Brasilien jenseits von Fußball und Samba, Teil 12: Regenwaldvernichtung und Trockenheit im Amazonasgebiet
Von Elmar Getto
Seit etwa Mitte September 2005 gehen alarmierende Meldungen aus dem Amazonasbecken ein: In großen Teilen, speziell im brasilianischen Bundesstaat Pará, herrscht Trockenheit. Das mächtige Stromsystem ist an manchen Stellen zu Rinnsalen geworden, Hunger und Elend breiten sich unter der Bevölkerung aus. Umweltaktivisten und Wissenschaftler, wie auch viele Bewohner Amazoniens selbst, haben seit Jahren gewarnt: der Raubbau an den wertvollen Hölzern der Regenwälder Amazoniens und das ständig ansteigende Abbrennen von Regenwaldflächen werden zu einer Verringerung der vom Regenwald „ausgeschwitzten" Feuchtigkeit führen, die die Hauptquelle der ergiebigen Regenfälle ist, durch die der Regenwald charakterisiert ist. Gehen die Regenfälle unter bestimmte Mindestmengen zurück, wird der Regenwald als solcher beginnen abzusterben. Das wäre der Beginn des Endes der Menschheit, wie wir sie kennen.
Dazu kommen die Einflüsse des Klimawandels. Vor zwei Jahren konnte der Schreiber dieser Zeilen mit einem brasilianischen Klimaspezialisten sprechen, von dem er in etwa folgendes lernte: Die verschiedenartigen Regenwälder des Amazonasbeckens haben eine Reihe von klimatischen Bedingungen gemeinsam, die wiederum von einer großen Anzahl an Einflüssen geprägt sind.
Der erste wichtige Einfluß ist der Winkel der Sonneneinstrahlung, der die gesamte Energiezufuhr bestimmt. Das gesamte Amazonasbecken ist nahe des Äquators gelegen, hat allerdings im Kern ein Südhalbkugel-Klimaverhalten. Oft wird nicht klar gesehen, daß ein solches Gebiet sich im wesentlichen so verhält wie sein Mittelpunkt. Der Mittelpunkt des Amazonasbeckens ist eindeutig südlich des Äquators. Dabei muß man das Amazonasbecken deutlich vom Orinokobecken unterscheiden, auch wenn beide an manchen Stellen ineinander übergehen. Beide Becken sind aber im wesentlichen durch Bergketten voneinander getrennt, die eine Höhe von bis zu 3.000 Metern erreichen. Der höchste Berg Brasiliens, der Pico de Neblina, fast auf den Meter genauso hoch wie die Zugspitze, liegt auf einer dieser Bergketten.
Nur am Oberlauf des Orinoko und des Rio Negro, eines der Quellflüsse des Amazonas, gibt es eine unmittelbare Verbindung beider Flußsysteme, die sogar so weit geht, daß - je nach Wasserstand - Orinokowasser in den Amazonas fließt und umgekehrt, ein weltweit einmaliges Phänomen.
Der Südhalbkugel-Charakter des Amazonas-Klimas zeichnet sich durch folgende Sommer-Winter-Besonderheit aus: Im Südhalbkugelsommer, also etwa von Oktober bis Mai, hat das Amazonasbecken die Energiezufuhr einer Sonne, die jeden Tag den Zenit erreicht oder einen Punkt nahe des Zenits. Im Winter dagegen, also etwa von Juni bis September, wird jeweils nur ein Punkt in der Größenordnung von zehn bis 20 Grad unterhalb des Zenits erreicht. Das macht im Mittel einen Unterschied der Energieeinstrahlung von der Hälfte (bzw. dem Doppelten) aus.
Die hohe Energiezufuhr im Sommer führt zu einem generellen Aufheizen des ganzen Regenwaldes und seiner Flüsse, Kanäle und Seen. Die höheren Temperaturen führen zu einer erhöhten Verdampfung von Wasser (im Schnitt über den ganzen Sommer in etwa das Doppelte der Verdampfung gegenüber dem Winter). Der wesentlichste Teil des verdampften Wassers kommt als Regen innerhalb des Amazonasgebiets wieder herunter. Die führt in diesen Monaten (mit einer Zeitverzögerung) zu einem weit höheren Wasserstand des gesamten Flußsystems des Amazonas als im Winter. Auf der Höhe von Manaus, das ist etwa in der Mitte des Weges von den Anden zum Atlantik, hat der Amazonas Jahr für Jahr einen Unterschied des Wasserstandes, der etwa 10 bis 15 Meter ausmacht. Die Höchststände werden typischerweise im August erreicht (mit einer Zeitverzögerung nach der langen Sommersaison), die niedrigsten Stände im November.
An der Mündung dagegen, etwa auf der Höhe der Insel Marajó, gibt es nur einen Unterschied des Wasserstandes von 1 bis 2 Meter. Das belegt einmal mehr, daß es sich wirklich um einen Kreislauf von Wasser im wesentlichen innerhalb des Amazonasbeckens handelt. Dies wiederum zeigt, daß das gesamte Bestehen des Amazonasregenwaldes vom selbst erzeugten Regen abhängt. Es gibt keinen aufgrund des Klimas von außen kommenden Regen, der ausreichend zur Bildung (oder für den Bestand) von Regenwald wäre. Ein Regenwald braucht zum Überleben im Schnitt einer Anzahl von Jahren etwa 2.000 mm Regen jährlich (in Deutschland haben wir um die 500 mm jährlich).
Für das Klimageschehen im weiten Umkreis bedeutet das: Der Amazonasregenwald ist ein Energiefresser: Er sorgt für weit niedrigere Temperaturen im Gebiet des Regenwaldes, aber auch in der ganzen Region, als auftreten würden, wenn es dort keinen Regenwald gäbe. Diesen Effekt kann jeder im Wald selbst spüren: Sobald er sich einem Wald annähert, wird es kühler. Im Wald selbst wird es noch einmal kühler, je weiter man zum Zentrum des Waldgebietes vorstößt.
Das bedeutet, daß im Sommer, aber auch in Teilen des Winters, der Amazonasbecken ein ständiges Tiefdruckgebiet darstellt. Das führt, zusammen mit der äquatornahen Lage, zu einem typischen täglichen Wetterablauf in großen Teilen des Gebietes: Bei Sonnenaufgang ist es bewölkt, wie es auch über Nacht war. Im Lauf des Vormittags werden die Wolken von der Erwärmung durch die steigende Sonne „aufgefressen". Gleich darauf, meist schon vor dem Mittag, manchmal erst nachmittags, kommen neue Wolken auf, die durch die hohe Verdampfung gebildet werden und türmen sich zu Regenwolken oder auch zu mittleren oder großen Unwettern zusammen. Am Nachmittag regnet es, oft in Strömen. Zu Beginn der Nacht hört es auf zu regnen und bleibt bewölkt, bis in die Nacht hinein. In Belém, im brasilianischen Bundesstaat Pará, an der Mündung des Amazonas z.B. gibt es dieses Schema für so große Teile des Jahres, daß die Leute sich dort für den späten Nachmittag, „nach dem Regen", verabreden.
Fast nur im Winter (im Sonner nur in Ausnahmefällen), wenn die Sonneneinstrahlung nicht für so viel selbst produzierten Regen ausreicht, kommt es vor, daß Hoch- oder Tiefdruckgebiete von außerhalb der Zone in das Amazonabecken kommen und das Wetter bestimmen.
Das gesamte Klima der Region ist damit für wesentliche Teile des Jahres von dem Dauertiefdruckgebiet über dem Amazonasbecken bestimmt. Es arbeitet zusammen mit einer anderen Dauererscheinung, das ist das Dauerhochdruckgebiet auf der anderen Seite des Atlantiks, über der Sahara, die sich heute ja bereits beachtlich nach Süden ausdehnt. Die Meteorologen sind sich heute einig, daß die Kombination dieser beiden Phänomene die Hauptverantwortung trägt für den konstantesten Dauerwind, den es auf der Erde gibt, der Wind, der fast ununterbrochen aus einer Zone im Äquatorialgebiet vor der Küste Westafrikas nach Nordwesten weht, also ein Südostwind, der den gesamten Nordosten Südamerikas und die gesamte Karibik trifft.
Dieser Wind ist so konstant und weht über so große Teile des Jahres, daß die Bäume in diesem Bereich mehr oder weniger nach Nordwesten geneigt wachsen, abhängig von ihrem Ausgesetztheit. Dies ist auch der Wind, der die Meeresströmung hinein in den Golf von Mexiko verursacht. Das Wasser hat nur einen schmalen Ausweg aus dem Golf von Mexiko: Die etwa 150 km breite Straße zwischen Florida und Kuba und danach der Kanal zwischen Florida und den Bahamas, der dem Strom eine nordöstliche Richtung gibt.
Dort strömt der warme Golfstrom aus dem Golf von Mexiko und überbrückt als die stärkste aller Meeresströmungen den ganzen Atlantik. Er sorgt dafür, daß es an der Westküste von Grönland (=Grünland) grüne Wiesen gibt, daß Island bewohnbar ist, daß Irland nicht einen großen Teil des Jahres unter Schnee und Eis liegt, sondern ‚die grüne Insel’ ist, daß der Südwestzipfel Englands, Cornwall, fast keine Temperaturen unter 0 ºC kennt und dort Palmen wachsen, daß ganz Südeuropa nicht ein gemäßigtes Klima hat, wie es seiner Lage entspräche, sondern ein subtropisches Klima, daß Mitteleuropa nicht das Klima Kanadas oder Schweden hat, sondern eben das Mitteleuropas und daß Nordeuropa nicht unter einem Eispanzer liegt, sondern bis hinauf an den Polarkreis bewohnbar ist.
Diese Winde und Meeresströmungen bilden einen großen Kreisel im Nordatlantik: Im Süden des Nordatlantik der Wind und die Meeresströmung nach Westen, im gesamten nördliche Nordatlantik nach Osten. Für uns ist es ja fast gesetzmäßig, daß Wetter von Westen kommen, was keineswegs in allen Teilen der Welt so ist. Dies ist wesentlich bedingt durch diese Strömungen und Winde. Wahrscheinlich hat schon Kolumbus diesen großen Kreisel im Nordatlantik gekannt oder jedenfalls geahnt. Dies legen einige seiner Dokumente (und der Film Columbus 1492) nahe: Als sich die Schiffe seiner historischen Mission auf der Rückreise verlieren, nimmt sein Rivale den direkten Kurs nach Westen und kommt lange nach Kolumbus an, der einen scheinbaren Umweg über einen viel weiter nördlichen Kurs genommen hat.
Es gibt sogar die Theorie, daß Kolumbus auf einer seiner Reisen, die ihn vorher auf die Azoren geführt hatte, bereits den Sprung nach Amerika geschafft hatte. Er konnte aber mit dieser Entdeckung noch nichts anfangen, denn es war keine offizielle Mission, von einem König beauftragt. Erst als er 1492 vom spanischen König beauftragt losfuhr, konnte er ‚offiziell’ den Seeweg nach Indien entdecken, wie er meinte.
Jedenfalls ist klar, daß im Jahre 1500, also acht Jahre später, bereits Allgemeingut war (und sich schon bis Portugal herumgesprochen hatte), daß man, um schneller zu den „neuen Inseln" zu kommen einen sehr südlichen Weg, ausgehend von den Kanarischen oder besser noch den Kapverdischen Inseln nehmen muß, während man auf dem Rückweg einen weit nördlicheren Kurs nehmen sollte, der einen auf die Höhe oder sogar noch nördlich der Azoren führt.
Im Zentrum dieses großen Kreisels, in einer Zone mit wenig von außen kommenden Winden, ist die ‚Küche der Hurricanes’, wo in jeder Saison (von Juni bis November) etwa 16 schwere tropische Unwetter entstehen, die sich zum Teil zu Hurricanes entwickeln. Dieses Jahr waren es bis jetzt bereits 23 und davon wurden schon 13 zu Hurricanes (einschließlich Hurricane Beta).
Dort bestehen in diesem Zeitraum die notwendigen Bedingungen zur Herausbildung von Unwettern oder Hurricanes: Relativ hohe Oberflächentemperaturen des Wassers (wahrscheinlich braucht es mindestens etwa 26 ºC für die Entwicklung von Hurricanes) und schwache Winde, so daß die aufsteigenden Massen warmer Feuchtigkeit nicht gleich weggeweht werden.
Das Ganze ist, wie man sich leicht vorstellen kann, ein labiles Gleichgewicht. Kommt auch nur eine der wesentlichen Komponenten seiner Aufgabe im Geschehen nicht mehr vollständig nach, beginnt sich das Ganze zu bewegen, wobei die Richtung und die Ergebnisse fast unmöglich vorherzusagen sind.
Neben dem Einfluß der Sonneneinstrahlung gibt es aber noch einige andere Einflüsse auf das Klima im Amazonasgebiet. Während Einflüsse aus der Pazifikregion extrem gering sind wegen der gigantischen Mauer der Anden zwischen dort und dem Pazifikbecken, gibt es sowohl eine Interaktion zwischen dem Klima im Südatlantik und der Amazonasregion als auch eine solche mit dem Geschehen im Nordatlantik.Diese gegenseitigen Beeinflussungen können zwar an bestimmten Ergebnissen und Wetterereignissen nachgewiesen werden, aber es gibt bisher keine erwiesenermassen richtige Theorie über diese Zusammenhänge.
Die Theorie über die Interaktion zwischen dem Nordatlantik und Amazonien, die der genannte Gesprächspartner bevorzugte, war folgende: In den Übergangsmonaten zwischen dem Sommer auf der Nord- und auf der Südhalbkugel gibt es eine Phase in jedem Jahr, in dem die Südostwinde im Äquatorialatlantik abflauen und Massen feuchter Luft zwischen der Amazonasregion und der „Küche der Hurricanes" im Nordatlantik ausgetauscht werden, in diese oder jene Richtung. Danach schließt sich das Fenster wieder und eine der beiden Regionen hat einen Feuchtigkeitsüberschuß für die folgende Saison und vice versa. Das wird geschlossen aus der Tatsache, daß niedrige Hochwasser im August im Amazonas koinzidieren mit besonders heftigen Hurricanes im Nordatlantik im gleichen Jahr und umgekehrt.
Was den Südatlantik angeht, so besteht ebenfalls normalerweise keine direkte Klimaverbindung mit dem Amazonasgebiet. Das beruht darauf, daß die Kaltfronten aus der Wetterküche zwischen Südamerika und der Südpolregion, die üblicherweise ganz Südamerika nach Norden hinauf fortschreiten, auf brasilianischen Gebiet meistens auf große Massen warmer Luft stoßen und von diesen auf den Atlantik hinaus abgeleitet werden. Unter bestimmten Bedingungen aber, deren Ursachen noch erforscht werden, geschieht dies nicht. Die Kaltfront stößt weiter nach Norden vor bis in die Amazonasregion hinein und sorgt dort für ausgiebige Regenfälle von tagelanger Dauer. Dies führt aber auch zu einem Sinken der Temperaturen im Amazonasgebiet und damit zu einer Verringerung der Verdunstung, was dann wieder Zeiten ohne die typischen häufigen Regenfälle verursacht.
Soweit also die Grundlagen der amazonischen Klimakunde.
Nun kommt der zweite Schritt; Was passiert, wenn, wie leider anzunehmen, weder die Zerstörung des Regenwaldes am Amazonas noch die globale Erwärmung durch radikale Maßnahmen gegen den CO2-Ausstoß gestoppt wird?
Nun, wenn die globale Erwärmung fortschreitet, wird sie sich beschleunigen, unabhängig davon, ob eventuell der Kohlendioxid-Ausstoß nicht mehr weiter ansteigt, denn die steigenden Temperaturen setzen neue Mengen von Kohlendioxid frei. Das betrifft vor allem Böden, die bisher auf Dauer gefroren waren oder jedenfalls in den kurzen Sommern arktischer Gebiete nur oberflächlich auftauen. Tauen diese Böden bis in die Tiefe hinein auf, worüber schon die ersten Berichte aus Grönland, Alaska und Sibirien vorliegen, werden sie neue gewaltige Mengen von Treibhausgasen freisetzen und die globale Erwärmung weiter beschleunigen.
Die beiden oberen Bilder zeigen in beeindruckender Weise das Fortschreiten der Eisschmelze in Grönland, wie weit sie bereits vor 6 Jahren gekommen war. Allerdings ist die Aussagekraft durch die unterschiedlichen Aufnahmezeitpunkte eingeschränkt. Aber: Sowohl November als auch Mai sind in der Arktis-Region Teile des Winters. Der Sommer dauert nur von Juni bis August. Das untere Bild zeigt den Ort der Satelliten-Fotos und (in Farben) die Anzahl Tage in Grönland mit Eisschmelze.
Wie wirkt die globale Erwärmung auf Amazonien? Zunächst gibt es natürlich die einfache Reaktion: Höhere Temperaturen führen zu höherer Verdunstung. Die Sommer-Hochwasser im Amazonasgebiet würden die Tendenz haben zu steigen. Tatsächlich gab es in den letzten zehn Jahren zwei der höchsten Wasserstände des Amazonas. Das reicht allerdings zur Stützung dieser Theorie noch nicht aus. Andererseits wird nämlich darauf hingewiesen, daß eine erhöhte Verdunstung auch zu vermehrter Wolkenbildung führt und diese wiederum die weitere Aufheizung von Regenwald und Flußsystem abblockt, das Amazonassystem also innerhalb bestimmter Grenzen selbstregulierend ist. Die Energie wird aber doch in die untere Athmosphäre gepumpt, denn in diesem Fall absorbieren die Wolken die Energie. Wozu das führt, ist noch nicht bekannt.
Im allgemeinen muß man mit großer Wahrscheinlichkeit mit erhöhten Regenfällen im Amazonasgebiet rechnen und damit auch mit durchschnittlich höheren Wasserständen. Dies war allerdings bisher nicht eindeutig statistisch nachweisbar.
Ganz anders dagegen mit dem fortschreitenden Abbrennen und Abholzen des Regenwaldes: Dies führt eindeutig zu einem Rückgang der Verdunstung und damit auch der Niederschläge und des Wasserstandes. Die globale Erwärmung und die Regenwaldvernichtung würden also zunächst zu entgegengesetzten Folgen führen, die sich für eine Zeit gegenseitig aufheben könnten. Ab einem bestimmten Grad der Verringerung der Regenwaldflächen - damals wurde bei gleichbleibender Vernichtungsgeschwindigkeit des Regenwaldes etwa mit der Größenordnung des Jahres 2015 gerechnet - würde die Verringerung des Regens dann überwiegen und es käme zu ersten Trockenheiten in der Periode des Niedrigwassers ab September als erstes Anzeichen für ein Verschwinden des Amazonasregenwaldes.
Und damit sind wir jetzt in der Aktualität angelangt. Wie schon verschiedentlich seit September berichtet wurde, ist im Amazonasgebiet eine extreme Trockenheit aufgetreten, die selbst die ältesten Menschen in der Region als etwas bezeichnen, was sie nie vorher gesehen haben. Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß eine bestenfalls für 2015 erwartete Erscheinung jetzt bereits eingetreten ist. Es gibt zwei Möglichkeiten der Erklärung: Eine wäre, daß es sich um einen typischen einmaligen Ausreißer handelt, wie sie gelegentlich vorkommen (es könnte z.B. beim "Öffnen des Fensters" im Juni zu einer übermäßigen Transfer von Feuchtigkeit in die Zone der Brutstätte der Hurricanes gekommen sein, was mit dem diesjährigen extrem hohen Hurricane-Aufkommen zusammenfallen würde).
Dies schien bis zum 21.Oktober 2005 die wahrscheinlichste Erklärung zu sein. Seitdem aber muß davon ausgegangen werden, daß in Wirklichkeit die andere Erklärung bemüht werden muß, um diese Trockenheit zu erklären: Der Prozeß der Vernichtung des Regenwaldes am Amazonas ist bereits viel weiter fortgeschritten als vorher angenommen. Die Trockenheit ist wirklich bereits die Ankündigung des kommenden Austrocknens der Region, was den endgültigen Beginn der akuten Phase der globalen Klimakatastrophe anzeigt.
Am 21. Oktober 2005 nämlich wurde in der internationalen wissenschaftlichen Fachschrift Science ein Artikel (Band 310, S. 480) veröffentlicht, der genau dies auf wissenschaftlicher Grundlage belegt, nämlich den Fakt, daß die Vernichtung des Regenwaldes am Amazonas bereits viel weiter fortgeschritten ist als angenommen. Verantwortlicher Autor für eine Gruppe von Carnegie Wissenschaftlern ist Gregory Asner, Assistenzprofessor der Stanford University, Department of Geological and Environmental Sciences.
Bereits im Mai waren die letzten Zahlen der Vernichtung des Amazonas-Regenwaldes veröffentlicht worden: Von August 2003 bis August 2004 wurden mindestens 26.130 Quadratkilometer Urwald vernichtet. Berücksichtigt wurden hier aber nur die nach einem Kahlschlag vollständig gerodeten Waldflächen. Das entsprach etwa der Hälfte der Fläche der Schweiz in einem einzigen Jahr (die US-Wissenschaftler pflegen zu sagen: in etwa die Fläche des Staates Connecticut pro Jahr).
„Jede Minute verliert Brasilien eine Fläche von sieben Fußballfeldern wertvollen Regenwaldes", wurde Michael Evers schon damals zitiert, Leiter des Fachbereichs Wald bei der Umweltschutzorganisation WWF Deutschland. Die Regierung in Brasilia trage eine erhebliche Mitschuld an der Entwicklung, indem sie Bodenspekulationen zur Vergrößerung von Weideflächen für Rinder begünstige und den illegalen Holzeinschlag sowie die Ausbeutung der Arbeiter und die Kriminalität nicht ausreichend bekämpfe.
Nun aber wurde festgestellt, daß darüber hinaus bisher noch nicht registriert wurde, daß bereits seit vielen Jahren in großen Teilen des Amazonasgebietes das selektive Einschlagen bestimmter wertvoller Hölzer praktiziert wird. Dies führt, wie jetzt durch eine neue Methode der Auswertung von Satelittenbildern herausgefunden wurde, zu einer massiven Ausdünnung des Regenwaldes mit weitgehenden Folgen für eine der wichtigsten Eigenschaften eines Regenwaldes: Die Dichte. Durch seine hohe Dichte hält der Regenwald eine extrem hohe Luftfeuchtigkeit unterhalb des Blätterdachs, was durch das Ausdünnen beeinträchtigt wird. Dies führt zu einem generell trockeneren Wald und zu einer geringeren Verdunstung.
Dieser trockenere Regenwald wird dann auch viel eher Opfer natürlicher Buschfeuer, so etwa durch Blitzschlag, wogegen Regenwälder - eben wegen ihrer hohen Feuchtigkeit - eigentlich relativ geschützt sind.
Beim selektiven Einschlag werden nur jene wirtschaftlich besonders interessanten besonders großen Bäume mit besonders hartem Holz geschlagen (Mahagoni und andere). Allerdings reißen diese Urwaldriesen mit Höhen bis zu 70 Metern beim Fallen gewaltige Breschen in den Wald, die dann beim Abtransport noch vergrößert werden. Die Blätterdachabdeckung in großen Höhen wird unterbrochen, viele kleineren Bäume und niedrige Vegetation leiden. Es wird ein US-Spezialist zitiert, der sagt: „Der Regenwald ist durchlöchert wie Schweizer Käse." Er beklagt vor allem die fehlende Kontrolle bei den Abholzaktionen. Daraus ergibt sich die Erkenntnis, daß in Wirklichkeit eine weit höhere Abholzung erfolgt, als angenommen worden war. Tatsächlich, so die Wissenschaftler, dürfte die Abholzung in jedem Jahr jeweils 60 bis 128 Prozent über den offiziell festgestellten Werten liegen.
Es wird auch berichtet, daß die Technik des selektiven Einschlagens auch in Bereichen durchgeführt wird, die als Naturschutzgebiete ausgewiesen sind oder als Indio-Reservate, wo eigentlich der Zugang verboten ist.
Im Schnitt, so stellten die Wissenschaftler fest, werden etwa 30 Bäume mitgefällt, wenn einer der Urwaldriesen herausgeholt wird. Das hängt auch damit zusammen, daß in solchen Regenwälder die Bäume untereinander mit Lianen verbunden sind. Ein großer Mahagoni-Stamm bringt mehrere Hundert Dollar in einem Sägewerk. Neben dem Mahagony gibt es noch etwa 35 andere Baumarten, deren Hölzer begehrt sind. Die Stämme werden mit Traktoren zum nächsten Flußlauf geschleppt und dort zu Flößen zusammengestellt, die dann mit Schleppschiffen zu den großen Sägewerken gebracht werden. Wenn man im Schnitt täglich drei Bäume für einen Tag pro Einsatztrupp (mit fünf Mann) rechnet und die geringen Kosten für den Verantwortlichen der Aktion (weniger als 50 Dollar pro Tag einschließlich Abschreibungen), kann dieser größenordnungsmäßig mit etwa 1.000 Dollar Reingewinn pro Tag rechnen. Davon muß der verantwortliche Verbrecher dann etwa 100 Dollar pro Tag an Schmiergeldern für Beamte abziehen, die ihm anschließend den Stempel „aus kontrolliertem Einschlag" auf die Papiere seiner Hölzer setzen.
Arbeitet der Verbrecher mit einem Schiff und drei Traktoren sowie drei Trupps, erzielt er also einen Profit von um die 2.700 Dollar pro Tag. Das macht bei 25 Arbeitstagen im Monat 67.500 Dollar REINGEWINN. Pro Jahr wären das 810.000 Dollar. Man kann damit also mit wenig Aufwand annähernd eine Million Dollar im Jahr machen.
Die Schätzungen besagen, daß Zehntausende solcher Trupps in Amazonien unterwegs sind.
Solange also in den entwickelten Ländern Nachfrage nach Tropenhölzern besteht, wird es haufenweise Leute geben, die das Risiko eingehen werden, mit so etwas erwischt zu werden. Daß die hier angelieferten Hölzer offiziell „aus kontrolliertem Einschlag" gekennzeichnet sind, sagt gar nichts.
Und - nur um das noch einmal in Erinnerung zu rufen: Das ist alles zusätzlich zu dem Niederbrennen zum Gewinnen neuer Flächen zum Anbau und für Viehweiden, das allein schon jährlich die Fläche der Hälfte der Schweiz ausmacht. D. h., wir müssen nun mit einer jährlichen Fläche von zerstörtem Regenwald (allein im Amazonas-Bassin) in der Größenordnung der Schweiz ausgehen.
Ein so ausgedünnter Regenwald verliert einen Teil der Fähigkeit, CO2 zu speichern, was im Moment die wichtigste Eigenschaft des Amazonas-Urwaldes für die Menschheit darstellt. Das ist das Ergebnis einer anderen Arbeit, die in der gleichen Ausgabe von Science veröffentlicht wurde. Ein Team um Daniel Bunker von der Columbia University in New York hat festgestellt, daß es durch den Einschlag zu weniger Niederschlägen im Regenwald komme. Das führe letztendlich dazu, daß auf der gleichen Fläche weit weniger Kohlendioxid absorbiert würde. Das bedeutet im Endeffekt, daß die gesamte bisherige Einschätzung über die Menge von CO2, die der Regenwald im Amazonas absorbiert, neu durchdacht werden müssen. Bisher ging man davon aus, daß durch Abbrennen und Abholzen des Amazonas-Waldes etwa 400 Millionen Tonnen von Kohlenstoff zusätzlich in die Athmosphäre gelangen. Nach diesen neuen Erkenntnissen müssen jetzt etwa weitere 100 Millionen Tonnen pro Jahr dazugezählt werden. Wahrscheinlich ist die Kapazität des Waldes auch in dieser Hinsicht letzthin überschätzt worden und muß nun aus neuer Perspektive gesehen werden. Das bedeutet wiederum, daß die bisherigen Voraussagen, wann die Menge an Kohlendioxid in der Atmosphäre so weit angestiegen ist, daß unumkehrbare generelle und weitreichende Klimaänderungen alles menschliche Leben beeinträchtigen werden, neu gefaßt werden müssen. Es kann wahrscheinlich keine Rede mehr davon sein, daß ein solcher Zeitpunkt erst 2050 oder 2040 einträte, sondern es muß mit kürzeren Zeiträumen gerechnet werden.
Eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der neuen wissenschaftlichen Untersuchungen über die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes kann man auf dieser Web-Site nachlesen (in Englisch).
Diese neuen Erkenntnisse sind erst seit kurzer Zeit bekannt. Es gibt daher noch keine wissenschaftlich abgesicherten Einschätzungen, welchen Zeitvorhersagen jetzt gemacht werden können. Man kann aber schon davon ausgehen, daß wahrscheinlich in etwa das Jahr 2030 der letzte und äußerste Zeitpunkt sein wird, bis zu dem die bereits in ihr akutes Stadium getretene Entwicklung zur globalen Umweltkatastrophe noch umkehrbar wäre, wahrscheinlich geht es eher in die Richtung der Jahre 2015 oder 2020.
Was charakterisiert nun die globale Umweltkatastrophe? Neben anderen Erscheinungen (wie z.B. dem Anstieg des Meeresnieveaus, der vom Verschwinden einiger Inseln und einiger tiefliegender Küstenbereiche begleitet ist oder auch der Möglichkeit des Ausbleibens des Golf-Stromes, was Nord- und Mittel-Europa für eine Übergangszeit in Schnee und Eis versinken lassen würde) besteht sie im wesentlichen aus dem Anstieg in Intensität und Häufigkeit von Unwettern sowie dem Anstieg in Intensität und Häufigkeit von Dürren.
Beide Effekte gemeinsam werden einerseits zur Ausdehnung bestehender und dem Entstehen neuer Wüsten und Steppen führen (das Amazonasgebiet z.B. wird zu einer Wüste werden) und andererseits werden die gewaltigen Regen-Sturzbäche den Humus, den Boden, auf dem Pflanzen wachsen können, in zunehmendem Maße weg- und ins Meer spülen. Beides wird auch die Möglichkeit des Zurückhaltens von Regenwasser vermindern, so daß es immer schwieriger werden wird, noch Trinkwasser zu finden. Die Sturzbach-Regenfälle werden außerdem immer mehr zu verheerenden Überschwemmungen führen. Im Endstadium gibt es kaum noch Trinkwasser und kaum noch Pflanzen. Es braucht nicht näher erläutert zu werden, daß dies das Ende der Menschheit bedeutet, wie wir sie kennen.
Es ist offensichtlich, daß zumindest dieser Teil der Regenwald-Vernichtung (nicht nur im Amazonasgebiet) einfach beendet werden könnte: Mit einem generellen Verbot der Einfuhr und des Verkaufes von tropischen Hölzern in allen G8-Staaten, verbunden mit hohen Strafen. Ebenso offensichtlich ist, daß die Regierungen der G8-Staaten den Teufel tun werden, ein solches Verbot zu beschließen. Sie sind schließlich den reichen Verbrechern verpflichtet, nicht den Völkern.
Und das alles, damit gewisse Reiche noch viel reicher werden können. Es wird deutlich, daß wir nur noch wenig Zeit haben, den Kapitalismus zum Teufel zu jagen. Der Kapitalismus steht bereits im Übergang zur kapitalistischen Barbarei und diese wird in der globalen Umweltkatastrophe ihren am weitest gehenden Ausdruck finden. Jetzt müssen alle Kräfte zum Sturz des Kapitalismus vereint werden.
Hier also Teil 12 der Serie "Brasilien jenseits von Fussball und Samba" von Elmar Getto. Des ist eine der umfangreichsten und tiefgreifendsten Veröffentlichungen zu diesem Thema, ursprünglich in der "Berliner Umschau" veröffentlicht am 19.11.2005. Er ist wieder besonders aktuell wegen der umfassenden Aussagen zur Beeinflussung der Entwicklung zur Klimakatastrophe.
Hier die Links zu allen Teilen der Reihe „Brasilien jenseits von Fussball und Samba“
- Teil 1: „Wie der Amazonas zu seinem Namen kam“
- Teil 2: ‚Menschenfresser-Country’
- Teil 3: „Ausgerottete Künstler“
- Teil 4: Niemeyer ist 100 – ‚Auf dem Höhepunkt des Schaffens’
- Teil 5: Brasilien und Gold
- Teil 6: Die Landschaften Brasiliens – Der Amazonas-Regenwald
- Teil 7: Brasilien und der Strom
- Teil 8: Die Landschaften Brasiliens – Mata Atlântica
- Teil 9: Santos Dumont und der erste Motorflug
- Teil 10: SIVAM – Big Brother in Amazonien
- Teil 11: Sprit aus nachwachsenden Rohstoffen
- Teil 12: Regenwaldvernichtung und Trockenheit im Amazonasgebiet
- Teil 13: Wie unsere Zukunft in der beginnenden kapitalistischen Barbarei aussähe – „Ich habe kein Leben“
macht einen schon traurig, wenn man das so liest
Wir können die Wälder nicht retten, wir tun auch nichts gegen Kometeneinschläge. Gut, mag das Problem nicht so akut sein, aber es ist bezeichnend für uns. Die Länder der Erde, zumindestens die, die es sich leisten könnten, sind nicht in der Lage einen Fond einzurichten, der es ermöglicht ein Abwehrsystem gegen Kometeneinschläge zu entwickeln.
Wir sind auch nicht in der Lage, auf die wertvollen Hölzer zu verzichten.
Es könnte doch ein jeder einen Beitrag leisten, in dem er bestimmte Produkte wie dieses Holz, oder Pelze ...nicht mehr kauft. Aber wer kauft das denn am meisten? Es sind wieder die Reichen! Ihre maßlose Gier wird den Planeten zu Grunde richten.
Und im kleinen funktioniert das ebenso. Da wird Fleisch gefressen, am besten jeden Tag, so dass Weideflächen und Massentierhaltung mit der passenden Unmenschlichkeit betrieben weren. Aber es ist so, als ob es keinen interessiert.
Die Erde ist wie ein Narrenschiff, dass auf den Abgrund zusteuert. Anstatt aufzuklären und gegenzusteuern, wird nun auch noch in den Medien der Reichtum öffentlich zur Schau gestellt. Das sieht dann genauso geschmacklos aus wie es ist! Ich bin nicht für Revolution und Blutvergießen, aber so ein Generalstreik auf der ganzen Linie der Politiker nach sich zieht, die sich nicht für das Kapital, sondern für alle einsetzen, das wünsche ich mir!