Dienstag, 2. September 2008

Hubers und der CSU Kreuzzug gegen die Linke

Fröhliche Urständ des Primitiv-Antikommunismus

Von Karl Weiss

Einen „Kreuzzug” werde er führen gegen die “Linke” mit seiner Partei, so der CSU-Parteichef Huber. Ob er sich klar ist, mit was er seine Kampagne auf der Basis alter antikommunistischer Vorurteile da vergleicht? Nicht einmal die bayerische CSU ist mehr das, was sie einmal war. Ein solcher Lapsus wäre dem Urvater des bayerisch-deutschen Antikommunismus, Franz Josef Strauss, niemals passiert, so reaktionär und korrupt er auch gewesen sein mag. Der hatte nämlich Geschichtskenntnisse.

Der Begriff „Kreuzzug“ ist nämlich schon belegt, denn es gab in der Geschichte mehrere Kreuzzüge, im Mittelalter. Zur Verwendung dieses Begriffes heute kann man in ‚wikipedia‘ unter ‚Kreuzzug‘ lesen: „Der Begriff „Kreuzzug“ beschränkt sich nicht nur auf die historischen Kreuzzüge, sondern wird auch heute noch im übertragenen Sinn verwendet. Seine politische Verwendung ist heute hoch umstritten und wird in Europa zumeist als Entgleisung betrachtet.“

Damals war der Katholizismus (damals noch fast identisch mit dem Christentum als solchen, es hatte erst die Trennung von den Orthodoxen stattgefunden) nicht zufrieden damit, dass Jerusalem in der Hand von Arabern war und dort ein spirituelles Zentrum des Islam aufgemacht worden war.

Also rief man alles zusammen, was gerade Soldaten abstellen konnte, um sich zu einem Kreuzzug (damals nannte man das eine bewaffnete Pilgerfahrt) zu vereinen, in den Nahen Osten zu ziehen und Jerusalem für das Christentum zurückzuerobern. Man brauchte Jahre, um tatsächlich eine Streitmacht zusammenzustellen, die diese Bezeichnung verdiente. Schließlich wurde unter der Obhut und mit dem Segen von Papst Urban II. im Jahr 1095 ein Heer in Bewegung gesetzt, das sich aus Führern und Soldaten verschiedener Länder zusammensetzte. Dies wird heute als DER Kreuzzug oder der erste Kreuzzug bezeichnet.

Tatsächlich konnte man im Jahre 1099 Jerusalem erobern und begann in fürchterlichen Gemetzeln alle Araber abzuschlachten, deren man habhaft werden konnte, so zum Beispiel im Massaker von Maarat an-Numan. Aus diesem Grunde ist der Begriff „Kreuzzug“ in der arabischen Welt gleichbedeutend mit christlichem Völkermord. Insoweit war es charakteristisch, dass auch Präsident Bush diesen Begriff benutzt, um den Afghanistankrieg und den Irakkrieg zu rechtfertigen, auch er, wie Huber, ein Mensch mit nicht sehr fundierten Kenntnissen (um es freundlich auszudrücken). Die Feindschaft praktisch aller Araber war ihm damit sicher.

Für eine kurze historische Epoche setzten sich die Kreuzfahrer in Jerusalem und in vier Kreuzfahrerstaaten in dieser Region fest, genannt Outremer (anderer Name: Syrien). Die Gegenangriffe der arabischen Herrscher wurden mit Hilfe von Nachschub aus Europa (weitere Kreuzzüge) eine Zeit lang zurückgeschlagen.

Die Einrichtung dieser Staaten belegte schon, es war nur ein Vorwand, Jerusalem christlich zu machen. In Wirklichkeit ging es um ganz profane Ziele, die Ausweitung europäischer Imperien, die Verstärkung der Macht des Papstes, das Vorrücken gegen das Byzantinische Reich (so wurde Konstantinopel (Byzanz, heute Istanbul) beim vierten Kreuzzug vollständig zerstört; im Jahre 1054 war die endgültige Trennung zwischen Orthodoxie und Katholizismus verkündet worden, wobei Byzanz die Orthodoxie repräsentierte), die Absicherung der Handelswege in den Orient und allgemein gegen Einfälle von Feinden nach Europa.

1187 war die ganze Pracht zu Ende. Jerusalem wurde von den Arabern unter Saladin zurückerobert, die Christen in der Schlacht vernichtend geschlagen. Wer überlebte, flüchtete sich in Burgen, die noch widerstanden, wie dem Krak des Chevaliers (im heutigen Syrien gelegen) oder kehrte mit eingezogenem Schwanz geschlagen nach Europa zurück.

Syrien: Krak de Chevalier

Danach gab es weitere Kreuzzüge, die jene Entwicklung wieder umkehren wollten, doch sie waren durchweg ohne Erfolg, zum Teil sogar fürchterliche Desaster. Bis 1291 hielten sich einige Burgen (1271 die Übergabe des Krak des Chevaliers) und Festungen der Kreuzritter, doch danach war mit dem Fall der Stadt Akkon endgültig jeder Rest europäischer Macht im Nahen Osten ausgelöscht.

Die Kreuzzüge stellten also in jeder Beziehung negative Symbole dar, sowohl durch die unverschämte Täuschung der Teilnehmer, die mit Glaubensdingen geködert wurden, aber doch nichts als Machtpolitik in die Wirklichkeit umsetzen sollten, aber auch durch die letzendlich völlige Erfolglosigkeit bei riesigem Verlust von Menschenleben sowohl im Adel als auch unter den Soldaten, durch die Massaker und versuchten Genozide in diesem Zusammenhang, durch die Zerstörung der christlichen Stadt Konstantinopel und viele andere negative Erinnerungen.

In diesem Artikel „Am Ende werden wir weg sein“ wurde denn auch schon kommentiert: „Erinnern sich heute die Europäer der Kreuzzüge, so tun sie dies bestimmt nicht mit Stolz, sondern mit Unverständnis. ´Wie konnten unsere Vorfahren so etwas Schwachsinniges tun?´ Die Kreuzzüge sind zu einer kuriosen Fussnote der Geschichte geworden, an die man sich kaum erinnert, und wenn, dann eher mit Spott über die Primitivität der damaligen Anschaungen.“

Wenn Huber und die CSU ihre Kampagne einen Kreuzzug nennen, ob sie sich dann bewusst sind, sie geben ihr den Namen eines der grössten und desaströsesten, ja, eines historischen Fehlschlages der ganzen europäischen Geschichte?

Nun, in gewisser Weise ist dieser Name natürlich wirklich angebracht. Nicht nur, weil die Kampagne zum Fehlschlag werden wird, sondern auch weil man mit völlig überholten Inhalten arbeitet. Man appeliert an antikommunistische Vorbehalte, die bestenfalls noch bei den klassichen CSU-Wählern ziehen – doch die sollten ja nun eigentlich nicht die Zielgruppe sein, oder? Die „Linke“, das sei ein ‚Kader-Geschwader‘ – das ist ein schlagendes Argument, nicht? Kaum je etwas aufrüttelnderes gehört.

Und da kommt dann natürlich auch immer wieder die dumme Frage nach der Zusammenarbeit mit der Ost-CDU, ja sogar deren Einverleibung. Wenn die SED, aus der ein Teil der heutigen „Linken“ hervorging, der Leibhaftige selbst war, dann war die Ost-CDU doch ein Unterteufelchen. Wieso dann die Zusammenarbeit? Ist es nicht gerade die Zusammenarbeit, die man der SPD (schon im voraus) übelnimmt? Also, wie halten es CDU und CSU mit ihrem Ost-Teil?

Zusammenfassend: Danke, Herr Huber, für diese Wortwahl. Das hat es allen erleichert, das richtig zu sehen.


Veröffentlicht am 2. September 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung

Montag, 1. September 2008

US-Angaben über Wachstum extrem unglaubwürdig

Es wird gefälscht, dass es eine Art hat

Von Karl Weiss

Ein Artikel der „Financial Times Deutschland“ (FTD) ironisiert in sarkastischer Weise die Veröffentlichung der US-Regierung, im zweiten Quartal 2008 habe es ein Wachstum des Bruttosozialprodukts (genau: Gross National Product, GNP) von 3,3% gegeben. Der Titel des Artikels spottet über die Anleger: „Sie wollen es immer noch glauben“ und im weiteren wird mit knallharten Zahlen belegt: Die US-Wirtschaft ist bereits in der Krise, das Erfinden von angeblichem Wachstum soll davon nur ablenken.

Housing Slump

Im Einzelnen wird dargelegt: „...die nichtagrarische Beschäftigung im zweiten Quartal [ist] mit einer Jahresrate von 0,6 Prozent gefallen (...) Die Baubeginne haben neuerlich um knapp elf Prozent nachgelassen, und der Autoabsatz ist im Vergleich zum Vorquartal sogar mit einer annualisierten Rate von einem Viertel eingebrochen. Der US-Ölverbrauch ist im ersten Halbjahr so stark gesunken wie seit 26 Jahren nicht mehr.“ Außerdem ist die Industrieproduktion um 3,2 % gesunken in diesem Quartal. Da hilft es auch nicht, dass die Exporte erneut nominal anstiegen (kein Wunder bei den niedrigen Dollarkursen), denn aus alldem kann unmöglich wirtschaftliches Wachstum entstehen.

Der Export stellt ja in den USA nicht einen der ganz großen Wirtschaftsfaktoren dar wie in Deutschland, sondern nur einen relativ geringen.

Auch das Budget-Defizit (Relation Staatseinnahmen/Staatsausgaben) ist ein 'Fake'. Es soll angeblich unter 3% betragen, während die OECD diesen Wert, der die Neuverschuldung des Staates im Jahr darstellt, bereits auf wahrscheinliche 5,5% des BIP (Brutto-Inlands-Produkt) geschätzt hat. Auch daneben kennt die FTD noch eine Anzahl von Wirtschaftsdaten, die lächerlich manipuliert sind, aber wir haben hier weder Zeit noch Muße, uns im Einzelnen die genauen Begründungen anzuhören.

USA: Foreclosure Zwangsversteigerung

Kurzum: Die US-Regierung, die schon einen „geringfügigen Fehler“ machte, als sie den Irak wegen Massenvernichtungswaffen überfiel, die dann gar nicht da waren, manipuliert die Wirtschaftsdaten des Landes, wie es ihr gefällt. Denn all diesen Zahlen, veröffentlicht kurz nach Ende des Zeitraums (in diesem Fall 2. Quartal 2008) sind Schätzungen. Und schätzen kann man, was man will.

Und sie schafft es tatsächlich, so unglaublich dies klingen mag, die Anleger zu täuschen: Sie investieren (zumindest kurzzeitg) erneut in US-Aktien, in US-Dollar-Bonds. Auf sie bezieht sich denn auch die Überschrift: „Sie wollen es immer noch glauben.“

Immobilienkrise USA

Wir kennen das ja auch aus Deutschland, wo man sich Zahlen von 3 Millionen Arbeitslosen aus den Fingern saugt, während weiterhin fast sechs Millionen in Hartz IV stecken.

Sind die Präsidentenwahlen in den USA erst einmal gelaufen, wird der neue Präsident im Januar eingeführt, wird es sich zeigen: Im Falle der Kontinuität wird man weiterhin massiv verfälschen. Wird die Opposition gewählt, wird der neue Präsident am Anfang nicht wissen, wie man die Zahlen zurechtbiegt. Es wird, exakt mit seinem Amtsantritt, einen massiven zahlenmässigen Wirtschaftseinbruch geben. Und dann soll noch irgendeiner sagen, er sei nicht Schuld daran.

Bereits in diesem Artikel wurde vorhergesagt: "... in einem Jahr, in dem ein neuer Präsident gewählt wird. Man darf erwarten: Die statistischen Zahlen werden manipuliert werden, um das offensichtliche Eintreten in die Krise auf nach den Wahlen zu verschieben, ..."

So ist das, wenn alle Hemmungen gefallen sind, wenn niemand mehr Angst hat, entlarvt zu werden, weil alle bürgerlichen Medien (fast immer) gleichgeschaltet sind.

Bush

Wenn alle Scham endgültig zur Seite gelegt ist, wenn nur noch der Zynismus herrscht, das ist der endgültige Beginn der kapitalistischen Barbarei. Das zynische Lügen und Verdrehen im Grossmassstab, das breite Grinsen, während man peinliche Befrager zu solchen Dingen mit Gewalt abführen lässt, das wird mehr und mehr das Markenzeichen der Politik der kapitalistischen Oligarchien und ihrer Politiker.

Lassen wir sie unsere Kraft spüren!


Veröffentlicht am 1. September 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung

Sonntag, 31. August 2008

Brasilien jenseits von Fussball und Samba - Teil 10: Sivam - Big Brother in Amazonien

Teil 10: SIVAM - Big Brother in Amazonien

Von Elmar Getto

Es war bereits das größte Geschäft aller Zeiten genannt worden. Das war es wohl nicht, aber für das Entwicklungsland, das es zahlen mußte, war es Teil des gewaltigen Anstiegs der Staatsverschuldung in den 90er Jahren. Brasilien wurde dazu gebracht, für offiziell etwa 1,4 Milliarden Dollar (wahrscheinlich aber einschliesslich der Peripherie-Systeme und Flugzeuge mehr als 9 Milliarden Dollar) ein System der Überwachung des Amazonasgebietes zu kaufen, das sich jetzt als völlig unbenutzbar für Brasilien herausstellt, aber den USA die völlige Kontrolle über dieses Gebiet Tausende von Kilometern außerhalb der US-Grenzen garantiert.

Brasilien (topographisch)

Das erste Mal, daß man vom Projekt SIVAM (Sistema de vigilância de Amazônia, Amazonienüberwachungssystem) gehört hat, war 1992 auf der Welt-Umwelt-Konferenz RIO 92, in der es als Beweis für die angeblichen ‚ungeheuren Anstrengungen’ der Großmächte zum Umweltschutz vorgeführt wurde. Aus heutiger Sicht kann man es als sicher ansehen, daß es offizielle Stellen der USA waren, die diese Idee in das Treffen einführten, sei es direkt oder indirekt.

Verschiedene Umweltschutzorganisationen priesen das Programm als „richtungsweisend“ (Man sehe sich immer genau an, wer hinter "Umweltschutzorganisationen" steckt, "Greenpeace" zum Beispiel hat sich letzthin mehrfach mit Grosskonzernen ins Bett gelegt, "Rettet den Regenwald" betreibt - bewusst oder unbewusst - das Geschäft der Ölkonzerne).

Es war der konzentrierte Ausdruck der ganzen hoffnungsvollen Situation, die in jenem Jahr herrschte. Der Block der zweiten Supermacht, der Sowjetunion, wie auch sie selbst, waren zusammengebrochen und man glaubte weithin, nun würde eine Zeit des weltweiten Friedens anbrechen - jedenfalls alle, die noch an den Kapitalismus glaubten.

Regenwald

Die Belange des Umweltschutzes und des Kampfes gegen die Drogen würden endlich die ihnen zustehenden Prioritäten bekommen. SIVAM schien auf den ersten Blick der Plan gewordenen Ausdruck dieser Hoffnungen zu sein.

Es geht um das Gebiet des Amazonas-Urwaldes. Zum einen wurde bereits damals hemmungslos und ungebremst abgeholzt und abgebrannt (interessant, nicht wahr, wie lange zurück das alles schon so war und bekannt war). Zum anderen ist das Amazonasgebiet der Hauptumschlagplatz des Kokain-Schmuggels aus Kolumbien und Peru nach den USA und Europa.

SIVAM Slide 7

Ein Überwachungssystem, sei es auf Radar- oder Satellitenbasis, würde dem Einhalt gebieten können. Würde man erst einmal in Echtzeit wissen, wo im Moment gerade gefällt und abgebrannt wird, könnte man das auch unterbinden. Würde man auf den Bildschirmen ablesen können, wo die Kleinflugzeuge landen und mit der Drogenfracht beladen werden, die mit Booten herangeschafft wurden, um dann nach Mittelamerika ausgeflogen zu werden, so würde die entscheidende Basis des Drogenhandels mit Leichtigkeit außer Gefecht gesetzt werden können.

Wer weiß, dass es in Wirklichkeit Kapitalismus und Imperialismus sind, die beides verursachen, nicht mangelnde Technik, war damals schon skeptisch.

So wurde das System damals, 1992, vorgestellt. Es wäre bereits zu jener Zeit möglich gewesen, die richtigen Fragen zu stellen, die dieses System schnell und offensichtlich hätten suspekt werden lassen, aber in der allgemeinen Euphorie wollte wohl niemand Spielverderber sein.

Es wurde behauptet, das System sei offen und jeder, der die technologischen Fähigkeiten hätte, könne einen Kostenvoranschlag einreichen. Später würde die billigste technisch durchführbare Lösung ausgewählt werden. Und es wurde so getan, als würden die Großmächte, allen voran die USA, das System zahlen. In Wirklichkeit – und das hätte einem aufmerksamen Beobachter damals schon auffallen können – wollten sie lediglich Kredite „zu üblichen Bedingungen“ bereitstellen, wer zahlte, sollte Brasilien sein, das heißt der brasilianische Steuerzahler.

SIVAM Slide 2

Als – Jahre später – SIVAM verwirklicht wurde und die Kredite flossen, waren sie wichtiger Teil des Anstiegs der brasilianischen Staatsverschuldung, die sich zwischen 1994 und 2002 verdoppelte, z.T. auch deshalb, weil der Dollar ständig mehr Wert wurde als der brasilianische Real. Heute ist sie völlig jenseits jeglicher Bezahlbarkeit, eine entsetzliche Bürde auf dem Rücken des ganzen brasilianischen Volkes, das Ende jeglicher Hoffnung auf jedwede Besserung für die jungen Brasilianer. Nicht nur wegen der hohen Summe der Gesamtverschuldung (etwa 600 Milliarden Euro), sondern vor allem wegen der hohen Zinsen. Kann sich Deutschland z.B. jederzeit Geld für etwa 3% Zinsen pro Jahr aufnehmen, muß Brasilien 20% zahlen!

Zunächst kam die Verwirklichung von SIVAM nicht voran. Man hätte schon hoffen können, der Plan bliebe in der Schublade wie so viele in Brasilien. Der damalige Präsident Collor wurde wegen Korruption abgesetzt und der Vize-Präsident Franco übernahm das Zepter. Er hatte anderes zu tun als das Amazonasgebiet mit Radarstationen vollzustellen, er mußte mit einer Inflation fertigwerden, die bis auf 40% im Monat stieg. Tatsächlich gelang es 1994 mit dem ‚Plano Real’, die Inflation in den Griff zu bekommen. Die Dankbarkeit der Brasilianer hierfür war ausschlaggebend dafür, daß bei den anschließenden Wahlen der dafür zuständige Minister Cardoso zum Präsidenten gewählt wurde.

Dessen acht Jahre währende Amtszeit wurde zu einer der größten Katastrophen für das Volk in der brasilianischen Geschichte. Nicht nur, daß die Last der öffentlichen Schulden sich verdoppelte, es wurden auch alle vom Internationalen Währungs Fond (IWF) geforderten Auflagen befolgt.

Telecomsivam

Dazu gehörte
  • die Privatisierung einer großen Zahl staatlicher Unternehmen,
  • der (fast) gesamten Elektrizitätzwirtschaft,
  • der größten Minengesellschaft des Landes (und eine der größten der Welt) Compania do Vale do Rio Doce (CVRD) und
  • des gesamten Telekommunikationssektors,
  • der erfolgreichen Flugzeugfirma Embraer,
  • die Vollendung der weitgehenden Privatisierung des Erziehungswesens,
  • die Berechtigung der ausländischen Konzerne, ihre Gewinne ins Ausland zu schaffen, bevor Gewinnsteuer abzuführen war (und sie damit fast völlig von Steuern zu befreien),
  • die gleichzeitige massive Erhöhung der Steuerlast für kleinere brasilianische Unternehmen und die Beschäftigten,
  • die Liberalisierung des Bankenwesens (Präsident Cardoso kam selbst aus einer Bankiersfamilie) mit der Übernahme der Verluste Pleite gegangener Banken,
  • die Öffnung des Kapitalmarktes für die ausländische Spekulation (was weitere gigantische Erhöhungen der Schulden hervorrief),
  • die Öffnung der Privatisierungen für ausländische Investoren (was einigen französischen und spanischen Konzernen zu märchenhaften Gewinnen auf Kosten der brasilianischen Bevölkerung verhalf) und
  • eine vollständige Untätigkeit gegenüber der zum Regelfall werden Korruption.
Es gibt im Gegenteil klare und deutliche Anzeichen, daß die Regierung Cardoso selbst tief im Sumpf der Korruption steckte.

Während dieser 8 Jahre wurden die Löhne und Gehälter der Lehrer und Hochschullehrer nicht erhöht, wodurch sie durch die Inflation mehr als halbiert wurden. Zusätzlich wurden die Leistungsüberprüfungen des öffentlichen Schulsystems abgeschafft. Beide Maßnahmen zusammen haben das öffentliche Schul- und Hochschulsystem Brasiliens, das vor dem Beginn der Militärdiktatur 1964 das Paradepferd der Administration war, (mit wenigen Ausnahmen) zu einem Desaster werden lassen, das heute nicht mehr den geringsten Anforderungen genügt.

Während dieser 8 Jahre stieg die Kriminalitätsrate, speziell im Zusammenhang mit dem Drogengebrauch und –handel, steil an und hat Brasilien zu dem Land mit den höchsten Gewaltraten der Menschheit gemacht. Wesentlich hierfür war, daß die Hintermänner des Drogenhandels, alle selbst Teil der herrschenden Schicht Brasiliens, ohne Ausnahme unbehelligt blieben.

Während dieser 8 Jahre vervielfachte sich die Spanne des Einkommensunterschiedes zwischen Brasiliens Superreichen und der armen Bevölkerung, ohne daß auch nur ein winziger Teil der riesigen Ressourcen des Landes eingesetzt worden wäre, um diese Spanne zu verringern.

Während dieser acht Jahre wurde das System SIVAM gekauft und installiert und das Geld dafür und für die Zinsen und Zinseszinsen aus der brasilianischen Bevölkerung herausgepreßt, während gleichzeitig staatliche Unternehmen zu einem Tausendstel oder einem Millionstel ihres Wertes an private und ausländische Anleger verschleudert wurde (die CVRD z.B. wurde zu einem Preis verhökert, der – 1 Jahr vor der Versteigerung - etwa dem Gewinn EINES MONATS dieser Gesellschaft entsprach).

In den Jahren 1993 und 1994 wurde darüber beraten, welches der angebotenen Systeme man für das SIVAM verwenden würde. Es kann aus heutiger Sicht als sicher gelten, daß von Anfang an nur das vom US-amerikanischen Raytheon-Konzern angebotene in Erwägung gezogen worden war. Wahrscheinlich war das Ganze eine Idee aus der Raytheon-Gruppe, von offiziellen US-amerikanischen Stellen ins Gespräch und die Rio-92-Konferenz gebracht, um dem Rüstungskonzern ein sagenhaftes Geschäft zu verschaffen.

Amazonas

Es wurden Berichte in brasilianischen Zeitungen veröffentlicht, in denen davon die Rede war, wie brasilianische Regierungsbeamte und deren Familien in konzerneigenen Jets des Raytheons-Konzern herumgeflogen wurden. Ebenso sind diverse Einladungen zu üppigen Mahlzeiten berichtet wurden. Das dürfte aber mit Sicherheit nur die Spitze des Eisbergs von dem sein, was an Bestechungsgeldern und –vorteilen geflossen ist. Ein Abgeordneter stellte sogar einmal die Frage, woher eine von ihm vermutete phantastische Zunahme des Reichtums von Präsident Cardoso kam, aber all dies wurde in der Öffentlichkeit nicht weiterverfolgt.

Der auffallendste Hinweis auf Korruption in diesem Zusammenhang kam aus dem Mund eines der selbst hundertfach der Korruption angeklagten Politikers, dem alten Haudegen der brasilianischen Politik, dem getreuen Abbild von Franz Josef Strauss, Antonio Carlos Magalhães, kurz ACM genannt, dem reaktionärsten Politiker seiner Zeit in Brasilien. Er war zu dieser Zeit in Bedrängnis geraten, weil in zwei Parlamenten, dem Bundesparlament und dem Landesparlament seines Heimat-Bundeslandes Bahia Untersuchungsausschüsse eingerichtet worden waren, die Korruptionsvorwürfe gegen ihn und mit ihm verbundenen Politikern prüfen sollten. Offensichtlich hatte er sich in seiner Sorglosigkeit dazu hinreißen lassen, einige seiner Bereicherungsaktionen nicht ausreichend mit „Geheimschutz“ zu versehen.

Brasilien: Soja-Pflanzungen auf Regenwald-Gelände

Im Jahr 1995 trat er nun plötzlich mit Drohungen auf. Er habe Beweise für Korruption im Zusammenhang mit SIVAM und es würde schlimm für die Bundesregierung aussehen, wenn er diese an die Öffentlichkeit brächte. Dies stand damals in vollem Wortlaut in der Zeitung. Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß ACM mit seiner Partei PFL selbst Teil der Koalition war, die die Regierung stützte.

Kurz darauf berichtete die „Folha de São Paulo“, die größte Tageszeitung Brasiliens, daß geheime Verhandlungen stattgefunden hätten und Regierung und ACM sich auf einen Kompromiß geeinigt hätten: Die Regierung würde mit ihren Mehrheiten die beiden Untersuchungsausschüsse „ohne Ergebnis“ beenden und ACM würde seine Beweise nicht an die Öffentlichkeit bringen. Tatsächlich wurden die beiden Untersuchungsausschüsse beendet, ohne daß sie Belastendes gegen ACM gefunden hätten und ACM kam nie wieder auf das Thema „SIVAM“ zurück. Die „Folha“ wurde nie wegen Verleumdung angeklagt.

Es muß also als extrem wahrscheinlich, wenn nicht als bewiesen gelten, daß es wirklich eine solche Vereinbarung gegeben hat. Damit wäre dann auch beweisen, daß die Vergabe von SIVAM an Raytheon wirklich auf Korruption beruhte.

Regenwald-Abholzung Brasilien

Dafür gibt es auch noch andere Hinweise. Das Raytheon-System war nämlich das teuerste der in der Konkurrenz verbliebenen. Sowohl eine russische als auch eine französische Firma hatten ebenfalls Vorschläge für Überwachungssysteme der Amazonasregion eingereicht (Auch die deutsche Dasa, die aber schon in einer frühen Phase wegen eines zu teuren Ansatzes ausschied). Diese beiden Systeme beruhten auf der Überwachung durch moderne Satelliten, eigens für das System in eine geostationäre Umlaufbahn gebracht, während das Raytheon-System im wesentlichen auf 20 großen Radarstationen im Urwald selbst sowie weiteren in 99 Flugzeugen aufbaute und eine Satelliten-Unterstützung nur als Absicherung vorgesehen war. Dazu muß man wissen, daß Raytheon der wichtigste Hersteller von kompletten Radaranlagen auf der Welt ist.

Das US-System kostete – einschließlich der ganzen Computerausrüstung und unter Zuhilfenahme von radar- und kamerabestückten Flugzeugen – fast 1,4 Milliarden Dollar. Die beiden Systeme aus Rußland und Frankreich wurden – einschließlich der Computerausrüstung zur Auswertung und eigener Satelliten - billiger angeboten. Der Site
http://www.american.edu/TED/SIVAM.HTM
ist zu entnehmen, daß das russische Angebot nur ein Drittel des Raytheon-Systems gekostet hätte.

Da mußte schon ein wichtiger Grund gefunden werden, um das teure System zu nehmen. Zunächst gab es nur allgemeine Aussagen, das US-System sei das einzige, das den Anforderungen gerecht würde. Als dann aber einige Abgeordnete nach Frankreich und Rußland gereist waren und in der brasilianischen Öffentlichkeit nach Erklärungen verlangte (von ihnen kam auch die Information, daß die beiden Voranschläge billiger waren), rückte man mit einer Begründung heraus: Sattelitengestützte Systeme könnten nicht durch die Wolken sehen und über dem Regenwald ist es fast ständig bewölkt, da sei nur ein radargestütztes System geeignet. Klang zunächst einleuchtend und das Thema verschwand aus der öffentlichen Diskussion.

Inzwischen weiß man, daß moderne Satelliten-Aufklärung u.a. mit Infrarot-Kameras arbeitet, die sehr wohl durch Wolken sehen kann. Der Grund war also vorgeschoben. Es muß andere Gründe gegeben haben, warum Brasilien zu viel ausgab, um dieses Überwachungssystem zu installieren. Weder die damalige Bundesregierung Brasiliens noch die darauffolgende Lula-Regierung haben hierzu je Auskunft gegeben.

Es muß nach menschlichem Ermessen davon ausgegangen werden, daß ein Teil dieser Millionen auf den Konten sowieso schon reicher Brasilianer gelandet ist.

Aber selbst das ist noch nicht alles. Aus Meldungen der Zeitung „Folha“ aus der damaligen Zeit ging hervor, daß die Kosten des Systems in Wirklichkeit viel höher seien. Es wurde von bis zum 10-fachen gesprochen. Ein Teil der Anlagen und Flugzeuge sei einfach nicht in das „SIVAM“ genannte System einbezogen worden, sondern liefe unter anderem Namen, so daß seine Kosten nicht als Kosten des Systems erscheinen. Auch wegen dieses Artikels wurde die „Folha“ nie verklagt.

Noch mehr: Während ein satellitengestütztes System naturgemäß wenig Unterhaltskosten verursacht, sind die boden- und flugzeuggestützten Radarsysteme ein hoher laufender Kostenfaktor. Die Radarstationen (und der Zugang zu ihnen) müssen ständig gewartet und freigehalten werden, ein großer Teil der 8 Jets 99 Propeller-Flugzeuge muß ständig in der Luft gehalten werden. Die Kosten allein für die Flüge sowie die Wartung der 8 Jets und 99 Propeller-Flugzeuge sind schon horrend.

Im einzelnen werden auf einer Website http://www.militarypower.com.br/frame4-opin8.htm
über das System folgende Komponenten angegeben: 6 Satelliten, 19 fixe Radarstationen, 6 transportable Radarstationen, 3 regionale Überwachungszentren, 200 Umweltüberwachungsstationen, 70 meteorologische Stationen, 300 Radiosender, 940 V-Sat-Empfangsstellen, 5 Jet-Flugzeuge EMB 145, 3 Jet-Flugzeuge EMB 145 SR und 99 Propeller-Flugzeuge ALX.

Fast scheint es so, als hätten wir hier ein Land vor uns, bei dem es auf Kosten nicht so genau ankommt.

Nun, so sagt man sich, selbst wenn es so ist, jetzt gibt es wenigstens ein Überwachungs-System und der Drogenhandel und die Regenwald-Vernichtung werden unterbunden.

Schön wärs!

Am 25. Juli 1997 wurde offiziell der Baubeginn des Systems verkündet. Das System ist inzwischen installiert. Im Jahr 2002 wurde der erste Teil eingeweiht, seit Mitte 2002 ist auch die Zentrale mit der ganzen Computerauswertung in Manaus fertig. Am 18. Oktober 2004 wurde das System als zu 98% in Funktion gemeldet und der erste Test des Gesamtsystems wurde erfolgreich abgeschlossen. Seitdem ist das SIVAM völlig aus den Medien Brasiliens und der Welt verschwunden.

Es gibt da auch noch ein gewisses Detail dieses Plans, das wenig Beachtung gefunden hat, aber eine Erklärung für das völlige Fehlen von Ergebnissen des Systems geben kann: Das System SIVAM steht unter der Überwachung der Regierung der USA. Alle Daten laufen zunächst in einem Raum zusammen, der ausschließlich von den USA genutzt werden kann. Erst danach werden diese Daten an die brasilianischen Auswerter weitergegeben. Sollte die US-Regierung aus irgendwelchen Gründen bestimmte Daten nicht an die Brasilianer (und eine eventuelle Öffentlichkeit) weitergeben wollen, tut sie es nicht.

Harsche Kritik an diesem Konzept kam speziell von einem Fachmann, dem Physiker und emeritierten Professor der Stattlichen Universität von Campinas (UNICAMP), Rogério Cerqueira Leite:
http://www.scielo.br/scielo.php?pid=S0103-40142002000300010&script=sci_arttext&tlng=pt

Er wies besonders darauf hin, daß ein Projekt dieser Größenordnung und von strategischer Bedeutung (es erfaßt etwa 60% des Staatsgebietes von Brasilien) nicht mit einer Technik hätte realisiert werden dürfen, deren Implikation ist, daß eine ausländische Macht das Erst-Zugangsrecht hat. Er berichtet außerdem, daß die Gesamtkosten fast 1,8 Milliarden US-Dollar betragen.

Wie es zu dieser US-Connection kam, wird klar, wenn man noch einmal in die Anfangszeit des Projektes zurückgeht. Die ersten, die das Projekt gefordert haben, waren nämlich die brasilianischen Militärs. Sie stellten fest, daß Brasilien über einen wesentlichen Teils seines Territoriums nur eine begrenzte Souveränität hat. Angesichts der schwierigen Umstände im Amazonasgebiet, der geringen Bevölkerungsdichte, der praktisch nicht vorhandenen Straßenverbindungen und des Zugangs ausschließlich über Schiffe und Fluggeräte, sei mit normalen militärischen Mitteln dieses Gebiet praktisch nicht zu verteidigen. Es sei daher ein Überwachungssystem notwendig.

Im nächsten Gedankenschritt wird dann gesagt, daß, selbst wenn man ein Überwachungssystem hat, ein Land wie Brasilien nicht die Möglichkeit hat, ein solch riesiges Gebiet gegen einen eventuellen Aggressor zu verteidigen. Dazu sei nur eine Großmacht fähig. Und welche Großmacht kommt in Frage? Nur die Vereinigten Staaten von Amerika! Da komme es dann recht, daß „rein zufällig“ eine US-Firma einen Vorschlag für ein Überwachungssystem vorgelegt hat. Die Verwendung dieses System würde dann auch sicherstellen, daß die USA im Ernstfall diesen Teil Brasiliens verteidigen würden.

Nun, jedem aufgeklärten Zeitgenossen stehen bei dieser Argumentation die Haare zu Berge, wenn man nur an den Irak denkt. Auch muß man natürlich in diesem Zusammenhang sehen, daß US-Truppen (und vor allem Söldner) im benachbarten Kolumbien eine Krieg gegen aufständische Guerrillas führen.

Vor allem aber wird mit dieser Argumentation widerlegt, daß eine Ausschreibung unter fairen Bedingungen stattgefunden hat. Die US-Regierung hätte ihren „Verteidigungs-Anteil“ an brasilianischem Gebiet offensichtlich nicht übernommen, wenn nicht das Angebot der US-Firma angenommen worden wäre. Auch damit ist also bewiesen, daß hier eine beachtliche Menge von schmutziger Wäsche herumliegt.

Die brasilianischen Medien, in den Händen derselben Kaste, die aus solchen Aufträgen Nutzen zu ziehen pflegt, zeigt nicht die geringste Lust, zur Aufklärung und zum Waschen dieser Wäsche beizutragen - wen wundert's.

Wer interessiert ist, ein wenig in die Details des technisch sicherlich extrem interessanten Systems einzusteigen, der kann mit der Site (auf Englisch) http://web.mit.edu/12.000/www/m2006/kvh/sivam.html
anfangen, auf der von Raytheon-Leuten das System vorgestellt wird. Wenn man SIVAM (auf Englisch) googelt, kommen noch eine Menge anderer Sites. Wer einen unkritischen Artikel auf Deutsch will, kann ihn unter http://www.brasilienportal.ch/index.cfm?nav=12,3,13,20,380
finden.

Nun, so fragen sich natürlich der Fachmann und der Laie, was hat das Ganze nun gebracht? Ist der Drogenschmuggel über das Amazonasgebiet unterbunden worden? Ist das Abbrennen und Abholzen des Amazonas-Urwalds gestoppt?

Nichts dergleichen!

In den letzten Jahren und Monaten, seit SIVAM voll funktionsfähig ist und es ein leichtes gewesen wäre, die Flugpisten und Flugzeuge mit den Drogen zu orten und aufzubringen, ist in Brasilien nicht ein einziger größerer Drogentransport aufgeflogen – jedenfalls gibt es nichts in den Medien, weder dort noch anderswo. Offensichtlich kann niemand ein Interesse haben, solche Erfolge geheimzuhalten.

Man kann also davon ausgehen, daß wirklich keine Drogentransporte aufgeflogen sind. Wie soll man das verstehen? Man kauft und installiert eines der teuersten Systeme der Welt, um es anschließend nicht zu benutzen? Oder funktioniert es vielleicht gar nicht? Extrem unwahrscheinlich. In dieser Hinsicht dürfte Raytheon zuverlässig sein.

Gibt es in den USA oder Europa Meldungen über extreme Verknappungen und Preisanstiege von Kokain? Nein, auch nicht im Gegenteil, das Angebot von Kokain hat sich in den entwickelten Ländern seitdem erhöht. Der „Export“ über das Amazonasgebiet geht also weiter.

Dann bleibt nur eine Erklärung (falls einer eine logische andere hat, es können jederzeit Kommentare geschrieben werden): Die US-Administration benutzt das SIVAM anscheinend ausschließlich, um seinem CIA das Monopol über den Kokain-Handel zu sichern, nicht um ihn zu unterbinden. Es ist ja seit dem Buch des Aufklärungsjournalisten Garry Webb aktenkundig, daß ein wesentlicher Teil des Kokain-Schmuggels aus Peru und Kolumbien vom CIA unternommen wird. Garry Webb mußte für diese Entdeckungen sterben.

Falls überhaupt entsprechende Meldungen an brasilianische Stellen weitergegeben werden, kann auch hier das Eingreifen „höherer Stellen“ Brasiliens, um ihre eigenen Drogentransporte zu schützen, nicht ausgeschlossen werden.

Und das Abbrennen und Abholzen?
Sind doch nun ständig Flugzeuge mit Infrarot-Detektoren unterwegs, die innerhalb kürzester Zeit jede größere illegale Aktion orten können.

Gerade vor kurzem ging erneut die Meldung durch den Blätterwald, daß die Regenwaldvernichtung im Amazonasgebiet im letzten Jahr alle Rekorde gebrochen hat. Dabei ist interessant, daß diese Zahlen nicht etwa aus einer SIVAM-Auswertung stammen, sondern von einem brasilianischen meteorologischen Institut, das schon seit vielen Jahren mit Wettersatteliten solche Auswertungen vornimmt. Es wurde und wird also offensichtlich innerhalb des SIVAM-Systems von Anfang an verhindert, daß Daten und Informationen über die Regenwaldvernichtung gesammelt und weitergegeben werden.

Das ergibt auch einen Sinn, wenn man weiß, daß es ja vor allem eben jene Mächtigen in Brasilien sind, die Profit aus den Hölzern und dem Soja-Anbau und den Viehweiden auf abgebrannten Regenwaldflächen ziehen. Diese Mächtigen haben natürlich auch das System SIVAM in der Hand (jedenfalls das,was die US-Stellen durchlassen) und können dafür sorgen, daß sie dort nicht gestört werden.

Die Regierung Lula, wenn wir ihr nicht unterstellen wollen, daß sie selbst in solche Aktivitäten verwickelt ist, tut nichts dagegen. Auch das ergibt einen Sinn, denn Lula muß sich ja mit genau diesen Mächtigen Brasiliens gut stellen, will er Gesetze durchbringen und will er vermeiden, daß seine Dekrete von den Parlamentariern niedergestimmt werden.

Das alles ergibt also in perfekter Weise einen Sinn. Das einzige, was keinen Sinn ergibt, ist SIVAM, außer natürlich für die Raytheon und für die Geldgeber, die dicke Zinsen und Zinseszinsen einstreichen. Und natürlich die herrschenden Schichten in Brasilien, die nun noch ungestörter dem Regenwald den Garaus machen können. Nicht zu vergessen der CIA, der jetzt das Kokain-Transport-Monopol hat. Ah, und da ist natürlich noch die US-Regierung, die jetzt die praktische Souveränitat im Amazonasgebiet ausübt, viele tausend Kilometer außerhalb der US-Grenzen.

Alles bezahlt vom brasilianischen Steuerzahler – mit Zins und Zinseszins und Zinseszinseszins und...


Hier stelle ich einen der wichtigsten Artikel der Brasilien-Reihe von Elmar Getto in mein Blog, der ursprünglich am 15. Juni 2005 in der 'Berliner Umschau' (damals Rbi-aktuell) veröffentlicht wurde. Er hat sich bereits mehrfach as extrem notwendig und aktuell erwiesen, vor allem deshalb, weil die gesamte bürgerliche Medienwelt, sei es in den USA, in Brasilien oder in Deutschland, so tut, als gäbe es kein SIVAM. Er ist vom Autor leicht redigiert und aktualisiert.


Hier die Links zu allen Teilen der Reihe „Brasilien jenseits von Fussball und Samba“

- Teil 1: „Wie der Amazonas zu seinem Namen kam“

- Teil 2: ‚Menschenfresser-Country’

- Teil 3: „Ausgerottete Künstler“

- Teil 4: Niemeyer ist 100 – ‚Auf dem Höhepunkt des Schaffens’

- Teil 5: Brasilien und Gold

- Teil 6: Die Landschaften Brasiliens – Der Amazonas-Regenwald

- Teil 7: Brasilien und der Strom

- Teil 8: Die Landschaften Brasiliens – Mata Atlântica

- Teil 9: Santos Dumont und der erste Motorflug

- Teil 10: SIVAM – Big Brother in Amazonien

- Teil 11: Sprit aus nachwachsenden Rohstoffen

- Teil 12: Regenwaldvernichtung und Trockenheit im Amazonasgebiet

- Teil 13: Wie unsere Zukunft in der beginnenden kapitalistischen Barbarei aussähe – „Ich habe kein Leben“

Montag, 25. August 2008

Der erste Hilfsgüterkrieg der Menschheit

Westliche Schiffe zu angeblichen Manövern ins Schwarze Meer beordert / Auch Bundesmarine vor Ort

Von Karl Weiss

Die NATO hat eine beträchtliche Ansammlung von Kriegsschiffen ins Schwarze Meer geschickt, offenbar als Machtprobe gegenüber Russland, zuerst unter dem Vorwand, Hilfsgüter nach Georgien zu bringen, dann als scheinbares „Manöver“. Nur war das Manöver nicht angekündigt!

Fregatte Lübeck

Das muss man der verbrecherischen Kaste der bürgerlichen Politiker wirklich lassen: Im Tarnen und Täuschen, Erfinden von Scheinbegründungen, von Ablenkungsmanövern, von vorgeschobenen oder erfundenen Vorwänden, um die Öffentlichkeit zum Narren zu halten, und manchmal auch im offenen Lügen, sind sie wirklich Weltmeister.

Da gab es Saddams „Massenvernichtungswaffen“, die es dann doch nicht gab, da wurde Afghanistan überfallen, weil man dort angeblich Osama Bin Laden suchen wollte, später wurde die dortige Mission zu einer humanitäre Hilfsleistung umgewidmet, nachdem sich der Bösewicht angeblich nicht finden liess. Nur hat man es bis heute nicht geschafft, uns zu erklären, warum bei ‚humanitären Missionen’ Hunderte oder Tausende von Zivilisten dran glauben müssen.

Serbien wurde in die Steinzeit zurückgebombt, weil man den armen verfolgten Albanern im Kosovo helfen wollte, nicht weil man Milosevic ablösen und einen dem Westen geneigten Politiker an der Macht sehen wollte.

Wirkliche oder von den eigenen Geheimdiensten inszenierte Terroranschläge geben den Vorwand zum Abbau demokratischer Rechte ab, denn man weiss, all den Sozialabbau werden sich die Menschen auf Dauer nicht gefallen lassen.

Nun hat man etwas Neues erfunden, im Grunde ebenso leicht zu durchschauen wie die oben angegebenen Täuschungen: Der Hilfsgüterkrieg.

Der erste Versuch dazu wurde früher in diesem Jahr gestartet, als Burma (Myanmar) von einem verheerenden Taifun heimgesucht worden war. Der „Westen“, sprich die US-Regierung und alle in ihrem Hintern, erklärte, man wolle Hilfsgüter für die armen Burmesen mit Kriegsschiffen in dortigen Häfen anlanden.

Es standen genügend grosse Flughäfen in der Nähe des Katastrophengebietes zur Verfügung und ein Kriegsschiff hat, wie bekannt, keinen Laderaum für Güter. Benachbarte Länder hatten bereits Lastwagenkolonnen in Bewegung gesetzt, um die Hilfsgüter von den Flughäfen ins Katastrophengebiet zu bringen, aber die Angebote wurden vom „Westen“ schnöde zurückgewiesen Es war offensichtlich, man wollte alles andere als Hilfsgüter bringen.

Ob man wirklich eine Landung von Truppen durchgeführt und Myanmar dem Einfluss Chinas entrissen hätte oder ob nur eine massive militärische Muskelprotzerei vorgesehen war im Unterfangen, die Militärjunta dort einzuschüchtern, bleibt dahingestellt. Es kam nicht zu all dem, denn das bluttriefende Militärregime dort untersagte das Einlaufen der Kriegsschiffe in die Hoheitsgewässer.

Nun ist der zweite Versuch eines Hilfgüterkriegs unterwegs. Mehrere Geleitzüge von bis zum Kragen bewaffneten Kriegsschiffen der NATO fahren in diesem Moment ins Schwarze Meer oder kamen schon dort an.

Die „Welt“ schreibt am 23.8.08:

„Eine Prozession westlicher Kriegsschiffe dampft durch den Bosporus ins Schwarze Meer, um Hilfsgüter nach Georgien zu transportieren. Am Donnerstag waren es laut Medienberichten ein spanisches Schiff und die deutsche Fregatte "Lübeck", Freitag folgten zwei US-Schiffe, darunter ein Lenkwaffenzerstörer. Insgesamt sollen sich sieben Kriegsschiffe aus Deutschland, Spanien, Polen und den USA an der Aktion beteiligen. Auch eine Beteiligung Rumäniens, der Ukraine und Bulgariens sei denkbar. Die Transporte sorgen für lebhafte Diskussionen in der Türkei und in Russland. In Russland, weil selbst einige wenige kleinere US-Schiffe angesichts ihrer modernen Bewaffnung als Bedrohung für die russische Schwarzmeerflotte gesehen werden, die vor der georgischen Küste patrouilliert. Außerdem könnten die Luftabwehrwaffen der US-Schiffe einen Teil des georgischen Luftraums abdecken.“

Die indische Zeitung „Indiatimes“ zum gleichen Thema, ebenfalls am 23.8.08:

“A top Russian general accused NATO on Saturday of using humanitarian aid deliveries to Georgia as "cover" for a build-up of naval forces in the Black Sea.

"Under the cover of needing to deliver humanitarian goods, NATO countries continue to boost their naval grouping," Anatoly Nogovitsyn, deputy chief of general staff, told a news conference in Moscow.

"In addition to the Spanish and German frigates that entered the Black Sea basin on August 21, yesterday a Polish frigate and a destroyer of the US navy passed the Bosphorous," he said. "I don't think that this will help stabilise the situation in the region."

NATO says it is holding long-planned exercises, involving US, German, Spanish and Polish vessels, in the Black Sea and that this is not linked to the conflict in Georgia. The exercises, which will include visits in Bulgaria and Romania, began on Thursday and are due to end on September 10.

A US frigate is due to join in the exercises later this week, a NATO spokeswoman said. In addition, the US navy is sending several ships, led by the destroyer USS McFaul, to Georgia with what the Pentagon says are deliveries of humanitarian aid.”

Raketenkreuzer Almirante de Bourbon

“Ein hoher russischer General hat die NATO am Samstag bezichtigt, humanitäre Hilfsgüterlieferungen nach Georgien als Vorwand für den Aufbau von Flottenpräsenz im Schwarzen Meer zu verwenden. Anatoly Nogovitsyn, stellvertretender Kommandierender der „Nachschub-Truppen“, sagte auf einer Pressekonferenz in Moskau: „Unter dem Schutz der Notwendigkeit, humanitäre Hilfsgüter zu liefern, fahren die NATO-Länder fort, ihre Konzentration von Kriegsschiffen im Schwarzen Meer zu vergrößern.

„Zusätzlich zu der deutschen und der spanischen Fregatte [er hält das spanische Kommandoschiff für eine Fregatte, aber es handelt sich um einen extrem modernen Lenkwaffen-Zerstörer mit Stealth-Eigenschaften], die am 21. August in das Schwarze Meer fuhren, haben gestern [22. August] eine polnische Fregatte und ein Zerstörer der US-Marine den Bosporus passiert.“ sagte er, “ich glaube nicht, das wird die Situation in der Region stabilisieren.“

Die Nato erklärt, es fände ein lange vorbereitetes Marine-Manöver im Schwarzen Meer statt, das US-, polnische, deutsche und spanische Schiffe umfasst, und das nichts mit dem Konflikt in Georgien zu tun hat.Das Manöver hätte am Donnertag begonnen, schliesse auch Schiffe Rumäniens und Bulgariens ein und würde am 10 September enden.

Eine US-Fregatte würde die Übungen später in dieser Woche begleiten, sagte eine Sprecherin der Nato zusätzlich. Ausserdem würde die US-Marine eine Anzahl von Schiffen schicken, unter Führung des US-Zerstörers Mc Faul, in Richting auf Georgien, mit humanitären Hilfsgütern.

Soweit die Indiatimes.

U-Boot-Zerstörer Pulaski

Noch am gleichen Tag, dem 23. 8., bringt die Marine-Pressestelle der Bundesmarine eine Pressemitteilung heraus, in der sie abstreitet, die Fregatte Lübeck sei Teil des Geschwaders der Hilfslieferungen. Sie würde vielmehr zu „lange geplanten“ Manövern ins Schwarze Meer geschickt.

Die Frage der langen Planung jener Manöver wird also nun zum Knackpunkt der Glaubwúrdigkeit der NATO. Die Recherchierexperten von world-content-news nun, die Fachleute darin sind, sagen in diesem Artikel (https://worldcontent.twoday.net/stories/5140638/),
die deutsche Fregatte „Lübeck“ habe noch am 4.8.08 folgende Voraussicht für ihre weiteren Einsatz erhalten: "Nächste Woche wird der SNMG 1-Verband ins östliche Mittelmeer verlegen und dort weiter den Seeraum überwachen." [SNMG 1 ist die Nato-Flotte, der die „Lübeck“ zugeteilt ist.] Kein Wort von einem Manöver im Schwarzen Meer.

Auch gibt es internationale Verinbarungen über die Ankündigung von Manövern 3 Wochen vorher, um Manöver von kriegsbereiten Truppenkonzentrierungen unterscheiden zu können. Auf den entsprechenden Web-Sites gibt es keinerlei Ankündigung eines Manövers von Nato-Schiffen im Schwarzen Meer für diese Woche!

Kurz, die Ausrede mit dem Manöver, nachdem die mit den Hilfsgütern nicht mehr zog, ist eine glatte LÜGE der Nato.

Wer an irgendeiner Stelle die Ankündigung des Manövers doch gefunden haben sollte, möge sich hier im Kommentar melden.

Warum sind Konzentrationen von grossen Kriegsschiffen, wie sie im Moment im Schwarzen Meer stattfinden, eine so kriegsmässig interessierende Sache?

Ein typischer Flottenverband, der üblicherweise aus einem Sclachtschiff, einem Flugzeugträger, einer ungenannten Anzahl von U-Booten sowie einer Anzahl von Unterstützungs-Schiffen, wie Fregatten, U-Boot-Zerstörern und Nachschubschiffen besteht, hat eine Feuerkraft, die nur mit ganzen Divisionen von Landtruppen oder Schwadronen von Kampfflugzeugen verglichen werden kann.

Konfliktbeladenes Ex-Imperium

Deshalb werden Manöver, speziell See-Manöver vorher angemeldet und veröffentlicht.

Allerdings haben die USA bzw. deren Verbündete in letzter Zeit bereits mehrfach internationale Vereinbarungen glatt ignoriert. Wer der „Herr der Welt“ ist bzw. dessen Verbündeter, braucht schliesslich auf nichts mehr Rücksicht zu nehmen, oder?

Das begann damit, dass die US-Regierung den Vertrag von Kyoto zur Veringerung des CO2-Ausstosses einfach aufkündigte, den sie selbst mit ausgehandelt und unterschrieben hatte, auch wenn der bei weitem nicht ausreichend war. Seitdem war es nicht möglich, irgendeine Vereinbarung gegen den Klimawandel zu schliessen.

Damit ist in Zukunft die Unterschrift eines US-Präsidenten nicht mehr das Papier wert, auf dem sie steht.

Als nächstes wurde dokumentiert, wie israelische Kampfflugzeuge einen mit einem riesigen roten Kreuz gekennzeichneten Krankentransport-Wagen unter Raketenbeschuss nahmen.

Damit werden sich Krankenwagen-Fahrer in Zukunft zweimal überlegen, ob sie Verletzte in Krisengebieten ins Krankenhaus fahren oder lieber überleben wollen.

Auch US- und verbündte Verletzte würden da zu Opfern solcher Taten.

Das nächste war die faktische Aufkündigung des Atomwaffensperrvertrages. Die Verpflichtung der Atomwaffenstaaten, diese abzurüsten und niemals Nicht-Atomwaffenstaaten mit Atomwaffen anzugreifen oder damit zu drohen, wurde zu den Akten gelegt. Heute ist es offizielle NATO-Strategie, auch Nicht-Atomwaffen-Staaten mit solchen zu drohen und ggf. einzusetzen. Damit kann es sich kein Land, das etwas auf sich hält, mehr leisten, keine Atomwaffen zu haben. Das atomare Wettrüsten der ganzen Welt wurde eingeleitet. Ob das der alleinigen Führerschaft der USA auf der Welt zuträglich ist, sei dahingestellt.

Als nächstes kam der Bruch des Schutzes des Rot-Kreuz-Symbols als nichtbewaffnete Einheit durch den wichtigsten Verbündeten der US-Regierung in Südamerika, Kolumbien. Bei der Befreiungsaktion der Geisel Bettancourt wurde dies Symbol verwendet, obwohl es sich um bewaffnete Truppeneinheiten gehandelt hatte. Damit wird sich auf der ganzen Welt die Praxis verbreiten, auch dann zu schiessen, wenn ein Rotes Kreuz aufgemalt ist, was die Versorgung von Kriegverletzten weitgehend unmöglich machen wird.

Jetzt also auch der Bruch der internationalen Verienbarung über die Ankündigung von Manövern.

Damit erhöht sich die Kriegsgefahr überall auf der Welt, denn jeder Truppenaufmarsch, jedes Zusammenziehen von Kriegsschiffen, jede grössere Bewegung von Kriegs-Flugzeugen wird in Zukunft als Bedrohung und möglichen Kriegvorbereitung gedeutet werden müssen. Was die NATO kann, können die anderen schon lange, oder?

Offenbar war das Spiel mit den Hilfsgütern den Spielern zu heissgeworden. Es wäre extrem einfach gewesen nachzuweisen, de meisten Schiffe des Flottenverbandes, der da ins Schwarze Meer schwappte, waren vorher gar nicht in einem Hafen gewesen, wo sie Hilfsgüter hätten aufnehmen können. So wurde das ganze, das Muskelspiel mit einer beträchtlichen NATO-Flotte im Schwarzen Meer, schnell als Manöver umintepretiert.

Was da im Schwarzen Meer zusammentrifft, ist zwar ohne Flugzeugträger und Schlachtschiff, aber auch so eine beträchliche Bedrohung fúr jeden Anlieger des Meeres, das eigentlich vor solchen Bedrohungen gefeit sein sollte, nach einer internationalen Vereinbarung, wie wir unten noch sehen werden.

Die deusche Fregatte Lübeck ist ein U-Boot-Jäger und hat dazu eine Anzahl Kanonen, Torpedos und zwei Hubschrauber an Bord. Es ist das ideale Schiff im Einsatz gegen andere Schiffe, nicht nur U-Boote – und damit gegen die russische Schwarzmeerflotte.

Das spanische Kommandoschiff der Flotte SNMG1 der Nato, der Raketenkreuzer „Almirante Juan de Bourbon“, ist eines der modernsten Kriegsschiffe Europas, er gilt als U-Boot-Zerstörer, kann aber weit mehr.Vor allem hat er Raketenwerfer und kann mit ihnen „Cruise Missiles“ und andere Raketen abschiessen, die von einer Position in der Nähe der russischen Schwarzmeerküste bis nach Moskau fliegen könnten. Er ist schwer am Radar auszumachen, denn er ist mit Stealth-Technolgie ausgerüstet. Die besteht darin, möglichst wenig glatte Schiffswände dem Radar entgegenstrecken und möglichst viele um 45 Grad geneigte Wände, die Radarstrahlen nur noch zum Teil zurückwerfen, zum grossen Teil aber ablenken. Der Effekt ist, auf dem Bildschirm scheint es sich um ein Fischerboot zu handeln, während da in Wirklichkeit ein todspeiendes Ungehäuer liegt.

Dazu kommt der US-Zerstörer Mc Faul, der ebenfalls „Cruise Missile“ und andere Raketen abschiessen kann, das einzige Schiff, das als Bringer von Hilfsgütern übrig geblieben ist.

Ein anderer Zerstörer dort ist das polnische Schiff „General G. Pulaski“, ein ehemaliges US-Schiff (USS Clark), das man nun unter polnischer Flagge fahren lässt, was die Zahl der US-Schiffe erhöht, ohne unter das US-Kontingent zu fallen.

Noch unter US-Flagge fáhrt dagegen der Lenkwaffen-Zerstörer „USS Taylor“, der ebenfalls zur Flotte gehört, die da eine Drohszenerie aufbauen soll, laut der US-Nachrichtenagentur Associated Press.

Da war noch nicht die Rede von den bulgarischen, den rumänischen und den Schiffen der Ukraine, die ebenfalls dazustossen werden und sowieso schon im Schwarzen Meer sind.

Dann gehört da noch ein weiteres US-Schiff mit dem Namen „Dallas“ zum Flottenaufmarsch, das als Küstenwachschiff bezeichnet wurde. Tatsache ist, dass dort in griechischen Gewässern, gleich vor dem Eingang der Dardanellen, das Atom-U-Boot liegt, das auch den Namen „Dallas“ hat – und damit ist keine Fernsehserie gemeint.

Ein US-Atom-U-Boot im Schwarzen Meer würde allerdings eine extrem ernsthafte Bedrohung Russlands darstellen, denn es könnte von dort aus ohne Vorwarnzeit alle Millionenstädte Russlands mit jeweils einer 20-Megatonnen-Wasserstoffbombe auslöschen.

Da bliebe Russland nur noch die atomare Antwort gegen die USA, was zusammen das Ende der Menschheit bedeuten würde, wie wir sie kennen.

Nun, im Moment kann man wohl davon ausgehen, dass man „nur“ ein gewaltiges Muskelspiel unmittelbar vor der russischen Schwarzmeerküste aufführen will, nach dem Motto: „Russland kusch, sonst wirst du hinweggefegt!“



Ob das den beabsichtigten Zweck erfüllt, darf bezweifelt werden. Wenn es aber darum geht, neue Spannungen zu schüren, um immer neue Krisenherde zu schaffen und mit der steigenden Kriegsgefahr beabsichtigt ist, die Bevölkerung ruhig zu halten, so kommt man den wirklichen Absichten wahrscheinlich näher, denn man rutscht in eine Weltwirtschaftskrise ab.

Dieses Szenario scheint bereits selbst innerhalb der Bundesmarine auf Widerstand oder jedenfalls Bedenken gestossen zu sein. Jedenfalls wurde am Sonntag, den 24.8.08 gemeldet, der Kommandant der Fregatte „Lübeck“ sei (offenbar am Vortag) abgelöst, der neue Kommandant bereits eingeflogen und eingesetzt worden. Und das mitten in einem Übungseinsatz im NATO-Verbund im Schwarzen Meer. Das hat es noch nie gegeben.Es ist aber auch möglich, dass die Zeitung ein bereits zurückliegendes Ereignis wie ein aktuelles verkauft hat.

Nun, der Hilfsgüterkrieg hat wohl bisher erst die Phase der Drohgebärden erreicht, aber alle Kriege fangen so an.



Der nächste internationale Vertrag, der bereits droht, in der Luft zerissen zu werden, ist die Konvention von Montreux aus dem Jahre 1936 . Damals einigte sich die Gemeinschaft der Anliegerstatten des Schwarzen Meeres mit der Türkei, die den Einfahrt ins Schwarze Meer am Bosporus kontrolliert auf eine Höchstzahl von Bruttoregistertonnen, die Kriegsschiffe von Nicht-Anrainern des Schwarzen Meeres dort auffahren dürften. Zu jenem Zeitpunkt war nach Italien und Deutschland auch Spanien faschistisch geworden und man befürchtete, von den Achsenmächten auch über Schiffe im Schwarzen Meer angegriffen zu werden.

Der Vertrag hielt selbst in den schlimmsten Zeiten des 2. Weltkriegs. Sollte es sich aber wirklich um das Atom-U-Boot „Dallas“ handeln, ist er auch schon Schall und Rauch.


Veröffentlicht am 25. August 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung

Sonntag, 24. August 2008

Brasilien jenseits von Fussball und Samba - Teil 9: Santos Dumont und der erste Motorflug

Brasilien jenseits von Fussball und Samba, Teil 9: Santos Dumont und der erste Motorflug

Von Elmar Getto

Es sind nun bald 102 Jahre, dass dem Brasilianer Alberto Santos Dumont in Paris der erste Motorflug gelang, der einwandfrei belegt ist und ohne Hilfsmittel gestartet wurde. Am 23. Oktober 1906 gelang der erste dokumentierte Flug mit der "14 bis", im November folgte mit dem gleichen Modell jener Flug, der den Anforderungen des 'Aero Club de France' entsprach und offiziell als erster Motorflug in die Annalen einging.

Santos Dumont

Brasilianer sind meist sehr empfindlich, wenn ihnen – offen oder implizit - pauschal unterstellt wird, sie seien wenig gebildet, von geringem kulturellen Niveau und/oder niedriger Intelligenz, weil sie aus einem Entwicklungsland kommen. Manche pflegen dann mit dem Argument zu kommen, daß der Erfinder des Flugzeugs, des lenkbaren Luftschiffs und der Armbanduhr, Alberto Santos Dumont, Brasilianer war.

Die Erfindung des Flugzeugs, oder besser gesagt der erste Motorflug, ist eines der höchst kontroversen Themen der internationalen Luftfahrt- und Erfindergeschichte. In den letzten Jahren kam diese Kontroverse aufgrund einer Reihe von Ereignissen erneut an die Oberfläche.

Im Jahr 2000, im letzten Jahr seiner Amtszeit, empfing der US-amerikanische Präsident Clinton eine brasilianische Delegation, an der auch Mitglieder der Familie Santos Dumont beteiligt waren, und bestätigte ihnen, daß die USA offiziell Santos Dumont als den „Vater der Luftfahrt“ anerkennen und nicht mehr auf der These bestehen, die Gebrüder Wright hätten den ersten Motorflug unternommen.

Drei Jahre später dagegen, im Dezember 2003, ließ der jetzige US-Präsident Bush eine Zeremonie in Kitty Hawk, einer kleinen Stadt in North Carolina, ablaufen, die der 100 Jahre des angeblich ersten Motorfluges der Brüder Wright gedenken sollte und hielt dort eine Rede, in der er betonte, die Erfindung der Wrights belege die Überlegenheit des US-amerikanischen Geistes über den anderer Nationen (!!). Die Wiederholung des ersten Fluges mit einer Nachbildung des Flugzeugs der Wrights gelang allerdings nicht. Es hob nicht ab.

Letzthin hat der US-Autor Paul Hoffman, der schon Bücher über andere berühmte Persönlichkeiten, wie Edison, veröffentlicht hat, ein Buch über Santos Dumont geschrieben: „The Wings of Madness – Alberto Santos Dumont and the invention of flight“, Verlag Theia, bei buch.de als ‚hardcover’ erhältlich für € 22,95, bei amazon.de als Taschenbuch für € 14,95. Wer sein Englisch aufpolieren will und über eine faszinierende Persönlichkeit lesen, dem sei es empfohlen. Hoffman bringt in etwa Klarheit, was eigentlich zu jener Zeit als die „Erfindung des Fluges“ angesehen wurde und warum die nationalistischen Ansprüche über ein ganzes Jahrhundert die Aufklärung der Tatsachen verhindert haben.

Zu Ende des 19. Jahrhunderts und Beginn des 20. Jahrhunderts war die Menschheit erfüllt von einer Technologie-Begeisterung. Es schien, als ob durch die Technik alle Menschheitsprobleme beseitigt werden könnten. Nachdem bereits überall Autos über die Straßen holperten, war das nächste anstehende technische Groß-Ereignis der erste Flug. Man hatte noch keine rechte Vorstellung über das Fliegen, sieht man einmal von Jules Verne ab, als ernsthaftes Transportmittel war es eigentlich kaum in Erwägung gezogen worden, schien aber doch ein triumphales Zeugnis des menschlichen Geistes als Überwinder (fast) aller Schranken zu sein.

So setzte im Jahr 1900 in Paris ein reicher Mäzen den „Deutsch-Preis“ aus für denjenigen, der als erster vom nahen 'Champ de Bagatelle' aus in die Lüfte steigen, den Eiffelturm umrunden und heil landen würde. Der Eiffelturm, damals bei weitem das höchste Gebäude der Welt, galt als Wunder der Technik und machte damals Paris zum Anziehungspunkt vieler Jünger des Fortschritts.

Der junge Ingenieur Santos Dumont machte sich auf, diesen Preis zu gewinnen. Er war geboren in Cabangu im Staat Minas Gerais in Brasilien, das sich heute Santos Dumont nennt, am 20. Juli 1873 als Sohn eines brasilianischen Großgrundbesitzers und als Enkel eines französischen Einwanderers.

Was in der Familie nicht fehlte, war Geld. 1891 wird sein Vater gelähmt durch einen Sturz vom Pferd, verkauft seine Besitzungen und geht mit der Familie nach Paris. Er sagt in Erkenntnis des Genies seines Sohnes zu ihm: „Beschäftige dich mit der Mechanik, sie ist die Zukunft.“ So hatte Santos Dumont Mechanik studiert und begann in einer Werkstatt in Paris seine Kenntnisse anzuwenden.

Die Montgolfiers hatten bereits lange vorher gezeigt, daß der Flug „leichter als Luft“ möglich war. Santos Dumont baute Ballons. Er kannte auch die Flüge Otto Lilienthals in Berlin. Es ist eine Besuch in Berlin zum Studium der Unterlagen Lilienthals dokumentiert (auch die Brüder Wright haben alles gesammelt, was man über Lilienthal lesen konnte).

Der Flug „leichter als Luft“ schien aber zunächst schneller zu verwirklichen zu sein. Ein Ballon, wie der der Montgolfiers, war aber nicht steuerbar, er konnte nur mit dem Wind treiben. Um den Eifelturm zu umrunden, mußte man aber ein steuerbares Gefährt haben. So erfand Santos-Dumont das steuerbare Luftschiff. Er gab ihm eine Zigarrenform statt einer runden und für die Steuerung benutzte er ein Steuerruder wie von einem Schiff und einen Luftstrom, den er mit einem Benzinmotor und einem Propeller erzeugte. Scheint heute alles sehr naheliegend, war es damals aber nicht. Allerdings gibt es Erfinder, die bereits vor Santos Dumont die Kombination Benzinmotor-Propeller verwendet haben wollen. Es ist nicht klar, ob Santos Dumont davon wußte oder diese Erfindung parallel gemacht hat.

Im Jahre 1901 hatte Santos Dumont sein sechstes lenkbares Luftschiff fertig und konnte den vorgeschriebenen Flug ausführen. Er gewann den Deutsch-Preis und wurde als Erfinder des Fluges gefeiert. Es ging ein Photo um die Welt, das sein Luftschiff oben am Eifelturm zeigt, während im Vordergrund begeisterte Pariser ihre Hüte auf dem Spazierstock kreisen lassen, um ihn zu feiern. Dieses Photo dürfte damals so ziemlich jeder gesehen haben, der eine Zeitung las. Santos Dumont war berühmt. Paul Hoffman verwendet das Photo als Titelbild seines Buches, hat allerdings Dumonts Luftschiff durch das später von ihm konstruierte Flugzeug ‚Demoiselle’ ersetzt, weil für uns heutige Menschen eben der Inbegriff des Fluges ein Flugzeug und kein Luftschiff ist.

Metallnachbildung 14 bis
Das Bild zeigt eine Nachbildung in Originalgrösse der "14 bis" in Metall, die im Ort Santos Dumont in Brasilien aufgestellt ist.

Nur konnte damals niemand wissen, wie sich die Luftfahrt weiter entwickeln würde. Allerdings war klar, daß es auch noch den Flug „schwerer als Luft“ gab und ein weiteres Ziel sein mußte, einen solchen Flug zustandezubringen, der über die Bergab-Gleitflüge eines Otto Lilienthal hinausginge.

Die höchste Autorität in Flügen war zu jener Zeit der Aero Club de France in Paris. Er setzte einen weiteren Preis aus für den ersten, der einen Flug „schwerer als Luft“ zustandebrächte. Die Bedingungen waren: Es mußte auf dem Gelände des Clubs, dem 'Champs de Bagatelle', stattfinden (um jegliche Zweifel über die genauen wirklichen Umstände des Fluges auszuschließen), das Gerät mußte aus eigener Kraft abheben, eine bestimmte Höhe erreichen, eine vorgesehene Strecke zurücklegen und nach dem Flug sicher landen.

Die Bedingung, daß der Flug auf dem Gelände des Aero Club stattzufinden hatte, sollte auch sicherstellen, daß bei solchen Flugversuchen neutrale und sachkundige Beobachter anwesend waren, die überprüfen konnten, daß keine irgendwie gearteteten Hilfsmittel benutzt wurden und die Regeln eingehalten wurden.

Die relativ umfassenden Regeln wurden aufgestellt, weil es in Frankreich bereits seit Jahren einen Erfinder gab, der angab, er sei bereits mit einem Flugzeug schwerer als Luft geflogen, den französischen Armee-Offizier Clement Ader. Der habe mit einem dampfmaschinen-angetriebenen Propellerflugzeug einen Flug im Jahre 1890 zustande gebracht, der allerdings in weniger als einem Meter Höhe ablief, wie die Zeugen des Fluges berichteten, die aber alle in der französischen Armee waren. Die französischen Armee ließ ihn sein Flugzeug nicht zum Aero Club de France schaffen. Es ist gut möglich, daß in Wirklichkeit Clement Ader den ersten Motorflug durchgeführt hat. Da die Armee aber alles geheim halten wollte, wird dies für die Öffentlichkeit immer ein Rätsel bleiben.

Es war offenkundig, daß ein Flug, der ohne neutrale und sachkundige Zeugen stattfand, nicht als das Ereignis des ersten Fluges anerkannt werden konnte. Genau dieses Argument trifft aber eben auch auf die Gebrüder Wright zu.

Sie waren keineswegs die einzigen, die in den USA am ersten Motorflug arbeiteten. In den Dünen am Südost-Ufer des Michigan-Sees, genannt ‚Indiana Dunes’ tummelten sich eine Anzahl von Erfindern mit Flugversuchen. Warum waren Dünenlandschaften die idealen Orte für Flugversuche – auch die Wright-Brüder hatten ja eine Dünenlandschaft ausgesucht für ihre Experimente, die Meeresdünen in der Nähe von Kitty Hawk?

Dünen bilden sich typischerweise an Stellen mit viel Wind (und Abheben geht leichter mit Gegenwind), in Dünen gibt es die wenigsten Hindernisse, an denen mißglückte Flugversuche enden könnten, sie bieten mit dem Sand eine relativ weiche Unterlage für Bruchlandungen und die Berge der Dünen eignen sich ideal als Abflugpunkt für Gleitflüge, die dem Motorflug vorausgehen mußten.

Santos Dumont hatte genügend Selbstbewußtsein und Kühnheit, nicht in Dünen auszuweichen. Er testete in aller Öffentlichkeit, meist auf dem 'Champ de Bagatelle' und ließ alle auch an den Mißerfolgen teilhaben. Mit einem seiner Luftschiffe stürzte er ab und verlor nur nicht das Leben, weil er sich angebunden hatte und das rasch an Höhe verlierende Luftschiff am Dach eines Hauses im Fauburg St. Germaine hängen blieb (er kannte bereits das Prinzip des Sicherheitsgurtes).

Waren Gleitflüge zum Testen notwendig, hob er mit einem seiner Luftschiffe das Flugzeug vom Boden und ließ es dann los. Hängend an einem Luftschiff macht er auch Schwerpunkt- und Gleichgewichts-Untersuchungen der Fluggeräte (das waren die ersten Flugsimulatoren).

Eine Anzahl derer, die Motor-Flugversuche in den USA machten, berichteten über erfolgreiche Flüge, die lokalen Blätter dort waren in jenen Jahren voll damit, wird auf der Website www.first-to-fly.com berichtet, der Site des Wright-Museums in Dayton, Ohio, wo vehement das „Erstgeburtsrecht“ der Wrights verteidigt wird.

Nur hatten alle diese erfolgreichen Flugversuche eines gemeinsam: Die Zeugen waren nicht neutral und schon gar nicht sachkundig, eventuelle Photos konnten gefälscht sein (und zeigten nicht die Hilfsmittel zum Abheben), die lokalen Zeitungsberichte bewiesen gar nichts und wenn jemand einen Preis aussetzte, und sie aufforderte, ihre Flüge in der Öffentlichkeit zu zeigen, kam niemand. All dies trifft aber eben auch auf die Wright-Brüder zu, wie die genannte Website vergaß zu erwähnen.

Die beiden Brüder Orville und Wilbur Wright, die ursprünglich aus Dayton, Ohio stammten und dort eine Fahrrad-Werkstattt und -Produktion betrieben, arbeiten an Flugexperimenten, die auf den Gleitflügen Lilienthals und anderer basierten, bei Kitty Hawk an der Atlantikküste, wo sie in einem Zelt im Dünengelände kampierten. Im Jahre 1902 konnten sie bereits entsprechende Flüge mit einem Gleiter nachvollziehen.

Dann begannen sie mit dem Einbau eines Benzin-Motors mit Propeller in den Gleiter. Sie starteten von den Dünenhügeln aus oder benutzten eine mit Planken geformte Rutschbahn die Dünen hinab, um dem Flugzeug seine erforderliche Anfangsgeschwindigkeit zu geben. Später konstruierten sie auch ein Katapult für diese Zwecke. Auch wenn starker Gegenwind herrschte, konnten sie kurze Luftsprünge zustande bringen. Einen der so durch äußere Mittel in Gang gebrachten Flüge im Dezember 1903, von dem auch ein Foto gemacht wurde, erklärten sie zum „ersten Flug“. Es konnte nie ganz geklärt werden, welches der Hilfsmittel sie in diesem Fall angewandt hatten, aber sie haben nie verneint, solche Mittel verwendet zu haben.

Damit reduziert sich die Frage, wer als erster einen Motorflug zustande brachte, auf die Fragen, ob man dazu Hilfsmittel zum Abheben zuläßt oder nicht und ob man neutrale und sachkundige Zeugen verlangt oder nicht.

Die ersten Flüge waren sowieso alle nur einige zig oder hundert Meter weit. Eine solche Entfernung hatte auch Lilienthal mit seinem Gleiter zurückgelegt. Waren Hilfsmittel zum Abheben verwendet worden, machte es eigentlich kaum einen Unterschied, ob auf dem „Gleiter“ ein Motor mit Propeller angebracht war oder nicht. Auch mit einem guten Gegenwind konnte man so Gleitflüge vom Typ Lilienthals zustande bringen.

Der Aero Club de France war daher der Meinung, es müsse ein Abheben nur mit „Bordkräften“, also dem Motor an Bord bewerkstelligt werden und viele stimmen heute mit dieser Ansicht überein, denn Gleiter, die auf andere Weise in die Luft gebracht wurden und dann, mehr oder weniger langsam, dem Erdboden zuschweben, hatte es ja längst vorher gegeben. Sogar an Höhe gewinnen kann man ja mit Gleitern, wie uns die Segelflugzeuge zeigen.

Während dieser Zeit hatte Santos Dumont begonnen, seine Popularität zu genießen. Er lebte in einem Luxus-Appartment an den Champs Elysees und hatte vor seinem Fenster das Luftschiff angebunden. Zum Abendessen bestieg er es und flog zum Restaurant Maxim, dem feinsten in Paris zu jener Zeit, um dort mit einigen seiner Bewunderer zu speisen. Er war nach neuester Mode gekleidet und sein großer „Schlapphut“ wurde zum Markenzeichen.

Bezeichnend für seine Popularität war, was die kleine örtliche Zeitung in Kitty Hawk als Überschrift wählte, als sie im Dezember 1903 ihren Lesern das ankündigte, was später als der erste Motorflug bezeichnet wurde. Die Wrights hatten die örtliche Zeitung benachrichtigt, daß ihnen ein Flug gelungen sei. Sie sagte in der Überschrift, die Brüder Wright würden dem „Großen Santos Dumont“ nacheifern. Damals waren die feinen Unterschiede zwischen einem Flug schwerer oder leichter als Luft nicht vielen geläufig und der ‚erste Flug’ hatte ja schon stattgefunden, man hatte ja die Bilder aus Paris gesehen.

Eines der wesentlichen Probleme, das zu jener Zeit den ‚ersten Motorflug’ noch nicht möglich machte, war die zögerliche Entwicklung der Benzin-Motoren und der Propeller. Motoren von der Größe eines heutigen 12-Zylinders brachten damals gerade mal 1 PS zustande und das ergab wenig als Vorschub, da auch die Propeller noch extrem einfach waren. Die Aufgabe der Konstrukteure war fast unlösbar unter diesen Umständen, denn jedes noch so leichte und gut konstruierte Flugzeug braucht eben mindestens 50 bis 60 Km/h als Abhebegeschwindigkeit, wie man heute weiß. Das war aber mit diesen Motoren und Propellern noch nicht zu schaffen.

Dadurch war es logisch, daß man normalerweise Starthilfen brauchte.
Der Wettbewerb ging im Kern also darum, wer ein so leichtes Flugzeug konstruieren konnte (einschließlich Motor) und mit der Flügelform soviel Auftrieb erzeugen konnte, daß es bei unter 50 km/h abhebt. Wenn dies so ist, dann ist natürlich die Frage ausschlaggebend, wie man abhebt. Damit wird die Frage der Hilfsmittel zum Abheben zur Scheidelinie.

Santos Dumont hatte - wenn man so will - einen unfairen Vorteil. Er hatte japanische Seide als teuren, aber extrem leichten und festen Konstruktionsstoff sowohl für seine Ballons und Luftschiffe, aber dann auch für die Bespannung des Holzgestells seiner Flugzeuge entdeckt. Andere Pioniere der Luftfahrt hatten nicht so viel Geld und mußten ihre Versuche mit groben und schweren Stoffen durchführen.

Replik '14 bis'
Dies Bild zeigt eine Replik eines früheren Flugzeuges von Santos Dumont. Hier hatte er noch nicht die Idee entwickelt, ein zweites Flügelpaar in einiger Entfernung vom ersten an einem Rumpf anzubringen. Diese "Nur-Flügel"-Flugzeuge, wie auch das der Brüder Wright von 1903, konnten schon Luftsprünge zustande bringen, aber noch keinen stabilen Flug.

Der erste Motorflug Santos Dumonts vom Oktober 1906, der genau dokumentiert ist, läßt die Berechnung zu, daß er mit 42 (nach anderer Version 46) km/h absolviert wurde. Selbst ein heutiges Ultraleichtflugzeug hebt noch nicht ab bei dieser Geschwindigkeit. Er mußte also etwas schaffen, was auch heutige Konstrukteure vor größte Schwierigkeiten gestellt hätte. Man kann also seine Leistung gar nicht hoch genug einschätzen.

(Dies alles änderte sich nur wenige Jahre später, als die Militärstrategen in der Vorbereitung des 1. Weltkrieges das Flugzeug als Waffe bzw. Waffenträger entdeckt hatten und von allen auf den Krieg zusteuernden Ländern Unsummen in die Entwicklung der Motoren- und Propellertechnik gesteckt wurden. Pünktlich zum Beginn des 1. Weltkrieges 1914 hatten alle Beteiligten bemerkenswerte Flugzeuge fertig.)

Doch wir sind immer noch in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts. Santos Dumont wußte, daß die USA eine aufstrebende Macht waren und zeigte seine Reverenz. Im Jahre 1902 erreichte er mit einem Dampfer die neue Welt, um „das größte lenkbare Luftschiff“ vorzuführen. Die Zollbehörden im Hafen von New York wollten aber einen Einfuhrzoll von 45% des Wertes des Luftschiffs, bevor sie es in das Land ließen. So mußte Santos Dumont auf die Vorführung verzichten.

Er traf aber mit dem damals auch schon berühmten Erfinder T. A. Edison zusammen. Laut P. Hoffman habe Edison gesagt: „Ich habe immer geglaubt, daß der Mensch wird fliegen können, aber Sie waren der einzige, der dies verwirklichen konnte.“ Santos Dumont habe geantwortet: „Wenn Sie sich der Luftfahrt gewidmet hätten, hätten Sie vor mir Erfolg gehabt.“

Edison war beeindruckt von Santos Dumont und bat den Präsidenten „Teddy“ Roosevelt, Santos Dumont zu empfangen. So geschah es. Bei einem Diner mit dem Präsidenten im Beisein der Presse sprach Santos Dumont, der neben seiner Muttersprache Portugiesisch auch fließend Französisch und Englisch sprach, das erste Mal von der Möglichkeit von Passagierflügen und von transatlantischen Flügen, was höchste Aufmerksamkeit erregte. Er benutzte dort auch zum ersten Mal das Wort ‚Flughafen’ (Airport), von wo die großen ‚Luftschiffe’ die Passagiere auf ihre Reisen tragen würden.

Zwei Jahre später, im Jahre 1904, war Weltausstellung in St. Louis, Missouri. Die Veranstalter hatten einen Preis von 100.000 Dollar (das repräsentierte zu jener Zeit weit mehr als heute 1 Million Dollar) ausgesetzt für jemanden, der auf der Ausstellung einen wirklichen Flug zeigen würde. Santos Dumont war bereit, ihnen diesen Gefallen zu tun. Er brauchte dieses Geld nicht, liebte es aber, im Mittelpunkt zu stehen. Inzwischen hatte er ein noch größeres Luftschiff konstruiert und mitgebracht und hatte es auch geschafft, die Zoll-Barriere zu überwinden.

In der Nacht vor seinem großen Flug allerdings wurde die Hülle seines Luftschiffs heimlich von Unbekannten mit Messern zerschnitten und er mußte seine Demonstration ausfallen lassen. Das gleiche war ihm bereits ein Jahr zuvor in London passiert, wo er ebenfalls seine Flüge hatte vorführen wollen. Die Täter wurden in beiden Fällen nie gefaßt. Es gab also auch Neider, eventuell spielte hier auch schon Nationalismus eine Rolle.

Um diese Weltausstellung rankt sich auch eine der wesentlichen Polemiken zwischen Santos Dumont und den Gebrüdern Wright. Der Ruf nach einem Flug auf der Weltausstellung war vor allem an alle jene US-Amerikaner gerichtet gewesen, die bereits über erfolgreiche Flüge berichtet hatten. So hatten nach ihren eigenen späteren Angaben die Gebrüder Wright zu dieser Zeit bereits ein funktionierendes Fluggerät „schwerer als Luft“. Da es den Wright-Brüdern hauptsächlich darauf ankam, Geld mit ihrer Erfindung zu verdienen, wäre es logisch gewesen, in St. Louis aufzutauchen und den Preis abzukassieren. 100.000 Dollar hätten sie aller Geldsorgen ledig werden lassen, der Traum ihres Lebens wäre war geworden und sie wären als die Pioniere des Fluges gefeiert worden.

Es bleibt nur die Vermutung, daß sie befürchten mußten, daß ihr Flug wegen der benutzten Hilfsmittel zum Abheben nicht anerkannt werden würde. Da ihnen keine unbegrenzten Geldmittel zur Verfügung standen, wären sie dann auf den Schulden aus den Transportkosten sitzen geblieben.

Während Santos Dumont die Möglichkeit hatte, keine Patente anzumelden, sondern seine Erfindungen der Menschheit zur Nutzung zu präsentieren, waren die meisten anderen Erfinder jener Epoche (und nicht nur jener Epoche) auf das Geld angewiesen, das sie hofften, damit zu verdienen. So hielten sie, wie auch die Wright-Brüder, ihre Erfindungen so weit wie möglich geheim. Die beiden Wrights meldeten ein Patent an, aber unerklärlicherweise gingen sie nach der Patentanmeldung nicht in die breite Öffentlichkeit, z.B. auf die Weltausstellung in St. Louis, sondern verheimlichten weiterhin, was sie erreicht hatten. Dies allerdings ließ deutliche Zweifel über die genauen Umstände der Flüge aufkommen.

Die Gebrüder Wright gaben an, in den Jahren von 1903 bis 1906 viele Flüge absolviert zu haben. Allerdings gibt es außer Freunden und Bekannten von ihnen keine Zeugen dafür. Auch die Bewohner von Kitty Hawk, von denen einige Flüge gesehen hatten, gaben äußerst unterschiedliche Angaben über deren exakte Umstände.

Einmal in diesem Zeitraum luden die Brüder auch die Presse von außerhalb von Kitty Hawk zu einer Vorführung, aber an diesem Tag hob das Flugzeug nicht ab. Die Photos, die existieren, zeigen nicht, ob und welche Hilfsmittel zum Abheben benutzt wurden. Allerdings gibt es auf der oben genannten Website des Wright-Museums ein Photo, nach den dortigen Angaben von 1904, wo ein Katapult zu sehen ist, das nach Angaben der Site von den Wrights für Flugversuche auf dem ebenen Gelände „Huffmann Prairie“ verwendet wurde. Dies deutet darauf hin, daß sie auch zu diesem Zeitpunkt das Flugzeug nicht ohne Hilfsmittel in die Luft bekamen.

Wie auch immer, Santos Dumont arbeitete am Motorflug in Paris. Bis Oktober 1906 hatte er vierzehn verschiedene Flugzeuge mit Benzinmotor konstruiert und ohne Erfolg getestet. Er versuchte nun mit einer leicht geänderten Version des vierzehnten erneut zu fliegen, die er ‚14 bis’ (14 einhalb) getauft hatte. Tatsächlich konnte er am 23. Oktober 1906 einen kurzen Flug absolvieren vor den staunenden Augen der Fachleute des Aero Club de France und Journalisten aus verschiedenen Ländern.

Dies gilt heute als der erste registrierte Motorflug.


Erster Flug Santos Dumont 14 bis
Dies ist eine Photographie des damaligen ersten Flugs vom 23. Oktober 1906 von Santos Dumont, aufrecht stehend in dem '14 bis'. Es zeigt nicht nur den Flug, sondern auch die Menschenmenge auf dem 'Champs de Bagatelle' und die Reporter.

Im darauffolgenden Monat, dem November 1906, konnte er mit dem gleichen Flugzeug und vor einer noch größeren jubelnden Menge auch eine längere Strecke fliegen und so die Bedingungen des Preises des Aero Club de France erfüllen. So wie den ersten Preis für sein Luftschiff, hat er auch dies Preisgeld unter seinen Mechanikern verteilt.

Die Kunde ging um die Welt, daß Santos Dumont nun auch der Pionier bei den Flügen schwerer als Luft war. Dies rief aber bei weitem nicht so viel Aufsehen wie sein erster Luftschiff-Flug hervor, denn man wußte zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht, daß die Zukunft den Flugzeugen und nicht den Luftschiffen gehören würde. Vor dem Gelände des Aero Club de France wurde ein Gedenkstein aufgestellt, der bis heute zu sehen ist und den ersten registrierten Motorflug ‚schwerer als Luft’ durch Santos Dumont feiert, das war in diesem Fall der vom November 1906.

Die Gebrüder Wright hatten bei den Flugzeugen, mit denen sie bis zu diesem Zeitpunkt geflogen waren, im wesentlichen ein reines Flügel-(Doppeldecker-)Flugzeug verwendet. Lediglich sehr kleine Stabilisierungsflächen wurden vor und hinter dem doppelten Flügel angebracht. Dadurch war der Flug extrem instabil.

Eine wichtige Neuerung Santos Dumonts war nun, neben dem verstärkten sebstgebauten Motor und der verbesserten Propellerform, dem Flugzeug einen Längskörper zu geben. Am Ende (oder Anfang) dieses Längskörpers war ein weiteres, kleines (Doppeldecker-) Flügelpaar, so wie wir es heute (als Einfachdecker) von allen Flugzeugen kennen. Dies war das erste Mal, dass jemand mit zwei Flügelpaaren in einigem Abstand arbeitete.

Die so erreichte Stabilität war für seinen ersten Flug gar nicht so ausschlaggebend, denn der ging sowieso nur geradeaus, beeinflußte aber entscheidend die Schnelligkeit der weiteren Entwicklung der Flugzeuge. Im Fall des ‚14 bis’ war das kleinere Flügelpaar vorne, nicht hinten, wie wir es heute gewohnt sind, aber das änderte sich schon bei seinem nächsten Flugzeug im darauffolgenden Jahr.

Santos Dumont legte die Konstruktionszeichnungen des ‚14 bis’ offen und stellte sie allen Interessierten zur Verfügung, im Gegensatz zu allen anderen, die vorher Motorflüge versucht hatten. Dies war grundlegend für die nun einsetzende schnelle Entwicklung im Flugzeugbau. Es ist unbekannt, ob die Brüder Wright eine solche Konstruktionszeichnung zu sehen bekommen haben, ist aber wahrscheinlich.

Tatsache ist, das nächste Flugzeug der Brüder hatte das stabilisierende Flügelpaar viel weiter entfernt vom Hauptflügelpaar als die vorherigen Ausgaben. Damit gewann das sowieso schon hervorragende Projekt der Wrights die notwendige Stabilität und sie konnten beginnen, Kurven zu fliegen und ein Höhensteuer einzusetzen.

Im Jahre 1908, zwei Jahre nach Santos Dumonts Erstflug (dieser arbeitete schon an seinem übernächsten Flugzeug), erschienen die Brüder Wright in Paris und führten ihr neues Flugzeug vor. Dieser Flug ist als vierter Motorflug überhaupt registriert worden. Jetzt hatten sie einen stärkeren Motor (sie hatten ihn in Frankreich gekauft), konnten ohne Katapult und Gegenwind abheben und konnten auch bereits Kurven und auf- und abwärts fliegen.

Zu diesem Zeitpunkt war ihr Flugzeug das fortgeschrittendste. Diese Tatsache, so meint jedenfalls die Site des Wright-Museums, belege, daß ihnen der Vorrang gebühre, unabhängig davon, ob sie wirklich den ersten Flug mit Motorkraft und ausreichend Zeugen durchgeführt hätten. Zunächst war dieses Flugzeug allerdings für die Weiterentwicklung der Flugzeuge nicht so ausschlaggebend, denn die Wrights legten ihre Konstruktionspläne nicht offen.

Wie selbst die Site des Wright-Museums zugibt, haben die Gebrüder Wright zeitlebens nie behauptet, den ersten Motorflug durchgeführt zu haben. Was sie wollten, war eine Erfindung zu machen, die sich verkaufen ließ, an eine große Firma oder am besten gleich an das US-Militär, so daß sie von Geldsorgen frei wurden. Dieses Ziel haben sie erreicht, wenn auch mit Verspätung. Im Jahr 1909 zeigte das US-Militär erstmals Interesse und im weiteren Verlauf konnten sie ihre Erfindung an den US-Staat verkaufen und bekamen wahrscheinlich einen guten Batzen Geld dafür. Über den Umweg über die ersten Flugzeuge der US-Luftwaffe kamen so die Detailideen der Wrights auch generell in den Flugzeugbau.

Ein Jahr nach dem Auftreten der Wrights in Paris kam Santos Dumont mit dem ersten Flugzeug heraus, das den heutigen Menschen an das erinnert, was er auf den Flughäfen der Welt ständig zu sehen bekommt, der ‚Demoiselle’.

Er hatte das Doppeldeckerkonzept verlassen, denn nun war sein selbst konstruierter Motor stark genug, eine hohe Geschwindigkeit zu erzeugen (77 km/h, schon kurz danach überboten, aber zu diesem Zeitpunkt sensationell schnell). Damit war der zusätzliche Auftrieb des zweiten Flügels (der aber eben auch zusätzlichen Luftwiderstand brachte) nicht mehr nötig. Die Demoiselle war ein Eindecker mit einem Rumpf und am Ende zwei kleineren Flügeln und einem senkrechten Leitwerk, das Kurven-Fliegen erleichterte (das hatte die '14 bis' noch nicht gehabt).

Zwar war die ‚Demoiselle’ ein kleines Flugzeug, heute würde man es als „Ultra-Leicht-Flugzeug“ einstufen, aber sie war erneut ihrer Zeit voraus. Heute könnte die ‚Demoiselle’ in jedem Wettbewerb von Ultra-Leicht-Flugzeugen mithalten. Wiederum legte Santos Dumont die Konstruktionspläne offen und half damit ungewollt den Militärs der großen Mächte auf die Sprünge, die nun Flugzeuge konstruieren wollten.

In den darauffolgenden Jahren, speziell als die USA in den Ersten Weltkrieg eingetreten waren und als der Welt stärkste Macht aus ihm hervorgingen, arbeiteten US-Nationalisten an einer Legende der Wright-Brüder und schafften es, bis zum Ende der Zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts die These, die Wrights hätten den Motorflug erfunden, zur Standardformel in vielen Ländern, so auch hier in Deuschland, zu machen. Wenn man die Site des Wright-Museums richtig versteht, haben sich die Brüder Orville und Wilbur Wright an dieser Legendenbildung nicht beteiligt. Daran sollten sich alle Nationalisten ein Beispiel nehmen.

Auf der anderen Seite gibt es auch nationalistische Bestrebungen in bestimmten brasilianischen Kreisen, die u.a. versuchen, die Verdienste der Gebrüder Wright zu schmälern. Auch dies hilft der Sache bestimmt nicht weiter. Santos Dumont selbst war nie brasilianischer Nationalist. Er verstand sich als Weltbürger. Wahrscheinlich hätten sowohl die Brüder als auch Santos Dumont nur gelacht, wenn sie gehört hätten, daß jemand, auf ihrer Erfindung basierend, die Überlegenheit des Geistes einer Nation konstatiert hätte.

Auch in Deutschland kennen wir solche nationalistischen Anwandlungen. Die Luftschiffe werden hier ‚Zeppeline’ genannt, so als ob Graf Zeppelin sie erfunden hätte. Er hat sie aber verbessert.

Santos Dumont war am Ende seines Lebens 1932 verbittert, denn er fühlte sich um den einzigen Lohn gebracht, den er für sich beanspruchte, den Ruhm, der erste gewesen zu sein. Er verstand nicht, warum die Behauptungen einiger US-amerikanischer Blätter überall in der Welt nachgebetet wurden, während der Gedenkstein, auf dem sein Name eingraviert war, keine Rolle mehr spielen sollte.

Einige haben seinen Selbstmord damit in Zusammenhang gebracht, aber der hatte wahrscheinlich mehr mit seiner Krankheit zu tun. Multiple Sklerose- Patienten beginnen öfters den Willen zum Leben zu verlieren.

Sowohl die Wrights als auch Santos Dumont haben wesentlichste Pionier-Beiträge zum Motorflug geleistet und ragen damit unter allen heraus, die Motorflug-Versuche unternommen haben. Bezüglich des Erstflug-Rechts sollte man sich darauf einigen können, daß die Wrights die ersten bedeutenden Motorflüge mit Hilfsmitteln zum Abheben absolviert haben, während Santos Dumont der erste registrierte und ohne Hilfsmittel gestartete Flug zugeschrieben werden muß.

Santos Dumont darf ohne Übertreibung einer der großen Männer des Zwanzigsten Jahrhunderts genannt werden. Wer der ganzen Komplexität seines Genies nähertreten will, dem sei, wenn er einmal nach Brasilien kommt, der Besuch im Haus von Santos Dumont in Petropolis empfohlen, nicht weit von Rio de Janeiro entfernt. Die Konstruktion dieses Hauses sollte beweisen, daß ein Mensch auf einer kleinen Fläche komfortabel leben kann. Jetzt hatte er aber schon schwer mit einer rätselhaften Krankheit zu kämpfen, wahrscheinlich war es Multiple Sklerose.

Santos Dumont ist kein reiner Mechaniker. Er beschäftigt sich mit vielen Problemen der Menschheit. Er ist ein Visionär. So erfindet er unter anderem auch die Armbanduhr. Er baute nicht die Uhr zusammen, sondern kam auf die Idee, eine Uhr mit einem Band versehen zu lassen und am linken Handgelenk zu befestigen. Keinen geringeren als Cartier, einen Bekannten aus Paris, läßt er diese Uhr fertigen.

Nach ihm ist als einzigem Brasilianer ein „Meer“ auf dem Mond benannt, ein Krater von 8 km Durchmesser am Abhang der „Apenninen“, nahe der Stelle, wo „Apollo 15“ landete.

Brasilien (topographisch)

1932 engagiert er sich noch, bereits sehr krank, in der Sezessionsbewegung, die der Staat São Paulo gegen die brasilianischen Union führte. Er bittet seine Landsleute aus Minas Gerais, sich der Sezession anzuschliessen, hat aber keinen Erfolg.

Der brasilianische Diktator Getulio Vargas bekämpft die Sezession mit harter Hand. Es werden Flugzeuge zur Bombardierung eingesetzt. Als einige dieser Flugzeuge über ihn in Guarujá an der Küste São Paulos hinwegfliegen und er kurz danach die explodierenden Bomben im benachbarten Hafen von Santos hört, sagt er: „Meine Erfindung hat der Menschheit nur Unheil gebracht.“ Noch am gleichen Abend erhängt er sich.

Dieser Artikel erschien zum ersten Mal in den Zeilen von "Rbi-aktuell" am 24. März 2005, hier leicht redigiert vom Verfasser.


Hier die Links zu allen Teilen der Reihe „Brasilien jenseits von Fussball und Samba“

- Teil 1: „Wie der Amazonas zu seinem Namen kam“

- Teil 2: ‚Menschenfresser-Country’

- Teil 3: „Ausgerottete Künstler“

- Teil 4: Niemeyer ist 100 – ‚Auf dem Höhepunkt des Schaffens’

- Teil 5: Brasilien und Gold

- Teil 6: Die Landschaften Brasiliens – Der Amazonas-Regenwald

- Teil 7: Brasilien und der Strom

- Teil 8: Die Landschaften Brasiliens – Mata Atlântica

- Teil 9: Santos Dumont und der erste Motorflug

- Teil 10: SIVAM – Big Brother in Amazonien

- Teil 11: Sprit aus nachwachsenden Rohstoffen

- Teil 12: Regenwaldvernichtung und Trockenheit im Amazonasgebiet

- Teil 13: Wie unsere Zukunft in der beginnenden kapitalistischen Barbarei aussähe – „Ich habe kein Leben“

Freitag, 22. August 2008

Verhältnismässigkeit und Heuchelei - Ist Russland der Aggressor?

Zum Ossetien-Krieg

Von Karl Weiss

Ein etwas ungewöhnliches Argument wurde von Präsident Bush angesichts des Ossetien-Krieges vorgebracht und wird nun in allen westlichen Medien nach Möglichkeit breitgetreten. Die VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT sei nicht gewahrt worden von Russland, so tönt es es uns nun tagaus, tagein, aus den Zeitungen, Magazinen und Fernsehröhren entgegen. Deshalb sei Russland ein Bösewicht, denn in Kriegen müsse man verhältnismäßig vorgehen.

Gebäude in Gori nach russischem Luftangriff

Das ist allerdings neu. Der Frage der Verhältnismässigkeit hatte man vorher nie Beachtung geschenkt. Als zum Beispiel im Juli 2005 Israel sein Nachbarland Libanon mit einem Voll-Krieg überzog, mit massiven Luftangriffen auf die Hauptstadt und andere Städte und Dörfer, die insgesamt über 5000 Zivilopfer forderten, mit einem Vorrücken der eigenen Truppen ins Nachbarland auf breiter Front, mit zeitweiser Besetzung eines Teilgebietes des Nachbarlands, mit massiven Bombardierungen der Infrastruktur wie Strassen, Brücken, Häfen, Flughäfen und Kraftwerken, gegen Truppen Libanons, das militärisch lächerlich unterlegen waren, da hörte man aus allen diesen Kehlen nicht ein einziges Mal das Wort Verhältnismässigkeit.

Was war damals der angegebene Grund, warum Israel so viele Menschenleben – auch eigener Soldaten - opferte? Eine israelische Patrouille an der Grenze beider Länder (auf welcher Seite der Grenze blieb umstritten) war von Guerillakämpfern von libanesischer Seite angegriffen worden. Zwei Soldaten starben, zwei andere wurden verletzt gefangen genommen. Solche Grenzzwischenfälle gibt es an den verschiedensten Spannungspunkten häufig, z.B. zwischen Nord- und Südkorea. Wenn da jedesmal ein Krieg begonnen würde, dann hätten wir noch zig Mal mehr Kriege als jetzt schon.

ambulancehit
Kriegsverbrechen von Israel im 2. Libanonkrieg: Von einer Luft-Boden-Rakete getroffener Ambulanzwagen

Vier tote Soldaten (kürzlich stellte sich heraus, auch die beiden Gefangenen waren gestorben), ist das ein ausreichender Grund für einen Angriff in voller Breite und Tiefe mit Tausenden Toten, zehntausenden Verletzten, der Zerstörung der Infrastruktur eines Landes? Also jede denkbare Art von Verhältnismässigkeit ist da offensichtlich nicht gewahrt.

Genau jene Regierungen, sei es die der USA, der Bundesrepublik, von Frankreich, England, Polen oder Tschechien, die jetzt so viel von Verhältnismässigkeit reden und Russland so behandeln, als sei es der Agressor, hatten damals die Frage der Verhältnismässigkeit völlig vergesen und argumentierten immer und immer wieder, Israel habe das Recht auf Selbstverteidigung. Warum ein Überfall auf ein anderes Land unter die Kategorie Selbstverteidigung fällt, hat man aber vergessen uns zu erklären.

Vergleicht man nun, was da jetzt in Süd-Ossetien geschehen ist, so ist die russische Antwort weit weniger problematisch als der Krieg, den Israel da eröffnete. Aber wer zwei Masse, zwei Gewichte anwenden will, der tut es eben. Die Empörung über Russland ist nichts als Heuchelei.

In Süd-Ossetien wurde nämlich nicht auf einen geringfügigen Grenzschwischenfall geantwortet, sondern auf einen Überfall mit militärischer Macht, (Bodentruppen, Panzer, Bombardierungen) von Georgien auf ein Gebiet, das sich für unabhängig erklärt hatte und in dem man keinerlei reale Macht ausübte. Dazu kam, in Süd-Ossetien waren russische Friedenstruppen stationiert und ein wesentlicher Teil der Bewohner hat die russische Staatsbürgerschaft. Von den stationierten russischen Soldaten dort wurden mindestens 100 getötet, davon ein Teil mit Genickschüssen, also offensichtlich kriegsverbrecherisch hingerichtet.

Ein Vergleich mit dem geringfügigen Grenzschwischenfall an der israelisch-libanesischen Grenze kann also nicht gezogen werden.

Nun argumentiert man im „Westen“, sprich von seiten der US-Regierung und allen in ihrem Hintern, es handele sich um einen integren Teil Georgiens und Georgien könne im eigenen Land schliesslich machen, was es wolle. Allerdings wendet man dies (Konflikte innerhalb eines Landes gehen niemanden ausserhalb etwas an) in anderen Fällen nicht an, so hat man den reinen innersudanesischen Konflikt in Darfour bereits mit einer Verhaftung des Staatspräsidenten des Sudan beantwortet, sobald man seiner habhaft werden kann. Als sich im damaligen Serbien ein Konflikt in der Provinz Kosovo anbahnte, mischte man sich noch viel intensiver ein und bombardierte Serbien zurück in die Steinzeit (in extrem VERHÄLTNISMÄSSIGER Weise).

Kosovo

Daneben ist auch der eigentliche Kern dieses Arguments nicht zutreffend. Es gibt keinen völkerrechtlich bindenden Anspruch von Georgien auf Süd-Ossetien (genausowenig wie auf Abchasien). Völkerrechtlich bindende Staatsgrenzen für alle Länder wurden jeweils nach beiden Weltkriegen definiert und dann erneut, als die unter Kolonial-Joch stehenden Staaten in die Unabhängigkeit entlassen wurden (im wesentlichen in den Vierziger- und Fünfziger-Jahren).

Bevölkerungsgruppen in Jugoslawien 1991

Die so festgelegten Staaten und deren Grenzen, das war bis zum Beginn der Jugoslawien-Auflösung unter allen Ländern einmütig, waren nicht veränderbar, mit der einzigen Ausnahme, wenn die Regierung des jeweiligen Staates dem selbst zustimmte (das war zum Beispiel der Fall, als sich die Tschechoslowakei in Tschechien und Slowakien aufteilte).

Was aber war der Fall in Süd-Ossetien, in Abchasien, in Berg-Karabach und in Transnistrien? Diese Teile von sowjetischen Republiken erklärten sich zum gleichen Zeitpunkt unabhängig wie jene Republiken selbst, die ja zu jenem Zeitpunkt 1991 oder etwas später aus der zerfallenden Sowjetunion austraten und neue Staaten bildeten.

Diese Staaten und Grenzen waren sowjetische Republiken gewesen und entsprechend den sowjetischen Bedürfnissen gebildet worden. Es gab neue Grenzziehungen, Zusammenfassungen mit Nachbarrepubliken, Umsiedlung ganzer Volksgruppen mit nachfolgenden Grenzkorrekturen und ähnliches in den Jahren (von 1917 bis 1991) der Sowjetunion. Im Lichte internationalen Rechts hatten also jene Teile von Sowjetrepubliken das gleiche Recht wie die Republiken als solche, sich zu unabhängigen Staaten zu erklären.

Da es keinen Präzedenzfall gab, konnte auch kein internationales Recht greifen, denn die Auflösung eines so riesigen Bundestaates (der flächenmässig grösste auf der Erde) war ohne Beispiel.

Tatsache ist, die anderen Länder erkannten die vier Abspaltungen nicht an und taten so, als seien die Grenzen von ehemaligen Sowjetrepubliken ebenfalls unveränderbar wie jene der international festgeklopften Staaten. Andererseits aber haben die Ex-Republiken der Sowjetunion, in denen sich Teile für unabhängig erklärten, in keinem der vier Fälle alle die Jahre seit 1991 die tatsächliche Herrschaft in den abgespaltetenen Teilen. Dort gab es vielmehr eigene Regierungen, die Truppen und Polizei-Einheiten aus dem Staat, der die Souveränität dort beanspruchte, nicht akzeptierten, hinausjagten oder bestenfalls in Teilgebieten der abgespaltenen Teilrepublik zuliessen bzw. nur zeitweise.

An dieser Stelle greift aber nun internationales Recht. Wer eine Abspaltung faktisch zulässt und über Jahre überhaupt keine Souveränitat im abgespaltenen Teil ausübt, verliert den Anspruch auf jene Teile. Dies gilt erst recht, wenn dort „Friedenstruppen“ von einer benachbarten Grossmacht stationiert sind und man dies auch über Jahre hinweg hingenommen hat.

Mit anderen Worten: Georgien hatte, als es angriff, schon gar kein eindeutiges Anrecht auf Süd-Ossetien mehr. Es war schlicht und einfach ein Angriffskrieg auf einen anderen Staat, auch wenn Süd-Ossetien nicht international anerkannt war (nicht einmal von Moskau). Wenn zum Beispiel US-Friedenstruppen in einem Staat statioiert sind, dann nimmt sich die USA selbstverständlich das Recht heraus, einen Angiff auf diesen Staat und seine dortigen Truppen als einen Angriff auf sich selbst zu interpretieren. In diesem Fall tat das Russland und schon wird behauptet, Russland sei der Agressor.

Es ist überhaupt interessant, in diesen Tagen westliche Mainstream-Medien zu lesen bzw. zu sehen. In unglaublicher Weise identisch, wird verdreht, unterschlagen, einseitig berichtet, die Gegenseite nicht zu Wort kommen gelassen, werden Halbwahrheiten veröffentlicht und geheuchelt, dass es eine Art hat.

Russland war der Angreifer, nun muss man aber einen anderen Ton mit Russland anschlagen, es geht nicht mehr so weiter, dass man so tut, als sei Russland harmlos – kurz: Es wird auf Russland eingeschlagen, als ob Russland einen Angriffskrieg gestartet hätte. So haben denn in Umfragen auch beträchtliche Teile der zum Ossetienkrieg in den USA Befragten geantwortet, Russland habe das Nachbarland überfallen.

Gleichschaltung ist das einzige Wort, das auf diese Medienkampagne passt, auch wenn dies Wort Erinnerungen weckt, die nicht direkt vergleichbar sind.

Charakteristisch der Zwischenfall, als das Zeugnis einer 12-jährigen Südossetin über den rücksichtslosen Angriff des georgischen Militärs gegen die ossetische Zivilbevölkerung im Fernsehen bei Fox News gezeigt werden sollte. Den Eimnleitungssatz liess man sie sprechen, dann wurde ausgeblendet. Was sie da zu sagen hatte, passte nicht ins Bild.

Wer das Interview mit dem Mädchen vollständig sehen will, hier ist es: http://youtube.com/watch?v=H8XI2Chc6uQ

Nicht dass etwa die russischen Medien nicht auch einseitig berichtet hätten, aber in diesem Fall war eben der Angreifer Georgien, das von einem Statthalter der USA regiert wird. Der Angriff war also mit höchster Wahrscheinlichkeit von den USA angeordnet worden, weil man nun Russland als neuen Buhmann aufbauen will.

Auf jeden Fall weiss man, bei der kürzlichen NATO-Tagung wurde Georgien als Beitrittskandidat genannt, „wenn man die offenen territorialen Fragen klärt“. Es gab nur einen Weg für Georgien, die zu versuchen zu klären: Der Einmarsch in die abtrünnige Provinz. Man hat diesen Einmarsch also zumindest nahegelegt.

Unter diesen Umständen Russland als den Aggressor zu brandmarken ist schon ein starkes Stück.

Nun ist Russland natürlich kein armes, geplagtes Land, das keinerlei Dreck am Stecken hat, im Gegenteil. Russland versucht erneut als Grossmacht im ganzen Raum zu wirken, wie es damals die Sowjetunion tat, versucht zu einem imperialistischen Unterdrückerstaat zu werden, wie das die Sowjetunion unter Chrutschow, Brechnew und Gorbatchow war. Russland hat die vier abtrünnigen Provinzen als Faustpfand benutzt, um etwas gegen den Westen in der Hand zu haben und sie bis heute nicht anerkannt, um "offene Fragen" zur Verfügung zu haben. Im Extremfall kann Russland also immer noch seine Schützlinge fallen lassen wie ein heisses Eisen.

Aber in diesem Fall hat Russland nur geantwortet, so wie es ihm zustand, nachdem 100 Mann seiner ‚Friedenstruppen’ getötet worden waren, darunter zumindest ein Teil exekutiert.

Die Bedingungen des unterschriebenen Waffenstillstands machen schon deutlich: Russland hat keinerlei Zugeständnisse gemacht. Warum sollte es auch. Kein Wort zum Status von Süd-Ossetien und Abchasien. Mit anderen Worten: Der vom Westen vogeschlagene Waffenstillstand hat die Niederlage Georgiens akzeptiert. Die Alternative wäre gewesen, Russland wäre weiter vorwärts marschiert. Weder Südossetien noch Abchasien werden je wieder Bestandteil Georgiens sein – das steht schon fest. Der Westen wird ein grosses Geschrei darum machen, aber die Separation ist nun besiegelt.

Man kann sich schon vorstellen, wie Berg-Karabach und Transnistrien darauf reagieren werden. Für Spannungen und auch bewaffnete Auseinandersetzungen in der Region wird gesorgt sein.

Das steckt im Kern auch dahinter, wenn man fragt, warum der Westen diesen Streit vom Zaum gebrochen hat. Es müssen Krisenherde geschaffen werden, die möglichen Terrorismus erzeugen, der dann wiederum zum Abbau der bürgerlichen Rechte in den westlichen Staaten dient.

Aus dieser Sicht hat Süd-Ossetien sehr viel mit Deutschland zu tun.


Veröffentlicht am 22. August 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung


Zusatz zum Artikel (1.9.08)

Habe soeben noch eine Information aus der "India Times" entdeckt, die besonders deutlich die eigentliche Rolle der Vereinigten Staaten aufdeckt:

Zitat aus

http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=2753&type=98

Botschafter M.K. Bhadrakumar, einstiger Karrierediplomat des Indian Foreign Service (IFS) [unter anderem in der Sowjetunion, Südkorea, Sri Lanka, Deutschland, Afghanistan, Pakistan, Usbekistan, Kuwait und in der Türkei], konstatiert in einem Beitrag in der «Asia Times» die Desinformation, mit der das Bush-Regime und die US-Medien hausieren gehen, und berichtet, dass "Russland bei Ausbruch der Gewalttätigkeiten versucht hatte, den Uno-Sicherheitsrat dazu zu bringen, eine Erklärung abzugeben, die von Georgien und Südossetien ein sofortiges Niederlegen der Waffen forderte. Aber Washington war nicht interessiert."

Dienstag, 19. August 2008

Hartz IV: Unter den Brücken schlafen?

Abwimmeln; nicht zahlen; nicht annehmen; Gerichtsbeschlüsse nicht durchführen; verhungern lassen

Von Karl Weiss

Das ‚Jobcenter‘ in Berlin-Neukölln hat wiederholt einer jungen Frau die Leistungen versagt, die ihr zustanden. Sie wurde praktisch verurteilt, unter den Brücken zu schlafen. Die Leitung des Jobcenters wollte dazu eine Erklärung abgeben, ließ es aber dann. Obrigkeit braucht sich nicht zu rechtfertigen, warum auch, sie ist schließlich die Obrigkeit, oder? Erst als die Polizei im ‚Jobcenter‘ auftauchte und die Pfändung durchsetzen wollte, gab man Zahlungsanweisung – sagte man jedenfalls.

Weg mit Hartz IV

Patrizia, 19 Jahre alt, war von ihrem Vater auf die Straße gesetzt worden. Nun obdachlos, versuchte sie dem Schicksal zu entgehen, unter den Brücken schlafen zu müssen. Die junge Frau ging also zum ‚Jobcenter‘ Neukölln und wollte ihren Antrag auf Sozialleistungen abgeben. Der wurde aber nicht angenommen, weil angeblich Unterlagen fehlten.

Das kennen Tausende von Hartz-IV-Verurteilten: Ständig wird in den Centers-ohne-Job versucht, die Antragsteller abzuwimmeln. Obwohl Anträge angenommen und bearbeitet werden müssten, auch wenn der Antragsteller noch weitere Unterlagen beibringen soll, wird dies nicht getan. Andauern wird man unverrichteter Dinge wieder nach Hause geschickt. Nur hatte Patrizia kein Zuhause mehr, was das „Jobcenter“ aber völlig kalt ließ.

Hunderte solcher Fälle werden nicht bekannt, weil die Menschen nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen. Patrizia fand eine Bürgerberatungsstelle, deren Vorsitzender ihr zunächst für einige Tage eine Schlafstelle besorgte. Anschließend vereinbarte er mit dem „Jobcenter“ einen Notfalltermin, eine Einrichtung, die von den „Jobcentern“ überhaupt nicht bekannt gemacht wird.

Der angebliche Notfalltermin wurde aber für drei Wochen später angesetzt!

Sarkasmus ein: „Na, da haben wir es den Arbeitslosen wieder gezeigt! Warum bringen sie sich auch nicht einfach um, anstatt der Allgemeinheit auf der Tasche zu liegen!“ – Sarkasmus aus.

Sie hatte sich inzwischen schon nach einer Wohnung umgesehen und auch eine gefunden, nur hätte das Amt die Kosten übernehmen sollen. Da man aber drei Wochen keine Zeit für sie hatte, war dann auch die Wohnung weg. Immerhin wurde ihr ein Lebensmittelgutschein über 30 Euro ausgehändigt.

Dies ist eine andere Praxis, die immer mehr um sich greift. Statt die gesetzliche Leistung auszuzahlen, gibt man den Arbeitslosen Lebensmittelgutscheine, um sie noch weiter zu demütigen. Wie 30 Euro für drei Wochen hätten reichen sollen, das weiss nur Gott – und Sarrazin natürlich.

In einem Eilverfahren entschied das Berliner Landgericht, der Antragstellerin stehen monatlich 277, 60 Euro zu. Trotz dieser Entscheidung zahlte das Amt nicht. Patrizia war verurteilt, unter den Brücken zu schlafen. Und für wie langte glaubte das Amt, dass 30 Euro reichen würden, um nicht zu verhungern?

Der Vorsitzende der Bürgerberatung erwirkte nun einen Pfändungsbeschluss gegen das Amt. Aber erst, als er mit der Pfändung und der Polizei zur Durchsetzung der Pfändung im Amt erschien, erklärte man sich schließlich bereit, den Zahlungsauftrag in den Amtsweg zur Nürnberger Bundesanstalt zu geben.

Ob er dort angekommen ist oder ob noch eine weitere Schikane kommt, weiss man noch nicht.

Hätten sich nicht mitleidige Menschen Patrizias angenommen, wäre sie sowieso schon verhungert.

Das ist die Realität, die nicht nur Schröder und Clement, sondern die ganze SPD beschloss, die Wowereit und Sarrazin umsetzen, die von den beiden ach wie so christlichen Parteien und den Grünen mit abgesegnet wurde - und natürlich auch der liberalen Partei – aber das war sowieso selbstverständlich.


Veröffentlicht am 19. August 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung


Andere Artikel zur Hartz IV im Blog:

"Dossier Hartz IV – Hindernisrennen ins Elend"

"19 Fälle – Die Realität von Hartz IV"

"Nicht genug zu essen – Hartz IV – Realität in Deutschland 2007"

"Die neuesten Hartz-Sauereien – Das Mass ist voll!"

"Hartz IV – Absurd, absurder, am absurdesten – Das Chaos war geplant!"

"Hartz IV – Berliner Zeitung schert aus dem Chor der Missbrauchsankläger aus"

"5 Millionen Arbeitslose einstellen"

"Grundversorgung von 1600 Euro käme billiger als heute."

"Arbeitslosigkeit ist zum Delikt geworden"

"Hartz IV führt in Obdachlosigkeit"

"Hartz IV–Empfänger müssen kalt duschen, im Dunkeln sitzen und Wasser trinken"

"Hartz IV: Vertreibung von Mietern"

"Hartz IV–Betroffene: Daumenschrauben anziehen!"

"Hartz-IV: Jetzt auch noch Sippenhaft"

"Hartz IV: Nieder auf die Knie!"

"Kein Anspruch auf fabrikneue Kleidung"

"Hartz IV: Der angeleinte Mensch"

"Hartz IV: Der Fall Brigitte Vallenthin"

Montag, 18. August 2008

Langzeitarbeitslose in der Pflege von Demenzkranken

Bundesagentur will Tausende „Stellen“ im Pflegedienst schaffen

Von Karl Weiss

Die Bundesagentur für Arbeit, bekannt für ihre Statistikmanipulationen, die Millionen von Arbeitslosen scheinbar spurlos verschwinden lassen, hat einen neuen Coup vorbereitet: Man will „schwer vermittelbare“ Arbeitslose als Pfleger für Demenzkranke einsetzen. Vertreter der Pflege lehnen dies strikt ab: „Der Aktionismus der Behörden ist zynisch!“

Meseberg-Tagung Bundesregierung

In der Pflege von Demenzkranken, das sind vor allem von Alzheimer Betroffene, werden die höchsten Ansprüche in den Pflegeberufen gestellt: In der Regel ist eine Ausbildung als Sozialarbeiter, Krankenpfleger oder ähnliches gefordert. Vor allem aber müssen die möglichen Kandidaten in einem Kurs von mehreren Monaten auf die schwierigen Aufgaben dieses Pflegeberufs vorbereitet werden.

Wegen ihrer Orientierungslosigkeit werden Alzheimer-Patienten schon einmal gewalttätig. Dann muss der Pfleger oder die Pflegerin mit Härte vorgehen, aber ohne selbst gewalttätig zu werden. Dabei sein psychisches Gleichgewicht zu behalten und nicht der Versuchung zu unterliegen, die Kranken als Vieh zu behandeln, verlangt über die Ausbildung hinaus extrem gefestigte Persönlichkeiten.

Alzheimer-Kranke in mittlerem und fortgeschrittenem Stadium sind nicht mehr in der Lage, die Pfleger wiederzuerkennen – ganz zu schweigen von den eigenen Familienangehörigen. Sie sehen sich deshalb in einer Welt nur von Fremden umgeben, allein gelassen und unwürdig behandelt und reagieren entsprechend.

In der Endphase der Krankheit verlieren die Patienten praktisch vollständig die Erinnerung an die einfachsten Handlungen des täglichen Lebens. Sie können nicht mehr essen oder trinken, sie können sich nicht anziehen, sich waschen oder duschen, sie wissen nicht mehr auf die Toilette zu gehen, sind aber gleichzeitig bewusst und haben einen eigenen Willen. Dabei fühlen sie sich allein und ausgesetzt, denn sie erkennen niemanden mehr wieder und sind daher völlig verzweifelt. Da kann jeder verstehen, dies führt zu Verzweiflungstaten.

Diese Patienten zu betreuen ist daher eine der schwierigsten Aufgaben in der ganzen Pflege. Gefestigte Charaktere mit guter Ausbildung verstehen es aber, den Patienten Anhaltspunkte zu geben und sie so zu beruhigen. Das bedeutet, völlig Verzweifelten noch einen kleinen Rest von Lebensqualität zu ermöglichen.

Ausgerechnet in dieser Aufgabe will nun die Bundesagentur Personen unterbringen, die selbst schon Probleme genug haben. Sie müssen seit geraumer Zeit mit Hartz IV auskommen und werden in vielen Fällen von den Behörden erniedrigt, drangsaliert und mit dem Hungertod (Streichen der Leistungen) bedroht. Erfahrungsgemäss stärkt das nicht die Persönlichkeiten, sondern macht sie selbst zu Opfern.

Die Vorstellung, wie diese Arbeitslosen mit einem Schnellkurs von nicht einmal einem Monat zu verantwortlichen Pflegern für solche Patienten werden können, ist abenteuerlich. Es werden ausdrücklich keine Erfahrungen in der Pflege verlangt. So empört sich denn auch Helmut Wallrafen-Dreisow, Mitglied des Kuratoriums Deutsche Altenhilfe: „Demenz gleichzusetzen mit basteln, vorlesen und Spazierengehen, ist eine Unverschämtheit".

Es gibt etwa 30 000 arbeitslose Altenpfleger und Altenpflegehelfer, berichtet die „Tagesschau“ und eine grosse Zahl von Lehrstellen in diesem Bereich sind nicht besetzt. Stattdessen will man dort nun Langzeitarbeitslose einsetzen.

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hat den geplanten Einsatz von Langzeitarbeitslosen in der Pflege verteidigt. Die neue Betreuung von Demenzkranken in Pflegeheimen sei ... "ein großer Schritt voran". Nur befähigte Arbeitslose würden dazu vorgesehen. Aber das ist die gleiche Beruhigungspille, die man damals bei den Ein-Euro-Jobs verteilte. Nur zusätzliche Arbeitsplätze würden besetzt, keine normalen Arbeitsplätze umgewandelt. Jeder weiss, was wirklich geschah.

Es ist charakteristisch für unsere Politikerkaste und die ihnen unterstehenden Behörden, solche Ideen in die Welt zu setzen. Am Anfang meinen viele, so wie es bei Hartz IV geschah, das sei wohl nicht ernst gemeint und werde gar nicht verwirklicht. Doch dann wurde es - und jeder vernünftige Mensch beobachtet es mit offenem Mund, wie es so etwas in einem Land geben kann, das doch gerade noch als zivilisiert angesehen wurde.

Das gleiche geschah ja mit den Ein-Euro-Jobs. Als sie am Anfang vorgeschlagen wurden, gab es viele Stimmen, die sagten, das werde nicht greifen, denn das sei ja Zwangsarbeit, es gebe sowieso nur wenige Stellen, wo dies nicht reguläre Arbeitsplätze ersetzen würde usw. Doch die Politikerkaste meint, was sie sagt. Nur die Beruhigungspillen sind Lügen. Man ersetzte Zehn-, ja Hunderttausende von regulären Arbeitsplätzen durch Ein-Euro-Jobs, ohne mit der Wimper zu zucken.

Insofern müssen wir auch anfangen ernst zu nehmen, was Frau Merkel schon vor Jahren sagte: „Denn wir haben wahrlich keinen Rechtsanspruch auf Demokratie und soziale Marktwirtschaft auf alle Ewigkeit.“ (Siehe hier).

Auch das wird man konsequent umsetzen wollen. Der angebliche Sozialstaat ist sowieso schon den Bach hinunter gegangen, jetzt kommt die angebliche Demokratie dran, d.h. der völlige Abbau aller bürgerlichen Rechte.

Dieses System muss weg!


Veröffentlicht am 18. August 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung


Zusatz zum Artikel

Was im Artikel noch fehlte war, wie schon vermutet, die lächerlich geringe Bezahlung für die Arbeitslosen in der Demenzkranken-Pflege. Hier gibt es dazu eine Ausage:

http://www.rf-news.de/rfnews/schlagzeilen#News_Item.2008-08-22.0941

21.08.08 - Merkel zu geplanten Billigpflegern: "Große Leistung"

Bundeskanzlerin Merkel lobte in der gestrigen Kabinettssitzung den geplanten Einsatz von Langzeitarbeitslosen als Pfleger von Demenzkranken in Altenheimen als eine "großartige Leistung". Die Regierung rechnet mit 10.000 Stellen, die nach dem neuen Pflegerreformgesetz mit Billigpflegern für wenige Euro die Stunde und einer "Ausbildung" von ganzen 160 Stunden besetzt werden sollen.

Sonntag, 17. August 2008

Brasilien jenseits von Fußball und Samba, Teil 8: Mata Atlântica - der atlantische Regenwald

Teil 8: Landschaften Brasiliens: Mata Atlântica - Der atlantische Regenwald

Von Elmar Getto

Nach dem Artikel über den Amazonas-Urwald im sechsten Teil der Reihe wollen wir uns nun einer weiteren tropischen Landschaft Brasiliens zuwenden, die für die Menschen in Brasilien eine weit größere Bedeutung hat: Dem Gebiet der ‚Mata Atlântica’ (Atlantischer Regenwald, Atlantik-Dschungel), einem Wunder der Natur, in dessen Bereich mehr als die Hälfte der brasilianischen Bevölkerung lebt.

Brasilien (topographisch)

Die ‚Mata Atlântica’ war zur Zeit des Beginns der Eroberung Brasiliens (schönfärberisch ‚Entdeckung’ genannt) im Jahre 1500 – und ist es in Teilen noch heute – schlicht und einfach das Habitat mit der größten Artenvielfalt, das es auf der Erde gibt. Es handelt sich um einen tropischen und subtropischen Regenwald, der sich vom Norden (heutiger Staat Ceará) bis in den Süden (heutiger Staat Santa Caterina) Brasiliens hinzog, entlang der Atlantikküste über Tausende von Km und der 50 bis 450 Kilometer in das Landesinnere hineinreicht, nach dem Amazonasgebiet die zweitgrößte Landschaft Brasiliens mit etwa 1 300 000 Quadratkilometer Ausdehnung, das entspricht 15% des brasilianischen Territoriums.

Nachdem diese Landschaft fast die ganze Küste Brasiliens einnimt, war sie die erste, die in Besitz genommen wurde von den ach so christlichen Europäern. Sie blieb bis heute das Gebiet, in dem die meisten Brasilianer leben, etwa 100 Millionen der 170 Millionen.

Die ‚Mata Atlântica’ war das, was jeden der Eindringlinge bezauberte und was sie (alle Beschreibungen stimmen darin überein) den Begriff ‚paradiesisch’ gebrauchen ließ.

Regenwald

Hören wir noch einmal, was Americo Vespucci über die Mata Atlântica schrieb:

„Einige Male steigerte ich mich hinein in den Duft der Bäume und der Blumen und den Geschmack dieser Früchte und Wurzeln, so sehr, daß ich bei mir dachte, ich sei im Paradies auf Erden. Und was soll ich sagen über die Vielfalt der Vögel, die Farbenpracht ihrer Gefieder und Gesänge, wie viele es sind und von welcher Schönheit? Ich will gar nicht weiter sprechen, denn ich befürchte, ihr werdet mir nicht glauben.“

Mit diesen und anderen Beschreibungen der Mata Atlântica und des – im wahrsten Sinne des Wortes paradiesischen – Lebens vieler Indio-Stämme, die man antraf, gelang es ihm, das Interesse Europas für den neuen Kontinent zu wecken und, ganz nebenbei, für sich den Nachruhm der Benennung eines Kontinentes mit seinem Namen zu errringen.

Wie kommt es, daß sich gerade entlang der brasilianischen Küste ein solches Wunderwerk der Natur entwickeln konnte? Es gibt hier eine Anzahl von Bedingungen, die an anderen Orten nicht angetroffen werden:

Amazonas

- Der nördliche Teil des Südatlantiks ist von einem Süd-Ost-Wind geprägt, also einem, der aus der Richtung Afrika herúberweht, der eine ausgeprägte Meeresströmung auf die ‚Spitze’ des südamerikanischen Kontinents zu verursacht. Der größte Teil der warmen Meeresströmung wird dort nach Norden abgeleitet und fließt in die Karibik und dann in den Golf von Mexiko. Dort hat die Strömung nur einen Ausweg, die schmale Öffnung von etwa 100 km zwischen Florida und Kuba, wo sie die stärkste bekannte Meereströmung bildet, den Golfstrom, der uns in Europa viel Feuchtigkeit, aber auch deutlich höhere Temperaturen beschert, als es für die geographische Höhe typisch wäre.

Der andere Teil der Strömung wird aber nach Süden abgelenkt und bringt der Ostküste Südamerikas eine warme Strömung und damit eine warme und feuchte Witterung. Auf diese Art und Weise werden die tropischen Gebiete an der Küste nach Süden weit in subtropische geographische Höhen hinein ausgedehnt.

- Zur Bildung eines Regenwaldes müssen etwa 2 000 mm Regen pro Jahr fallen (in Deutschland haben wir in etwa 500 mm pro Jahr). Für Zulieferung von Feuchtigkeit sorgen einerseits diese warme Meeresströmung und andererseits die das ganze Jahr über von Süden heranziehenden Fronten kalter Luft. Zwischen dem Südpol und der Mitte und dem Norden des südamerikanischen Kontinents gibt es keinen Riegel von Bergen, der das Fortschreiten dieser Kaltfronten aufhalten könnte. Dazu kommt, dass die Anden mit Gipfeln von über 5000 Metern Höhe einen Riegel in Nord-Süd-Richtung bilden und ein Ausweichen der Kaltfronten nach Westen verhindern, ebenso eine ins Gewicht fallende Beeinflussung durch das Wetter im Pazifik. Diese Fronten treffen auf der Höhe des ‚atlantischen Dschungels’ auf die aufgeheizten tropischen Luftmassen aus dem Inneren Südamerikas und verursachen Regen – oder besser gesagt tropische Sturzbäche.

- Während das riesige Gebiet des Amazonas-Urwaldes seinen Regen selbst erzeugt – er ist ja eine riesige ‚Maschinerie’ des Verdampfens von Wasser (der Amazonas-Regenwald verdampft pro Jahr etwa 7 'trillions of tons' Wasser) - , konnten die Reste des atlantischen Regenwaldes nur aufgrund dieser äußeren Belieferung mit Feuchtigkeit überleben, denn dieser Regenwald hat keine ausreichende Ausdehnung für einen internen Kreislauf.

Brasilien: Soja-Pflanzungen auf Regenwald-Gelände

Das bedeutet gleichzeitig, daß der Amazonas-Regenwald, wenn er erst einmal zu großen Teilen vernichtet sein wird, seinen eigenen Regen nicht mehr erzeugen kann und der Rest damit auch verschwinden wird. Das Gebiet wird versteppen und zur Wüste werden.

Regenwald-Abholzung Brasilien

- Zu den speziellen Bedingungen der Mata Atlântica gehört auch, daß das küstennahe Terrain Brasiliens über weiteste Strecken stark hügelig und gebirgig ist. Der ganze mittlere bis südliche Teil Brasiliens stellt eine riesige hügelige Platte von Granit und Gneis dar, die zum Landesinneren geneigt ist und nahe dem Meer einen Steilabfall hat, der üblicherweise zwischen Fünfhundert und Tausend Meter Höhenunterschied ausmacht. Dieser Steilabfall läßt an manchen Stellen nur noch 100 Meter und einen Strand frei, an anderen Stellen haben sich große Anschwemmgebiete gebildet, wie im Staat Rio de Janeiro, und der Steilabfall liegt bis zu 70 oder 80 km im Landesinneren. Wie überall, sind Steilabfälle in der Nähe des Meeres DIE Wolkenfänger und so garantieren die Bedingungen an diesen Hängen eine extrem häufige Nebelsituation und Luftfeuchtigkeiten von zwischen 90 und 100% das ganze Jahr über, die idealen Bedingungen, nicht nur Regenwald, sondern artenreichsten Regenwald zu bilden.

São Paulo, grösste Stadt der südlichen Hemisphere

Wenn die Bewohner des Groß-Bereichs São Paulo (immerhin etwa 20 Millionen) zum Strand wollen oder zum Hafen nach Santos, müssen sie einen dieser Steilabfälle hinunter, der in diesem Fall etwa 800 m hoch ist, wofür es heute bereits 4 mehrspurige Autobahnen gibt, zwei aufwärts und zwei abwärts. Dort ist die Nebelbildung, speziell im oberen Teil des Steilabfalles, so häufig und der Nebel manchmal so dicht, daß die Zahl der Unfälle nur mit einer Methode verringert werden konnte: Wenn der Nebel eine bestimmte Dichte überschreitet, stoppt die Polizei den Verkehr und stellt Konvoys zusammen, die – mit Polizeiautos am Anfang und Ende, in gleicher Geschwindigkeit fahren.

- Die hügelige und gebirgige Struktur der meeresnahen Bereiche des mittleren und südlichen Brasiliens sorgt auch dafür, daß die Mata Atlântica die vielfältigsten Ansichten bietet. Auf Bergkuppen ist manchmal nur Buschwerk vorhanden, an den Berghängen ist sie meist weniger dicht, weil oft Bäume umstürzen und in den Tälern bildet sich ein undurchdringlicher Dschungel aus. Die ausgesprochenen Urwaldriesen fehlen deshalb auch in ihr. Die höchsten Bäume erreichen ‚nur’ 30 bis 40 Meter an Höhe.

- Eine weitere Bedingung für die Vielfältigkeit in der Mata Atlântica ist die lange Nord-Süd-Ausdehnung. Während im Norden, im rein tropischen Gebiet, alle Pflanzen daran angepaßt sein müssen, daß keinerlei jahreszeitliche Temperaturunterschiede auftreten, gibt es im Süden einen ausgeprägten Winter und es kommt schon einmal zu Temperaturen um den Gefrierpunkt. Hier gibt es Gewächse, die im Winter für einige Wochen die Blätter abwerfen und dann im Frühling zu blühen beginnen, bevor die Blätter wieder wachsen, so wie z.B. einer der beeindruckendsten Bäume dieser Region, der Ipê, den es in einer strahlend gelb und einer pupur blühenden Form gibt.

Im Laufe der Jahrhunderte wurden 93% der ursprünglichen Tropenwaldfläche der Mata Atlâtica vernichtet, statt der ursprünglich auf 5 bis 10 Millionen Spezies geschätzten Anzahl der Arten machte sich die einzige Spezie homo sapiens sapiens breit, wobei allerdings von sapiens (‚klug’) nicht viel zu bemerken war.

Es wurde rücksichtslos abgeholzt und abgebrannt, die Indios wurden vertrieben, versklavt oder abgeschlachtet. Man begann, auf dem unfruchtbaren Boden, der nach dem Abholzen blieb, Anbauversuche zu machen und das Land schließlich brachliegen zu lassen und der Erosion preizugeben, wenn sich das als vergeblich Unterfangen erwies. Nach den ersten Versuchen wurden daraus keine Lehre gezogen. Es wurden vielmehr diese Anbauversuche Jahrhunderte (!) fortgeführt, bis fast aller Regenwald den ‚klugen Menschen’ zum Opfer gefallen war. Es gelang lediglich mit eingeführten Grassorten wenigstens eine Viehweide aufzubauen, auf der man - ebenfalls eingeführte - Rinder halten konnte, aber bis heute gibt es nur in begrenzten Gebieten eine lohnende landwirtschaftliche Betätigung auf der früheren Mata-Atlântica-Erde.

Die einzig erkennbaren Ziele der Eroberer waren persönliche und kolonialstaatliche Bereicherung und Machtgewinn, während offiziell und nach außen hin andauernd das hehre Ziel, den katholisch-christlichen Glauben zu den Indios zu bringen, als angebliche Motivation der Expeditionen wie eine Reliquie vor sich hergetragen wurde.

Würden doch sonst die armen Seelen der Indios für immer verloren sein. Als dann der Papst entschieden hatte, daß Indios keine unsterbliche Seele haben und daher - wie alle anderen ‚Tiere’ – versklavt und abgeschlachtet werden durften, war dieser Grund für die Eroberung eigentlich weggefallen. Dies tat den Aktivitäten der Kolonialisten aber keinerlei Abbruch. Sie verstärkten sie vielmehr, hauptsächlich weil sie immer noch auf der Suche nach ergiebigen Goldvorkommen waren – eine Suche, die sich nicht allzu lange danach ja als erfolgreich erwies (siehe auch den 5. Teil der Reihe: Brasilien und Gold)

Die Parallelen zur heutigen Zeit und zum Einfall der US-Truppen im Irak sind verblüffend. Hier wie dort die Macht- und Bereicherungsziele als wahre Gründe, hier wie dort die militärische Überlegenheit, hier wie dort das Vorschieben scheinbar hehrer Begründungen für die Eroberung, hier wie dort der ständig betonte christliche Hintergrund der Kommandeure der Überfallstruppen, hier wie dort eine (Schein-)Begründung, die sich als nicht haltbar erwies, was – hier wie dort – natürlich zu keinerlei Änderung der Politik führte.

Irak-Krieg 2

Hier wie dort das Foltern und brutale Abschlachten der heimischen Bevölkerung. Hier wie dort einer der wichtigsten Bodenschätze als Hauptantriebsfeder.

Obwohl mit Sicherheit seit damals viele Spezies des atlantischen Regenwalds ausgestorben sind, wahrscheinlich sogar die Mehrzahl, die nie mehr auch nur beschrieben werden können, ist auch das verbliebene kleine Areal, bestehend aus kleinen bis mittleren, unzusammenhängenden Stücken, im ganzen etwa 94.000 Quadratkilometer (etwa 7,3% der ursprünglichen Fläche), immer noch ein wahres Wunderwerk der Natur. An Zahl der vorkommenden Baum-Arten ist er weiterhin die artenreichste der Welt.

Es leben darin immer noch mehr als 10.000 Spezies von Pflanzen, davon 50% ‚endemisch’, also nur hier vorkommend. An Tieren gibt es immer noch 1.600.000 Arten, der größte Teil, wie immer, Wirbellose. 261 Arten von Säugetieren bevölkern immer noch die Restgebiete des atlantischen Regenwaldes, davon 73 endemische. Die Vögel machen noch 620 Spezies aus, davon 160 endemisch. Allein an Amphibien gibt es 260 Arten, 128 endemisch.

Vier der fünf Riesenstädte Brasiliens (São Paulo, Rio de Janeiro, Salvador und Recife/Olinda) liegen im Gebiet des atlantischen Dschungels, so wie auch alle Landeshauptstädte der Küstenländer.

Rio de Janeiro, Zuckerhut und Corcovado von Niteroi aus

So unglaublich es erscheinen mag, aber es gibt noch ein schönes Stück des ‚atlantischen Dschungels’ mitten in der Millionenstadt Rio de Janeiro, der Stadt, in der Verbrechen und Drogenhandel herrschen, wo man nächtens die Maschinenpistolen-Garben der Fraktionskämpfe hört, wo eine unterbesetzte, unterbezahlte und manchmal entmenschte Polizei ohne Aussicht auf Erfolg versucht, dem Einhalt zu gebieten oder jedenfalls dies vorzugeben – mitten in dieser Stadt hat sich ein Stück des Paradieses erhalten, heute als ‚Nationalpark Tijuca’ geschützt.

Der liegt nicht am Rande, sondern mitten in der Stadt und umfaßt eine Fläche von 37 Quadratkilometern. Die meisten Großstädte wären schon froh, wenn sie soviel Grünfläche hätten, aber ein Stück erlesensten, (fast) unberührten Regenwaldes, das ist einmalig.

Zuckerhut von der Botafogo-Bucht aus

Ein „Muß“ für jeden Besucher von Rio, wichtiger als der obligatorische Abstecher mit der Gondelbahn auf den Zuckerhut. Dort hat man Recht auf Wasserfälle, sichere Pfade durch den Urwald, Aussichtskanzeln, eine Kapelle, ein Museum, Restaurants im Urwald und den höchsten Berg Rios, mit mehr als 1000 m recht beachtlich für eine Stadt am Meer. Geführte Wanderungen vermittelt einem jedes Hotel in der Stadt, wer nicht viel laufen kann, nimmt einfach ein Taxi und sagt „Floresta da Tijuca – a cachoeira“ und schon wird man zum einem in mehreren Stufen 90 Meter hohen Wasserfall mit einem Restaurant daneben gebracht und kann auch noch ein paar Meter gehen, wenn man will. Den Taxipreis läßt man den Hotelportier für einen aushandeln. Nicht vergessen, sich ein Quittung geben zu lassen. Auf der Rückfahrt besteht man darauf, den gleichen Preis zu zahlen. Wird der Taxifahrer pampig, ruft man die Leute vom Restaurant zu Hilfe, die das Taxi gerufen haben, oder einen Brasilianer, der English spricht.

Corcovado von Botafogo aus

Auch der Brasil-Baum, der dem Land den Namen gab, ist ein Baum der Mata Atlântica. Bereits die ersten Portugiesen, die in der Nähe der heutigen Stadt Porto Seguro den Boden des neuen Kontinents betraten, fanden unter all den unbekannten Bäumen auch diesen, ihnen bekannt vorkommenden und berichteten über ihn. Wahrscheinlich wurde sogar schon ein Stück dieses Holzes mit nach Portugal genommen.

Ein Baum mit diesem Namen kam nämlich in „Hinterindien“ (Indonesien) vor und aus seinem Holz wurde der einzige gute rote Textilfarbstoff der damaligen Zeit gewonnen. Sein Holz wurde mit etwa einem Zehntel des Preises von Gold bezahlt. Tatsächlich erwies sich das brasilianische Brasil-Holz auch hierfür als geeignet. So begann Portugal, aus Mangel anderer wertvoller Stoffe, Brasilholz aus der neuen Kolonie abzutransportieren. Bereits etwa 100 Jahre nach dem Beginn der Eroberung meldeten die Expeditionen, daß alle küstennahen Brasilbäume bereits abgeholzt waren und man sich weit ins Landesinnere vorwagen mußte, um noch einige zu finden.

Im Grunde waren sich die Menschen der damaligen Zeit schon im klaren darüber, was sie taten, wenn sie den atlantischen Regenwald abbrannten und abholzten. Zumindest gab es aufgeklärte Personen, die darauf aufmerksam machten.

Im National-Museum der Schönen Künste in Rio de Janeiro kann man ein Gemälde aus dem Jahre 1843 des französisch-brasilianischen Malers Félix Emile Taunay, der seit 1816 in Brasilien lebte, bewundern (oder jedenfalls ansehen) mit dem Titel: „Ansicht eines unberührten Waldes, der zu Kohle verwandelt wird“. Auf der rechten Seite des Bildes die fein künstlerisch ausgeführte Ansicht eines Stückes ‚Mata Atlântica’, auf der linken Seite des Bildes ein Abhang, an dem der ganze Wald bereits abgeholzt ist, das Holz als Brennholz aufgestapelt ist und die verbliebenen Stümpfe niedergebrannt werden. Die Anklage des Bildes ist beeindruckend und frappierend, wenn man bedenkt, daß die erste größere ‚grüne’ Bewegung zu diesem Zeitpunkt noch etwa 130 Jahre brauchen würde, um in der Geschichte aufzutauchen.

Der Künstler hatte eine enge Verbindung mit der Philosophie, die in Deutsch „Aufklärung“ genannt wird und in unmittelbarem Zusammenhang mit der französischen Revolution steht. Sein Vater, der berühmte neo-klassizistische Maler Nicolas Antoine Taunay („der David der kleinen Formate“), überlebte die bewegtesten Jahre der französischen Revolution in einem Haus auf dem Lande, das er Jean Jaques Rousseau („Zurück zur Natur!“) abgekauft hatte. Dort wurde Félix auch geboren. Mit der ganzen Familie übersiedelte Nicolas Taunay 1816, nach der Niederlage Napoleos, nach Brasilien, weil Anhänger des Korsen in diesem Moment in Frankreich schwierige Zeiten erlebten – und Taunay konnte seine Bewunderung für Napoleon nicht abstreiten, denn er hatte ihn in vielen Gemälden verherrlicht. Gleichzeitig fühlte der portugiesische Hof, der (vor Napoleon!) nach Brasilien geflüchtet war, die Abwesenheit von ein wenig Kultur und lud französische Künstler ein, nach Brasilien zu kommen (die sogenannte „französische Mission“).

Nicolas Taunay legte sich in Rio de Janeiro ein Stück Land mit einem Haus zu, das exakt in dem oben beschriebenen unversehrten Teil des atlantischen Regenwalds gelegen war, und zwar genau das Stück mit dem Wasserfall, neben dem heute (anstelle des damaligen Hauses der Taunays) ein Restaurant steht, das oben den weniger gut zu Fuß befindlichen Touristen empfohlen wurde. Wenn man dort heute ankommt, wird man noch mit einem Parkplatzschild an den Namen der früheren Besitzer des Ortes erinnert: „Estacionamento Taunay“. Dort wohnte lange Jahre auch sein Sohn Félix, auch nachdem Vater und Mutter Taunay im Jahre 1821 nach Frankreich zurückgekehrt waren. Félix Taunay hatte also in mehrer Hinsicht ein spezielles Verhältnis zu diesem reichen Urwald und so verwundert uns sein Eintreten für ihn mit einem dramatischen Gemälde nicht.

Es gibt umfangreiche Möglichkeiten für den Touristen, den atlantischen Dschungel kennenzulernen, neben den oben schon beschriebenen innerhalb von Rio de Janeiro. Der einfachste Fall ist der, einfach im Auto von São Paulo an die Strände zu fahren – da kommt man automatisch durch den Regenwald am Abhang zum Meer. Es gibt aber auch Trekking-Touren, die man schon in Deutschland buchen kann oder auch direkt in Brasilien. Sie gehen vor allem durch das noch recht ansehnliche übriggebliebene Stück an der Grenze zwischen den Staaten São Paulo und Paraná und an der Küste von Paraná.

Ein Spektakel für jeden ist die Eisenbahnfahrt mit der Bahn von Curitiba (Hauptstadt des Bundestaates Paraná, südlich von São Paulo) nach Paranaguá am Meer, die den dortigen Steilabfall durch den Regenwald hinunter führt.

Wer es etwas beschaulicher haben will, kann einfach einen Strandurlaub in Ubatuba machen (Bundesstaat São Paulo), drei Autostunden von São Paulo, wo man noch für Preise in einer Pension (Pousada) unterkommen kann, die dem mit schweren Euro Angereisten auch fast noch paradiesisch vorkommen. Mit einem Leihauto unterwegs (der internationale Führerschein wird anerkannt, Leihauto ist auch billig) kann man von dort Strände in Richtung Parati besuchen, hinter denen unmittelbar der Regenwald beginnt und kann auch ein wenig hineingehen, wenn man will. Noch schöner sind Bootsausflüge (man bucht ein eigenes Boot mit Führer oder schreibt sich für einen Ausflug mit einem größeren Segelschiff ein), die einen zu Stränden bringen, die nur von See zugänglich sind. Man kann auch noch an ein paar Korallenriffen halten, falls jemand schnorcheln will.

Das schönste von allem aber, was die Mata Atlântica zu bieten hat, sind die Iguaçu-Wasserfälle. Über die soll später noch berichtet werden.


Heute also der 8. Teil der Brasilien-Reihe von Elmar Getto, hier vom Autor leicht redigiert. Diesmal geht es um die "Mata Atlântica".


Hier die Links zu allen Teilen der Reihe „Brasilien jenseits von Fussball und Samba“

- Teil 1: „Wie der Amazonas zu seinem Namen kam“

- Teil 2: ‚Menschenfresser-Country’

- Teil 3: „Ausgerottete Künstler“

- Teil 4: Niemeyer ist 100 – ‚Auf dem Höhepunkt des Schaffens’

- Teil 5: Brasilien und Gold

- Teil 6: Die Landschaften Brasiliens – Der Amazonas-Regenwald

- Teil 7: Brasilien und der Strom

- Teil 8: Die Landschaften Brasiliens – Mata Atlântica

- Teil 9: Santos Dumont und der erste Motorflug

- Teil 10: SIVAM – Big Brother in Amazonien

- Teil 11: Sprit aus nachwachsenden Rohstoffen

- Teil 12: Regenwaldvernichtung und Trockenheit im Amazonasgebiet

- Teil 13: Wie unsere Zukunft in der beginnenden kapitalistischen Barbarei aussähe – „Ich habe kein Leben“

Samstag, 16. August 2008

Wie lang und wie dick soll ein Phallus sein?

Ergebnisse einer Studie

Von Karl Weiss

Originalveröffentlichung

Für Männer immer ein Thema, aber auch für Frauen: Die Grösse des (menschlichen) Penis oder eigentlich in Wirklichkeit des Phallus, also des erigierten männlichen Gliedes. Eine Studie aus den USA mit einer grossen Zahl von Frauen hat diese dazu Aussagen machen lassen. Um es kurz zu machen: Eine recht grosse Spannweite von dünn zu dick und kurz zu lang führt bei den Antworten zum Resultat „zufriedenstellend“. Wenn es allerdings um die Frage „ideal“ geht, dann soll die Länge zwischen 17,8 und 20,9 cm betragen und die Dicke (Umfang an der dicksten Stelle) zwischen 15,9 und 16,5 cm.

Penis Size

Anscheinend wurde der Test mit Gummi- oder Plastik-Phallen durchgeführt, die man den Frauen zur Verfügung stellte und die sie in folgende Kategorien einteilen sollten:

- „ideal“
- „sehr angenehm, aber nicht ideal“
- „angenehm“
- „zufriedenstellend“
- „nicht zufriedenstellend“ (zu kurz, zu lang, zu dick, zu dünn)

Insgesamt fällt am Ergebnis auf: Bei der Länge ist die Breite der Akzeptanz als mindestens „zufriedenstellend“ bei den Frauen viel grösser als bei der Dicke bzw. Dünne.

Der Bereich der „zufriedenstellenden“ Phallus-Längen geht von 5 bis 11 inches, also von 12,7 cm bis 27,9 cm.

Dagegen ist der Bereich „zufriedenstellenden“ Phallus-Umfänge viel enger, nämlich von 4, 5 bis 7,25 inches, also von 11,4 cm bis 18,4 cm.

Riesen-Glieder von mehr als 28 cm Länge und/oder 18,4 cm Umfang werden also von Frauen keineswegs als angenehm empfunden. Das hängt meist unmittelbar mit Schmerzen zusammen, die da verursacht werden oder drohen. Alles, was unter 12,7 cm lang und/oder 11,4 cm umfänglich ist, gibt nicht genügend Fülle/Reibung und wird daher als nicht ausreichend angesehen.

Geht man nun zur nächsten Kategorie, jener der „angenehmen“ Ausmasse, so engt sich der Bereich bei beiden Masse bereits deutlich ein: Als „angenehm“ wird eine Länge von 5,5 bis 10 inches eingestuft, also von 14 cm bis 25 cm. Bei der Dicke geht es von 5,25 bis 7 inches, also von 13,5 cm bis 18 cm.

Im Gegensatz zu dem, was vielleicht Männer meinen, wird also ein extrem langer Phallus von den Frauen weniger gut beurteilt als ein immer noch langer, aber eben nicht so gigantischer.

Das gleiche gilt auch für die Dicke: Sehr dicke Phallen werden weniger gut beurteilt als immer noch, aber eben weniger extrem dicke.

Gehen wir nun zur zweitbesten Beurteilung: „sehr angenehm, aber nicht ideal“. In diese Kategorie fällt nach dieser Studie der Schwanz mit einer Länge von 6 bis 9 inches, also von 15,2 bis 22,8 cm und mit einem Umfang von 5,75 inches bis 6,75 inches, also von 14,6 cm bis 17,1 cm.

Schliesslich und endlich: Die höchste Kategorie „ideal“: Die „idealen“ Phallen liegen im Längenbereich von 7 bis 8,25 inches, also von 17,8 bis 20,9 cm und im Umfang zwischen 6,25 und 6,5 inches, also von 15,9 bis 16,5 cm.

Die Männer können sich also beruhigen. Auch ein typischerweise mit 12,7 cm als kurz empfundener Phallus wird von den Frauen noch als zufriedenstellend empfunden, ebenso wie ein üblicherweise für etwas dünn gehaltener mit 11,4 cm Umfang – und das, wenn Frauen ausschliesslich nach diesem Punkt befragt werden, was ja nicht realistisch ist, denn keine Frau wird einen Mann ausschliesslich nach diesem Kriterium beurteilen.

Ebenso kann man sich den Unsinn von Porno-Fotos und -Videos abschminken, in denen Monsterexemplare gezeigt werden und Frauen, die darauf wild seien. Nichts davon ist wahr. Ab bestimmten Super-Längen und Dicken wird die Beurteilung der Frauen in Wirklichkeit bereits schlechter, um dann bei mehr als 28 cm Länge und 18,4 cm Umfang in offene Ablehnung umzuschlagen.

Wir „normalen Durchschnittsmänner“ mit einem Ding im Bereich von zwischen etwa 13 und 17 cm Länge (das seien etwa 75% der gemessenen Längen) und von etwa 11,5 bis 14,5 cm Umfang (wiederum etwa 75%) sind absolut im Bereich, den die Frauen bevorzugen, in der Länge ragt das sogar weit in den Bereich „fast ideal“. Auch wenn die Frauen einen etwas dickeren als diese Standardmasse bevorzugen, sind wir immer noch im fast idealen, „angenehmen“ oder "zufriedenstellenden" Bereich.

Und, wer tatsächlich so ein Ding auszuweisen hat, das bei um die 18 oder 19 cm Länge und/oder um die 16,5 cm Umfang aufzuweisen hat, ist damit der Erfolg bei den Frauen garantiert? Natürlich nicht! Die eine, in die man sich bis über beide Ohren verliebt hat, wird ihn vielmehr wohl gar nicht zu sehen bekommen, denn sie erwiedert die Gefühle nicht und sieht keinen Grund, mit dem „well hung“ ins Bett zu gehen.

Andererseits, es hilft in manchen Fällen sicherlich, als kleine Zugabe auch noch ein Ding im Idealbereich zu haben.

Im übrigen hat es sich schon herumgesprochen, ein Paar kann sich auch prächtig und ausführlich vergnügen, ohne dazu überhaupt ein erigiertes Glied zu brauchen.


Wikipedia - Eregierter Penis 1
Kleiner bis mittlerer Penis, erigiert

Wikipedia Commons - Penis mit Skala
Penis, schlaff und erigiert, mit Skala

Wikipedia Commons - Erektion
Grosser Penis, erigiert

Zur Klarstellung ein Kommentar zu diesen Penis-Bildern

Ich bin mir bewusst, nicht alle meine Leser halten es für angebracht, solche Bilder im Blog zu veröffentlichen, manche mögen sogar empört sein.

Ich meine aber, sehr starke Argument zu haben, diese Bilder hier einzustellen:

1. In diesem Fall gehört es zum Thema. Dies ist u.a. auch ein Bilder-Blog. Ich bemühe mich, zu (fast) allen Themen Illustrationen zu bringen. Warum sollte ich nur hier damit aufhören?

2. Die Bilder stehen sowieso schon im Blog, sind also hier nichts Neues.

3. Ich habe diese Bilder ursprünglich ins Blog gestellt, weil ich dokumentieren wollte, welche Bilder - in diesem Fall in wikipedia und wkipedia-commons - im Internet frei und ohne jede Einschränkung zur Verfügung stehen, auch eventuell für Kinder. Ich stelle also hier nichts ins Internet, was da nicht längst steht - ohne jede Altersbeschränkung oder Vorwarnung.

4. Dem Argument, ich würde es unter Umständen für Kinder erleichtern, an solche Bilder zu kommen, kann ich entgegenhalten: Von der Thematik her ist mein Blog für Kinder nicht interessant. Dagegen braucht man nicht besonders helle zu sein, noch besonders erwachsen, um in wikipeda nachzusehen, wenn man etwas erfahren will.

5. Was Fragen des Geschmacks angeht, so kann man darüber streiten. Ich vertrete die Meinung, kein Teil des menschlichen Körpers kann uns fremd sein, kann hässlich an sich sein, kann "böse" sein oder muss unbedingt verborgen werden. Ich halte solche Meinungen sogar für schädlich: Wenn Geschlechtsteile mit einem Tabu belegt sind - und speziell der erigierte Penis - was sagt man damit über unsere Sexualität aus? Dass sie schlecht sei, böse, unschamhaft, unkeusch usw. Das ist für mich nicht akzeptabel.

Auch das manchmal vorgebrachte Argument von "unappetitlich" ist nicht zu halten. Millionen von Frauen (natürlich auch Männer) nehmen täglich auf dieser Erde ein solches Ding in den Mund und lecken und lutschen es ausführlich. Das soll unappetitlich sein?

6. Soweit die Ablehnung solcher Fotos im Blog auf religiösen Anschauungen beruht, will ich dem nicht entgegentreten. Niemand ist gezwungen, dies Blog zu lesen, diese Bilder anzusehen, meine Meinung zu teilen. Aber Religion ist und bleibt Privatsache.

Karl Weiss


Zusatz zum Artikel

Dieser Artikel wurde u.a. im "gegenhundforum" diskutiert, hier. Dort fand ich eine ergänzende Meinung von einer Frau. Auch wenn sie meint, ich sei frustriert und der Artikel Scheisse, so bestätigt sie doch eigentlich aus weiblicher Sicht den Inhalt. Ich will also meinen Lesern ihre Meinung nicht vorenthalten, auch wenn ich da nicht gut wegkomme:

"Der Typ ist frustriert und schreibt Scheisse. Mösen sind so unterschiedlich wie Augen, Nasen oder Titten. Oder eben Schwänze. Totaler Bullshit da sone Spastierhebung für nen allgemeinen Schwanzwunsch her zu fantasieren.

Für mich:
Ein Penis muss physisch 3 Dinge erfüllen.

Länge
a) rischtisch krass an meinen G-Punkt stoßen
b) auf keinen Fall an meine Gebärmutterpforte klopfen

Breite
c) mich breitentechnisch ausfüllen, ich will ja das Gefühl haben, gefickt und nicht gekitzelt zu werden

Ich hab schon mit Typen gepennt, da wäre ernsthaft jeder Ponyhengst neidisch geworden. Ist auch ganz geil, aber ganz rein geht natürlich nicht. Mit Minipischies habe ich es ebenfalls zu tun gehabt, das ist nichts für mich. Ich brauch schon nen rischtijen Schwanz. Sonst mach ich das lieber selber. Aber ich bin beim Sex auch sehr Zielorientiert. Guter Sex ist dauert bis die Wellen des Orgasmus wieder abgeklungen sind. Idealerweise ist er dann auch gekommen, sonst penn ich eben so ein."


Karl Weiss

Dienstag, 12. August 2008

Brasilien: Die Insel der Glückseligen?

Kommt aus Brasilien der Todesstoss für die Menschheit?

Von Karl Weiss

Während sich in vielen Ländern die Hiobsbotschaften überschlagen, die Industrieumsätze schrumpfen, der Konsum zusammenschrumpelt, die Arbeitslosigkeit ausbreitet, die Immobilienpreise zusammenfallen und gleichzeitig massive Preiserhöhungen bei Lebensmitteln und bei der Energie die Bürger kasteien, scheint Brasilien so etwas wie die Insel der Glückseligen zu sein.

Brasilien (topographisch)

Ein kräftiges Wirtschaftswachstum, das höchste seit drei Jahrzehnten, wird vom privaten und industriellen Inlandskonsum getragen, der wiederum auf einem deutlich gesteigerten Kreditvolumen beruht. Die Immobilienpreise steigen, der Autoabsatz boomt, die Lebensmittelpreissteigerungen sind geringer als anderswo und Benzin und Alkohol als Kraftstoffe sind kaum im Preis gestiegen.

Die International Herald Tribune schreibt in einem Artikel auf der Titelseite über Brasilien, das Land habe "überbordende Hoffnungen".

Tatsächlich sinkt die Zahl der Armen und der im Elend lebenden in Brasilien, nicht gewaltig, aber sie sinkt. Die expandierende Wirtschaft braucht mehr Arbeitskräfte, offizielle und inoffizielle Arbeitsplätze öffnen sich.

Der offizielle Mindestlohn, der allerdings keineswegs überall gezahlt wird, wurde drei Jahre in Folge deutlich über der Inflation erhöht und hat heute mit 415 Reais (etwa 170 Euro) den höchsten Stand in der Geschichte erreicht (in Dollar umgerechnet).

Bush und Lula in Brasilien

Präsident Lulas Anti-Hunger-Programm „Bolsa familia“ (Familien-Stipendium) funktioniert für Millionen im Land, wenn auch nicht überall. Pro Kopf erhält die arme Familie 60 Reais (etwa 20 bis 25 Euro) pro Monat. Das bekämpft den Hunger in deutlichem Masse, jedenfalls dort, wo das Geld bei den Bedürftigen ankommt. Lulas Popularität ist ungebrochen.

Der Real hat den höchsten Stand gegenüber dem Dollar seit der Mega-Abwertung unter Präsident Cardoso im Januar 1999 ereicht. Das bremst zwar die Exporte, aber die brechen trotzdem weiterhin Rekorde. Auf der anderen Seite verhindert das aber auch eine Inflation durch die stark gestiegenen Importe. Die hohe wirtschaftliche Aktivität erfordert deutliche Ausweitungs-Investitionen, die viel Geld kosten und zum grossem Teil importiert werden müssen. So verdoppelt zum Beispiel im Moment Fiat die Kapazität seiner Autofabrik im Grossraum Belo Horizonte annähernd, siehe hier. Das erfordert auch massive Investitionen bei hunderten von Zulieferern. Viele von diesen Maschinen- und Ausrüstungsinvestitionen gehen an deutsche Firmen.

Neben dem Mindestlohn und der ‚bolsa familia’ hat vor allem eine erleichterte Kreditvergabe zum Anstieg des Konsums beigetragen. In Brasilien waren bezahlbare Kreditkonditionen seit Jahrzehnten selten bis gar nicht zu haben. Der offizielle Zentralbank-Zinssatz, also der, zu dem sich die Banken refinanzieren können – der in den USA im Moment bei 2% liegt und in der EU zwischen drei und vier Prozent – ist in Brasilien momentan auf annähernd 13% festgelegt, der höchste Satz in der Welt.

Für Konsumentenkredite von den Banken ergibt das Werte von 25 bis 50 % Zinsen jährlich, da kann sich jeder ausrechnen, wie schwierig da jede Anschaffung wird. Muss man sein Konto überziehen oder seine Kreditkartenrechnung auf mehrere Monate verteilen, zahlt man bis zu 150% Zinsen!

Zuckerhut von der Botafogo-Bucht aus

Allerdings gibt es vom Staat gesponsorte Hypothekenkredite für Häuslebauer und Käufer von Eigentumswohnungen. Da kommt man auf etwa 13 % jährlich. Diese Kredite waren aber bisher mit relativ kurzen Laufzeiten versehen.

Nun haben die Banken in letzter Zeit begonen, diese Laufzeiten zu verlängern. Damit wurde die Bautätigkeit deutlich belebt, denn im Endeffekt kommt es ja für den Konsumenten auf die Höhe der Monatsraten an. Gleichzeitig zogen auch die Immobilienpreise an. Ein Bekannter des Berichterstatters konnte eine Eigentumswohnung, die er vor zwei Jahren für 80 000 Reais erstanden hatte, nach eineinhalb Jahren für 113 000 Reais verkaufen.

Es werden in beträchtlichem Masse einfache und kleine Eigentumswohnungen gebaut. Man stelle sich vor, hier in Belo Horizonte hat ein Bauträger 3-Zimmer-Winzwohnungen in ungünstiger Lage für eine Monatsrate von 99 Reais angeboten (etwa 40 Euro). Wer will da noch in Miete leben?

Auch die Autofirmen haben sich billigeres Geld im Ausland beschafft und boten den Käufern von Neuwagen Kredite an, die ebenfalls auf etwa 13% Zinsen im Jahr hinauslaufen. Auch die Banken der Autofirmen bzw. jene, mit denen diese zusammenarbeiten, sind vor zwei Jahren auf die Idee gekommen, die Laufzeiten für Autokredite, die nie mehr als drei Jahre betrugen, auf vier, fünf, sechs und sogar sieben Jahre auszuweiten.



Das senkt die Monatsraten und führte zu einem Boom von Autokäufen, was die ganze Wirtschaft ankurbelte. Ein anderer Bekannter des Berichterstatters konnte daher auch einen neuen VW Gol kaufen und die Raten auf 5 Jahre verteilen, siehe diesen Artikel dazu.

Auch die Einzelhandelsfirmen, die Elektro-Elektronik-Artikel verkaufen, erleichterten das Kaufen auf Pump: Wer eine Kreditkarte hat – und damit als relativ solide gilt – kann in der Regel den Kaufpreis auf 12 Monate verteilen, wobei die Zinsen bereits im Verkaufspreis eingerechnet sind. „Alles in zwölf mal ohne Zinsen auf Karte“ ist der Werbespruch der Aktualität in Brasilien. Auch das führte zu einem Absatz-Anstieg, z. B von Fernsehern mit grösserem Bildschirm oder LCD-Fernsehern, von Foto-Handys, von Laptops usw., aber auch Kabelfernsehanschluss, Internet-Breitbandanschluss und ähnliches können sich jetzt mehr leisten. Manche Familien können sich zum ersten Mal eine Waschmaschine kaufen. Die Kreditmenge in Brasilien, die vorher weit unter den Werten anderer Länder lag, hat sich mehr als vervierfacht.

Da aber auch die Zahl der Arbeitsplätze gestiegen ist und in einigen Branchen echte Lohnerhöhungen vereinbart wurden – wie auch im Staatsdienst nach langen Jahren wieder -, hat dieses gestiegene Kreditvolumen – bisher jedenfalls – noch nicht dazu geführt, dass der Prozentsatz geplatzter Kredite angestiegen wäre.

Während also andere Länder in die Wirtschaftskrise rutschen oder schon drin sind, scheint sich Brasilien am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen – auch die Wachstumsrate von Indien beruht auf internem Konsum, nur in untergeordneter Weise auf Exporten. Das funktioniert natürlich nur, wenn ein grosser Nachholbedarf entsteht, so wie auch beim deutschen Wirtschaftswunder in den 50er- und 60er Jahren. Der USA steht dieses Mittel nicht zur Verfügung, denn dort war bereits ein wesentlicher Teil der Bevölkerung auf einem hohem Niveau des Konsums.

Die Lebensmittelpreiserhöhungen kamen auch in Brasilien an, aber in deutlich geringerem Masse als in anderen Ländern, weil man nur begrenzt Lebensmittel einführt, sondern den grössten Teil im eigenen Land herstellt.

Treibstoffpreise Brasilien
Treibstoffpreise Brasilien Juli 08
Hier der Vergleich der Treibstoffpreise an der gleichen Tankstelle (eine der billigen freien). Im oberen Bild aufgenommen im Juli 2007, im unteren im Juli 2008. Man sieht, die Preise für Benzin (Gasolina) und Alkohol (Álcool) sind im gleichen Bereich (stiegen jetzt im August auch etwas), nur der Dieselpreis hat sich drastisch erhöht. Zum Vergleich: Die Preise aus 2007, die heute in etwa wieder die gleichen sind, ergeben umgerechnet 0,88 Euro für Benzin und 0,54 Euro für Alkohol (Die Bezeichnung comum heisst "normal")

Auch die Benzinpreissteigerungen sind hier nicht oder jedenfalls weit geringer angekommen als in anderen Ländern. Das hat einen einfachen Grund: Hier herrschen nicht die Ölmultis, sondern die halbstaatliche Petrobras, in der immer noch die Regierung das sagen hat. Lula liess die Petrobras seit 2005 keine Benzinpreiserhöhungen mehr durchführen bzw. konterkarierte Erhöhungen mit Steuersenkungen und so scheint in dieser Hinsicht wirklich eine Art von Insel der Glückseligen zu bestehen. Die Alkoholpreise müssen sich an den Benzinpreisen orientieren, sonst wechseln die Leute wieder zurück zum Benzin, steigen also auch nicht. Die Autos, die sich heute verkaufen, sind durchweg "flex", d.h. sie vertragen Benzin und Alkohol und jede Mischung davon.

Allerdings: Dies gilt gilt nicht für Diesel. Das ist, so wie in anderen Ländern, teurer geworden, und zwar kräftig. Allerdings gibt es in Brasilien keine Pkw mit Dieselmotor. Durch die Diesel-Preiserhöhungen wird aber der ganze Transport teurer (es gibt ja fast keine Eisenbahnen) und die Inflation angeheizt.

Indien und Brasilien haben gute Chancen, relativ ungerupft aus der Weltwirtschaftskrise hervorzugehen, während China wohl deutlich von ihr betroffen sein wird, denn seine Exporte werden schwere Einbrüche erleben und die Dollarreserven werden an Wert verlieren.

In Brasilien gibt es aber noch weitere günstige Umstände: Es ist das Land mit den grössten Eisenerz-Exporten und Eisenerz ist in den letzten Jahren über 150% im Preis gestiegen. In Zukunft wird aber Stahl und Stahlhalbzeug einen ständig steigenden Teil des Exports ausmachen.

Es sind nämlich riesige Stahlwerke im Bau in Brasilien: Hier im Bundeststaat Minas Gerais ist es das Stahlwerk Usiminas, das noch in brasilianischem Streubesitz ist, das seine Kapazität fast verdoppeln wird, während im Staat Rio de Janeiro gleich hinter der Rio-Stadtgrenze unmittelbar nebeneinander im Hafen von Sepetiba zwei neue Stahlwerke gebaut werden, jedes von ihnen mit Investitionen im Endausbau von etwa 9 Milliarden Dollar, eines von der deutschen Thyssen-Krupp, das andere von der einheimischen CSN. Beide werden im Endausbau an die 10 000 Menschen beschäftigen.

Diese beiden zukünftigen Verbraucher von Eisenerz sind so gewaltig, dass man im Moment ernsthaft erwägt, ein Förderband von etwa 450 km Länge von hier aus der Region Belo Horizonte, wo die grossen Eisenerzlager sind, zur Küste nach Rio de Janeiro zu bauen.

Der zweite Rohstoff, den man zur Stahlherstellung braucht, die Kohle, wird dort direkt von Schiffen aus dem billigsten Anbieterland angeliefert.

Logo Petrobras

Aber das ist noch nicht alles: Zusätzlich hat die halbstaatliche brasilianische Ölgesellschaft Petrobras vor der brasilianischen Küste bedeutende Felder von Erdgas und Erdöl gefunden, die allerdings unter mehreren tausend Metern Wassertiefe und zusätzlich weiteren Tausenden von Metern Gestein liegen, siehe hierzu auch diesen Artikel.

Erdöl 1

Ein wesentlicher Teil dieses Öls und Gases wird bis etwa 2015, 2020 gefördert werden können, dazu auch das Öl aus einem kleineren Feld in flacherem Wasser, das aber eine hochbezahlte leichte Sorte ist. Diese Funde liegen im wesentlichen im Meer vor der Küste von Rio de Janeiro.

Wenn Rio sich demnächst um die Olympischen Spiele 2016 bewerben wird – und das hat man ernsthaft vor -, dann wird für jenes Jahr eine vollkommen verschiedene Stadt Kandidat sein als jenes Rio de Janeiro, in dem der Berichterstatter in den ersten Jahren des Jahrtausends lebte. Statt der Welthauptstadt der Kriminalität und des Sex-Tourismus, blendend schön, aber auch abgrundtief hässlich, wird sich dann eine der grossen Weltmetropolen des Erdöls und der Stahlindstrie präsentieren.

Rio de Janeiro, Zuckerhut und Corcovado von Niteroi aus

Brasilien wird dann ein beachtlicher Spieler im Karussel der Ölhersteller und –exporteure sein. Neben den beträchtlichen Einnahmen aus dem Verkauf von Eisenerz, Stahl und Stahlhalbzeug wird man dann auch jene aus dem Verkauf von Erdgas, Rohöl und dessen Produkten haben, ähnlich dem heutigen Russland.
In Planung sind auch zwei riesige neue Raffinerien zur Verarbeitung des Ölreichtums.

Doch das Wort von der Insel der Glückseligen ist trotzdem nicht angebracht. Brasilien hat alle jene hässlichen und unangenehmen Seiten nicht verloren, die einen hier oft fast verzweifeln lassen. Es ist weiterhin ein Land der extremen Ungleichheiten, denn die Reichen und Superreichen profitieren von diesem Boom natürlich weit stärker als das einfache Volk, ist weiterhin das Land der korrupten Politiker, ist weiterhin nicht einmal ansatzweise eine Demokratie, sondern wird von einer korrupten Oligarchie regiert, hat weiterhin kein akzeptables Fernsehprogramm (das hat es mit Deutschland gemein), die Löhne sind weiterhin zu niedrig, das Gesundheitswesen ist weiterhin ein einziges Desaster, die Polizei ist genau so gefährlich wie die Kriminellen, das Schul-, Hochschul- und Erziehungssystem ist katastrophal schlecht – und das zunehmend -, auch wenn es dort gute Nischen gibt, die Lehrer werden weiter bezahlt, dass es eine Schande ist, das Justizsystem ist eine Lachplatte, in den ländlichen Bereichen herrschen weiterhin die Grossgrundbesitzer wie Götter, werden Kleinbauern vertrieben, wird beliebig gemordet und das Land gestohlen.

Weiterhin ist Brasilien eine Doppelherrschaft der Regierung einerseits und von Verbrecherbanden und kriminellen Organisationen auf der anderen, die ganze Gebiete beherrschen, vor allem in den Grossstädten und die Regierung zu Vereinbarungen und Stillhalteabkommen zu zwingen verstehen.

Regenwald-Abholzung Brasilien

Vor allem aber vernichtet Brasilien den Amazonas-Regenwald, ungebremst und sogar zunehmend, ohne dass irgendwelche ernsthaften Massnahmen dagegen unternommen werden, weil die Politik nichts unternehmen will, auch gar nicht kann, denn sie kann nicht gegen die Oligarchie regieren. Die müsste zuerst abgelöst werden, aber das will die Politik nicht, im Gegenteil, die Politik ist eben gerade im wesentlichen die Oligarchie.

Brasilien: Soja-Pflanzungen auf Regenwald-Gelände

Diese Regenwaldvernichtung wird, wenn sie nicht gebremst wird, in absehbarer Zeit zur Versteppung oder sogar Verwüstung des ganzen Amazonasgebietes führen und dies wird die bereits beginnende Klimakatastrophe so beschleunigen, dass es kein zurück mehr geben wird. Das Ende der Menschheit, wie wir sie kennen, wird dann abzusehen sein.

Globale Erwärmung

So kann es sein, dass gerade die scheinbare „Insel der Glückseligen“ den entscheidenden Anstoss zum Ende der Menschheit gibt, wie wir sie kennen. Es wird höchste Zeit, dass wir diesem System den Garaus machen!


Veröffentlicht am 12. August 2008 in der Berliner Umschau


Originalveröffentlichung

Montag, 11. August 2008

Kriege sind angesagt – Pandoras Büchse wurde geöffnet

Zum Ossetien-Krieg

Von Karl Weiss

Wen der Ausbruch des Ossetien-Krieges überrascht hat, der hat die Geschehnisse im Osten und Süden Europas nicht verfolgt. Man hätte vielmehr Wetten darauf abschließen können, es würde hier bald krachen, sei es Ossetien, sei es Berg-Karabach, Transnistrien oder Abchasien oder andere Konflikte, die vom „Westen“ und von Russland bewusst am Köcheln gehalten werden, um Vorwände zu Kriegen zu haben.

Gebäude in Gori nach russischem Luftangriff

Liest man „westliche“ Medien, so hat Russland Georgien überfallen. Hier Originalton „Süddeutsche“: „Russland will Krieg (...) schickt Panzer und Luftlandetruppen, es bombardiert, (...) Das ist eine geradezu freche Verhöhnung des kleinen und militärisch weit unterlegenen Nachbarn, die ihre Steigerung erfährt mit der Bombardierung georgischer Infrastruktur jenseits des süd-ossetischen Gebietes. Russland sucht eine frontale Konfrontation mit Georgien. Die russische Zielstrebigkeit, auch zu sehen an den Bombardements in der Zwillings-Konfliktzone Abchasien, deutet darauf hin, dass Moskau auf die Gelegenheit gewartet hat, seinen Machtanspruch in der Region militärisch zu demonstrieren."

Das ist wirklich eine geradezu freche Verhöhnung der Intelligenz des deutschen Lesers. So frech zu lügen – und noch im Ton der Empörung, das ist schon fast gekonnt – aber in jedem Krieg ist die Wahrheit eben das erste Opfer. Um zum Opfer zu werden, hätte sie vorher allerdings am Leben zu sein – und das kann man bei der „Süddeutschen“ nun wirklich nicht sagen.

Der gleiche Kommentator muss in seinem Artikel zugeben: „Jetzt ist der Moment gekommen, wo der Westen die russische Antwort auf seine strategischen Ziele erhält.“ Was denn nun, hat Russland angegriffen oder antwortet es nur auf die strategischen Ziele des „Westens“, sprich der USA und allen in ihrem Hintern.

Diese strategischen Ziele stehen seit der Auflösung der Sowjetunion jedem "westlichen" Politiker in Verantwortung auf der Stirn geschrieben: Alle ehemaligen SU-Staaten (ausser Russland) in den Korb der USA! Völlige Einkreisung Russlands!

Im Grunde ist damit klar: Der „Westen“ ist es, der hier sein Spiel spielt und Russland reagiert, so gut es kann. Wer also nun Russland den schwarzen Peter zuschieben will, hat böse Absichten.

Nun ist Russland natürlich keineswegs ein armer, verfolgter Waisenknabe. Man hat die ganze Zeit nach der Auflösung der Sowjetunion die Fälle Süd-Ossetien, Abchasien, Berg-Karabach, Transnistrien und weitere offen gehalten, um Vorwände zu haben.

Bleibt aber trotzdem die Frage, wer hat den jetzigen konkreten Konflikt ausgelöst. Das weiss jeder, es stand nämlich in allen Zeitungen: Beim kürzlichen NATO-Gipfel wurde Georgien zugesagt, es werde in die NATO aufgenommen werden, aber erst, wenn es die „eingefrorenen Konflikte“ löst, sprich seine Oberhoheit über Süd-Ossetien und Abchasien wieder herstellt. Das ist gleichbedeutend damit, dass die USA Georgien zum Angriff aufgerufen haben und Georgien gehorcht hat.

Präsident Saakashivili, ausgebildet in den USA und nichts weiter als ein US-Statthalter, hat seinen Wahlkampf mit dem Versprechen geführt, die abtrünnigen Provinzen Süd-Ossetien und Abchasien zurückzuerobern. Es ist also klar, von wo die Initiative ausging, wer den Krieg begann und auf wessen Anweisung.

Wenn nun berichtet wird, US-Aussenministerin Rice habe Russland aufgefordert, die Souveränität Georgiens und sein Staatsgebiet zu respektieren, so ist das bestenfalls eine Lachplatte von den grossen Respektierern der Souveränität anderer Länder und deren Staatsgebiete wie Afghanistans und des Iraks.

Speziell aber geht es um die Respektierung der Souveränität Jugoslawiens. Was? Was hat denn ein Land, das es schon lange nicht mehr gibt, hiermit zu tun? Nun, in Jugoslawien wurde die Büchse der Pandora geöffnet – und mit der Anerkennung des Kosovo als eigenem Staat noch ein zweites Mal.

Bis zu jenem Zeitpunkt in den Jahren 1991/92 nämlich war das internationale Recht klar und wurde von allen Staaten auf der Welt anerkannt und eingehalten: Die nach dem ersten und dann später dem zweiten Weltkrieg und der Entkolonialisierung festgelegten Grenzen und Staatsgebiete sind SACROSANCT, unantastbar, unwiderruflich.

Obwohl es in vielen Ländern Revisions-Begehren gab, davon eine Anzahl extrem berechtigt, wurden keine Ausnahmen gemacht. Man denke nur an die absurden Staatsgebilde, die sich in Afrika bildeten und keinerlei Stammes- und Volksgrenzen respektierten. Man denke nur an die Kurden, die bereits feste Zusagen auf einen eigenen Staat hatten und dann „vergessen“ wurden und bis heute als Fremdkörper in vier verschiedenen Ländern leben müssen, immer neue Ursache von Konflikten.

Kurdistan

Nur wenn der Staat selbst zugestand, eine Abspaltung oder ein Übergang in einen anderen Staat könne mit einer Volksabstimmung geschehen, wurde dies geduldet, wie im Falle des Saarlands, das an Deutschland ging oder im Fall der Tschechoslowakei, die sich in die Tschechische und Slowakische Republik aufspaltete.

Warum solch strenge Regeln? Weil sonst die Büchse der Pandora geöffnet wird und jeder Hinterhof seinen eigenen Staat aufmachen will.Wenn erst einmal Ausnahmen gemacht werden, wird die Separatitis ausbrechen und jeder Ex-Stamm wird seinen eigenen Staat haben wollen, ganz zu schweigen von den Unterabteilungen der Ex-Stämme. Wenn man diese Tür öffnet, dann wird bald nicht nur Oberbayern, sondern auch Niederbayern einen eigenen Staat haben wollen – symbolisch gesprochen.

Und doch, genau dies trat ein: Unter Führung der deutschen Bundesregierung Kohl und mit persönlicher Verantwortung des Aussenministers Genscher beschloss die EU 1991/1992, im Fall Jugoslawien eine Ausnahmen zu machen und die Separation der Teilrepubliken durch Anerkennung der wesentlichen Staaten der EU zu unterstützen. Innerhalb von kurzer Zeit hatten Slovenien, Kroatien, und Bosnien-Herzegowina Volksabstimmungen durchgeführt, ihren eigenen Staat gegründet und waren durch die EU anerkannt worden (Später folgten – ohne Kriege - auch Mazedonien und Montenegro). Am 25.Januar 1992 erkannte die EU (damals noch EG) Slowenien und Kroatien an, am 6. April des gleichen Jahres die Unabhängigkeit von Bosnien-Herzegowina.

Bevölkerungsgruppen in Jugoslawien 1991

Die Büchse der Pandora war geöffnet worden und jahrelange Kriege zwischen Serbien, das sich weiterhin (völlig berechtigt) als jugoslawischer Gesamtstaat ansah und den Teilprovinzen waren die Folge.

Ein weiteres Mal war die deutsche Regierung hauptverantwortlich für Kriege in Europa. Hauptgrund war der jugoslawische Präsident Milosevic, der sich einfach nicht dem „Westen“ und der EU unterordnen wollte.

Man versuchte dann, um von diesen Tatsachen abzulenken, die Serben als die Bösewichte darzustellen, die einzigen, die in den Kriegen nach ethnischen Kriterien Massaker und Massenvergewaltigungen begingen und Konzentrationslager einrichteten und als Hauptbösewicht den rechtmässig gewählten jugoslawischen Präsidenten Milosevic. In Wirklichkeit wurden `ethnische Säuberungen` und Massenvergewaltigungen von allen Kriegsparteien durchgeführt, die Bosnier brachten es sogar ferig, sich die Dienste von Osama Bin Laden zu sichern, um Terrorakte gegen Gegner durchzuführen, wie beim Prozess gegen Milosevic in Den Haag herauskam (eine Zeugin berichtete dort, sie habe Bin Laden zusammen mit dem US-Beauftragten ins Büro des damaligen bosnischen Präsidenten Izetbegovic gehen sehen; damals hatte die US-Regierung keinerlei Probleme, sichtbar mit Osama Bin Laden zusammenzuarbeiten).

Schliesslich liess man dann, als man Milosevic immer noch nicht hatte ablösen können, auch noch die faschistischen albanischen Truppen in den Kosovo einmarschieren, bescheinigte der Reaktion von Milosevic darauf, eine Agression zu sein, bombardierte Serbien in die Steinzeit zurück und hatte sich mit dem Kosovo nun ein weiteres Problem aufgeladen.

Kosovo

Es musste bis 2008 dauern, bis man nun zum zweien Mal die Büchse der Pandora öffnete, damit auch alle merken, sie ist offen: Man erkannte auf Druck der albanischen Faschisten eine formale Unabhängigkeitserklärung des Kosovo an, obwohl alle vernünftig denkenden Menschen auf der Welt, darunter die spanische und griechische Regierung, davon dringend abrieten – aus oben genannten Gründen.

Die russische Regierung warnte in dramatischen Worten, dies nicht zu tun und erinnerte an die Fälle von Süd-Ossetien, Abchasien, Transnistrien, Berg-Karabach und weitere, aber man nahm diese zukünftigen Kriege billigend in Kauf oder wollte sie sogar.

In diesem Artikel wird dazu berichtet:
„Doch die Strategen in Washington, Brüssel und Berlin wollten nicht hören. „Wir müssen zu Ende bringen, was wir mit der Anerkennung Sloweniens, Kroatiens, Bosniens und Mazedoniens begonnen haben, auch der Kosovo muss unabhängig werden.“ Es geht darum, auf keinen Fall wieder die Hoffnung auf eine friedliche Welt aufkommen zu lassen, immer genügend Spannungen zu schaffen, wegen denen man ständig mit Terrorismus rechnen und daher alle bürgerliche Rechte abbauen muss.“

Was geschehen war? In jenen Jahren 1991/92 wurde nicht nur die wichtigste Grundregel des Völkerrechts ein für alle Mal dem Schlund des Vergessens anheimgegeben, nein, es wurde auch formal die Sowjetunion aufgelöst. Und da enstanden einige neue Konkflikte. Es gabe nämlich Regionen in mehreren sowjetischen Teilrepubliken, die sich nun als selbständige Staaten installierten, die hauptsächlich von Russen bewohnt waren.

Das machte keinen Unterschied, solange man in der Sowjetunion war, in der die Russen sowieso dominierten, aber einen riesigen Unterschied, wenn man sich plötzlich in einem unabhängigen Staat Georgien, Moldawien, Aserbeidschan, Estland oder anderen eingliedern sollte. So beschloss man denn in manchen Landesteilen, sich nun seinerseits von der Teilrepublik loszusagen und so entstanden die „autonomen Gebiete“ wie Berg-Karabach, das zu Aserbeidschan zugehörig angesehen wird, Süd-Ossetien und Abchasien als Teile von Georgien, Transnistrien, das nicht zu Moldawien gehören will und andere, ebenso wie ethnische Konflikte, wie in Estland.

Das wurde damals vielleicht sogar belächelt, war aber in Wirklichkeit brisant, denn die Büchse war ja offen. Nun hat sich bestätigt, warum die Regeln so streng waren und hätten eingehalten werden müssen. Der Ossetien-Krieg ist nach den jugoslawischen Teilungskriegen bereits der fünfte, den die deutsche Bundesregierung im speziellen und „der Westen“ im allgemeinen mit auf dem Gewissen haben.

Wenn „westliche“ Regierungen die Todesopfer bedauern, ist das Heuchelei. Sie sind wesentliche Mittäter.


Veröffentlicht am 11. August 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung


Zusatz zum Artikel

Also ich will ja nicht angeben, aber dies habe ich im Forum des FDP-Bundesverbandes gefunden:

http://forum.fdp-bundesverband.de/read.php?4,1079952,1080941

"Re: Krieg in Georgien
geschrieben von: steiner (IP gespeichert)
erstellt am: 12. August 2008 02:40


Der gute Karl Weiss hat die Entwicklung schon am 17.02.2008 vorausgesagt:

[Link zum oben im Artikel zitierten Artikel vom 17.2.08]

Er scheint wirklich Ahnung zu haben wovon er schreibt.

Steiner"

Das wurde im Zusammenhang der Diskussion über den Ossetien-Krieg geschrieben.

Oder sollte ich, statt stolz zu sein, besorgt sein, was ich falsch gemacht habe, wenn mich ein FDP-ler lobt?

Nun, ich habe es wirklich vorausgesagt - und es müssen ja nicht unbedingt alle in der FDP ein Brett vor dem Kopf haben, nicht?

Und da gibt es auch noch einen anderen, der die beiden einschlägigen Artikel in einen gemeinsamen Zusammenang stellt, im 'Freigeistforum':

http://www.freigeister-forum.de/phpBB2/viewtopic.php?t=2744&postdays=0&postorder=asc&start=30

"siar

geistige Leuchte

Anmeldungsdatum: 15.11.2005
Beiträge: 731

Verfasst am: 12.08.2008 04:01

Ich habe zwei interessante Kommentare gefunden, einer vom 17.02.2008 und einer von heute:

http://karlweiss.twoday.net/stories/4715451/
http://karlweiss.twoday.net/

Der Junge scheint ein kluges Köpfchen zu haben. Auf alle Fälle ist er jetzt erst mal bei meinen Favoriten.

bearnie besonders für Dich dürfte das interessant sein, da wird noch mal der Krieg in Serbien ein wenig aufgeschlüsselt.

Grüße

siar "

Also, die Freigeister sind mir denn doch irgendwie lieber als die FDP - und an "siar" einen Gruss vom klugen Köpfchen.

Karl Weiss

Karl Weiss - Journalismus

Bürger-Journalist - Nachrichten-, Politik-, Brasilien- und Bilder-Blog

Willkommen / Impressum

Willkommen im Weblog Karl Weiss - Journalismus.
Der Weblog Karl Weiss - Journalismus ist umgezogen. neue Adresse: www.karl-weiss-journalismus.de
IMPRESSUM
Ich bin zu erreichen über weiss.karl@ rocketmail.com
Ich wünsche also allen (und mir) viel Spaß (und Ernst) mit diesem Blog.
Karl Weiss, Belo Horizonte, Brasilien

Artikel und Dossier der Woche

Artikel der Woche "CDU: Kein Anspruch mehr auf Demokratie und soziale Marktwirtschaft" Da wurde es von Frau Merkel vorhergesagt

Dossier der Woche "Dossier Klimakatastrophe" 10 Fragen und Antworten zur Klimakatastrophe

Suche

 

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Israel und der Konflikt...
ICH FRAGE MICH WARUM DIE JUDEN SO BRUTAL GEGEN DIE...
mik4777 - 30. Jan, 20:32
Abscheulich!!!
Wie man überhaupt im Ansatz auf den Gedanken kommen...
david3371 - 3. Okt, 19:02
Der Vatikan schützt die...
Sehr geehrter Herr Weiss, der Vatikan k a n n die...
MoMa - 6. Jan, 10:28
Fünf Jahre ist das jetzt...
Fünf Jahre ist das jetzt her!!! Die eine Immobilienkrise...
girico - 6. Mär, 13:34
Ich teile nicht diese...
Ein führender Landespolitiker oder ein wichtiger Geschäftsmann...
Nonkonformer - 21. Sep, 23:42

Status

Online seit 7014 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:09

Credits

Archiv

September 2025
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
 
 
 
 
 
 
 
 

Alle Links in Popups öffnen

alle Links auf der aktuellen Seite in einem neuen Fenster öffnen 

Zufallsbild

ambulancehit

kostenloser Counter

Blogverzeichnis - Blog Verzeichnis bloggerei.de

AbbauRechte
AlternativPolitik
Brasilien
Deutschland
Fussball
Imperialismus
InternetundMeinungsfreiheit
Lateinamerika
Medien
NaherOsten
Oekonomie
Sozialabbau
Umwelt
Willkommen
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren