‘…die Bürgerliche Gesellschaft in ihren Grundfesten zerstört...’
Von Karl Weiss
Ein FDP-Abgeordneter erklärt in klaren Worten, die drohende Inflation in wichtigen Industrie-Staaten könne „die Bürgerliche Gesellschaft (also den Kapitalismus) in ihren Grundfesten zerstören“. Im gleichen Interview sagte er auch, das jetzige Geldsystem stehe „nicht kurzfristig“ vor dem Zusammenbruch, will sagen längerfristig schon.
Eigentlich wollte der Betreiber der Website mmnews vom FDP-Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler hauptsächlich etwas zur Griechenlandhilfe hören, die von ihm vehement abgelehnt wird, aber da kamen noch einige andere Aussagen zum Vorschein, die eigentlich kurios sind.
Zunächst erklärt er ganz schlicht, nicht viele seiner Kollegen hätten sich mit dem Geldsystem befasst. Kaum jemand kenne die wirklichen Ursachen der Krise. Über irgendwelche Nachhilfestunden, die er den Kollegen geben wolle, sagt er aber nichts.
Wie muss man sich das vorstellen? Er sitzt da ganz locker auf seinem Abgeordnetensitz im Bundestag, hört seinen Chef Westerwelle und dessen Chefin Merkel Unsinn reden und gluckst still in sich hinein?
Zum Thema Geldsystem befragt, einem Lieblingsthema der mmnews, erklärt er, er glaube nicht an einen kurzfristigen Zusammenbruch. Das beinhaltet ja wohl die Aussage, längerfristig sei ein solcher Zusammenbruch wahrscheinlich. Er weist in diesem Zusammenhang speziell auf das gegenwärtige Schaffen einer neuen Blase hin, die dann wieder korrigiert werden müsse, was beim nächsten Mal noch einschneidender sei als beim ersten Mal, also beim Beginn der Finanzkrise.
Dabei bezieht er sich offenbar darauf, dass die Banken weltweit bereits wieder neue Pakete von angeblich hochwertigen, in Wirklichkeit aber Ramsch-Wertpapieren an Anleger verkaufen, was in nicht allzu langer Zeit wieder auffliegen wird.
Dann kommt die Frage nach einer Währungsreform. Das bezieht sich also auf den Euro, denn eine andere Währung haben wir ja hier nicht. Auch hier kommt eine kurzfristig/längerfristig-Antwort: Kurzfristig werde es wohl kein Notwendigkeit einer Währungsreform geben, aber es müsse unbedingt die Verschuldung kontrolliert werden, sonst werde dies genau die Gefahr sein, also der Zusammenbruch des Euro als Währung, was dann zu einer oder mehreren Ersatzwährung führen würde.
Also, wie sollen wir das verstehen? Auf der Tribüne des Bundestags erklärt die FDP, die Krise sei schon überwunden und wir gehen herrlichen Zeiten entgegen, in denen die Bundesrepublik wieder Exportweltmeister sein wird - und am Pressetisch erklärt man, man wisse sehr wohl, dass alles zusammenbrechen wird, denn die Griechenlandhilfe ist ja nur ein Anfang und die Verschuldung wird immer mehr steigen – also meine Herren, was denn nun?
Dann fragt der Interviewer, ob es denn eigentlich noch eine „Marktwirtschaft“ gäbe und der Abgeordnete erklärt in aller Offenheit:
„Wir haben keine Marktaustrittsmechanismen für den Bankenbereich wie für den staatlichen Bereich. Und das ist ein Dilemma. Der Staat ist durch dieses System erpressbar geworden – nicht nur durch Banken.“
Ja, das muss man sich auf der Zunge vergehen lassen. Lesen Sie das noch einmal ganz langsam durch!
Also das mit Marktaustrittsmechanismen meint, weder die großen Banken dürfen pleite gehen, weil sie das ganze Finanzsystem mit sich reißen würden noch gibt es die Möglichkeit des Staates, seine Währung abzuwerten, wenn das notwendig ist, weil man im Euro zusammengebunden ist.
Und daraus ergibt sich „Erpressbarkeit“. Mit anderen Worten: Wer anschafft sind die Banken und anderen Großkonzerne und wer lediglich ausführen darf, ist der Staat. Das ist perfekt die Lenin’sche Imperialismustheorie vom Anfang des 20. Jahrhundert, die der FDP-Abgeordnete nun im 21. Jahrhundert endlich auch begriffen hat.
Nun, die Herren FDP-Abgeordneten, wie wäre es Sie würden mal im Bundestag eine Rede halten und erklären, die Banken schaffen an und wir führen nur aus?
Doch damit ist die Lehrstunde noch nicht beendet. Hören Sie Originalton FDP-Abgeordneter (hier in indirekter Rede vom Interviewer):
„Eine mögliche Inflation würde die ganze Gesellschaft treffen. Unterm Strich führe das dazu, dass die bürgerliche Gesellschaft in ihren Fundamenten zerstört wird. Wenn die Politik den Weg der „Selbstreinigung“ nicht bereit ist zu gehen, dann wird es problematisch.“
Das ist schon wieder Lenin!
Auch er erklärte uns zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Die bürgerliche Gesellschaft kann ihre Probleme (hier: Inflation) ab einem bestimmten Moment nicht mehr lösen. Dann gibt es nur noch den Absturz in die Barbarei oder das, was der FDP-Mann „Selbstreinigung“ nennt. Lenin nennt das Revolution.
Wer hätte das gedacht? Wir sind schon so weit gekommen, dass uns ein FDP-Abgeordneter Lenin erklären muss.
Vielen Dank, mmnews und Herr Schäffler, für diese Lehrstunde. Wir werden uns das alles ganz genau überlegen müssen, nicht?
Veröffentlicht am 27. April 2010 in der Berliner Umschau
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