Rütli - Ausgrenzung statt Integration
Von Karl Weiss
Dieser Artikel hat lange Dikussionen im Forum hervorgerufen. Er geht die Frage der Erscheinung von Schulen, die "aus der Hand laufen", von grundsätzlicher Seite an. Er erschien am 7. April 2006 in der "Berliner Umschau".
Es verschlägt einem die Sprache, wer alles auf der Situation an der Rütli-Schule in Berlin-Neukölln sein Süppchen kochen will: Die SPD, die Grünen, die CDU/CSU und Horden von Besserwissern in Redaktionsstuben. Alle sagen: Da seht ihr, ich habe es doch immer gesagt! Interessanterweise sind es also im wesentlichen genau jene, die das hiesige System dahin gebracht haben, wo es heute steht und Rütli-Schulen hervorbringt.
Jede dieser Gruppen hat einen Hauptgrund entdeckt, warum es soweit gekommen ist und reden gar nicht mehr darüber, ob ihr „Hauptgrund" eigentlich wirklich der Grund ist, sondern gehen gleich dazu über, wie man denn abhelfen könnte.
Nun, alle diese Gruppen waren in den letzten zig Jahren ausreichend an der Regierung, um alle ihre Rezepte umfangreich anzuwenden, so daß es gar nicht zu Rütli-Verhältnissen hätte kommen müssen. Warum haben sie sie nicht angewandt? Und wenn doch, warum hat es nicht geholfen?
Da sich alle uneins sind, was denn der Hauptgrund ist, reden sie auch konsequent aneinander vorbei, wenn es um die Abhilfe geht. Sie merken gar nicht mehr, daß es immer deutlicher wird, daß sie nur Luftblasen von sich geben, daß sie nicht miteinander, sondern durcheinander reden und daß langsam auch der Letzte merkt, es geht ihnen gar nicht um die Schule im allgemeinen, nicht um die konkrete Rütli-Schule, nicht um die Lehrer, nicht um die Erziehung, es geht ihnen darum, vom wirklichen Hauptgrund abzulenken.
Nun, gehen wir also in die Details: Da gibt es die eine Gruppe, die weiß genau, was solche Zustände hervorgebracht hat: „Die permissive Gesellschaft", „ein neuer Lehrertyp(...), der sozialintegrative und partnerschaftliche Typ, der von Lehrerbildungsanstalten vom Frontalunterricht auf Gruppenarbeit, von Pauken auf Problembewältigung und von Tafel und Kreide auf Medienarbeit umgepolt worden war." „ ...das Erbe der 68er..." „Kuschelpädagogen" (alle Zitate aus „Regelschule..." von R. Maresch, ‚telepolis’, 3.4.06)
Unter „permissiver Gesellschaft" versteht man eine, die alles erlaubt, keine Verbote kennt.
Das ist also eine der „Hauptursachen", die ausgemacht wurden und was man schon immer gesagt hatte: „Die 68er!"
Logischerweise muß man also nach Meinung dieser Schlauberger von Gruppenarbeit wieder auf Frontalunterricht, von Medienarbeit wieder zu Tafel und Kreide übergehen. Doch man hat noch mehr Vorschläge. Weitere Zitate aus dem genannten Artikel: „Einführung und Einhaltung strikter Verbote, die von ‚Null Toleranz’-Strategien begleitet und unterstützt werden"; „latente Störer oder Täter ... nicht mehr nur für ein paar Tage vom Unterricht auszuschließen, .... [sondern] die Schulpflicht eines Vierzehnjährigen ganz beende[n] und die Berufsschulpflicht aus{ge}setz[en] ..."; „Ausgrenzung statt Integration [sic!] muß auch eine Devise sein. Entzug der Schulpflicht ..."
Diese Gruppe von Schlaumeiern hat erkannt, daß die Lage aussichtslos ist, also laßt sie uns durch Gefängnis-Bauen lösen. Was das mit Gefängnis-Bauen zu tun hat? Nun, all dies hat in den USA schon viel früher stattgefunden und man hat deshalb ausführliche Erfahrungen damit. In den USA gab es bereits Anfang der Siebziger Jahre dutzendweise solche Schulen und zum Teil weit schlimmere.
Hmmmm, da konnten ja wohl noch keine 68er Lehrer gewesen sein. Wie kommt es, daß ein einfacher Blick über die Landesgrenzen bereits die Hauptursache „die 68er" ad absurdum führt? Weiter unten wollen wir darauf zu sprechen kommen, was die wirklichen Gründe sind.
In jenen Schulen in den USA, die in Schwarzen-Slums oder in ihrer Nähe mit einer hohem Anteil von Schülern von dort gelegen waren, gab es noch ganz andere Vorkommnisse. Viele Schüler erschienen mit Waffen in der Schule. Lehrer und andere Schüler wurden mit Schußwaffen und Messern bedroht. Regelmässig wurden Schüler und Lehrer krankenhausreif geschlagen. Solche Schulen wurde Haupt-Drogenumschlagplatz. Von Zeit zu Zeit gab es auch ungeklärte Morde. Praktisch niemand mehr fiel durch, denn man ließ schon mal einen Schulleiter in die Mündung einer Waffe blicken, um zum Abschluß zu kommen. Dagegen ist Rütli noch ein freundlicher Kindergarten.
Nun, unser Artikelschreiber in ‚telepolis’ weiß genau, wie sich die Amis dieses Problems erledigt haben. Er hat diese Kenntnis nicht offenbart, um uns mit originalen Ideen zu beeindrucken, aber das ist schief gegangen. Hätte er nämlich gesagt, daß er diese Ideen aus den USA hat, dann wäre bereits klar gewesen, daß es nicht „die 68er" gewesen sein konnten, die jene Ursache darstellten.
Tatsächlich hat man dann in den USA nicht nur angefangen, die öffentlichen Schulen mit Metalldetektoren auszustatten, sondern auch alle „Störer und Täter" („latente" nicht, sondern die offensichtlichen) aus den Schulen geschmissen und sie damit auf den direkten Weg in die Kriminalität gebracht.
Gegen die ansteigende Kriminalität hat man dann anschliessend ein neues Patentrezept entwickelt: Alle, selbst kleine Taten, wurden mit massivsten Gefängnisstrafen belegt und die Zustände in den Gefängnissen zu wahren Höllen auf Erden gewandelt. Heute sind über 1% der männlichen Schwarzen in den USA im Gefängnis, das ist etwa die hundertfache Quote von der einer Durchschnitts-Bevölkerung eines durchschnittlichen europäischen Landes.
Man mußte daher massiv Gefängnisse bauen - aber das reichte bei weitem nicht. Heute sind die Gefängnisse in den USA rettungslos überbelegt. In ein Gefängnis, das für 400 Gefangene ausgelegt war, werden etwa 1000 Betroffene gepfercht. In winzigen Zellen hausen eine große Anzahl von Personen. Gewaltakte und homosexuelle Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung. Das geht soweit, daß dies bereits medienbekannt ist. Am Ende eines typischen Hollywood-Filmes, in dem die guten Polizisten am Ende die bösen Gangster im Gefängnis abliefern, hört man sie jenen bereits ankündigen, daß sie hier homosexuell vergewaltigt würden.
Nun, diese Zustände möchte man offenbar möglichst schnell hier auch einführen. Nur gibt es da ein Detail: Man hat vergessen, uns das zu sagen. Im ganzen genannten Artikel taucht all dies nicht auf. Warum sagt man uns, bitte, nicht die Wahrheit?
Eine andere Gruppe der Besserwisser hat einen anderen „Hauptgrund" gefunden: Es sind Ausländer! Da in der Rütli-Schule überwiegend Ausländer-Kinder (im Neusprech: „Kinder mit Migrationshintergrund") unterrichtet werden - oder jedenfalls werden sollten - kann es nur daran liegen. Und schon kommen denn auch die entsprechenden Abhilfe-Maßnahmen: Integration verordnen, Abschieben woher sie kommen usw.
Eine ganze Horde unserer Politikerkaste hat das Ganze als Ausländerproblem begriffen - und dementsprechend eine Integrationsdebatte vom Zaum gebrochen. Man sehe sie sich an, bei Christiansen und anderswo, sie lassen gar nicht mehr mit sich reden darüber, ob es wirklich am Ausländerstatus liegt, denn das steht schon fest: Man sehe sich nur die Prozentzahlen von Ausländern an der Schule an (Mit dieser Methode kann man anhand abnehmender Storchpopulationen und sinkenden Geburtenzahlen auch beweisen, daß der Storch die Babys bringt). Die gleichen Politiker, die gerade eben im Bundeshaushalt eine Millionenstreichung bei den Deutschkursen für Ausländer beschlossen haben, verlangen jetzt Anstrengungen, sich zu integrieren.
Auch hier wieder würde ein schlichter Blick über die Landesgrenzen helfen: Damals in den USA waren in jenen Schulen überhaupt keine Ausländer. Wenn aber dort massenhaft in Schulen aufgetreten ist, was jetzt auch in Deutschland langsam häufiger wird, kann es also nicht am Ausländerstatus liegen. In den USA gab es damals auch Schlaumeier, die sagten: Guckt doch nur, da sind doch so viele „Nigger" an diesen Schulen, das muß an der Rasse liegen. Da wurde es dann nur peinlich, als mit Zeitverzögerung auch Schulen in armen Vierteln mit überwiegend Weißen das gleiche Problem bekamen.
Irgendwie weigern sich diese Schulen, sich den eigenen Vorurteilen gemäß zu verhalten. Unverschämtheit!
Nun, kommen wir nun endlich dazu, was denn wirklich die Probleme dieser Schulen sind: Neben einer Reihe von untergeordneten Problemen, wie bei weitem zu große Klassen, völlig ungenügender Ausstattung der Schulen, viel zu geringe Lehrerzahl, Mangel an Jugendzentren, keine Ganztagsschulen und einige weitere, ist das Hauptproblem: Armut. Diese Probleme von Schulen treten immer dort und nur dort in diesem Maße auf, wo ein wesentlicher Schüleranteil aus armen und extrem armen Familien kommt.
Armut verroht. Armut nimmt Motivation. Armut demütigt und läßt Enttäuschungen wachsen, die dann aggressiv abreagiert werden. Armut schließt aus.
Und Armut geht Hand in Hand mit Arbeitslosigkeit - auch in Deutschland seit Hartz IV.
Und damit sind wir wieder dabei, wer diese Zustände verursacht hat: Wer hat die Armut in Deutschland durch Hartz IV und Niedriglohn verursacht? Wer hat die Arbeitslosigkeit verursacht: Die Großkonzerne und deren Politiker. Genau jene, die jetzt verzweifelt von diesem Grund abzulenken versuchen.
Es hat etwas gedauert, aber jetzt haben sie uns auf dem Weg zu einer Ausgrenzungsgesellschaft, wie es die US-amerikanische ist. Und finden noch die Gründe bei „den 68ern", „den Ausländern".
Bemerkenswert, daß die beiden Länder, über die wir hier reden, das reichste und das drittreichste Land der Welt sind. Es wäre ein leichtes, alle Armut in diesen Ländern mit einem Federstrich zu beenden. Natürlich nicht durch Almosen für die Armen, sondern durch Arbeitsplätze. Arbeitsplätze, die ein Einkommen garantieren, mit dem man auskommen kann.
Ein erster guter Schritt, hier gegenzusteuern ist: „Kämpfen wie in Frankreich".
Für die 30-Stundenwoche und 6-Stunden-Tag bei vollem Lohnausgleich!
Link zum Orginalartikel hier
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