Kann Springer Kriege verursachen?
Von Karl Weiss
„Die letzten eventuell noch gültigen Regeln des Mindest-Anstandes werden nun übertreten, nichts ist mehr unmöglich – alles erlaubt!“ Das ist nicht etwa das Lamento eines rückständigen Spiessers, sondern die nüchterne Beschreibung der heutigen Medienszene. Wie die meisten schon gehört haben, hat der Springer–Verlag seine polnischen Hetzblätter gegen die deutschen und sein deutsches Hetzblatt Bild gegen die Polen in Stellung gebracht und versucht, in beiden Ländern nationalistische Gefühle zu wecken und auf einen Krieg gegen das jeweils andere Land zu orientieren. Als Vorwand diente dazu die Fussball-EM und das Eröffnungsspiel Deutschland-Polen, aber der tatsächliche Inhalt war Völkerhetze.
Auch im Krieg gibt es keine Hemmungen mehr: Ambulanzwagen im Libanon, getroffen von einer israelischen Luft-Boden-Rakete im Libanonkrieg 2006
So liess der Springer-Verlag sein polnisches Boulevard-Blatt `Super-Express` ausdrücklich nicht einfach nur über Fussball sprechen, sondern bezog sich auf die Schlacht bei Tannenberg im Jahr 1410 und liess Bezug nehmen und auf die deutsche Niederlage von 1945. Die Zeitung «Dziennik» (Axel Springer Polska) zitierte einen Spieler: «Dieser deutsche Panzer stört mich nicht. Ich werde gern mit ihm zusammenstoßen ... Deutsche, wir werden Euch aufessen»
«Super Express» druckte eine Fotomontage ab, die Polens Nationaltrainer Leo Beenhakker zeigt. Mit grimmigem Gesichtsausdruck hält er die beiden abgeschlagenen Köpfe von Jogi Löw und Michael Ballack in den Händen. Dazu die Überschrift: «Leo bring uns die Köpfe!»
Dann lässt Springer die deutsche Abteilung der Blätter anworten, aus denen Blut läuft, wenn man sie schräg hält: Bild beginnt gegen Polen zu hetzen: „«Das ist widerlich!» mit dem Aufmacher: «EM-Krieg gegen uns! Hetze gegen unsere EM-Mannschaft» und «Die Polen, unser 1. Gegner, führen einen schmutzigen Fußballkrieg!» und «Die Giftpfeile der Polen». Dass „die Polen“ Springer heissen, unterschlägt man natürlich.
Dann lässt man auf der östlichen Seite nachlegen: Springers Blatt ‚Fakt’ stellt die absurde These auf, die deutsche und österreichische Mannschaft hätten durchblicken lassen, sie würden im letzten Gruppenspiel „das richtige Ergebnis“ einstellen können, um Polen draussen zu lassen. Unter dem Titel »Die Deutschen und Österreicher wollen uns verarschen« schreibt sie über eine angebliche Verschwörung: »Skandal! Unser Gegner macht keinen Hehl daraus, dass sie sich auf das Ergebnis ihres Spieles einigen können. Diese Abmachung wäre für uns keine Überraschung.«
Darauf lässt Springer dann wieder die Bild reagieren: „Es wird immer irrer“ heisst die Schlagzeile – und „Polen werfen uns EM-Betrug vor!«, sowie: Die »nächste Attacke« der Polen, »Ungeheuerlich!«
Nun, weder hat es Springer geschaftt, einen Krieg vom Zaum zu brechen, noch waren die Ereignisse um und während des Spiels in Klagenfurt kriegerisch, aber dies war trotzdem eine Premiere: Niemals bisher hatte es ein Medienkonzern gewagt, auf beiden Seiten Kriegshetze zwischen zwei Ländern zu inszenieren – selbst wenn die Besitzverhältnisse von Verlagen einfach festzustellen sind.
Das belegt: Die letzten Hemmungen sind gefallen, das letzte bisschen Schamgefühl wurde abgelegt.
Der Kapitalismus schafft in schnellem Rhythmus neue Probleme: Die Ölpreissteigerungen, der US-Immobilien-Crash, die beginnende Welt-Wirtschaftskrise, die Dollar-Schwäche, die Lebensmittelpreis-Erhöhungen, der sprunghaft gestiegene Armut und Hunger in der Welt, die ständig steigenden Temperaturen der Athmosphäre mit Tendenz zur Klimakatastrophe, das Artensterben, die Versäuerung der Meere, der Goldpreis, der Uranpreis, der steigende Meeresspiegel, die Vernichtung der Regenwálder, Tausende von toten Kindern durch Elend pro Tag und ...und... und...
Er hätte schon abgeschafft werden müssen, er kann kein einziges Problem mehr lösen, aber schafft ständig neue Probleme. Er ist in Zersetzung begriffen, alle moralischen Werte, die zu Beginn des Kapitalismus die Kapitalisten gegenüber den dekadenten Vertretern des Feudalismus so überlegen machte, sie zerfallen zusehends, fast stündlich.
Kannte man damals noch die „Regeln rechtschaffener Kaufleute“, so sind die nun zum Hintertreppenwitz verkommen.
Was , damals durfte man keine Millionen annehmen von der Grossbank, um dafür zu sorgen, dass der Konzern, dem man vorsteht, an den Kandidaten der Bank verkauft wird? Lächerlich!
Was, damals war es nicht angebracht, ein Loft in einer nahen Stadt anzumieten, wie man sich, seinen Managern und natürlich dem Betriebsratsvorzitzenden regelmässig rauschende Feste mit Prostituierten verschafft, einschliesslich aus Brasilien eingeflogenen? Waren die denn blöd?
Was, damals war es verpönt, sich Geschäfte zu sichern, indem man Offizielle des jeweiligen Landes und Manager der Kunden-Konzerne besticht? Meine Güte, wie rückständig!
Wie, damals bezahlte man als Grossverdiener noch Steuern, obwohl es doch die bekannten Steueroasen wie Liechtenstein usw. gibt? Fehlende Kleverness!
Damals musste man Parteispenden noch angeben? Hahahaha! Heute lässt man sie vom Parteisekretär, der später dafür Innenminister wird, in schwarzen Koffern über die Grenze bringen und verwendet sie nur für jene in der Partei, die einen unterstützen. Das dies korrekt ist, bestätigen einem später die Gerichte!
Grosse Telefon-Konzerne hörten damals noch nicht die eigenen Manager und Aufsichtsratsmitglieder ab? Handelsriesen spionierten nicht ihren Angestellten mit Video-Kameras nach? Ja, das waren eben noch Zeiten ohne moderne Technik. Heute kann man alles!
Gab der junge, aufstrebende Kapitalismus der Menschheit noch die hochfliegendsten Hoffnungen, denn er kam zusammen mit der Aufklärung, so sind alle deren Werte heute obsolet.
Abu Ghraib: Schwer verletzter, nackter Gefolterter
Was, damals war Folter verboten? Was für ein Unsinn!
Was, damals durften kleine, arme Länder nicht einfach von den Grossmächten überfallen und zu Protektoraten gemacht werden? Angriffskriege waren verboten? Unverständlich!
Was, damals hatte jeder das Recht auf einen Prozess vor einem unabängigen Richter, mit selbst gewählten Verteidiger und Einblick in die Akten? Zeugen vom Hörensagen waren nicht erlaubt, der Verteidiger musste die Zeugen persönlich befragen können? Man durfte nicht auf unbestimmte Zeit ohne Anklage festgehalten werden? Ohne richterlichen Entscheidung durfte man überhaupt nur kurze Zeit festgehalten werden vom Staat? Welch völlig absurde Regeln!
Wie, wer absichtlich Zivilisten im Krieg tötete (oder Ziviltote biligend in Kauf nahm), wurde als Mörder (oder Totschläger) angeklagt? Wo kämen wir denn da hin, da wäre ja das halbe Militär im Gefängnis!
Ja, zu jener Zeit gab es noch freiheitliche Presseorgane und Zensur war verboten. Heute dagegen gehören fast alle Medien nur wenigen Mogulen, die Zensur durch Einstellung und Entlassung ausüben.
Diese Mogule wissen sehr wohl: Die Zeit des Kapitals ist abgelaufen. Jeder Tag, den der Kapitalismus länger hat, wird er den Erdball stärker mit seinem Verwesungsgestank eindecken.
Er ist in brüllende Dekadenz übergegangen: Die kapitalistische Barbarei.
Nun geht es darum, die Bevölkerung vom Aufstand abzuhalten. Also muss sie mit ständig billigeren Sensationen gefüttert werde, mit Hass gegen alles und jeden erfüllt werden und mit Angst vor allem und jedem, seien es die jungen Ausländer, die Ausländer im allgemeinen, seien es die Dunkelhäutigen, seinen es die Terroristen, die Islamisten oder die Kriminellen. Lasst uns über die Kinderschänder reden, aber nicht die in den Familien! Lasst uns in aufsehenerregenden Grossaktionen Hunderttausende von Konsumenten von Kinderporno verfolgen („Kinder“ sind ja nun bis 18 definiert und wer jünger als 18 aussieht, ist ebenfalls „Kind“).
Und vor allem: Lasst uns Kriege machen. Lasst uns den Hass zwischen Völkern schüren, lasst uns die Massen aufeinander hetzen. Dänen gegen den Islam. USA gegen den Iran. Islamisten gegen den Westen. Iran gegen ... (gegen wen gleich noch?) Und nicht zu vergessen: Polen gegen Deutsche.
Nur so werden wir uns retten können! Die Kriege sind unser Ausweg!
Veröffentlicht am 16. Juni 2008 in der Berliner Umschau
Originalveröffentlichung
Berichtigung zum Artikel
Es muss ein Punkt des Artikels berichtigt werden: Von den drei erwähnten polnischen Blättern sind nur zwei , "Fakt" und "Dziennik" im Besitz des Springer -Verlags, nicht das dritte, "Super Express". Wie aus dem Artikel hervorgeht, ändert das in keinster Weise die Tatsachen und macht deshalb auch die wesentlichen Aussagen des Artikels nicht weniger wahr.
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