maßstab nimmt, ob eine Entlassung vom Beschäftigten selbstverschuldet ist (Religion ist Privatsache, Kirchen sind private Organisationen, keine halbstaatlichen).

Sie muss eindeutige Verstösse gegen allgemeingültige Arbeitsbestimmungen zur Grundlage einer solchen Entscheidung machen, nicht vom Arbeitgeber willkürlich festgelegte Regeln – vor allem, wenn eine solche Regel grundgesetzlich garantierte Rechte ausser Kraft setzt. Insofern muss die Arbeitsverwaltung die Rechte der Beschäftigten schützen, selbst dann, wenn man annähme, die Entlassung sei gerechtfertigt.

Ein Betrieb darf z.B. nicht die Verwendung der eigenen Produkte von den Beschäftigten verlangen. So hat z.B. auch die deutsche Justiz konsequent die Regel der Wal-Mart–Organisation für unzulässig erklärt, Angestellte dürften kein Verhältnis miteinander haben. Immerhin – nicht alle gerichtlichen Entscheidungen in der Bundesrepublik sind ein Skandal.

6. Skandal:

Die Nichtzulassung der Beschwerde beim Bundesgericht ist offensichtlich missbräuchlich. Es kann kein Zweifel bestehen, dieser Fall betrifft grundlegende Fragen. In einer sich schnell ändernden Gesellschaft wie der heutigen muss den Bundesgerichten Gelegenheit gegeben werden, in wesentlichen Fragen die frühere Rechtssprechung zu ändern. Während noch vor fünfzig Jahren über 80% der Bundesbürger einer der christlichen Kirchen angehörten, ist es heute eine Mehrheit, die sich zu keiner dieser Religionen mehr zugehörig fühlt. Dem muss auch die Rechtsprechung angepasst werden. Es muss davon ausgegangen werden, diese Nichtzulasung wurde aus eben dem Grund verfügt, weil man sich dieser Entscheidung (aus guten Gründen) nicht sicher war.

Die persönlichen religiösen Ansichten von Richtern dürfen nicht mehr Ausgangspunkt von Entscheidungen sein.


Veröffentlicht am 14. März 2007 in der "Berliner Umschau"

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