Brasilien

Freitag, 12. Januar 2007

Lulas Brasilien, Teil 2 - Brasilien und die Sklaverei

Höchste bisher verhängte Strafe für Sklavenhaltung

Von Elmar Getto

In Brasilien (wie auch in anderen Entwicklungsländern) werden in nicht zu unterschätzendem Umfang Sklaven gehalten. Gerade ist ein brasilianischer Senator (!) wegen Sklavenhaltung zur höchsten Strafe verurteilt worden, die für dieses Delikt im Land je ausgesprochen wurde. Raten Sie einmal, wie hoch diese Strafe war.

Zuckerhut von der Botafogo-Bucht aus

Die modernen Sklavenhalter erklären die Sklaven nicht mehr zu Sklaven, sie sagen, es seien Landarbeiter. Zunächst schickt man Anwerber in Gegenden, wo z. B. die Trockenheit gewütet hat und eine große Anzahl von Menschen hungern und dringend irgend eine Art von Beschäftigung brauchen. So bekommt man schnell seine „Landarbeiter“ zusammen. Dann werden sie auf den Lastwagen der Anwerber verfrachtet und zum Großgrundbesitz des Sklavenhalters gefahren, der typischerweise Zig Kilometer vom nächsten bewohnten Ort entfernt liegt. Ihnen wird ein niedriger, aber üblicher Lohn versprochen. Tatsächlich zahlt man ihnen auch Lohn.

Nur sind sie darauf angewiesen, ihre Lebensmittel im Laden des Großgrundbesitzers zu kaufen, wo sie leider „ein wenig“ teuer sind. In kürzester Zeit sind die „Landarbeiter“ bis über beide Ohren beim Großgrundbesitzer verschuldet. Nun sagt man ihnen auch, daß sie natürlich nicht ‚verduften’ dürfen, bis sie ihre Schulden bezahlt haben. Da der Lebensunterhalt aber immer mehr kostet als sie Lohn erhalten, kommen sie nie mehr aus der Falle.

In der Praxis ergibt sich de-facto-Sklaverei: Der „Herr“ zahlt zwar den Lebensunterhalt, aber keinen Lohn. Oft sind auch recht rüde Methoden des Antreibens zur Arbeit üblich. Sehr beliebt sind solche Sklavenkolonnen zum Abholzen von Regenwald, was Schwerarbeit darstellt.

Von Zeit zu Zeit tut die Regierung (in diesem Fall die brasilianische) etwas für ihr Image und schickt ein paar Polizisten in die Großgrundbesitze und läßt einen oder zwei der Sklavenhalter auffliegen. Da fast alle wirklich großen Großgrundbesitzer im Parlament oder im Senat sitzen, kann man damit Parlamentarier abstrafen, die sich den Wünschen der Regierung widersetzt haben oder auch schon mal persönliche Fehden austragen. In Wirklichkeit geschieht natürlich nichts wirklich Ernsthaftes den Sklavenhaltern, sie werden nur zu Geldstrafen verurteilt.

Damit sind wir auch schon bei der Auflösung des obigen Rätsels. Die gewaltige Strafe für den ertappten brasilianischen Senator war eine Geldstrafe über 760 000 Reais, das sind etwa 230 000 Euro. Ein wirklich großer Großgrundbesitzer verdient soviel an einem Tag und bezahlt das aus der Portokasse.

Brasilien (topographisch)

Brasilien war das letzte große Land, das die Sklaverei abschaffte. Erst im Jahre 1888, als jedes sich halbwegs zivilisiert vorkommende Land schon keine Sklaverei mehr hatte, benutzte die Tochter des amtierenden brasilianischen Kaisers Dom Pedro II, die Prinzessin Isabel, eine Abwesenheit ihres Vaters, um die Abschaffung der Sklaverei zu verkünden.

Brasilien hatte schwarze Sklaven in beeindruckender Anzahl importiert, kein Vergleich mit den geringen Zahlen der nordamerikanischen Vettern. Sie gingen (wie auch jene) nach ihrer Befreiung nicht zurück nach Afrika, sondern blieben im Land, vermehrten sich und mischten sich mit den Weißen. So stellen heute die Nachfahren von Sklaven die überwiegende Mehrheit der Brasilianer dar.


Das geht inzwischen schon soweit, daß weiße Brasilianer im Ausland ungläubig gefragt werden, ob sie wirklich Brasilianer seien, man habe sie sich etwas.....dunkler vorgestellt.

Wie auch immer, die ganze brasilianische Gesellschaft ist heute noch geprägt von der erst kürzlich abgeschafften Sklaverei (117 Jahre sind nichts in der Entwicklungsgeschichte einer Gesellschaft).

So verwundert es auch nicht, daß die brasilianische Gesellschaft eine mehr symbolische Bestrafung für einen Sklavenhalter akzeptiert. Und in Brasilien gilt sowieso: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als daß ein Reicher in das Gefängnis einzieht.

Diesmal war der Sklavenhalter ein gewisser Joao Ribeiro, Senator der Partei PFL, die als gesamtes als eine Partei der Großgrundbesitzer angesehen werden kann. Sie hat es seit vielen Jahren verstanden, das Zünglein an der Waage der brasilianischen Politik zu sein und ist von größtem Einfluß. Präsident Lula hat keine Mehrheitskoalition mehr im Parlament und muß sich jedes mal, wenn er ein Gesetz durchbringen will, eine Mehrheit zusammenkaufen. Dabei ist er auch immer auf Politiker der PFL, im Repräsentantenhaus wie im Senat, angewiesen.

Der Spitzenpolitiker hatte für unbekannte Zeit 32 Landarbeiter wie Sklaven auf einer seiner Besitzungen gehalten und war erwischt worden. Seiner politischen Karriere wird dies nicht im mindesten schaden.

Wenn Sie gemeint hatten, für Sklavenhaltung müßten Gefängnisstrafen ausgesprochen werden, so mögen Sie zwar recht haben, sind aber offenbar nicht mit den Verhältnissen in der Politik vertraut, sei es in Deutschland oder Brasilien.


Dieser Artikel von Elmar Getto, der zweite Teil unserer Reihe "Lulas Brasilien", erschien ursprünglich in Rbi-aktuell am 19.4. 2005. Er ist so aktuell wie nie.

Hier geht es zum Teil 1 der Reihe "Lulas Brasilien", hier zum Teil 3, hier zum Teil 4, hier zum Teil 5, hier zum Teil 6, hier zum Teil 7 und hier zum Teil 8.

Mittwoch, 10. Januar 2007

Lulas Brasilien, Teil 1 - Terroranschlag-Verdächtige freigelassen

Die brasilianische Justiz erneut auf der Seite der Großgrundbesitzer

Von Elmar Getto

Die Bewegung der Landlosen (MST) in Brasilien muß erneut Todesopfer betrauern. Die Großgrundbesitzer, die bereits Hunderte von ihnen auf dem Gewissen haben, schlugen wieder zu. In Felisburgo im äußersten Norden des Bundesstaates Minas Gerais fuhr ein Kommando einer von Großgrundbesitzern angeheuerten Gruppe in ein Camp der Landlosen, stiegen aus und eröffneten das Feuer auf alles, was sich bewegte. 5 Tote und mehrere Schwerverletzte sind die Bilanz. Die brasilianische Justiz läßt, wie schon so viele Male vorher, die Täter laufen.

Corcovado von Botafogo aus

Es ist fast nicht zu glauben, es ist ein gewaltiger Skandal: Die brasilianische Justiz läßt erneut höchst Verdächtige an einem Massaker frei, das am Samstag, den 16. November 2004 im Norden des Bundesstaates Minas Gerais in der Region Vale de Jequitinonha begangen wurde. Nach dem wahllosen Abknallen von Personen zündeten die Terroristen auch noch die Zelte der Landlosen an, so daß diese jetzt obdachlos sind. Dies ist bereits das dritte Massaker in diesem Jahr in dieser Region. In allen drei Fällen wird der Großgrundbesitzer Adriano Chafik Luedy als der Auftraggeber und sogar als Beteiligter an den Mordtaten angeklagt. Diesem Großgrundbesitzer gehört nicht nur die Fazenda, von der etwa 800 Hektar (von insgesamt 2 000) von den Landlosen im Norden von Minas Gerais besetzt wurden, sondern auch weitere 11 Fazendas im unmittelbar angrenzenden Bundesstaat Bahia.

Der beauftragte Polizeikommissar der Mordkommission aus der Staats-Hauptstadt Belo Horizonte sagte, daß es eine „erdrückende Beweislast“ gegen den Großgrundbesitzer gibt, nicht nur der Auftraggeber dieser Terroranschläge zu sein, sondern zusammen mit seinem Neffen Carlixto Luedy Filho diesmal auch selbst teilgenommen zu haben. Trotzdem stellte der zuständige Richter im Bundesstaat Bahia keinen Haftbefehl aus, da irgendwelche Formalien angeblich nicht eingehalten wurden. Aus diesem Grunde mußten die Polizisten den Großgrundbesitzer und seinen Neffen laufen lassen und beide sind untergetaucht. Es ist natürlich kein Zufall, daß ein Richter aus Bahia solche Entscheidungen trifft, denn es ist traurige Tradition in Brasilien, daß die Justiz keine Entscheidungen gegen „wohlangesehene Bürger“ des jeweiligen Bundeslandes fällt. Jener Großgrundbesitzer ist automatisch sehr ‚wohlangesehen’ dort mit seinen 11 Fazendas.

Im Zeltlager „Terra prometida“ (verheißenes Land) , das angegriffen wurde, leben etwa 100 Familien, die mit der Besetzung den Anspruch auf die Verteilung von ungenutztem Land, die in der brasilianischen Verfassung festgeschrieben ist, unterstreichen wollten. Sie hatten bereits Drohungen erhalten und waren zur Polizei gegangen, die – wer wundert sich noch – nichts unternahm.

Laut Angaben eines Sprechers des MST Minas Gerais haben die Großgrundbesitzer sich in letzter Zeit wieder verstärkt Mordbanden gekauft, die Besetzungen durch die MST-Bewegung blutig ahnden sollen. Vorher war man mehr an den absurd hohen Entschädigungszahlungen der brasilianischen Regierung für enteignetes Land interessiert (man ließ ganze Ländereien brach liegen, um sie „enteignungsfähig“ zu machen), aber mit der faktischen Freigabe der Gen-Soja in Brasilien rechtzeitig zum Beginn der Aussaat im Frühling – in Brasilien ist jetzt Frühling) ist die tatsächliche Nutzung brachliegender Flächen für den Sojaanbau wieder interessant geworden.

Daß diese Verhältnisse sich gegenüber der vorherigen konservativen Rgierung nicht einen Deut geändert haben, ist eine der weiteren Anklagen gegen den – angeblich linken – Präsidenten Lula in Brasilien.


Als ersten Beitrag einer neuen Serie "Lulas Brasilien" bringt Karl Weiss-Journalismus hier einen Artikel von Elmar Getto, der am 27.11. 2004 von "Rbi-aktuell" veröffentlicht wurde. Zu diesem Zeitpunkt war der Präsident Lula schon fast drei Jahre im Amt. Bis heute hat sich an hier beschriebenen Zuständen nichts geändert.

Hier geht es zum Teil 2 der Reihe "Lulas Brasilien", hier zum Teil 3, hier zum Teil 4, hier zum Teil 5, hier zum Teil 6, hier zum Teil 7 und hier zum Teil 8.

Mittwoch, 6. Dezember 2006

Weiterungen aus dem Flugzeugabsturz in Brasilien

Wer hat recht: Deutschland oder Brasilien?

Von Karl Weiss

Jetzt steht es fest: Wie üblich, wurde der Flugzeugabsturz in Brasilien über dem Amazonas-Urwald nicht durch einen einzigen Fehler verursacht, sondern durch ein tragisches Zusammenspiel mehrer Fehler bzw. Ausfälle. Neben den US-amerikanischen Piloten des Exekutiv-Jets Legacy, der mit der Boeing 737 der Linie „Gol“ zusammenstieß, war auch zumindest einer der Fluglotsen mit einer Fehlleistung verantwortlich. Inzwischen haben die Fluglotsen in Brasilien mit einer Aktion „Dienst nach Vorschrift“ reagiert.

Fest stehen bis jetzt folgende Ursachen für den Absturz mit 155 Toten:

- Das Funkgerät der „Legacy“, die auf dem Überführungsflug von der brasilianischen Fabrik Embraer in São José dos Campos zum US-amerikanischen Käufer war und nach dem Zusammenstoß noch landen konnte, war außer Betrieb. Es ist bis heute nicht geklärt, ob der Pilot das Gerät abgeschaltet hat oder ob es sich um einen technischen Fehler handelt. Das Gerät funktionierte zu Beginn des Fluges und auch nach dem Unfall, als der Pilot das beschädigte Flugzeug auf einer nahen Militär-Base landete.

- Der „Transponder“ der Legacy war ebenfalls zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes außer Betrieb. Auch hierfür ist die Ursache ungeklärt: Abgeschaltet oder defekt? Der Transponder sendet automatisch in regelmäßigen Abständen Kennungen aus. Er dient dazu, Flugkontrolle und anderen Flugzeugen die Identifizierung des Flugs, seinen Standort und seine Flughöhe zu ermöglichen. Auch der Transponder funktionierte einwandfrei zu Beginn des Fluges und nach der Landung auf der brasilianischen Luftwaffen-Stützpunkt „Alto Xingu“.

- Die Piloten der „Legacy“ hätten, da sie ohne Kommunikation waren, einen speziellen hierfür vorgesehenen Alarm betätigen müssen, was sie nicht getan haben. Dieser Alarm hätte sowohl die militärische wie auch die zivile Flugkontrolle auf die Situation ohne Kommunikation und ohne funktionierenden Transponder aufmerksam gemacht und sie hätten den Flugverkehr von der Route der Legacy umleiten können.

- Der Fluglotse, der sich zu Beginn des Fluges der Legacy in São José dos Campos mit dem Piloten verständigte, beging einen Fehler: Er gab der „Legacy“ für den ganzen Flug bis Manaus ausdrücklich die Flughöhe von 37.000 Fuß frei, obwohl der Flugplan etwas anderes vorsah, nämlich zwei Wechsel der Flughöhe. Zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes auf 37.000 Fuß hätte die „Legacy“auf 38 000 Fuß sein müssen. Die Ursache für diesen Fehler ist ungeklärt – wahrscheinlich einfach ein Versehen des Fluglotsen.

- Die Piloten der Legacy hatten sich nicht die Mühe gemacht, den Flugplan zu lesen, der ihnen schriftlich vorlag, sondern hatten sich auf die mündliche Anweisung verlassen.

- Die Fluglotsen in Brasilia hatten der Legacy nicht ausdrücklich das Heruntergehen auf 36.000 Fuß angeordnet. Wegen des ausgeschalteten (oder defekten?) Transponders konnten sie auch nicht sehen, dass die Legacy diese neue Höhe nicht von sich aus angesteuert hatte.

- Im Bereich des Zusammenstoßes gibt es ein „blindes Loch“ im Radarsystem über Brasilien. Die Legacy war zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes bereits eine geraume Zeit von den Radarschirmen in Brasilia verschwunden und noch nicht auf denen der Zentrale in Manaus aufgetaucht.

Fahrgestell der abgestürzten Boeing

Hätte auch nur eines dieser Umstände, Fehler, Ausfälle oder Versehen nicht stattgefunden, wäre der Zusammenstoß und damit der Absturz der Boeing 737 der Linie „Gol“ (155 Tote) mit hoher Wahrscheinlichkeit verhindert worden.

Sechs der Insassen der Legacy. Die beiden juengeren Männer im Vordergrund sind nach Angaben der Agentur die beiden Piloten

Die Piloten der Legacy, zwei junge Männer, sind zumindest für einen wesentlichen Teil dieser Dinge verantwortlich. Sie sind weiterhin in Brasilien und die Staatsanwaltschaft prüft eine Anklage. Ihnen ist nicht erlaubt, das Land zu verlassen.

embraer legacy

Zumindest in einem Punkt ist aber auch eine Verantwortlichkeit von Fluglotsen festgestellt worden. Dies hat inzwischen bereits zu Reaktionen geführt. Die Fluglotsenvereinigung hat eine „Aktion Einhalten der Vorschriften“ ausgerufen und begonnen, die zu heftigsten Flug-Verspätungen geführt hat. Die Verspätungen von Flügen in Brasilien waren zwischenzeitlich auf einem Niveau, auf dem es bereits zu handgreiflichen Auseinandersetzungen und mehrfachem Eingreifen der Polizei gegen randalierende Fluggäste gekommen ist.

Leichenabtransport in Mato Grosso

Die Regierung hat promt reagiert. Man hat das Aufstocken der Stellen von Fluglotsen um etwa 20% versprochen. Zwar sind auf dem Arbeitsmarkt im Moment nicht so viele Fluglotsen verfügbar, aber man hat bereits alles eingestellt, was eine Ausbildung hatte und einen speziellen neuen Lehrgang für erfahrene Personen aus der Luftfahrt zur Umschulung zum Fluglotsen angesetzt. Bis Ende Januar will man alle vorgesehenen Stellen besetzt haben. Die Fluglotsen haben inzwischen bereits ihre Aktion abgebrochen und der Luftverkehr in Brasilien normalisiert sich schon wieder. Auch die Radarlücke soll geschlossen werden.

Foto der Schäden an der Legacy

Dabei kam der Regierung ein Fakt zu pass: Vor kurzem ist die frühere offizielle brasilianische Fluglinie Varig pleite gegangen und hat Tausende von Angestellte entlassen. Zwar wird versucht, eine Rest-Varig wieder aufzubauen, aber es stehen haufenweise erfahrene brasilianische Piloten auf
der Strasse.

Diese Fakten sind besonders für uns in Deutschland interessant, denn es hatte sich Ende der 70er-Jahre eine ähnliche Situation in Deutschland herausgebildet. Die Fluglotsenvereinigung hatte einen „Dienst-nach-Vorschrift“-Aktion begonnen, denn man sagte, die Steigerung des Flugverkehrs werde auf dem Rücken der Fluglotsen ausgetragen. Ohne massive Ausweitung der Zahl der Fluglotsenplätze sei ein sicherer Flugverkehr nicht sicherzustellen.



Die Fluglotsen würden andauernd angehalten, Vorschriften zu verletzen, um einen flüssigen Flugverkehr zu gewährleisten. Der Dienst nach Vorschrift sei daher gerechtfertigt. Zum Beispiel sieht die Vorschrift vor, dass aus Sicherheitsgründen zwischen jeder Landung und jedem Start auf einer Rollbahn fünf Minuten Abstand sein müssen. Die Fluglotsen hatten aber zu jener Zeit (und haben heute) diesen Zeitraum längst auf drei Minuten abgekürzt.

Der Berichterstatter saß damals mehrmals lange Zeit in Flughäfen und in stundenlang kreisenden Flugzeugen, die auf eine Landeerlaubnis warteten.

Die damalige Bundesregierung unter einem gewissen Schmidt war allerdings gar nicht dieser Meinung. Sie genehmigte keine neuen Fluglotsenplätze und sagte, die Dienst-nach-Vorschrift-Aktion sei ein illegaler Streik. Die Gerichte folgten dieser Ansicht. Die Fluglotsen wurden verurteilt, die Aktion sofort abzubrechen. Die Fluglotsenvereinigung wurden zu Millionenstrafen verurteilt und ging Pleite. Bis heute sind die Fluglotsen tagtäglich veranlasst, die bestehenden Vorschriften zu brechen.

Sie können sich, verehrter Leser, selbst davon überzeugen, so wie der Berichterstatter dies gemacht hat: An einem Tag, an dem Westwind herrscht (das ist fast immer) nimmt man am Frankfurter Autobahnkreuz die Fahrbahn nach Süden, Richtung Mannheim/Darmstadt. Gleich an der ersten Ausfahrt fährt man raus und macht einen Bogen zurück in Richtung des Flughafens. Dort, gleich neben der Autobahn, kann man in einem Wäldchen sein Auto abstellen.

Man nimmt einen Fußweg, der in einer Fußgängerbrücke über die Autobahn führt und ist dann auf einem Weg zwischen Autobahn und Flughafenzaun, von wo man die Flugzeuge landen sehen kann. Sie haben an dieser Stelle kaum noch 50 Meter an Höhe. Auf beiden Landebahnen ist fast den ganzen Tag Hochbetrieb. (Übrigens ein Spektakel, das man seinen Kindern keineswegs vorenthalten sollte). Die fünf Minuten werden andauernd unterschritten.

Falls sich dies in der Zwischenzeit geändert haben sollte, ist der Berichterstatter gerne bereit, sich zu berichtigen. Kommentare sind willkommen.

Interessant in diesem Zusammenhang: Gerade vor zwei Jahren ist ein Flugzeug im Raum Überlingen am Bodensee abgestürzt, weil ein Fluglotse einen Fehler gemacht hat. Die Angehörigen von ums Leben Gekommenen prozessieren im Moment gerade diesen Fluglotsen.

Welchen Weg halten sie, verehrter Leser, für den Richtigen? Den der Bundesregierung, die Fluglotsen mit Gewalt zum Brechen der Vorschriften zu zwingen? Oder den der brasilianischen Regierung, neue Fluglotsen einzustellen?


Veröffentlicht in der "Berliner Umschau" am 6. Dezember 2006


Zusatz: Am 6.Dezember wurde bekannt: Das zuständige Gericht hat angeordnet, den Piloten der "Legacy" ihre Pässe zurückzugeben und sie ausreisen zu lassen. Nach Ansicht des Gerichts konnte ihnen nicht bewiesen werden, dass sie Funkgerät und Transponder abgeschaltet hätten. Damit kann man ihnen nicht mehr die Hauptlast der Veratwortung aufbürden.

Sonntag, 3. Dezember 2006

Sind alle Männer Schweine?

Fremdgehen im Praxistest

Von Karl Weiss


Szene in einer der meist gesehenen US-Fernsehserien: Zwei Freundinnen in einer Bar. Eine der beiden wendet sich an einen Mann in der Nähe: „Ich tue dies üblicherweise nicht, aber ich hätte jetzt große Lust, sehr lieb zu Ihnen zu sein. Ich wohne hier um die Ecke. Wollen Sie mit zu mir kommen?” Der Mann antwortet: „O.K., nur schnell noch zahlen.” Die Frau: „Ach, ich will das lieber doch nicht tun. War nett, mit Ihnen gesprochen zu haben.” Zu der Freundin: „So sind die Männer, Sie zerstören mit einem Federstrich ihr Leben, ihre Familie, alles, für ein bißchen Sex.”

Ist das wirklich so? Oder ist es ein böses Vorurteil? Diesen Fragen wollte eine Gruppe von 8 BrasilianerInnen und einem Deutschen nachgehen.

Die Gruppe bestand aus den zwei brasilianischen Journalisten Zé und Carlos, die jene Ergebnisse veröffentlichen wollten und von ihren Zeitungen dafür bezahlt wurden, aus den Hauptpersonen, den drei Frauen Marta, Letícia und Cláudia, aus zwei wissenschaftlichen Beobachtern, einem Mann und einer Frau, Bento und Carla (Soziologen, die den Test entwickelt hatten und die Ergebnisse in einer Arbeit verwenden wollten), sowie aus dem Berichterstatter, der sich erbot, die Ergebnisse in Deutsch zu veröffentlichen. Später stieß noch ein Mann zu der Gruppe, Washington.

Hieronymus Bosch Der Garten der Lüste

Die Vorbereitungen wurden von Zé und Carlos, Bento und Carla zusammen mit dem Berichterstatter vorgenommen und nahmen mehr als einen Monat in Anspruch. Es galt Frauen zu finden, die bereit sind, in dieser Weise Männer anzusprechen und Bars, die den selbst gestellten Ansprüchen genügten.

Für die Frauen legten wir fest, sie sollten um die dreißig sein, attraktiv und in der Lage, in natürlicher Weise Männer so anzusprechen. Es erwies sich als extrem schwierig, Frauen zu finden, die dazu bereit waren, zumal wir auch außer Spesen keine Bezahlung in Aussicht stellen konnten.

Erst nach langen Suchen und intensivsten Diskussionen sowie speziellen Vorkehrungen konnten wir sicherstellen, daß Marta, Letícia und Cláudia diese „Arbeit“ übernahmen. Wir hatten insgesamt 16 Mal „Ansprechen“ vorgesehen und hatten dazu acht verschiedene Bars in einer großen brasilianischen Stadt ausfindig gemacht. Da in jeder der Bars also zweimal agiert würde, blieb beim ersten Mal eine der drei Ansprech-Frauen zu Hause (sie würde beim nächsten Mal in dieser Bar agieren und sollte dann nicht mit uns in Zusammenhang gebracht werden), während alle anderen Mitglieder der Gruppe anwesend sein sollten, um den Frauen Sicherheit zu geben und um alles so minutiös wie möglich dokumentieren zu können.

Hieronymus Bosch, Garten der Lüste, Ausschnitt 17

Die Bars lagen alle in Vierteln, in denen relativ gut situierte Leute wohnen, weil man angesichts der Kriminalitätsrate in Brasilien besonders vorsichtig sein muß, wenn man schon vorhat, Männer zu provozieren.

In der Praxis stellte sich heraus, daß die Szene der TV-Serie eines nicht bedacht hatte: Alle Männer gingen im ersten Moment davon aus, von einer Prostituierten angesprochen worden zu sein. Erst wenn bereits mit der Ansprache geklärt wurde, daß es sich nicht darum handelte, wurde das Ganze zu einem richtigen Test. Insoweit konnten wir schon in diesem Moment eine der Ausgangsfragen beantworten, nämlich ob die Szene in der Fernsehserie realistisch war. Antwort: Nein.

Eine weitere Frage erhob sich mit der Auswahl der drei Frauen. Während Marta und Cláudia Frauen vom Typ „Mignon“ waren, dunkelhaarig, braunäugig, attraktiv, aber verhältnismässig klein, ohne sehr ausgeprägte Kurven und ziemlich schlank, war Letícia eine ausgesprochene Schönheit: Mit ausdrucksvollem Gesicht, ausladenden Kurven und gewelltem, blond gefärbtem Haar konnte sie als „Traumfrau“ im brasilianischen Sinne gelten. Ihre Maße sind 91-62-100. Sie hat einen großen Hintern, aber ohne ein breit ausladendes Becken, was ihren Status als blendende Schönheit noch unterstreicht.

Hier wird aus dem Grund auf diese körperlichen Merkmale eingegangen, weil dies – jedenfalls nach unserer anfänglichen Einschätzung - bei einem Einverständnis mit Sex innerhalb von Sekunden oder Minuten das wesentlichste sein wird, was man an diesen Frauen bemerken kann.

Wir hatten in der Vorbereitung viel Zeit mit Diskussionen über den Punkt verloren, ob wir mit Letícia nicht ein ausgewogenes Ergebnis des Tests beeinträchtigten, weil es gewissermassen nicht fair wäre, eine so attraktive Frau ein solches Angebot machen zu lassen. Wir sollten eine Überraschung erleben.

Bevor wir zu den Ergebnissen kommen, noch einige Anmerkungen: Die Männer, die angesprochen werden sollten, sollten dem Aussehen nach über dreißig und jünger als 50 sein. Wir lagen bei den 14 Männern, die sich interviewen liessen, richtig in diesem Bereich. Es ergab sich kein Zusammenhang vom Alter mit der Tendenz zur Annahme des Angebots.

Wir hatten vereinbart, die Männer nach der Ansprache zu interviewen, falls sie dies zuließen. Wir stellten folgende Fragen: Alter, ob sie verheiratet seien, mit einer (ihrer) Frau zusammenleben, auch mit (gemeinsamen?) Kindern zusammenleben, ob sie die Frau attraktiv gefunden hätten, die das Angebot machte, warum sie das Angebot angenommen/abgelehnt hätten, wie sie zu der hiermit im Zusammenhang stehenden moralischen Frage stünden (religiöse Moral?) und wie sie glauben, daß der ganze Test ausgehen würde.

Selbstverständlich garantierten wir allen Beteiligten Anonymität, so daß also auch alle hier genannten Namen geändert sind.

Bosch, Garten der Lüste, Ausschnitt 7

Es muß auch noch die Frage der Rassen erwähnt werden, weil dies in einem gemischtrassischen Land wie Brasilien von Bedeutung ist. Alle drei Ansprech-Frauen waren Weiße, aber mit dunklem Teint, der auf vereinzelte schwarze Vorfahren hindeuten könnte. Unter den angesprochenen Männern waren 10 Weiße und 6 mit deutlich dunklem Teint, aber kein Schwarzer. Irgendein Zusammenhang der Ergebnisse mit der Helligkeit des Teints war in keiner Weise herzustellen.

Hier nun die generellen Ergebnisse: 8 der 16 angesprochenen Männer lehnten das Angebot ab, 8 nahmen es an. Kurz zusammengefaßt: >>Nur die Hälfte der Männer sind Schweine.<<

In Wirklichkeit muß man dies aber weit differenzierter sehen, wie eine detallierte Auswertung deutlich macht.

Drei der 16 Männer lebten nicht mit einer Frau zusammen, davon nahmen zwei das Angebot an, einer lehnte es ab. Von den 13 Männern, die mit einer Frau zusammenlebten, nahmen also 6 das Angebot an, 7 lehnten es ab. In Wirklichkeit gingen also nur 6 von 16 Männern nach allgemeinen Moralvorstellungen unmoralisch auf ein Angebot ein, das sind nur 38% der Männer in unserem Test.

Von den 6 Männern, die das Angebot annahmen und mit einer Frau zusammenlebten, lebten 3 auch mit Kindern zusammen, entweder gemeinsamen oder Kinder der Frau. Vier der sechs waren weiß, die beiden anderen mit dunklem Teint. Angesprochen auf die moralische Frage, die ein solches Annehmen des Angebots aufwirft, wenn man mit einer Frau zusammenlebt, wurden alle sechs mehr oder weniger verlegen und stimmten zu, daß es nicht richtig gewesen wäre. Sie reklamierten aber „mildernde Umstände“, weil die Frau so attraktiv gewesen sei. Einer sagte, dies sei eine Situation gewesen, von der er ein Leben lang geträumt habe.

Einige von ihnen begannen auch über Probleme in ihrem Verhältnis zu sprechen, was sie wohl auch für eine Entschuldigung hielten. Carla, eine lebenserfahrene Frau, pflegte an dieser Stelle zu sagen, es sei kein Wunder, wenn es Probleme gäbe, wenn der Ehemann bei der ersten Gelegenheit fremdgehe.

Interessant war auch, was jene antworteten, die abgelehnt hatten. Zwei von ihnen waren nicht bereit zu einem Interview, gaben an, daß sie ihrer Frau treu seien und punktum.

Boticelli Geburt der Venus Ausschnitt

Zwei andere gaben als Hauptgrund für die Ablehnung nicht etwa Treue zu ihrer Frau an, sondern daß sie befürchteten, mit diesem Ansprechen eventuell von kriminellen Personen in eine Falle gelockt zu werden. In einem Land mit so hoher Kriminalität wie Brasilien kommt man natürlich leicht auf eine solche Annahme. Beide (lebten mit Frauen zusammen und) schlossen nicht kategorisch aus, daß sie auf ein solches Angebot eventuell eingehen würden, wenn es ihnen nicht verdächtig erschiene. Einer von ihnen sagte, er sehe kein moralisches Problem darin, von Zeit zu Zeit untreu zu sein, das könne dem Verhältnis zur Frau sogar gut tun. Der andere verurteilte dies aber moralisch.

Der fünfte von denen, die abgelehnt hatten, gab einfach an, er hätte gar keine Zeit gehabt, mit der Frau zu gehen, weil er verabredet sei (er wollte nicht mit Sprache heraus, ob mit einer Frau, er war nämlich jener, der nicht mit einer Frau zusammenlebte, aber trotzdem abgelehnt hatte).

Der sechste, zusammenlebend mit Frau und Kindern, sagte, er sei nicht in Stimmung gewesen. Er wollte nicht völlig ausschliessen, daß er unter anderen Bedingungen ein solches Angebot eventuell angenommen hätte. Er verurteilte ebenfalls ein solches Handeln moralisch, sagte aber, wir seien eben alle nur Menschen.

Der siebte schließlich sagte, er habe ein Spiel mit der Frau spielen wollen. Er habe zwar abgelehnt, aber nur zum Schein. Er wollte wissen, wie sie reagierte. Er wäre später eventuell doch mit ihr gegangen, abhängig davon, wie sich das „Spiel“ weiter entwickelte. Er lebte zwar mit einer Frau zusammen, meinte aber, es sei nicht verwerflich, gelegentlich eine andere Frau zu haben. Nur ein dauerhaftes Verhältnis neben der Ehe lehnte er ab. Bemerkenswert immerhin, daß er offen zugab, gleiches seiner Frau nicht zuzugestehen.

Der achte, der abgelehnt hatte, sagte, er habe schwer mit sich gerungen, weil er die Frau extrem attraktiv gefunden hatte. Er hatte, bevor er ablehnte, Cláudia zunächst zu einem Drink eingeladen und mit ihr gesprochen. Schließlich habe er aber an seine Frau gedacht und habe doch abgelehnt. Auch er lehnte ein solches Handeln moralisch ab, gab aber zu, daß er das Angebot fast angenommen hätte.

Bosch, Garten der Lüste, Ausschnitt 2

Alle, die das Angebot angenommen hatten und auch jene, die es abgelehnt hatten, aber nicht völlig ausschlossen, einmal ein solches Angebot anzunehmen und gleichzeitig ein solches Handeln moralisch ablehnten, bestätigten, daß ihre moralischen Vorstellungen auf religiösen Überzeugungen beruhten. Die beiden, die einen Seitensprung für akzeptabel hielten, auch wenn sie abgelehnt hatten, bekannten sich ebenfalls als gläubig.

Entgegen unseren Erwartungen war es nicht Letícia, sondern Cláudia, die den meisten „Erfolg“ mit diesem Angebot an beliebig ausgewählte Männer hatte. Sie hatte sechs der 16 Männer angesprochen und fünf davon hatten das Angebot angenommen, der sechste hätte es fast angenommen. Alle Männer, die von Cláudia angesprochen worden waren, betonten in besonderer Weise, wie attraktiv ihnen Cláudia vorgekommen war.

Beim Auswertungsgespräch, das wir danach führten und zu dem wir auch die angesprochenen Männer eingeladen hatten (vier waren gekommen), wurde noch einmal von allen anwesenden Männern hervorgehoben, wie sympatisch und sexy für sie Cláudia ist. Zwei der anwesenden Männer bestätigten, daß ihnen in der konkreten Situation in der Bar wie auch jetzt, im Auswertungsgespräch passierte, daß sie sexuell erregt wurden in der Nähe von Cláudia. Gleichzeitig mußten alle Männer zugestehen, daß Letícia vom Aussehen her so etwas wie eine „Traumfrau“ war – ohne aber den gleichen Effekt zu erreichen.

Hier wurde etwas deutlich, was man eigentlich schon vorher wußte, sich aber nicht bewußt gemacht hatte: Die ersten Eindrücke, die man von anderen Menschen bekommt, beziehen sich keineswegs ausschließlich auf die äußere Form des Körpers. Man nimmt vielmehr innerhalb von - sagen wir - einer Minute eine Vielzahl von Signalen auf (Geruch, Stimme, Sprache, Gesichtsausdruck, Tonführung der Stimme, Art der Ausdrucksweise, Körperhaltung, unbewußte Körperbewegungen / Kopfbewegungen beim Sprechen usw.), die einem eine Person attraktiv oder auch nicht machen. Die generellen Regeln der Schönheit müssen nicht unbedingt mit dieser „Attraktivität“ gleich laufen.

Die beiden anderen Frauen hatten jeweils fünf Männer angesprochen. Bei Letícia hatten zwei Männer das Angebot angenommen, bei Marta nur einer.

Daß das Ergebnis bei Letícia so sehr unterhalb dem von Cláudia ausgegangen war, hing damit zusammen, daß ihre besondere Schönheit angesichts dieses Angebots auch zu Zweifeln geführt hatten. Die beiden Männer, die angegeben hatten, nicht angenommen zu haben, weil sie eine Falle vermuteten, waren von Letícia angesprochen worden. So hatten wir tatsächlich mit ihrer besonderen Schönheit den Ausgang der Untersuchung beeinflußt, aber im umgekehrten Sinne wie befürchtet.

Unklar blieb bis zum Schluß, warum von den fünf Männern, die Marta angesprochen hatte, nur einer angenommen hatte. Auffallend besonders, weil Marta äußerlich sehr ähnlich wie Cláudia aussieht. Es könnte sich einfach um Zufall handeln. U.a. waren jene beiden Männer von Marta angesprochen worden, die sich nicht interviewen ließen, sondern nur sagten, sie seien ihrer Frau treu.

Allerdings mußten die Männer bei der Abschlußbesprechung zugeben, daß alle ohne Ausnahme im Vergleich der drei Cláudia am attraktivsten und am meisten sexy und Marta als am wenigsten attraktiv und sexy betrachteten. Es war auch jener Mann anwesend, der als einziger das Angebot Martas angenommen hatte.

Es ist also tatsächlich wahrscheinlich, daß bei dieser Frage, ob ein Mann fremdgeht, die Attraktivität der möglichen Partnerin eine große Rolle spielt. Dabei läuft diese Frage der Attraktivität nicht unbedingt mit konventionellen Schönheitsvorstellungen konform.

Sehr aufschlußreich das Ergebnis der letzten unserer Fragen. Alle vierzehn angesprochenen Männer, die sich befragen ließen, erklärten, daß im Grunde jeder Mann, unabhängig von seinen Lebensumständen, aber abhängig von der Frau und der konkreten Situation, ein solches Angebot annehmen könnte.

Es ist noch von einem Ereignis zu berichten, daß etwa zur Hälfte der Ansprech-Tests geschah und dem Ganzen noch eine zusätzliche Richtung gab. Ein Schwarzer mit Vornamen Washington hatte Letícia in einer der Bars ‚angemacht’, als wir dort alle gemeinsam zum Angebot von Cláudia an einen Mann versammelt waren.

Letícia hatte sich mit ihm für hinterher verabredet un die beiden hatten wohl Gefallen gefunden aneinander, jedenfalls kam Letícia kurz danach mit ihm auf eine unserer Zwischen-Besprechungen und sagte, er sei ein männlicher Tester der gleichen Art. Was? Wie?

Ja, sagte sie, er spreche Frauen in Bars an, um Sexpartner zu haben und er benutze dabei eine besondere Technik. Er erklärte uns seine Technik. Wenn die Frau ihn nicht sofort resolut abweist, nachdem er sie angesprochen hat - was auf etwa die Hälfte der angesprochenen Frauen zutreffe -, kommt er ihr ganz nahe und spricht über ihre Schönheit. Dann nimmt er ihre Hand in seine und führt sie dort unten hin, wo sie sein eregiertes Glied fühlen kann. Es hat eine außerordentliche Dicke und Länge.

Bosch, Garten der Lüste, Ausschnitt 18

Die Reaktionen beschrieb er uns so: Etwa ein Drittel der Frauen ziehe sich empört zurück (das von der Hälfte, die ihn nicht schon vorher abgewiesen hatten). Manche beschimpften oder ohrfeigten ihn sogar. Eine habe schon einmal die Polizei gerufen und er mußte kurz entschlossen das Weite suchen.

Etwa ein weiteres Drittel der Frauen reagiert, als ob sie nichts gefühlt hätten und sprechen und scherzen weiter mit ihm. Meistens gehen sie dann erst beim zweiten Treffen mit ihm ins Bett.

Das dritte Drittel der Frauen dagegen zeigt sich so beeindruckt, daß er sie fast unmittelbar dazu bewegen kann, mit in seine Wohnung zu kommen und mit ihm Sex zu machen.

Er sagt, wenn er es darauf anlege, bekomme er in Regel auch die glücklichst verheirateten Frauen ins Bett – abgesehen von denen, die ihn bereits anfänglich ablehnten. Geht man aber von senen eigenen Angaben aus, wird er bereits am Anfang von etwa der Hälfte der Frauen zurückgewiesen und dann noch einmal von einem Drittel, also gehen nur etwa ein Drittel der Frauen, die er anspricht, mit ihm ins Bett. Zieht man noch ein wenig Übertreibung ab, so schmilzt doch der Anteil ganz schön zusammen.

Er erzählte, er habe noch nicht die „Richtige“ für ihn gefunden, aber er sei absolut verrückt nach Sex. Er brauche mehrmals in der Woche Sex. Nachdem er gemerkt hatte, wie viele Frauen sich von den Ausmaßen seiner Männlichkeit beeindrucken lassen, habe er angefangen, systematisch ständig neue Sexpartnerinnen zu suchen und sie auch gefunden. In der Regel mache er nicht mehr als fünf Mal mit der gleichen Partnerin Sex – das konnte nach kurzer Zeit auch Letícia bestätigen.

Sie sagte, es sei tatsächlich etwas Besonderes, aber eben doch auch nicht so verschieden zu dem mit Männern mit weniger Zentimetern. Sie sagte, sie habe besonders die erhöhte Dicke genossen, weniger die besondere Länge. Das letztere könne sogar wehtun.

Auf den Abschluß- und Auswertungsbesprechungen, bei denen auch Washington zugegen war, bestätigten alle anwesenden Frauen, daß es Unsinn sei, daß Frauen nicht nach Aussehen und äußerlichen Werten gingen, sondern nur nach „inneren“ oder, wie die Zyniker sagen, dem Inhalt des Geldbeutels. Die äußeren Attribute eines Mannes seien für die Frauen sehr wohl mit ausschlaggebend – wahrscheinlich in ähnlichem Maße wie die von Frauen bei den Männern - , wenn sie eine Einladung zum Abendessen annehmen oder etwas ähnliches.

Es konnte auch keine ableugnen, daß die Frage jener Größe für Frauen sehr wohl ein Thema ist. Cláudia gab sogar zu, daß sie von Riesen-Pimmeln phantasiere und träume.

So gab es denn auch noch ein kleines Nachspiel unserer Untersuchung. Cláudia, die glücklich verheiratet ist, ließ sich mit Washington ein. Durch einen Zufall kam es heraus. Der Ehemann war keineswegs berückt – wird aber wohl bei ihr bleiben. Sie sagte, die Sache sei längst vorbei.

Drücken wir das Ergebnis so aus: Das Fremdgehen ist nicht spezifisch männlich und es ist weit verbreitet, aber wahrscheinlich weniger – und bei Frauen mehr -, als es Geschichtenschreiber für US-Fernsehserien glauben.


Artikel ursprünglich veröffentlicht in der "Berliner Umschau" am 2. September 2006, hier leicht redigiert.

Freitag, 3. November 2006

100 Jahre Motorflug - Santos Dumont erfand das Flugzeug

Diesen Artikel gibt es jetzt in aktualisierter Form hier im Blog, hier:
http://karlweiss.twoday.net/stories/5145185/

Montag, 30. Oktober 2006

Lula wiedergewählt

Erneut ein Erdrutschsieg bei den Präsidentschaftswahlen in Brasilien

Von Karl Weiss

War nach dem ersten Wahlgang am 1.Oktober ernsthaft in Frage gestellt, ob Lula seine Wiederwahl sichern könnte, so sind seit diesem Zeitpunkt alle Dinge für ihn gelaufen. Er hat am 29.10.06 erneut einen Sieg mit hohem Abstand, diesmal etwa im Verhältnis 60,8 : 39,2, über seinen Rivalen von der PSDB errungen, wie schon vor vier Jahren.

Um fünf Uhr nachmittags schlossen die Wahllokale, um acht Uhr abends wurde die Wiederwahl Lulas bekanntgegeben zusammen mit den Ergebnissen der Gouverneurswahlen in jenen Staaten, in denen ebenfalls ein zweiter Wahlgang notwendig wurde. Bis 21.30 waren alle Ergebnisse genau festgestellt. Ob die Vereinigten Staaten einmal in Brasilien in die Lehre gehen sollten?

Lula gewann mit deutlichem Abstand im gesamten Norden und Nordosten Brasiliens, das sind die ärmsten Regionen Brasiliens. In den Regionen Zentral-West und Südost ging der Sieg mit geringem Vorsprung an Lula, nur in der Region Süd konnte der Kandidat der Rechten, Alckmin, die Mehrheit erreichen. Der Unterschied der Stimmenzahl zugunsten Lulas liegt im Bereich von 20 Millionen Stimmen (bei etwa 100 Millionen Wählern).

Besonders beeindruckend der Umschwung in der bei weitem bevölkerungsreichsten Region Südost mit den beiden bevölkerungsreichsten Staaten São Paulo und Minas Gerais und dem Staat Rio de Janeiro mit der gleichnamigen Stadt, der zweitgrößten des Landes. Im ersten Wahlgang war diese Region eindeutig an Alckmin gegangen, mit sehr hohem Vorsprung im größten Staat nach der Bevölkerungszahl, São Paulo, in dem beide Kandidaten wohnen.

Diesmal hat Lula nicht nur, wie auch schon im ersten Wahlgang, Rio de Janeiro gewonnen, sondern auch Minas Gerais, das noch vor 4 Wochen mit Abstand an seinen Gegenspieler gegangen war. In São Paulo konnte Lula den Abstand verringern, so dass die ganze Region an ihn ging. Damit war die Wahl gewonnen.

Gleich in der ersten Woche nach dem ersten Durchgang wurden die wichtigen Weichen gestellt. Der Kandidat der Rechten, Alckmin, glaubte verstärkt die Frage die Korruption in der Regierung in den Mittelpunkt seines Wahlkampfes stellen zu müssen, während die Truppe der Wahlkampfmanager der PT, der Partei Lulas, die Parole schuf: „Deixa o homen trabalhar!” „Laßt doch den Mann arbeiten!”.

Bald stellte sich heraus: Diesmal – im Gegensatz zur Wahlkampagne vorher – lag die PT richtig. Alckmin hatte nicht bedacht: Diejenigen, die wegen der Korruption in der Regierung Lula für ihn stimmen würden, hatten schon im ersten Wahlgang für ihn gestimmt. Er würde fast keine zusätzliche Stimme erhalten mit dieser Taktik. Lulas Parole kam dagegen an.

Es reichte für Lula aus, jeweils mit den ungeklärten Korruptionsskandalen der Regierung Cardoso zu antworten, derselben Partei wie Alckmin, der 8 Jahre Brasilien regiert hatte, von 1995 bis 2002. Da der Brasilianer Korruption für fast selbstverständlich hält und sowieso jedem Politiker zutraut, korrupt zu sein, war der Vorteil hier bei bei Lula.

Ausschlaggebend dürfte aber gewesen sein, dass im Moment die brasilianische Wirtschaft ein stetes Wachstum aufweist und die Arbeitslosigkeit nicht weiter ansteigt. Zwar werden wenig neue Arbeitsplätze geschaffen, aber insgesamt scheint - zumindest zeitweise – ein wenig Prosperität eingekehrt zu sein, die jene Hoffnung, die niemals stirbt, erneut angefacht und Lula zum Sieg verholfen hat.

Sie wird erneut enttäuscht werden. Die ersten „Reformen“, sprich Verschlechterungen, sind bereits angekündigt: Die Steuerreform, die politische Reform und die Rentenreform.

Veröffentlicht in der "Berliner Umschau": 30. Oktober 2006

Mittwoch, 11. Oktober 2006

Noch einmal: Flugzeugabsturz Brasilien

Fast unglaubliche Ansammlung von Fehlern

Von Karl Weiss


Artikel der "Berliner Umschau" von heute

Am Anfang war der Flugzeugabsturz einer Boeing 737 mit 155 Menschen an Bord über dem Amazonasurwald in Brasilien vor allem von der Vielzahl der ungeklärten Fragen charakterisiert. Jetzt geht das mehr und mehr in eine Polemik über die Ursachen über. Anscheinend hat sich, wie bei Unglücken häufig, ein tragisches Zusammenspiel von mehreren Irrtümern, Fehlern bzw. Fehlleistungen ereignet.

Leichenabtransport in Mato Grosso

Das erste größere Mißverständnis kam auf, als am Morgen des 4. Oktober die europäischen Medien (so unter anderem auch AFP) übereinstimmend meldeten, die beiden Piloten der Legacy seien festgenommen worden. Sie wurden bis heute nicht festgenommen. Man hat ihnen lediglich die Pässe abgenommen, damit sie sich während der Zeit der Untersuchungen nicht aus dem Land absetzen können. Dies ist internationale Norm. Wer unter dem Anfangsverdacht eines Verbrechen steht, darf als Ausländer das Land solange nicht verlassen, bis er vom Verdacht befreit wurde oder er wird eben wirklich festgenommen.

Es wurde versucht, dies als Besonderheit Brasiliens darzustellen. Das ist aber nicht der Fall. Brasilien folgt in diesem Fall lediglich internationalen Regeln.

Die in einem früheren Artikel geäußerte Vermutung, es könne sich bei „Excel Aire“, dem Käufer der Legacy, um eine CIA-Tarnfirma handeln, konnte nicht bestätigt werden. Es gibt dafür keinen Anhaltspunkt.

Die hauptsächliche Polemik wurde von dem Journalisten der New York Times, Joey Sharkey, eingeleitet, der als Gast in der Embraer 600 „Legacy“ mitgereist war, die mit der Boeing zusammenstieß. Er hatte von Brasilien aus noch einen einfühlsamen Artikel an seine Zeitung geschickt, über den die Berliner Umschau schon berichtet hat. Kaum war er aber in den USA angekommen, begann er in Interviews am Fernsehen, am Telephon und mit Zeitschriften und Zeitungen in unerhörter Weise die brasilianischen Behörden anzugreifen, obwohl der Inhalt seiner Berichte aus Brasilien nicht den geringsten Anhaltspunkt für irgendeine sachliche Begründung hierfür ergibt.

Joey Sharkey

So erklärte er u.a. in der Sendung „Today Show“ des TV-Senders NBC am Abend des 4. Oktobers, die brasilianische Flugkontrolle sei extrem schlecht und fehlerhaft. Woher er diese Weisheit hat, bleibt sein Geheimnis. Es gibt keinerlei Anzeichen, daß die brasilianische Flugkontrolle schlechter wäre als die in den USA oder in Europa. So hat sich zum Beispiel in Brasilien – zumindest in den letzten 20 Jahren – kein einziger Flugzeugabsturz ereignet, der eindeutig auf Fehler der Fluglotsen zurückzuführen gewesen wäre, wie etwa der Absturz vor einigen Jahren im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet bei Überlingen am Bodense.

Eine andere Bemerkung Sharkeys, die auf Unverständnis stieß, war, der ‚Transponder’ der fabrikneuen „Legacy“ des brasilianischen Herstellers Embraer müsse wohl einen Defekt gehabt haben. Ein wichtiger Umstand des Unglücks ist: Der Transponder des Exekutiv-Jets gab zum Zeitpunkt der Annäherung an den Punkt des Zusammenstoßes keine Signale ab (vorher und hinterher funktionierte er einwandfrei). Diese Signale hätten dazu geführt, daß der Pilot der Boeing noch rechtzeitig auf die sich auf gleicher Flughöhe annähernde Legacy aufmerksam geworden wäre. Die brasilianische Luftfahrtbehörde gab hierzu am 5. Oktober folgende Information heraus: Man habe den Transponder untersucht und keinerlei Fehler gefunden. Da er nach übereinstimmenden Aussagen keine Signale abgab, müsse er ausgeschaltet gewesen sein.

Es gibt nicht den geringsten Hinweis, daß brasilianische Embraer-Flugzeuge in irgendeiner Art weniger zuverlässig seien als solche aus Industriestaaten.

Der letzte große Absturz eines Passagierflugzeugs in Brasilien vor diesem war der einer Fokker 100 der Gesellschaft TAM, die mitten in der Großstadt São Paulo unmittelbar nach dem Start niederging und unter Insassen und getroffenen Anwohnern 99 Tote forderte. Es stellte sich heraus, daß die Hauptursache des Absturzes ein Konstruktionsfehler der Fokker war, zusammen mit einem technischen Versagen im Flugzeug. Zu diesem Zeitpunkt stand die inzwischen bereits Pleite gegangene Fokker-Gruppe unter deutscher Verwaltung: Die damalige Daimler-Benz AG, heute Daimler-Chrysler, hatte sie gekauft.

In Brasilien gehen Zivilpolizei, Bundespolizei und Staatsanwaltschaft davon aus, daß der US-Pilot der Legacy den Transponder abgeschaltet hatte – eventuell, um in einer anderen Höhe als vorgesehen fliegen zu können (was aber nicht viel Sinn ergibt).

Die dritte und nun in Brasilien mit besonderem Befremden aufgenommene Aussage von Sharkey ist, die beiden US-Piloten der Legacy würden in Brasilien „Gefahr laufen“. Man müsse speziell auf die von brasilianischen Behörden gesammelten Beweise des Zusammenstoßes achten. Hierzu bemühte sich sogar der brasilianische Verteidigungsminister an die Mikrophone der TV-Anstalten und erklärte, diese Aussage sei „bedauerlich“.

Soweit Sharkey damit andeuten wollte, in Brasilien würden eventuell ausländischen Piloten Beweise untergeschoben, um eine Schuld zu konstruieren, so ist da Vorsicht mit einer solchen Ausage geboten. Sie könnte als Vergehen aufgefaßt werden. Falls das „Gefahr laufen“ auf mögliche Verhörmethoden abzielte, so muß man sich wirklich fragen, was in diesen Journalisten gefahren sein könnte.

Tatsächlich gab es in Brasilien eine Epoche, als Beweise unterschlagen oder verfälscht wurden und als Folter von Verdächtigen an der Tagesordnung waren. Das war während der Militärdiktatur von 1964 bis 1985. Allerdings war diese Militärdiktatur auf „Einflüsterungen“ genau jenes Landes zustande gekommen, aus dem Sharkey kommt. Genau dort, in den Vereinigten Staaten, waren den Militärs die Methoden des Putsches beigebracht worden und genau dort lernten sie foltern.

Wenn du mit einem Finger auf den anderen zeigst, zeigen immer die anderen Finger der gleichen Hand auf dich zurück.

Die nächste Unklarheit tauchte auf, als der Polizist an die Öffentlichkeit ging, der alle 7 Insassen der Legacy bereits am Samstag, dem Tag nach nach dem Unglück, zum Ablauf vernommen hatte. Er sagte aus, daß der Journalist Sharkey ihm gegenüber nicht erwähnt hatte, was er in seinem Artikel schrieb: Er sei kurz vor dem Zusammenstoß im Cockpit gewesen und habe gesehen, daß der Höhenmesser der Legacy 37 000 Fuß angezeigt hätte. Sollte der Journalist eventuell versucht haben, den Landsleuten mit einer scheinbar entlastetenden Aussage zu helfen?

Sechs der Insassen der Legacy. Die beiden juengeren Männer im Vordergrund sind nach Angaben der Agentur die beiden Piloten

Nun, wie auch immer, es hat nicht geklappt, denn diese Aussage entlastet nicht mehr.

Von wem man die ganze Zeit bis heute nichts mehr hörte, ist der Fluglotse, der für die Luftraumüberwachung des zivilen Passagierverkehrs zuständigen brasilianischen Behörde „Agência Nacional de Aviação Civil“ (Anac). Es war gemeldet worden, er sei vom Dienst suspendiert und in psychologische Behandlung gebracht woden. Dann verschwand er aus den Meldungen. Er hätte auf seinem Bildschirm ja sehen müssen, daß da ein unidentifiziertes Objekt genau auf „seine“ Boeing zukam und warnen müssen, oder? Aus Kreisen der Luftüberwachung kommt folgende Erklärung: Da der Transponder ausgeschaltet war, erschien die Legacy auf einer anderen Höhe als die Boeing. Der Lotse konnte nicht erkennen, daß beide auf gleicher Höhe unterwegs waren.

Ein Fachmann weist auch noch daraufhin, daß die Stelle des Zusammenstoßes genau in der Zone liegt, in der sich die Zuständigkeiten der Luftüberwachungsstelle in Brasilia und jener in Manaus überlappen. In dieser Zone kann es schon mal vorkommen, daß sich für eine kurze Zeit beide Fluglotsen als nicht (noch nicht bzw. nicht mehr) zuständig für ein Flugzeug
ansehen.

Die wichtigste Meldung vom 5. Oktober in Brasilien war aber, daß eine gemeinsame US-/Brasilianische Kommission zur Aufklärung der Ursache(n) des Desasters eingesetzt wurde. In ihr sind nicht nur die Luftüberwachungsbehörde Brasiliens ANAC und die Luftwaffe Brasiliens (zuständig für die Exekutiv-Jets) sowie die Vereinigung der brasilianischen Luftfahrtgesellschaften vertreten, sondern auch die Gewerkschaft der brasilianischen Luftfahrtbeschäftigten, die Boeing, die Embraer sowie ein Beauftragter der US-Regierung.

Das ist ungewöhnlich. Es ist keineswegs normal, daß bei Untersuchungen über Flugzeugabstürze Vertreter ausländischer Regierungen einbezogen werden. Aber die USA als Herrscher der Welt haben eben Sonderrechte.

Ebenso wurde gemeldet, daß die beiden „Black Box“ bereits an die international zuständige Untersuchungsstelle in Kanada weitergegeben wurde. Für eine endgültige Beurteilung wird man auf jeden Fall die Ergebnisse dieser Auswertung abwarten müssen.

In den darauffolgenden Tagen kamen nur noch Berichte über Meinungen.

Nun aber, am 9.Oktober, traf endlich eine konkrete Tatsachenmeldung in den Nachrichten ein: Der Flugplan der „Legacy“ wurde als Kopie in den Fernsehnachrichten gezeigt. Er sieht für den Flug von São Paulo nach Brasilia die 37.000 Fuß vor, die als Höhe des Zusammenstoßes jetzt endgültig feststeht. Doch dann, als sie in den Korridor von Brasilia nach Manaus einbog, so steht da geschrieben, hätte die Legacy für etwa 400 km auf 36.000 Fuß fliegen müssen, um dann, beim Funksignal Terez, auf 38.000 Fuß zu steigen. Von Terez bis zum Ort des Zusammenstoßes sind es noch einmal 600 km, so daß der Flughöhenwechsel als Unglücksursache ausfällt.

Sie blieb aber die ganze Zeit auf 37.000 Fuß. Der Korridor zwischen Brasilia und Manaus ist aufgeteilt in geradzahlige Höhen (in Tausend Fuß) für den Verkehr von Brasilia nach Manaus und in ungeradzahlige Höhen für den Gegenverkehr.

Nach Aussagen eines Fachmannes ist das internationaler Standard: Eine Höhenschichtung von 1000 Fuß (etwa 330 Meter) für Hin- und Gegenverkehr wird allgemein als ausreichend angesehen.

Damit haben wir nun folgende Fehlhandlungen bzw. Fehlfunktionen:

1. Die Legacy hielt sich nicht an die Höhen des Flugplans. Grund: ungeklärt
2. Die Legacy war über Funk nicht zu erreichen. Grund: ungeklärt
3. Der Transponder der Legacy gab keine Signale ab. Grund: ungeklärt
4. Die Passagierluftverkehr-Flugkontrolle erkannte nicht, daß die Legacy auf der gleichen Höhe mit der Boeing unterwegs war oder war nicht aufmerksam. Grund: ungeklärt
5. Die Piloten beider Flugzeuge sahen sich nicht auf dem Radar. Grund: ungeklärt
6. Die automatischen Annäherungswarnungen haben nicht funktioniert. Grund: ungeklärt

Hätte auch nur eine dieser Fehlfunktionen oder Fehlhandlungen nicht stattgefunden, wäre das Desaster wahrscheinlich verhindert worden.

Man kann gespannt sein, zu welchen Schlüssen die internationale Untersuchungs-Kommission kommt.



Link zum Originalartikel hier

Donnerstag, 5. Oktober 2006

Neues zum Flugzeugabsturz in Brasilien

Wie konnte das passieren?


Von Karl Weiss


Artikel der "Berliner Umschau" von heute

Im Laufe des Montags und Dienstags gingen ein Reihe weiterer Meldungen zum Flugeugabsturz im Amazonasgebiet ein, dem Flugzeug-Desaster mit der höchsten Zahl von Toten in der brasilianischen Luftfahrt (155), die wenigstens einige der offenen Fragen beantworten. Allerdings kamen auch neue Fragen auf.

Die erste Nachricht war, daß ein Staatsanwalt in Mato Grosso die Beschlagnahme der Pässe der beiden Piloten des Exekutiv-Jets „Legacy“ beantragt hat, dessen Zusammenstoß mit der Boeing 737-800 die Tragödie auslöste, was der Richter auch gewährte. Es soll verhindert werden, daß beide in die USA zurückkehren, solange die Untersuchungen noch andauern. Der Pilot, so wird jetzt angegeben, heiße Joseph Lepore und sei Italiener.

Allerdigs ist das in Brasilien so ein Problem. Entscheidungen von Richtern gelten nur innerhalb deren Gemarkung. Die Entscheidung muß von einem anderen Richter am Aufenthaltsort der betroffenen Person bestätigt werden. Auch dann kann man nicht einfach an die Flughäfen Meldung geben, daß die beiden nicht ausreisen dürfen, sondern es muß ein Polizist persönlich den beiden die
Entscheidung übergeben und die Pässe einziehen. Soweit ersichtlich, ist das bisher nicht geschehen.

Als nächstes wurde erneut die Meldung gebracht, daß die brasilianische Luftwaffe, zuständig für die Überwachung der „Legacy“, bestätigt habe, der Exekutiv-Jet sei ausserhalb seiner Route geflogen und weit höher als vorgeschrieben.

Dann kommt eine Berichtigung dieser Meldung. Die „Legacy“ sei zu hoch geflogen, aber auf ihrer Route gewesen. Das ist jetzt die neue offizielle Aussage der Luftwaffe, zuständig für die Luftüberwachung von Exekutiv-Jets.

Dann bekommt der Berichterstatter einen Mann ans Telefon, der schon was vom Fliegen gehört hat. Der klärt auf: Die Annahme, daß Jets die kürzeste Verbindung von Ausgangs- und Zielpunkt fliegen, ist falsch. Die Luftüberwachung führt Jets vielmehr in Luftkorridoren von nur einigen hundert Metern Breite. Der erste Luftkorridor, den die Legacy aus São Jose dos Campos geflogen ist, sei wohl der von São Paulo nach Brasilia gewesen. Die Leitstelle in Brasilia habe sie dann wahrscheinlich in den Luftkorridor von Brasilia nach Manaus weitergeleitet und genau dort sei das Unglück geschehen.

Das heißt also, die beiden Flugzeuge waren im gleichen Luftkorridor genau in Gegenrichtung unterwegs, denn die Boeing 737-800 kam ja aus Manaus und sollte in Brasilia zwischenlanden auf dem Weg nach Rio de Janeiro. Normal sollte das auch kein Problem sein, denn selbstverständlich werden dem Nord- und Südverkehr verschiedenen Höhen zugeteilt, normalerweise eine 1000 Meter über der anderen.

Das stimmt überein mit den Angaben: Der Passagier-Jet war auf 37.000 Fuß unterwegs, das sind nach Angaben des Flug-Kundigen 12 000 Meter, während der Exekutiv-Jet hätte auf 34.000 Fuß fliegen sollen, das sind 11 000 Meter, wenn der Flug-Kundige recht hat. Offenbar waren aber beide auf 37.000 Fuß unterwegs, also 12 Km Höhe.

Es gibt aber zwei weitere Schutzmechanismen, sagt er, weil Zusammenstösse in der Luft so gefährlich sind. Zum einen haben alle modernen Jets, auch die kleinen der Embraer, ein eigenes Radar. Dort kann man Flugzeuge erkennen, die in der gleichen Höhe auf einen zukommen. Was war mit den beiden Radar-Systemen? Abgeschaltet? Niemand gab acht? Zusätzlich gibt es eine Annäherungswarnung, unabhängig vom Radar, die auf den Signalen der Transponder beruht, die jeder Jet hat. Kommt ein anderer Transponder während des Fluges in die Nähe, ertönt ein lauter Warnton im Cockpit, der noch Zeit für eine Kurve läßt.

Was war mit den beiden Transpondern? Beide abgeschaltet? Abgeschaltete Transponder bedeuten normalerweise entführtes Flugzeug. Wir haben gehört, daß der Pilot der Legacy im Verdacht steht, seinen Transponder abgeschaltet zu haben,um nicht identifiziert zu werden. Aber warum? Und die Boeing? Auch abgeschaltet? War sie entführt worden?

Nun kam als nächste Nachricht die Aussage des Piloten der Legacy. Er hätte gesagt, er sei auf der vorgesehenen Höhe und auf dem vorgesehenen Kurs gewesen. Er habe eine Panne mit dem Funkgerät gehabt, also keinen Kontakt zur Bodenstation. Er habe den Transponder nicht abgeschaltet. Wenn dieser nicht funktioniert habe, sei das ein technischer Defekt gewesen. Vom Radar keinerlei Aussage von ihm.

Noch am Montagabend kommt auch eine andere Nachricht. Einer der Fluglotsen des Zivilsystems, anscheinend jener, der für die Boeing zuständig war, wurde vom Dienst suspendiert und ist in psychiatrischer Betreuung. Das klingt ganz nach einem Mann, der 155 Tote befüchtet auf dem Gewissen zu haben. War der Fehler also in der Bodenkontrolle des Zivilsystems?

Dann der Dienstag. Morgens ist im Eingangskasten des E-mails die neue Internet-Ausgabe der New York Times.

Und siehe da: Dort ist ein Artikel von Joe Sharkey, Reporter der New York Times, über seine Erfahrung: Er war in der Legacy, die mit der Boeing zusammenstieß. Er erzählt die Geschichte aus seiner Sicht. Kurz vor dem Zusammenstoß war er im Cockpit und unterhielt sich mit den beiden Piloten. Joe Lepore und Jan Paladino, beides US-Bürger, keine Rede von einem Italiener. Er sah auf den Höhenmesser. Man war auf 37.000 Fuß.

Joey Sharkey

Kurz danach ein Schlag, ein Knall. Einer der Passagiere, Henry Yandle, der nur als Mit-Passagier identifiziert wird und in der Nähe des Cockpits steht, sagt, was er offenbar von dort gehört hat: „Etwas hat uns getroffen!“ Die Passagiere sehen aus dem Fenster (es ist noch vor 5 Uhr nachmittags, also noch hell) und sehen, daß am Ende des linken Flügels das Winglet fehlt – abgeschlagen von irgend etwas.

Die Piloten sind ohne Funkkontakt (wichtige Bestätigung!), fliegen langsamer und gehen tiefer auf der Suche nach einem Flugfeld oder einer Möglichkeit für eine Notlandung. Nach etwa einer halben Stunde, als es bereits zu dämmern beginnt (hier, in der Nähe des Äquators, wird es um sechs Uhr Abend sehr schnell dunkel), sieht der Pilot einen Fluhafen: Die brasilianische Air Base “Serra do Cachimbo“, wie man später erfährt.

Dort weiß an diesem Abend noch niemand, daß nur 100 km von hier soeben die Boeing abgestürzt ist. Sie dürfte sich noch in der Luft in ihre Bestandteile aufgelöst haben, denn so ein Flugzeug ist für jene Fallgeschwindigkeiten nicht gebaut: Wahrscheinlich an die 2000 km/h nach Meinung des Flug-Kundigen.

Der New York Times-Reporter ist nicht für seine Zeitung unterwegs. Die Bezahlung der größten Tageszeitung der Welt scheint nicht begeisternd zu sein, jedenfalls macht er auch nebenbei „Free lance“-Arbeiten als Journalist. In diesem Moment recherchierte er für das Magazin „Business Jet Traveler“. Als solcher ist er natürlich mit der Embraer, einem der beiden großen Hersteller von Business Jets, in engem Kontakt. Dort, in São Jose dos Campos, im Staat São Paulo gelegen, hat der Vize-Präsident von Excel Aire, einem US-Charter-Jet-Unternehmen, David Rimmer, ihn eingeladen, auf dem Rückflug mit dem neu eingekauften Jet in die USA mitzukommen.

Ein anderer Passagier an Bord ist Ralph Michielli, ebenfalls einer der Vize-Präsidenten von Excel Aire. Auch ein Manager von Embraer ist mit von der Partie, Dan Bachmann. Er ist nach dem Artikel der einzige der sieben, der Portugiesisch spricht.

Erst am darauffolgenden Tag, Samstag, 30.September, hören die sieben aus der Legacy, daß sie mit der Boeing zusammengestoßen sein müssen. Sie gehören zu den ganz, ganz wenigen, die einen Zusammenstoß in der Luft je überlebt haben.

Sechs der Insassen der Legacy. Die beiden juengeren Männer im Vordergrund sind nach Angaben der Agentur die beiden Piloten

Sharkey berichtet im Artikel über die Theorie, die ein brasilianische Techniker anhand der Schäden an der Legacy entwickelt. Der Pilot der Boeing dürfte im allerletzten Moment die Legacy auf sich zukommen gesehen haben und versuchte eine Aufwärts-Rechts-Kurve, um noch auszuweichen, dadurch war der rechte Flügel der tiefste Teil am Flugzeug, der mit der Legacy zusammenkrachte. Offenbar waren die Schäden am Flügel danach so stark, daß er zum Teil oder ganz abbrach. Ohne oder mit einem halben Flügel kann kein Flugzeug mehr fliegen.

Wenn die Theorie stimmt, hat der Pilot der Boeing den sieben das Leben gerettet, konnte aber nichts mehr für seine eigenen Passagiere und sich tun.

Inzwischen hört man, daß die beiden US-Piloten nach Rio de Janeiro zu medizinischen Untersuchungen gebracht wurden. Haben Piloten ein Air-Desaster überlebt, ist eine ausführliche medizinische Untersuchung internationaler Standard. Nach Angaben einer Internet-Agentur sei die Untersuchung, die normalerweise über 12 Stunden geht, auf 5 Stunden verkürzt worden, weil es sich um ausländische Staatsbürger handelt. Kann das jemand verstehen?

Schließlich kommt am 3. Oktober auch noch eine andere Information: Die größte Tageszeitung Brasiliens, die „Folha de São Paulo“, schreibt folgendes:

Die Ursache für den fehlenden Funkkontakt könnte ein sogenanntes schwarzes Loch sein, das es in der Gegend der Absturzstelle geben soll. Dort, ab einer Marke, die als ‚Teres’ bekannt ist, 480 km nördlich von Brasilia, soll eine Art von Funk-Blackout vorkommen, der alle Radiowellen auslöscht. Vor dem Zusammenstoß sei die Legacy auf dem Bodenradar nur als Punkt ohne Identifikation erschienen. Näheres dazu gibt es bisher nicht.

Nun, sind wir jetzt schlauer? Nicht wirklich, nicht wahr?

Link zum Originalartikel hier

Mittwoch, 4. Oktober 2006

SIVAM - Big Brother in Amazonien

Diesen Artikel gibt es jetzt in aktualisierter Form hier:
http://karlweiss.twoday.net/stories/5159665/

Montag, 2. Oktober 2006

Mysterium um den Flugzeugabsturz in Brasilien

Mehr offene Fragen als Passagiere in einer Boeing

Von Karl Weiss

Artikel der "Berliner Umschau" von heute

Eine Boeing 737 der brasilianischen Billig-Fluglinie Gol, Flug Gol 1907, fast fabrikneu, stürzte am 29. September, etwa um 5 Uhr nachmittags örtlicher Zeit, auf dem Weg von Manaus nach Brasilia über dem Gebiet des Amazonas-Regenwaldes ab. Alle 155 Insassen kamen ums Leben. Gleich nach dem Bekanntwerden der Meldungen über den Absturz begannen sich widersprechende Aussagen von offiziellen und inoffiziellen brasilianischen Stellen durch den Äther zu schwirren, was vieles offen ließ. Nach dem letzten Stand gibt es mehr offene Fragen als Passagiere in eine Boeing passen. Woher all diese Widersprüche?

Fahrgestell der abgestürzten Boeing

Es liegt nicht nur der Brandgeruch eines abgestürzten Passagierflugzeuge über jenem Ort in der Region „Alto Xingu“ im Norden des brasilianischen Bundesstaates Mato Grosso, es riecht auch faul im Staate Brasilien angesichts der ungeklärten Umstände des Absturzes.

Gleich am Samstag morgen konnten die verblüfften Brasilianer widersprüchliches hören. Während der Fernsehsender "Globo" (Fast –Monopol) sowie die örtlichen Radiosender alle übereinstimmend berichteten, das Flugzeug sei mit einem Exekutiv-Jet zusammengestoßen und danach abgestürzt, konnte man aus anderen Teilen der Welt gegenteiliges hören.

Die Nachrichtenagentur AFP, die das aktuelle Fenster in der „Berliner Umschau“ füllt, schrieb, die These von einem Zuammenstoß in der Luft sei von brasilianischen Stellen als Spekulation zurückgewiesen worden. Das gleiche meldete um diese Zeit CNN International: Spekulation. Angesichts der Tatsache, daß jetzt bereits ein Photo von dem beschädigten Flügel des Exekutiv-Jets vorliegt, muß man sich unwillkürlich fragen, wer hatte ein Interesse, die Kollision in Frage zu stellen und warum?

Foto der Schäden an der Legacy

Von wem diese Dementis kamen, wurde kurz danach klar: es war die ANAC, die Behörde der zivilen Luftfahrt, verantwortlich für den Luftraum oberhalb von 8500 Metern, reserviert im wesentlichen für die zivile Passagierluftfahrt. Offenbar wurde von dieser Seite der Versuch gemacht, die Kollision zu leugnen, aus Gründen, die man nur vermuten kann.

Schaltete man – wie der Berichterstatter - auf BBC International um am Kabelfernsehen, bekam man ebenfalls die Version „Spekulation “ zu hören. Dort hatte man sich aber die Mühe gemacht, die Morgennachrichten der brasilianischen „Globo“ aufzunehmen und stellte sie mit einer Übersetzung live in die Sendung: Da wurden die Details des Zusammenstoßes genannt: Der Exekutiv-Jet war eine Embraer Legacy und war an jenem Nachmittag in São Jose dos Campos gestartet, im Bundesstaat São Paulo.

Das ergab einen Sinn, denn an diesem Ort ist die Firma Embraer angesiedelt, eine der zwei großen Lieferanten von Exekutiv-Jets und kleinen Passagier-Jets (neben der kanadischen Bombardier) auf der Welt. Die Embraer war früher eine brasilianische Staatsfirma und ist heute, nach einem extrem verdächtigen Privatisierungsprozeß, ein französisch-brasilianisches Privatunternehmen. Die „Legacy“ ist eines der Erfolgs-Flugzeuge der Embraer, ein Jet für die Zwecke von Großunternehmen mit Top-Leuten, die dauernd in der Welt herumfliegen müssen. Es hat eine Reichweite fast wie ein Passagier-Jet, könnte z.B. den Flug von São Paulo nach Caracas (5 Stunden Flug nahe den 900 km/h) ohne Zwischenlandung zurücklegen.

embraer legacy

Für diese Mobilität muß man allerdings eine Stange Geld auf den Tisch legen: Die „Legacy“ kostet 24,5 Millionen US-Dollar und kann in verschiedenen Versionen ausgeliefert werden, die von 10 bis 16 Passagieren Platz bieten.

Begann man nun am Samstag-Morgen im Internet nach Informationen zu suchen, so wurde man fündig: Bewohner des Dorfes São Felix do Xingu, nahe der Grenze der Bundesstaaten Mato Grosso und Pará, hätten ein Passagierflugzeug niedrig fliegen gesehen und keinerlei Explosion gehört.

Das weckte nun die Hoffnungen der Angehörigen der Passagiere, die verzweifelt auf Nachrichten warteten, wer denn nun genau an Bord gewesen sei und ob es eine Chance von Überlebenden gibt.

Um die Mittagszeit am Samstag wurde gemeldet, man habe Wrackteile des Flugzeugs gesichtet. Die Teile seien über ein weites Gebiet verstreut. Das bedeutete, es konnte keine Überlebenden gegeben haben. Gleichzeitig kam die Information, daß die Kollision in einer Höhe von 11.000 Metern stattgefunden habe.

Damit wurde nun klar: Die Beobachtung der Dorfbewohner mußte sich auf die Legacy bezogen haben, denn nun wurde bestätigt, daß die Legacy mit beschädigtem Flügel sicher auf einem militärischen Fliegerhorst im Gebiet der „Serra do Cachimbo“ landen konnte, nicht weit vom Ort des Zusammenstoßes entfernt, im Süden des Staates Pará gelegen.

Nach verschiedenen Meldungen seinen sechs oder sieben Personen an Bord gewesen, einschließlich der Piloten.

Am Nachmittag des Samstag kam dann die endgültge Pasagierliste der Boeing, gleichzeitig mit der Aussage, daß kaum mit Überlebenden gerechnet werden könne. Wer die Liste mit den 155 Namen gesehen hat, ist beeindruckt. Eine riesenlange Liste, eine große Tragödie!

Leichenabtransport in Mato Grosso

Kurz danach kam jene Meldung, die nun die meisten Fragen aufwarf. Diesmal war es einer der Leiter der militärischen Behörde der Luftaufsicht, die in Brasilien den Namen CINDACTA hat. Sie ist zuständig für den Nicht-Passagier-Flugverkehr, d.h. neben den Militärmaschinen vor allem die kleinen Jets (die anderen Kleinflugzeuge im untersten Luftraum werden nicht offiziell überwacht). Im wesentlichen handelt es sich um den mittleren Luftraum, der von der CINDACTA kontrolliert wird. Ohne Zweifel jedenfalls war sie für die Legacy zuständig.

Ein Offizier der CINDACTA, der sich als zuständig für die Kontrolle der Legacy erklärte, wurde von der Zeitung „Estado de São Paulo“ interviewt. Er enthüllte, daß die Legacy sich außerhalb ihrer Route befunden hätte. Außerdem sei sie in der falschen Höhe gewesen, nämlich viel zu hoch. Er habe wiederholt versucht, die Legacy zu rufen und sie auf den Kollisionskurs aufmerksam zu machen. Es habe aber keine Reaktion der Legacy gegeben, bis es zum Zuammenstoß kam. Das allerdings ist eine Enthüllung, die massiv die Frage der Ursache der Tragödie auf die Seite der Legacy verschiebt.

Gleich danach kam eine andere Nachrcht, die dies sogar noch kritischer machte. Sie sei hier im Original zitiert:

„Fontes da Aeronáutica também suspeitam que o piloto do Legacy possa ter
desligado o transponder, aparelho que permite a identificação da posição da aeronave por outros aviões. Uma das possbilidades é a de que o comandante tenha desligado o aparelho para voar mais alto.“

„Quellen bei der Luftwaffe vermuten außerdem, daß der Pilot der Legacy den „transponder“ ausgeschaltet haben könnte, der anderen Flugzeugen ermöglicht, die Position des Flugzeugs auszumachen. Er könnte dies getan haben, um weit höher zu fliegen als es ihm zugewiesen war.“

Sollte sich diese Vermutung bewahrheiten, müßte der Pilot der Legacy des Totschlags in 155 Fällen angeklagt werden.

Tatsächlich hat eine Exekutiv-Jet nichts in einer Höhe von 11.000 Metern zu suchen, außer er hätte denn die besondere Erlaubnis gehabt.

Es ist also notwendig, sich ein wenig genauer mit den Leuten zu beschäftigen, die in der Legacy waren bzw. mit ihr zu tun hatten und was mit ihnen weiter geschah.

Geht man diesen Informationen nach, kommen einige Überaschungen. Die Legacy war auf ihrem Überführungsflug von der Fabrik an den Käufer. Der Käufer ist eine US-amerikanische Luftfahrtgesellschaft mit dem Namen Excel Air (War das nicht der Name eine der Gesellschaften, unter deren Namen CIA-Flüge auftauchten? – Das ist noch zu klären).

Falls es aber eine Aero-Taxi-Firma ist, wird das Ganze noch mysteriöser. Die Legacy ist für ein Aero-Taxi viel zu aufwendig, zu teuer und hat eine zu große Reichweite. Sie ist sinnvoll nur für Großunternehmen. Als normales Passagierflugzeug ist sie ebenfalls nicht brauchbar. Dazu hat sie zu wenig Plätze.

Die Personen im Flugzeug wurden als US-Amerikaner bezeichnet. Der Pilot wurde mit dem Namen Joe Lepore benannt, der Copilot als Jan Palltino, vier Pasagiere mit den Namen Ralph Michielli, David Rimmer, Daniel Bachmann und Henry Yendle. Der siebte aber – und jetzt wird es schon wieder mysteriös – sei ein Reporter der New York Times mit dem Namen Joe Sharkey. Die NYTimes allerdings weiß davon nichts – oder sie unterschlägt bewußt, daß einer ihrer Reporter in diesem Flugeug war. Sie berichtet über den Absturz, ohne dies zu erwähnen. Für beides müßte es eine Begründung geben. Bisher hat niemand danach gefragt.

Doch das Mysterium der New York Times ist klein gegenüber dem Mysterium, das am Sonntag, den 1. Oktober bekanntgegeben wurde. Man hat nämlich die sieben Insassen des Legacy von dem Luftwaffenstützpunkt, wo der Jet gelandet war, nach Cuiabá gebracht, der Hauptstadt des Staates Mato Grosso, wo das Unglück passiert war. Als Zeugen. Als Zeugen? War da nicht ein Verdacht gegen den Flugkapitän, der zu klären war? Warum wird dann ausdrücklich betont, sie würden nur als Zeugen befragt?

Dann wird es noch mysteriöser. Im Lauf des Sonntags wird bekannt, daß die sieben auf eigenen Wunsch zurück nach São Jose dos Campos gebracht worden wären. Offenbar konnte man den Behörden in Cuiabá nicht genügend zutrauen, das nötige Feingefühl aufzubringen und keine unbequemen Fragen zu stellen.

Die US-Bürger seine auf ihrem normalen Weg nach Manaus gewesen und seien mit Autopilot geflogen, als es einen Schlag gegeben habe. Moment, nach Manaus? Da stimmt was nicht! Die Linien von Manaus nach Brasilia und von São Jose dos Campos nach Manaus kreuzen sich nicht. Bestenfalls in der Nähe von Manaus kommen sie sich nahe. Aber das Unglück geschah mehr als 1000 km von Manaus entfernt. Demgegenüber würden sich die Linien von Manaus nach Brasilia und von São Jose dos Campos nach Boa Vista genau am Unglückspunkt kreuzen. Auffallend, nicht?

Entweder sie waren auf dem Weg nach Manaus, dann waren sie weitab vom Kurs oder sie waren auf dem Weg nach Boa Vista (oder Caracas?). Warum gibt man dann an, sie seien auf dem Weg nach Manaus gewesen?

Der zuständige Staatsanwalt wird denn auch gleich mit den Worten zitiert, es läge nichts gegen die US-Amerikaner vor. Ihre Pässe seien in Ordnung. Wie? Wer redet denn von den Pässen? Es ist noch nicht einmal der Flugschreiber
ausgewertet und man weiß bereits, es läge nichts vor? Wie das?

Dazu muß man natürlich wissen: Die Region des Amazonas-Urwaldes ist das Hauptumschlaggebiet des Kokains aus Kolumbien und Peru. Ebenso muß man wissen: Der CIA ist der Haupttäter beim Schmuggel von Kokain von dort in die USA.

Weiterhin ist das System SIVAM zu berücksichtigen, das seit etwa 2003/2004
das ganze Amazonasbecken bewacht, ein System mit vielen Radar-Bodenstationen und 100 Radarflugzeugen. Es liegen also über den Absturz auch die SIVAM-Unterlagen vor.

Vorsichtshalber haben dies alle Beteiligten „vergessen“ und die Medien tun so, als wüßten sie nichts von einem System SIVAM.

Weiterhin ist da ein Detail wichtig: Alle SIVAM-Daten werden immer zuerst von US-Amerikanern ausgewertet. Nur was da durchgegangen ist, wird dann auch an die brasilianischen Behörden weitergegeben – sofern man es nicht lieber
unterschlägt.

Mysteriös, nicht? Na eben, das war es, was es zu berichten gab bisher.




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