Dienstag, 13. Mai 2008

Kriegsvorbereitungen gegen Venezuela

Krieg Kolumbien gegen Venezuela?

Von Karl Weiss

In einem Artikel vom 10. Mai 2008 kolportiert die „Welt“ Anklagen gegen Venezuela, um die Kampagne in den westlichen Medien zu verstärken, Venezuela als Störenfried und seine Regierung als kriminell hinzustellen. Damit sollen Vorbereitungen für einen Krieg gegen Venezuela getroffen werden. Ein brasilianischer Senator hatte bereits vor einiger Zeit in einem Moment der Erregung ausgeplaudert, was die mächtigen reaktionären Kräfte in den Amerikas vorhaben. Währenddessen liessen die USA einen riesigen Flugzeugträger unangemeldet durch venezuelanische Hoheitsgewässer navigieren. Es sollen die Spannungen so lange geschürt werden, bis ein Vorwand für den Beginn des Krieges von Kolumbien gegen Venezuela geschaffen ist.

Venezuela2

Zu diesem Zweck wurde Kolumbien schon seit Jahren durch die US-Regierung zu einem bis an die Zähne mit modernsten Waffen vollgestopften Staat umgewandelt. Heute stellt Kolumbien den Kettenhund des US-Imperialismus in Lateinamerika dar. Unter Präsident Uribe, der Verbindungen zu den faschistischen Exterminations-Kommandos hat (die wiederum für einen wesentlichen teil des Kokain-Schmuggels verantwortlich gemacht werden), wurde diese Entwicklung beschleunigt.

Kolumbien provoziert seitdem alle möglichen Zwischenfälle, um Venezuela zu Reaktionen zu treiben, die dann von der westlichen Presse und der „Internationalen Gemeinschaft“, sprich, der US-Regierung und ihren Vasallen, zum Anlass genommen werden, Präsident Chávez von Venezuela als den Aggressor hinzustellen.

Zentral Amerika

Über die bereits in Entwicklung befindlichen Kriegsvorbereitungen und die Aussagen des brasilianischen Senators wurden bereits in diesem Artikel berichtet. Über die Destabilisierungsversuche der USA in Venezuela kann man hier lesen. Auch im Artikel "Nächster Stop - Venezuela?" wurde bereits über den Beginn der Kriegsvorbereitungen berichtet.

Kolumbien provoziert speziell seit der Wahl des gemäßigt linken Präsidenten Correa in Ekuador Zwischenfälle mit diesem Land, weil man weiss, der Venezuelanische Präsident wird darauf reagieren und man kann ihn dann wie den Angreifer aussehen lassen, denn Chávez spart bekannterweise nicht an starken Worten.

So werden von kolumbianischen Flugzeugen seit dieser Zeit Entlaubungsmittel über benachbartem equadorianischen Gelände versprüht, was Ekuador bereits wiederholt öffentlich verurteilt hat. Viele equadorianische Zivilisten erkrankten bereits in der Folge der Giftsprühereien. Die westlichen Medien berichten darüber nicht.

Chávez und Lula

Bereits zweimal wurde in Venezuela eine Spionageorganisation aufgedeckt, die für die US und Kolumbien spionierten. Es mussten bereits mehrmals US-Militärbeobachter aus dem Lande ausgewiesen werden, ebenso wie kolumbianische Staatsbürger, die mit solchen Organisationen zusammenarbeiteten. Venezuela hat auf alle diese Zwischenfälle äusserst moderat reagiert.

Die letzte grosse Provokation war der Luftangriff, den kolumbianische Flugzeuge, ausgerüstet mit modernsten US-Raketen und US-Aufklärungsgeräten, im Nachbarland Ekuador geflogen haben. Dabei wurde ein Lager der Guerrila-Organisation FARC (Força Armada Revolucionária de Colombia) zerstört und fast alle Insassen getötet, darunter den stellvertretende Führer der Farc, der für die Verhandlungen zur Freilassung von Geiseln der FARC zuständig war. Auffallend war, es gab keinerlei Vorwarnung, z.B. die Bitte an Ekuador, auf seinem Gebiet keine Lager der FARC zuzulassen. Es wurde im Gegenteil alles geheimgehalten, so dass eine grösstmögliche Zahl von Toten erzielt wurde, also ein Mordangriff – und das unter Verletzung der Souveränität eines anderen Landes. Es wurden schon Kriege wegen weniger begonnen.

Zu jenem Zeitpunkt waren gerade Verhandlungen in Gange, die bereits seit Jahren als Geisel gehaltene französisch-koumbianische Politikerin Betancourt freizulassen. Chávez trat als Vermittler auf und hätte bei einer Freilassung international Ansehen gewonnen. So verhinderte die kolumbianische Regierung mit der Massenmordaktion die Freilassung und kann nun weiterhin die FARC als „Terroristen“ bezeichnen. Auch bei der vorherigen Freilassungsaktion hatte Uribe schon Alles veranlasst, um die Freilassungen zu verhindern, was aber beim x-ten Anlauf dann nicht mehr funktionierte.

Auch im Fall des Mordangriffs haben sowohl Ekuador als auch Venezuela (gegen das der Angriff ja indirekt gerichtet war) unüblich verhalten reagiert – trotz aller harten Worte. Bereits eine Woche nach dem Angriff hatte man eine – wenn auch nicht formale – Entschuldigung Kolumbiens angenommen und die „gutnachtbarlichen Beziehungen“ für wiederhergestellt erklärt.

Ohne Zweifel wird Kolumbien mit seinen Provakationen fortfahren, denn dies sind offensichtlich keine zufälligen und isolierten Ereignisse, sondern Teil eines planmässigen Vorgehens unter Führung der US-Regierung.

Inzwischen hat Kolumbien und dann auch das US-Assenministerium bereits weiter Öl ins Feuer gegossen: Beide behaupteten, man habe in dem zerstörten FARC-Camp einen Computer gefnden, auf dem noch E-Mails von Chávez an die Farc zu entziffern gewesen seien, in denen er der FARC Geld anbiete.

Das ist extrem unwahrscheinlich, denn Chávez mag temperamentvoll sein, aber dumm ist er sicherlich nicht. Jeder weiss, E-Mails können abgefangen und auf Computern wiederhergestellt werden. Man würde also solche Nachrichten auf andere Art und Weise übermitteln. Eine unabhängige Untersuchung des ganzen Vorfalls, einschliesslich der angeblichen E-Mails, hat es natürlich nicht gegeben.

Es wird also die gleiche Taktik angewandt wie damals im Vorfeld des Irakkrieges gegen Saddam Hussein: Man erfindet Masenvernichtungswaffen, niemand kann die dubiosen „Geheimdiensterkenntnisse“ nachprüfen und durch den Druck der Medien wird der Eindruck erzeugt, es gebe diese „Fakten“ tatsächlich.

Als nächstes klagte ein Sprecher ds US-Aussenministerims Venezuela an, sich nicht, wie Kolumbien und Peru, in das US-Programm der Drogenbekämpfung in Südamerika einbinden zu lassen.Die Regierung Venezuelas sei korrupt und in Kokain-Schmuggel verwickelt. Als letzte Nachricht hierzu schreibt die Welt in ihrem Artikel, ein gewisser Mariusz Maszkiewicz, der einmal polnischer Botschafter in Weissrussland gewesen sein soll, habe die weissrusssische Regierung angeklagt, über ihre Öl- und Chemiefirma Belneftekhim dem venezuelanischen staatlichen Ölkonzern PDVSA das Waschen von Drogengeldern zu ermöglichen. Bei diesen Geldwäscheaktivitäten liesse Cháves über seinen Staatskonzern auch Gelder der kolumbianischen FARC waschen.

Dies Ganze ist ein wenig gewagt. Wie jeder in Südamerika weiss, wird fast das gesamte Drogen-Kokain der Welt aus Kolumbien und Peru herausgeschmuggelt. Nun ausgerechnet diese beiden Länder als Musterknaben des US-Anti-Drogen-Programms hinzustellen, setzt voraus, dass man den Leser für völlig unbedarft hält. Die Mengen des Kokains aus Kolumbien und Peru auf den Märkten in den USA und Europa, den Hauptabsatzgebieten, haben sich nicht im geringsten verringert. Wenn es also wirklich ein Anti-Drogen-Programm gibt, dann ist es so ineffektiv wie nur denkbar.

Nun so zu tun, als ob ein Nachbarland, Venezuela, der grosse Drogenschmuggler sei, während es in Wirklichkeit klare Anzeichen gibt, dass die CIA selbst einen Teil dieses Kokains schmuggelt, ist ein wenig sehr auf die Dummheit des Zuhörers oder Lesers spekuliert.

Auch in diesem Fall betätigen sich die ‚Welt’ und andere Medien als reine Gerüchtestreuer, so wie man damals auch die Anklagen gegen die irakische Regierung wegen Massenvernichtungswaffen wie Tatsachen veröffentlicht hat. Man behauptet nicht einmal, irgendwelche Belege für staatlichen venezuelanischen Drogenschmuggel oder Drogengelder zu haben. Die Behauptungen eines Ex-Diplomaten aus Polen kann man ja wohl nicht ernsthaft als Belege ansehen.

Chávez

Hugo Chávez ist sich offenbar der Tatsache bewusst: Die USA haben fast immer, wenn sich die Regierung wichtiger Länder nicht ihren Anweisungen fügte – und schon gleich auf dem amerikanischen Kontinent – jenes Land mit Krieg überzogen oder überziehen lassen. Er ist daher schon seit einiger Zeit dabei, Milizen aus einfachen Leuten aufzustellen, die Guarda Territorial (GT) und die Frente Francisco de Miranda (FFM).

Venezuela ist ein wichtiges Land, denn es fördert die zweithöchste Erdölmenge auf dem amerikanischen Kontinent und hat mit seinen Schwerölvorkommen im Orinokobecken die grössten bekannten Erdölvorräte auf der Welt überhaupt. Da ist es natürlich angebracht, auf einem militärischen Überfall vorbereitet zu sein.

Welt-Ölreserven

Das Venezuelanische Militär, das weiss Hugo Chávez nur zu gut – er kommt selbst aus dem Offiziers-Korp -, ist zum Teil sowieso nicht loyal dem Land gegenüber, sondern den US-Interessen, wo viele von ihnen ausgebildet wurden. Aber selbst wenn alle loyal wären, hätte das Venezuelanische Militär nicht die geringste Chance, einem Angriff kolumbianischer Truppen mit US-Unterstützung länger zu widerstehen als die Truppen Saddam Husseins denen der völkerrechtswidrigen Invasion von 2003.

Venezuela

Daher ist es zweifellos weise, Milizen aufzustellen und zu bewaffnen. Sie könnten nach einer US-/kolumbianischen Machtübernahme in Venezuela einen Guerrila-Krieg gegen die Besatzer führen, mit schnellen überraschenden Angriffen und anschliessendem Untertauchen in der heimischen Bevölkerung, der aus Venezuela ein neues Vietnam machen könnte, den schlimmsten Albtraum aller Besatzer.

Ein Vertreter der korrupten reaktionären Oligarchie Venezuelas, die von Chávez mit einem Teilverlust ihrer Macht bedroht ist, ein gewisser Raúl Isaias Baduel, hat also folgerichtig die Aufstellung der Milizen kritisiert. Er muss ja befürchten, mit seinen Kumpanen keine stabile Besatzungsmacht in Venezuela errichten zu können.

In der letzten Woche liess die US-Regierung einen seiner riesigen Flugzeugträger ohne Vorankündigung demonstrativ durch venezuelanische Gewässer kreuzen. Diese Provokation un der Protest Venezuelas dagegen wurde ebenfalls von den westlichen Medien verschwiegen.

Was macht die „Welt“ aus dieser Kritik des Herren Putschisten? Man höre: „In Venezuela wächst das Unbehagen am rasanten Ausbau der Milizverbände (...)Der prominenteste Kritiker des Präsidenten warf Chávez vor, er ziehe Venezuela "systematisch immer tiefer ins Chaos", um sich so an der Macht halten zu können.“

Das ist die „Neue Weltordnung“, die Bush Vater verkündet hatte: „Chaos“ ist, wenn man sich auf einen völkerrechtswidrigen Überfall durch den Imperialismus vorbereitet. Richtig ist dagegen, sich rechtzeitig den Anweisungen der weisen Leute in der US-Regierung unterzuordnen.

US- Spezialschiff vor Curaçao
Dies war eine der ersten Provokationen der US-Regierung gegen Venezuela. Ein US-Spezialschiff für Landungsoperationen wurde demonstrativ kurz vor der venezuelanischen Küste bei Curaçao stationiert.

Laut einer Meldung vom 11. Mai 08 hat der Venezuelanische Präsident Hugo Chávez in einer Ansprache im Radio genau diese Intentionen angesprochen: „Ich mache den Kontinent darauf aufmerksam, das Venezuelanische Volk und die Streitkräfte: Die kolumbianische Regierung will einen Krieg provozieren, um damit ein Eingreifen der Vereinigten Staaten in Venezuela zu erreichen!“


Veröffentlicht am 13. Mai 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung

Freitag, 9. Mai 2008

Die Lebensmittelkrise und der Bio-Sprit

Wie man von den wirklich Verantwortlichen ablenkt

Von Karl Weiss

Die Lebensmittelpreise steigen und die Suche nach den Verantwortlichen hat begonnen. Allenthalben kann man hören und lesen: Der Biosprit (Alkohol als Benzinersatz und Biodiesel als Diesel-Ersatz) sei für die gestiegenen Lebensmittelpreise verantwortlich. Im Auftrag oder im Interesse gewisser Konzerne wird das Märchen erzählt, die (bisher noch gar nicht ernsthaft eingeleitete) Umstellung von fossilen auf erneuerbare Energien sei der Grund für die (bereits heftig stattfindende) Erhöhung der Verkaufspreise von Lebensmitteln, vor allem von Grundnahrungsmitteln wie Reis, Weizen, Bohnen, Soja usw. Wie kann es sein, dass zukünftige, noch in Planung befindliche Aktionen in den vergangenen Monaten Preise getrieben haben könnten?

Brasilien (topographisch)

Die Großkonzerne der Energieerzeugung, der Ölindustrie und der Automobilindustrie sind intensiv daran interessiert, dass bezüglich der Verwendung von fossilen Energiequellen (Kohle, Erdgas, Erdöl) alles beim Alten bleibt und Energiegewinnung und Transport auf der Verbrennung dieser Stoffen beruhen. Das – so stellt sich das für einen Manager aus diesen Industriezweigen dar – garantiert die Monopolstellung dieser Konzerne und damit ihren Monopolprofit. Sie haben zwar nichts gegen ein paar kleine alternative Versuchsanlagen, mit denen man die öffentliche Meinung zu beruhigen sucht, aber wirklich umstellen, nicht daran zu denken!

Da nun aber die Klimakatstrophe aufgrund der globalen Erwärmung, verursacht durch eben jene Verbrennung, bereits ihre ersten Anzeichen sehen lässt (Birma-Myanmar lässt grüßen), brauchen sie eine umfangreiche Propagandamaschinerie, um gegen alternative Energien vorzugehen. Speziell zu diesem Zweck halten sie sich Organisationen, bezahlen Wissenschaftler, Nicht-Regierungs-Organisationen und setzen grosszügige Medienanzeigen, um „im redaktionellen Umfeld“ entsprechende Sendungen und Artikel zu finden.

Globale Erwärmung

Eines der wichtigsten Ziele ihrer Konter-Propaganda sind dabei die Bio-Sprit-Planungen. Um diesen den Garaus zu machen, müssen schwere Geschütze aufgefahren werden, sonst bestünde die Gefahr, dass man bald weniger von seinen nun unschlagbar profitablen Hauptprodukten Benzin und Diesel absetzt. Man stelle sich vor, die Kosten der Herstellung sind fast die gleichen wie bei einem Rohölpreis von 62 Dollar pro Barrel vor drei Jahren und jetzt kann man sich mit den gleichen Kosten auf einen von 120 Dollar pro Barrel beziehen – und das ergibt alles reinen Profit! Da bleibt natürlich Geld für ausgebiebige Propagandamassnahmen übrig.

Treffende Karikatur

Da ergab es sich nun, dass seit einigen Monaten die Preise von Lebensmitteln steigen, speziell Grundnahrungsmitteln – und das zum Teil massiv! Was liegt da näher als zu behaupten, die Biosprit-Pflanzen hätten Agrarflächen gestohlen und dadurch diese Preissteigerungen verursacht?

Und schon beginnt die Propagandamaschine zu rotieren. Seit Wochen werden wir nun von verschiedenen Seiten mit dem Märchen beglückt, der Biosprit sei an Lebensmittelpreis-Steigerungen schuld. Eine der ersten Stellen, die dies behaupteten, war die UN-Organisation für Nahrungsmittelsicherheit. Nur hat man vergessen zu sehen, dass sich die UN fest im Griff der Regierung der Vereinigten Staaten und der von ihr repräsentierten Konzerne befindet. Also kein Wunder, dass gerade sie den Vorreiter im Märchenerzählen machten.

Kohlendioxid-Anstieg: Dies ist eine so überzeugende Kurve über das, was im Moment geschieht, dass sich jeder Kommentar erübrigt.

Als Nächstes hörte man Ähnliches vom Internationalen Währungsfond, ebenfalls eine Organisation unter vorwiegendem US-Einfluss. Dann kamen scheinbare Umweltschutz –NGOs (Non-governamental organizations) wie Greenpeace und „Rettet den Regenwald“, um ins gleiche Horn zu stossen. Bei beiden Organisationen scheint es sich um kapitalistische Unternehmen zu handeln, die aus dem Umweltschutz ein Geschäft gemacht haben.

Man braucht nur einmal die Web-Sites der beiden Organisationen ansehen, da wird viel von allen Möglichen Aktivitäten berichtet, aber es wird an keiner Stelle gesagt, wie sich all dies finanziert. Beide behaupten nicht einmal, sie würden sich nur aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden von Privatpersonen finanzieren. Nicht eine Rechnungslegung über Geldeingänge und -ausgänge ist zugänglich. Da darf man vermuten, es gibt da etwas zu verbergen.

Natürlich belegt dieses Zusammenkommen von Aktivitäten im Sinne bestimmter Konzerne mit dem Vorhandensein von offenbar gut fließenden Mitteln noch nicht, dass die beiden Organisationen an der finanziellen Leine solcher Großkonzerne hängen. Es ist auch möglich, dass man aus Unkenntnis handelt und sich übertölpeln hat lassen.

Doch damit nicht genug, nun kommen auch „Wissenschaftler“ ins Spiel, die sich bekanntermassen besonders leicht gegen geringe „Unterstützung“ vor den Karren von Grosskonzernen spannen lassen. Da wird zum Beispiel „wissenschaftlich“ nachgewiesen, dass der Energieverbrauch (mit CO2-Ausstoss) für die Herstellung von Biodiesel aus dem Anbau von Raps, Palmöl oder Soja oder für Alkohol aus Mais höher ist als die Energiemenge (ohne CO2-Ausstoss), die gegenüber fossilen Rohstoffen eingespart würde. Dabei hat man nur „aus Versehen“ vergessen, die Energiemengen abzuziehen, die von den vorher auf jenen Feldern angebauten Pflanzen verbraucht wurden (die natürlich im wesentlichen genauso gross sind wie die von Raps, Palmöl, Soja und Mais).

Regenwald

Eine andere Untersuchung belegt bis ins kleinste, dass der Schaden bezüglich der globalen Erwärmung, den ein Sojafeld im Amazonasurwald anstellt, höher ist als der Vorteil, der sich aus dem geringeren CO2-Ausstoss bei seiner Verbrennung als Bio-Diesel ergibt. Diese letzte „wissenschaftliche Erkenntnis“ hat sich in einer Zeitschrift „Science Magazin“ versteckt, was so ähnlich klingt wie die renommierte „Science“. Selbstverständlich ist diese „ Erkenntnis“ eine Binsenweisheit.

Brasilien Alkohol Zapfsaeule

Allerdings hat sich bisher noch kein Wissenschaftler gefunden, der wirklich ernsthaft behauptet hätte, es gäbe irgendeinen wissenschaftlichen Nachweis für einen Zusammenhang von Biosprit mit Lebensmittelpreiserhöhungen. Na, man kann erwarten, auch dafür findet sich noch irgendein verdrehtes Argument.

Was hat wirklich die erhöhten Lebensmittelpreise verursacht?

1. Der Hauptgrund sind die massiven Agrarsubventionen, mit denen Europa, die Vereinigten Staaten und Japan ihre inländischen Grossagrarier beglücken, was dazu führt, dass Riesenmengen von subventionierten Agrarprodukten zu Preisen auf den Weltmarkt geworfen werden, die für alle Außerhalb dieser Länder den entsprechenden Anbau unrentabel machen. Dadurch haben die Bauern in vielen Ländern, vor allem Entwicklungsländern, aufgeben müssen und landwirtschaftlich nutzbare Fläche brach liegen gelassen.

a. Würden die Agrarsubventionen eingestellt, könnten Hunderte von Millionen von grossen und kleinen landwirtschaftlichen Anwesen in aller Welt wieder beginnen anzubauen und zu ernten und es würde sich ein internationaler Preis von Grundnahrungsmitteln einpendeln, der den Bauern ein Auskommen und den Verbrauchern Versorgungssicherheit bietet.

b. Gleichzeitig könnten die landwirtschaftlichen Betriebe in den entwickelten Ländern lernen, wie man Biogas aus Pflanzen, Pflanzenteilen, tierischen Exkrementen und Holz herstellt und damit Generatoren für Strom und Kessel für Dampf bzw. Warmwasser betreibt (siehe auch diesen und diesen Artikel), die gleichzeitig die Strom- und Wärmeprobleme dieser Länder lösen und sie weniger von importierten Rohstoffen abhängen lassen. Dazu hätte die Landwirtschaft in diesen Ländern wieder eine Aufgabe, ohne am Tropf von Subventionen zu hängen.

2. Der zweite Grund für gestiegene Lebensmittelpreise ist eine erhöhte Nachfrage, die sich vor allem durch die wirtschaftlichen Aufschwünge in den Schwellenländern (hauptsächlich China und Indien) ergeben hat. Es wurden dort Hunderte von Millionen von Menschen aus der absoluten Armut geholt, was sie zu Konsumenten von mehr und höherwertigen Nahrungsmitteln machte.

3. Der dritte Grund ist die extreme Ausweitung der Viehhaltung überall auf der Welt. Vieh ist Konkurrent für den Menschen bezüglich der Nahrung. Rinderfutter zum Beispiel wird regelmässig mit Mais und anderen Korn-Arten angereichert. Hühnerfutter ist praktisch identisch mit den menschlichen Grundnahrungsmitteln. Die Ausweitung hat dazu geführt, dass Mengen, die für die menschliche Ernährung zur Verfügung standen, nun verfüttert werden. Der Viehbestand auf der Erde hat sich in den letzten hundert Jahren in etwa verhundertfacht. Davon fällt ein guter Anteil auf die letzten 20 Jahren.

4. Ein vierter Grund ist die Internationalisierung der Preisbildung von Grundnahrungsmitteln durch die wachsende Bedeutung von Nahrungsmitteln an den Commodity-Börsen in London und Chicago und die damit verbundene Einbeziehung der Preise in Prozesse von Spekulation und „Future“-Kontrakte. Die Heerschar von Finanz-Spekulanten, die sich aus dem Immobiliengeschäft wegen der dortigen Krise zurückziehen musste, suchte neue Felder und ging teilweise in die Spekulation in Grundnahrungsmitteln.

5. Ein fünfter Grund ist die starke Konzentration in der Lebensmittelindustrie und bei den Agrar-Handels-konzernen. Nestle und Unilever machen heute wesentliche Teile des Marktes von industrialisierten Lebensmitteln unter sich aus. Bei den Handelskonzernen haben einige wenige, wie zum Beispiel Cargill, eine Marktmacht errreicht, die ihnen das Diktieren von Preisen ermöglicht. Stiegen die Lebensmittelpreise bereits an, so ist man auf den fahrenden Zug gesprungen und hat sich einen kräftigen Schluck aus der Pulle gegönnt. Man braucht nur die Profitentwicklung dieser Konzerne verfolgen und hat schon ein deutliches Anzeichen, wohin ein Teil der Gelder der höheren Preise geflossen sind.

6. Ein weiterer Grund für die Lebensmittelpreis-Erhöhungen ist der steil gestiegene Erdölpreis. Praktisch alle Aufbereitungs- und Verpackungsprozesse für Lebensmittel und ihr gesamter Transport sind in den Kosten abhängig vom Erdölpreis und verteuerten die Produktion.

7. Ein weiterer Grund sind die genveränderten Nahrungsmittel. Speziell beim Mais hat sich die Monopolisierung durch den Gen-Mais von Monsanto hauptsächlich in den USA, aber auch in anderen Ländern, in deutlichen Kosten- und damit Preissteigerungen bemerkbar gemacht. Fast alle Maisanbauer, ob sie Monsanto-Mais verwendeten oder nicht, hatten wesentliche Anteil von Genmais auf ihren Feldern, weil der Gen-Mais sich durch Samenflug in andere Pflanzungen ausweitete. Monsanto weist dann mit Mustern nach, dass dort (auch) Gen-Mais wächst, zwingt den jeweiligen Anbauer gerichtlich zu Lizenzzahlungen und lässt ihm ausserdem verbieten, einen Teil der Ernte zur Aussaat zurückzuhalten. Das Saatgut muss er vielmehr von Monsanto kaufen. Dies hat zu deutlichen Preiserhöhungen für Mais geführt.

Was keinen Grund für Lebensmittelpreiserhöhungen darstellt, ist der angebliche Bio-Sprit-Boom, den es aber in weltweitem Ausmass noch gar gibt.

Schon aus diesem Grund ist der Zusammenhang der beiden Dinge nicht gegeben, weil ein Bio-Sprit–Boom überhaupt (noch) nicht stattfindet.

Zuckerrohrlastwagen in Brasilien mit Alkohol-Fabrik im Hintergrund

Ausser in Brasilien gibt es überhaupt keine ins Gewicht fallende Verwendung von Bio-Sprit. In Brasilien wird in grossen Umfang bisher lediglich Alkohol als Benzin-Ersatz eingesetzt und dieser Alkohol ist ausschliesslich aus Zuckerrohr gemacht. Zucker ist eines der wenigen Nahrungsmitteln, die keine Preiserhöhung erlitten haben, also könnte man polemisch die These aufstellen, Bio-Sprit würde sogar die Lebensmittelpreiserhöhung verhindern.

Aber was die Wahrheit ist, beide Dinge haben nichts miteinander zu tun.

Das Bio-Diesel-Programm in Brasilien ist noch in den Anfängen und hat daher noch keine wirklichen Auswirkungen auf „Beschlagnahme“ von Ackerbauflächen gehabt.

Brasilien: Soja-Pflanzungen auf Regenwald-Gelände

Außerhalb Brasiliens gibt es es nur eine nennenswerte Aktivität in Bezug auf Bio-Sprit, das ist das Alkohol–aus-Mais-Programm in den USA. Tatsächlich gibt es keinen vernünftigen Grund, Alkohol ausgerechnet aus Mais herzustellen, speziell, wenn man nur die Maiskörner verwertet und nicht die ganze Maispflanze. In Brasilien wird in den modernen Fabriken das ganze Zuckerrohr verwendet, nicht nur die aus dem Rohr gepresste Sirup-Masse. Das führt auch dazu, dass das früher übliche Abbrennen der Zuckerrohrfelder jetzt immer mehr zurückgeht. Aber unabhängig davon ist es unwahrscheinlich, dass eine relativ kleine Menge von Bio-Alkohol aus Maiskörnern den weltweiten Maispreis beeinflußt, wenn die in Bio-Sprit umgewandelte Menge nicht einmal 1% der weltweiten Mais-Ernte betrifft.

Ansonsten gibt es nur noch kleinere Biosprit-Aktivitäten in Schweden, in Deutschland (Bio-Diesel aus Raps) und in Frankreich, die aber allesamt nicht einmal einen Tropfen auf den heissen Stein darstellen. Aus Weizen und Reis, den beiden wichtigsten Produkten mit heftigsten Preissteigerungen und besonderer weltweiter Bedeutung für die Ernährung der Massen von Menschen, wird nirgendwo in erwähnenswerten Mengen Bio-Sprit hergestellt.

Regenwald-Abholzung Brasilien

Es gibt noch geringfügige Mengen von Bio-Alkohol, die aus Zuckerrüben hergestellt werden, aber – wie bereits gesagt – der Zuckerpreis ist ja gerade nicht angestiegen.

Mit anderen Worten: Der Bio-Sprit-Boom, wenn er denn kommen sollte, hat noch nirgends begonnen (ausser beim Alkohol in Brasilien). Er kann also nicht im Zusammenhang mit Preiserhöhungen stehen, die bereits stattgefunden haben.

Viel bunter wird es noch, wenn behauptet wird, die Vernichtung (Abholzen, Abbrennen) von Regenwaldflächen stünden im Zusammenhang mit Bio-Sprit. So wird argumentiert, in Brasilien würde massiv in Regenwaldflächen hinein das Pflanzen von Soja ausgeweitet und das hätte irgendetwas mit Bio-Sprit zu tun. Tatsächlich werden Monat für Monat die Flächen der Vernichtung von Amazonas-Regenwald erhöht und auf vielen dieser Flächen Sojapflanzen angebaut, aber das ist völlig unabhängig von Bio-Sprit. Man kann zwar theoretisch aus Sojaöl Bio-Diesel herstellen, nur wird das bisher so gut wie nicht getan. Die kräftig gestiegenen Weltmarktpreise für Soja dagegen haben sehr viel mit dieser beschleunigten Regenwaldvernichtung zu tun.

Ethanol- und Zuckerfabrik in Brasilien

Insofern ist die Oben beschrieben „wissenschaftliche Arbeit“ natürlich Unsinn. Selbstverständlich darf für Bio-Sprit kein Regenwald vernichtet werden, denn der ist noch viel wichtiger für das Klima als die Umstellung auf nicht-fossile Brennstoffe. Aber das findet ja eben gar nicht statt.

Weiterhin wird das Märchen erzählt, die Soja-Felder in Brasilien würden in die Regenwald-regionen hinein ausgedehnt, weil sie in anderen Landesteilen von Zuckerrohranbau für Bio-Alkohol verdrängt würden. Auch das ist Unsinn. Nirgends in Brasilien wurden Zuckerrohr-pflanzungen auf Flächen angelegt, auf denen vorher Soja angebaut wurde. Der verstärkte Zuckerrohr-Anbau wird vielmehr auf brachliegenden Flächen durchgeführt und auf solchen, die zur extensiven Viehhaltung genutzt wurden nach dem Motto eine Kuh auf 10 Quadratkilometer. Solche Flächen sind noch in riesigem Umfang in Brasilien vorhanden. Brasilien könnte seinen Zuckerrohranbau ohne Schwierigkeiten verdoppeln, ohne auf einem einzigen Hektar Ackerfläche andere Nutzpflanzen zu verdrängen.

Ein anderes verdrehtes Argument ist das mit dem Palmöl. In Indonesien werden riesige Regenwaldflächen abgeholzt und in millionenschwere Holzgeschäfte umgewandelt unter dem Vorwand, dort Palmöl-Plantagen anlegen zu wollen. Angeblich würde dieses Palmöl zur Bio-Diesel-Herstellung verwendet. Nur gibt es überhaupt keine ins Gewicht fallende Herstellung von Bio-Diesel aus Palmöl auf der Welt. Auch hier muss wieder der Bio-Sprit als Sündenbock herhalten, um von den Verantwortlichen und ihren hohen Profiten abzulenken.

Tatsächlich ist angesichts des extrem niedrigen Preises von Palmöl (Palmöl ist das bei weitem billigste Fettöl) jemand auf die Idee gekommen, man könne Palmöl als („umweltfreundlichen“) Brennstoff für Heizkessel verwenden und es soll auch in kleinem Mengen dafür eingesetzt werden, aber das ist eine Sonderbewegung, die allerdings wirklich abzulehnen ist – vor allem, weil bei der Verbrennung von Fettölen das krebserregende Acrolein entsteht. Nur kann das nicht mit der Bio-Sprit–Frage in Zusammenhang gebracht werden.

Zuckerrohr-Ernte

Nun gibt es eine etwas verschwurbelte Argumentation, es ginge gar nicht um die Produkte, sondern um die gesamte weltweite Agrarfläche, die bereits zum Teil von Bio-Sprit-Pflanzen beansprucht wurde und daher seien die Preiserhöhungen aus Mangel an bebaubarem Ackerland zustande gekommen.

Das ist allerdings ebenfalls absurd: In Wirklichkeit liegen riesige Flächen bebaubaren Ackerlandes weltweit brach. Dazu werden Nahrungsmittel in grossen Mengen vernichtet, um die Preise zu stützen.Würde überall angebaut, wo es möglich ist, und würde die Vernichtung von Nahrungsmitteln verboten, könnten Lebensmittel für 12 Milliarden Menschen hergestellt werden, während wir bisher „nur“ 6,5 Milliarden sind.

Es muss vielmehr andersherum gefragt werden, warum soviel Ackerland brach liegt, vor allem in den Entwicklungsländern. Die Antwort steht bereits oben: Die Agrarsubventionen von Europa, USA und Japan haben die Preise für Roh-Nahrungsmittel so ruiniert, dass sich nur noch in wenigen Ländern und unter besonderen Umständen der Anbau von Ackerpflanzen lohnt. Die reichen Länder nehmen mit ihren Agrarsubventionen den Armen auf der Welt das Brot oder den Reis vom Teller!


Veröffentlicht am 9. Mai 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung


Zusatz zum Artikel

In den letzten Tagen hatte der Autor Gelegenheit im Norden von Minas Gerais, in Montes Claros, ein Projekt zu besichtigen, das in ganz Brasilien verfolgt wird und versucht, einen Teil der von ihrer Krume vertriebenen Kleinbauern (bzw. deren Nachkommen) wieder ein Heim und Arbeit und Brot zu geben: Biodiesel aus den Mamona-Früchten.

Mamona ist der portugiesische Name für den Strauch, aus dem man Rizinusöl gewinnt. Kleinbauern bekommen ein Stück Land mit einer Hütte und Saatgut zugewiesen und können dort den Mamona-Busch anbauen und das aus seinen Früchten gepresste Rizinusöl zu festgelegten Preisen an eine Bio-Diesel-Fabrik der halbstaatlichen Petrobras verkaufen. Insgesamt 10 000 Familien von Kleinbauern machen die Belieferung für eine dieser Bio-Diesel-aus-Rizinusöl-Fabriken aus, von denen insgesamt über 20 vorgesehen sind, also das Auskommen für insgesamt über 200 000 Familien gesichert werden soll, das sind etwa eine Million Menschen.

Mamona-Strauch-Rizinusöl

Auf dem Bild sieht man einen solchen Strauch, der spontan auf einem unbebauten Gelände in der Metropol-Region von Belo Horizonte gewachsen ist. Man kann auch schon die stacheligen Früchte erkennen. Der Mamona-Busch ist in den Tropen ähnlich wie bei uns die Brennessel eine der ersten Pflanzen, die auf pflanzenfreiem Gelände zu wachsen beginnen, ist also extrem genügsam. So brauchen denn die Neubauern keine hochentwickelten landwirtschaftlichen Kenntnisse, um erfolgreich Mamona anzubauen.

Die Presse zum Auspressen des Öls mit Handbetrieb wird ebenfalls zur Verfügung gestellt. Ebenso werden in den Neusiedler-Gebieten Brunnnen gebohrt.

Nach zwei Jahren wird der Busch ausgerissen und mit kleinen Ablegern ein neuer Busch gezüchtet. Wenn man regelmässig giesst, kann man mehrmals im Jahr ernten. Da es hier keinen wesentlichen Unterschied zwischen Sommer und Winter gibt (ausser dass es im Sommer regnet), kann man in Wirklichkeit eine Pflanzung mit Rund-ums-Jahr-Ernte anlegen.

Diese Arbeitsweise eignet sich besonders für den Nordosten Brasiliens, eine karge, immer wieder mit langen Dürren gegeisselte Landschaft. Hier wurden die Kleinbauern immer wieder von den Pistoleiros der Grossgrundbesitzer von ihrem Boden vertrieben. Da nun aber die Fabrik der Petrobras ein Interesse an der Zulieferung hat, wird von dort auch eine Sicherheitstruppe zur Verteidigung der Siedler gestellt.

Das Ganze hat noch eine Reihe von Problemen, die hier nicht alle berichtet werden können, stellt aber doch eine interessante Alternative dar.

Donnerstag, 8. Mai 2008

Wie Imperialismus funktioniert

Das Beispiel SIVAM in Brasilien

Von Elmar Getto


Es war bereits das größte Geschäft aller Zeiten genannt worden. Das war es vielleicht nicht, aber für das Entwicklungsland, das es zahlen mußte, war es Teil des gewaltigen Anstiegs der Staatsverschuldung in den 90er Jahren. Brasilien wurde dazu gebracht, für insgesamt etwa 1,4 Milliarden Dollar (wahrscheinlich eher um die 9 Milliarden Dollar) ein System der Überwachung des Amazonasgebietes zu kaufen, das sich jetzt als völlig unbenutzbar für Brasilien herausstellt, aber den USA die völlige Kontrolle über das Amazonas-Gebiet Tausende von Kilometern außerhalb der US-Grenzen garantiert.

Brasilien (topographisch)

Das erste Mal, daß man vom Projekt SIVAM (Sistema de vigilância de Amazônia, Amazonienüberwachungssystem) gehört hat, war auf der Konferenz RIO 92, in der es als Beweis für die ‚ungeheuren Anstrengungen’ der Großmächte zum Umweltschutz vorgeführt wurde. Aus heutiger Sicht kann man es als sicher ansehen, daß es offizielle Stellen der USA waren, die diese Idee in das Treffen einführten, sei es direkt oder indirekt.

Verschiedene Umweltschutzorganisationen priesen das Programm als „richtungsweisend“. Es war der konzentrierte Ausdruck der ganzen hoffnungsvollen Situation, die in jenem Jahr herrschte. Der Block der zweiten Supermacht, der Sowjetunion, wie auch sie selbst, waren zusammengebrochen und man glaubte weithin, nun würde eine Zeit des weltweiten Friedens anbrechen.

Die Belange des Umweltschutzes und des Kampfes gegen die Drogen würden endlich die ihnen zustehenden Prioritäten bekommen. SIVAM schien auf den ersten Blick der Plan gewordenen Ausdruck dieser Hoffnungen zu sein.

Es geht um das Gebiet des Amazonas-Urwaldes. Zum einen wurde bereits damals hemmungslos und ungebremst abgeholzt und abgebrannt (interessant, nicht wahr, wie lange zurück das alles schon so war und bekannt war). Zum anderen ist das Amazonasgebiet der Hauptumschlagplatz des Kokain-Schmuggels aus Kolumbien und Peru nach den USA und Europa.

Ein Überwachungssystem, sei es auf Radar- oder Satellitenbasis, würde dem Einhalt gebieten können. Würde man erst einmal in Echtzeit wissen, wo im Moment gerade gefällt und abgebrannt wird, könnte man dem auch Einhalt gebieten. Würde man auf den Bildschirmen ablesen können, wo die Kleinflugzeuge landen und mit der Drogenfracht beladen werden, die mit Booten herangeschafft wurden, um dann nach Mittelamerika ausgeflogen zu werden, so würde die entscheidende Basis des Drogenhandels mit Leichtigkeit außer Gefecht gesetzt werden können.

Telecomsivam

So wurde das System damals, vor 13 Jahren, vorgestellt. Es wäre bereits zu jener Zeit möglich gewesen, die richtigen Fragen zu stellen, die dieses System schnell und offensichtlich hätten suspekt werden lassen, aber in der allgemeinen Euphorie wollte wohl niemand Spielverderber sein.

Es wurde behauptet, das System sei offen und jeder, der die technologischen Fähigkeiten hätte, könne einen Kostenvoranschlag einreichen. Später würde die billigste technisch durchführbare Lösung ausgewählt werden. Und es wurde so getan, als würden die Großmächte, allen voran die USA, das System zahlen. In Wirklichkeit – und das hätte einem aufmerksamen Beobachter damals schon auffallen können – wollten sie lediglich Kredite „zu üblichen Bedingungen“ bereitstellen, wer zahlte, sollte Brasilien sein, das heißt der brasilianische Steuerzahler.

Als – Jahre später – SIVAM verwirklicht wurde und die Kredite flossen, waren sie wichtiger Teil des Anstiegs der brasilianischen Staatsverschuldung, die sich zwischen 1994 und 2002 verdoppelte, z.T. einfach, weil der Dollar ständig mehr Wert wurde als der brasilianische Real. Heute ist sie völlig jenseits jeglicher Bezahlbarkeit, eine entsetzliche Bürde auf dem Rücken des ganzen Volkes, das Ende jeglicher Hoffnung auf jedwede Besserung für die jungen Brasilianer. Nicht nur wegen der hohen Summe der Gesamtverschuldung (etwa 600 Milliarden Euro), sondern vor allem wegen der hohen Zinsen. Kann sich Deutschland z.B. jederzeit Geld für etwa 3% Zinsen pro Jahr aufnehmen, muß Brasilien 20% zahlen!

Zunächst kam die Verwirklichung von SIVAM nicht voran. Man hätte schon hoffen können, der Plan bliebe in der Schublade wie so viele in Brasilien. Der damalige Präsident Collor wurde wegen Korruption abgesetzt und der Vize-Präsident Franco übernahm das Zepter. Er hatte anderes zu tun als das Amazonasgebiet mit Radarstationen vollzustellen, er mußte mit einer Inflation fertigwerden, die bis auf 40% im Monat stieg. Tatsächlich gelang es 1993 mit dem ‚plano Real’, die Inflation in den Griff zu bekommen. Die Dankbarkeit der Brasilianer hierfür war ausschlaggebend dafür, daß bei den anschließenden Wahlen der dafür zuständige Minister Cardoso zum Präsidenten gewählt wurde.

Dessen acht Jahre währende Amtszeit wurde zu einer der größten Katastrophen für das Volk in der brasilianischen Geschichte. Nicht nur, daß die Last der öffentlichen Schulden sich verdoppelte, es wurden auch alle vom Internationalen Währungs Fond (IWF) geforderten Auflagen befolgt.
Dazu gehörte die Privatisierung einer großen Zahl staatlicher Unternehmen, der (fast) gesamten Elektrizitätzwirtschaft, der größten Minengesellschaft des Landes (und einer der größten der Welt) CVRD und des gesamten Telekommunikationssektors, die Vollendung der weitgehenden Privatisierung des Erziehungswesens, die Berechtigung der ausländischen Konzerne, ihre Gewinne ins Ausland zu schaffen, bevor Gewinnsteuer abzuführen war (und sie damit fast völlig von Steuern zu befreien), die gleichzeitige massive Erhöhung der Steuerlast für kleinere brasilianische Unternehmen und die Beschäftigten, die Liberalisierung des Bankenwesens (Präsident Cardoso kam selbst aus einer Bankiersfamilie) mit der Übernahme der Verluste Pleite gegangener Banken, die Öffnung des Kapitalmarktes für die ausländische Spekulation (was weitere gigantische Erhöhungen der Schulden hervorrief), die Öffnung der Privatisierungen für ausländische Investoren (was einigen französischen und spanischen Firmen zu märchenhaften Gewinnen auf Kosten der brasilianischen Bevölkerung verhalf) und eine vollständige Untätigkeit gegenüber der zum Regelfall werden Korruption. Es gibt im Gegenteil klare und deutliche Anzeichen, daß die Regierung Cardoso selbst tief im Sumpf der Korruption steckte.

Während dieser 8 Jahre wurden die Löhne und Gehälter der Lehrer und Hochschullehrer nicht erhöht, wodurch sie durch die Inflation mehr als halbiert wurden. Zusätzlich wurden die Leistungsüberprüfungen des öffentlichen Schulsystems abgeschafft. Beide Maßnahmen zusammen haben das öffentliche Schul- und Hochschulsystem Brasiliens, das vor dem Beginn der Militärdiktatur 1964 das Paradepferd der Administration war, (mit wenigen Ausnahmen) zu einem Desaster werden lassen, das heute nicht mehr den geringsten Anforderungen genügt.

Während dieser 8 Jahre stieg die Kriminalitätsrate, speziell im Zusammenhang mit dem Drogengebrauch und –handel, steil an und hat Brasilien zu dem Land mit den höchsten Gewaltraten der Menschheit gemacht. Wesentlich hierfür war, daß die Hintermänner des Drogenhandels, alle selbst Teil der herrschenden Schicht Brasiliens, ohne Ausnahme unbehelligt blieben.

Während dieser 8 Jahre vervielfachte sich die Spanne des Einkommensunterschiedes zwischen Brasiliens Superreichen und der armen Bevölkerung, ohne daß auch nur ein winziger Teil der riesigen Ressourcen des Landes eingesetzt worden wäre, um diese Spanne zu verringern.

Während dieser acht Jahre wurde das System SIVAM gekauft und installiert und das Geld dafür und für die Zinsen und Zinseszinsen aus der brasilianischen Bevölkerung herausgepreßt, während gleichzeitig staatliche Unternehmen zu einem Tausendstel oder einem Millionstel ihres Wertes an private und ausländische Anleger verschleudert wurde (die CVRD z.B. wurde zu einem Preis verhökert, der – 1 Jahr vor der Versteigerung - etwa dem Gewinn eines Monats dieser Gesellschaft entsprach).

In den Jahren 1993 und 1994 wurde darüber beraten, welches der angebotenen Systeme man für das SIVAM verwenden würde. Es kann aus heutiger Sicht als sicher gelten, daß von Anfang an nur das vom US-amerikanischen Raytheon-Konzern angebotene in Erwägung gezogen worden war. Wahrscheinlich war das Ganze eine Idee aus der Raytheon-Gruppe, von offiziellen US-amerikanischen Stellen ins Gespräch und die Rio-92-Konferenz gebracht, um dem Rüstungskonzern ein sagenhaftes Geschäft zu verschaffen.

Es wurden Berichte in brasilianischen Zeitungen veröffentlicht, in denen davon die Rede war, wie brasilianische Regierungsbeamte und deren Familien in konzerneigenen Jets des Raytheons-Konzern herumgeflogen wurden. Ebenso sind diverse Einladungen zu üppigen Mahlzeiten berichtet wurden. Das dürfte aber mit Sicherheit nur die Spitze des Eisbergs von dem sein, was an Bestechungsgeldern und –vorteilen geflossen ist. Ein Abgeordneter stellte sogar einmal die Frage, woher eine von ihm vermutete phantastische Zunahme des Reichtums von Präsident Cardoso kam, aber all dies wurde in der Öffentlichkeit nicht weiterverfolgt.

Der auffallendste Hinweis auf Korruption in diesem Zusammenhang kam aus dem Mund eines der selbst hundertfach in Korruption verwickelten Politikers, dem alten Haudegen der brasilianischen Politik, dem getreuen Abbild von Franz Josef Strauss, Antonio Carlos Magalhães, kurz ACM genannt, dem reaktionärsten Politiker seiner Zeit. Er war zu dieser Zeit in Bedrängnis geraten, weil in zwei Parlamenten, dem Bundesparlament und dem Landesparlament seines Heimat-Bundeslandes Bahia Untersuchungsausschüsse eingerichtet worden waren, die Korruptionsvorwürfe gegen ihn und mit ihm verbundenen Politikern prüfen sollten. Offensichtlich hatte er sich in seiner Sorglosigkeit dazu hinreißen lassen, einige seiner Bereicherungsaktionen nicht ausreichend mit „Geheimschutz“ zu versehen.

Im Jahr 1995 trat er nun plötzlich mit Drohungen auf. Er habe Beweise für Korruption im Zusammenhang mit SIVAM und es würde schlimm für die Bundesregierung aussehen, wenn er diese an die Öffentlichkeit brächte. Dies stand damals in vollem Wortlaut in der Zeitung. Es sollte nicht unerwähnt bleiben, daß ACM mit seiner Partei PFL selbst Teil der Koalition war, die die Regierung stützte.

Kurz darauf berichtete die „Folha de São Paulo“, die größte Tageszeitung Brasiliens, daß geheime Verhandlungen stattgefunden hätten und Regierung und ACM sich auf einen Kompromiß geeinigt hätten: Die Regierung würde mit ihren Mehrheiten die beiden Untersuchungsausschüsse „ohne Ergebnis“ beenden und ACM würde seine Beweise nicht an die Öffentlichkeit bringen. Tatsächlich wurden die beiden Untersuchungsausschüsse beendet, ohne daß sie Belastendes gegen ACM gefunden hätten und ACM kam nie wieder auf das Thema „SIVAM“ zurück. Die „Folha“ wurde nie wegen Verleumdung angeklagt. Es muß also als extrem wahrscheinlich, wenn nicht als bewiesen gelten, daß es wirklich eine solche Vereinbarung gegeben hat. Damit wäre dann auch beweisen, daß die Vergabe von SIVAM an Raytheon wirklich auf Korruption beruhte.

Dafür gibt es auch noch andere Hinweise. Das Raytheon-System war nämlich das teuerste der in der Konkurrenz verbliebenen. Sowohl eine russische als auch eine französische Firma hatten ebenfalls Vorschläge für Überwachungssysteme der Amazonasregion eingereicht (Auch die deutsche Dasa, die aber schon in einer frühen Phase wegen eines zu teuren Ansatzes ausschied). Diese beiden Systeme beruhten auf der Überwachung durch moderne Satelliten, eigens für das System in eine geostationäre Umlaufbahn gebracht, während das Raytheon-System im wesentlichen auf 20 großen Radarstationen im Urwald selbst sowie weiteren in 99 Flugzeugen aufbaute und eine Satelliten-Unterstützung nur als Absicherung vorgesehen war. Dazu muß man wissen, daß Raytheon der wichtigste Hersteller von kompletten Radaranlagen auf der Welt ist.

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Das US-System kostete – einschließlich der ganzen Computerausrüstung und unter Zuhilfenahme von radar- und kamerabestückten Flugzeugen – fast 1,4 Milliarden Dollar. Die beiden Systeme aus Rußland und Frankreich wurden – einschließlich der Computerausrüstung zur Auswertung und eigener Satelliten - billiger angeboten. Dieser Site ist zu entnehmen, daß das russische Angebot nur ein Drittel des Raytheon-Systems gekostet hätte.

Da mußte schon ein wichtiger Grund gefunden werden, um das teure System zu nehmen.

Zunächst gab es nur allgemeine Aussagen, das US-System sei das einzige, das den Anforderungen gerecht würde. Als dann aber einige Abgeordnete nach Frankreich und Rußland gereist waren und in der brasilianischen Öffentlichkeit nach Erklärungen verlangte (von ihnen kam auch die Information, daß die beiden Voranschläge billiger waren), rückte man mit einer Begründung heraus: Sattelitengestützte Systeme könnten nicht durch die Wolken sehen und über dem Regenwald ist es fast ständig bewölkt, da sei nur ein radargestütztes System geeignet. Klang zunächst einleuchtend und das Thema verschwand aus der öffentlichen Diskussion.

Inzwischen weiß man, daß moderne Satelliten-Aufklärung u.a. mit Infrarot-Kameras arbeitet, die sehr wohl durch Wolken sehen kann. Der Grund war also vorgeschoben. Es muß andere Gründe gegeben haben, warum Brasilien zu viel ausgab, um dieses Überwachungssystem zu installieren. Weder die damalige Bundesregierung Brasiliens noch die darauffolgende Lula-Regierung haben hierzu je Auskunft gegeben.

Es muß nach menschlichem Ermessen davon ausgegangen werden, daß ein Teil dieser Millionen auf den Konten sowieso schon reicher Brasilianer gelandet ist.

Aber selbst das ist noch nicht alles. Aus Meldungen der Zeitung „Folha“ aus der damaligen Zeit ging hervor, daß die Kosten des Systems in Wirklichkeit viel höher seien. Es wurde von bis zum 10-fachen gesprochen. Ein Teil der Anlagen und Flugzeuge sei einfach nicht in das „SIVAM“ genannte System einbezogen worden, sondern liefe unter anderem Namen, so daß seine Kosten nicht als Kosten des Systems erscheinen. Auch wegen dieses Artikels wurde die „Folha“ nie angeklagt.

Noch mehr: Während ein satellitengestütztes System naturgemäß wenig Unterhaltskosten verursacht, sind die boden- und flugzeuggestützten Radarsysteme natürlich ein hoher laufender Kostenfaktor. Die Radarstationen (und der Zugang zu ihnen) müssen ständig gewartet und freigehalten werden, ein großer Teil der 99 Flugzeuge muß ständig in der Luft gehalten werden. Die Kosten allein für die Flüge sowie die Wartung der Flugzeuge sind schon horrend.

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Im einzelnen werden auf dieser Website über das System folgende Komponenten angegeben: 6 Satelliten, 19 fixe Radarstationen, 6 transportable Radarstationen, 3 regionale Überwachungszentren, 200 Umweltüberwachungsstationen, 70 meteorologische Stationen, 300 Radiosender, 940 V-Sat-Empfangsstellen, 5 Jets EMB 145, 3 Jets EMB 145 SR und 99 Flugzeuge ALX.

Fast scheint es so, als hätten wir hier ein Land vor uns, bei dem es auf Kosten nicht so genau ankommt.

Nun, so sagt man sich, selbst wenn es so ist, jetzt gibt es wenigstens ein Überwachungs-System und der Drogenhandel und die Regenwald-Vernichtung werden unterbunden. Schön wärs.

Am 25. Juli 1997 wurde offiziell der Baubeginn des Systems verkündet. Das System ist inzwischen installiert. Im Jahr 2002 wurde der erste Teil eingeweiht, seit Mitte 2002 ist auch die Zentrale mit der ganzen Computerauswertung in Manaus fertig. Am 18. Oktober 2004 wurde das System als zu 98% in Funktion gemeldet und der erste Test des Gesamtsystems wurde erfolgreich abgeschlossen. Seitdem ist das SIVAM völlig aus den Medien Brasiliens und der Welt verschwunden.

Es gibt da auch noch ein gewisses Detail dieses Plans, das wenig Beachtung gefunden hat, aber eine Erklärung für das völlige Fehlen von Ergebnissen des Systems geben kann: Das System SIVAM steht unter der Überwachung der Regierung der USA. Alle Daten laufen zunächst in einem Raum zusammen, der ausschließlich von den USA genutzt werden kann. Erst danach werden diese Daten an die brasilianischen Auswerter weitergegeben. Sollte die US-Regierung aus irgendwelchen Gründen bestimmte Daten nicht an die Brasilianer (und eine eventuelle Öffentlichkeit) weitergeben wollen, tut sie es nicht.

Harsche Kritik an diesem Konzept kam speziell von einem Fachmann, dem Physiker und emeritierten Professor der Stattlichen Universität von Campinas (UNICAMP), Rogério Cerqueira Leite.

Er wies besonders darauf hin, daß ein Projekt dieser Größenordnung und von strategischer Bedeutung (es erfaßt etwa 60% des Staatsgebietes von Brasilien) nicht mit einer Technik hätte realisiert werden dürfen, deren Implikation ist, daß eine ausländische Macht das Erst-Zugangsrecht hat. Er berichtet außerdem, daß die Gesamtkosten fast 1,8 Milliarden US-Dollar betragen.

Wie es zu dieser US-Connection kam, wird klar, wenn man noch einmal in die Anfangszeit des Projektes zurückgeht. Die ersten, die das Projekt gefordert haben, waren nämlich die brasilianischen Militärs. Sie stellten fest, daß Brasilien über einen wesentlichen Teils seines Territoriums nur eine begrenzte Souveränität hat. Angesichts der schwierigen Umstände im Amazonasgebiet, der geringen Bevölkerungsdichte, der praktisch nicht vorhandenen Straßenverbindungen und des Zugangs ausschließlich über Schiffe und Fluggeräte, sei mit normalen militärischen Mitteln dieses Gebiet praktisch nicht zu verteidigen. Es sei daher ein Überwachungssystem notwendig.

Im nächsten Gedankenschritt wird dann gesagt, daß, selbst wenn man ein Überwachungssystem hat, ein Land wie Brasilien nicht die Möglichkeit hat, ein solch riesiges Gebiet gegen einen eventuellen Aggressor zu verteidigen. Dazu sei nur eine Großmacht fähig. Und welche Großmacht kommt in Frage? Nur die Vereinigten Staaten von Amerika! Da komme es dann recht, daß „rein zufällig“ eine US-Firma einen Vorschlag für ein Überwachungssystem vorgelegt hat. Die Verwendung dieses System würde dann auch sicherstellen, daß die USA im Ernstfall diesen Teil Brasiliens verteidigen würden.

Es braucht nicht ausdrücklich erwähnt zu werden, dass diese brasilianischen Militärs in den USA ausgebildet wurden (Fort Bennet, wo man auch foltern lernt).

Nun, jedem aufgeklärten Zeitgenossen stehen bei dieser Argumentation die Haare zu Berge, wenn man nur an den Irak denkt. Auch muß man natürlich in diesem Zusammenhang sehen, daß US-Truppen (und vor allem Söldner) im benachbarten Kolumbien eine Krieg gegen aufständische Guerrillas führen.

Vor allem aber wird mit dieser Argumentation widerlegt, daß eine Ausschreibung unter fairen Bedingungen stattgefunden hat. Die US-Regierung hätte ihren „Verteidigungs-Anteil“ an brasilianischem Gebiet offensichtlich nicht übernommen, wenn nicht das Angebot der US-Firma angenommen worden wäre.

Auch damit ist also bewiesen, daß hier eine beachtliche Menge von schmutziger Wäsche herumliegt. Die braslilianischen Medien, in den Händen derselben Kaste, die aus solchen Aufträgen Nutzen zu ziehen pflegt, zeigt nicht die geringste Lust, zur Aufklärung und zum Waschen dieser Wäsche beizutragen.

Wer interessiert ist, ein wenig in die Details des technisch sicherlich extrem interessanten Systems einzusteigen, der kann mit dieser Site(auf Englisch) anfangen, auf der von Raytheon-Leuten das System vorgestellt wird. Wenn man SIVAM (auf Englisch) googelt, kommen noch eine Menge anderer Sites. Wer einen unkritischen Artikel auf Deutsch will, kann ihn hier finden.

Nun, so fragen sich natürlich der Fachmann und der Laie, was hat das Ganze nun gebracht? Ist der Drogenschmuggel über das Amazonasgebiet unterbunden worden? Ist das Abbrennen und Abholzen des Amazonas-Urwalds gestoppt? Nichts dergleichen.

In den letzten Jahren und Monaten, seit SIVAM voll funktionsfähig ist und es ein leichtes gewesen wäre, die Flugpisten und Flugzeuge mit den Drogen zu orten und aufzubringen, ist im Amazonasgebiet nicht ein einziger größerer Drogentransport aufgeflogen – jedenfalls gibt es nichts in den Medien, weder dort noch anderswo in Brasilien. Offensichtlich kann niemand ein Interesse haben, solche Erfolge geheimzuhalten. Man kann also davon ausgehen, daß wirklich keine Drogentransporte aufgeflogen sind.

Wie soll man das verstehen? Man kauft und installiert eines der teuersten Systeme der Welt, um es anschließend nicht zu benutzen? Oder funktioniert es vielleicht gar nicht? Extrem unwahrscheinlich. In dieser Hinsicht dürfte Raytheon zuverlässig sein.

Gibt es in den USA oder Europa Meldungen über extreme Verknappungen und Preisanstiege von Kokain? Nein, auch nicht. Der „Export“ über das Amazonasgebiet geht also weiter.

Dann bleibt nur eine Erklärung (falls einer eine logische andere hat, möge er sie als Kommentar anbringen): Die US-Administration benutzt das SIVAM anscheinend ausschließlich, um seinem CIA das Monopol über den Kokain-Handel zu sichern, nicht um ihn zu unterbinden. Es ist ja seit dem Buch des Aufklärungsjournalisten Garry Webb aktenkundig, daß ein wesentlicher Teil des Kokain-Schmuggels aus Peru und Kolumbien vom CIA unternommen wird. Garry Webb mußte für diese Entdeckungen sterben.

Falls überhaupt entsprechende Meldungen an brasilianische Stellen weitergegeben werden, kann auch hier das Eingreifen „höherer Stellen“ Brasiliens, um ihre eigenen Drogentransporte zu schützen, nicht ausgeschlossen werden.

Und das Abbrennen und Abholzen? Sind doch nun ständig Flugzeuge mit Infrarot-Detektoren unterwegs, die innerhalb kürzester Zeit jede größere illegale Aktion orten können. Gerade vor zwei Wochen ging die Meldung durch den Blätterwald, daß die Regenwaldvernichtung im Amazonasgebiet im letzten Jahr alle Rekorde gebrochen hat.

Dabei ist interessant, daß diese Zahlen nicht etwa aus einer SIVAM-Auswertung stammen, sondern von einem brasilianischen meteorologischen Institut, das schon seit vielen Jahren mit Wettersatteliten solche Auswertungen vornimmt. Es wurde und wird also offensichtlich innerhalb des SIVAM-Systems von Anfang an verhindert, daß Daten und Informationen über die Regenwaldvernichtung gesammelt und weitergegeben werden - oder wenn, dann jedenfalls nicht veröffentlicht werden.

Das ergibt auch einen Sinn, wenn man weiß, daß es ja vor allem eben jene Mächtigen in Brasilien sind, die Profit aus den Hölzern und dem Soja-Anbau und den Viehweiden auf abgebrannten Regenwaldflächen ziehen. Diese Mächtigen haben natürlich auch das System SIVAM in der Hand und können dafür sorgen, daß sie dort nicht gestört werden.

Die Regierung Lula, wenn wir ihr nicht unterstellen wollen, daß sie selbst in solche Aktivitäten verwickelt ist, tut nichts dagegen. Auch das ergibt einen Sinn, denn Lula muß sich ja mit genau diesen Mächtigen Brasiliens gutstellen, will er Gesetze durchbringen und will er vermeiden, daß seine Dekrete von den Parlamentariern niedergestimmt werden.

Das alles ergibt also in perfekter Weise einen Sinn. Das einzige, was keinen Sinn erghibt, ist SIVAM, außer natürlich für die Raytheon und für die Geldgeber, die dicke Zinsen und Zinseszinsen einstreichen. Und natürlich die herrschenden Schichten in Brasilien, die nun noch ungestörter dem Regenwald den Garaus machen können. Nicht zu vergessen der CIA, der jetzt das Kokain-Transport-Monopol hat. Ah, und da ist natürlich noch die US-Regierung, die jetzt die praktische Souveränitat im Amazonasgebiet ausübt, viele tausend Kilometer außerhalb der US-Grenzen. Alles bezahlt vom brasilianischen Steuerzahler – mit Zins und Zinseszins und Zinseszinseszins und...


Dieser Artikel von Elmar Getto wurde zum ersten Mal in "RBI-Aktuell" (heute Berliner Umschau) am 15. Juni 2005 veröffentlicht. Er ist bis heute aktuell, ja sogar erneut besonders aktuell wegen der ständig sich häufenden Anzeichen, dass der CIA grosse Teile des Kokain-Schmuggels aus Kolumbien und Peru über das Amazonasgebiet übernommen hat und angesichts der ständig steigenden Vernichtung der Amazonas-Regenwälder.

Dienstag, 6. Mai 2008

Jetzt hat der Liberalismus die Hosen herunter gelassen

Die Glaubenssätze des (Neo-)Liberalismus unter die Lupe genommen

Von Karl Weiss

Wenn es noch jemanden gab, der den Glaubenssätzen des (Neo-)Liberalismus Vertrauen entgegenbrachte, der kann dies nun getrost zu den Akten legen. Wenn die Bibel der Neoliberalen nicht sowieso schon widerlegt war, so tut dies spätestens die momentane Situation der weltweiten Finanzkrise und des langsamen Eintauchens in die Welt-Wirtschaftskrise.


Bundestag - Reichstag


Glaubenssatz Nr. 1: Der Markt richtet alles!

Eigentlich war dieser Glaubenssatz längst widerlegt, spätestens seit jener Zeit Mitte des letzten Jahrhunderts, als Ford und GM das Bahnsystem in Los Angeles kauften und schlossen. Sie brachen damit Bahn (im wahrsten Sinne des Wortes) zu einer Entwicklung von Los Angeles zu einer reinen Straßenstadt (einer der hässlichsten und ungemütlichsten der Welt) und zum heutigen Verkehrschaos in der zweitgrößten Stadt der USA. Wer heute an einem Tag zwei Kunden an zwei Enden in Los Angeles besuchen will, schafft es oft nicht, weil er in stundenlangen Staus steht – und das, obwohl die Stadt so mit Straßen zugepflastert ist (wiederum im wahrsten Sinne des Wortes), dass sie als Stadt nicht mehr erkennbar ist. Man wohnt praktisch auf dem Autobahnkreuz.

Auch die Logik sagt einem schon: In einer Situation,in der die Gemeinschaft ein Interesse hat und der jeweilige Kapital-Herrscher nur das seines Profits, wird es unweigerlich zu Interessen-Konflikten kommen, die im Kapitalismus zugunsten des Kapitals und zuungunsten der Gemeinschaft ausgehen. Das heißt nicht, es könne auch Fälle geben, in denen beide Interessen zusammenlaufen, aber das ist eben selten und wird in der aktuellen Situation noch seltener.

Jene Firma, die z.B. ein gut funktionierendes Hybrid-Auto Wasserstoff/Elektro mit Sonnen-Zellen auf dem Dach entwickelt hat, hat sicherlich Profitinteressen - und gleichzeitig hat die Menschheit ein tiefgehendes Interesse, dass diese Firma gedeiht und solche Autos massenweise auf den Markt bringen und vervollkommnen kann.

Was ist aber die Wirklichkeit? Die absolute Monopol-Situation der verbliebenen Automobil-Konzerne verhindert jegliche Möglichkeit, ein anderes Auto als jene des Automobil-Kartells könnte je zum Verkaufsschlager werden. Da die Konzerne aber keinerlei Interesse haben, in neue Technologien ernsthaft einzusteigen, denn es könnten ihre Monopol-Profite gefährdet sein, so radieren sie buchstäblich jede Chance eines Aussenseiters aus.

Gleichzeitig versichern sie ununterbrochen glaubhaft seit Jahrzehnten, alle alternativen Konzepte wären noch nicht ausgereift. Da stimmen sie, welch Zufall, dann auch mit den Energie-Konzernen und denen des Öls überein. So kam es zu der Lachplatte, die hier in Brasilien die Runde machte: Ein hoher Vertreter eines der grossen Öl-Konzerne verkündete mit ernster Miene auf einem Symposium, die Verwendung von Alkohol als Benzin-Ersatz sei noch nicht ausgereift – und dies, nachdem die Alkohol-Autos in Brasilien bereits seit den siebziger Jahren fahren! Autos von Volkswagen, GM und Ford!

Brasilien Alkohol Zapfsaeule

In Wirklichkeit richtet „der Markt“ eigentlich immer nur eins: Die Profite des Mächtigsten und Rücksichtslosesten.

Zudem kann „der Markt“ nicht erkennen, wann eine Überproduktionskrise droht, so eine, in die wir im Moment rutschen. Der Kapitalist kann nämlich nicht „logisch“ handeln, denn dann müsste er die Löhne seiner Arbeiter Jahr für Jahr deutlich anheben, zumindest um die Inflation plus Produktivitätssteigerung, um damit genügend Kaufkraft zu haben, damit seine Produkte einer immer wachsenden Produktion gekauft werden können und müsste auch noch darauf vertrauen, dass die anderen Kapitalisten es genauso machen. Nun, wir wissen, Lohnerhöhungen in dieser Grössenordnung hat es zuletzt in den 70er-Jahren gegeben – und auch damals nur in Ausnahmefällen.

Der Kapitalist muss versuchen – bei Strafe, von den Konkurrenten abgehängt zu werden – seinen Profit pro Kapitaleinsatz (Profitrate) immer mehr zu erhöhen, doch er stösst damit unweigerlich auf die Probleme, die eine wesentlich erhöhte Produktion (die seine Profitrate garantieren soll) mit dem Absatz hat.

In einer chaotischen Marktwirtschaft, genannt Kapitalismus, hängt dieser Absatz davon ab, ob er irgendwie Vorteile gegenüber seinen Konkurrenten erreichen kann, was diese dann wiederum in eine Situation der massiven Nicht-Auslastung bringt.

Da sie aber auch die Produktionskapazitäten ausgeweitet haben, entsteht die Situation der Überproduktion. Die Produkte finden zu grossem Teil keinen Absatz mehr, denn die Löhne der Arbeiter wurden ja nicht, bzw. nicht nennenswert erhöht (Real-Netto-Löhne), so dass Kaufkraft fehlt. Die Wirtschaftskrise beginnt. Sie wird zum Schliessen von Firmen führen, zu Massenentlassungen, Neueinstellungen werden praktisch nicht mehr getätigt, die Löhne noch weiter versucht zu senken. Erst wenn genügend Kapital vernichtet ist, kann sich das jeweilige Land wieder langsam aus der Krise herausarbeiten und auf niedrigerem Niveau neu beginnen.

So ist das Bild geschlossener Fabriken – ganzer Komplexe von leeren Werkshallen, durch die der Wind pfeift, überall im Kapitalismus häufig und gibt Zeugnis über die unglaubliche Verschwendung von Resourcen, die mit der Chaos-Gesellschaft Kapitalismus einhergeht.

Dies ist der Ausdruck der Anarchie, die durch die Konkurrenzwirtschaft bedingt ist. Die Chefs der grossen Konzerne können sich ja nicht zusammensetzen und eine Aufteilung des Marktes beraten, die allen Luft zum Atmen lässt und allen gute Gewinne garantiert, denn damit würden ja die Regeln des Kapitalismus verletzt. Wenn sie dies wirklich einmal tun, so bilden sie vielmehr Kartelle, was die anderen Konkurrenten oft detoniert.

Erst im Sozialismus wird die Gesellschaft statt der Anarchie die sinnvoll geplante Produktion einführen, in der genau das und genau so viel hergestellt wird, was und wie man bracht. Dann kann man die Umwelt schützen, ohne durch die Konkurrenz gezwungen zu sein, Umweltregeln zu verletzen, dann kann man die Energiegewinnung so gestalten, wie es am sinnvollsten ist statt so, wie bestimmte Konzerne am meisten Profit haben. Dann kann man sich überlegen, wie man sinnvoll den Transport von Menschen und Gütern im Kurzbereich, im mittleren Bereich und im Fernbereich sowie im Interkontinentalbereich organisiert und dann entsprechend danach handeln



Glaubenssatz Nr.2: Öffentliche und Staatliche Unternehmen müssen immer privatisiert werden, nur dann sind sie „effektiv“

Auch dies längst widerlegt. Was privatisierte Unternehmen an „Effektivität“ gewinnen, ist ein Profit für die Neu-Aktionäre – und auch das ist nicht sicher, siehe der Fall Telekom. Dass die Dienste der Firma für die Gemeinschaft effektiver werden, ist dagegen durch nichts garantiert, oft geschieht sogar genau das Gegenteil.

Man sehe sich nur an, was die Privatisierung der Bahn in England für Verschlechterungen gebracht hat. Selbst die „Süddeutsche“, sonst fast immer „His Masters Voice“, schreibt in einem Kommentar am 29.4.08: „...gab es, zumal in Frankreich und Großbritannien, Privatisierungskatastrophen: das Waterleau von Grenoble oder die Auflösung der British Rail. (...) Deutschland ist von solchen ganz großen Desastern verschont geblieben.“

Die Privatisierung der Bahn in Argentinien kann man direkt an einem Schaubild beurteilen: Fast alle Linien wurden eingestellt.

Argentina - Trainmaps

Speziell im Fall von Unternehmen, die einen unersetzlichen Dienst an der Gemeinschaft leisten, ist die Privatisierung fast immer zu einem Desaster für diese Dienste geworden. Das gilt besonders für Dienste wie Öffentlicher Transport (Bahn, Nahverkehr), Krankenhäuser, Kindergärten, -krippen und Horte, Schwimmbäder, Wasserwerke, Elektrizitätswerke, Schulen, Universitäten, Post-Dienste, Telefon-Dienste usw.

Die Erfahrungen sind fast durchweg schlecht. So hatte man das System der Elektrizität in Deutschland privatisiert und grossmäulig versprochen, nun werden die notwendigen Investitionen gemacht und durch die Vielzahl der privatisierten Firmen würde ein funktionierender Wettbewerb (Markt) entstehen, der die Strompreise drücken würde.

Das Ergebnis kann man nun besichtigen, nur eine Anzahl von Jahren nach den Privatisierungen. Die Strompreise sind immens angestiegen, von Konkurrenz kann keine Rede sein, denn im Kapitalismus gibt es generell die Tendenz zur Konzentration: Es sind praktisch nur drei grosse und ein paar mehr oder weniger bedeutende Stromunternehmen übriggeblieben. Auch ein massives Investieren in neue, alternative und umweltfreundliche Techniken hat nicht stattgefunden. Statt dessen versucht man, die längst abgeschriebenen Atomkraftwerke, die jetzt reine Goldgruben sind, weiterlaufen zu lassen, obwohl man schon lange nichts mehr dort investiert hat und sie längst Schrott sind.

Atomkraftwerke Deutschland

Gut für die Profite, schlecht für unsere Sicherheit.

Ausserdem werden massiv Kohlekraftwerke gebaut und die Braunkohlewirtschaft ausgebaut anstatt eingeschränkt.

Kraftwerk

Gur für die Profite, schlecht für die Umwelt und das Klima.

Energieverbrauch Deutscland
Dieses Schaubild des Bundesministeriums für Wirtschaft zeigt: Es ist überhaupt keine Einschränkung des Verbrennens fossiler Energiequellen vorgesehen. Die alternativen Energien sollen bis 2030 Alibi bleiben.

In Deutschland würde sich das massive Investieren in die Gewinnung von Biogas aus Pflanzen und tierischen und pflanzlichen Abfallstoffen sowie Abfall-Holz und das Verbrennen dieses Biogases in Wohnnähe mit Elektrizitäts–Wärme-Verbund anbieten, weil damit die deutsche Landschaftsstruktur am besten ausgenutzt wird, die fast ausschliesslich aus bebauten bzw. versiegelten Flächen und landwirtschaftlich nutzbaren Flächen (inklusive zur Holzgewinnung genutzter Flächen) besteht.

Vor allem würde dadurch der mit Milliardensummen subventionierten Landwirtschaft ein neues und sinnvolles Betätigungsfeld eröffnet, ohne dass sie am Tropf der Subventionen hängt. Gleichzeitig würde die massive Abhängigkeit Deutschlands von importierten Energieträgern verringert und es würden dafür Milliardenbeträge eingespart ebenso wie jene, die heute für das EU-Landwirtschafts-Desaster ausgegeben werden. Man sehe sich das Beispiel des Bio-Energie-Dorfes Jühnde in Niedersachsen an. Mit den eingesparten Milliarden der Subventionen könnte ein wesentlicher Teil des Programms finanziert werden. Eine win-win-win-Situation für den Staat, die Bürger und die Unternehmen. Doch nichts davon geschieht.

Stattdessen investieren e-on, Vattenfall und RWE in neue riesige CO2-Schleudern wie Kohlekraftwerke und intensivieren den Abbau von Braunkohle, der schmutzigsten Energie der Welt.

Auch die angebliche Notwendigkeit von Privatisierungen, um die Haushalte der jeweiligen Staaten auszugleichen, erweist sich als ein Schuss, der nach hinten losgeht. Die an die jeweiligen Staatshaushalte gehenden Verkaufserlöse stellen fast immer nicht einmal einen Bruchteil des Werts der Unternehmen dar, die da privatisiert werden, während der Abgang an Staatsvermögen dann weit höher ist und auf die Dauer auch praktisch zählen wird, denn die Kreditwürdigkeit eines Staates (oder eines Bundeslandes oder einer Gemeinde) hängt natürlich eng mit seiner Vermögenssituation zusammen und damit auch die Zinssätze, die man auf dem Markt zahlen muss.

Ein besonders beeindruckendes Beispiel hierfür war die Privatisierung des zweitgrößten Welt-Unternehmens im Bergbau, der Compania Vale do Rio Doce, einem brasilianischen Staatsunternehmen, des Ende der Neunziger-Jahre privatisiert wurde. Ungefähr ein Jahr vor der Privatisiereng fiel dies traditionell extrem gewinnträchtige Unternehmen (im wahrsten Sinne des Wortes eine Goldgrube, denn man besitzt einige der grössten Goldminen der Welt) plötzlich in rote Zahlen. Was da genau manipuliert wurde, kam nie ans Licht der Öffentlichkeit.

Der Preis, der für die ganze Firma erzielt wurde, entspricht etwa dem Wert von zwei heutigen Monatsgewinnen der Firma, ist also absurd niedrig. Laut Angaben des brasilianischen Gewerkschaftsdachverbandes CUT wurde bei der Festsetzung des Mindestpreises, zu dem dann auch verkauft wurde, nur ein Bruchteil der Liegenschaften, des Vermögens und der Schürflizenzen überhaupt gezählt. Die Gewerkschaft hat daher die Forderung nach der Rückgängigmachung des Verkaufs aufgestellt.

Bereits ein Jahr nach der Privatisierung hatte die Vale, wie sie heute heißt, ihre alte Profitabilität wieder erreicht und ist heute der lateinamerikanische Konzern mit dem höchsten Profit.

Das Ganze stank kilometerweit nach Korruption. Der damalige brasilianische Präsident Cardoso von der konservativen PSDB hatte sich persönlich besonders intensiv für diese Privatisierung eingesetzt. Ob er persönlich Bestechungsgelder erhalten hatte, war nie durch eine unabhängige Untersuchung geklärt worden. Tatsache ist, er lebt seit seiner Abwahl im wesentlichen in den Vereinigten Staaten - um keinen Zweifel zu lassen, für welchen Imperialisten er Brasilien geführt hatte - und diniert nach Aussagen eines seiner politischen Verbündeten abends in einem New Yorker Restaurant, in dem ein Gläschen Cognac 200 Dollar kostet.

Dieser Fall weist darauf hin: Privatisierungen und Korruption sind Zwillinge.

Ein anderer besonders Aufsehen erregender Fall einer Privatisierung war die Privatisierung der Wasserwerke von La Paz in Bolivien. Der französische Suez–Konzern hatte sich diese unter den Nagel gerissen und sofort die Wasserpreise immens erhöht. Die arme Bevölkerung konnte die Wasserrechnungen nicht mehr bezahlen und hätte verdursten müssen. Suez blieb davon völlig ungerührt. Als die Bevölkerung begann, Regenwasser in Zisternen aufzufangen, um nicht zu verdursten, stellte Suez auch Rechnungen für das Regenwasser aus.

Nur durch einen praktischen Volksaufstand konnte diese Privatisierung rückgängig gemacht werden, was in unmitelbarem Zusammenhang mit den angesetzten Neuwahlen stand, aus denen der jetzige Präsident Evo Morales als Sieger hervorging.

Evo Morales

Also? Privatisierung? Offenbar wird nichts gehalten,was man sich davon verspricht. Dagegen sind die negativen Auswirkungen für die Bevölkerung Legion.

Es gibt auch die positiven Gegenbeispiele von Firmen, die nicht privatisiert wurden und ein wichtiges Mittel sozialer Politik in den Händen der Regierung geblieben sind. Typische dafür ist die staatliche frühere Monopolgruppe Petrobras in Brasilien. Man löste zwar das Monopol auf und erlaubte anderen Ölkonzernen, in Brasilien tätig zu werden, man gab zwar Aktien aus für etwas weniger als die Hälfte des Kapitals der Gruppe, aber das Sagen behielt der Staat in der Petrobras (das brasilianische Aktienrecht gibt Minderheitsaktionären keine weitgehenden Rechte).

Chávez und Lula

Das hat sich angesichts des steigenden Erdölpreises als segensreich erwiesen. Während in fast allen anderen Ländern die Erdölpreise auf die Benzinpreise durchschlugen und nur durch drastische Manipulationen verhindert werden konnte, dass die Inflation in zweistellige Raten hineinwuchs, ist in Brasilien der Benzinpreis (so wie die an ihn gekoppelten Preise für Alkohol und Diesel) seit September 2005 an der Raffinerie gleichgeblieben, zu einem Zeitpunkt, als der Preis für Rohöl bei 60 Dollar pro Barrel lag. An biligeren Tankstellen in der Nähe von Raffinerien (wie im Beispiel der Tankstelle auf dem Bild) ergaben sich daraus Endverbraucherpreise für den Liter Benzin (Gasolina) von zwischen 2,20 und 2,30 Reais (etwa 83 bis 87 Cent) – die ganze Zeit unverändert seit 2005.

Treibstoffpreise Brasilien

Das wurde schlicht von der Regierung Lula beschlossen und die Petrobras hatte danach zu handeln. So konnte die ganze Zeit die Inflation in Brasilien am Steigen gehindert werden und dies wirklich und nicht durch Statistik-Manipulationen. Auch in diesem Moment, in dem in vielen Ländern die Inflationsraten in die Höhe schiessen und nur noch durch dreistete Fälschungen in niedrigen Zahlen gehalten werden können, bleibt die Inflation in Brasilien niedrig.

Logo Petrobras

Natürlich musste die Petrobras dafür auf Profit verzichten, aber das war leicht zu verkraften, denn sie ist als ständig wachsender Rohölförderer zu einem der profitstärksten Unternehmen in ganz Lateinamerika geworden (im Moment an zweiter Stelle in Lateinamerika nach der schon erwähnten Vale).



3. Glaubenssatz: Der Staat muss sich vollständig aus den Märkten heraushalten, sie regeln sich selbst

Nach diesem Glaubenssatz wird jede Überwachung oder gar Regulierung, ganz zu schweigen von einem direkten Eingreifen des Staates oder öffentlicher Stellen auf den Markt oder irgendeine auf dem Markt gehandelte Ware oder die Fabriken der Kapitalisten oder über die „freien Entscheidungen der freien Agenten des Marktes“ abgelehnt, ja meistens sogar als „bolschwewistisch“ oder schlimmer gebrandmarkt.

Nun geschah aber etwas sehr „bolschewistisches“ in Berlin: Die Bankgesellschaft Berlin hatte spekuliert und war in Schieflage geraten. Die CDU Berlin war intensiv verwickelt, auch einige SPD-Politiker. Nun liess man aber die Bank nicht Pleite gehen und die Zocker die Folgen tragen, nein, der Berliner Steuerzahler wurde herangezogen, um die Fehlbeträge auszugleichen, die in die Milliarden Euro (mindestens 9,8 Milliarden Euro nach einer Zeitungsmeldung) gingen und um den armen Zockern unter die Arme zu greifen.

Das war ein direktes Eingreifen des Staates in das Geschehen des freien Marktes. Es war der Beweis, im Grunde ist der liberale Glaubenssatz nicht wirklich ernst gemeint. Man will eigentlich nur, dass der Staat nicht die Sauereien aufdeckt, die man macht und einfach alles als gottgegeben hinnimmt, was „die Wirtschaft“ (sprich: das Kapital) entscheidet.

In Wirklichkeit legt man sehr viel Wert auf das Eingreifen des Staates, wenn es gegen die Arbeiter und kleinen Leute geht und wenn dadurch die Kapitalrendite garantiert wird. Dann ist plötzlich der Staat sehr wichtig als Regulierer und ganz speziell natürlich als Steuereintreiber beim kleinen Mann, um das Geld in den Vorstandsetagen und Banken abzuliefern.

Hatte man den Fall der Bankgesellschaft Berlin noch unter Ausnahmen von der Regel ablegen wollen, es war ja wirklich nur ein Fall in Jahren, so sind wir nun, am Beginn der internationalen Wirtschaftskrise und mit der Finanzkrise, die vor allem durch unseriöse Kreditvergabe auf der Basis von weit überhöhten Wertschätzungen von Immobilien, vor allem in den USA, in einen praktisch wöchentlichen Rhythmus von Eingreifen verschiedener Staaten in die Bankenwelt eingetreten, was den Glaubenssatz nun wirklich in der Luft zerrissen hat.

USA: Foreclosure Zwangsversteigerung

Deutschland war einer der ersten Staaten, der in diesem Fall eine Privatbank mit Namen IKB aus der Breduille half mit Milliarden von Steuergeldern, wobei sich herausstellte, das reichte bei weitem nicht aus. Später warf man dem unter Bruch aller Regeln hinausgeworfenen Geld noch einmal Milliarden von Euros hinterher, um die Bank wenigstens noch für einen Verkauf fit zu machen.

Und die Landesbanken, das war gleich die nächste Reihe von Fällen, in denen man Milliardenbeträge zur Unterstützung aus Steuergeldern plötzlich zur Verfügung hatte. Nun war plötzlich Geld da!

Meseberg-Tagung Bundesregierung

Das zauberten die gleichen Politiker aus dem Nichts, die uns immer und immer wieder mit einem Kuhblick in den Augen versichern, es sei kein Geld da, man könne wirklich beim besten Willen nicht einen Heller auftreiben für eine menschenwürdige Arbeitslosenunterstützung, für die benötigten Kinderkrippen, Kindergärten und Horte, für den öffentlichen Personennahverkehr, für ein Sozialticket auf diesem, für das Offenhalten von Schwimmbädern, für die Finanzausstattung von Universitäten, damit keine Studiengebühren gefordert werden, für die Einstellung von Lehrern, um die hohen Stundenausfälle auszugleichen und die Klassengrössen zu verkleinern, nein, für all dies, so hörten wir wieder und wieder, war kein Geld da. Es war kein böser Wille, wirklich nicht, nur man kann einem nackten Mann eben nicht in die Tasche greifen.

Doch nun, aus Quellen, die man uns vorsichtshalber vorenthält, sind Milliarden und Abermilliarden da, für die Norddeutsche Landesbank, für die Westdeutsche Landesbank, für die Sächsische Landesbank, für die Bayerische Landesbank und was da noch alles kommt.

Aber da ist nicht nur in Deutschland plötzlich ausreichend Geld für so manches Geldinstitut da, auch in den USA wird mit 200 Milliarden Dollar aus Steuergeldern die Investmentbank Bear Stearns zum Verkauf fit gemacht. In Grossbritannien wird Northern Rock schlicht und einfach vom Staat übernommen und die gesamten Verluste aus dem Staatssäckel bezahlt.

Es handelt sich also eindeutig nicht um spezielle oder Einzelfälle, sondern um das routinemässige Eingreifen des Staates, um Kapital zu stützen und dafür Steuergelder rauszuwerfen. Es handelt sich weder nur um ein Land noch nur um wenige Fälle.

Und es gibt im Moment nicht den geringsten Hinweis, damit sei bereits alles ausgestanden. Es wird mehr kommen und es wird mehr Geld da sein für die notleidenden Finanzkapitalisten.

Reichstag - Bundestag

Es ist Geld da!

Man sollte sich nun langsam daran gewöhnen, keinem Politker mehr zu glauben, der behauptet, es sei kein Geld da. Das Gegenteil ist bewiesen.

Von unseren Medien der Hofberichterstattung zu erwarten, dass sie bei ihren Freunden, den Politikern, doch bitte mal nachfragen, wo sie das Geld denn die ganze Zeit versteckt hatten, ist natürlich zuviel verlangt. Majestätsbeleidigung ist strafbar! Sie Wicht!

Der (Neo-)Liberalismus hat nun wirklich die Hosen herunter gelassen und jeder kann jetzt sehen, was an den Argumenten dran war: Sie waren nichts als der Versuch, die nackte unmenschliche kapitalistische Wirklichckeit hinter Scheinargumenten zu verstecken.


Veröffentlicht am 6. Mai 2008 in der Berliner Umschau


Originalartikel

Montag, 5. Mai 2008

'Ja, wir haben Bananen'

Die Schwierigkeiten eines normalen Fussballspiels in Südamerika

Von Karl Weiss

„Bananenrepublik“, das ist ein Schimpfwort, das sich schon viele Länder in Mittel- und Südamerika anhören mussten, speziell zu Zeiten, als fast überall (von den USA gesponserte) Militärs am Ruder waren. In Brasilien wurde daraufhin trotzig eine Musik gemacht, deren Refrain mit „Ja, wir haben Bananen“ anfing. Aber bis heute gibt es in manchen Ländern Südamerikas spezielle Ereignisse, die einen wieder an dieses Wort denken lassen, gerade auch im Fußball.

Romario und Parreira beim Abschiedsspiel

Südamerika, die einzige Weltregion, die im Fußball mit Europa mithalten kann. Man schuf den Libertadores-Cup als Gegenstück zur Champions Leage. “Libertadores“, das bezieht sich auf die Befreier, den Venezolaner Simón Bolivar und andere, die mit ihren Feldzügen dafür sorgten, dass fast ganz Lateinamerika bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts von der europäischen Kolonialherrschaft befreit wurde, also eine bewusste Herausforderung über den Atlantik.

Tatsächlich lohnt es sich, wenn man Gelegenheit hat, sich Übertragungen von Spielen der Libertadores anzusehen, die manchmal im Kabel- und Satelliten-TV angeboten werden. Da gibt es selten endloses Hin- und Hergeschiebe des Balles im Mittelfeld, wie es z.B. die beiden Begegnungen von Liverpool mit Chelsea und von Barcelona mit ManU beherrschte.

Mit einigen Ausnahmen spielt man in Südamerika meist noch einfallsreichen Kurzpassfußball, der immer wieder durch überraschende Vorstöße abgelöst wird, wenn überragende Einzelleistungen oder Steilpässe die Abwehr in Bedrängnis bringen.

Das hängt damit zusammen, dass fast alle übermenschlichen Abwehrmaschinen, wie Seedorf, Cannavarro, Cafú und so manche andere, in europäischen Spitzenclubs spielen. Es handelt sich um Supermänner, die pro Spiel 14 km laufen können und danach fast taufrisch in Verlängerungen gehen. Männer mit dem doppelten Lungenvolumen eines Normalbürgers und Herzen, die glatt 150 % der Blutpumpleistung eines einfachen Menschen erbringen.

Diese menschlichen Pit Bulls sind darauf spezialisiert, den jeweils ballführenden Gegenspieler innerhalb von Bruchteilen von Sekunden anzugreifen, nachdem er den Ball erhielt und dann kommt auch innerhalb kürzester Zeit noch ein zweiter Mann dazu und hilft, dem Spieler den Ball abzujagen, das sogenannte Double-Pressing.

Selbst die besten Offensivspieler der Welt haben kaum eine Chance gegen diese Meute, wie Spiele von Barcelona mit Messi und Ronaldinho, von Manchester mit Cristiano Ronaldo, vom A.C. Mailand mit Kaká, von Inter Mailand mit Shevshenkow usw. usw. zeigen.

Die Ergebnisse lauten fast immer 0:0 oder 1:0 oder 1:1 und ausser den Fans der Mannschaften auf dem Feld kommt niemand auf seine Kosten.

In Südamerika sind solche Übermenschen fast nicht anzutreffen. Eine extreme Defensivtaktik weist eigentlich nur der F.C. São Paulo auf. Alle anderen spielen nicht nur defensiv, sondern rücken auch mit vielen Spielern nach vorne, wenn man im Angriff ist, auch wenn dies überfallartigen Gegenangriffen Tür und Tor öffnet. So sind denn auch eine Reihe der guten Mannschaften auf Gegenangriffe spezialisiert.

Hier eine Zusammenstellung von Spielergebnissen von allen 16 für das Achtelfinale der Libertadores qualifizierten Vereinen, wie sie in der Gruppenphase erzielt wurden.

Cruzeiro 3 x 1 San Lorenzo

Lanús 3 x 3 Estudiantes

Boca Juniors 3 x 0 Atlas

Flamengo 2 x 0 Nacional

América 4 x 3 River Plate

Santos 2 x 1 Cúcuta Deportivo

São Paulo 1 x 0 Atlético Nacional

Fluminense 1 x 0 LDU

Es ist offensichtlich: Nur die letzten zwei sind Ergebnisse vom europäischen Typ, darunter jenes von São Paulo, von dem schon gesagt wurde, man spielt extrem defensiv wie in Europa.

Doch nun zurück zu den Bananen:

3.. März 2008: Spiel in Montevidéu, Uruguay: Nacional gegen Flamengo Rio in der Gruppenphase der Copa Libertadores: Die Balljungen geben demonstrativ die Bälle nicht an die Spieler der Gastmannschaft, sondern sie werfen sie den eigenen Spielern zu oder verzögern die Rückgabe der Bälle. Die Spieler von Flamengo reagieren zunehmend verärgert. Schliesslich lässt sich der Mittelfeldspieler Toró von Flamengo dazu hinreissen, einen der Balljungen anzugreifen. Er wird vom Platz gestellt. Gegen eine dezimierte Mannschaft aus Rio fällt es leicht, mit 3:0 zu gewinnen

23. April 2008: Spiel in Montevidéo, Uruguay: Nacional gegen Cienciano aus Peru in der Gruppenphase der Copa Libertadores: Die Balljungen geben demonstrativ die Bälle nicht an die Spieler der Gastmannschaft, sondern werfen sie eigenen Spielern zu oder verzögern die Rückgabe der Bälle. Die Spieler von Cienciano reagieren zunehmend verärgert. Schliesslich lässt sich der Spieler Romaña von Cienciano dazu hinreissen, einen der Balljungen zu stossen. Er erhält die gelbe Karte. Kurz danach bekommt er nach einem Foul die zweite gelbe Karte und ist vom Platz gestellt. Gegen eine dezimierte Mannschaft von Cienciano fällt es leicht, mit 3:1 zu gewinnen.

Spiel der Libertadores in Medellín, Kolumbien: Bei mehreren der Heimspiele in der Gruppenphase des dortigen Vereins Atletico Nacional fliegen Gegenstände aufs Spielfed nahe bei Spielern der Gastmannschaften. Hat die Gastmannschaft einen Eckball, so muss der Schütze dort mit Schilden der Polizisten gegen einen „Regen“ von Gegenständen geschützt werden, die dort niedergehen. Unter diesen Bedingungen kann natürlich kein gefährlicher Eckball zustande kommen. Atletico Nacional qualifizierte sich für das Achtelfinale mit nur einem Punkt Vorsprung vor den beiden ausgeschiedenen Mannschaften.

Nun, werden Sie sagen, das sind unschöne Vorkommnisse, aber nichts Besorgniserregendes, denn die Vereine werden ja von dem Veranstalter, dem südamerikanischen Fussballverband, hart bestraft werden und werden in Zukunft Vorsorge tragen, dass sich solche Vorfälle nicht wiederholen.

Richtig? Falsch! Weder Nacional Montevideo noch Atlético Nacional Medellín wurden in irgendeiner Art und Weise bestraft. Man kann jetzt schon für die Achtelfinale wetten, dass die Balljungen in Montevideo weiterhin die Gastmannschaft bis aufs Blut reizen werden und die Zuschauer in Medellín weiterhin Gegenstände werfen. Deshalb die Erwähnung der Bananen.

Das ist unglaublich? Nun hören Sie erst einmal, was eim Halbfinale der São-Paulo-Meisterschaft im Spiel Palmeiras gegen São Paulo geschah:

In Brasilien werden in den ersten vier Monaten des Jahres noch die traditionellen Staatsmeisterschaften ausgetragen. In jener des Staates São Paulo trafen im Halbfinale die beiden Spitzenclubs Palmeiras und São Paulo aufeinander.

São Paulo, grösste Stadt der südlichen Hemisphere

Zur Pause des Rückspiels im Palmeiras–Stadion „Parque Antártica“, es stand noch unentschieden, bemerkten die Spieler von São Paulo in ihrer Kabine einen eigenartige Geruch. Alarmiert verliessen sie die Kabine. Der Trainer von São Paulo, Muricy Ramalho, der als letzter den Raum verliess, bekam einen Schwindelanfall.

Jemand hatte ein gefährliches Gas in die Kabine der São Paulo-Mannschaft geleitet!

In der zweiten Halbzeit spielte São Paulo wie ausgeweschselt, brachte nicht die Hälfte des üblichen Leistung auf den Rasen und verlor sang- und klanglos das Spiel. Sogar der Torwart Sene, Ersatztorhüter der brasilianischen Nationalmannschaft, machte einen Anfängerfehler und war mit Schuld an einem Gegentor.

Nun, Sie raten schon, auch dies wurde von dem zuständigen Verband in keiner Weise bestraft, ganz zu schweigen von Spielwiederholung oder Ähnlichem. Es wurde auch keine Geldstrafe ausgesprochen, ja, der Fussballverband von São Paulo forderte nicht einmal eine Untersuchung des Vorfalls bzw. führte auch keine selbst durch.

Die Vereinsführung von Palmeiras, befragt über den Vorfall und die Reklamatioen von Seiten São Paulos, bestritt nicht einmal, dass sie ein Gas dort eingeleitet hätten. Sie sagten nur, es handele sich um „Details“ und São Paulo müsse lernen zu verlieren.

Ins gleiche Horn bliesen einige Sporteporer. Die Reklamationen der Spieler von São Paulo seien „weinerlich“ und es es sei zu verlangen, dass man würdevoll verliert.

Unter diesem Druck wagte São Paulo nicht einmal, offiziell Protest gegen die Wertung des Spiels einzuegen, geschweige denn vor bürgerliche Gerichte zu ziehen.

So wird wohl im Dunkeln der Fussballgeschichte bleiben, welches Gas da in die Kabine geleitet wurde und niemand kann sich die guten Erfahrungen von Palmeiras zu nutze machen und ebenfalls die Gastmannschaft mit Gas attackieren. Also der Geruch verfaulter Bananen war es wohl nicht.


Veröffentlicht am 5. Mai 2008 in der Berliner Umschau

Originalartikel

Montag, 28. April 2008

Bayern will Demonstrations- und Streikrecht einschränken

Breites Bündnis verteidigt Recht auf Demonstrationen und Streik

Von Karl Weiss

In Bayern wurde ein Gesetz in den Landtag eingebracht, welches das ganze Streik- und Versammlungsrecht bedroht. Spontane Streiks sollen als kriminell eingestuft werden und Versammlungen (sprich Kundgebungen und Demonstrationen) werden mit so extremen Auflagen versehen, dass sie Handhabe zum Verbot und zur Kriminalisierung von Anmeldern und Teilnehmern liefern. Nun hat sich auf Initiative der bayerischen Ver.di ein breites Bündnis gebildet, um diesen Anschlag auf die bürgerlichen Rechte der Bundesbürger zurückzuweisen.

Sozialprotest DGB

Dies ist Ausfluß der Föderalismus-Reform, die ein entsprechendes Gesetzgebungsrecht auf die Länderebene verlegte. Der erste Vorstoß wird bewusst in Bayern gemacht, wo man wenig Widerstand erwartet. Im weiteren Verlauf wird man dann entsprechende Gesetze in den anderen Bundesländern einführen und hätte dann ein wirksames Streik- und Versammlungsrecht in ganz Deutschland ausgehebelt.

Es war den Politikern der selbsternannten „Volksparteien“ sowieso schon die ganze Zeit ein Dorn im Auge, dass man in Deutschland noch frei gegen sie und ihre Politik protestieren durfte. Damit soll nun Schluss sein.

Das Streikrecht, das sowieso nur als Richterrecht in Deutschland existiert (ein vollständiges gesetzliches Streikrecht ist längst überfällig), wird so weit eingeschränkt und mit Auflagen versehen, dass praktisch keine legaler Streik mehr möglich ist bzw. nur unter schweren Bedingungen.

Streiks müssen nach diesem Gesetz unter Androhung schwerer Strafgelder mindestens 72 Stunden vorher angekündigt werden. Man weiss, wo man die Arbeiter leicht trifft: Am Geldbeutel, denn man weiss ja, wie wenig man ihnen bezahlt. Jeder Arbeiter, der nach dem neuen Gesetz verurteilt würde, wäre für sein Leben am Existenzmnimum.

Zudem – und das ist besonders infam – soll bereits ein mit zwei Mann besetzter Streikposten zukünftig eine „Versammlung“ sein und fällt damit unter das neue Versammlungsrecht.

Zugspitze

Das sieht nämlich vor, es muss vorher angemeldet werden, es müssen Versammlungsleiter (bei zwei Mann!) und Ordner (bei zwei Mann!) benannt und mit allen Personalien vorher bekanntgegeben werden. Die Behörden haben das Recht, solche Versammlungen zu unterbinden unter dem Vorwand, der genannte Versammlungsleiter sei „ungeeignet“ oder „unzuverlässig“ (wobei hier wiederum nicht definiert wird, was das ist und damit der Willkür Tür und Tor geöffnet wird).

Die Behörde braucht sich lediglich Zeit lassen, um herauszufinden, der Versammlungsleiter sei „unzuverlässig“ nach ihrer Ansicht und dies eine Minute vor Versammlungsbegimnn bekannt geben, dann kann die „Versammlung“ (Demonstration oder Kundgebung) nicht eröffnet werden, ohne im gleichen Moment illegal zu sein – und illegale Versammlungen kann und muss man schliesslich auflösen und die Teilnehmer festnehmen – oder etwa nicht?

Monate später können die Veranstalter dann ein eventuell ein Gerichtsurteil erwirken, dies war illegal und nicht die Versammlung, aber das hat eben keinerlei Folgen, wie alle jene bezeugen können, die in den letzten Jahren von der Polizei illegal eingekesselt wurden. Sie alle bekamen richterlich bestätigt, es war illegal, aber für die Polizeiführung oder deren Chefs gibt es keine Bestrafung, für die Eingekesselten kein Schmerzensgeld – es ist genauso, als wenn auf dem Mond eine Tür zufällt

In der Praxis können so Demonstrationen und Kundgebungen verhindert werden, denn diese haben in der Regel eine konkreten Anlass und können nicht monatelang auf ein Gerichtsurteil warten. Gleichzeitig wird den Behörden die Möglichkeit gegeben, ihnen genehme Versammlungen nicht zu verhindern, wenn es zum Beispiel um die heimlich geförderten Faschistenaufmärsche geht.

So hat zum Beispiel gerade eben in Bayern ein Gericht einen Saal in Bamberg für den Parteitag der NPD freigekämpft.

Da ist es besonders zynisch, wenn das neue Versammlungsrecht mit der Verhinderung von faschistischen Aufmärschen begründet wird.

Bei Streiks wird über die „Zwei-Mann-Regel“ eine Verbindung zum Versammlungsrecht hergestellt und damit ebenfalls das völlige Verbot ermöglicht. Jeder Streik kann dann als illegal erklärt werden. Damit bekämen die Arbeiter ihr einziges Recht im Kampf gegen die Kapitalisten gestrichen.

Für alle jene, die immer noch auf das Bundesverfasusungsgericht vertrauen und glauben, das werde so etwas schon nicht zulassen sei noch einmal auf die Freigabe des Bundestrojaners durch eben dieses Gericht verwiesen. (https://karlweiss.twoday.net/stories/4749060/).

Nein, wir werden uns schon selbst darum kümmern müssen, dass sie nicht alle unsere Rechte beschneiden. In München fand am 18. April bereits eine erste Demonstration gegen dieses Gesetzesvorhaben statt. Es müssen aber noch viel mehr auf die Strasse!

Veröffentlicht am 28. April 2008 in der Berliner Umschau

Originalartikel

Freitag, 25. April 2008

Libertadores - die Achtelfinale

Boca Juniors und São Paulo sind noch dabei

Von Karl Weiss

Nach dem Ende der Gruppenphase mit den letzten Spielen am 23.4.2008 stehen nun die Achtelfinale fest. Boca Juniors, der Titelverteidiger und Hauptfavorit auf den Titel, konnte sich am letzten Spieltag in einem spannenden Spiel mit 3:0 gegen Unión Maracaibo doch noch qualifizieren, nachdem sein Rivale Colo Colo Santiago de Chile nur ein Unentschieden zu Hause gegen den Gruppensieger Atlas Guadalajara aus Mexiko erreichen konnte. Hätte ‚Boca‘ nur 2:0 gewonnen, wäre Colo Colo weitergekommen

São Paulo, grösste Stadt der südlichen Hemisphere

Auch der Sieger von 2005 und brasilianische Meister São Paulo, ein anderer Favorit, konnte sich durch ein 1:0 zu Hause gegen den vorherigen Gruppenersten Atletico Nacional aus Kolumbien qualifizieren und die Mannschaft aus Medellín sogar noch vom ersten Gruppenplatz verdrängen.

Genau jener Club aus Kolumbien ist der Gruppenzweite mit der schlechtesten Kampagne (lediglich 8 Punkte aus 6 Spielen) und kommt damit im Achtelfinale gegen den Besten der Gruppenersten, Fluminense Rio de Janeiro, mit 13 Punkten und einer Tordifferenz von 8.

Dessen Rivale Flamengo Rio qualifizierte sich als Zweitbester der Gruppenphase mit 13 Punkten und der Tordifferenz von 5 im letzten Spiel mit einem 2:0 zu Hause gegen Colonel Bolognesi aus Peru, mit Recht auf ein Freistoßtor seines Torwarts. Das erwies sich aber nicht als Vorteil,denn nun muss man gegen den Zweitschlechtesten der Gruppenphase antreten – und das ist ausgerechnet Mitfavorit America Mexico Stadt, der mexikanische Meister. America verlor seine drei Auswärtsspiele in der Gruppenphase, sowohl gegen Universadad Catolica aus Chile als auch gegen River Plate, das als Gruppenerster weiterkam, wie auch gegen Universidad San Martin aus Peru, und kam nur auf 9 Punkte und eine ausgeglichene Tordifferenz.

Der drittbeste war River Plate Buenos Aires mit 12 Punkten und einer Tordifferenz von 6, ein weiterer Mitfavorit. So kommt man gegen eine andere argentinische Mannschaft aus Buenos Aires, San Lorenzo, das der drittschlechteste Gruppenzweite war mit 10 Punkten und einer Tordifferenz von 1.

Viertbester aus der Gruppenphase wurde Atlas aus Mexico nach seinem hart erkämpften 1:1-Unentschieden in Santiago de Chile gegen Colo Colo mit 11 Punkten und der Tordifferenz von 5. Man wird gegen Lanús aus Argentiniens gleichnamiger Stadt spielen, das sich als viertschlechtester Gruppenzweiter qualifizierte mit 10 Punkten und Tordifferenz 3 (9 Tore).

Der fünftbeste aus den Gruppen wurde Cruzeiro Belo Horizonte aus der Stadt, in der dies geschrieben wird, mit 11 Punkten und einer Tordifferenz von 4. Doch entgegen allen Hoffnungen bekam man so keinen leichten Gegner, sondern den Hauptfavoriten Boca Juniors, der nun die fünftschlechteste Kampagne aufweisen kann, mit 10 Punkten und einer Tordifferenz von 3, aber 12 Toren.

Die Begegnung des Sechsten von unten und von oben lautet LDU Quito(Equador) (10 Punkte, 5 Tordifferenz) und Estudiantes La Plata aus Argentinien (11 Punkte, Tordifferenz 4, aber (mit 9) weniger erzielte Tore als Cruzeiro – 11).

Schliesslich wird das das siebte Achtelfinale von zwei Vereinen bestritten, die Gruppen zweiter und -erster in der gleichen Gruppe waren, Santos aus Brasilien mit 10 Punkten und Tordifferenz 7, und Cúcuta Deportivo, eine harte Nuss aus Kolumbien, mit 11 Punkten und einer Tordifferenz von 3. Das ist natürlich einer der Nachteile,wenn man nach den Schema „Der beste gegen den schlechtesten, der zweitbeste gegen den zweitschlechtesten usw.“ verfährt, es können die beiden Qualifizierten aus einer Gruppe gegeneinander kommen. So hat man aus den Gruppenergebnissen bereits eine Ahnung, wie es ausgehen wird: Cúcuta spielte zu Hause 0:0 Unentschieden gegen Santos und verlor in der grössten Hafenstadt Südamerikas mit 2:1.

Als letztes Achtelfinale ist das zwischen dem brasilianischen Meister São Paulo und Nacional Montevideo aus Uruguay zu erwähnen. São Paulo hat 11 Punkte und eine Tordifferenz von 2 und Nacional war der beste Gruppenzweite mit 12 Punkten und einer Tordifferenz von 4.

Ach ja richtig, da ist noch zu erwähnen: Die Achtelfinalbegenungen werden immer zwischen einem Gruppenersten und einem Gruppenzweiten ausgetragen, lediglich unter diesen wird jeweils die Reihenfolge festgelegt nach Punkten,Tordifferenz und Zahl der erzielten Tore. Dadurch kommt in diesem Fall der schlechteste Gruppenerste São Paulo gegen einen Gruppenzweiten mit mehr Punkten als er selbst.

Gruppenerster zu werden, hat einen wichtigen Vorteil: Im Achtelfinale wird man die Entscheidung im zweiten Spiel zu Hause suchen können – eine eventuelle Verlängerung und ein Eltmeterschiessen finden im eigenen Stadion statt. Die Hinspiele werden am 30. April ausgetragen, die Rückspiele am 14. Mai.

Damit sind von den 6 angetretenen argentinischen Mannschaften 5 qualifiziert, nur Arsenal, im Vorjahr noch Sieger der Copa Sulamericana (das südamerikanische Gegenstück zum UEFA-Cup), hatte das Pech, in seiner Gruppe auf ein bärenstarkes LDU aus Peru und die beste Gruppenmannschaft Fluminense Rio zu trefen.

Die fünf brasilianischen Vertreter haben sich alle durchgesetzt, davon vier als Gruppenerste. Nur Santos wird das zweite Spiel auswärts zu bestreiten haben. Mit anderen Worten: Zehn der 16 verbliebenen Mannschaften sind aus Argentinien oder Brasilien. Dazu kommen jeweils zwei aus Mexiko und Kolumbien und jeweils eine aus Uruguay und Equador.

Nur in einem Spiel kommen zwei Vertreter aus einem Land gegeneinander, bei der rein argentinischen Begegnung zwischen River Plate und San Lorenzo, beide aus Buenos Aires.

Es gibt kein Spiel, in dem nicht mindestens ein Verein aus Argentinien oder Brasilien beteiligt ist. Wenn alles schief läuft, könnten nur noch Vereine aus diesen beiden Ländern im Viertelfinale stehen. Aber da sei der mexikanische Meister Amerika vor, der kolumbianische Cúcuta und der equadorianische LDU sowie die hervorragende Mannschaft von Atlas aus Guadalajara.

Interessanterweise gibt es trotz der hohen Konzentration von argentinischen und brasilianischen Vereinen nur eine Begegnung der Erzrivalen,die zwischen Boca Juniors und Cruzeiro, die wohl etwas einseitig ausfallen wird, denn Cruzeiro hatte sich lediglich als Vierter der brasilianischen Meisterschaft und über ein Qualifikationsspiel in den Wettbewerb „geschlichen“.

Wenn man voraussagt, es würden Fluminense, America,River Plate, Atlas, Boca Juniors, LDU, Cúcuta und São Paulo weiterkommen, so käme es im Viertelfinale zu folgenden Paarungen (jeweils der Erstgenannten mit dem Vorteil des zweiten Spiels zu Hause):

Fluminense Rio – São Paulo
America – Santos
River Plate – LDU
Atlas – Boca Juniors

Wenn man nun, alles natürlich rein theoretisch – die naheliegenden Sieger dieser Duelle nennen würde (São Paulo, America, River Plate,Boca Juniors), so würden sich folgende Halbfinals ergeben (Reihenfolge wie oben):

São Paulo – Boca Juniors
America - River Plate

Da gäbe es dann eine gute Chance auf ein rein argentinisches Endspiel, aus dem theoretisch wieder Boca Juniors als Meister hervorgehen müsste.

Aber im Fussball will Theorie nicht viel heissen.


Veröffentlicht am 25. April 2008 in der Berliner Umschau

Originalartikel

Dienstag, 22. April 2008

Hellseherei? Die Wirtschaftskrise

Interview mit Karl Weiss

Von Elmar Getto

E.G.:

Danke Karl, dass Du uns einige Fragen beantwortest. Die Wirtschaftskrise, die sich im Moment sichtbar entwickelt mit Anzeichen wie einem Minus des Dax von 6% an einem einzigen Tag, hast du seit 2006 vorhergesagt. Eine Anzahl von Reaktionen auf deine Artikel belegen, du hast sogar Einigen geholfen, kein Geld zu verlieren. Wie hast du das gemacht? Woher weisst du im Voraus, wann sich eine Wirtschaftskrise entwickelt?

K.W.:

Nun, das ist kein Hexenwerk. Man darf sich nur nicht durch des Gesabbere der bürgerlichen Ökonomen beeinflussen lassen. Die sehen nach jedem relativen Aufschwung nach einer Krise immer die krisenfreie Entwicklung auf Dauer mit ständig steigenden Wachstumsraten und fallen daher gesetzmässig immer aufs Maul. Die Gesetze des Kapitalismus sind nun mal unumstösslich und sie beinhalten die gesetzmässig auftretenden Überproduktionskrisen.

E.G.:

Aber gab es nicht nach dem zweiten Weltkrieg bis in die 80er-Jahre hinein eine Epoche ohne wirkliche Wirtschaftskrisen?

K.W.:

Das ist richtig. Der zweite Weltkrieg hatte eine Ausnahmesituation geschaffen. Es war soviel Kapital und Produktionskräfte vernichtet worden, dass der Nachholbedarf immens war. So entwickelte sich eine Hochkonjunktur bis in die 70er-Jahre hinein. Anschliessend kam nicht der übliche Fall in eine Wirtschaftskrise, sondern eine neue Erscheinung: Die schwankende Stagnation. Ohne wesentliches Wirtschaftwachtum, aber auch ohne tiefe Einbrücke der ganzen Wirtschaft. Stattdessen branchchenspezifische und national unterschiedliche Einbrüche. Doch diese Sonderphase der schwankenden Stagnation wurde mit der ersten Wirtschaftskrise nach dem zweiten Weltkrieg Ende der 80er-Jahre bereits wieder beendet. Seitdem treten wieder mit einer relativen Häufigkeit Wirtschaftskrisen auf, die weltweit sind und den Kriterien genügen, d.h. Verringerung des Nationaleinkommens der grossen OECD-Länder in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen gegenüber dem Vorjahr.

E.G.:

Aber woher weisst du, wenn wieder eine Krise im Anzug ist?

K.W.:

Nun, die jetzt in den ersten Anfängen stehende Krise war nicht so schwer vorherzusehen. Die vorherige Krise hatte die ersten Vorläufer im Jahr 1998, begann im Jahr 2000, genügte dem eben genannten Kriterium im Jahr 2001 und dauerte bis ins Jahr 2003 hinein. Als nun im Januar 2006 ein deutlicher Einbruch der Börsen in Indien, China, und Brasilien statfand, bestand die Möglichkeit, dies wären bereits die ersten Vorläufer der nächsten Wirtschaftskrise. Auch die vorherige Krise hatte nämliche diese Art von Vorläufern. Das habe ich dann auch in einem Artikel – meinem ersten Artikel in der Berliner Umschau – deutlich gemacht.

Dann, im Mai 2006, gab es erneut einen Börseneinbruch. Die Gründe dafür waren nicht einsichtig. Es musste mehr dahinter stecken, was nicht veröffentlicht wurde. Auch dieses Ereignis habe ich in einem Artikel gewürdigt und bereits die Voraussage gewagt, dies seien Vorwarnungen einer kommenden Wirtschaftskrise.

E.G.:

Da hast du allerdings vorhergesagt, die würde in weniger als einem Jahr ausbrechen, oder?

K.W.:

Stimmt. Ich nahm an, mit den weit gestiegenen Umsätzen und angehäuften Kapital der Monopolkonzerne (der 500 grössten Konzerne der Welt) würde sich die Entwicklung beschleunigen und es könne nicht mehr genauso lange dauern bis zum Ausbruch wie beim letzten Mal. Ich hatte die Möglichkeiten unterschätzt, die speziell die USA hatten, um die Krise hinauszuzögern.

E.G.:

Hinauszögern, aber nicht vermeiden?

K.W.:

Ja, es gibt keine Möglichkeit für die Kapitalisten, Wirtschaftskrisen zu vermeiden. Die sind gesetzmässig im Kapitalismus, wie bereits Karl Marx im 19. Jahrhundert analysiert hat. Wenn irgendetwas Marxs Lehren bestätigt, dann eben genau die jetzige wirtschaftliche Situation.

E.G.:

Wie haben sie die Krise hinauszögern können?

K.W.:

Nun, speziell die USA haben ja diese einmalige Möglichkeit der wunderbaren Geldvermehrung, indem sie einfach Dollar-Bonds, also Regierungsschuldverschreibungen, ausgeben und dafür gutes Geld erhalten, ohne damit ihre Inflation anzuheizen, weil ihre Währung die Weltleitwährung ist. Allerdings haben sie so ihren Verschuldungsgrad so weit gesteigert, dass sich dieser nun, da die Krise nicht mehr aufzuhalten ist, als Bumerang erweist. Der Dollarverfall könnte galoppierend werden und das wäre das Ende der Supermacht USA und der Weltleitwährung Dollar.

E.G.:

Wie ging das dann mit den Krisenanzeichen weiter?

K.W.:

Ja, im Juni 2006 kam dann ein eindeutiges Anzeichen: der Einbruch des US-Automobil-Verkäufe von über 2 %, was vorher auch schon mit Krisen im Zusammenhang gestanden hatte. Der Artikel dazu hiess: „Anzeichen einer Wirtschaftskrise?

E.G.:

War das nicht so , dass die US-Immobilienkrise das wesentliche Anzeichen war?

K.W.:

Ja, das kam danach. Heute tun Alle so, als ob die Entwicklung der Immobilienkrise in den USA erst kürzlich eingesezt hätte. In Wirklichkeit begann die bereits Mitte 2006 und ich habe bereits im September 2006 die Unterlagen für einen entsprechenden Artikel zusammengebracht gehabt, der dann unter dem Namen: „Full Crash – Zweites Anzeichen einer Wirtschaftkrise“ erschien.

E.G.:

Das war gewissermassen der Schlüsselartikel. Ab diesem Moment hast du nicht mehr über das „ob“ einer Wirtschaftskrise geschrieben, sondern über das „warum“ und über die einzelnen Auswirkungen und Umstände.

K.W.:

Ja, zu diesem Zeitpunkt häuften sich die Hinweise und verdichteten sich bald zur Gewissheit, was ich dann auch in den beiden Artikeln „Drittes Anzeichen einer Wirtschaftskrise“ und „Viertes Anzeichen einer Wirtschaftskrise“, beide noch im Jahr 2006, deutlich gemacht habe. Dabei handelt es sich um die Erscheinung der Zinsinversion, dass also Langzeitzinsen niedriger liegen als Kurzzeitzinsen und um ein Phänomen, das bereits mehrfach beobachtet wurde: Vor der Krise, wenn die Insider bereits wissen, was vor sich geht, lässt man die Aktienmärke boomen wie noch nie, um die unbedarften Kleinanleger in die Aktien zu locken, während man selbst bereits aussteigt.

Zu diesem Zeitpunkt war es bereits so klar, wie der Hase läuft, dass man sich wirklich fragen muss, warum nicht Massnahmen ergriffen wurden, wie sie jetzt angewandt werden, denn all dies wäre zu jenem Zeitpunkt ja weit billiger gekommen. Die Banken hätten wissen können, dass die Verwicklung in US-Immobiliengeschäfte ein Desaster werden würde. Trotzdem haben die meisten offenbar nichts unternommen, da herauszugehen. Da gib es nur eine Erklärung: Die glauben selbst an ihre eigenen Lügen von der Krisenfreiheit des Kapitalismus.

Zu jenem Zeitpunkt hatte ich auch schon einen anderen Artikel veröffentlicht, in dem ich anhand des Phänomens „Conundrum“ analysierte, was vor sich geht. Dort habe ich auch bereits (Juni 2006) darauf hingewiesen, die Krise könnte zum Verlust des alleinigen Supermachtstatus der USA führen und andere Mächte könnten Anspruch auf gleiche Rechte erheben.

E.G.:

Ich habe mir einmal einen Artikel vogenommen, den du bereits im Mai 2006, also vor fast zwei Jahren, veröffentlicht hast, unter dem Namen: „25% Fall des Dollars?“. Dort habe ich eine Reihe von Zitaten gefunden, die heute fast als hellseherisch gelten können. Ich habe mir das hier angestrichen. Man höre nur:

„Wie auch immer, die früher schon geäußerte Ansicht, der Ausbruch der Weltwirtschaftskrise stünde im Zusammenhang mit einem US-Überfall auf den Iran, kann man jetzt getrost zur Seite legen. Es wird sie geben, mit oder ohne Iran-Krieg, mit oder ohne einen weiteren Anstieg des Rohölpreises.“

„Man hat gerade den Leitzins auf 5% erhöht, einen Wert, der seit langem nicht erreicht worden war. Solange man Monat für Monat in kleinen Schritten diesen Zins erhöht, verhindert man eine zu hohe Dollarabwertung und wird immer attraktiver für das internationale Kapital, das dann Gelder aus anderen Ländern abziehen würde - was wiederum für eine Anzahl von Entwicklungsländern äußerst schädlich sein könnte. Alles gut und schön, aber damit würgt man das wirtschaftliche Wachstum im Land ab, denn die Investitionen werden dann immer teurer zu finanzieren. Das aber genau ist der Beginn der US-Wirtschaftskrise, die dann die ganze Weltwirtschaft in den Strudel zieht.“

„ ... kann es nicht unerwähnt bleiben, daß der Dollar seit einem Monat fällt, langsam, aber sicher und der chinesische Vize-Finanzminister sagte, er habe gehört, der Dollar werde 25% an Wert verlieren (das wäre ein Euro von 1,50).“


Man stelle sich vor, damals (das ist nun fast genau zwei Jahre her, der Dollar stand bei 1,25 Euro) war ein Euro von 1,50 gegenüber dem Dollar ein Horrorgemälde! Heute stehen wir fast bei 1,60!

K.W.:

Ja, die aktuelle Situation ist, das kann man an den Reaktionen bemerken, ein Albtraum für die bürgerlichen Ökonomen, für die Zentralbanken, die Banken, die Regierungen und die Publizisten des Kapitalismus,. Sie haben offensichtlich die ganze Zeit gehofft, es werde nicht dazu kommen und stehen nun vor dem Scherbenhaufen ihres eigenen Glaubens. Die Reaktionen sind hektisch, alle eigenen Regeln werden über den Haufen geworfen nach dem Motto: „Was kümmert mich mein dummes Geschwätz von gestern.“ Und doch, es ist nun bereits offiziell anerkannt und zugegeben, u.a. von Fed-Chef Bernanke: Man sinkt in die Weltwirtschaftskrise und das ganze wird Ausmasse wie im Jahr 1929 und den darauffolgenden Jahren annehmen oder sogar schlimmer und man kann schon nichts mehr wirklich ändern.

Was den Dollar betrifft, so beginnt man jetzt erst langsam klar zu sehen, was ein Dollar bedeutet, der nur noch 0,60 Euro Wert ist. Wenn heute von einem generelle Preisanstieg von Nahrungsmitteln die Rede ist, dann wird einfach übersehen, dass Nahrungsmittel international in Dollar gehandelt werden und damit Alle, die sich noch nicht von Dollar abgekoppelt haben, entsprechende Preiserhöhungen hinnehmen müssen. Aber es ist eben nicht so einfach, sich vom Dollar abzukoppeln, denn dazu müsste man ja alle Dollarreserven und Dollar-Bonds im Staatsschatz abstossen. Wenn das viel ist, wie im Fall von Japan, von China, von Grossbritannien und von Deutschland, so würde man den Dollar noch weiter in den Keller schicken und auch die eigenen Staatsreserven entwerten. Ausserdem muss ein generelles Abkoppeln vom Dollar auch politisch gewertet werden. Es stellt so etwas wie eine kleine Kriegserklärung gegen die Vereinigten Staaten dar. Es gilt daher als undenkbar, aber es ist genau das, was man früher oder später tun muss. Und je später, desto grösser der Verlust für das jeweilige Land. Ich kann nicht sehen, wie nach einer solchen Krise die USA noch als alleinige Supermacht dastehen könnten.

E.G.:

In einem Artikel hast du ja sogar die Frage gestellt, ob die USA bankrott gehen könnten?

K.W.:

Ja, das bezog sich auf die Aussage eines der Mitglieder der US-Zentralbank. Nach Allem, was man heute sehen kann, ist das dort beschriebene Szenario genau das, welches nun eintritt. Natürlich kann ein Staat nicht im eigentlichen Sinne bankrott gehen, aber die Auswirkungen sind umso tiefgreifender.

E.G.:

Wann hat denn nun die Wirtschaftskrise wirklich begonnen?

K.W.:

Ja, das war wohl, als die die US-Fed in einem Anfall von Panik den Zinssatz mit einem Mal um 0,5% senkte, also Mitte September 2007 . Offiziell ist die Wirtschaftskrise natürlich erst eingeläutet, wenn in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen das „Gross National Product“ sinkt, was wohl erst in der zweiten Jahreshälfte 2008 konstatiert werden wird, jedenfalls für die USA, für die ganze Welt wohl noch später. Aber das sind nur Details. Inzwischen steht bereits fest: Die Krise hat begonnen, sie geht von den USA aus, greift langsam auch auf andere Volkswirtschaften über und wird vorraussichtlich Jahre dauern, vielleicht ein ganzes Jahrzehnt.

Wie danach die Welt aussehen wird, darüber lässt sich spekulieren, aber mir scheint, es wird keine alleinige Supermacht USA mehr geben.

Was ich für wichtig halte: Mit dieser Krise tritt die Menschheit auf der Erde auch in die kapitalistische Barbarei ein und das ist schrecklich.

Dies bereits nach Verwesung stinkende System muss schnellstens abgelöst werden – und zwar durch den echten Sozialismus.


Veröffentlicht am 22. April 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung


Zusatz zum Interview von Karl Weiss:

Wie um den Aussagen noch mehr Nachdruck zu verleihen, hat der Euro am Tag der Veröffentlichung zum ersten Mal die 1,60 Dollar überschritten, wenn auch nur kurzzeitig beim ersten Mal. Wenn diese Schranke in Kürze endgültig fallen sollte, scheint dem Verfall des Dollars nichts mehr im Wege zu stehen, was die ganze Weltwirtschaft in ihren Grundfesten erschüttern würde.

Auch der Erdölpreis erreichte zeitnah mit der Veröffentlichung eine neue Rekordmarke mit 116 Dollar pro Barrel. Das ist eine weitere Marke, die den andauernden Spüchen der Ökonomen widerspricht, welche die ganze Zeit davon sprachen, der Erdölpreis sei nur durch "die Spekalution" hochgetrieben und werde bald wieder auf 70 Dollar zurückfallen. Allein dieser Preis wird auf Dauer bereits einen Inflationsdruck ausüben,der die Notenbanken vor unlösbare Probleme stellt - ein Ausfluss des Grundproblems, dass man einfach nicht aus der Erdölwirtschaft aussteigen will.



Andere Artikel zur Weltwirtschaftskrise:

"Anzeichen Wirtschaftskrise?"

"Full Crash- Zweites Anzeichen Wirtschaftskrise?"

"Stehen wir am Beginn einer grossen Weltwirtschaftskrise?"

"25% Fall des Dollars?"

"Der Mini-Crash - 10 Monate zur Wirtschaftskrise?"

"Drittes Anzeichen Weltwirtschaftskrise"

"Die Zinswende der Langzeitzinsen leitet das Abgleiten in die Weltwirtschaftskrise ein."

"Viertes Anzeichen Weltwirtschaftskrise"

"Können die USA bankrott gehen?"

"Wann kommt die Wirtschaftskrise?"

"Dollar-Verfall bedroht deutschen Export – Die Krise wird fürchterlich"

"USA: Global Alpha, Red Kite, Fed-Chef, Immobilien-Crash"

"Globaler Einbruch der Börsen"

"Weltwirtschaftskrise – Der konkrete Übergang in die Barbarei"

"USA: Wirtschaftskrise beginnt"

"General Motors könnte pleite gehen"

"Fannie und Freddie in der Bredouille"

"Drei EU-Länder sind bereits in der Wirtschaftskrise"

"Wirtschaftskrise in den USA"

"Europa sinkt in diesem Moment in die Wirtschaftskrise"

"Banken gerettet – Staat pleite?"

"Weitere gigantische Finanzmarkt-Risiken"

"Verdienen deutsche Banken Vertrauen?"

"Können Sie das glauben?"

Montag, 21. April 2008

Natascha Kampusch - die kapitalistische Barbarei

Schutz von Verbrechensopfern oder Recht auf „Information der Öffentlichkeit“?

Von Karl Weiss

Hatte der eine oder andere vielleicht noch einen Zweifel, dass wir bereit in die ersten Bereiche der kapitalistischen Barbarei eintauchen, der mag sich den Fall Natascha Kampusch ansehen. Da bekommt selbst ein kerngesunder Mensch Schwierigkeiten, noch normal weiter zu atmen.

Natascha Kampusch

Natascha Kampusch ist eine Österreicherin, eine Wienerin, um es genau zu sagen, die als Kind mit 10 Jahren von einem Verbrecher entführt und für viele Jahre als Geisel (oder muss man sagen: als Sexsklavin?) gefangengehalten und wohl auch missbraucht wurde – der Fall einer unsäglichen Leidensgeschichte, die nur noch mit Fällen von Foltern aus US-gelernten Folterschulen wie Chile oder aus anderen, wie der Chinas, verglichen werden kann.(siehe zu Sexfolter von Frauen hier)

Hier die Beschreibung des Falles durch die „netzeitung“: „Die heute 19-jährige war 1998 als zehnjähriges Mädchen auf dem Schulweg im Norden Wiens entführt und danach von ihrem Kidnapper, Wolfgang Priklopil, acht Jahre in einem Verlies-ähnlichen Raum festgehalten worden. Im August 2006 gelang ihr die Flucht. Priklopil nahm sich daraufhin das Leben.“

Der Fall entfachte eine gewaltige Anteilnahme der Öffentlichkeit, speziell in Österreich, aber auch in Deutschland. Da gab es aber auch andere „anteilnehmende“ Interessen nach der gelungenen Flucht von Frau Kampusch: Bestimmte Kreise hatten ein Interesse, intime Details des Leidens von Frau Kampusch zu erfahren, speziell sexuelle Details.

Doch Frau Kampusch wurde zunächst verantwortungsbewusst vor solchen falschen „Anteilnehmern“ geschützt. Da nach dem Selbstmord des Täters (der sich im Grunde wohl des verdammenswerten Charakters seiner Tat bewusst war) auch keine Notwendigkeit bestand, zum Zwecke der Strafverfolgung irgendwelche intimen Einzelheiten an die Öffentlichkeit zu bringen, schien der Leidensweg des Opfers zunächst wirklich zu einem Ende gekommen zu sein.

Doch jene Kreise, die genaueres aus den schmuddeligen Details der Sexsklavin-Haft wissen wollten, gaben nicht so schnell auf.

So wurde Natascha Kampusch nach einer Zeit der „Besinnung“ gezwungen, in Aussagen vor der Polizei ausführlich Einzelheiten zu erzählen, obwohl dies für absolut nichts nutze war, es sei denn, dass sich perverse Personen daran aufgeilen könnten.

Kurz nach ihrer Flucht hatte Natascha Kampusch ausfürlich einer jungen Kriminalbeamtin erzählt, was ihr widerfahren war, aber die Wiener Staatsanwaltschaft/Polizei hatte in einem Akt bemerkenswerter Weisheit dies Protokoll vernichtet und das einzige Exemplar an das Opfer ausgehändigt. Das gleiche geschah mit dem Tagebuch, das die gequälte junge Frau in der Geiselhaft geschrieben hatte: Es wurde dem Opfer der Tat ausgehändigt, so dass niemand die Chance hätte, irgendwelche Einzelheiten einsehen zu können.

Doch danach hat man aus unerklärlichen Gründen das Opfer gezwungen, nun erneut ausführlich der Polizei Details zu erzählen. Zwar wurde ihr zugesichert, dies seien selbstverständlich Polizeiprotokolle, die niemals von Unbefugten eingesehen werden könnten, aber da lag der Hase im Pfeffer.

Als nämlich jene gewissen Kreise Wind bekamen von diesen Protokollen, sannen sie darauf, wie man in den Besitz solcher pikanter Einzelheiten kommen könnte. Gesagt – getan: Es wurde unter einem Vorwand ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingerichtet, der sich mit solchen Dingen zu beschäftigen haben würde und natürlich Einblick in solche Protokolle haben müsste. Der Vorwand war, man wollte untersuchen, ob der Täter eventuell Komplizen gehabt haben könnte.

Nicht zufällig spielten die Politiker vom äussersten rechten Rand, in Österreich nennen sie sich FPÖ, eine entscheidende Rolle beim Einsetzen dieses Ausschusses. Die extreme Rechte, die immer die „Werte der Familie“ beschwört, ist traditionell heuchlerisch und besonders geil auf schwülstige Details. Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses ist Peter Fichtenbauer von der FPÖ.

So kam es, wie es kommen musste: Kaum war das Protokoll der Polizei an den Ausschuss übergeben worden, kamen seitenweise Auszüge an die Öffentlichkeit. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Leck beim Ausschuss lag oder bei der Polizei, die jene Gelegenheit wahrgenommen haben mag: Irgendjemand bekam Geld zugeschustert, um diese intimen und schmerzvollen Privat-Erlebnisse von Frau Kampusch an einen Verlag weiterzugeben, der dies dann in Wien in ein sogenanntes Anzeigenblatt beförderte, kostenlos verteilt, damit sich Hunderttausende oder Millionen an den sexuellen Einzelheiten verlustieren konnten.

Das ist das klassische Szenario der beginnenden kapitalistischen Barbarei. Der Schutz von Verbrechensopfern muss natürlich hinter dem „Interesse der Öffentlichkeit auf Information“ zurücktreten.

Der Verlag des Anzeigenblattes konnte selbstverständlich für die auf insgesamt fünf Seiten veröffentlichten schmierigen Details viele neue Anzeigen aquirieren, und das, appellierend an die niedrigsten Instinkte der Menschen, zu einer genussvollen Umsatzsteigerung machen und natürlich vor allem zu einer geilen Profitsteigerung.

Wie bei den Mohammed-Karikaturen, die ebenfalls mit den Rechtsaussen in Verbindung stehen, wird Dreckschweinerei als "Meinungsfreiheit" ausgegeben.

Was wird nun in der kapitalistischen Barbarei mit den Verantwortlichen dieses Verlags passieren? Deportation nach Guantanamo oder Diego Garcia? Langsame und schmerzvolle Todesstrafe? Lebenslang? Millionen-Entschädigungen? Langjährige Gefängnisstrafen? Gefängnisstrafen auf Bewährung?

Nun, der geneigte Leser weiss bereits die Antwort: Nichts dergleichen! Man wird weitermachen wie gehabt.

Der Chefredateur, der diese Möglichkeit aufgetan hätte, würde vielmehr einen speziellen Bonus bekommen und man wird auf den nächsten sensationellen Fall aus sein – wenn möglich, mit sexuellen Details.

Wie gut, dass es Verbrechen gibt - und speziell Verbrechen mit Sex!

Das ist das normale Vorgehen in der kapitalistischen Barbarei. Würde man den Verantwortlichen im Verlag befragen, er würde sagen, man habe diese Gesellschaft ja nicht erfunden, man bediene nur Wünsche dieser Gesellschaft.

Ja, im Grunde hat er recht. Diese Gesellschaft nennt sich Kapitalismus und sie muss so schnell wie möglich abgeschafft werden, speziell jetzt, da sie schon immer deutlicher in die Barbarei übergeht.

Dann werden wir auch wieder in der Lage sein, Verbrechensopfer würdig zu behandeln oder besser: Verbrechen nach und nach ganz abzuschaffen.


Veröffentlicht am 21. April 2008 in der Berliner Umschau

Originalartikel

Samstag, 19. April 2008

Libertadors 2008 - Ende der Gruppenphase

Scheidet Vorjahressieger Boca Juniors aus?

Von Karl Weiss

In der Copa Libertadores, dem südamerikanischen Gegenstück zur „Champions Leage“, geht die Gruppenphase nun in die letzten Begegnungen und die wesentlichen Entscheidungen, bis auf eine, sind wohl gefallen. Im wesentlichen haben sich die Favoriten durchgesetzt. Allerdings läuft der Vorjahressieger und Hauptfavorit Boca Juniors Gefahr, sich nicht zu qualifizieren. Der Verein aus der argentinischen Hauptstadt ist auf die Hilfe des mexikanischen Clubs Atlas angewiesen. Was am meisten auffällt, ist die Ausgeglichenheit des Feldes.

Wenn, wie es am wahrscheinlichsen ist, am 22. April Colo Colo aus Santiago de Chile zu Hause zumindest ein Unentschieden gegen Atlas schafft – und damit Boca Juniors draussen bleibt (wenn man nicht im Fall eines Unentschiedens von Atlas mit mehr als zwei Toren Unterschied gewinnt), ergibt sich nach aller Wahrscheinlichkeit folgendes Bild:

Von den 5 brasilianischen Vereinen Cruzeiro, Flamengo, Santos, São Paulo und Fluminense kommen alle durch. Von den 6 gestarteten argentiniscchen Clubs qualifizieren sich 4: San Lorenzo, Estudiantes, Lanus und River Plate. Mexiko verliert einen der drei gestarteten Vereine, es verbleiben: Atlas und America. Im übrigen wird es dann im Achtelfinale noch zwei Vereine aus Kolumbien geben (Cúcuta und Atletico Nacional) und jewels einen Verein aus Chile (Colo Colo), aus Uruguay (Nacional) und Equador (LDU).

Es gibt auch noch eine Chance, dass es der brasilianische Meister São Paulo nicht schafft, wenn man im letzten Spiel zu Hause gegen die starke kolumbianische Mannschaft von Atletico Nacional nur ein Unentschieden erreicht oder sogar verliert. Im Fall eines Unentschiedens und eines Sieges der chilenischen Mannschaft von Audax Italiano in Paraguay wäre das chilenische Team Gruppensieger und São Paulo wäre mit der schlechteren Tordifferenz gegenüber Atletico ausgeschieden.

Das Ausscheiden des brasilianischen Meisters wäre eine genauso grosse Überraschung wie das des argentinischen Favoriten.

Die Ausgeglichenheit der Mannschaften zeigt sich einerseits darin, dass kein Verein auch nur dem Idealergebnis von 18 Punkten in sechs Spielen nahekam. Im Moment ist Fluminense Rio de Janeiro mit 13 Punkten an der Spitze, aber es können noch Atlas (Mexiko) und Flamengo Rio de Janeiro gleichziehen, wenn sie gewinnen.

Die geringste Punktzahl liegt mit 2 bei Unión Maracaibo aus Venezuela und Coronel Bolognesi aus Peru, welche immerhin jeweils zwei Unentschieden geschafft haben, aber die einzigen Mannschaft sind, die nicht zumindest einen Sieg errungen haben.

Ausgeschieden sind bei den beschriebenen ausstehenden Ergebnissen alle drei Mannschaften aus Peru, zwei der sechs Vereine aus Argentinien, jeweils beide Clubs aus Bolivien, Venezuela und Paraguay, jeweils einer der beiden Vertreter aus Uruguay und Equador, einer der drei Vereine aus Mexiko und zwei der drei Vertreter aus Chile.

In Südamerika wird das Achtelfinale unter den verbliebenen 16 Mannschaften nicht ausgelost, sondern es spielen der Club mit dem besten Gruppenergebnis gegen den mit dem schlechtesten, der zweite gegen den Vorletzten usw. Dabei gelten als Kriterien in dieser Reihenfolge: Zahl der Punkte, Zahl der Siege, Tordifferenz, Zahl der geschossenen Tore und das Los.

Fluminense hat eine grosse Chance, als bester aus den Gruppenspielen hervorzugehen, da es ein Torverhältnis von 8 aufweist. Allerdings könnte das bedeuten, man käme direkt gegen den Mitfavoriten America aus Mexico-Stadt, der nämlich mit 9 Punkten aus drei Siegen und drei Niederlagen und einer ausgeglichenen Tordifferenz wohl als schlechtester Verein der qualifizierten dastehen wird.

São Paulo könnte im Falle eines Unentschiedens im letzten Spiel als zweitschlechtester Verein ins Rennen gehen und könnte dann typischerweise auf Flamengo Rio de Janeiro treffen, dem man wohl einen Sieg gegen das peruanische Team Colonel Bolognesi im heimischen Marcanã-Stadion zutrauen kann, was die Mannschaft zur zweitbesten der Gruppenphase machen würde.

Die noch ausstehenden Spiele der Gruppenphase finden am 22. und 23 April statt, die Achtelfinalbegegnungen am 30. April und am 14. Mai. Die Mannschaft mit den schlechteren Gruppenergebnissen muss jeweils zuerst zu Hause antreten.

Übrigens ergeben sich die Viertelfinale automatisch aus den Achtelfinalbegegnungen. Es wird also bis zum Ende des Turniers nicht mehr ausgelost. Dieses System ("Die Vereine setzen sich selbst") wird dieses Jahr zum ersten Mal angewandt, weil es immer Querelen mit gesetzten Begegnungen und Auslosungen gegeben hat.


Veröffentlicht am 19. April 2008 in der Berliner Umschau

Originalartikel

Freitag, 18. April 2008

Neues riesiges Erdölfeld vor der brasilianischen Küste?

Brasilien: Wirtschafts-Boom

Von Karl Weiss

Hatte man noch vor kurzem gehört, in Brasilien wurde ein neues, großes Erdölfeld im Meer vor der Küste des Staates São Paulo gefunden („Brasilien wird Erdölland“), so gibt es nun schon wieder Neuigkeiten. Es ist heraus gesickert: Ein noch weit größeres Feld wurde, ebenfalls im Meer weit von jeglichem Land, vor der Küste des Bundesstaates Rio de Janeiro gefunden. Es soll angeblich das größte Feld sein, das seit dreißig Jahren auf der Welt gefunden wurde. Zusammen mit diesem Feld könnte Brasilien bis 2020 in die Reihe der wichtigen Erdölproduzenten und -exporteure aufrücken.

Erdöl

Aus noch zu klärenden Gründen hat der Chef der staatlichen brasilianischen Ölbehörde am 14.4.2008 verlauten lassen, die brasilianische halbstaatliche Petrobras habe eines der mächtigsten Erdölfelder aller Zeiten gefunden (genau gesagt: das drittgrößte, geschätzte 33 Billionen Barrel). Noch am gleichen Tag reagierte die Petrobras. Sie dementierte nicht, sagte aber, es handele sich lediglich um erste Hinweise. Die tatsächliche Gehalt des Feldes müsse erst noch bestätigt werden. Das ist immerhin ein bemerkenswertes Nicht-Dementi.

Logo Petrobras

Gehorsam machte der Kurs der Petrobras-Aktien einen Sprung nach oben. Eventuell war diese Ankündigung genau zu diesem Zweck gemacht worden, um mit Aktienspekulationen Geld zu verdienen.

Wie auch immer, es ist keineswegs überraschend, dass es dort noch mehr Öl gibt, denn es handelt sich um die gleiche geologische Formation wie die des vorherigen Fundes.

Die beiden Felder liegen weit draußen im Meer, in Wassertiefen von etwa 3000 - 4000 Metern, wobei das Erdöl noch einmal Kilometer unter dem Meeeresboden liegt. Man wird in diesem – wie auch dem vorher gefundenen – Feld von einer Tiefe vom Bohrschiff bis zum Öl von etwa 7 Kilometer ausgehen müssen. Noch vor wenigen Jahren wäre es undenkbar gewesen, solches Erdöl zu fördern.

Die Petrobras hat aber zusammen mit spezialisierten Firmen (darunter Halliburton) in diesen Jahren so grundlegende und schnelle Fortschritte in der Explorations- und Fördertechnik aus grossen Wassertiefen und grossen Tiefen unter dem Meeresboden gemacht, dass es heute bereits möglich ist, an ein Erschliessen solcher Vorkommen zu denken, wenn auch der Aufwand enorm ist.

Rio de Janeiro, Zuckerhut und Corcovado von Niteroi aus

Der Verfasser dieser Zeilen hatte in seiner Zeit in Rio de Janeiro die grosse Ehre, einen der führenden Spezialisten in diesen Tiefwasser-Förderungen persönlich kennenzulernen, den Italiener Vincenzo Russo, der Anfang dieses Jahres leider vorzeitig verstorben ist. Dessen Sohn ist gerade dabei zu versuchen in seines Vaters Fusstapfen zu treten.

Da trifft es sich gut, dass der Rohölpreis entgegen allen Voraussagen von Rekord zu Rekord eilt. Am Tag der Bekanntgabe wurde gerade die Grenze von 111 Dollar pro Barrel überschritten.

In Niteroi im Bundesstatt Rio de Janeiro hat sich alles etabliert, was für Tiefsee-Ölprospektion und –förderung Rang und Namen hat, darunter einige Werften, die spezialisiert sind auf Bohr- und Förderschiffe. Bei solchen Wassertiefen kann man natürlich nicht mehr mit Plattformen arbeiten, die auf dem Meeresboden stehen, sondern muss mit schwimmenden Plattformen bohren und fördern. Das Erforschen, Bohren und Schiffebauen bis zur Förderung dauert unter den genannten Bedingungen etwa 7 Jahre. Nun, was tut man nicht alles, um der Erde noch die letzten Tropfen des schwarzen, schmierigen Nasses zu entlocken.

Brasilien (topographisch)

Sollten sich tatsächlich die vermuteten Grössenordnungen der beiden neuen Entdeckungen bewahrheiten, könnte Brasilien bis zum Jahre 2020 zu den grossen Erdölförderländern gehören, wie auch zu den grossen Exporteuren, wie etwa Saudi-Arabien, der Iran und Venezuela. Die spanische ‚El Pais‘ sieht Lula sogar schon als ‚neuen Ölscheich‘.

Erdöl 1

Das trifft sich zufällig mit anderen Nachrichten, die in Brasilien zum Köpfen einiger Champagnerflaschen führten. Die Wirtschaft brummt und im Gegensatz zu Deutschlands angeblichem „Boom“ kommt auch etwas davon unten beim kleinen Mann an. Die brasilianischen Lebensmittelsupermärkte melden seit etwa 10 Monaten Monat für Monat Umsatzsteigerungen im Bereich zwischen 20 und 32% im Vergleich zum Vorjahresmonat. Das heisst, Brasiliens “kleiner Mann“ hat mehr Geld auszugeben und kauft mehr und höherwertige Lebensmittel.

Chávez und Lula

Die Arbeitslosigkeit ist weiterhin katastrophal hoch, aber die Zahl der offiziellen Arbeitsplätze steigt seit zwei Jahren deutlich an. Auch jene Brasilianer, die sich mit Gelegenheitsarbeit über Wasser halten, die hausieren oder sich auf andere Weise ein kleines Einkommen sichern, haben mehr zu tun, mehr Geld und mehr auszugeben.

Mit Präsident Lulas Programm „Familien-Stipendium“ (bolsa família) und zwei anderen Programmen wurde der Hungertod in Brasilien fast vollständig ausgerottet. Familien (das heisst fast immer: Mütter) mit Kindern bekommen,wenn sie bedürftig sind und die Kinder im Schulalter die Schule besuchen, eine Art von Lebensmittelgutschein im Wert von (im Moment) 79 Reais pro Kopf (das sind etwa 30 Euro) monatlich. Die Umrechnung in Euro ist allerdings nicht korrekt, denn sie wurde über den Wechselkurs gemacht. Lebensmittel kosten aber in Brasilien weit weniger als entsprechend der Umrechnung in Euro. Ein Beispiel: Brasiliens Grundnahrungsmittel Reis kauft man hier bei Sonderangeboten zu 6 oder 7 Reais für das Paket mit 5 kg, also etwa 1,2 bis 1,4 Reais pro Kg (das wären nach der Umrechnung 45 bis 52 Cents pro Kilo).

Viele Menschen leben zwar weiterhin in Favelas oder abgelegenen ländlichen Elends-Siedlungen ohne menschenwürdige Bedingungen, haben aber wenigstens etwas zu essen. Die typischen Armutskrankheiten sind aber weiterhin allgegenwärtig und führen zu häufigen Todesfällen, speziell bei Kindern. Dies auch und gerade wegen des desaströsen Zustands, in dem sich das öffentliche Gesundheitswesen Brasiliens befindet.

Trotzdem haben aber Programme wie ‚bolsa família‘ und andere das Ansehen Lulas auf neue Höchstwerte gebracht. Seine Zustimmungsquote in Umfragen in Brasilien lässt sich nur noch mit der Putins in Russland vergleichen. Könnte er 2010 für eine dritte Amtszeit kandidieren, wäre sein Wiederwahl sicher. Auf seine Partei PT hat allerdings fast nichts von diesem Ansehen abgefärbt. Die konservative Opposition rechnet sich jetzt bereits einen leichten Sieg bei jenen Präsidentenwahlen aus und will Brasilien wieder auf den Weg der unterwürfigen Merkel-Politik gegenüber den Vereinigten Staaten zurückführen.

Die Automobilindustrie Brasiliens meldet ein Rekordergebnis nach dem anderen. Die zuletzt gemeldeten Steigerungsraten des Auto-Absatzes liegen imSchnitt bei 30% gegenüber dem Vorjahresmonat.



Wie schon gemeldet, wird das Werk des Autoherstellers mit der höchsten Zahl von verkauften Autos, Fiat (hier im Grossraum Belo Horizonte), gerade auf eine Tagesproduktion von 5200 Wagen ausgeweitet, was den größten Einzelstandort aller Automobilwerke auf der Welt bedeuten wird.

Das Bruttosozialprodukt (genau gesagt: Gross National Product) Brasiliens stieg letztes Jahr etwa 5% real und für dieses Jahr wird erneut einWachstum in dieser Grössenordnung erwartet. Das kann zwar nicht mit den Wachstumsraten der anderen BRIC-Länder mithalten (Brasilien, Russland, Indien, China, die vier ‚emerging countries‘), aber es ist ein „gesundes“ Wachstum, denn es beruht hauptsächlich auf gestiegenem Inlands-Konsum.

Aber die wirklich großen Gewinners des brasilianischen Booms sind natürlich die Reichen und Superreichen. Zum Beispiel jene, die vom vorherigen Präsidenten Cardoso für einen Appel und ein Ei die damals staatliche Minengesellschaft „Compania Vale do Rio Doce“ nachgeworfen bekamen, heute die Privatfirma mit den höchsten Gewinnen in ganz Lateinamerika. Diese Firma hat sich jetzt in ‚Vale‘ unbenannt und besitzt die meisten „Goldgruben“ in Brasilien. Was aber die wahnwitzigen Gewinne ausmacht, ist gar nicht so sehr das Gold, es ist vielmehr hauptsächlich das Eisenerz.

Gold

Die Vale besitzt die größten Eisenerzvorkommen auf der Welt und verkauft das meiste Eisenerz auf der Welt. Brasilien ist der größte Exporteur von Eisenerz. Die Mengen an Eisenerzvorräten hier im Bereich des Zentrums des Staates Minas Gerais, von dem aus dieser Artikel geschrieben wird, sind so gigantisch, dass man im Moment ein riesiges Förderband in Planung hat, das von hier zur Küste in Rio de Janeiro führen wird, über 450 km!

Die Vale hat vor einem Monat bekanntgegeben,ihre Eisenerzkontrakte mit den Stahlwerken der Welt für 2008 (es werden jeweils Jahreskontrakte abgeschlossen) seien mit Preisen um 69% höher als 2007 abgeschlossen worden, das besonders begehrte hochprozentige Eisenerz aus Carajás im Amazonasgebiet sogar um 75% höher als im Vorjahr!

Da kann sich der Verbraucher weltweit auf einen Sprung nach oben in der Inflation gefasst machen – und das gerade jetzt, da die Weltwirtschaft beginnt, in eine Wirtschaftskrise abzustürzen.

Es sind also nicht nur die Lebensmittelpreise, die steigen. Brasilien profitiert aber auch von diesen Steigerungen. Die Preise für Sojaöl z.B., sind glatt um die Hälfte gestiegen – und Brasilien ist auch der größte Exporteur von Soja und Sojaprodukten.

Brasilien: Soja-Pflanzungen auf Regenwald-Gelände

Genau in diesem Moment ist Erntezeit für Soja (hier ist jetzt Herbst) und die tagelangen Schlangen von Soja-Lastwagen vor dem hauptsächlichen Soja-Ausfuhrhafen Paranaguá im Bundestaat Paraná sind bereits Legende.

Die Freudentränen bei der brasilianischen Oligarchie fliessen also reichlich, aber hier fallen auch einige Brosamen für die Mittelschicht und die Armen ab.


Veröffentlicht am 18. April 2008 in der Berliner Umschau

Originalartikel

Donnerstag, 17. April 2008

Hartz IV: Nicht der gesunde Menschenverstand

„Klar wie Klossbrühe, mit Hartz IV kann es so nicht weitergehen“


Von Elmar Getto


Dies schrieb Nadja Klinger im ‚Tagesspiegel‘ am 1. Juni 2005 – Hartz IV war gerade ein halbes Jahr alt:

Hartz IV, ein halbes Jahr nach der Einführung

Elmar auf Stuttgarter Modemo Jan 06, Polizeifahrzeuge

“ [Hartz IV:] Da ist was faul. (...) Die Reform (...) bietet (...) nicht mal vage Aussichten. Sie ist teurer als gedacht, steckt ihre Nase in private Bindungen, greift nach redlich verdientem Vermögen, zerstört Lebenspläne. Sie bringt keine Jobs. Das Gesetz, das ihr zugrunde liegt, erscheint mehr und mehr wie eine Anleitung zum Scheitern. Es harmoniert mit der Wirklichkeit wie der Elefant mit dem Porzellanladen.”
“Für ein Gesetz, das den Menschen derart an die Existenz geht, können bereits jetzt unangemessen viele Mängel aufgelistet werden.”
“Es gibt Probleme mit dem Kindergeld, bei Eigenheimzulagen, der Krankenversicherung und der Berufsunfallrente, mit Mietwohnungen, unehelichen Lebensgemeinschaften, Wohngemeinschaften, mit Frauen in Frauenhäusern, volljährigen Sprößlingen, leiblichen und nichtleiblichen, mit denen, die bei Eltern leben, und jenen, die ausgezogen sind.”
“Merkt sie [Hartz IV-Ombudsfrau Bergmann], daß insgesamt etwas faul ist?”
Sie sagt: „Es war nicht abzusehen, wie weit das Gesetz in andere Lebensbereiche hineinreicht.“
Die Frauen an der Hotline des Ombudsrates. „Die Fragen der Anrufer drehen sich immer um die Existenz“, sagt eine.
" ... klar ist wie Kloßbrühe, daß es mit Hartz IV so nicht weitergehen kann, ...“

Hätte der Autor dies in der ‚Berliner Umschau‘ geschrieben, wäre das ganz normal gewesen, aber es sind alles Zitate aus einem Artikel des Berliner „Tagesspiegel” mit dem Titel „Anleitung zum Scheitern“. Die Journalistin Nadja Klinger begleitete die ehemalige Ministerin und damalige Ombudsfrau für Hartz IV, Bergmann, eine Zeit bei ihrer Arbeit und sprach mit den Frauen an der damaligen Hotline für Hartz IV.

Da erlebte sie, was Hartz IV wirklich bedeutet und schrieb es in den Artikel. Journalisten, die ‚gegen den Strom’ schreiben, müssen Mut haben. Manchmal läßt die Chefredaktion so etwas durchgehen. So ein Artikel unter Tausenden in die „richtige” Richtung kann nicht viel schaden, sogar als Alibi dienen.

Hartz-Protest 02

Trotzdem, angesichts der Tatsache, daß Hartz IV Deutschland durchwirbelt (oder besser, wie die Journalistin schreibt: wie ein Elefant im Porzellanladen haust), beginnen hier und dort langsam, aber sicher, mutige Journalisten auch im Mainstream die Wahrheit zu schreiben. War es letzte Woche eine Journalistin der “Welt”, die aufdeckte, daß Ein-Euro-Zwangsarbeiter bereits Schulstunden geben, ist es diese Woche der ‚Tagesspiegel’.

Meldung ist bereits Kommentar – oder Lüge

Berichterstattung über irgendein beliebiges Detail von Hartz IV ist einer der krassesten Fälle für einen Journalisten. Entweder er verdreht und verbiegt in himmelschreiender Weise oder er schreibt die Wahrheit, dann klingt der Artikel automatisch wie eine schwere Anklage gegen unseren Politiker-Einheitsbrei von CDUGRÜNESPDFDPCSU. Die behauptete Möglichkeit, "objektiv“ zu berichten und Meldung und Kommentar zu trennen, gibt es nicht. Meldung ist bereits Kommentar.

Was Ex-Ministerin Bergmann sagte

Bemerkenswert zwei Äußerungen der damaligen Hartz-IV-Ombudsfrau Bergmann, die natürlich Verfechterin von Hartz IV ist (sonst hätte man sie ja nicht auf diesen Posten berufen). Selbst sie muß, wie oben zitiert, zugeben, dass Hartz IV in alle Bereiche des Lebens eingreift und keineswegs etwa „nur“ eine ‚Reform’ der Sozial- und Arbeitslosenhilfe ist.

Als die Sprache auf den damals noch unterschiedlichen ‚Regelsatz’ für Ost und West kommt, sagt sie : „Ja, da hätte der gesunde Menschenverstand genügt.“

Hartz-Protest 01

Hören Sie, die Herren Politikerr und die Dame Merkel, was da eine aus Ihren eigenen Reihen über Ihren Verstand sagt? Der gesunde eines Menschen... ist er nicht!

Diese Aussage macht sie in Beisein einer Journalistin, wissend, das wird wohl veröffentlicht. Sie, die nun Tag für Tag fein säuberlich notieren muss, wie Hartz IV wirklich aussieht, ist anscheinend auch schon genervt. Auch daß sie nach Aussagen der Journalistin andauernd beide Hände hebt in Beteuerung ihrer Unschuld und immer betont, sie habe das Gesetz nicht gemacht, läßt nicht gerade darauf schliessen, daß sie ein Hartz-IV-Fan ist. Trotzdem verliert sie natürlich nicht die Contenance und findet die „Reform“ weiterhin richtig.

Hartz ueber Hartz IV. Dass die Arbeitslosen nur ein Jahr Arbeitslosengeld bekommen, 'ist ein grosser Fehler, ein Betrug ... an denen, die jahrelang eingezahlt haben.'

Man weiss nicht mehr, was man sagen soll

Sehr deutlich auch der Teil des Artikels, in dem berichtet wird, was die Damen am Telephon der Ombuds-Hotline in Potsdam zum Schweigen bringt:

„Wenn Leute aus Wohnungen müssen oder Familien monatelang kein Geld erhalten, weil sie ein Eigenheim mit Zulage gebaut haben. Wenn Obdachlosen Geld verweigert wird, weil sie keine Meldebescheinigung vorlegen. Wenn ihnen Essen in der Suppenküche von den Leistungen abgezogen und in ihren Unterlagen zum Wohnraumzuschuss vermerkt wird: Kein Bedarf. Wenn Anrufer erzählen, welchen Tipp das Jobcenter gibt: Beschweren Sie sich beim Ombudsrat! Oder wenn gar Mitarbeiter der Hotline der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit anrufen! Sie fragen die Rostocker Frauen, was sie mit den vielen unzufriedenen Leuten machen sollen.”

Gezwungen, auseinanderzuziehen

Schließlich auch das, was die Berliner Umschau bereits vorausgesagt hat und was auch eingetreten ist: Hartz IV zwingt reihenweise Leute auseinanderzuziehen: Eltern und Kinder, Verwandte, einfach in Wohngemeinschaft Lebende oder Lebensgefährten, denn wenn man zusammen wohnt, kriegt man weniger oder es wird das Einkommen des anderen angerechnet. Allein die Tatsache, daß man in der gleichen Wohnung wohnt oder im gleichen Haus, reicht bereits aus. Inzwischen gibt es auch schon ein Urteil des Berliner Sozialgerichts, daß dies rechtmäßig sei. Deutsche Richter zeigen mal wieder ihre Fratze – bekannt aus dunklen Zeiten.

Diese Regelung führt natürlich automatisch dazu, daß die Bedürftigen, denen mit dieser Begründung das Geld gestrichen wird, auseinanderziehen, soweit sie denn einen Wohnung finden. Nicht umsonst sind in Deutschland kleine billige Wohnungen immer schwerer zu finden auf dem Wohnungsmarkt – und die waren schon vorher rar.

Der Artikel sagt dazu: „Die Bedarfsgemeinschaften, in die man die Bundesrepublik unterteilt hat, lösen sich auf. Mütter und Kinder ziehen auseinander, Ehen werden geschieden. Der Bedarf am Geld, das der Staat Alleinlebenden gibt, ist existenzieller als der Bedarf an Gemeinschaft.“

Die Reaktion des damals zuständigen Ministers Clement

Wie einer mit jener Art von Verstand, der nicht der gesunde eines Menschen ist, darauf reagiert, bewies Minister Clement, der am gleichen Tag genau zu diesem Thema Stellung nahm: „Wir werden verstärkt gegen Sozialmißbrauch und Abzockermentalität vorgehen. Es gibt eine bemerkenswerte Vervielfältigung von Bedarfsgemeinschaften.“

Es sind also nicht die raffsüchtigen Mitglieder der Politikerkaste, die neben den bereits mehr als üppigen Diäten und Gehältern und Altersabsicherungen auch noch die Millionenzuweisungen der deutschen Großkonzerne erhalten und verstecken, die eine Abzockermentalität haben, nein, es sind die Arbeitslosen ohne Geld, die verzweifelt um ihre Existenz kämpfen und Gemeinschaft aufgeben, um Geld zu erhalten. Die Welt steht auf dem Kopf und dreht sich verkehrt rum!

Nicht der gesunde Menschenverstand

Ja, da muß man der ehemaligen Bundesministerin Bergmann wirklich Recht geben, der gesunde Verstand eines Menschen ist dies nicht, entweder er ist krank oder er ist unmenschlich.



Dieser Hartz-IV-Artikel ist nun bald drei Jahre alt und brauchte nur unwesentlich (vom Autor) redigiert zu werden, um heute taufrisch zu klingen. Nur ein Wahnsinns-Hackebeil wie Hartz IV bringt so etwas zustande.

Karl Weiss - Journalismus

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