Terrorverdacht - Unabhängig von Verdachtsintensität
Von Karl Weiss
Wie schon vorher in Großbritannien, wurde jetzt auch in Frankreich in einem Fall von Anfangsverdacht bzw. vagen Hinweisen schweres Geschütz gegen den (die)Verdächtigen eingesetzt. Man verwendet die Angst vor Terror, um die bewährten Regeln der Kriminal- und Justizarbeit auf den Kopf zu stellen und damit die Terrorhysterie zu schüren. Hat man es einmal geschafft, die Bevölkerung hysterisch in Terrorangst zu bringen, wird sie ohne Widerstand illegale Methoden des Ausschaltens von Dissidenten schlucken, ist die Idee.
Ein junger unbescholtener Mann in Abbeville in der Picardie in Nordfrankreich erhielt von einem Kollegen, den er als „entfernte Arbeitsbekanntschaft“ bezeichnet, eine SMS mit dem Inhalt : „Hast du eine Idee, wie man einen Zug zum Entgleisen bringt?“ Er dachte vermutlich an einen dummen Scherz und nahm sich wohl vor, wenn er den Bekannten bei nächster Gelegenheit trifft, ihm zu sagen, dass der Scherz nicht so gut war.
Doch kurz darauf sah sich der junge Mann von der Polizei festgenommen und abgeführt und ein Staatsanwalt klärte ihn auf, er könne bis zu zehn Tage wegen Terrorverdacht festgehalten werden. Die SMS war vom Mobilfunkunternehmen der Polizei gemeldet worden und die hatte nicht etwa den Absender, sondern den Empfänger zum Ziel ihrer Aktion gemacht. Man warf ihm vor, er hätte eine Nachricht mit einem solchen Inhalt der Polizei melden müssen. Da er dies nicht tat, sei er des Terrorismus verdächtig.
Staatsanwaltschaft und Polizei erklärten auf die Nachfrage, ob zehn Tage Haft für das Nichtmelden eines Dummenjungenstreiches nicht unverhältnismäßig sei, bei Terrorismusverdacht müsse immer gehandelt werden, egal wie wahrscheinlich die Täterschaft sei.
Das gleiche Prinzip hatte man auch schon kurz zuvor angewandt, als die sogenannte Affäre Tarnac zur Festnahme und Untersuchungshaft einer Anzahl von Personen führte, die im Verdacht standen, ebenfalls einen Terroranschlag gegen die Bahn geplant zu haben. Allerdings mussten inzwischen schon alle wieder freigelassen werden, weil sich der Verdacht als unhaltbar erwies. Ebenfalls eine unverhältnismäßige Reaktion auf vage Hinweise.
Im Jahr 2005 war in London sogar ein junger Mann „vorsorglich erschossen“ worden, weil er durch ein paar zufällige Umstände in Terrorverdacht stand. Damals hatten die englische Politik und Polizei genauso argumentiert: Bei Terrorverdacht gebe es keine Verdachtsabstufungen mehr, man müsse immer davon ausgehen, es handele sich um einen gefährlichen Terroristen mit einer umgeschnallten Bombenweste, deshalb sei es richtig gewesen, den jungen Mann zu erschießen. Näheres hier:
http://karlweiss.twoday.net/stories/2676008/ und hier:
http://karlweiss.twoday.net/stories/4407968/
Diese Rechtsauffassung führt automatisch zur Aufhebung aller Rechte von Verdächtigen, wenn man sie nur einfach als Terrorverdächtige bezeichnet. Da diese Einstufung als Terrorverdächtige von irgendeiner Person der „Obrigkeit“ vorgenommen wird und keinerlei Überprüfung unterliegt, ist damit der Willkür Tür und Tor geöffnet.
Ein Staat, der sich demokratisch nennt, muss strenge Unterschiede zwischen den verschiedenen Arten von Verdacht machen, unter denen eine bestimmte Person steht:
- Gibt es etwa nur vage Hinweise, die noch nicht einmal einen Anfangsverdacht begründen, aber eventuell von Bedeutung sein könnten oder
- Gibt es einen Anfangsverdacht, der nur nach weiteren neuen Momenten zu einem Verdacht führen kann oder
- Gibt es deutliche Hinweise, die zwar noch keinen Verdacht begründen, aber verfolgt werden müssen oder
- Gibt es einen Verdacht, der nun auf jeden Fall verfolgt werden muss oder
- Gibt es einen dringenden Tatverdacht, der bei schweren Verbrechen schon zur Untersuchungshaft führt oder
- Gibt es die an Sicherheit grenzende Gewissheit, es handelt sich um den Täter, was zur Anklage gegen ihn führen muss und später zur Verurteilung.
Auch in Deutschland wurde diese gleiche Argumentation bereits vorgebracht. Innenminister Schäuble ist sogar der Meinung, bei Terrorverdacht sei vorbeugendes Erschießen erlaubt und es gäbe keine Unschuldsvermutung mehr bei Terrorverdacht.
Damit würde man wieder in mittelalterliche Zustände zurückfallen, als irgendwelche Gegner des Feudalherren zuerst getötet wurden und erst danach gefragt wurde. Der Fortschritt der modernen Gesellschaft besteht ja gerade darin, dass Willkür durch die Obrigkeit weit möglichst ausgeschlossen werden soll und das Urteil der Obrigkeit durch ein geregeltes, sachliches Verfahren ersetzt werden soll. Fällt die Unschuldsvermutung weg, kann die Obrigkeit wieder wie damals tun und lassen, was sie will.
Nehmen wir einmal einen Fall, wie er tagtäglich in Deutschland vorkommt: Jemand ist ermordet worden, der mit Ihnen geschaftliche Beziehungen hatte und ein Bekannter war. Ihr Name stand in seinem Notizbuch, so taucht also ein Polizist bei Ihnen auf und fragt nach Ihren Beziehungen zu ihm (vage Hinweise, noch kein Anfangsverdacht). Sie erklären, was Sie mit ihm zu tun hatten und damit ist die Sache zunächst erledigt.
Nun erklärt aber ein anderer Zeuge, der Ermordete sei auf Sie sauer gewesen, es habe da wohl Unregelmäßigkeiten gegeben. Erneut werden Sie befragt (Anfangsverdacht). Sie erklären, tatsächlich habe es ein Missverständnis gegeben, eine Lieferung von Ihnen sei nicht korrekt gewesen und er habe nicht gezahlt und sei gemahnt worden, was ihm gar nicht gefiel. Dies sei aber schon über ein habes Jahr her und sei auch längst ausgeräumt.
Nun stellt sich im Laufe der Ermittlungen heraus, der Ermordete hat u.a. mit Rauschgift gehandelt. Nun bekommen Ihre Aussagen eine ganz neue Bedeutung: „Lieferung nicht korrekt“, „sauer auf Sie gewesen“. Diesmal bekommen Sie sogar ein Vorladung, im Polizeirevier zu erscheinen (deutliche Hinweise, aber noch kein Verdacht). Sie machen nicht von ihrem Recht Gebrauch, nicht aussagen zu müssen, denn Sie sind sich keiner Schuld bewusst. Sie erklären, Sie hätten ihm Software-Anwendungen geliefert, keine Drogen und damit sollte die Sache erledigt sein.
Nun kommt allerdings eine Aussage eines anderen Bekannten des Ermordeten, der meint, er habe Sie mit ihm sprechen hören und er habe den Eindruck gehabt, es ginge um Drogenlieferungen. Außerdem sagt ein anderer Zeuge, er sei davon ausgegangen, Sie hätten den Ermordeten mit Drogen beliefert und er habe auch von anderen Personen schon gehört (und nennt eine namentlich), Sie seien ein „Drogenbaron“. Die genannte Person bestätigt, sie habe geglaubt, das träfe auf Sie zu. Nun gibt es einen Verdacht gegen Sie, auch wenn bisher nichts Konkretes bezüglich des Mordes gegen Sie vorliegt.
Sie werden nun vom Staatsanwalt als Beschuldigter vorgeladen. Sie nehmen sich einen Anwalt, aber der scheint Ihnen nicht zu glauben, dass Sie nichts mit Drogen zu tun haben. Er rät Ihnen, jegliche Aussage zu verweigern. Das verärgert Polizei und Staatsanwaltschaft, die Sie nun auf dem „Pieker“ haben.
Eine Zeit später gibt es eine Aussage eines Zeugen, der Sie gesehen hat, als sie mit H.G. gesprochen haben, der nach Ansicht der Polizei der Drogenboss der Stadt ist – was Sie allerdings nicht wussten. Sie sagen weiterhin nicht aus, aber es gibt nun Hausdurchsuchung bei Ihnen und einen Antrag auf Untersuchungshaft. Dieser Antrag wird zwar zunächst abgelehnt, aber dann findet man eine kleine Schachtel mit Heroin in ihrer Wohnung. Sie sind zwar sicher, die war dort nicht, sondern wurde „gelegt“, aber das nützt Ihnen nichts, sie wandern in Untersuchungshaft (dringender Tatverdacht).
Das geht Ihnen nun über die Hutschnur und Sie wechseln den Rechtsanwalt und finden einen, der ihnen glaubt, Sie sind keine Drogendealer. Der rät Ihnen nun, doch einige Aussagen zu machen, da Sie ja ein Alibi haben: Sie waren zu Hause bei ihrer Frau, als der Mord geschah (was aber den Staatsanwalt nicht recht überzeugt). Das zieht allerdings Ihre Frau nun mit in die Sache hinein, denn es wird argumentiert, sie mache Aussagen zu Ihren Gunsten und sei daher wohl Teil des Drogenrings.
Außerdem hat Ihre Frau eine kleine Vorstrafe, eine Geldstrafe wegen Steuerhinterziehung, was nun zusätzlich als Indiz für die Kriminalität genommen wird.
Die Staatsanwaltschaft meint, Sie hat einen Fall gegen Sie und stellt Anklage. Ein Richter nimmt die Anklage an. Sie werden im Verfahren aber freigesprochen des Mordes an dem Bekannten, aber nur aus „Mangel an Beweisen“. Es gibt nur die oben erwähnten Anhaltspunkte, das reicht für eine Verurteilung in einem rechtsstaatlichen Verfahren nicht aus.
Nun nehmen Sie aber einmal an, es gibt vage Anhaltspunkte, Sie seinen ein Terrorist. Zum Beispiel findet sich im Notizbuch eines Terroristen wegen eines dummem Umstands Ihre Telefonnummer. Nun haben Sie also keinerlei Unschuldsvermutung und die vagen Anhaltspunkte gelten bereits als Verdacht. Wenn Sie nun auf ein Gebäude sicheren Schrittes zustreben, in dem sich eine hochgestellte Persönlichkeit befindet (was Sie gar nicht wissen) und eine Aktentasche in der Hand haben, geht man davon aus, Sie wollen einen Mordanschlag begehen und muss Sie leider vorbeugend erschießen.
Der Terrorist ist von der Bundestaatsanwaltschaft nicht als jemand definiert, der Anschläge gegen Unschuldige durchführt oder durchführen will, sondern als jemand, der das Staatssystem beseitigen will, also ein Dissident. Merken Sie, woher der Wind weht?
Veröffentlicht am 12. Mai 2009 in der Berliner Umschau
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