Deutsche Unternehmenskultur

“Shareholder-Value” statt Kultur

Von Karl Weiss

Das letzte “Highlight”zum Thema Deutsche Unternehmenskultur wurde soeben über die Deutsche Telekom bekannt (Meldung des Handelsblatt von Ende letzter Woche): Man hatte Detektive auf Bereichsleiter angesetzt, um deren Privatleben zu erforschen.

Über eine davon bei der kroatischen Tochter wurde berichtet, sie sei „im Bett wie eine Tigerin“. „Insider“ versuchten laut jener Meldung ein solches Vorgehen sogar noch zu rechtfertigen. Das ist deutsche Unternehmenskultur 2009. Demnächst werden sie beginnen, unsere Pubse zu zählen. Weltmeister in Unternehmenskultur ist aber zweifellos die Bahn.

Es ist kein Zufall, dass die Telekom als ehemaliges Staatsunternehmen und die Bahn als Noch-Staatsunternehmen bei der Schnüffelei und Bespitzelung besonders glänzen.

In beiden Fällen handelte es sich um Staatskonzerne mit einer Kultur, die auf Dienst am Kunden abgestellt, aber gleichzeitig für die Beschäftigten mit einem Beamtenstatus oder einem vergleichbar komfortablen Beschäftigungsverhältnis verbunden war.

So war bei beiden eine Modernisierung überfällig. Aber statt sie zu modernisierten und klug durchrationalisierten Dienstleistungskonzernen zu machen, wurden sie auf „Sharholder-Value“ getrimmt. Fast die ganze Umstrukturierung ging auf Kosten der Beschäftigten und der Kunden, während für die neuen (bzw. zukünftigen) Aktionäre Feststimmung aufkam.

Die Bahn ist für einen wesentlichen Teil des Beschäftigungsabbaus in Deutschland in den vergangenen Jahren verantwortlich (mehrere Hunderttausend Arbeitsplätze). Die Verschlechterung ihrer Instandhaltung ist bereits Industrielegende. Gleichzeitig wagte man sich auf gefährliche Gleise mit der Abkehr vom Prinzip, Radsätze grundsätzlich nur aus geschmiedetem Stahl am Stück herzustellen. Das Unglück von Enschede und das gerade noch bei der Ausfahrt aus dem Kölner Hauptbahnhof verhinderte der gleichen Grössenordnung belegen: Um Vorteile für die zukünftigen Aktionäre zu erreichen, wurde sogar das Leben der Kunden riskiert. Besonders nervös macht dabei: Man hat diese Experimente nach der Katastrophe von Enschede nicht eingestellt.

Natürlich gab es innerhalb der Bahn deutliche Widerstände. Ein nicht unwesentlicher Teil nicht nur der Arbeiter und Angestellten, sondern auch der Leute in den Führungsebenen war offensichtlich nicht damit einverstanden, die Bahn zu einem reinen Dienstleitungsbetrieb für Höherverdienende zu machen und das Gross der Bevölkerung auf das Auto zu verweisen und sich ausschliesslich am Wohl der Aktionäre zu orientieren. Was Mehdorn tat, um mit diesem Problem fertig zu werden, beschreibt die „Süddeutsche“ in einem Artikel mit dem Titel "Mehdorns Trümmerhaufen" folgendermassen.

„Als wäre eine Fessel abgefallen, beginnen viele in der Konzernzentrale zu reden; ihre Berichte sind Zeugnisse der Einschüchterung, Belege für ein Klima des Misstrauens. Bahn-Mitarbeiter erzählen von Manipulationen und Mobbing, zu Hunderten wurden ihre Festplatten gefilzt und Kontakte ausgespäht. Abteilungen wie die "Konzernsicherheit" und die "Konzernrevision" schnüffelten um die Wette. Jenseits von Expansion und Börsentraum ging es anscheinend finster zu. (...) Offenbar war es einfach so, dass die Spitze des Konzerns keine Widerrede duldete. Wer fundamentale Leitlinien missachtete, insbesondere die Doktrin eines Groß-Börsengangs der Bahn samt Schienennetz, hatte in Führungspositionen nichts mehr zu suchen. Wer eine andere Meinung vertrat und diese mit anderen teilte, konnte sich der besonderen Aufmerksamkeit seiner Vorgesetzten gewiss sein; vielfach ersetzte Repression die Diskussion.“

Man muss davon ausgehen, dass die „Süddeutsche“ hier noch extrem diplomatisch formuliert, um sich keine Prozesse auf den Hals zu holen. Also stellen Sie sich vor, was da wirklich geschah!

Und das „Shareholder-Value“-Denken und Handeln beschränkt sich ja keineswegs auf Telekom und Bahn. Auch andere deutsche Konzere haben „die Zügel angezogen“. Dort heisst es jetzt: „Order pariert oder krepiert“! „Teamarbeit“, „Partizipative Führung“, dafür hat man nicht einmal mehr ein müdes Lächeln übrig.

Die Doktrin des „Shareholder-Value“ fordert den puren Kapitalismus in Reinkultur, ohne abfedernde Nettigkeiten. Die Besitzer sind die Alleinherrscher (dazu zählt man auch die Vorstandsvorsitzenden) und der Rest sind bestenfalls noch nützliche Idioten. Die Zeiten, in denen die Mitarbeiter angeblich als Humankapital angesehen wurden, sind Vergangenheit – falls es sie denn gegeben hat. Deutlich wird das daran, dass die grossen Unternehmen kaum noch normale Arbeitsverträge abschliessen. Zeitarbeit, Praktikantenplätze, erzwungene Teilzeit und prekäre Unter-Tarif-Plätze sind heute angesagt.

„Shareholder-Value“, oder in anderen Worten Kapitalismus, das bedeutet aber nicht nur für die Beschäftigten einen Status nahe dem von Sklaven, das heisst auch: Die Kunden sind uns schnurzegal.

Die Automobilkonzerne geben da ein gutes Beispiel: Sie geben offen zu, neue Autos nicht mehr auf Herz und Nieren zu prüfen, bevor sie herauskommen. Man wartet auf die Reklamationen und bessert dann nach. Der Schreiber dieser Zeilen ist selbst schon Opfer dieses Vorgehens geworden. Und Vielflieger, Achtung! Auch die beiden verbliebenen Verkehrsflugzeug-Konzerne bedienen sich dieser Kostensenkung.

Für den Kunden besonders deutlich wird aber die völlige Missachtung, die man ihm entgegenbringt, an den Fällen, wenn man eine Reklamation oder Auskunft am Telefon anbringen will. Die „Service-Linien“, z.B. der Betreiber von Handy-Netzen, übertreffen sich darin, den Anrufenden endlos Zahlen eingeben zu lassen, bis er es entweder aufgibt oder schon vergessen hat, was er eigentlich wollte. Kommt man nach riesigen Zahlenkolonnen am Ende wirklich an die Stelle, wo man auf einen Menschen am anderen Ende der Leitung zu hoffen beginnt, wird man mit unakzeptablen Wartezeiten konfrontiert. Hat man auch diese Hürde genommen, so sieht sich der „Überlebende“ mit Angestellten konfrontiert, die offenbar auf prekären Arbeitsplätzen sitzen, von Tuten und Blasen keine Ahnung haben, anscheinend keine richtige Ausbildung genossen haben und falsche Auskünfte geben.

All dies charakterisiert den Kapitalismus als System, so wie er sich uns nun aller Kleider beraubt darbietet. Zeit, die Diktatur des Monopolkapitals zu beenden.


Veröffentlicht am 26. Mai 2009 in der Berliner Umschau
Charlotte Sometimes - 26. Mai, 18:11

bring die nicht noch auf ideen!

"Demnächst werden sie beginnen, unsere Pubse zu zählen. "
- ja, und uns dafür zu besteuern

(ich seh schon merkels schlechtwetter-mundwinkel, wie sie die ökologische notwendigkeit bekannt gibt...)

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