Sind 'Mini-Nukes' harmlos?
Von Karl Weiss
In diesem wichtigen Artikel von Anfang des Jahres wurde auf die Gefahr des Einsatzes von Atomwaffen beim dräuenden Überfall auf den Iran eingegangen. Artikel veröffentlicht in der "Berliner Umschau" vom 20.2.06, hier mit einem aktualisierenden Zusatz.
Im Zuge des offenbar vorgesehenen Einsatzes von Atomwaffen beim ebenso offenbar vorgesehenen Luftüberfall auf den Iran wird nun gezielt das Thema der Verwendung von Atomwaffen überall hochgespielt. Der französische Präsident, ein ehemaliger CDU-Minister, Israel, die US-Regierung natürlich sowieso, alle sprechen plötzlich vom Einsatz von Atomwaffen gegen angebliche Terroristen und meinen damit den souveränen Staat Iran und seine zivile Bevölkerung. Die US-Administration tut sich mal wieder besonders hervor und hat einen neuen Namen für die schon lange bekannten kleineren Atombomben erfunden: Mini-Nukes.
Der Name soll suggerieren, es handele sich um so etwas wie Spielzeuge und man lanziert dann auch gleich gezielt Gerüchte, es handele sich gar nicht um wirkliche Atombomben, es gäbe keinen Fall-Out, die Mini-Nukes, seien „sauber" und so weiter und so weiter. Über ‚yahoo’ und ‚google’ werden solche Gerüchte gezielt verbreitet. Im Forum der ‚Berliner Umschau’ hat denn auch schon ein Diskutant diese neuesten Informationen gehört, gibt sie auch gleich weiter und schreibt:
„Mininukes haben nicht die Aufgabe, Fall-Out zu bilden. Sie sind zur Zerstörung von Bunkeranlagen unter der Erde gedacht, da, wo konventioneller Sprengstoff keine Wirkung zeigt. Der Gefechtskopf dringt also tief in die Erde ein und detoniert dann. Da falloutet nicht viel. Um die Wirkung zu zeigen, wie beschworen, müßten sie in großer Höhe gezündet werden und dann wäre ihre Sprengwirkung für den Hintern. Wenn schon radioaktive Gespenster, dann glaubhafte, bitte."
Beeindruckend, wie Leute innerhalb von Minuten zu Fachleuten für Waffen und Atombomben werden. Nur sind wirkliche Atombomben leider gar keine Gespenster, sondern etwas sehr wirkliches, wie die Hunderttausende von Toten aus Hiroshima und Nagasaki bezeugen können (davon 50% erst nach entsetzlichen Leiden lange nach den Explosionen gestorben, zum Teil bis zu 20 Jahre danach).
Und Atombomben sind nie klein. Sie als ‚klein’ zu bezeichnen oder mit dem Attribut ‚Mini’ zu versehen, ist ein unzulässiger Euphemismus. Jede Atombombe braucht nämlich eine Mindestmenge (etwa 1 Kg) angereichertes Uran 235 (oder im Fall Plutonium weniger), die ausreichend ist, um eine Kettenreaktion auszulösen, die dann die eigentliche Atombombe in Gang setzt. Diese Menge von angereichertem Uran oder von Plutonium nennt man die kritische Masse.
Dies bedeutet, daß die kleinste mögliche Atombombe, die lediglich knapp mehr als diese kritische Masse enthält, etwa die Zerstörungsgröße von 5 Kilo-Tonnen hat [Im Fall Uran - bei Plutonium gibt es kleinere, siehe auch Zusatz unten]. Die Einheit Kilo-Tonnen bezieht sich auf einen Vergleich mit dem brisantesten bekannten Sprengstoff TNT. Man versucht etwa annähernd die Zerstörung zu beschreiben, die eine solche Atombombe anrichtet, indem man sagt, wieviele tausend Tonnen TNT man bräuchte, um eine ähnliche Zerstörung hervorzurufen, also in diesem Fall 5.000 Tonnen TNT. Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, daß die schier unvorstellbare Zerstörungskraft, die 5.000 Tonnen, also 5 Millionen Kilo, des stärksten bekannten Sprengstoffes entwickeln, nicht mit dem Namen ‚klein’ oder ‚Mini’ beschrieben werden kann.
Der Vergleich mit dem TNT hinkt aber auch noch zusätzlich, denn eine Atombombe hat eben nicht nur die Kraft einer Druckwelle, wie sie eine normale Sprengstoffexplosion hat, sondern viele Wirkungen:
- Der Lichtblitz. Er ist das erste, was die Explosion einer Atombombe anzeigt. Er erblindet augenblicklich jeden, der in einem bestimmten Umkreis um den Explosionsort zufällig in diese Richtung sieht. Er ist unbeschreiblich hell. Das erste bekannte Buch über Atombomben in Deutschland hieß „Heller als tausend Sonnen".
- Die Hitzestrahlung. Unmittelbar nach dem Lichtblitz beginnt für etwa 3 Sekunden eine Hitzestrahlung, die so intensiv ist, daß sie Alles in näherer Umgebung augenblicklich verdampft. In Hiroshima konnte man noch die negativen Schatten von Menschen, die verdampft sind, an Mauern erkennen. Dort konnte für die Zeit, bis die Menschen ganz verdampft waren, die Hitzestrahlung nicht ihre schwarze Spur hinterlassen. Da die Strahlung aber nur die Oberflächen trifft und nicht in die Tiefe wirken kann, werden Metalle, Mineralien und Steine in einiger Entfernung von der Explosion nicht verdampft, denn die Strahlung verdampft nur die Oberfläche Schicht um Schicht. In einiger Entfernung von der Explosion tragen Menschen Verbrennungen davon, an ungeschützten Körperstellen direkt durch die Strahlung und ansonsten, weil ihre Kleidung Feuer fängt. Überhaupt setzt die Hitzestrahlung in weitem Umkreis alles Brennbare in Brand.
- Die Druckwelle. Sie läuft mit Schallgeschwindigkeit ballonförmig vom Explosionszentrum aus wie bei einer gewöhnlichen Explosion. Auf sie bezieht sich der Vergleich mit dem TNT. Im Gegensatz zu konventionellen Explosionen, bei denen die Druckwelle von sich ausbreitendem Stickstoffgas geformt wird, ist die Druckwelle bei den Atombomben durch die ungeheure Menge der erzeugten Energie verursacht. So werden die durch die Hitzestrahlung erzeugten Brände nicht etwa ausgeblasen, sondern durch die Druckwelle von Luft mit frischem Sauerstoff versorgt und angeheizt.
- Die Neutronen- und Gamma-Strahlung. Sie sind die heimtückischsten Wirkungen der Atombombe, denn man kann sie weder sehen noch spüren. Die Neutronen schaffen eine riesige Menge radioaktiver Stoffe, indem sie auf Stoffe treffen und diese in radioaktiv strahlende Isotopen umwandeln. Die Gamma-Strahlen durchdringen selbst Mauern und Stahlwände und treffen damit auch Menschen, die vor den anderen Wirkungen noch geschützt waren. Gamma-Strahlen, wie auch der Kontakt mit radioaktivem Fall-Out, erzeugen die Strahlenkrankheit, die innerhalb von Minuten bis hin zu Jahren, je nach Intensität und Art der Strahlung, zum Tode führt. Jeder Strahlenkranke muß unvorstellbar entsetzlich leiden, bis er stirbt. Am schlimmsten sind jene dran, die nicht davon sterben, sondern mit den unerträglichen Schmerzen weiterleben müssen.
- Der radioaktive Fall-Out. Dieser entsteht durch Partikel, die zunächst radioaktiv geworden sind durch die Neutronenstrahlung oder durch Reste der Atomrakete. Sie werden durch den massiven Aufwind in die Höhe gerissen, der durch die ungeheure Hitze erzeugt wird, die in der unmittelbaren Explosionsumgebung herrscht (das typische Bild des ‚Atompilzes’). Eine immense Zahl größerer Teilchen fallen in der Nähe des Explosionsortes wieder auf die Erde und sind zusätzlich für eine allgemeine hohe radioaktive Strahlung in der Umgebung des Explosionsortes verantwortlich. Etwas kleinere Partikel fallen in Windrichtung vom Explosionsort zu Boden und sorgen für eine windabhängige Strahlungszone. Die feinsten Partikel aber, und das sind sehr viele, weil der ungeheure Explosionsdruck viel Material zu feinstem Staub gemahlen hat, werden vom Aufwind bis in die Stratosphäre gerissen (über 12 km Höhe). Die dort herrschenden Strahlströme (Winde mit höchsten Geschwindigkeiten) tragen sie in West-Ost-Richtung um die ganze Erde. Im Laufe von Tagen, Wochen, Monaten und Jahren sinken diese Teilchen dann, je nach Größe, langsam nach unten und tragen so Radioaktivität rund um die Erde. Das besondere Risiko ist das Inhalieren oder Einnehmen eines solchen Partikels. Selbst bei nur schwach strahlenden Partikeln kann sich dann im Laufe der Zeit eine Wirkung zeigen, meistens das Entstehen von Krebs, denn viele radioaktive Stoffe strahlen über Jahre und Jahrzehnte.
Nach den Atombombenversuchen, die von den USA in den fünfziger Jahren vor allem in der Wüste von Nevada durchgeführt wurden, konnten in den häufigsten Windrichtungen von dort signifikante Anstiege von Kinder-Leukämie nachgewiesen werden. Im Lauf der Jahre weitete sich dieser erhöhte Anfall von Kinder-Leukämie auf die ganzen Vereinigten Staaten aus. So konnten damals Wissenschaftler beweisen, daß Atombombenexplosionen in der Athmosphäre zu jahrelangem Fall-Out rund um die Erde führen, was wiederum weitreichende Konsequenzen für die menschliche Gesundheit hat.
Diese beeindruckenden Untersuchungen wurden Ende der Fünfziger Jahre von etwa 3.000 Wissenschaftlern weltweit unter Leitung des Chemie-Nobelpreisträgers Linus Pauling der Öffentlichkeit und den Führern der beiden Supermächte vorgelegt mit der Petition, die Atombombenversuche einzustellen, nachdem sich Albert Einstein schon vorher scharf gegen das Wettrüsten mit Atombomben und die Tests ausgesprochen hatte. Kennedy und Chruchtschow vereinbarten dann 1962 das Einstellen der Atombombenversuche in der Atmosphäre. 1963 bekam Linus Pauling dafür den Friedens-Nobelpreis.
Doch kommen wir nun zu den bunkerbrechenden Atomwaffen, die wiederum nicht mit der Uran-Munition verwechselt werden dürfen, bei der Uran lediglich wegen seiner hohen Dichte eingesetzt wird (weil es schwerer als Blei ist).
Bunkerbrechende Atomwaffen wurden in Anlehnung an konventionelle panzerbrechende Geschosse entwickelt. Bei den letzteren wird das Prinzip einer Konzentration der Explosionswirkung auf einen kleinen Bereich durch einen konusförmigen Metallspiegel im hinteren Teil des Geschosses verwendet. Im ersten Moment einer Explosion eines konventionellen Sprengstoffes entsteht zunächst durch die extrem schnelle chemische Reaktion eine große Hitze, die aber lokal am Explosionsort bleibt. Die eigentliche Explosionswirkung besteht nicht aus dieser Hitze, sondern aus der sprunghaften Ausdehnung des bei der Reaktion entstehenden Gases (meistens Stickstoff), das die mechanische Explosionswelle hervorruft. Der Metallspiegel konzentriert aber nun im ersten Moment der Explosion, bevor er selbst zerstört wird, die Hitze in die Richtung des Einschlages. Dadurch schmilzt (oder brennt) sich die panzerbrechende Munition durch einen Metallpanzer. Wenn dann die mechanische Explosion einsetzt, kann sie auch durch die entstandenen Öffnung hinter die Panzerung wirken.
Parallel hierzu kann man nun auch eine Atombombe entwickeln, die ebenfalls einen solchen konischen Spiegel aus einem möglichst resistenten Material in Einschlagrichtung hinter der eigentlichen Atombombe hat. Dieser konzentriert, solange der Spiegel noch nicht zerstört ist, vielleicht für eine Sekunde, die Hitzestrahlung nach vorne und läßt dort alles schmelzen. Bei der ungeheuren Hitzestrahlung einer Atombombe werden dabei zweifellos höchste Temperaturen über 12.000 ºC erreicht, bei denen selbst massives Gestein verdampft. Zwar wird auch hier die Regel gelten, daß immer nur an der Oberfläche verdampft wird, da Hitzestrahlung keine festen Stoffe durchdringen kann, aber man kann so mit Sicherheit ein vielleicht zehn oder zwanzig Meter tiefes Loch in massives Gestein brennen, in das anschliessend die gewaltige Sprengwirkung der Atombombe eindringen kann und damit in der Lage sein kann, den ganzen Berg zu spalten und jegliche Höhlung darin zum Einsturz zu bringen.
Dazu kann man das Geschoß für eine solche Bunkerbrechende Atombombe so gestalten, daß es an der Spitze, also vor dem eigentlichen nuklearen Teil, einen Urankern besitzt wie jene Uran-Munition. Zusammen mit einem eigenen Raketenantrieb, der eine solche Bombe auf 10.000 oder 20.000 km/h Geschwindigkeit bringen kann, erreicht man dadurch eine tiefe Penetration in die Erde und eventuell und eventuell eine geringe zusätzliche in Felsen, die jene bunkerbrechende Wirkung noch verstärken kann, bevor der Zündmechanismus der Atombombe überhaupt in Gang gesetzt wird. Gibt man der Uran-Spitze der Atomrakete (die ohne Schwierigkeiten von Flugzeugen aus abgefeuert werden kann) dann noch einen Überzug mit extrem harten Metallen, so kann man sogar eine gewisse Penetration nicht nur in Erdreich, sondern auch in blanken Fels erreichen.
Einer Berechnung der Union of Concerned Scientists (www.ucsusa.org) zu Folge ist eins klar: Auch wenn die bunkerbrechende Atomrakete in der Lage ist, in Erdreich einzudringen, und sogar einige Meter in blanken Fels und sich dann mit der Explosion noch einmal um die zehn oder zwanzig Meter in den Fels zu brennen, so mag dies absolut ausreichen, einen halben Berg zum Einsturz zu bringen und jegliche Aktivitäten in Höhlen und künstlichen Kavernen in diesem Berg auszulöschen, aber das ändert nichts daran, daß nur wenige Meter von der Oberfläche eine Atombombe explodiert. Zwar mag der Lichtblitz und die Hitzestrahlung nicht so viel Schaden anrichten, aber alle anderen Wirkungen der Atombombe bleiben voll erhalten.
Das behauptete tiefe Eindringen in den Berg vor der Explosion ist nicht möglich, weil Felsen eine noch so schwere und schnelle Rakete keineswegs tief eindringen lassen, höchstens einige Meter.
Das bedeutet, daß, so wie bei jeder Atombombe, eine große Quantität von feinstem Staub produziert wird, der durch die Neutronenstrahlung radioaktiv aufgeladen wird und als Fall-Out zunächst in der Windrichtung zu Schäden für die dort lebenden Menschen führt und dann, aus der Stratosphäre, über Jahre hinweg einen Fallout rund um den Erdball hervorruft. Wird, wie vermutet, auch eine Uranverstärkung in der Spitze verwendet, wird dieser radioaktive Fall-out sogar noch intensiver sein als bei der Hiroshima-Bombe.
Diese Atombomben können keineswegs mit unterirdischen Atomwaffenversuchen gleichgesetzt werden, bei denen die Atombombe in 700 Meter Tiefe explodiert und nur geringe Mengen radioaktiver Substanzen an die Oberfläche kommen. Es ist ein Irrtum, wenn man glaubt, „Da falloutet nicht viel."
Ebenso ist es eine Täuschung, wenn uns die Atommächte weismachen wollen, daß Atombomben „in großer Höhe gezündet werden" müßten, um viel Fall-Out zu verursachen. Es ist sogar umgekehrt so, daß Atombomben, die knapp unter der Erdoberfläche gezündet werden, die größte Menge Staub aufwirbeln, der dann als Fall-Out um den Erdball ziehen kann.
[Zusatz vom Oktober 2006: Die oben angegebene Mindestmenge von 1 kg und Mindesgrösse von Atombomben von 5 Kilotonnen bezieht sich auf Uran-Bomben. Mit Plutonium sind kleinere Bomben möglich, so wie die jetzt gezündete von Nord-Korea, z.B. von 0,5 Kilotonnen. Plutonium fügt den beschriebenen Auswirkungen noch die extreme Giftigkeit der eigentlichen Atombombensubstanz hinzu.
Sie sind das, was man zum Zeitpunkt ihrer Erfindung in den Sechziger Jahren als Neutronen-Bomben bezeichnete: Ihre Sprengwirkung ist im Vergleich zu Uran-Atombomben geringer, aber sie haben eine verstärkte Neutronen- und radioaktive Strahlung.
Sie wurden "gepriesen" als die idealen Bombem im Krieg: Mit wenig Schäden an den Gebäuden töten sie die maximale Zahl an Menschen in der Umgebung.
Diese diabolische Waffen verursachen eine im Vergleich zu ihrer Sprengkraft weit überproportionele Radioaktivität und damit auch rund um die Welt noch mehr Kinder-Leukämie.
Soweit sich die Bezeicnung "Mini-Nukes"auf sie bezieht, gilt das oben gesagte mit dem weltweiten Fallout also in verstärktem Maße.]
Link zum Originalartikel hier
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