Sonntag, 24. August 2008

Brasilien jenseits von Fussball und Samba - Teil 9: Santos Dumont und der erste Motorflug

Brasilien jenseits von Fussball und Samba, Teil 9: Santos Dumont und der erste Motorflug

Von Elmar Getto

Es sind nun bald 102 Jahre, dass dem Brasilianer Alberto Santos Dumont in Paris der erste Motorflug gelang, der einwandfrei belegt ist und ohne Hilfsmittel gestartet wurde. Am 23. Oktober 1906 gelang der erste dokumentierte Flug mit der "14 bis", im November folgte mit dem gleichen Modell jener Flug, der den Anforderungen des 'Aero Club de France' entsprach und offiziell als erster Motorflug in die Annalen einging.

Santos Dumont

Brasilianer sind meist sehr empfindlich, wenn ihnen – offen oder implizit - pauschal unterstellt wird, sie seien wenig gebildet, von geringem kulturellen Niveau und/oder niedriger Intelligenz, weil sie aus einem Entwicklungsland kommen. Manche pflegen dann mit dem Argument zu kommen, daß der Erfinder des Flugzeugs, des lenkbaren Luftschiffs und der Armbanduhr, Alberto Santos Dumont, Brasilianer war.

Die Erfindung des Flugzeugs, oder besser gesagt der erste Motorflug, ist eines der höchst kontroversen Themen der internationalen Luftfahrt- und Erfindergeschichte. In den letzten Jahren kam diese Kontroverse aufgrund einer Reihe von Ereignissen erneut an die Oberfläche.

Im Jahr 2000, im letzten Jahr seiner Amtszeit, empfing der US-amerikanische Präsident Clinton eine brasilianische Delegation, an der auch Mitglieder der Familie Santos Dumont beteiligt waren, und bestätigte ihnen, daß die USA offiziell Santos Dumont als den „Vater der Luftfahrt“ anerkennen und nicht mehr auf der These bestehen, die Gebrüder Wright hätten den ersten Motorflug unternommen.

Drei Jahre später dagegen, im Dezember 2003, ließ der jetzige US-Präsident Bush eine Zeremonie in Kitty Hawk, einer kleinen Stadt in North Carolina, ablaufen, die der 100 Jahre des angeblich ersten Motorfluges der Brüder Wright gedenken sollte und hielt dort eine Rede, in der er betonte, die Erfindung der Wrights belege die Überlegenheit des US-amerikanischen Geistes über den anderer Nationen (!!). Die Wiederholung des ersten Fluges mit einer Nachbildung des Flugzeugs der Wrights gelang allerdings nicht. Es hob nicht ab.

Letzthin hat der US-Autor Paul Hoffman, der schon Bücher über andere berühmte Persönlichkeiten, wie Edison, veröffentlicht hat, ein Buch über Santos Dumont geschrieben: „The Wings of Madness – Alberto Santos Dumont and the invention of flight“, Verlag Theia, bei buch.de als ‚hardcover’ erhältlich für € 22,95, bei amazon.de als Taschenbuch für € 14,95. Wer sein Englisch aufpolieren will und über eine faszinierende Persönlichkeit lesen, dem sei es empfohlen. Hoffman bringt in etwa Klarheit, was eigentlich zu jener Zeit als die „Erfindung des Fluges“ angesehen wurde und warum die nationalistischen Ansprüche über ein ganzes Jahrhundert die Aufklärung der Tatsachen verhindert haben.

Zu Ende des 19. Jahrhunderts und Beginn des 20. Jahrhunderts war die Menschheit erfüllt von einer Technologie-Begeisterung. Es schien, als ob durch die Technik alle Menschheitsprobleme beseitigt werden könnten. Nachdem bereits überall Autos über die Straßen holperten, war das nächste anstehende technische Groß-Ereignis der erste Flug. Man hatte noch keine rechte Vorstellung über das Fliegen, sieht man einmal von Jules Verne ab, als ernsthaftes Transportmittel war es eigentlich kaum in Erwägung gezogen worden, schien aber doch ein triumphales Zeugnis des menschlichen Geistes als Überwinder (fast) aller Schranken zu sein.

So setzte im Jahr 1900 in Paris ein reicher Mäzen den „Deutsch-Preis“ aus für denjenigen, der als erster vom nahen 'Champ de Bagatelle' aus in die Lüfte steigen, den Eiffelturm umrunden und heil landen würde. Der Eiffelturm, damals bei weitem das höchste Gebäude der Welt, galt als Wunder der Technik und machte damals Paris zum Anziehungspunkt vieler Jünger des Fortschritts.

Der junge Ingenieur Santos Dumont machte sich auf, diesen Preis zu gewinnen. Er war geboren in Cabangu im Staat Minas Gerais in Brasilien, das sich heute Santos Dumont nennt, am 20. Juli 1873 als Sohn eines brasilianischen Großgrundbesitzers und als Enkel eines französischen Einwanderers.

Was in der Familie nicht fehlte, war Geld. 1891 wird sein Vater gelähmt durch einen Sturz vom Pferd, verkauft seine Besitzungen und geht mit der Familie nach Paris. Er sagt in Erkenntnis des Genies seines Sohnes zu ihm: „Beschäftige dich mit der Mechanik, sie ist die Zukunft.“ So hatte Santos Dumont Mechanik studiert und begann in einer Werkstatt in Paris seine Kenntnisse anzuwenden.

Die Montgolfiers hatten bereits lange vorher gezeigt, daß der Flug „leichter als Luft“ möglich war. Santos Dumont baute Ballons. Er kannte auch die Flüge Otto Lilienthals in Berlin. Es ist eine Besuch in Berlin zum Studium der Unterlagen Lilienthals dokumentiert (auch die Brüder Wright haben alles gesammelt, was man über Lilienthal lesen konnte).

Der Flug „leichter als Luft“ schien aber zunächst schneller zu verwirklichen zu sein. Ein Ballon, wie der der Montgolfiers, war aber nicht steuerbar, er konnte nur mit dem Wind treiben. Um den Eifelturm zu umrunden, mußte man aber ein steuerbares Gefährt haben. So erfand Santos-Dumont das steuerbare Luftschiff. Er gab ihm eine Zigarrenform statt einer runden und für die Steuerung benutzte er ein Steuerruder wie von einem Schiff und einen Luftstrom, den er mit einem Benzinmotor und einem Propeller erzeugte. Scheint heute alles sehr naheliegend, war es damals aber nicht. Allerdings gibt es Erfinder, die bereits vor Santos Dumont die Kombination Benzinmotor-Propeller verwendet haben wollen. Es ist nicht klar, ob Santos Dumont davon wußte oder diese Erfindung parallel gemacht hat.

Im Jahre 1901 hatte Santos Dumont sein sechstes lenkbares Luftschiff fertig und konnte den vorgeschriebenen Flug ausführen. Er gewann den Deutsch-Preis und wurde als Erfinder des Fluges gefeiert. Es ging ein Photo um die Welt, das sein Luftschiff oben am Eifelturm zeigt, während im Vordergrund begeisterte Pariser ihre Hüte auf dem Spazierstock kreisen lassen, um ihn zu feiern. Dieses Photo dürfte damals so ziemlich jeder gesehen haben, der eine Zeitung las. Santos Dumont war berühmt. Paul Hoffman verwendet das Photo als Titelbild seines Buches, hat allerdings Dumonts Luftschiff durch das später von ihm konstruierte Flugzeug ‚Demoiselle’ ersetzt, weil für uns heutige Menschen eben der Inbegriff des Fluges ein Flugzeug und kein Luftschiff ist.

Metallnachbildung 14 bis
Das Bild zeigt eine Nachbildung in Originalgrösse der "14 bis" in Metall, die im Ort Santos Dumont in Brasilien aufgestellt ist.

Nur konnte damals niemand wissen, wie sich die Luftfahrt weiter entwickeln würde. Allerdings war klar, daß es auch noch den Flug „schwerer als Luft“ gab und ein weiteres Ziel sein mußte, einen solchen Flug zustandezubringen, der über die Bergab-Gleitflüge eines Otto Lilienthal hinausginge.

Die höchste Autorität in Flügen war zu jener Zeit der Aero Club de France in Paris. Er setzte einen weiteren Preis aus für den ersten, der einen Flug „schwerer als Luft“ zustandebrächte. Die Bedingungen waren: Es mußte auf dem Gelände des Clubs, dem 'Champs de Bagatelle', stattfinden (um jegliche Zweifel über die genauen wirklichen Umstände des Fluges auszuschließen), das Gerät mußte aus eigener Kraft abheben, eine bestimmte Höhe erreichen, eine vorgesehene Strecke zurücklegen und nach dem Flug sicher landen.

Die Bedingung, daß der Flug auf dem Gelände des Aero Club stattzufinden hatte, sollte auch sicherstellen, daß bei solchen Flugversuchen neutrale und sachkundige Beobachter anwesend waren, die überprüfen konnten, daß keine irgendwie gearteteten Hilfsmittel benutzt wurden und die Regeln eingehalten wurden.

Die relativ umfassenden Regeln wurden aufgestellt, weil es in Frankreich bereits seit Jahren einen Erfinder gab, der angab, er sei bereits mit einem Flugzeug schwerer als Luft geflogen, den französischen Armee-Offizier Clement Ader. Der habe mit einem dampfmaschinen-angetriebenen Propellerflugzeug einen Flug im Jahre 1890 zustande gebracht, der allerdings in weniger als einem Meter Höhe ablief, wie die Zeugen des Fluges berichteten, die aber alle in der französischen Armee waren. Die französischen Armee ließ ihn sein Flugzeug nicht zum Aero Club de France schaffen. Es ist gut möglich, daß in Wirklichkeit Clement Ader den ersten Motorflug durchgeführt hat. Da die Armee aber alles geheim halten wollte, wird dies für die Öffentlichkeit immer ein Rätsel bleiben.

Es war offenkundig, daß ein Flug, der ohne neutrale und sachkundige Zeugen stattfand, nicht als das Ereignis des ersten Fluges anerkannt werden konnte. Genau dieses Argument trifft aber eben auch auf die Gebrüder Wright zu.

Sie waren keineswegs die einzigen, die in den USA am ersten Motorflug arbeiteten. In den Dünen am Südost-Ufer des Michigan-Sees, genannt ‚Indiana Dunes’ tummelten sich eine Anzahl von Erfindern mit Flugversuchen. Warum waren Dünenlandschaften die idealen Orte für Flugversuche – auch die Wright-Brüder hatten ja eine Dünenlandschaft ausgesucht für ihre Experimente, die Meeresdünen in der Nähe von Kitty Hawk?

Dünen bilden sich typischerweise an Stellen mit viel Wind (und Abheben geht leichter mit Gegenwind), in Dünen gibt es die wenigsten Hindernisse, an denen mißglückte Flugversuche enden könnten, sie bieten mit dem Sand eine relativ weiche Unterlage für Bruchlandungen und die Berge der Dünen eignen sich ideal als Abflugpunkt für Gleitflüge, die dem Motorflug vorausgehen mußten.

Santos Dumont hatte genügend Selbstbewußtsein und Kühnheit, nicht in Dünen auszuweichen. Er testete in aller Öffentlichkeit, meist auf dem 'Champ de Bagatelle' und ließ alle auch an den Mißerfolgen teilhaben. Mit einem seiner Luftschiffe stürzte er ab und verlor nur nicht das Leben, weil er sich angebunden hatte und das rasch an Höhe verlierende Luftschiff am Dach eines Hauses im Fauburg St. Germaine hängen blieb (er kannte bereits das Prinzip des Sicherheitsgurtes).

Waren Gleitflüge zum Testen notwendig, hob er mit einem seiner Luftschiffe das Flugzeug vom Boden und ließ es dann los. Hängend an einem Luftschiff macht er auch Schwerpunkt- und Gleichgewichts-Untersuchungen der Fluggeräte (das waren die ersten Flugsimulatoren).

Eine Anzahl derer, die Motor-Flugversuche in den USA machten, berichteten über erfolgreiche Flüge, die lokalen Blätter dort waren in jenen Jahren voll damit, wird auf der Website www.first-to-fly.com berichtet, der Site des Wright-Museums in Dayton, Ohio, wo vehement das „Erstgeburtsrecht“ der Wrights verteidigt wird.

Nur hatten alle diese erfolgreichen Flugversuche eines gemeinsam: Die Zeugen waren nicht neutral und schon gar nicht sachkundig, eventuelle Photos konnten gefälscht sein (und zeigten nicht die Hilfsmittel zum Abheben), die lokalen Zeitungsberichte bewiesen gar nichts und wenn jemand einen Preis aussetzte, und sie aufforderte, ihre Flüge in der Öffentlichkeit zu zeigen, kam niemand. All dies trifft aber eben auch auf die Wright-Brüder zu, wie die genannte Website vergaß zu erwähnen.

Die beiden Brüder Orville und Wilbur Wright, die ursprünglich aus Dayton, Ohio stammten und dort eine Fahrrad-Werkstattt und -Produktion betrieben, arbeiten an Flugexperimenten, die auf den Gleitflügen Lilienthals und anderer basierten, bei Kitty Hawk an der Atlantikküste, wo sie in einem Zelt im Dünengelände kampierten. Im Jahre 1902 konnten sie bereits entsprechende Flüge mit einem Gleiter nachvollziehen.

Dann begannen sie mit dem Einbau eines Benzin-Motors mit Propeller in den Gleiter. Sie starteten von den Dünenhügeln aus oder benutzten eine mit Planken geformte Rutschbahn die Dünen hinab, um dem Flugzeug seine erforderliche Anfangsgeschwindigkeit zu geben. Später konstruierten sie auch ein Katapult für diese Zwecke. Auch wenn starker Gegenwind herrschte, konnten sie kurze Luftsprünge zustande bringen. Einen der so durch äußere Mittel in Gang gebrachten Flüge im Dezember 1903, von dem auch ein Foto gemacht wurde, erklärten sie zum „ersten Flug“. Es konnte nie ganz geklärt werden, welches der Hilfsmittel sie in diesem Fall angewandt hatten, aber sie haben nie verneint, solche Mittel verwendet zu haben.

Damit reduziert sich die Frage, wer als erster einen Motorflug zustande brachte, auf die Fragen, ob man dazu Hilfsmittel zum Abheben zuläßt oder nicht und ob man neutrale und sachkundige Zeugen verlangt oder nicht.

Die ersten Flüge waren sowieso alle nur einige zig oder hundert Meter weit. Eine solche Entfernung hatte auch Lilienthal mit seinem Gleiter zurückgelegt. Waren Hilfsmittel zum Abheben verwendet worden, machte es eigentlich kaum einen Unterschied, ob auf dem „Gleiter“ ein Motor mit Propeller angebracht war oder nicht. Auch mit einem guten Gegenwind konnte man so Gleitflüge vom Typ Lilienthals zustande bringen.

Der Aero Club de France war daher der Meinung, es müsse ein Abheben nur mit „Bordkräften“, also dem Motor an Bord bewerkstelligt werden und viele stimmen heute mit dieser Ansicht überein, denn Gleiter, die auf andere Weise in die Luft gebracht wurden und dann, mehr oder weniger langsam, dem Erdboden zuschweben, hatte es ja längst vorher gegeben. Sogar an Höhe gewinnen kann man ja mit Gleitern, wie uns die Segelflugzeuge zeigen.

Während dieser Zeit hatte Santos Dumont begonnen, seine Popularität zu genießen. Er lebte in einem Luxus-Appartment an den Champs Elysees und hatte vor seinem Fenster das Luftschiff angebunden. Zum Abendessen bestieg er es und flog zum Restaurant Maxim, dem feinsten in Paris zu jener Zeit, um dort mit einigen seiner Bewunderer zu speisen. Er war nach neuester Mode gekleidet und sein großer „Schlapphut“ wurde zum Markenzeichen.

Bezeichnend für seine Popularität war, was die kleine örtliche Zeitung in Kitty Hawk als Überschrift wählte, als sie im Dezember 1903 ihren Lesern das ankündigte, was später als der erste Motorflug bezeichnet wurde. Die Wrights hatten die örtliche Zeitung benachrichtigt, daß ihnen ein Flug gelungen sei. Sie sagte in der Überschrift, die Brüder Wright würden dem „Großen Santos Dumont“ nacheifern. Damals waren die feinen Unterschiede zwischen einem Flug schwerer oder leichter als Luft nicht vielen geläufig und der ‚erste Flug’ hatte ja schon stattgefunden, man hatte ja die Bilder aus Paris gesehen.

Eines der wesentlichen Probleme, das zu jener Zeit den ‚ersten Motorflug’ noch nicht möglich machte, war die zögerliche Entwicklung der Benzin-Motoren und der Propeller. Motoren von der Größe eines heutigen 12-Zylinders brachten damals gerade mal 1 PS zustande und das ergab wenig als Vorschub, da auch die Propeller noch extrem einfach waren. Die Aufgabe der Konstrukteure war fast unlösbar unter diesen Umständen, denn jedes noch so leichte und gut konstruierte Flugzeug braucht eben mindestens 50 bis 60 Km/h als Abhebegeschwindigkeit, wie man heute weiß. Das war aber mit diesen Motoren und Propellern noch nicht zu schaffen.

Dadurch war es logisch, daß man normalerweise Starthilfen brauchte.
Der Wettbewerb ging im Kern also darum, wer ein so leichtes Flugzeug konstruieren konnte (einschließlich Motor) und mit der Flügelform soviel Auftrieb erzeugen konnte, daß es bei unter 50 km/h abhebt. Wenn dies so ist, dann ist natürlich die Frage ausschlaggebend, wie man abhebt. Damit wird die Frage der Hilfsmittel zum Abheben zur Scheidelinie.

Santos Dumont hatte - wenn man so will - einen unfairen Vorteil. Er hatte japanische Seide als teuren, aber extrem leichten und festen Konstruktionsstoff sowohl für seine Ballons und Luftschiffe, aber dann auch für die Bespannung des Holzgestells seiner Flugzeuge entdeckt. Andere Pioniere der Luftfahrt hatten nicht so viel Geld und mußten ihre Versuche mit groben und schweren Stoffen durchführen.

Replik '14 bis'
Dies Bild zeigt eine Replik eines früheren Flugzeuges von Santos Dumont. Hier hatte er noch nicht die Idee entwickelt, ein zweites Flügelpaar in einiger Entfernung vom ersten an einem Rumpf anzubringen. Diese "Nur-Flügel"-Flugzeuge, wie auch das der Brüder Wright von 1903, konnten schon Luftsprünge zustande bringen, aber noch keinen stabilen Flug.

Der erste Motorflug Santos Dumonts vom Oktober 1906, der genau dokumentiert ist, läßt die Berechnung zu, daß er mit 42 (nach anderer Version 46) km/h absolviert wurde. Selbst ein heutiges Ultraleichtflugzeug hebt noch nicht ab bei dieser Geschwindigkeit. Er mußte also etwas schaffen, was auch heutige Konstrukteure vor größte Schwierigkeiten gestellt hätte. Man kann also seine Leistung gar nicht hoch genug einschätzen.

(Dies alles änderte sich nur wenige Jahre später, als die Militärstrategen in der Vorbereitung des 1. Weltkrieges das Flugzeug als Waffe bzw. Waffenträger entdeckt hatten und von allen auf den Krieg zusteuernden Ländern Unsummen in die Entwicklung der Motoren- und Propellertechnik gesteckt wurden. Pünktlich zum Beginn des 1. Weltkrieges 1914 hatten alle Beteiligten bemerkenswerte Flugzeuge fertig.)

Doch wir sind immer noch in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts. Santos Dumont wußte, daß die USA eine aufstrebende Macht waren und zeigte seine Reverenz. Im Jahre 1902 erreichte er mit einem Dampfer die neue Welt, um „das größte lenkbare Luftschiff“ vorzuführen. Die Zollbehörden im Hafen von New York wollten aber einen Einfuhrzoll von 45% des Wertes des Luftschiffs, bevor sie es in das Land ließen. So mußte Santos Dumont auf die Vorführung verzichten.

Er traf aber mit dem damals auch schon berühmten Erfinder T. A. Edison zusammen. Laut P. Hoffman habe Edison gesagt: „Ich habe immer geglaubt, daß der Mensch wird fliegen können, aber Sie waren der einzige, der dies verwirklichen konnte.“ Santos Dumont habe geantwortet: „Wenn Sie sich der Luftfahrt gewidmet hätten, hätten Sie vor mir Erfolg gehabt.“

Edison war beeindruckt von Santos Dumont und bat den Präsidenten „Teddy“ Roosevelt, Santos Dumont zu empfangen. So geschah es. Bei einem Diner mit dem Präsidenten im Beisein der Presse sprach Santos Dumont, der neben seiner Muttersprache Portugiesisch auch fließend Französisch und Englisch sprach, das erste Mal von der Möglichkeit von Passagierflügen und von transatlantischen Flügen, was höchste Aufmerksamkeit erregte. Er benutzte dort auch zum ersten Mal das Wort ‚Flughafen’ (Airport), von wo die großen ‚Luftschiffe’ die Passagiere auf ihre Reisen tragen würden.

Zwei Jahre später, im Jahre 1904, war Weltausstellung in St. Louis, Missouri. Die Veranstalter hatten einen Preis von 100.000 Dollar (das repräsentierte zu jener Zeit weit mehr als heute 1 Million Dollar) ausgesetzt für jemanden, der auf der Ausstellung einen wirklichen Flug zeigen würde. Santos Dumont war bereit, ihnen diesen Gefallen zu tun. Er brauchte dieses Geld nicht, liebte es aber, im Mittelpunkt zu stehen. Inzwischen hatte er ein noch größeres Luftschiff konstruiert und mitgebracht und hatte es auch geschafft, die Zoll-Barriere zu überwinden.

In der Nacht vor seinem großen Flug allerdings wurde die Hülle seines Luftschiffs heimlich von Unbekannten mit Messern zerschnitten und er mußte seine Demonstration ausfallen lassen. Das gleiche war ihm bereits ein Jahr zuvor in London passiert, wo er ebenfalls seine Flüge hatte vorführen wollen. Die Täter wurden in beiden Fällen nie gefaßt. Es gab also auch Neider, eventuell spielte hier auch schon Nationalismus eine Rolle.

Um diese Weltausstellung rankt sich auch eine der wesentlichen Polemiken zwischen Santos Dumont und den Gebrüdern Wright. Der Ruf nach einem Flug auf der Weltausstellung war vor allem an alle jene US-Amerikaner gerichtet gewesen, die bereits über erfolgreiche Flüge berichtet hatten. So hatten nach ihren eigenen späteren Angaben die Gebrüder Wright zu dieser Zeit bereits ein funktionierendes Fluggerät „schwerer als Luft“. Da es den Wright-Brüdern hauptsächlich darauf ankam, Geld mit ihrer Erfindung zu verdienen, wäre es logisch gewesen, in St. Louis aufzutauchen und den Preis abzukassieren. 100.000 Dollar hätten sie aller Geldsorgen ledig werden lassen, der Traum ihres Lebens wäre war geworden und sie wären als die Pioniere des Fluges gefeiert worden.

Es bleibt nur die Vermutung, daß sie befürchten mußten, daß ihr Flug wegen der benutzten Hilfsmittel zum Abheben nicht anerkannt werden würde. Da ihnen keine unbegrenzten Geldmittel zur Verfügung standen, wären sie dann auf den Schulden aus den Transportkosten sitzen geblieben.

Während Santos Dumont die Möglichkeit hatte, keine Patente anzumelden, sondern seine Erfindungen der Menschheit zur Nutzung zu präsentieren, waren die meisten anderen Erfinder jener Epoche (und nicht nur jener Epoche) auf das Geld angewiesen, das sie hofften, damit zu verdienen. So hielten sie, wie auch die Wright-Brüder, ihre Erfindungen so weit wie möglich geheim. Die beiden Wrights meldeten ein Patent an, aber unerklärlicherweise gingen sie nach der Patentanmeldung nicht in die breite Öffentlichkeit, z.B. auf die Weltausstellung in St. Louis, sondern verheimlichten weiterhin, was sie erreicht hatten. Dies allerdings ließ deutliche Zweifel über die genauen Umstände der Flüge aufkommen.

Die Gebrüder Wright gaben an, in den Jahren von 1903 bis 1906 viele Flüge absolviert zu haben. Allerdings gibt es außer Freunden und Bekannten von ihnen keine Zeugen dafür. Auch die Bewohner von Kitty Hawk, von denen einige Flüge gesehen hatten, gaben äußerst unterschiedliche Angaben über deren exakte Umstände.

Einmal in diesem Zeitraum luden die Brüder auch die Presse von außerhalb von Kitty Hawk zu einer Vorführung, aber an diesem Tag hob das Flugzeug nicht ab. Die Photos, die existieren, zeigen nicht, ob und welche Hilfsmittel zum Abheben benutzt wurden. Allerdings gibt es auf der oben genannten Website des Wright-Museums ein Photo, nach den dortigen Angaben von 1904, wo ein Katapult zu sehen ist, das nach Angaben der Site von den Wrights für Flugversuche auf dem ebenen Gelände „Huffmann Prairie“ verwendet wurde. Dies deutet darauf hin, daß sie auch zu diesem Zeitpunkt das Flugzeug nicht ohne Hilfsmittel in die Luft bekamen.

Wie auch immer, Santos Dumont arbeitete am Motorflug in Paris. Bis Oktober 1906 hatte er vierzehn verschiedene Flugzeuge mit Benzinmotor konstruiert und ohne Erfolg getestet. Er versuchte nun mit einer leicht geänderten Version des vierzehnten erneut zu fliegen, die er ‚14 bis’ (14 einhalb) getauft hatte. Tatsächlich konnte er am 23. Oktober 1906 einen kurzen Flug absolvieren vor den staunenden Augen der Fachleute des Aero Club de France und Journalisten aus verschiedenen Ländern.

Dies gilt heute als der erste registrierte Motorflug.


Erster Flug Santos Dumont 14 bis
Dies ist eine Photographie des damaligen ersten Flugs vom 23. Oktober 1906 von Santos Dumont, aufrecht stehend in dem '14 bis'. Es zeigt nicht nur den Flug, sondern auch die Menschenmenge auf dem 'Champs de Bagatelle' und die Reporter.

Im darauffolgenden Monat, dem November 1906, konnte er mit dem gleichen Flugzeug und vor einer noch größeren jubelnden Menge auch eine längere Strecke fliegen und so die Bedingungen des Preises des Aero Club de France erfüllen. So wie den ersten Preis für sein Luftschiff, hat er auch dies Preisgeld unter seinen Mechanikern verteilt.

Die Kunde ging um die Welt, daß Santos Dumont nun auch der Pionier bei den Flügen schwerer als Luft war. Dies rief aber bei weitem nicht so viel Aufsehen wie sein erster Luftschiff-Flug hervor, denn man wußte zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht, daß die Zukunft den Flugzeugen und nicht den Luftschiffen gehören würde. Vor dem Gelände des Aero Club de France wurde ein Gedenkstein aufgestellt, der bis heute zu sehen ist und den ersten registrierten Motorflug ‚schwerer als Luft’ durch Santos Dumont feiert, das war in diesem Fall der vom November 1906.

Die Gebrüder Wright hatten bei den Flugzeugen, mit denen sie bis zu diesem Zeitpunkt geflogen waren, im wesentlichen ein reines Flügel-(Doppeldecker-)Flugzeug verwendet. Lediglich sehr kleine Stabilisierungsflächen wurden vor und hinter dem doppelten Flügel angebracht. Dadurch war der Flug extrem instabil.

Eine wichtige Neuerung Santos Dumonts war nun, neben dem verstärkten sebstgebauten Motor und der verbesserten Propellerform, dem Flugzeug einen Längskörper zu geben. Am Ende (oder Anfang) dieses Längskörpers war ein weiteres, kleines (Doppeldecker-) Flügelpaar, so wie wir es heute (als Einfachdecker) von allen Flugzeugen kennen. Dies war das erste Mal, dass jemand mit zwei Flügelpaaren in einigem Abstand arbeitete.

Die so erreichte Stabilität war für seinen ersten Flug gar nicht so ausschlaggebend, denn der ging sowieso nur geradeaus, beeinflußte aber entscheidend die Schnelligkeit der weiteren Entwicklung der Flugzeuge. Im Fall des ‚14 bis’ war das kleinere Flügelpaar vorne, nicht hinten, wie wir es heute gewohnt sind, aber das änderte sich schon bei seinem nächsten Flugzeug im darauffolgenden Jahr.

Santos Dumont legte die Konstruktionszeichnungen des ‚14 bis’ offen und stellte sie allen Interessierten zur Verfügung, im Gegensatz zu allen anderen, die vorher Motorflüge versucht hatten. Dies war grundlegend für die nun einsetzende schnelle Entwicklung im Flugzeugbau. Es ist unbekannt, ob die Brüder Wright eine solche Konstruktionszeichnung zu sehen bekommen haben, ist aber wahrscheinlich.

Tatsache ist, das nächste Flugzeug der Brüder hatte das stabilisierende Flügelpaar viel weiter entfernt vom Hauptflügelpaar als die vorherigen Ausgaben. Damit gewann das sowieso schon hervorragende Projekt der Wrights die notwendige Stabilität und sie konnten beginnen, Kurven zu fliegen und ein Höhensteuer einzusetzen.

Im Jahre 1908, zwei Jahre nach Santos Dumonts Erstflug (dieser arbeitete schon an seinem übernächsten Flugzeug), erschienen die Brüder Wright in Paris und führten ihr neues Flugzeug vor. Dieser Flug ist als vierter Motorflug überhaupt registriert worden. Jetzt hatten sie einen stärkeren Motor (sie hatten ihn in Frankreich gekauft), konnten ohne Katapult und Gegenwind abheben und konnten auch bereits Kurven und auf- und abwärts fliegen.

Zu diesem Zeitpunkt war ihr Flugzeug das fortgeschrittendste. Diese Tatsache, so meint jedenfalls die Site des Wright-Museums, belege, daß ihnen der Vorrang gebühre, unabhängig davon, ob sie wirklich den ersten Flug mit Motorkraft und ausreichend Zeugen durchgeführt hätten. Zunächst war dieses Flugzeug allerdings für die Weiterentwicklung der Flugzeuge nicht so ausschlaggebend, denn die Wrights legten ihre Konstruktionspläne nicht offen.

Wie selbst die Site des Wright-Museums zugibt, haben die Gebrüder Wright zeitlebens nie behauptet, den ersten Motorflug durchgeführt zu haben. Was sie wollten, war eine Erfindung zu machen, die sich verkaufen ließ, an eine große Firma oder am besten gleich an das US-Militär, so daß sie von Geldsorgen frei wurden. Dieses Ziel haben sie erreicht, wenn auch mit Verspätung. Im Jahr 1909 zeigte das US-Militär erstmals Interesse und im weiteren Verlauf konnten sie ihre Erfindung an den US-Staat verkaufen und bekamen wahrscheinlich einen guten Batzen Geld dafür. Über den Umweg über die ersten Flugzeuge der US-Luftwaffe kamen so die Detailideen der Wrights auch generell in den Flugzeugbau.

Ein Jahr nach dem Auftreten der Wrights in Paris kam Santos Dumont mit dem ersten Flugzeug heraus, das den heutigen Menschen an das erinnert, was er auf den Flughäfen der Welt ständig zu sehen bekommt, der ‚Demoiselle’.

Er hatte das Doppeldeckerkonzept verlassen, denn nun war sein selbst konstruierter Motor stark genug, eine hohe Geschwindigkeit zu erzeugen (77 km/h, schon kurz danach überboten, aber zu diesem Zeitpunkt sensationell schnell). Damit war der zusätzliche Auftrieb des zweiten Flügels (der aber eben auch zusätzlichen Luftwiderstand brachte) nicht mehr nötig. Die Demoiselle war ein Eindecker mit einem Rumpf und am Ende zwei kleineren Flügeln und einem senkrechten Leitwerk, das Kurven-Fliegen erleichterte (das hatte die '14 bis' noch nicht gehabt).

Zwar war die ‚Demoiselle’ ein kleines Flugzeug, heute würde man es als „Ultra-Leicht-Flugzeug“ einstufen, aber sie war erneut ihrer Zeit voraus. Heute könnte die ‚Demoiselle’ in jedem Wettbewerb von Ultra-Leicht-Flugzeugen mithalten. Wiederum legte Santos Dumont die Konstruktionspläne offen und half damit ungewollt den Militärs der großen Mächte auf die Sprünge, die nun Flugzeuge konstruieren wollten.

In den darauffolgenden Jahren, speziell als die USA in den Ersten Weltkrieg eingetreten waren und als der Welt stärkste Macht aus ihm hervorgingen, arbeiteten US-Nationalisten an einer Legende der Wright-Brüder und schafften es, bis zum Ende der Zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts die These, die Wrights hätten den Motorflug erfunden, zur Standardformel in vielen Ländern, so auch hier in Deuschland, zu machen. Wenn man die Site des Wright-Museums richtig versteht, haben sich die Brüder Orville und Wilbur Wright an dieser Legendenbildung nicht beteiligt. Daran sollten sich alle Nationalisten ein Beispiel nehmen.

Auf der anderen Seite gibt es auch nationalistische Bestrebungen in bestimmten brasilianischen Kreisen, die u.a. versuchen, die Verdienste der Gebrüder Wright zu schmälern. Auch dies hilft der Sache bestimmt nicht weiter. Santos Dumont selbst war nie brasilianischer Nationalist. Er verstand sich als Weltbürger. Wahrscheinlich hätten sowohl die Brüder als auch Santos Dumont nur gelacht, wenn sie gehört hätten, daß jemand, auf ihrer Erfindung basierend, die Überlegenheit des Geistes einer Nation konstatiert hätte.

Auch in Deutschland kennen wir solche nationalistischen Anwandlungen. Die Luftschiffe werden hier ‚Zeppeline’ genannt, so als ob Graf Zeppelin sie erfunden hätte. Er hat sie aber verbessert.

Santos Dumont war am Ende seines Lebens 1932 verbittert, denn er fühlte sich um den einzigen Lohn gebracht, den er für sich beanspruchte, den Ruhm, der erste gewesen zu sein. Er verstand nicht, warum die Behauptungen einiger US-amerikanischer Blätter überall in der Welt nachgebetet wurden, während der Gedenkstein, auf dem sein Name eingraviert war, keine Rolle mehr spielen sollte.

Einige haben seinen Selbstmord damit in Zusammenhang gebracht, aber der hatte wahrscheinlich mehr mit seiner Krankheit zu tun. Multiple Sklerose- Patienten beginnen öfters den Willen zum Leben zu verlieren.

Sowohl die Wrights als auch Santos Dumont haben wesentlichste Pionier-Beiträge zum Motorflug geleistet und ragen damit unter allen heraus, die Motorflug-Versuche unternommen haben. Bezüglich des Erstflug-Rechts sollte man sich darauf einigen können, daß die Wrights die ersten bedeutenden Motorflüge mit Hilfsmitteln zum Abheben absolviert haben, während Santos Dumont der erste registrierte und ohne Hilfsmittel gestartete Flug zugeschrieben werden muß.

Santos Dumont darf ohne Übertreibung einer der großen Männer des Zwanzigsten Jahrhunderts genannt werden. Wer der ganzen Komplexität seines Genies nähertreten will, dem sei, wenn er einmal nach Brasilien kommt, der Besuch im Haus von Santos Dumont in Petropolis empfohlen, nicht weit von Rio de Janeiro entfernt. Die Konstruktion dieses Hauses sollte beweisen, daß ein Mensch auf einer kleinen Fläche komfortabel leben kann. Jetzt hatte er aber schon schwer mit einer rätselhaften Krankheit zu kämpfen, wahrscheinlich war es Multiple Sklerose.

Santos Dumont ist kein reiner Mechaniker. Er beschäftigt sich mit vielen Problemen der Menschheit. Er ist ein Visionär. So erfindet er unter anderem auch die Armbanduhr. Er baute nicht die Uhr zusammen, sondern kam auf die Idee, eine Uhr mit einem Band versehen zu lassen und am linken Handgelenk zu befestigen. Keinen geringeren als Cartier, einen Bekannten aus Paris, läßt er diese Uhr fertigen.

Nach ihm ist als einzigem Brasilianer ein „Meer“ auf dem Mond benannt, ein Krater von 8 km Durchmesser am Abhang der „Apenninen“, nahe der Stelle, wo „Apollo 15“ landete.

Brasilien (topographisch)

1932 engagiert er sich noch, bereits sehr krank, in der Sezessionsbewegung, die der Staat São Paulo gegen die brasilianischen Union führte. Er bittet seine Landsleute aus Minas Gerais, sich der Sezession anzuschliessen, hat aber keinen Erfolg.

Der brasilianische Diktator Getulio Vargas bekämpft die Sezession mit harter Hand. Es werden Flugzeuge zur Bombardierung eingesetzt. Als einige dieser Flugzeuge über ihn in Guarujá an der Küste São Paulos hinwegfliegen und er kurz danach die explodierenden Bomben im benachbarten Hafen von Santos hört, sagt er: „Meine Erfindung hat der Menschheit nur Unheil gebracht.“ Noch am gleichen Abend erhängt er sich.

Dieser Artikel erschien zum ersten Mal in den Zeilen von "Rbi-aktuell" am 24. März 2005, hier leicht redigiert vom Verfasser.


Hier die Links zu allen Teilen der Reihe „Brasilien jenseits von Fussball und Samba“

- Teil 1: „Wie der Amazonas zu seinem Namen kam“

- Teil 2: ‚Menschenfresser-Country’

- Teil 3: „Ausgerottete Künstler“

- Teil 4: Niemeyer ist 100 – ‚Auf dem Höhepunkt des Schaffens’

- Teil 5: Brasilien und Gold

- Teil 6: Die Landschaften Brasiliens – Der Amazonas-Regenwald

- Teil 7: Brasilien und der Strom

- Teil 8: Die Landschaften Brasiliens – Mata Atlântica

- Teil 9: Santos Dumont und der erste Motorflug

- Teil 10: SIVAM – Big Brother in Amazonien

- Teil 11: Sprit aus nachwachsenden Rohstoffen

- Teil 12: Regenwaldvernichtung und Trockenheit im Amazonasgebiet

- Teil 13: Wie unsere Zukunft in der beginnenden kapitalistischen Barbarei aussähe – „Ich habe kein Leben“

Freitag, 22. August 2008

Verhältnismässigkeit und Heuchelei - Ist Russland der Aggressor?

Zum Ossetien-Krieg

Von Karl Weiss

Ein etwas ungewöhnliches Argument wurde von Präsident Bush angesichts des Ossetien-Krieges vorgebracht und wird nun in allen westlichen Medien nach Möglichkeit breitgetreten. Die VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT sei nicht gewahrt worden von Russland, so tönt es es uns nun tagaus, tagein, aus den Zeitungen, Magazinen und Fernsehröhren entgegen. Deshalb sei Russland ein Bösewicht, denn in Kriegen müsse man verhältnismäßig vorgehen.

Gebäude in Gori nach russischem Luftangriff

Das ist allerdings neu. Der Frage der Verhältnismässigkeit hatte man vorher nie Beachtung geschenkt. Als zum Beispiel im Juli 2005 Israel sein Nachbarland Libanon mit einem Voll-Krieg überzog, mit massiven Luftangriffen auf die Hauptstadt und andere Städte und Dörfer, die insgesamt über 5000 Zivilopfer forderten, mit einem Vorrücken der eigenen Truppen ins Nachbarland auf breiter Front, mit zeitweiser Besetzung eines Teilgebietes des Nachbarlands, mit massiven Bombardierungen der Infrastruktur wie Strassen, Brücken, Häfen, Flughäfen und Kraftwerken, gegen Truppen Libanons, das militärisch lächerlich unterlegen waren, da hörte man aus allen diesen Kehlen nicht ein einziges Mal das Wort Verhältnismässigkeit.

Was war damals der angegebene Grund, warum Israel so viele Menschenleben – auch eigener Soldaten - opferte? Eine israelische Patrouille an der Grenze beider Länder (auf welcher Seite der Grenze blieb umstritten) war von Guerillakämpfern von libanesischer Seite angegriffen worden. Zwei Soldaten starben, zwei andere wurden verletzt gefangen genommen. Solche Grenzzwischenfälle gibt es an den verschiedensten Spannungspunkten häufig, z.B. zwischen Nord- und Südkorea. Wenn da jedesmal ein Krieg begonnen würde, dann hätten wir noch zig Mal mehr Kriege als jetzt schon.

ambulancehit
Kriegsverbrechen von Israel im 2. Libanonkrieg: Von einer Luft-Boden-Rakete getroffener Ambulanzwagen

Vier tote Soldaten (kürzlich stellte sich heraus, auch die beiden Gefangenen waren gestorben), ist das ein ausreichender Grund für einen Angriff in voller Breite und Tiefe mit Tausenden Toten, zehntausenden Verletzten, der Zerstörung der Infrastruktur eines Landes? Also jede denkbare Art von Verhältnismässigkeit ist da offensichtlich nicht gewahrt.

Genau jene Regierungen, sei es die der USA, der Bundesrepublik, von Frankreich, England, Polen oder Tschechien, die jetzt so viel von Verhältnismässigkeit reden und Russland so behandeln, als sei es der Agressor, hatten damals die Frage der Verhältnismässigkeit völlig vergesen und argumentierten immer und immer wieder, Israel habe das Recht auf Selbstverteidigung. Warum ein Überfall auf ein anderes Land unter die Kategorie Selbstverteidigung fällt, hat man aber vergessen uns zu erklären.

Vergleicht man nun, was da jetzt in Süd-Ossetien geschehen ist, so ist die russische Antwort weit weniger problematisch als der Krieg, den Israel da eröffnete. Aber wer zwei Masse, zwei Gewichte anwenden will, der tut es eben. Die Empörung über Russland ist nichts als Heuchelei.

In Süd-Ossetien wurde nämlich nicht auf einen geringfügigen Grenzschwischenfall geantwortet, sondern auf einen Überfall mit militärischer Macht, (Bodentruppen, Panzer, Bombardierungen) von Georgien auf ein Gebiet, das sich für unabhängig erklärt hatte und in dem man keinerlei reale Macht ausübte. Dazu kam, in Süd-Ossetien waren russische Friedenstruppen stationiert und ein wesentlicher Teil der Bewohner hat die russische Staatsbürgerschaft. Von den stationierten russischen Soldaten dort wurden mindestens 100 getötet, davon ein Teil mit Genickschüssen, also offensichtlich kriegsverbrecherisch hingerichtet.

Ein Vergleich mit dem geringfügigen Grenzschwischenfall an der israelisch-libanesischen Grenze kann also nicht gezogen werden.

Nun argumentiert man im „Westen“, sprich von seiten der US-Regierung und allen in ihrem Hintern, es handele sich um einen integren Teil Georgiens und Georgien könne im eigenen Land schliesslich machen, was es wolle. Allerdings wendet man dies (Konflikte innerhalb eines Landes gehen niemanden ausserhalb etwas an) in anderen Fällen nicht an, so hat man den reinen innersudanesischen Konflikt in Darfour bereits mit einer Verhaftung des Staatspräsidenten des Sudan beantwortet, sobald man seiner habhaft werden kann. Als sich im damaligen Serbien ein Konflikt in der Provinz Kosovo anbahnte, mischte man sich noch viel intensiver ein und bombardierte Serbien zurück in die Steinzeit (in extrem VERHÄLTNISMÄSSIGER Weise).

Kosovo

Daneben ist auch der eigentliche Kern dieses Arguments nicht zutreffend. Es gibt keinen völkerrechtlich bindenden Anspruch von Georgien auf Süd-Ossetien (genausowenig wie auf Abchasien). Völkerrechtlich bindende Staatsgrenzen für alle Länder wurden jeweils nach beiden Weltkriegen definiert und dann erneut, als die unter Kolonial-Joch stehenden Staaten in die Unabhängigkeit entlassen wurden (im wesentlichen in den Vierziger- und Fünfziger-Jahren).

Bevölkerungsgruppen in Jugoslawien 1991

Die so festgelegten Staaten und deren Grenzen, das war bis zum Beginn der Jugoslawien-Auflösung unter allen Ländern einmütig, waren nicht veränderbar, mit der einzigen Ausnahme, wenn die Regierung des jeweiligen Staates dem selbst zustimmte (das war zum Beispiel der Fall, als sich die Tschechoslowakei in Tschechien und Slowakien aufteilte).

Was aber war der Fall in Süd-Ossetien, in Abchasien, in Berg-Karabach und in Transnistrien? Diese Teile von sowjetischen Republiken erklärten sich zum gleichen Zeitpunkt unabhängig wie jene Republiken selbst, die ja zu jenem Zeitpunkt 1991 oder etwas später aus der zerfallenden Sowjetunion austraten und neue Staaten bildeten.

Diese Staaten und Grenzen waren sowjetische Republiken gewesen und entsprechend den sowjetischen Bedürfnissen gebildet worden. Es gab neue Grenzziehungen, Zusammenfassungen mit Nachbarrepubliken, Umsiedlung ganzer Volksgruppen mit nachfolgenden Grenzkorrekturen und ähnliches in den Jahren (von 1917 bis 1991) der Sowjetunion. Im Lichte internationalen Rechts hatten also jene Teile von Sowjetrepubliken das gleiche Recht wie die Republiken als solche, sich zu unabhängigen Staaten zu erklären.

Da es keinen Präzedenzfall gab, konnte auch kein internationales Recht greifen, denn die Auflösung eines so riesigen Bundestaates (der flächenmässig grösste auf der Erde) war ohne Beispiel.

Tatsache ist, die anderen Länder erkannten die vier Abspaltungen nicht an und taten so, als seien die Grenzen von ehemaligen Sowjetrepubliken ebenfalls unveränderbar wie jene der international festgeklopften Staaten. Andererseits aber haben die Ex-Republiken der Sowjetunion, in denen sich Teile für unabhängig erklärten, in keinem der vier Fälle alle die Jahre seit 1991 die tatsächliche Herrschaft in den abgespaltetenen Teilen. Dort gab es vielmehr eigene Regierungen, die Truppen und Polizei-Einheiten aus dem Staat, der die Souveränität dort beanspruchte, nicht akzeptierten, hinausjagten oder bestenfalls in Teilgebieten der abgespaltenen Teilrepublik zuliessen bzw. nur zeitweise.

An dieser Stelle greift aber nun internationales Recht. Wer eine Abspaltung faktisch zulässt und über Jahre überhaupt keine Souveränitat im abgespaltenen Teil ausübt, verliert den Anspruch auf jene Teile. Dies gilt erst recht, wenn dort „Friedenstruppen“ von einer benachbarten Grossmacht stationiert sind und man dies auch über Jahre hinweg hingenommen hat.

Mit anderen Worten: Georgien hatte, als es angriff, schon gar kein eindeutiges Anrecht auf Süd-Ossetien mehr. Es war schlicht und einfach ein Angriffskrieg auf einen anderen Staat, auch wenn Süd-Ossetien nicht international anerkannt war (nicht einmal von Moskau). Wenn zum Beispiel US-Friedenstruppen in einem Staat statioiert sind, dann nimmt sich die USA selbstverständlich das Recht heraus, einen Angiff auf diesen Staat und seine dortigen Truppen als einen Angriff auf sich selbst zu interpretieren. In diesem Fall tat das Russland und schon wird behauptet, Russland sei der Agressor.

Es ist überhaupt interessant, in diesen Tagen westliche Mainstream-Medien zu lesen bzw. zu sehen. In unglaublicher Weise identisch, wird verdreht, unterschlagen, einseitig berichtet, die Gegenseite nicht zu Wort kommen gelassen, werden Halbwahrheiten veröffentlicht und geheuchelt, dass es eine Art hat.

Russland war der Angreifer, nun muss man aber einen anderen Ton mit Russland anschlagen, es geht nicht mehr so weiter, dass man so tut, als sei Russland harmlos – kurz: Es wird auf Russland eingeschlagen, als ob Russland einen Angriffskrieg gestartet hätte. So haben denn in Umfragen auch beträchtliche Teile der zum Ossetienkrieg in den USA Befragten geantwortet, Russland habe das Nachbarland überfallen.

Gleichschaltung ist das einzige Wort, das auf diese Medienkampagne passt, auch wenn dies Wort Erinnerungen weckt, die nicht direkt vergleichbar sind.

Charakteristisch der Zwischenfall, als das Zeugnis einer 12-jährigen Südossetin über den rücksichtslosen Angriff des georgischen Militärs gegen die ossetische Zivilbevölkerung im Fernsehen bei Fox News gezeigt werden sollte. Den Eimnleitungssatz liess man sie sprechen, dann wurde ausgeblendet. Was sie da zu sagen hatte, passte nicht ins Bild.

Wer das Interview mit dem Mädchen vollständig sehen will, hier ist es: http://youtube.com/watch?v=H8XI2Chc6uQ

Nicht dass etwa die russischen Medien nicht auch einseitig berichtet hätten, aber in diesem Fall war eben der Angreifer Georgien, das von einem Statthalter der USA regiert wird. Der Angriff war also mit höchster Wahrscheinlichkeit von den USA angeordnet worden, weil man nun Russland als neuen Buhmann aufbauen will.

Auf jeden Fall weiss man, bei der kürzlichen NATO-Tagung wurde Georgien als Beitrittskandidat genannt, „wenn man die offenen territorialen Fragen klärt“. Es gab nur einen Weg für Georgien, die zu versuchen zu klären: Der Einmarsch in die abtrünnige Provinz. Man hat diesen Einmarsch also zumindest nahegelegt.

Unter diesen Umständen Russland als den Aggressor zu brandmarken ist schon ein starkes Stück.

Nun ist Russland natürlich kein armes, geplagtes Land, das keinerlei Dreck am Stecken hat, im Gegenteil. Russland versucht erneut als Grossmacht im ganzen Raum zu wirken, wie es damals die Sowjetunion tat, versucht zu einem imperialistischen Unterdrückerstaat zu werden, wie das die Sowjetunion unter Chrutschow, Brechnew und Gorbatchow war. Russland hat die vier abtrünnigen Provinzen als Faustpfand benutzt, um etwas gegen den Westen in der Hand zu haben und sie bis heute nicht anerkannt, um "offene Fragen" zur Verfügung zu haben. Im Extremfall kann Russland also immer noch seine Schützlinge fallen lassen wie ein heisses Eisen.

Aber in diesem Fall hat Russland nur geantwortet, so wie es ihm zustand, nachdem 100 Mann seiner ‚Friedenstruppen’ getötet worden waren, darunter zumindest ein Teil exekutiert.

Die Bedingungen des unterschriebenen Waffenstillstands machen schon deutlich: Russland hat keinerlei Zugeständnisse gemacht. Warum sollte es auch. Kein Wort zum Status von Süd-Ossetien und Abchasien. Mit anderen Worten: Der vom Westen vogeschlagene Waffenstillstand hat die Niederlage Georgiens akzeptiert. Die Alternative wäre gewesen, Russland wäre weiter vorwärts marschiert. Weder Südossetien noch Abchasien werden je wieder Bestandteil Georgiens sein – das steht schon fest. Der Westen wird ein grosses Geschrei darum machen, aber die Separation ist nun besiegelt.

Man kann sich schon vorstellen, wie Berg-Karabach und Transnistrien darauf reagieren werden. Für Spannungen und auch bewaffnete Auseinandersetzungen in der Region wird gesorgt sein.

Das steckt im Kern auch dahinter, wenn man fragt, warum der Westen diesen Streit vom Zaum gebrochen hat. Es müssen Krisenherde geschaffen werden, die möglichen Terrorismus erzeugen, der dann wiederum zum Abbau der bürgerlichen Rechte in den westlichen Staaten dient.

Aus dieser Sicht hat Süd-Ossetien sehr viel mit Deutschland zu tun.


Veröffentlicht am 22. August 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung


Zusatz zum Artikel (1.9.08)

Habe soeben noch eine Information aus der "India Times" entdeckt, die besonders deutlich die eigentliche Rolle der Vereinigten Staaten aufdeckt:

Zitat aus

http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=2753&type=98

Botschafter M.K. Bhadrakumar, einstiger Karrierediplomat des Indian Foreign Service (IFS) [unter anderem in der Sowjetunion, Südkorea, Sri Lanka, Deutschland, Afghanistan, Pakistan, Usbekistan, Kuwait und in der Türkei], konstatiert in einem Beitrag in der «Asia Times» die Desinformation, mit der das Bush-Regime und die US-Medien hausieren gehen, und berichtet, dass "Russland bei Ausbruch der Gewalttätigkeiten versucht hatte, den Uno-Sicherheitsrat dazu zu bringen, eine Erklärung abzugeben, die von Georgien und Südossetien ein sofortiges Niederlegen der Waffen forderte. Aber Washington war nicht interessiert."

Dienstag, 19. August 2008

Hartz IV: Unter den Brücken schlafen?

Abwimmeln; nicht zahlen; nicht annehmen; Gerichtsbeschlüsse nicht durchführen; verhungern lassen

Von Karl Weiss

Das ‚Jobcenter‘ in Berlin-Neukölln hat wiederholt einer jungen Frau die Leistungen versagt, die ihr zustanden. Sie wurde praktisch verurteilt, unter den Brücken zu schlafen. Die Leitung des Jobcenters wollte dazu eine Erklärung abgeben, ließ es aber dann. Obrigkeit braucht sich nicht zu rechtfertigen, warum auch, sie ist schließlich die Obrigkeit, oder? Erst als die Polizei im ‚Jobcenter‘ auftauchte und die Pfändung durchsetzen wollte, gab man Zahlungsanweisung – sagte man jedenfalls.

Weg mit Hartz IV

Patrizia, 19 Jahre alt, war von ihrem Vater auf die Straße gesetzt worden. Nun obdachlos, versuchte sie dem Schicksal zu entgehen, unter den Brücken schlafen zu müssen. Die junge Frau ging also zum ‚Jobcenter‘ Neukölln und wollte ihren Antrag auf Sozialleistungen abgeben. Der wurde aber nicht angenommen, weil angeblich Unterlagen fehlten.

Das kennen Tausende von Hartz-IV-Verurteilten: Ständig wird in den Centers-ohne-Job versucht, die Antragsteller abzuwimmeln. Obwohl Anträge angenommen und bearbeitet werden müssten, auch wenn der Antragsteller noch weitere Unterlagen beibringen soll, wird dies nicht getan. Andauern wird man unverrichteter Dinge wieder nach Hause geschickt. Nur hatte Patrizia kein Zuhause mehr, was das „Jobcenter“ aber völlig kalt ließ.

Hunderte solcher Fälle werden nicht bekannt, weil die Menschen nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen. Patrizia fand eine Bürgerberatungsstelle, deren Vorsitzender ihr zunächst für einige Tage eine Schlafstelle besorgte. Anschließend vereinbarte er mit dem „Jobcenter“ einen Notfalltermin, eine Einrichtung, die von den „Jobcentern“ überhaupt nicht bekannt gemacht wird.

Der angebliche Notfalltermin wurde aber für drei Wochen später angesetzt!

Sarkasmus ein: „Na, da haben wir es den Arbeitslosen wieder gezeigt! Warum bringen sie sich auch nicht einfach um, anstatt der Allgemeinheit auf der Tasche zu liegen!“ – Sarkasmus aus.

Sie hatte sich inzwischen schon nach einer Wohnung umgesehen und auch eine gefunden, nur hätte das Amt die Kosten übernehmen sollen. Da man aber drei Wochen keine Zeit für sie hatte, war dann auch die Wohnung weg. Immerhin wurde ihr ein Lebensmittelgutschein über 30 Euro ausgehändigt.

Dies ist eine andere Praxis, die immer mehr um sich greift. Statt die gesetzliche Leistung auszuzahlen, gibt man den Arbeitslosen Lebensmittelgutscheine, um sie noch weiter zu demütigen. Wie 30 Euro für drei Wochen hätten reichen sollen, das weiss nur Gott – und Sarrazin natürlich.

In einem Eilverfahren entschied das Berliner Landgericht, der Antragstellerin stehen monatlich 277, 60 Euro zu. Trotz dieser Entscheidung zahlte das Amt nicht. Patrizia war verurteilt, unter den Brücken zu schlafen. Und für wie langte glaubte das Amt, dass 30 Euro reichen würden, um nicht zu verhungern?

Der Vorsitzende der Bürgerberatung erwirkte nun einen Pfändungsbeschluss gegen das Amt. Aber erst, als er mit der Pfändung und der Polizei zur Durchsetzung der Pfändung im Amt erschien, erklärte man sich schließlich bereit, den Zahlungsauftrag in den Amtsweg zur Nürnberger Bundesanstalt zu geben.

Ob er dort angekommen ist oder ob noch eine weitere Schikane kommt, weiss man noch nicht.

Hätten sich nicht mitleidige Menschen Patrizias angenommen, wäre sie sowieso schon verhungert.

Das ist die Realität, die nicht nur Schröder und Clement, sondern die ganze SPD beschloss, die Wowereit und Sarrazin umsetzen, die von den beiden ach wie so christlichen Parteien und den Grünen mit abgesegnet wurde - und natürlich auch der liberalen Partei – aber das war sowieso selbstverständlich.


Veröffentlicht am 19. August 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung


Andere Artikel zur Hartz IV im Blog:

"Dossier Hartz IV – Hindernisrennen ins Elend"

"19 Fälle – Die Realität von Hartz IV"

"Nicht genug zu essen – Hartz IV – Realität in Deutschland 2007"

"Die neuesten Hartz-Sauereien – Das Mass ist voll!"

"Hartz IV – Absurd, absurder, am absurdesten – Das Chaos war geplant!"

"Hartz IV – Berliner Zeitung schert aus dem Chor der Missbrauchsankläger aus"

"5 Millionen Arbeitslose einstellen"

"Grundversorgung von 1600 Euro käme billiger als heute."

"Arbeitslosigkeit ist zum Delikt geworden"

"Hartz IV führt in Obdachlosigkeit"

"Hartz IV–Empfänger müssen kalt duschen, im Dunkeln sitzen und Wasser trinken"

"Hartz IV: Vertreibung von Mietern"

"Hartz IV–Betroffene: Daumenschrauben anziehen!"

"Hartz-IV: Jetzt auch noch Sippenhaft"

"Hartz IV: Nieder auf die Knie!"

"Kein Anspruch auf fabrikneue Kleidung"

"Hartz IV: Der angeleinte Mensch"

"Hartz IV: Der Fall Brigitte Vallenthin"

Montag, 18. August 2008

Langzeitarbeitslose in der Pflege von Demenzkranken

Bundesagentur will Tausende „Stellen“ im Pflegedienst schaffen

Von Karl Weiss

Die Bundesagentur für Arbeit, bekannt für ihre Statistikmanipulationen, die Millionen von Arbeitslosen scheinbar spurlos verschwinden lassen, hat einen neuen Coup vorbereitet: Man will „schwer vermittelbare“ Arbeitslose als Pfleger für Demenzkranke einsetzen. Vertreter der Pflege lehnen dies strikt ab: „Der Aktionismus der Behörden ist zynisch!“

Meseberg-Tagung Bundesregierung

In der Pflege von Demenzkranken, das sind vor allem von Alzheimer Betroffene, werden die höchsten Ansprüche in den Pflegeberufen gestellt: In der Regel ist eine Ausbildung als Sozialarbeiter, Krankenpfleger oder ähnliches gefordert. Vor allem aber müssen die möglichen Kandidaten in einem Kurs von mehreren Monaten auf die schwierigen Aufgaben dieses Pflegeberufs vorbereitet werden.

Wegen ihrer Orientierungslosigkeit werden Alzheimer-Patienten schon einmal gewalttätig. Dann muss der Pfleger oder die Pflegerin mit Härte vorgehen, aber ohne selbst gewalttätig zu werden. Dabei sein psychisches Gleichgewicht zu behalten und nicht der Versuchung zu unterliegen, die Kranken als Vieh zu behandeln, verlangt über die Ausbildung hinaus extrem gefestigte Persönlichkeiten.

Alzheimer-Kranke in mittlerem und fortgeschrittenem Stadium sind nicht mehr in der Lage, die Pfleger wiederzuerkennen – ganz zu schweigen von den eigenen Familienangehörigen. Sie sehen sich deshalb in einer Welt nur von Fremden umgeben, allein gelassen und unwürdig behandelt und reagieren entsprechend.

In der Endphase der Krankheit verlieren die Patienten praktisch vollständig die Erinnerung an die einfachsten Handlungen des täglichen Lebens. Sie können nicht mehr essen oder trinken, sie können sich nicht anziehen, sich waschen oder duschen, sie wissen nicht mehr auf die Toilette zu gehen, sind aber gleichzeitig bewusst und haben einen eigenen Willen. Dabei fühlen sie sich allein und ausgesetzt, denn sie erkennen niemanden mehr wieder und sind daher völlig verzweifelt. Da kann jeder verstehen, dies führt zu Verzweiflungstaten.

Diese Patienten zu betreuen ist daher eine der schwierigsten Aufgaben in der ganzen Pflege. Gefestigte Charaktere mit guter Ausbildung verstehen es aber, den Patienten Anhaltspunkte zu geben und sie so zu beruhigen. Das bedeutet, völlig Verzweifelten noch einen kleinen Rest von Lebensqualität zu ermöglichen.

Ausgerechnet in dieser Aufgabe will nun die Bundesagentur Personen unterbringen, die selbst schon Probleme genug haben. Sie müssen seit geraumer Zeit mit Hartz IV auskommen und werden in vielen Fällen von den Behörden erniedrigt, drangsaliert und mit dem Hungertod (Streichen der Leistungen) bedroht. Erfahrungsgemäss stärkt das nicht die Persönlichkeiten, sondern macht sie selbst zu Opfern.

Die Vorstellung, wie diese Arbeitslosen mit einem Schnellkurs von nicht einmal einem Monat zu verantwortlichen Pflegern für solche Patienten werden können, ist abenteuerlich. Es werden ausdrücklich keine Erfahrungen in der Pflege verlangt. So empört sich denn auch Helmut Wallrafen-Dreisow, Mitglied des Kuratoriums Deutsche Altenhilfe: „Demenz gleichzusetzen mit basteln, vorlesen und Spazierengehen, ist eine Unverschämtheit".

Es gibt etwa 30 000 arbeitslose Altenpfleger und Altenpflegehelfer, berichtet die „Tagesschau“ und eine grosse Zahl von Lehrstellen in diesem Bereich sind nicht besetzt. Stattdessen will man dort nun Langzeitarbeitslose einsetzen.

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hat den geplanten Einsatz von Langzeitarbeitslosen in der Pflege verteidigt. Die neue Betreuung von Demenzkranken in Pflegeheimen sei ... "ein großer Schritt voran". Nur befähigte Arbeitslose würden dazu vorgesehen. Aber das ist die gleiche Beruhigungspille, die man damals bei den Ein-Euro-Jobs verteilte. Nur zusätzliche Arbeitsplätze würden besetzt, keine normalen Arbeitsplätze umgewandelt. Jeder weiss, was wirklich geschah.

Es ist charakteristisch für unsere Politikerkaste und die ihnen unterstehenden Behörden, solche Ideen in die Welt zu setzen. Am Anfang meinen viele, so wie es bei Hartz IV geschah, das sei wohl nicht ernst gemeint und werde gar nicht verwirklicht. Doch dann wurde es - und jeder vernünftige Mensch beobachtet es mit offenem Mund, wie es so etwas in einem Land geben kann, das doch gerade noch als zivilisiert angesehen wurde.

Das gleiche geschah ja mit den Ein-Euro-Jobs. Als sie am Anfang vorgeschlagen wurden, gab es viele Stimmen, die sagten, das werde nicht greifen, denn das sei ja Zwangsarbeit, es gebe sowieso nur wenige Stellen, wo dies nicht reguläre Arbeitsplätze ersetzen würde usw. Doch die Politikerkaste meint, was sie sagt. Nur die Beruhigungspillen sind Lügen. Man ersetzte Zehn-, ja Hunderttausende von regulären Arbeitsplätzen durch Ein-Euro-Jobs, ohne mit der Wimper zu zucken.

Insofern müssen wir auch anfangen ernst zu nehmen, was Frau Merkel schon vor Jahren sagte: „Denn wir haben wahrlich keinen Rechtsanspruch auf Demokratie und soziale Marktwirtschaft auf alle Ewigkeit.“ (Siehe hier).

Auch das wird man konsequent umsetzen wollen. Der angebliche Sozialstaat ist sowieso schon den Bach hinunter gegangen, jetzt kommt die angebliche Demokratie dran, d.h. der völlige Abbau aller bürgerlichen Rechte.

Dieses System muss weg!


Veröffentlicht am 18. August 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung


Zusatz zum Artikel

Was im Artikel noch fehlte war, wie schon vermutet, die lächerlich geringe Bezahlung für die Arbeitslosen in der Demenzkranken-Pflege. Hier gibt es dazu eine Ausage:

http://www.rf-news.de/rfnews/schlagzeilen#News_Item.2008-08-22.0941

21.08.08 - Merkel zu geplanten Billigpflegern: "Große Leistung"

Bundeskanzlerin Merkel lobte in der gestrigen Kabinettssitzung den geplanten Einsatz von Langzeitarbeitslosen als Pfleger von Demenzkranken in Altenheimen als eine "großartige Leistung". Die Regierung rechnet mit 10.000 Stellen, die nach dem neuen Pflegerreformgesetz mit Billigpflegern für wenige Euro die Stunde und einer "Ausbildung" von ganzen 160 Stunden besetzt werden sollen.

Sonntag, 17. August 2008

Brasilien jenseits von Fußball und Samba, Teil 8: Mata Atlântica - der atlantische Regenwald

Teil 8: Landschaften Brasiliens: Mata Atlântica - Der atlantische Regenwald

Von Elmar Getto

Nach dem Artikel über den Amazonas-Urwald im sechsten Teil der Reihe wollen wir uns nun einer weiteren tropischen Landschaft Brasiliens zuwenden, die für die Menschen in Brasilien eine weit größere Bedeutung hat: Dem Gebiet der ‚Mata Atlântica’ (Atlantischer Regenwald, Atlantik-Dschungel), einem Wunder der Natur, in dessen Bereich mehr als die Hälfte der brasilianischen Bevölkerung lebt.

Brasilien (topographisch)

Die ‚Mata Atlântica’ war zur Zeit des Beginns der Eroberung Brasiliens (schönfärberisch ‚Entdeckung’ genannt) im Jahre 1500 – und ist es in Teilen noch heute – schlicht und einfach das Habitat mit der größten Artenvielfalt, das es auf der Erde gibt. Es handelt sich um einen tropischen und subtropischen Regenwald, der sich vom Norden (heutiger Staat Ceará) bis in den Süden (heutiger Staat Santa Caterina) Brasiliens hinzog, entlang der Atlantikküste über Tausende von Km und der 50 bis 450 Kilometer in das Landesinnere hineinreicht, nach dem Amazonasgebiet die zweitgrößte Landschaft Brasiliens mit etwa 1 300 000 Quadratkilometer Ausdehnung, das entspricht 15% des brasilianischen Territoriums.

Nachdem diese Landschaft fast die ganze Küste Brasiliens einnimt, war sie die erste, die in Besitz genommen wurde von den ach so christlichen Europäern. Sie blieb bis heute das Gebiet, in dem die meisten Brasilianer leben, etwa 100 Millionen der 170 Millionen.

Die ‚Mata Atlântica’ war das, was jeden der Eindringlinge bezauberte und was sie (alle Beschreibungen stimmen darin überein) den Begriff ‚paradiesisch’ gebrauchen ließ.

Regenwald

Hören wir noch einmal, was Americo Vespucci über die Mata Atlântica schrieb:

„Einige Male steigerte ich mich hinein in den Duft der Bäume und der Blumen und den Geschmack dieser Früchte und Wurzeln, so sehr, daß ich bei mir dachte, ich sei im Paradies auf Erden. Und was soll ich sagen über die Vielfalt der Vögel, die Farbenpracht ihrer Gefieder und Gesänge, wie viele es sind und von welcher Schönheit? Ich will gar nicht weiter sprechen, denn ich befürchte, ihr werdet mir nicht glauben.“

Mit diesen und anderen Beschreibungen der Mata Atlântica und des – im wahrsten Sinne des Wortes paradiesischen – Lebens vieler Indio-Stämme, die man antraf, gelang es ihm, das Interesse Europas für den neuen Kontinent zu wecken und, ganz nebenbei, für sich den Nachruhm der Benennung eines Kontinentes mit seinem Namen zu errringen.

Wie kommt es, daß sich gerade entlang der brasilianischen Küste ein solches Wunderwerk der Natur entwickeln konnte? Es gibt hier eine Anzahl von Bedingungen, die an anderen Orten nicht angetroffen werden:

Amazonas

- Der nördliche Teil des Südatlantiks ist von einem Süd-Ost-Wind geprägt, also einem, der aus der Richtung Afrika herúberweht, der eine ausgeprägte Meeresströmung auf die ‚Spitze’ des südamerikanischen Kontinents zu verursacht. Der größte Teil der warmen Meeresströmung wird dort nach Norden abgeleitet und fließt in die Karibik und dann in den Golf von Mexiko. Dort hat die Strömung nur einen Ausweg, die schmale Öffnung von etwa 100 km zwischen Florida und Kuba, wo sie die stärkste bekannte Meereströmung bildet, den Golfstrom, der uns in Europa viel Feuchtigkeit, aber auch deutlich höhere Temperaturen beschert, als es für die geographische Höhe typisch wäre.

Der andere Teil der Strömung wird aber nach Süden abgelenkt und bringt der Ostküste Südamerikas eine warme Strömung und damit eine warme und feuchte Witterung. Auf diese Art und Weise werden die tropischen Gebiete an der Küste nach Süden weit in subtropische geographische Höhen hinein ausgedehnt.

- Zur Bildung eines Regenwaldes müssen etwa 2 000 mm Regen pro Jahr fallen (in Deutschland haben wir in etwa 500 mm pro Jahr). Für Zulieferung von Feuchtigkeit sorgen einerseits diese warme Meeresströmung und andererseits die das ganze Jahr über von Süden heranziehenden Fronten kalter Luft. Zwischen dem Südpol und der Mitte und dem Norden des südamerikanischen Kontinents gibt es keinen Riegel von Bergen, der das Fortschreiten dieser Kaltfronten aufhalten könnte. Dazu kommt, dass die Anden mit Gipfeln von über 5000 Metern Höhe einen Riegel in Nord-Süd-Richtung bilden und ein Ausweichen der Kaltfronten nach Westen verhindern, ebenso eine ins Gewicht fallende Beeinflussung durch das Wetter im Pazifik. Diese Fronten treffen auf der Höhe des ‚atlantischen Dschungels’ auf die aufgeheizten tropischen Luftmassen aus dem Inneren Südamerikas und verursachen Regen – oder besser gesagt tropische Sturzbäche.

- Während das riesige Gebiet des Amazonas-Urwaldes seinen Regen selbst erzeugt – er ist ja eine riesige ‚Maschinerie’ des Verdampfens von Wasser (der Amazonas-Regenwald verdampft pro Jahr etwa 7 'trillions of tons' Wasser) - , konnten die Reste des atlantischen Regenwaldes nur aufgrund dieser äußeren Belieferung mit Feuchtigkeit überleben, denn dieser Regenwald hat keine ausreichende Ausdehnung für einen internen Kreislauf.

Brasilien: Soja-Pflanzungen auf Regenwald-Gelände

Das bedeutet gleichzeitig, daß der Amazonas-Regenwald, wenn er erst einmal zu großen Teilen vernichtet sein wird, seinen eigenen Regen nicht mehr erzeugen kann und der Rest damit auch verschwinden wird. Das Gebiet wird versteppen und zur Wüste werden.

Regenwald-Abholzung Brasilien

- Zu den speziellen Bedingungen der Mata Atlântica gehört auch, daß das küstennahe Terrain Brasiliens über weiteste Strecken stark hügelig und gebirgig ist. Der ganze mittlere bis südliche Teil Brasiliens stellt eine riesige hügelige Platte von Granit und Gneis dar, die zum Landesinneren geneigt ist und nahe dem Meer einen Steilabfall hat, der üblicherweise zwischen Fünfhundert und Tausend Meter Höhenunterschied ausmacht. Dieser Steilabfall läßt an manchen Stellen nur noch 100 Meter und einen Strand frei, an anderen Stellen haben sich große Anschwemmgebiete gebildet, wie im Staat Rio de Janeiro, und der Steilabfall liegt bis zu 70 oder 80 km im Landesinneren. Wie überall, sind Steilabfälle in der Nähe des Meeres DIE Wolkenfänger und so garantieren die Bedingungen an diesen Hängen eine extrem häufige Nebelsituation und Luftfeuchtigkeiten von zwischen 90 und 100% das ganze Jahr über, die idealen Bedingungen, nicht nur Regenwald, sondern artenreichsten Regenwald zu bilden.

São Paulo, grösste Stadt der südlichen Hemisphere

Wenn die Bewohner des Groß-Bereichs São Paulo (immerhin etwa 20 Millionen) zum Strand wollen oder zum Hafen nach Santos, müssen sie einen dieser Steilabfälle hinunter, der in diesem Fall etwa 800 m hoch ist, wofür es heute bereits 4 mehrspurige Autobahnen gibt, zwei aufwärts und zwei abwärts. Dort ist die Nebelbildung, speziell im oberen Teil des Steilabfalles, so häufig und der Nebel manchmal so dicht, daß die Zahl der Unfälle nur mit einer Methode verringert werden konnte: Wenn der Nebel eine bestimmte Dichte überschreitet, stoppt die Polizei den Verkehr und stellt Konvoys zusammen, die – mit Polizeiautos am Anfang und Ende, in gleicher Geschwindigkeit fahren.

- Die hügelige und gebirgige Struktur der meeresnahen Bereiche des mittleren und südlichen Brasiliens sorgt auch dafür, daß die Mata Atlântica die vielfältigsten Ansichten bietet. Auf Bergkuppen ist manchmal nur Buschwerk vorhanden, an den Berghängen ist sie meist weniger dicht, weil oft Bäume umstürzen und in den Tälern bildet sich ein undurchdringlicher Dschungel aus. Die ausgesprochenen Urwaldriesen fehlen deshalb auch in ihr. Die höchsten Bäume erreichen ‚nur’ 30 bis 40 Meter an Höhe.

- Eine weitere Bedingung für die Vielfältigkeit in der Mata Atlântica ist die lange Nord-Süd-Ausdehnung. Während im Norden, im rein tropischen Gebiet, alle Pflanzen daran angepaßt sein müssen, daß keinerlei jahreszeitliche Temperaturunterschiede auftreten, gibt es im Süden einen ausgeprägten Winter und es kommt schon einmal zu Temperaturen um den Gefrierpunkt. Hier gibt es Gewächse, die im Winter für einige Wochen die Blätter abwerfen und dann im Frühling zu blühen beginnen, bevor die Blätter wieder wachsen, so wie z.B. einer der beeindruckendsten Bäume dieser Region, der Ipê, den es in einer strahlend gelb und einer pupur blühenden Form gibt.

Im Laufe der Jahrhunderte wurden 93% der ursprünglichen Tropenwaldfläche der Mata Atlâtica vernichtet, statt der ursprünglich auf 5 bis 10 Millionen Spezies geschätzten Anzahl der Arten machte sich die einzige Spezie homo sapiens sapiens breit, wobei allerdings von sapiens (‚klug’) nicht viel zu bemerken war.

Es wurde rücksichtslos abgeholzt und abgebrannt, die Indios wurden vertrieben, versklavt oder abgeschlachtet. Man begann, auf dem unfruchtbaren Boden, der nach dem Abholzen blieb, Anbauversuche zu machen und das Land schließlich brachliegen zu lassen und der Erosion preizugeben, wenn sich das als vergeblich Unterfangen erwies. Nach den ersten Versuchen wurden daraus keine Lehre gezogen. Es wurden vielmehr diese Anbauversuche Jahrhunderte (!) fortgeführt, bis fast aller Regenwald den ‚klugen Menschen’ zum Opfer gefallen war. Es gelang lediglich mit eingeführten Grassorten wenigstens eine Viehweide aufzubauen, auf der man - ebenfalls eingeführte - Rinder halten konnte, aber bis heute gibt es nur in begrenzten Gebieten eine lohnende landwirtschaftliche Betätigung auf der früheren Mata-Atlântica-Erde.

Die einzig erkennbaren Ziele der Eroberer waren persönliche und kolonialstaatliche Bereicherung und Machtgewinn, während offiziell und nach außen hin andauernd das hehre Ziel, den katholisch-christlichen Glauben zu den Indios zu bringen, als angebliche Motivation der Expeditionen wie eine Reliquie vor sich hergetragen wurde.

Würden doch sonst die armen Seelen der Indios für immer verloren sein. Als dann der Papst entschieden hatte, daß Indios keine unsterbliche Seele haben und daher - wie alle anderen ‚Tiere’ – versklavt und abgeschlachtet werden durften, war dieser Grund für die Eroberung eigentlich weggefallen. Dies tat den Aktivitäten der Kolonialisten aber keinerlei Abbruch. Sie verstärkten sie vielmehr, hauptsächlich weil sie immer noch auf der Suche nach ergiebigen Goldvorkommen waren – eine Suche, die sich nicht allzu lange danach ja als erfolgreich erwies (siehe auch den 5. Teil der Reihe: Brasilien und Gold)

Die Parallelen zur heutigen Zeit und zum Einfall der US-Truppen im Irak sind verblüffend. Hier wie dort die Macht- und Bereicherungsziele als wahre Gründe, hier wie dort die militärische Überlegenheit, hier wie dort das Vorschieben scheinbar hehrer Begründungen für die Eroberung, hier wie dort der ständig betonte christliche Hintergrund der Kommandeure der Überfallstruppen, hier wie dort eine (Schein-)Begründung, die sich als nicht haltbar erwies, was – hier wie dort – natürlich zu keinerlei Änderung der Politik führte.

Irak-Krieg 2

Hier wie dort das Foltern und brutale Abschlachten der heimischen Bevölkerung. Hier wie dort einer der wichtigsten Bodenschätze als Hauptantriebsfeder.

Obwohl mit Sicherheit seit damals viele Spezies des atlantischen Regenwalds ausgestorben sind, wahrscheinlich sogar die Mehrzahl, die nie mehr auch nur beschrieben werden können, ist auch das verbliebene kleine Areal, bestehend aus kleinen bis mittleren, unzusammenhängenden Stücken, im ganzen etwa 94.000 Quadratkilometer (etwa 7,3% der ursprünglichen Fläche), immer noch ein wahres Wunderwerk der Natur. An Zahl der vorkommenden Baum-Arten ist er weiterhin die artenreichste der Welt.

Es leben darin immer noch mehr als 10.000 Spezies von Pflanzen, davon 50% ‚endemisch’, also nur hier vorkommend. An Tieren gibt es immer noch 1.600.000 Arten, der größte Teil, wie immer, Wirbellose. 261 Arten von Säugetieren bevölkern immer noch die Restgebiete des atlantischen Regenwaldes, davon 73 endemische. Die Vögel machen noch 620 Spezies aus, davon 160 endemisch. Allein an Amphibien gibt es 260 Arten, 128 endemisch.

Vier der fünf Riesenstädte Brasiliens (São Paulo, Rio de Janeiro, Salvador und Recife/Olinda) liegen im Gebiet des atlantischen Dschungels, so wie auch alle Landeshauptstädte der Küstenländer.

Rio de Janeiro, Zuckerhut und Corcovado von Niteroi aus

So unglaublich es erscheinen mag, aber es gibt noch ein schönes Stück des ‚atlantischen Dschungels’ mitten in der Millionenstadt Rio de Janeiro, der Stadt, in der Verbrechen und Drogenhandel herrschen, wo man nächtens die Maschinenpistolen-Garben der Fraktionskämpfe hört, wo eine unterbesetzte, unterbezahlte und manchmal entmenschte Polizei ohne Aussicht auf Erfolg versucht, dem Einhalt zu gebieten oder jedenfalls dies vorzugeben – mitten in dieser Stadt hat sich ein Stück des Paradieses erhalten, heute als ‚Nationalpark Tijuca’ geschützt.

Der liegt nicht am Rande, sondern mitten in der Stadt und umfaßt eine Fläche von 37 Quadratkilometern. Die meisten Großstädte wären schon froh, wenn sie soviel Grünfläche hätten, aber ein Stück erlesensten, (fast) unberührten Regenwaldes, das ist einmalig.

Zuckerhut von der Botafogo-Bucht aus

Ein „Muß“ für jeden Besucher von Rio, wichtiger als der obligatorische Abstecher mit der Gondelbahn auf den Zuckerhut. Dort hat man Recht auf Wasserfälle, sichere Pfade durch den Urwald, Aussichtskanzeln, eine Kapelle, ein Museum, Restaurants im Urwald und den höchsten Berg Rios, mit mehr als 1000 m recht beachtlich für eine Stadt am Meer. Geführte Wanderungen vermittelt einem jedes Hotel in der Stadt, wer nicht viel laufen kann, nimmt einfach ein Taxi und sagt „Floresta da Tijuca – a cachoeira“ und schon wird man zum einem in mehreren Stufen 90 Meter hohen Wasserfall mit einem Restaurant daneben gebracht und kann auch noch ein paar Meter gehen, wenn man will. Den Taxipreis läßt man den Hotelportier für einen aushandeln. Nicht vergessen, sich ein Quittung geben zu lassen. Auf der Rückfahrt besteht man darauf, den gleichen Preis zu zahlen. Wird der Taxifahrer pampig, ruft man die Leute vom Restaurant zu Hilfe, die das Taxi gerufen haben, oder einen Brasilianer, der English spricht.

Corcovado von Botafogo aus

Auch der Brasil-Baum, der dem Land den Namen gab, ist ein Baum der Mata Atlântica. Bereits die ersten Portugiesen, die in der Nähe der heutigen Stadt Porto Seguro den Boden des neuen Kontinents betraten, fanden unter all den unbekannten Bäumen auch diesen, ihnen bekannt vorkommenden und berichteten über ihn. Wahrscheinlich wurde sogar schon ein Stück dieses Holzes mit nach Portugal genommen.

Ein Baum mit diesem Namen kam nämlich in „Hinterindien“ (Indonesien) vor und aus seinem Holz wurde der einzige gute rote Textilfarbstoff der damaligen Zeit gewonnen. Sein Holz wurde mit etwa einem Zehntel des Preises von Gold bezahlt. Tatsächlich erwies sich das brasilianische Brasil-Holz auch hierfür als geeignet. So begann Portugal, aus Mangel anderer wertvoller Stoffe, Brasilholz aus der neuen Kolonie abzutransportieren. Bereits etwa 100 Jahre nach dem Beginn der Eroberung meldeten die Expeditionen, daß alle küstennahen Brasilbäume bereits abgeholzt waren und man sich weit ins Landesinnere vorwagen mußte, um noch einige zu finden.

Im Grunde waren sich die Menschen der damaligen Zeit schon im klaren darüber, was sie taten, wenn sie den atlantischen Regenwald abbrannten und abholzten. Zumindest gab es aufgeklärte Personen, die darauf aufmerksam machten.

Im National-Museum der Schönen Künste in Rio de Janeiro kann man ein Gemälde aus dem Jahre 1843 des französisch-brasilianischen Malers Félix Emile Taunay, der seit 1816 in Brasilien lebte, bewundern (oder jedenfalls ansehen) mit dem Titel: „Ansicht eines unberührten Waldes, der zu Kohle verwandelt wird“. Auf der rechten Seite des Bildes die fein künstlerisch ausgeführte Ansicht eines Stückes ‚Mata Atlântica’, auf der linken Seite des Bildes ein Abhang, an dem der ganze Wald bereits abgeholzt ist, das Holz als Brennholz aufgestapelt ist und die verbliebenen Stümpfe niedergebrannt werden. Die Anklage des Bildes ist beeindruckend und frappierend, wenn man bedenkt, daß die erste größere ‚grüne’ Bewegung zu diesem Zeitpunkt noch etwa 130 Jahre brauchen würde, um in der Geschichte aufzutauchen.

Der Künstler hatte eine enge Verbindung mit der Philosophie, die in Deutsch „Aufklärung“ genannt wird und in unmittelbarem Zusammenhang mit der französischen Revolution steht. Sein Vater, der berühmte neo-klassizistische Maler Nicolas Antoine Taunay („der David der kleinen Formate“), überlebte die bewegtesten Jahre der französischen Revolution in einem Haus auf dem Lande, das er Jean Jaques Rousseau („Zurück zur Natur!“) abgekauft hatte. Dort wurde Félix auch geboren. Mit der ganzen Familie übersiedelte Nicolas Taunay 1816, nach der Niederlage Napoleos, nach Brasilien, weil Anhänger des Korsen in diesem Moment in Frankreich schwierige Zeiten erlebten – und Taunay konnte seine Bewunderung für Napoleon nicht abstreiten, denn er hatte ihn in vielen Gemälden verherrlicht. Gleichzeitig fühlte der portugiesische Hof, der (vor Napoleon!) nach Brasilien geflüchtet war, die Abwesenheit von ein wenig Kultur und lud französische Künstler ein, nach Brasilien zu kommen (die sogenannte „französische Mission“).

Nicolas Taunay legte sich in Rio de Janeiro ein Stück Land mit einem Haus zu, das exakt in dem oben beschriebenen unversehrten Teil des atlantischen Regenwalds gelegen war, und zwar genau das Stück mit dem Wasserfall, neben dem heute (anstelle des damaligen Hauses der Taunays) ein Restaurant steht, das oben den weniger gut zu Fuß befindlichen Touristen empfohlen wurde. Wenn man dort heute ankommt, wird man noch mit einem Parkplatzschild an den Namen der früheren Besitzer des Ortes erinnert: „Estacionamento Taunay“. Dort wohnte lange Jahre auch sein Sohn Félix, auch nachdem Vater und Mutter Taunay im Jahre 1821 nach Frankreich zurückgekehrt waren. Félix Taunay hatte also in mehrer Hinsicht ein spezielles Verhältnis zu diesem reichen Urwald und so verwundert uns sein Eintreten für ihn mit einem dramatischen Gemälde nicht.

Es gibt umfangreiche Möglichkeiten für den Touristen, den atlantischen Dschungel kennenzulernen, neben den oben schon beschriebenen innerhalb von Rio de Janeiro. Der einfachste Fall ist der, einfach im Auto von São Paulo an die Strände zu fahren – da kommt man automatisch durch den Regenwald am Abhang zum Meer. Es gibt aber auch Trekking-Touren, die man schon in Deutschland buchen kann oder auch direkt in Brasilien. Sie gehen vor allem durch das noch recht ansehnliche übriggebliebene Stück an der Grenze zwischen den Staaten São Paulo und Paraná und an der Küste von Paraná.

Ein Spektakel für jeden ist die Eisenbahnfahrt mit der Bahn von Curitiba (Hauptstadt des Bundestaates Paraná, südlich von São Paulo) nach Paranaguá am Meer, die den dortigen Steilabfall durch den Regenwald hinunter führt.

Wer es etwas beschaulicher haben will, kann einfach einen Strandurlaub in Ubatuba machen (Bundesstaat São Paulo), drei Autostunden von São Paulo, wo man noch für Preise in einer Pension (Pousada) unterkommen kann, die dem mit schweren Euro Angereisten auch fast noch paradiesisch vorkommen. Mit einem Leihauto unterwegs (der internationale Führerschein wird anerkannt, Leihauto ist auch billig) kann man von dort Strände in Richtung Parati besuchen, hinter denen unmittelbar der Regenwald beginnt und kann auch ein wenig hineingehen, wenn man will. Noch schöner sind Bootsausflüge (man bucht ein eigenes Boot mit Führer oder schreibt sich für einen Ausflug mit einem größeren Segelschiff ein), die einen zu Stränden bringen, die nur von See zugänglich sind. Man kann auch noch an ein paar Korallenriffen halten, falls jemand schnorcheln will.

Das schönste von allem aber, was die Mata Atlântica zu bieten hat, sind die Iguaçu-Wasserfälle. Über die soll später noch berichtet werden.


Heute also der 8. Teil der Brasilien-Reihe von Elmar Getto, hier vom Autor leicht redigiert. Diesmal geht es um die "Mata Atlântica".


Hier die Links zu allen Teilen der Reihe „Brasilien jenseits von Fussball und Samba“

- Teil 1: „Wie der Amazonas zu seinem Namen kam“

- Teil 2: ‚Menschenfresser-Country’

- Teil 3: „Ausgerottete Künstler“

- Teil 4: Niemeyer ist 100 – ‚Auf dem Höhepunkt des Schaffens’

- Teil 5: Brasilien und Gold

- Teil 6: Die Landschaften Brasiliens – Der Amazonas-Regenwald

- Teil 7: Brasilien und der Strom

- Teil 8: Die Landschaften Brasiliens – Mata Atlântica

- Teil 9: Santos Dumont und der erste Motorflug

- Teil 10: SIVAM – Big Brother in Amazonien

- Teil 11: Sprit aus nachwachsenden Rohstoffen

- Teil 12: Regenwaldvernichtung und Trockenheit im Amazonasgebiet

- Teil 13: Wie unsere Zukunft in der beginnenden kapitalistischen Barbarei aussähe – „Ich habe kein Leben“

Samstag, 16. August 2008

Wie lang und wie dick soll ein Phallus sein?

Ergebnisse einer Studie

Von Karl Weiss

Originalveröffentlichung

Für Männer immer ein Thema, aber auch für Frauen: Die Grösse des (menschlichen) Penis oder eigentlich in Wirklichkeit des Phallus, also des erigierten männlichen Gliedes. Eine Studie aus den USA mit einer grossen Zahl von Frauen hat diese dazu Aussagen machen lassen. Um es kurz zu machen: Eine recht grosse Spannweite von dünn zu dick und kurz zu lang führt bei den Antworten zum Resultat „zufriedenstellend“. Wenn es allerdings um die Frage „ideal“ geht, dann soll die Länge zwischen 17,8 und 20,9 cm betragen und die Dicke (Umfang an der dicksten Stelle) zwischen 15,9 und 16,5 cm.

Penis Size

Anscheinend wurde der Test mit Gummi- oder Plastik-Phallen durchgeführt, die man den Frauen zur Verfügung stellte und die sie in folgende Kategorien einteilen sollten:

- „ideal“
- „sehr angenehm, aber nicht ideal“
- „angenehm“
- „zufriedenstellend“
- „nicht zufriedenstellend“ (zu kurz, zu lang, zu dick, zu dünn)

Insgesamt fällt am Ergebnis auf: Bei der Länge ist die Breite der Akzeptanz als mindestens „zufriedenstellend“ bei den Frauen viel grösser als bei der Dicke bzw. Dünne.

Der Bereich der „zufriedenstellenden“ Phallus-Längen geht von 5 bis 11 inches, also von 12,7 cm bis 27,9 cm.

Dagegen ist der Bereich „zufriedenstellenden“ Phallus-Umfänge viel enger, nämlich von 4, 5 bis 7,25 inches, also von 11,4 cm bis 18,4 cm.

Riesen-Glieder von mehr als 28 cm Länge und/oder 18,4 cm Umfang werden also von Frauen keineswegs als angenehm empfunden. Das hängt meist unmittelbar mit Schmerzen zusammen, die da verursacht werden oder drohen. Alles, was unter 12,7 cm lang und/oder 11,4 cm umfänglich ist, gibt nicht genügend Fülle/Reibung und wird daher als nicht ausreichend angesehen.

Geht man nun zur nächsten Kategorie, jener der „angenehmen“ Ausmasse, so engt sich der Bereich bei beiden Masse bereits deutlich ein: Als „angenehm“ wird eine Länge von 5,5 bis 10 inches eingestuft, also von 14 cm bis 25 cm. Bei der Dicke geht es von 5,25 bis 7 inches, also von 13,5 cm bis 18 cm.

Im Gegensatz zu dem, was vielleicht Männer meinen, wird also ein extrem langer Phallus von den Frauen weniger gut beurteilt als ein immer noch langer, aber eben nicht so gigantischer.

Das gleiche gilt auch für die Dicke: Sehr dicke Phallen werden weniger gut beurteilt als immer noch, aber eben weniger extrem dicke.

Gehen wir nun zur zweitbesten Beurteilung: „sehr angenehm, aber nicht ideal“. In diese Kategorie fällt nach dieser Studie der Schwanz mit einer Länge von 6 bis 9 inches, also von 15,2 bis 22,8 cm und mit einem Umfang von 5,75 inches bis 6,75 inches, also von 14,6 cm bis 17,1 cm.

Schliesslich und endlich: Die höchste Kategorie „ideal“: Die „idealen“ Phallen liegen im Längenbereich von 7 bis 8,25 inches, also von 17,8 bis 20,9 cm und im Umfang zwischen 6,25 und 6,5 inches, also von 15,9 bis 16,5 cm.

Die Männer können sich also beruhigen. Auch ein typischerweise mit 12,7 cm als kurz empfundener Phallus wird von den Frauen noch als zufriedenstellend empfunden, ebenso wie ein üblicherweise für etwas dünn gehaltener mit 11,4 cm Umfang – und das, wenn Frauen ausschliesslich nach diesem Punkt befragt werden, was ja nicht realistisch ist, denn keine Frau wird einen Mann ausschliesslich nach diesem Kriterium beurteilen.

Ebenso kann man sich den Unsinn von Porno-Fotos und -Videos abschminken, in denen Monsterexemplare gezeigt werden und Frauen, die darauf wild seien. Nichts davon ist wahr. Ab bestimmten Super-Längen und Dicken wird die Beurteilung der Frauen in Wirklichkeit bereits schlechter, um dann bei mehr als 28 cm Länge und 18,4 cm Umfang in offene Ablehnung umzuschlagen.

Wir „normalen Durchschnittsmänner“ mit einem Ding im Bereich von zwischen etwa 13 und 17 cm Länge (das seien etwa 75% der gemessenen Längen) und von etwa 11,5 bis 14,5 cm Umfang (wiederum etwa 75%) sind absolut im Bereich, den die Frauen bevorzugen, in der Länge ragt das sogar weit in den Bereich „fast ideal“. Auch wenn die Frauen einen etwas dickeren als diese Standardmasse bevorzugen, sind wir immer noch im fast idealen, „angenehmen“ oder "zufriedenstellenden" Bereich.

Und, wer tatsächlich so ein Ding auszuweisen hat, das bei um die 18 oder 19 cm Länge und/oder um die 16,5 cm Umfang aufzuweisen hat, ist damit der Erfolg bei den Frauen garantiert? Natürlich nicht! Die eine, in die man sich bis über beide Ohren verliebt hat, wird ihn vielmehr wohl gar nicht zu sehen bekommen, denn sie erwiedert die Gefühle nicht und sieht keinen Grund, mit dem „well hung“ ins Bett zu gehen.

Andererseits, es hilft in manchen Fällen sicherlich, als kleine Zugabe auch noch ein Ding im Idealbereich zu haben.

Im übrigen hat es sich schon herumgesprochen, ein Paar kann sich auch prächtig und ausführlich vergnügen, ohne dazu überhaupt ein erigiertes Glied zu brauchen.


Wikipedia - Eregierter Penis 1
Kleiner bis mittlerer Penis, erigiert

Wikipedia Commons - Penis mit Skala
Penis, schlaff und erigiert, mit Skala

Wikipedia Commons - Erektion
Grosser Penis, erigiert

Zur Klarstellung ein Kommentar zu diesen Penis-Bildern

Ich bin mir bewusst, nicht alle meine Leser halten es für angebracht, solche Bilder im Blog zu veröffentlichen, manche mögen sogar empört sein.

Ich meine aber, sehr starke Argument zu haben, diese Bilder hier einzustellen:

1. In diesem Fall gehört es zum Thema. Dies ist u.a. auch ein Bilder-Blog. Ich bemühe mich, zu (fast) allen Themen Illustrationen zu bringen. Warum sollte ich nur hier damit aufhören?

2. Die Bilder stehen sowieso schon im Blog, sind also hier nichts Neues.

3. Ich habe diese Bilder ursprünglich ins Blog gestellt, weil ich dokumentieren wollte, welche Bilder - in diesem Fall in wikipedia und wkipedia-commons - im Internet frei und ohne jede Einschränkung zur Verfügung stehen, auch eventuell für Kinder. Ich stelle also hier nichts ins Internet, was da nicht längst steht - ohne jede Altersbeschränkung oder Vorwarnung.

4. Dem Argument, ich würde es unter Umständen für Kinder erleichtern, an solche Bilder zu kommen, kann ich entgegenhalten: Von der Thematik her ist mein Blog für Kinder nicht interessant. Dagegen braucht man nicht besonders helle zu sein, noch besonders erwachsen, um in wikipeda nachzusehen, wenn man etwas erfahren will.

5. Was Fragen des Geschmacks angeht, so kann man darüber streiten. Ich vertrete die Meinung, kein Teil des menschlichen Körpers kann uns fremd sein, kann hässlich an sich sein, kann "böse" sein oder muss unbedingt verborgen werden. Ich halte solche Meinungen sogar für schädlich: Wenn Geschlechtsteile mit einem Tabu belegt sind - und speziell der erigierte Penis - was sagt man damit über unsere Sexualität aus? Dass sie schlecht sei, böse, unschamhaft, unkeusch usw. Das ist für mich nicht akzeptabel.

Auch das manchmal vorgebrachte Argument von "unappetitlich" ist nicht zu halten. Millionen von Frauen (natürlich auch Männer) nehmen täglich auf dieser Erde ein solches Ding in den Mund und lecken und lutschen es ausführlich. Das soll unappetitlich sein?

6. Soweit die Ablehnung solcher Fotos im Blog auf religiösen Anschauungen beruht, will ich dem nicht entgegentreten. Niemand ist gezwungen, dies Blog zu lesen, diese Bilder anzusehen, meine Meinung zu teilen. Aber Religion ist und bleibt Privatsache.

Karl Weiss


Zusatz zum Artikel

Dieser Artikel wurde u.a. im "gegenhundforum" diskutiert, hier. Dort fand ich eine ergänzende Meinung von einer Frau. Auch wenn sie meint, ich sei frustriert und der Artikel Scheisse, so bestätigt sie doch eigentlich aus weiblicher Sicht den Inhalt. Ich will also meinen Lesern ihre Meinung nicht vorenthalten, auch wenn ich da nicht gut wegkomme:

"Der Typ ist frustriert und schreibt Scheisse. Mösen sind so unterschiedlich wie Augen, Nasen oder Titten. Oder eben Schwänze. Totaler Bullshit da sone Spastierhebung für nen allgemeinen Schwanzwunsch her zu fantasieren.

Für mich:
Ein Penis muss physisch 3 Dinge erfüllen.

Länge
a) rischtisch krass an meinen G-Punkt stoßen
b) auf keinen Fall an meine Gebärmutterpforte klopfen

Breite
c) mich breitentechnisch ausfüllen, ich will ja das Gefühl haben, gefickt und nicht gekitzelt zu werden

Ich hab schon mit Typen gepennt, da wäre ernsthaft jeder Ponyhengst neidisch geworden. Ist auch ganz geil, aber ganz rein geht natürlich nicht. Mit Minipischies habe ich es ebenfalls zu tun gehabt, das ist nichts für mich. Ich brauch schon nen rischtijen Schwanz. Sonst mach ich das lieber selber. Aber ich bin beim Sex auch sehr Zielorientiert. Guter Sex ist dauert bis die Wellen des Orgasmus wieder abgeklungen sind. Idealerweise ist er dann auch gekommen, sonst penn ich eben so ein."


Karl Weiss

Dienstag, 12. August 2008

Brasilien: Die Insel der Glückseligen?

Kommt aus Brasilien der Todesstoss für die Menschheit?

Von Karl Weiss

Während sich in vielen Ländern die Hiobsbotschaften überschlagen, die Industrieumsätze schrumpfen, der Konsum zusammenschrumpelt, die Arbeitslosigkeit ausbreitet, die Immobilienpreise zusammenfallen und gleichzeitig massive Preiserhöhungen bei Lebensmitteln und bei der Energie die Bürger kasteien, scheint Brasilien so etwas wie die Insel der Glückseligen zu sein.

Brasilien (topographisch)

Ein kräftiges Wirtschaftswachstum, das höchste seit drei Jahrzehnten, wird vom privaten und industriellen Inlandskonsum getragen, der wiederum auf einem deutlich gesteigerten Kreditvolumen beruht. Die Immobilienpreise steigen, der Autoabsatz boomt, die Lebensmittelpreissteigerungen sind geringer als anderswo und Benzin und Alkohol als Kraftstoffe sind kaum im Preis gestiegen.

Die International Herald Tribune schreibt in einem Artikel auf der Titelseite über Brasilien, das Land habe "überbordende Hoffnungen".

Tatsächlich sinkt die Zahl der Armen und der im Elend lebenden in Brasilien, nicht gewaltig, aber sie sinkt. Die expandierende Wirtschaft braucht mehr Arbeitskräfte, offizielle und inoffizielle Arbeitsplätze öffnen sich.

Der offizielle Mindestlohn, der allerdings keineswegs überall gezahlt wird, wurde drei Jahre in Folge deutlich über der Inflation erhöht und hat heute mit 415 Reais (etwa 170 Euro) den höchsten Stand in der Geschichte erreicht (in Dollar umgerechnet).

Bush und Lula in Brasilien

Präsident Lulas Anti-Hunger-Programm „Bolsa familia“ (Familien-Stipendium) funktioniert für Millionen im Land, wenn auch nicht überall. Pro Kopf erhält die arme Familie 60 Reais (etwa 20 bis 25 Euro) pro Monat. Das bekämpft den Hunger in deutlichem Masse, jedenfalls dort, wo das Geld bei den Bedürftigen ankommt. Lulas Popularität ist ungebrochen.

Der Real hat den höchsten Stand gegenüber dem Dollar seit der Mega-Abwertung unter Präsident Cardoso im Januar 1999 ereicht. Das bremst zwar die Exporte, aber die brechen trotzdem weiterhin Rekorde. Auf der anderen Seite verhindert das aber auch eine Inflation durch die stark gestiegenen Importe. Die hohe wirtschaftliche Aktivität erfordert deutliche Ausweitungs-Investitionen, die viel Geld kosten und zum grossem Teil importiert werden müssen. So verdoppelt zum Beispiel im Moment Fiat die Kapazität seiner Autofabrik im Grossraum Belo Horizonte annähernd, siehe hier. Das erfordert auch massive Investitionen bei hunderten von Zulieferern. Viele von diesen Maschinen- und Ausrüstungsinvestitionen gehen an deutsche Firmen.

Neben dem Mindestlohn und der ‚bolsa familia’ hat vor allem eine erleichterte Kreditvergabe zum Anstieg des Konsums beigetragen. In Brasilien waren bezahlbare Kreditkonditionen seit Jahrzehnten selten bis gar nicht zu haben. Der offizielle Zentralbank-Zinssatz, also der, zu dem sich die Banken refinanzieren können – der in den USA im Moment bei 2% liegt und in der EU zwischen drei und vier Prozent – ist in Brasilien momentan auf annähernd 13% festgelegt, der höchste Satz in der Welt.

Für Konsumentenkredite von den Banken ergibt das Werte von 25 bis 50 % Zinsen jährlich, da kann sich jeder ausrechnen, wie schwierig da jede Anschaffung wird. Muss man sein Konto überziehen oder seine Kreditkartenrechnung auf mehrere Monate verteilen, zahlt man bis zu 150% Zinsen!

Zuckerhut von der Botafogo-Bucht aus

Allerdings gibt es vom Staat gesponsorte Hypothekenkredite für Häuslebauer und Käufer von Eigentumswohnungen. Da kommt man auf etwa 13 % jährlich. Diese Kredite waren aber bisher mit relativ kurzen Laufzeiten versehen.

Nun haben die Banken in letzter Zeit begonen, diese Laufzeiten zu verlängern. Damit wurde die Bautätigkeit deutlich belebt, denn im Endeffekt kommt es ja für den Konsumenten auf die Höhe der Monatsraten an. Gleichzeitig zogen auch die Immobilienpreise an. Ein Bekannter des Berichterstatters konnte eine Eigentumswohnung, die er vor zwei Jahren für 80 000 Reais erstanden hatte, nach eineinhalb Jahren für 113 000 Reais verkaufen.

Es werden in beträchtlichem Masse einfache und kleine Eigentumswohnungen gebaut. Man stelle sich vor, hier in Belo Horizonte hat ein Bauträger 3-Zimmer-Winzwohnungen in ungünstiger Lage für eine Monatsrate von 99 Reais angeboten (etwa 40 Euro). Wer will da noch in Miete leben?

Auch die Autofirmen haben sich billigeres Geld im Ausland beschafft und boten den Käufern von Neuwagen Kredite an, die ebenfalls auf etwa 13% Zinsen im Jahr hinauslaufen. Auch die Banken der Autofirmen bzw. jene, mit denen diese zusammenarbeiten, sind vor zwei Jahren auf die Idee gekommen, die Laufzeiten für Autokredite, die nie mehr als drei Jahre betrugen, auf vier, fünf, sechs und sogar sieben Jahre auszuweiten.



Das senkt die Monatsraten und führte zu einem Boom von Autokäufen, was die ganze Wirtschaft ankurbelte. Ein anderer Bekannter des Berichterstatters konnte daher auch einen neuen VW Gol kaufen und die Raten auf 5 Jahre verteilen, siehe diesen Artikel dazu.

Auch die Einzelhandelsfirmen, die Elektro-Elektronik-Artikel verkaufen, erleichterten das Kaufen auf Pump: Wer eine Kreditkarte hat – und damit als relativ solide gilt – kann in der Regel den Kaufpreis auf 12 Monate verteilen, wobei die Zinsen bereits im Verkaufspreis eingerechnet sind. „Alles in zwölf mal ohne Zinsen auf Karte“ ist der Werbespruch der Aktualität in Brasilien. Auch das führte zu einem Absatz-Anstieg, z. B von Fernsehern mit grösserem Bildschirm oder LCD-Fernsehern, von Foto-Handys, von Laptops usw., aber auch Kabelfernsehanschluss, Internet-Breitbandanschluss und ähnliches können sich jetzt mehr leisten. Manche Familien können sich zum ersten Mal eine Waschmaschine kaufen. Die Kreditmenge in Brasilien, die vorher weit unter den Werten anderer Länder lag, hat sich mehr als vervierfacht.

Da aber auch die Zahl der Arbeitsplätze gestiegen ist und in einigen Branchen echte Lohnerhöhungen vereinbart wurden – wie auch im Staatsdienst nach langen Jahren wieder -, hat dieses gestiegene Kreditvolumen – bisher jedenfalls – noch nicht dazu geführt, dass der Prozentsatz geplatzter Kredite angestiegen wäre.

Während also andere Länder in die Wirtschaftskrise rutschen oder schon drin sind, scheint sich Brasilien am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen – auch die Wachstumsrate von Indien beruht auf internem Konsum, nur in untergeordneter Weise auf Exporten. Das funktioniert natürlich nur, wenn ein grosser Nachholbedarf entsteht, so wie auch beim deutschen Wirtschaftswunder in den 50er- und 60er Jahren. Der USA steht dieses Mittel nicht zur Verfügung, denn dort war bereits ein wesentlicher Teil der Bevölkerung auf einem hohem Niveau des Konsums.

Die Lebensmittelpreiserhöhungen kamen auch in Brasilien an, aber in deutlich geringerem Masse als in anderen Ländern, weil man nur begrenzt Lebensmittel einführt, sondern den grössten Teil im eigenen Land herstellt.

Treibstoffpreise Brasilien
Treibstoffpreise Brasilien Juli 08
Hier der Vergleich der Treibstoffpreise an der gleichen Tankstelle (eine der billigen freien). Im oberen Bild aufgenommen im Juli 2007, im unteren im Juli 2008. Man sieht, die Preise für Benzin (Gasolina) und Alkohol (Álcool) sind im gleichen Bereich (stiegen jetzt im August auch etwas), nur der Dieselpreis hat sich drastisch erhöht. Zum Vergleich: Die Preise aus 2007, die heute in etwa wieder die gleichen sind, ergeben umgerechnet 0,88 Euro für Benzin und 0,54 Euro für Alkohol (Die Bezeichnung comum heisst "normal")

Auch die Benzinpreissteigerungen sind hier nicht oder jedenfalls weit geringer angekommen als in anderen Ländern. Das hat einen einfachen Grund: Hier herrschen nicht die Ölmultis, sondern die halbstaatliche Petrobras, in der immer noch die Regierung das sagen hat. Lula liess die Petrobras seit 2005 keine Benzinpreiserhöhungen mehr durchführen bzw. konterkarierte Erhöhungen mit Steuersenkungen und so scheint in dieser Hinsicht wirklich eine Art von Insel der Glückseligen zu bestehen. Die Alkoholpreise müssen sich an den Benzinpreisen orientieren, sonst wechseln die Leute wieder zurück zum Benzin, steigen also auch nicht. Die Autos, die sich heute verkaufen, sind durchweg "flex", d.h. sie vertragen Benzin und Alkohol und jede Mischung davon.

Allerdings: Dies gilt gilt nicht für Diesel. Das ist, so wie in anderen Ländern, teurer geworden, und zwar kräftig. Allerdings gibt es in Brasilien keine Pkw mit Dieselmotor. Durch die Diesel-Preiserhöhungen wird aber der ganze Transport teurer (es gibt ja fast keine Eisenbahnen) und die Inflation angeheizt.

Indien und Brasilien haben gute Chancen, relativ ungerupft aus der Weltwirtschaftskrise hervorzugehen, während China wohl deutlich von ihr betroffen sein wird, denn seine Exporte werden schwere Einbrüche erleben und die Dollarreserven werden an Wert verlieren.

In Brasilien gibt es aber noch weitere günstige Umstände: Es ist das Land mit den grössten Eisenerz-Exporten und Eisenerz ist in den letzten Jahren über 150% im Preis gestiegen. In Zukunft wird aber Stahl und Stahlhalbzeug einen ständig steigenden Teil des Exports ausmachen.

Es sind nämlich riesige Stahlwerke im Bau in Brasilien: Hier im Bundeststaat Minas Gerais ist es das Stahlwerk Usiminas, das noch in brasilianischem Streubesitz ist, das seine Kapazität fast verdoppeln wird, während im Staat Rio de Janeiro gleich hinter der Rio-Stadtgrenze unmittelbar nebeneinander im Hafen von Sepetiba zwei neue Stahlwerke gebaut werden, jedes von ihnen mit Investitionen im Endausbau von etwa 9 Milliarden Dollar, eines von der deutschen Thyssen-Krupp, das andere von der einheimischen CSN. Beide werden im Endausbau an die 10 000 Menschen beschäftigen.

Diese beiden zukünftigen Verbraucher von Eisenerz sind so gewaltig, dass man im Moment ernsthaft erwägt, ein Förderband von etwa 450 km Länge von hier aus der Region Belo Horizonte, wo die grossen Eisenerzlager sind, zur Küste nach Rio de Janeiro zu bauen.

Der zweite Rohstoff, den man zur Stahlherstellung braucht, die Kohle, wird dort direkt von Schiffen aus dem billigsten Anbieterland angeliefert.

Logo Petrobras

Aber das ist noch nicht alles: Zusätzlich hat die halbstaatliche brasilianische Ölgesellschaft Petrobras vor der brasilianischen Küste bedeutende Felder von Erdgas und Erdöl gefunden, die allerdings unter mehreren tausend Metern Wassertiefe und zusätzlich weiteren Tausenden von Metern Gestein liegen, siehe hierzu auch diesen Artikel.

Erdöl 1

Ein wesentlicher Teil dieses Öls und Gases wird bis etwa 2015, 2020 gefördert werden können, dazu auch das Öl aus einem kleineren Feld in flacherem Wasser, das aber eine hochbezahlte leichte Sorte ist. Diese Funde liegen im wesentlichen im Meer vor der Küste von Rio de Janeiro.

Wenn Rio sich demnächst um die Olympischen Spiele 2016 bewerben wird – und das hat man ernsthaft vor -, dann wird für jenes Jahr eine vollkommen verschiedene Stadt Kandidat sein als jenes Rio de Janeiro, in dem der Berichterstatter in den ersten Jahren des Jahrtausends lebte. Statt der Welthauptstadt der Kriminalität und des Sex-Tourismus, blendend schön, aber auch abgrundtief hässlich, wird sich dann eine der grossen Weltmetropolen des Erdöls und der Stahlindstrie präsentieren.

Rio de Janeiro, Zuckerhut und Corcovado von Niteroi aus

Brasilien wird dann ein beachtlicher Spieler im Karussel der Ölhersteller und –exporteure sein. Neben den beträchtlichen Einnahmen aus dem Verkauf von Eisenerz, Stahl und Stahlhalbzeug wird man dann auch jene aus dem Verkauf von Erdgas, Rohöl und dessen Produkten haben, ähnlich dem heutigen Russland.
In Planung sind auch zwei riesige neue Raffinerien zur Verarbeitung des Ölreichtums.

Doch das Wort von der Insel der Glückseligen ist trotzdem nicht angebracht. Brasilien hat alle jene hässlichen und unangenehmen Seiten nicht verloren, die einen hier oft fast verzweifeln lassen. Es ist weiterhin ein Land der extremen Ungleichheiten, denn die Reichen und Superreichen profitieren von diesem Boom natürlich weit stärker als das einfache Volk, ist weiterhin das Land der korrupten Politiker, ist weiterhin nicht einmal ansatzweise eine Demokratie, sondern wird von einer korrupten Oligarchie regiert, hat weiterhin kein akzeptables Fernsehprogramm (das hat es mit Deutschland gemein), die Löhne sind weiterhin zu niedrig, das Gesundheitswesen ist weiterhin ein einziges Desaster, die Polizei ist genau so gefährlich wie die Kriminellen, das Schul-, Hochschul- und Erziehungssystem ist katastrophal schlecht – und das zunehmend -, auch wenn es dort gute Nischen gibt, die Lehrer werden weiter bezahlt, dass es eine Schande ist, das Justizsystem ist eine Lachplatte, in den ländlichen Bereichen herrschen weiterhin die Grossgrundbesitzer wie Götter, werden Kleinbauern vertrieben, wird beliebig gemordet und das Land gestohlen.

Weiterhin ist Brasilien eine Doppelherrschaft der Regierung einerseits und von Verbrecherbanden und kriminellen Organisationen auf der anderen, die ganze Gebiete beherrschen, vor allem in den Grossstädten und die Regierung zu Vereinbarungen und Stillhalteabkommen zu zwingen verstehen.

Regenwald-Abholzung Brasilien

Vor allem aber vernichtet Brasilien den Amazonas-Regenwald, ungebremst und sogar zunehmend, ohne dass irgendwelche ernsthaften Massnahmen dagegen unternommen werden, weil die Politik nichts unternehmen will, auch gar nicht kann, denn sie kann nicht gegen die Oligarchie regieren. Die müsste zuerst abgelöst werden, aber das will die Politik nicht, im Gegenteil, die Politik ist eben gerade im wesentlichen die Oligarchie.

Brasilien: Soja-Pflanzungen auf Regenwald-Gelände

Diese Regenwaldvernichtung wird, wenn sie nicht gebremst wird, in absehbarer Zeit zur Versteppung oder sogar Verwüstung des ganzen Amazonasgebietes führen und dies wird die bereits beginnende Klimakatastrophe so beschleunigen, dass es kein zurück mehr geben wird. Das Ende der Menschheit, wie wir sie kennen, wird dann abzusehen sein.

Globale Erwärmung

So kann es sein, dass gerade die scheinbare „Insel der Glückseligen“ den entscheidenden Anstoss zum Ende der Menschheit gibt, wie wir sie kennen. Es wird höchste Zeit, dass wir diesem System den Garaus machen!


Veröffentlicht am 12. August 2008 in der Berliner Umschau


Originalveröffentlichung

Montag, 11. August 2008

Kriege sind angesagt – Pandoras Büchse wurde geöffnet

Zum Ossetien-Krieg

Von Karl Weiss

Wen der Ausbruch des Ossetien-Krieges überrascht hat, der hat die Geschehnisse im Osten und Süden Europas nicht verfolgt. Man hätte vielmehr Wetten darauf abschließen können, es würde hier bald krachen, sei es Ossetien, sei es Berg-Karabach, Transnistrien oder Abchasien oder andere Konflikte, die vom „Westen“ und von Russland bewusst am Köcheln gehalten werden, um Vorwände zu Kriegen zu haben.

Gebäude in Gori nach russischem Luftangriff

Liest man „westliche“ Medien, so hat Russland Georgien überfallen. Hier Originalton „Süddeutsche“: „Russland will Krieg (...) schickt Panzer und Luftlandetruppen, es bombardiert, (...) Das ist eine geradezu freche Verhöhnung des kleinen und militärisch weit unterlegenen Nachbarn, die ihre Steigerung erfährt mit der Bombardierung georgischer Infrastruktur jenseits des süd-ossetischen Gebietes. Russland sucht eine frontale Konfrontation mit Georgien. Die russische Zielstrebigkeit, auch zu sehen an den Bombardements in der Zwillings-Konfliktzone Abchasien, deutet darauf hin, dass Moskau auf die Gelegenheit gewartet hat, seinen Machtanspruch in der Region militärisch zu demonstrieren."

Das ist wirklich eine geradezu freche Verhöhnung der Intelligenz des deutschen Lesers. So frech zu lügen – und noch im Ton der Empörung, das ist schon fast gekonnt – aber in jedem Krieg ist die Wahrheit eben das erste Opfer. Um zum Opfer zu werden, hätte sie vorher allerdings am Leben zu sein – und das kann man bei der „Süddeutschen“ nun wirklich nicht sagen.

Der gleiche Kommentator muss in seinem Artikel zugeben: „Jetzt ist der Moment gekommen, wo der Westen die russische Antwort auf seine strategischen Ziele erhält.“ Was denn nun, hat Russland angegriffen oder antwortet es nur auf die strategischen Ziele des „Westens“, sprich der USA und allen in ihrem Hintern.

Diese strategischen Ziele stehen seit der Auflösung der Sowjetunion jedem "westlichen" Politiker in Verantwortung auf der Stirn geschrieben: Alle ehemaligen SU-Staaten (ausser Russland) in den Korb der USA! Völlige Einkreisung Russlands!

Im Grunde ist damit klar: Der „Westen“ ist es, der hier sein Spiel spielt und Russland reagiert, so gut es kann. Wer also nun Russland den schwarzen Peter zuschieben will, hat böse Absichten.

Nun ist Russland natürlich keineswegs ein armer, verfolgter Waisenknabe. Man hat die ganze Zeit nach der Auflösung der Sowjetunion die Fälle Süd-Ossetien, Abchasien, Berg-Karabach, Transnistrien und weitere offen gehalten, um Vorwände zu haben.

Bleibt aber trotzdem die Frage, wer hat den jetzigen konkreten Konflikt ausgelöst. Das weiss jeder, es stand nämlich in allen Zeitungen: Beim kürzlichen NATO-Gipfel wurde Georgien zugesagt, es werde in die NATO aufgenommen werden, aber erst, wenn es die „eingefrorenen Konflikte“ löst, sprich seine Oberhoheit über Süd-Ossetien und Abchasien wieder herstellt. Das ist gleichbedeutend damit, dass die USA Georgien zum Angriff aufgerufen haben und Georgien gehorcht hat.

Präsident Saakashivili, ausgebildet in den USA und nichts weiter als ein US-Statthalter, hat seinen Wahlkampf mit dem Versprechen geführt, die abtrünnigen Provinzen Süd-Ossetien und Abchasien zurückzuerobern. Es ist also klar, von wo die Initiative ausging, wer den Krieg begann und auf wessen Anweisung.

Wenn nun berichtet wird, US-Aussenministerin Rice habe Russland aufgefordert, die Souveränität Georgiens und sein Staatsgebiet zu respektieren, so ist das bestenfalls eine Lachplatte von den grossen Respektierern der Souveränität anderer Länder und deren Staatsgebiete wie Afghanistans und des Iraks.

Speziell aber geht es um die Respektierung der Souveränität Jugoslawiens. Was? Was hat denn ein Land, das es schon lange nicht mehr gibt, hiermit zu tun? Nun, in Jugoslawien wurde die Büchse der Pandora geöffnet – und mit der Anerkennung des Kosovo als eigenem Staat noch ein zweites Mal.

Bis zu jenem Zeitpunkt in den Jahren 1991/92 nämlich war das internationale Recht klar und wurde von allen Staaten auf der Welt anerkannt und eingehalten: Die nach dem ersten und dann später dem zweiten Weltkrieg und der Entkolonialisierung festgelegten Grenzen und Staatsgebiete sind SACROSANCT, unantastbar, unwiderruflich.

Obwohl es in vielen Ländern Revisions-Begehren gab, davon eine Anzahl extrem berechtigt, wurden keine Ausnahmen gemacht. Man denke nur an die absurden Staatsgebilde, die sich in Afrika bildeten und keinerlei Stammes- und Volksgrenzen respektierten. Man denke nur an die Kurden, die bereits feste Zusagen auf einen eigenen Staat hatten und dann „vergessen“ wurden und bis heute als Fremdkörper in vier verschiedenen Ländern leben müssen, immer neue Ursache von Konflikten.

Kurdistan

Nur wenn der Staat selbst zugestand, eine Abspaltung oder ein Übergang in einen anderen Staat könne mit einer Volksabstimmung geschehen, wurde dies geduldet, wie im Falle des Saarlands, das an Deutschland ging oder im Fall der Tschechoslowakei, die sich in die Tschechische und Slowakische Republik aufspaltete.

Warum solch strenge Regeln? Weil sonst die Büchse der Pandora geöffnet wird und jeder Hinterhof seinen eigenen Staat aufmachen will.Wenn erst einmal Ausnahmen gemacht werden, wird die Separatitis ausbrechen und jeder Ex-Stamm wird seinen eigenen Staat haben wollen, ganz zu schweigen von den Unterabteilungen der Ex-Stämme. Wenn man diese Tür öffnet, dann wird bald nicht nur Oberbayern, sondern auch Niederbayern einen eigenen Staat haben wollen – symbolisch gesprochen.

Und doch, genau dies trat ein: Unter Führung der deutschen Bundesregierung Kohl und mit persönlicher Verantwortung des Aussenministers Genscher beschloss die EU 1991/1992, im Fall Jugoslawien eine Ausnahmen zu machen und die Separation der Teilrepubliken durch Anerkennung der wesentlichen Staaten der EU zu unterstützen. Innerhalb von kurzer Zeit hatten Slovenien, Kroatien, und Bosnien-Herzegowina Volksabstimmungen durchgeführt, ihren eigenen Staat gegründet und waren durch die EU anerkannt worden (Später folgten – ohne Kriege - auch Mazedonien und Montenegro). Am 25.Januar 1992 erkannte die EU (damals noch EG) Slowenien und Kroatien an, am 6. April des gleichen Jahres die Unabhängigkeit von Bosnien-Herzegowina.

Bevölkerungsgruppen in Jugoslawien 1991

Die Büchse der Pandora war geöffnet worden und jahrelange Kriege zwischen Serbien, das sich weiterhin (völlig berechtigt) als jugoslawischer Gesamtstaat ansah und den Teilprovinzen waren die Folge.

Ein weiteres Mal war die deutsche Regierung hauptverantwortlich für Kriege in Europa. Hauptgrund war der jugoslawische Präsident Milosevic, der sich einfach nicht dem „Westen“ und der EU unterordnen wollte.

Man versuchte dann, um von diesen Tatsachen abzulenken, die Serben als die Bösewichte darzustellen, die einzigen, die in den Kriegen nach ethnischen Kriterien Massaker und Massenvergewaltigungen begingen und Konzentrationslager einrichteten und als Hauptbösewicht den rechtmässig gewählten jugoslawischen Präsidenten Milosevic. In Wirklichkeit wurden `ethnische Säuberungen` und Massenvergewaltigungen von allen Kriegsparteien durchgeführt, die Bosnier brachten es sogar ferig, sich die Dienste von Osama Bin Laden zu sichern, um Terrorakte gegen Gegner durchzuführen, wie beim Prozess gegen Milosevic in Den Haag herauskam (eine Zeugin berichtete dort, sie habe Bin Laden zusammen mit dem US-Beauftragten ins Büro des damaligen bosnischen Präsidenten Izetbegovic gehen sehen; damals hatte die US-Regierung keinerlei Probleme, sichtbar mit Osama Bin Laden zusammenzuarbeiten).

Schliesslich liess man dann, als man Milosevic immer noch nicht hatte ablösen können, auch noch die faschistischen albanischen Truppen in den Kosovo einmarschieren, bescheinigte der Reaktion von Milosevic darauf, eine Agression zu sein, bombardierte Serbien in die Steinzeit zurück und hatte sich mit dem Kosovo nun ein weiteres Problem aufgeladen.

Kosovo

Es musste bis 2008 dauern, bis man nun zum zweien Mal die Büchse der Pandora öffnete, damit auch alle merken, sie ist offen: Man erkannte auf Druck der albanischen Faschisten eine formale Unabhängigkeitserklärung des Kosovo an, obwohl alle vernünftig denkenden Menschen auf der Welt, darunter die spanische und griechische Regierung, davon dringend abrieten – aus oben genannten Gründen.

Die russische Regierung warnte in dramatischen Worten, dies nicht zu tun und erinnerte an die Fälle von Süd-Ossetien, Abchasien, Transnistrien, Berg-Karabach und weitere, aber man nahm diese zukünftigen Kriege billigend in Kauf oder wollte sie sogar.

In diesem Artikel wird dazu berichtet:
„Doch die Strategen in Washington, Brüssel und Berlin wollten nicht hören. „Wir müssen zu Ende bringen, was wir mit der Anerkennung Sloweniens, Kroatiens, Bosniens und Mazedoniens begonnen haben, auch der Kosovo muss unabhängig werden.“ Es geht darum, auf keinen Fall wieder die Hoffnung auf eine friedliche Welt aufkommen zu lassen, immer genügend Spannungen zu schaffen, wegen denen man ständig mit Terrorismus rechnen und daher alle bürgerliche Rechte abbauen muss.“

Was geschehen war? In jenen Jahren 1991/92 wurde nicht nur die wichtigste Grundregel des Völkerrechts ein für alle Mal dem Schlund des Vergessens anheimgegeben, nein, es wurde auch formal die Sowjetunion aufgelöst. Und da enstanden einige neue Konkflikte. Es gabe nämlich Regionen in mehreren sowjetischen Teilrepubliken, die sich nun als selbständige Staaten installierten, die hauptsächlich von Russen bewohnt waren.

Das machte keinen Unterschied, solange man in der Sowjetunion war, in der die Russen sowieso dominierten, aber einen riesigen Unterschied, wenn man sich plötzlich in einem unabhängigen Staat Georgien, Moldawien, Aserbeidschan, Estland oder anderen eingliedern sollte. So beschloss man denn in manchen Landesteilen, sich nun seinerseits von der Teilrepublik loszusagen und so entstanden die „autonomen Gebiete“ wie Berg-Karabach, das zu Aserbeidschan zugehörig angesehen wird, Süd-Ossetien und Abchasien als Teile von Georgien, Transnistrien, das nicht zu Moldawien gehören will und andere, ebenso wie ethnische Konflikte, wie in Estland.

Das wurde damals vielleicht sogar belächelt, war aber in Wirklichkeit brisant, denn die Büchse war ja offen. Nun hat sich bestätigt, warum die Regeln so streng waren und hätten eingehalten werden müssen. Der Ossetien-Krieg ist nach den jugoslawischen Teilungskriegen bereits der fünfte, den die deutsche Bundesregierung im speziellen und „der Westen“ im allgemeinen mit auf dem Gewissen haben.

Wenn „westliche“ Regierungen die Todesopfer bedauern, ist das Heuchelei. Sie sind wesentliche Mittäter.


Veröffentlicht am 11. August 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung


Zusatz zum Artikel

Also ich will ja nicht angeben, aber dies habe ich im Forum des FDP-Bundesverbandes gefunden:

http://forum.fdp-bundesverband.de/read.php?4,1079952,1080941

"Re: Krieg in Georgien
geschrieben von: steiner (IP gespeichert)
erstellt am: 12. August 2008 02:40


Der gute Karl Weiss hat die Entwicklung schon am 17.02.2008 vorausgesagt:

[Link zum oben im Artikel zitierten Artikel vom 17.2.08]

Er scheint wirklich Ahnung zu haben wovon er schreibt.

Steiner"

Das wurde im Zusammenhang der Diskussion über den Ossetien-Krieg geschrieben.

Oder sollte ich, statt stolz zu sein, besorgt sein, was ich falsch gemacht habe, wenn mich ein FDP-ler lobt?

Nun, ich habe es wirklich vorausgesagt - und es müssen ja nicht unbedingt alle in der FDP ein Brett vor dem Kopf haben, nicht?

Und da gibt es auch noch einen anderen, der die beiden einschlägigen Artikel in einen gemeinsamen Zusammenang stellt, im 'Freigeistforum':

http://www.freigeister-forum.de/phpBB2/viewtopic.php?t=2744&postdays=0&postorder=asc&start=30

"siar

geistige Leuchte

Anmeldungsdatum: 15.11.2005
Beiträge: 731

Verfasst am: 12.08.2008 04:01

Ich habe zwei interessante Kommentare gefunden, einer vom 17.02.2008 und einer von heute:

http://karlweiss.twoday.net/stories/4715451/
http://karlweiss.twoday.net/

Der Junge scheint ein kluges Köpfchen zu haben. Auf alle Fälle ist er jetzt erst mal bei meinen Favoriten.

bearnie besonders für Dich dürfte das interessant sein, da wird noch mal der Krieg in Serbien ein wenig aufgeschlüsselt.

Grüße

siar "

Also, die Freigeister sind mir denn doch irgendwie lieber als die FDP - und an "siar" einen Gruss vom klugen Köpfchen.

Karl Weiss

Sonntag, 10. August 2008

Brasilien jenseits von Fussball und Samba, Teil 7: Brasilien und der Strom

Teil 7: Brasilien und der Strom oder Wie (ein Teil der) Ausbeutung der Entwicklungsländer funktioniert

Von Elmar Getto

Brasilien ist das Land mit der bei weitem größten Süßwassermenge auf der Erde. Dementsprechend wurde schon früh begonnen, die benötigte Elektrizität aus Wasserkraft zu gewinnen. Das Großprojekt des Itaipú-Dammes war auch in Deutschland bekannt geworden, weil da Siemens und die MTU das zur Zeit der Fertigstellung im Jahre 1994 größte Wasserkraftwerk der Welt mit insgesamt 24 Riesenturbinen bauten. Heute kommt etwa 70% des benötigten Stromes in Brasilien aus Staudammprojekten, nach anderer Quelle 85%.

Strom aus Wasserkraft ist billiger als der thermoelektrischer Kraftwerke, weil diese Wasserkraftwerke trotz der riesigen Investitionen kaum Kosten für die eigentliche Stromerzeugung verursachen, denn das Wasser wird von der Sonne immer wieder umsonst nach oberhalb des Stausees gefördert. Zwar sind nach der Berechnungsweise in Europa die Atomkraftwerke noch billiger, aber diese Rechnung geht ja nur auf, weil man die Kosten der Entsorgung des strahlenden Materials nicht den Betreiber zahlen läßt, sondern den Steuerzahler.

So sehr die großen Stauseen von Umweltschützern immer wieder kritisiert werden, weil sie oft zur Ausrottung von Arten beitragen, schien Brasilien doch relativ gut weggekommen zu sein mit seinen relativ niedrigen Energiekosten.

Allerdings muß man hier eine starke Einschränkung machen: Ein wesentlicher Teil des Vorteils durch die niedrigen Kosten wird wieder aufgefressen, weil für die Investitionen Kredite bei der Weltbank und anderen Finanzinstitutionen aufgenommen werden mußten. Siemens und MTU haben das Kraftwerk natürlich nicht umsonst gebaut, sondern kräftig daran verdient und auch die deutsche Bundesregierung hat keineswegs einen Teil davon als ‚Entwicklungshilfe’ gezahlt. Die damals aufgenommenen Schulden bestehen vielmehr weiterhin (auch wenn die Schulden manchmal ‚umgeschichtet’ werden, verringern sie sich doch nicht) und Brasilien zahlt horrende Zinsen jedes Jahr – für 2004 wird geschätzt, daß Brasilien in etwa 70 Milliarden Dollar (70 Billion of Dollars) nur an Zinsen für seine Schulden gezahlt hat.

Der verbleibende relative Vorteil der Kosten änderte sich, als die imperialistischen Länder neben der Telephonie, der Trinkwasserversorgung und dem Verkehr auch die Elektrizität als ideales Ausbeutungsinstrument der in neokolonialer Abhängigkeit gehaltenen Länder entdeckten.

Zunächst wurde Brasilien in den neunziger Jahren vom Internationalen Währungsfond „angehalten“ (in Wirklichkeit unter Androhung des Staatsbankrotts gezwungen), weite Teile der Elektrizitätswirtschaft zu privatisieren. Man teilte die staatliche Elektrizitätsverwaltung in Unternehmen der Versorgung der Verbraucher, der Stromübermittlung und der Stromerzeugung auf und verkaufte nach und nach den größten Teil ‚für einen Appel und ein Ei’.

Während die Investitionsvolumen der verkauften Unternehmen zusammen mehrere Hundert Milliarden Dollar ausmachten, wurden sie für zusammen nur einige wenige Milliarden Dollar verkauft, also etwa zu einem hundertstel ihres Wertes.

Gleichzeitig wurden in Brasilien – ebenfalls unter ‚sanfter Mithilfe’ des Internationalen Währungsfonds – Regeln eingeführt, die es ausländischen Besitzern von Unternehmen in Brasilien erlauben, anfallende Gewinne ohne weiteres außer Landes zu schaffen.

Drei der „Filetstücke“ der brasilianischen Elektrizitätsversorgung sicherte sich die französische EDF (Eletricité de France). Sie kaufte die ‚Light’, einziger Anbieter von Strom im Staat Rio de Janeiro, dazu ein Unternehmen, das viel von dem in Itaipú erzeugten Strom über weite Teile des Landes verteilt, und noch einen kleineren Stromerzeuger.

Die Verträge, die von der brasilianischen Regierung mit diesen Käufern der Elektrizitätsunternehmen gemacht wurden, sind beeindruckende Beispiele imperialistischer Macht. Sie enthielten keinerlei Verpflichtung für die Elektrizitätsunternehmen, entsprechend dem steigenden Energiebedarf Brasiliens Investitionen vorzunehmen und damit die Versorgung zu sichern und einen festgelegten Mindestteil der Gewinne zu investieren. Sie enthielten Klauseln, die den Unternehmen ständig Gewinne garantieren. Wenn sie keine Gewinne ausweisen, aus welchem Grund auch immer, dürfen sie die Strompreise erhöhen. Sie enthielten keinerlei Klauseln, die den Unternehmen eine korrekte Instandhaltung der Anlagen auferlegt, keine Klauseln, daß sie Strom beim billigsten Anbieter kaufen müssen, kurz, alle Vorteile liegen beim Käufer aus dem imperialistischen Land, alle Nachteile bei der brasilianischen Bevölkerung.

Die brasilianische Regierung rechtfertigte sich, daß man ohne diese günstigen Bedingungen keine Käufer gefunden hätte. Wer dann aber fragte, warum dann überhaupt verkauft wurde, bekam nur Ausflüchte, Aggressionen und Verdrehungen zu hören.

Ausserdem stanken diese Privatisierungen - wie meist - zehn Kilometer gegen den Wind nch Korruption. Da sich angesichts der märchenhaften Bedingungen für den Käufer natürlich die Kandidaten die Tür in die Hand gaben, konnte man als verantwortlicher Politiker natürlich absahnen. Entweder man gab klammheimlich demjenigen, der die höchsten Bestechungssummen zahlte, privilegierte Informationen, die ihn die Ausschreibung gewinnen liessen, oder man manipulierte das Ausschreibungsverfahren so, dass der "erwählte" Kandidat zum Zuge kam.

Ob der damalige Präsident Cardoso persönlich davon profitierte, weiss man nicht. Was man aber weiss: Seit er abgewählt wurde, lebt er in einem Appartment an der Fifth Avenue in New York und nimmt sein Abendessen in einem Restaurant ein, das nach Aussagen eines mit ihm verbündeten Politikers für ein Gläschen Conhaque 200 Dollars berechnet (man stelle sich vor, was die anderen sagen).

Die erste Folgerung aus diesen Verkäufen war die Arbeitslosigkeit Tausender von Brasilianern, die von den neuen Besitzern entlassen wurden. Es stellte sich schnell heraus, daß es sich nicht, wie von der Regierung behauptet, um „überflüssige Bürokratie-Angestellten“ handelte, sondern im wesentlichen um Leute, die Instandhaltung gemacht hatten. Damit war schon klar, daß mangelnde Instandhaltung zu Stromausfällen führen würde – und so kam es.

Während die Brasilianer sich nicht an große ‚Black-outs’ in den Siebziger oder Achtziger Jahren erinnern konnten, begannen diese wenige Jahre nach den Verkäufen zur Regel zu werden. Am Silvestertag 2004 gab es gerade wieder einen größeren Black-Out in den Staaten Espirito Santo und Rio de Janeiro.

Die nächste Folgerung des Verkaufs großer Teile der Elektrizitätswirtschaft an Unternehmen aus imperialistischen Ländern war noch schwerwiegender, es begann die Geschichte des Super-Black-Outs. In den Jahren 1997 und 1998 war die Wirtschaft Brasiliens und die Industrieproduktion gewachsen und verbrauchte nun deutlich mehr Strom (Im Jahr 1998 war Brasilien die zehntgrößte Wirtschaftsnation auf der Erde). Während des Jahres 2000 gab es zwar kein Wirtschaftswachstum mehr, aber der Stromvebrauch stieg immer noch etwas an, hauptsächlich wegen des Bevölkerungswachstums.

Plötzlich gegen Ende des Jahres 2000 erklärte die brasilianische Bundesregierung, es drohe ein Super-Black-Out, d.h. der völlige und unwiderrufliche Zusammenbruch der brasilianischen Stromversorgung, wenn nicht neu in die Elektrizitätswirtschaft investiert würde, um neue Kapazitäten zu schaffen. Hastig wurden Pläne zusammengestöpselt, eine Anzahl von Gaskraftwerken zu bauen (zu diesem Zeitpunkt war gerade der Vertrag mit Bolivien über die Lieferung von Ergas und den Bau einer Pipeline von Bolivien nach Brasilien abgeschlossen worden). Es stellte sich aber schnell heraus, daß das erste dieser Kraftwerke nicht vor 2003 ans Netz gehen würde und das sei viel zu spät.

Während des Jahres 2001 wurde nun der drohende Super-Black-Out zum wichtigsten Nachrichtenthemas Brasiliens. Die Regierung erklärte, es müsse Strom gespart werden, zunächst ohne zu sagen wie. Im Laufe des Jahres wurde es dann aber immer klarer: Die Regierung hatte vor, die Bevölkerung mit drakonischen Maßnahmen zum Stromsparen zu zwingen. Dann kam es heraus: Wer nicht 20% der Kilowattstunden gegenüber dem Schnitt von drei Monaten Anfang 2001 sparte, bekam die Stromversorgung gekappt- zunächst für drei Tage, dann für sechs Tage usw.

Nun wurden die Brasilianer, die sowieso schon Meister im Improvisieren sind, zu Stromsparern. Das meiste ließ sich durch Verkürzen der Zeit unter der Dusche einsparen. In Brasilien gibt es kaum Häuser mit zentralen Warmwassersystemen – es gibt ja auch – bis auf den extremen Süden – keine Heizungen in den Häusern. Gas- und Elektroboiler sind selten, die meisten können sie sich nicht leisten.

So hat man denn in Brasilien die Elektrodusche erfunden: Im Duschkopf wird durch eine Metallspirale Strom in der Größenordnung von 3 000, 4 000 oder 5 000 Watt gejagt. Diese Spirale ist vom Wasser umspült und heizt es auf. Das geht nur, wenn die Spirale nicht isoliert ist, also offen im Wasser liegt, sonst wäre die Wärmeübertragung nicht schnell genug. Klingt abenteuerlich, funktioniert aber: Fast alle der 170 Millionen Brasilianer, die nicht zur Oligarchie gehören, duschen so.

Bald stellte sich aber heraus, daß es schwer ist, das Duschverhalten der Menschen zu ändern. Doch dann sprach sich herum, daß man die 20% auch anders erreichen kann: Zunächst nehme man die Tiefkültruhe/-schrank außer Betrieb, die hat meistens schon 10% vom Verbrauch gefressen. Dann ersetze man alle Glühbirnen durch Fluoreszenz-Birnen (‚Neon-Birnen’), das macht in der Regel weitere 10% aus. So schaffte es tatsächlich die überwiegende Mehrheit der Brasilianer, 20% Strom zu sparen. Wer allerdings keinen Tiefkühlschrank hatte und vorher schon Fluoreszenzbirnen gekauft hatte, sah nun dumm aus: Einige tausend brasilianische Familien mußten sich Stromsperren gefallen lassen. Sogar Familien mit kleinen Kindern wurde unnachsichtig der Strom gesperrt.

Natürlich hätten die Privatisierungen nur dann irgendeinen Sinn ergeben, wenn die neuen Besitzer zu Investitionen verpflichtet worden wären, die für die Stromversorgung Brasiliens notwendig waren. Was aber wirklich geschah: Die ausländischen Eigner der Firmen machten stattdessen gute Gewinne und transferierten sie an die Mutter.

Als besonders schlau erwies sich dabei die französische EDF. Sie kauft in Brasilien mit ihrem Tochterunternehmen ‚Light’ teuren Strom bei ihrem eigenen brasilianischen Stromverteilungsunternehmen zu einem Phantasiepreis, weist Verluste aus und hat so das Recht auf andauernde Preiserhöhungen weit über die Inflation hinaus. Das Geld von der Stromverteilungs-Tochter, die in Profiten schwimmt, fließt zu 100% nach Frankreich. Eben wurde wieder eine außerordentliche Strompreiserhöhung genehmigt – über die jährliche in Höhe der Inflation hinaus. Etwa 5 Millionen Brasilianer zahlen ab Februar 2005 6,3% mehr für den Strom. Die Brasilianer beschweren sich über die immens gestiegenen Strompreise. Für manche Familien stellt die Stromrechnung bereits 10% oder mehr ihrer Ausgaben dar.

Diese Praxis ist besonders empörend, da es, viel näher als die andere EDF-Tochterfirma, im Nachbarstaat Minas Gerais bei der (noch staatlichen) Furnas weit billigeren Strom zu kaufen gibt, der dort aus der Wasserkraft eines riesigen Stausees gewonnen wird. Da Rio de Janeiro nun den Strom von dort nicht mehr abnimmt, hat die Furnas beachtliche Überkapazitäten und produziert Verluste von etwa 8 Milliarden Dollar jährlich, für die der brasilianische Steuerzahler aufkommen muß. Der Brasilianer zahlt also einerseits mehr für seinen Strom und andererseits mehr Steuern, um die Überkapazitäten zu finanzieren.

Diese Tatsachen lassen auch die ganze Story mit dem Super-Black-Out unwahrscheinlich erscheinen, denn 2004 war der brasilianische Stromverbrauch deutlich höher als im Jahre 2001 und es sind noch fast keine neuen Kapazitäten dazugekommen. Das Ganze riecht nach Manipulation.

Im übrigen hatten alle privatisierten Elektrizitätsunternehmen das Anrecht, die Mindereinnahmen, die durch den tatsächlich in 2001 zurückgegangenen Stromverbrauch entstanden waren, vollständig vom brasilianischen Staat ersetzt zu bekommen.

Nach Schätzungen einer brasilianischen Zeitung zieht die Eletricité de France im Moment aus ihren brasilianischen Unternehmen JÄHRLICH in etwa soviel Geld heraus, wie sie der Kauf insgesamt gekostet hat. Profite von 100% der Investitionssume jährlich – das sind die tatsächlichen Verhältnisse.

Heute sind die Strompreise in Brasilien in etwa so hoch wie in anderen Teilen der Welt. Der ganze Vorteil der niedrigen Kosten aufgrund der Wasserkraft-Struktur fließt zu Konzernen in imperialistischen Ländern.

Falls Brasilien irgendwann einmal auf die Idee käme, seine Elektrizitätsversorgung wiederhaben zu wollen – was keineswegs abwegig ist -, müßte es natürlich zunächst Abfindungen zahlen – zumindest in der Höhe des Kaufpreises plus Inflationsanpassung plus Zinsen. Dann bekäme es ein heruntergekommenes Netz, schrottreife Kraftwerke und überlastete Umspannstationen zurück und müßte alles in riesigen Investitionen wieder auf Vordermann bringen.

Hier bekommt man einen deutlichen Eindruck, wie (ein Teil der) Ausbeutung der in neokolonialer Abhängigkeit gehaltenen Länder funktioniert.

Der von bestimmten Medien und von den Faschisten in Deutschland verbreitete Eindruck, die Entwicklungsländer würden Unmengen an Entwicklungshilfe erhalten und so gewissermassen die deutsche Bevölkerung ausbeuten, ist nichts als ein Ammenmärchen. Was da wirklich an ‚Entwicklungshilfe’ läuft – ganz abgesehen von der Fragwürdigkeit vieler Projekte – kommt nicht einmal auf 1% von dem, was von Banken, Konzernen, Spekulanten und - im geringsten Maße – Staaten aus diesen herausgesaugt wird.

Auch die immer wieder gerne verbreitete These, das Volk in den imperialistischen Staaten sei in irgendeiner Weise an der Ausbeutung der Entwicklungsländer beteiligt oder würde davon profitieren, wird hierdurch eindeutig widerlegt. Es sind die Großkonzerne, Multi-Milliardäre und Großbanken, an die am Ende alles geht.

Heute der 7. Teil der Brasilien-Reihe von Elmar Getto. Der Artikel erschien ursprüglich am 10. Februar 2005 in "Rbi-aktuell", hier leicht vom Verfasser redigiert


Hier die Links zu allen Teilen der Reihe „Brasilien jenseits von Fussball und Samba“

- Teil 1: „Wie der Amazonas zu seinem Namen kam“

- Teil 2: ‚Menschenfresser-Country’

- Teil 3: „Ausgerottete Künstler“

- Teil 4: Niemeyer ist 100 – ‚Auf dem Höhepunkt des Schaffens’

- Teil 5: Brasilien und Gold

- Teil 6: Die Landschaften Brasiliens – Der Amazonas-Regenwald

- Teil 7: Brasilien und der Strom

- Teil 8: Die Landschaften Brasiliens – Mata Atlântica

- Teil 9: Santos Dumont und der erste Motorflug

- Teil 10: SIVAM – Big Brother in Amazonien

- Teil 11: Sprit aus nachwachsenden Rohstoffen

- Teil 12: Regenwaldvernichtung und Trockenheit im Amazonasgebiet

- Teil 13: Wie unsere Zukunft in der beginnenden kapitalistischen Barbarei aussähe – „Ich habe kein Leben“

Donnerstag, 7. August 2008

Wirtschaftskrise in den USA

Wie sieht es wirklich aus?

Von Karl Weiss

Nach offiziellen Zahlen ist die USA noch nicht in einer Wirtschaftskrise. Vierteljahr um Vierteljahr wird noch ein geringes Wachstum der US-Wirtschaft um 0,6% gemeldet. Ein Artikel legt aber die wahren Verhältnisse klar. Nach dieser Information ist die USA bereits seit Ende 2006 in der „Rezession“, wie die Wirtschaftskrise schönfärberisch bezeichnet wird. Im Moment verschärft sie sich zusehends. Der Artikel enthält eine Menge Details, die dies belegen.

USA: Foreclosure Zwangsversteigerung

Er ist von F. William Engdahl in info.kopp-verlag.de, hier.

Die entscheidende Aussage ist: Die Wirtschaft der USA ist zu 70% vom Inlandskonsum abhängig, der im Moment in den Keller fährt.

Dieser wurde durch die extrem niedrigen Zinsen in den Jahren 2003 bis 2006 und durch die damals breit angewandten „Sub-Prime“-Hypotheken (Hypotheken auf Immobilien, deren Besitzer nicht die Mindestvoraussetzungen für normale Hypotheken erfüllen) künstlich angeheizt, was eine Schein-Konjunktur hervorrief, die jedoch ohne reale Grundlage war, denn sie wurde durch „leichtes Geld“ für US-Bürger hervorgerufen, die zwar ein Häuschen haben, aber kein wirklich ausreichendes Einkommen.

Das musste schief gehen und ging schief. Fast alle diese Familien mit mittlerem bis geringem Einkommen müssten jetzt Monatsraten zahlen, die sie nicht aufbringen können und verloren oder verlieren damit ihre Häuser bzw. Eigentumswohnungen. Das löst aber die Probleme der Banken und Hypothekeninstitute nicht, denn auch wenn ihnen nun diese Häuser und Eigentumswohnungen gehören, sie können sie nicht zu akzeptablen Preisen verkaufen, weil Millionen solcher Immobilien auf dem Markt sind und nur wenige Käufer.

Immobilienkrise USA

Die Banken und Hypothekeninstitute können diese Häuser zwar noch eine Zeit lang unter ihrem vormaligen Wert in den Büchern führen, müssen aber irgendwann auf die wahren Werte übergehen, was ihre „Aktiva“ plötzlich einbrechen lässt. So hat die grösste Bank der Welt, die Citi Group, bereits über 40 Milliarden Dollar an solchen oder ähnlichen Werten als Verluste abgeschrieben. Nur mit dem Verkauf grosser Teile ihres Vermögens konnte sie überleben. Es wird vermutet, dass fast alle US-Banken heute bankrott wären, würden sie gezwungen, alle Immobilien nur zu den Preisen in die Bilanzen aufzunehmen, die heute wirklich zu erzielen wären.

Northern Rock Pleite

Die wichtigsten Details im Artikel sind in der Liste der Einzelhandelsketten enthalten, die Läden schliessen.

Man sehe sich diese beeindruckende Liste an:

Ann Taylor schließt landesweit 117 Läden.

Eddie Bauer hat im ersten Quartal 27 Läden geschlossen, jetzt folgen weitere.

Cache, ein Damenbekleidungsgeschäft, schließt dieses Jahr 20 bis 23 Läden.

Lane Bryant, Fashion Bug, Catherines schließen landesweit 150 Läden.

Talbots, J. Jill schließen Läden. Talbots wird alle 78 Kinder- und Herrenbekleidungsgeschäfte schließen, plus 22 schlechtgehende Geschäfte. Die 22 Läden gehören teils zu Talbots-Damenbekleidungsgeschäften und J. Jill.

Gap Inc. schließt 85 Läden.

Foot Locker schließt 140 Läden.

Wickes Furniture macht alle Läden dicht. Das seit 37 Jahren bestehende Möbelhaus zählte vor allem Familien aus den mittleren Einkommensschichten zu seinen Kunden.

Levitz gab die Schließung all seiner 76 Niederlassungen zum Jahresende bekannt. Das Möbelhaus hatte seit 1910 bestanden.

Zales, Piercing Pagoda plant die Schließung von 82 Niederlassungen zum 31. Juli, danach sollen weitere 23 schlechtgehende Geschäfte geschlossen werden.

Disney Store: der Besitzer ist berechtigt, 98 Geschäfte zu schließen.

Home Depot schließt 15 Niederlassungen wegen der lahmenden US-Wirtschaft und des zusammenbrechenden Eigenheimmarktes. Von dem Schritt sind 1300 Angestellte betroffen. Es ist das erste Mal, dass die größte Baumarktkette der Welt einen Vorzeigeladen schließt.

CompUSA (geschlossen).

Macy’s – neun Niederlassungen geschlossen.

Movie Gallery – der Video-Verleiher plant die Schließung von bis zu 400 der 3.500 Movie-Gallery- und Hollywood-Video-Läden, und das zusätzlich zu den bereits im letzten Herbst im Rahmen eines Konkursverfahrens geschlossenen Läden.

Pacific Sunwear – 153 Demo-Läden werden geschlossen.

Pep Boys – 33 Läden des Autoteilelieferers werden geschlossen.

Sprint Nextel – 125 Verkaufsstellen mit 4.000 Angestellten werden geschlossen, bereits im Vorjahr wurden 5.000 Mitarbeiter entlassen.

J.C. Penney, Lowe’s und Office Depot schalten zurück.

Ethan Allen Interiors plant die Schließung von zwölf ihrer 300 Geschäfte zur Kostensenkung.

Wilsons the Leaher Experts – schließen 158 Geschäfte.

Bombay Company wird alle 384 Läden in den USA schließen.

KB Toys schließt im Rahmen des Neubeginns nach dem Konkurs 356 Läden.

Dillard’s Inc. wird in diesem Jahr sechs weitere Läden schließen.

Diese Liste ist sicherlich nicht vollständig.

Es wird gerade an ihr deutlich: Es handelt sich um den unteren und mittleren Teil der breiten Mittelschicht in den USA, die in grossen Teilen drastisch weniger auszugeben haben und daher nur noch das Nötigste kaufen. Das trifft Läden für langlebige Güter, aber auch Restaurants und alle, die Güter des gehobenen Bedarfs verkaufen bzw. herstellen. Auch andere Güter und Dienstleistungen, die man streichen kann, ohne dass dies das Leben wesentlich verändern würde, werden gestrichen, wie z.B. das Ausleihen von Filmen. In diesen Bevölkerungsschichten hat entweder einer (oder mehrere) in der Familie seinen Arbeitsplatz verloren oder musste(n) einen Job mit weit geringerem Einkommen antreten oder die Familie hat ihr Haus verloren und muss nun Miete aufbringen oder sie kann gerade noch die erhöhten Monatsraten der Hypotheken zahlen, muss sich aber darum extrem einschränken.

Vor drei Jahren war es ausserordentlich leicht, selbst grössere Anschaffungen zu machen, denn man konnte leicht Kredite in Form von Hypotheken aufs Häuschen bekommen, die fast keine Zinsen kosteten. Heute sind die Kreditlinien extrem eingeschränkt. Wer das Geld nicht flüssig hat, kann kaum ein Anschaffung machen.

So ist es auch verständlich, warum der Verkauf von Automobilen grösseren Kalibers zum Teil um bis zu 50% zurückgegangen ist. Der obere Teil der Mittelschicht und die Reichen in den USA - eine Minderheit - sind weiterhin wenig betroffen von dieser Krise, aber die breite Mehrheit der Bevölkerung dort leidet bereits jetzt schwer unter ihr. Kurzarbeit ist bereits weit verbreitet und die Verringerung der Autoverkäufe wird zu weiteren Massenentlassungen führen, nicht nur in der Atomobilindustrie, sondern auch bei vielen Zulieferern und verbundenen Unternehmen, was die Situation noch verschärft.

Housing Slump

Eine andere wichtige Information des Artikels ist: Die offizielle USA verfälscht seit langem systematisch die Statistiken der Wirtschaftsdaten, um diese Probleme nicht aufscheinen zu lassen bzw. zu verniedlichen. Wer realistischere Schätzungen als die offiziellen Statistiken anstellt, wird zum Beispiel statt der offiziellen Arbeitslosigkleit von 5,5% auf eine von etwa 13% kommen. Auf solchen Schätzungen beruht auch die Aussage, die Wirtschaft der USA schrumpfe bereits beständig seit Ende 2006.

So muss auch die Meldung betrachtet werden, die nun bereits zum dritten Mal hintereinander kam: Das Brutto-Inlandsprokt (BIP) der USA habe im letzten Quartal um 0,6% zugelegt, hiess es nach dem 4.Quartal 2007, nach dem 1. Quartal 2008 und nach dem zweiten Quartal 2008. Ein Artikel in der Financial Times Deutschland macht klar, man kann diesen Zahlen nicht trauen, sie beruhen nämlich auf einer Schätzung, die meist von den Interessen der Schätzenden abhängig ist. Hier zwei Zitate aus dem Artikel:

„... die mit dem BIP-Bericht gelieferten Revisionen seit 2005. Danach ist das US-BIP im vierten Quartal 2007 nicht um 0,6 Prozent gestiegen, sondern um 0,2 Prozent gefallen;“

„... im Sommer 2001 seine jährliche Revision vorgestellt hatte, wurde immer noch vermutet, dass das US-BIP im dritten Quartal 2000 um 1,3 Prozent zugelegt hatte. Im Vergleich zur Schnellschätzung im Oktober 2000 war das bereits eine Halbierung. Aber nach dem aktuellen Stand der Dinge war das BIP im dritten Quartal 2000 um 0,5 Prozent gesunken.“

Auch wir in Deutschland kennen ja diese Mogelpackungen vom Typ Merkels Märchen, mit denen ein angeblicher Wirtschaftaufschwung „belegt“ wurde, von dem aber, welch Zufall, nur die Superreichen etwas gemerkt haben. In Wirklichkeit sind die Zahlen der Empfänger von Hartz IV seit 2006 nie unter 6 Millionen gesunken (von 2005 bis 2006 waren sie von etwas über 5 Millionen auf über 6 Millionen gestiegen).

Zwar können die USA wegen des gesunkenen Dollarkurses mehr exportieren, aber das wiegt nicht den verringerten Inlandsabsatz auf, es federt lediglich die Abwärtsbewegung etwas ab.

Schliesslich gibt es auch noch eine alarmierende Aussage in diesem Artikel für alle, die meinen, mit einem Präsidenten Barack Obama werden sich die Probleme der USA lösen: Der Chef der Kampagnenfinanzierung von Obama ist der Milliardär Pritzker (u.a. Erbe der Hyatt-Hotelkette), der zusammen mit der Bank Merryl Lynch die „Sub-Prime“-Kredite erfunden hat!

So hat sich denn auch Obama schon seit einiger Zeit von Aussagen verabschiedet, die früher nahegelegt hatten, er werde die Massensteuern senken und diejenigen der Superreichen und der grossen Konzerne erhöhen. Er behauptet nun, niemals massive Veränderungen der Steuern angekündigt zu haben, lediglich Korrekturen von ‚Exzessen‘.

Ausserdem: Die Wirtschaftskrise beginnt sich bereits auf andere Länder auszuweiten. So hat die japanische Industrie z.B. gerade in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen verminderte Produktionszahlen gemeldet. Drei europäische Lander sind schon offiziell in der Wirtschaftskrise, siehe hier.


Veröffentlicht am 6. August 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung

Andere Artikel zur Weltwirtschaftskrise:

"Anzeichen Wirtschaftskrise?"

"Full Crash- Zweites Anzeichen Wirtschaftskrise?"

"Stehen wir am Beginn einer grossen Weltwirtschaftskrise?"

"25% Fall des Dollars?"

"Der Mini-Crash - 10 Monate zur Wirtschaftskrise?"

"Drittes Anzeichen Weltwirtschaftskrise"

"Die Zinswende der Langzeitzinsen leitet das Abgleiten in die Weltwirtschaftskrise ein."

"Viertes Anzeichen Weltwirtschaftskrise"

"Können die USA bankrott gehen?"

"Wann kommt die Wirtschaftskrise?"

"Dollar-Verfall bedroht deutschen Export – Die Krise wird fürchterlich"

"USA: Global Alpha, Red Kite, Fed-Chef, Immobilien-Crash"

"Globaler Einbruch der Börsen"

"Weltwirtschaftskrise – Der konkrete Übergang in die Barbarei"

"USA: Wirtschaftskrise beginnt"

"Hellseherei? Die Wirtschaftskrise"

"General Motors könnte pleite gehen"

"Fannie und Freddie in der Bredouille"

"Drei EU-Länder sind bereits in der Wirtschaftskrise"

"Europa sinkt in diesem Moment in die Wirtschaftskrise"

"Banken gerettet – Staat pleite?"

"Weitere gigantische Finanzmarkt-Risiken"

"Verdienen deutsche Banken Vertrauen?"

"Können Sie das glauben?"

Mittwoch, 6. August 2008

Deutschland - ein Gottesstaat

75 Jahre Konkordat - Der Faschismus und der Vatikan

Von Karl Weiss

Am 20. Juli 1933, vor 75 Jahren, wurde im Vatikan das sogenante Reichskonkordat zwischen der katholischen Kirche und dem Deutschen Reich unterschrieben. Mit ihm konnte die erst kurz zuvor gebildete Hitler-Regierung in Deutschland international Punkte sammeln. Statt sich dem Boykott einiger Länder gegen diese Regierung anzuschliessen, schloss der Vatikan als erster „Staat“ mit Hitler ein Abkommen. Wenn der Papst selbst mit Hitler paktiert, wer wollte ihn dann noch boykottieren?

Oettinger Rede für Filbinger
Kaum ein Bild kann die innige Verschlungenheit des Faschismus mit den Kirchen und der Bundesrepublik deutlicher ausdrücken als dieses. Wer zu Grabe getragen wird, ist Filbinger, ein Faschist, der es in der Bundesrepublik bis zum Ministerpräsidenten und stellvertretenden CDU-Vorsitzenden gebracht hatte. Wer die Lobrede auf den Faschisten hält, ist Oettinger, jetziger CDU-Ministerpäsident. Wer dem Toten die letzte Ehre gibt, ist der katholische Bischof von Freiburg und das einzige, was da noch fehlte, ist die martialische Staatsgewalt. Sie ist in Form der abkommendierten Polizisten zugegen.

Hitler hatte richtig darauf gesetzt, der Papst stimme zwar nicht mit der faschistischen Ideologie überein, aber mit den wesentlichen Zielen des deutschen Faschismus, also vor allem dem Kampf gegen die Arbeiterbewegung und dem Krieg gegen die Sowjetunion, den Hitler bereits in „Mein Kampf“ als Hauptziel genannt hatte. Der Vatikan würde also anbeissen, wenn man ihm wesentliche Vorteile für de katholische Kirche in Deutschland anbieten würde. Und so war es.

Der Inhalt des Konkordats war unerhört. Nie vorher hatte ein Staat einer Religionsgemeinschaft so viele Vorteile offeriert. Bis heute gibt es in keinem Land der Erde vergleichbare Regelungen für Religionsgemeinschaften. Selbst in „Gottesstaaten“, wie dem Iran, gibt es keine so vorteilhaften Regelungen für die dominierende Relgionsgemeinschaft. In Wirklichkeit machte Hitler Deutschland so zu einer Art von Gottesstaat, ohne dem Klerus allerdings Einfluss auf die Politik der Regierung einzuräumen.

Das Konkordat, das später gleichlautend auch auf die grossen protestantischen Kirchen in Deutschland ausgedeht wurde, beinhaltet drei wesentliche vorteilhafte Regelungen für die Kirchen:

1. Die Geldleistungen der Mitglieder an ihre Kirchen werden von Staats wegen als Kirchensteuer eingezogen. Das gibt es in keinem anderen grösseren Land der Welt. Dazu kommt, man gesteht den Eltern zu, ihre Kinder bereits klein in die Kirchen eintreten zu lassen. So erleben die jungen Menschen, unabhängig von ihrem Glauben oder ihrem Wunsch der Zugehörigkeit zu einer Kirche, wie ab der ersten Einkommenszahlung bereits Kirchenabgaben automatisch abgezogen werden. Damit habe die grossen christlichen Kirchen in Deutschland ein Milliardeneinkommen praktisch garantiert und müssen nichts für das Eintreiben ausgeben.

Filbinger und Kohl
Hier sieht man zu Zeiten, als Schmidt noch Bundeskanzler war, die Spitze der CDU: Kohl, der Vorsitzende, als Vertreter der Wirtschaftsfraktion in der CDU und Filbinger, sein Stellvertreter, als Vertreter der beträchtlichen faschistischen Fraktion in der ach wie so christlichen Partei

2. Die grossen christlichen Religionsgemeinschaften erhielten das Recht, auf den staatlichen Schulen während der normalen Schulzeit Religionsunterricht geben zu können und an den staatlichen Universitäten ihren Klerus ausbilden zu lassen. Dabei wird auch noch beträchtlicher Druck ausgeübt, dass alle Kinder an diesem Unterricht teilnehmen, auch wenn das Kind oder der Jugendliche gar nicht daran interessiert ist bzw. die Eltern ihn dort nicht teilnehmen lassen wollen. Die Religionslehrer, wie auch die Universitätsprofessoren, werden vom Staat bezahlt.

3. Diese Kirchen erhalten unter den verschiedensten Vorwänden aus Steuergeldern über die Abgaben ihrer Mitglieder hinaus staatliche Zuwendungen, die in reiner Form etwa 14 Milliarden Euro pro Jahr betragen, in versteckter Form sogar noch viel mehr. Siehe hierzu auch diesen Artikel.

Die Türkei zum Beispiel, auf die mancher in Deutschland herunterschaut, hat in ihrer Verfassung die strenge Trennung zwischen Kirche und Staat festgeschrieben - und das seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts. Darauf beruhte auch die Anklage gegen die Regierungspartei, die der Türkei einen islamischen Charakter geben will, vor dem dortigen Verfassungsgericht.

CDU-Fest fÜr Filbinger 90 Jahre
Dies ist der Faschist Filbinger auf dem Empfang, den die CDU für ihn am 90. Geburtstag gab, offenbar unter Freunden und bestens aufgelegt einen Toast ausbringend

Als der Papst damals das Eis gebrochen hatte, wurde die Hitlerregierng hoffähig. Die Diplomaten und Militärattachees des faschistischen Regimes hatten Zugang zu den Treffen der Politik und des Finanzadels in den wesentlichen westlichen Ländern, wie z.B. den USA, Grossbritannien und den meisten europäischen Ländern.

Sie nutzten aus, wie weit der Antisemitismus in diesen Ländern verbreitet war und sie trafen mit dem Versprechen des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion auf offene Ohren selbst bei Managern, Bankern und Superreichen, die nichts mit der faschistischen Ideologie am Hut hatten.

So gelang es Hitler, von 1933 bis 1939 die Vorbereitungen für den Krieg auf Hochtouren zu betreiben, die das deutsche Grosskapital zum Herrscher der Welt machen sollte, ohne auf irgendwie geartete Sanktionen zu treffen. Obwohl Hitler einfach Geld drucken liess, wurde die Reichsmark im Ausland angenommen, als sei es eine stabile Währung. Es gab absolut kein Exportverbot, z.B. von kriegsbedeutendem Material nach Deutschland, aus keinem bedeutenden Land – bis zum Beginn des 2. Weltkrieges am 1. September 1939!

Alle sahen einfach zu, als Hitler sein Heimatland Österreich dem deutschen Reich eiverleibte und auch noch, als man in die Tschechoslowakei einmarschierte. Später wurde dies als „Appeasement-Politik“ gebrandmarkt und argumentiert, damit habe man zwar Hitler beruhigen und vom Krieg abhalten wollen, in Wirklichkeit aber nur seinen Appetit geweckt.

Diese Politik war aber in Wirklichkeit darauf begründet, dass viele westliche Politiker mit vielen Teilen der Hitler-Politik übereinstimmten. Irgend eine Möglichkeit, Hitler durch „Beruhigen“ jenen Krieg nicht beginnen zu lassen, war sowieso nicht realistisch.

Der damalige FBI-Chef Hoover war wohl einer der Hitler-Anhänger. Auch in der CIA war die Mehrheit der Verantwortlichen offenbar eindeutig auf Hitlers Seite. Kein Wunder, dass es die CIA war, die nach dem Krieg einem wesentlichen Teil der faschistischen Massenmörder zur Flucht nach Südamerika verhalf.

Die Standard Oil (heute Exxon Mobil) vereinbarte mit Hitlers Regierung die Lieferung von bedeutenden Mengen von Rohöl und Ölprodukten für den Krieg. Diesen Lieferverpflichtungen kam man selbst nach 1939 noch nach! Auch die IBM lieferte noch währenddes Krieges Geräte, die u.a. in KZs benutzt wurden.

Als 1939 der 2. Weltkrieg begann, war die Hitler-Lobby in den USA – speziell in der Politik und bei den Konzernen und Superreichen so stark, dass es der Präsident Roosevelt nicht wagen konnte, auf der Seite der Alliierten in den Krieg einzutreten, obwohl er kein Hitlerist war.

Erst als die mit Hitler verbündeten Japaner zwei Jahre später einen Überraschungsangriff auf den wichtigsten Hafen der US-Pazifikflotte in Pearl Harbour auf Hawai planten, sah er eine Möglichkeit, dies als Vorwand für eben diesen Kriegseintritt benutzen zu können.

Er liess einen grossen Teil der Flotte aus dem Hafen auslaufen, warnte aber die verbliebenen Teile nicht, obwohl er die Pläne kannte. So wurde aus dem Angriff auf Pearl Harbour ein riesiges Massaker, gross genug, um die Hitler-Anhänger verstummen zu lassen und Rossevelt nun die Möglichkeit zu geben, auf der Seite der Aliierten in den Krieg einzutreten.

Selbst nach dem zweiten Weltkrieg machte der damalige englische Premier Churchill noch deutlich: Man wäre eigentlich auf Hitlers Seite gestanden, hätte dieser nicht im Auftrag des deutschen Monopolkapitals die Weltherrschaft (zusammen mit Japan) angestrebt. Er sagte: „Wir haben das falsche Schwein geschlachtet.“ Das „richtige Schwein“ wäre die Sowjetunion gewesen.

Als im Jahr 1949 die Bundesrepublik gegründet wurde, übernahm man das Konkordat, so als ob das Bestechungsmanöver eines Unrechtsstaates nach dessen Abgang noch Gültigkeit haben könnte. Bis heute gilt es, ein Dinosaurus, der nie hätte zu neuem Leben erweckt werden dürfen.

Trennung von Kirche und Staat!


Veröffentlicht am 5. August 2008 in der Berliner Umschau, hier leicht redigiert

Originalveröffentlichung

Dienstag, 5. August 2008

WTO-Doha-Runde endgültig gescheitert

Die Agrarsubventionen müssen weg!

Von Karl Weiss

Wie bereits vorausgesagt in diesem Artikel, sind praktisch keine bedeutenden internationalen Abkommen mehr möglich, im gleichem Masse, wie der im Todeskampf liegende Kapitalismus in die kapitalistische Barbarei schlittert.

Diese ist neben der völligen Kriminalisierung aller Beziehungen eben genau dadurch gekennzeichnet: ‚Keine gemeinsamen Ziele mehr‘, ‚die Einzelinteressen dominieren‘, ‚Alle gegen alle‘, ‚je rücksichtsloser, desto besser‘ und ‚Rache ist Blutwurst‘. Entsprechend ist denn auch am 29. Juli 2008 der letzte Versuch in Genf gescheitert, auf einer Versammlung von über 500 Delegierten aus fast allen Ländern der Welt (153 Länder waren vertreten), die Doha-Runde der Verhandlungen der World Trade Organisation (WTO) über eine weitere Liberalisierung des Welthandels zu einer Einigung zu bringen.

Die Doha–Runde wurde 2001 in Doha, der Hauptstadt des Emirates Quatar, eröffnet und sollte dazu führen, dass die letzten Einfuhrzölle fallen, der Kapital- und Gewinn-Verkehr völlig von Restriktionen und Abgaben befreit wird und dass die Ansichten der reichen Länder zu Patenten und zu Urheberrechtfragen anerkannt werden. Kurz: Die imperialistischen Länder sollten alle Vorteile haben, die Entwicklungsländer alle Nachteile. Allerdings haben die Entwicklungsländer sich zusammengeschlossen und Gegenleistungen der imperialistischen Länder gefordert, was diese aber nicht zugestanden haben. Daran sind letztendlich nach 7 Jahren und unzähligen Versuchen der Wiederbelebung diese Verhandlungen gescheitert.

Was die WTO unter Liberalisierung des Welthandels versteht, war vor dieser Runde bereits deutlich geworden. In mehreren Abkommen waren die Entwicklungsländer gezwungen worden, ihre Märkte für die Waren und das Kapital der Industrieländer zu öffnen. Das hatte verheerende Auswirkungen für die armen Länder. Die Industrie-Ansätze, die sich entwickelt hatten, wurden praktisch vollständig konkurrenzunfähig und gingen meistens ein. Die Entwicklungsländer waren dadurch gezwungen, fast alle Industriegüter einzuführen und dafür die dringend benötigten Devisen auszugeben. Soweit im eigenen Land hergestellt wurde, waren die Firmen fast immer im Besitz von Gruppen aus den reichen Ländern, so dass keine Werte für die armen Länder erzeugt wurden, sondern nur Profite für jene, die sowieso schon in Geld schwammen.

Als Gegenleistung kamen von den reichen Ländern Versprechungen oder jedenfalls Andeutungen über Erleichterungen von Einfuhren von Agrarprodukten aus den Entwicklungsländern und zum Abbau der Subventionierung der eigenen Agrarprodukte. In Wirklichkeit haben die imperialistischen Länder aber nicht im Traum daran gedacht, ihre Märkte für Agrarprodukte der Entwicklungsländer zu öffnen und ihre Agrarsubventionen wirklich zu kappen. Aus Versprechungen wurden „nicht bindende Ankündigungen“ und aus dem fest Vereinbarten etwas, an das man sich nicht hielt, denn es waren keine Sanktionen vorgesehen. Selbst in den wenigen Fällen, in denen Sanktionen vorgesehen sind, hielt man einfach die Zusagen nicht ein.

So sind die USA bereits seit vielen Jahren verpflichtet, die Subventionen für ihre Baumwollanbauer deutlich zu kürzen. Man hat dies aber nicht getan. Brasilien, ein Land, das grosse Mengen von Roh-Baumwolle herstellen und exportieren könnte, wenn die USA nicht mit ihrer subventionierten Baumwolle den Weltmarkt zu Preisen überschwemmen würden, die keinerlei Konkurrenz zulassen, hat bereits vor Jahren die USA vor dem Gericht der WTO verklagt und hat Recht bekommen. Die USA gingen in Revision und kürzlich wurde das endgültige Urteil verkündet: Die USA wurden verurteilt zu dulden, dass Brasilien im Milliardenmasstab Einfuhrzölle auf Einfuhren aus den USA erhebt, um den Nachteil auszugleichen, der Brasilien durch das Nichteinhalten der Verpflichtungen der USA aus einem der Abkommen entsteht.

Tatsächlich hat es Brasilien bis jetzt nicht gewagt, diese Zölle zu erheben, sondern versucht, dies als Verhandlungsmasse einzubringen.

Bereits kurz nach dem Beginn der Doha-Verhandlungen hatten sich die Entwicklungsländer zum ersten Mal zusammengetan, um sich bei diesen Verhandlungen nicht wieder an die Wand drücken zu lassen wie bei den vorhergehenden. Man gründete die ‚Gruppe der 20’ , das sind die bedeutendsten 20 Entwicklungsländer und es wurde ein Führungstrio für diese Gruppe gebildet, das aus Indien, Südafrika und Brasilien bestand.

Die Globalisierungsgegner wie z.B. attac haben die Verhandlungen immer mit Beifall für die harte Haltung der Entwicklungsländer begleitet.

Allerdings gibt es keinerlei Grund, „Sieg“ zu schreien. Es wurde lediglich noch Schlimmeres verhindert mit diesem Scheitern, nichts Positives erreicht.

Es ist unbedingt notwendig, dass wir in den entwickelten Ländern bei unseren Regierungen darauf dringen, die Agrarsubventionen abzuschaffen und diese Milliarden sinvoll auszugeben, z.B. in einer massiven Umstellung der Landwirtschaft auf Biogas-Herstellung. Das könnte in einem Land wie Deutschland glatte 30 bis 40% der Erdöl- und Kohle-Importe unnötig machen. Zudem bekäme de Landwirtschaft wieder eine positive Aufgabe und würde unabhängig vom Brüsseler Tropf.

Wenn die Entwicklungsländer nicht mehr mit billigen Agrarprodukten aus reichen Ländern eingedeckt werden, könnten dort auch wieder die Millionenmassen von ländlicher Bevölkerung Ackerbau und Viehzucht betreiben und damit ihr Brot verdienen, was heute nicht möglich ist, denn man kann mit EU- oder US-Landwirtschaftsgütern nicht konkurrieren.

In den Entwicklungsländern sind zwischen 50 und 90% der Bevölkerung ländlich bzw. eine, die nur deshalb in die Städte gestrebt ist, weil man mit der Landwirtschaft kein Auskommen mehr hatte. Wenn alle diese Menschen wieder aufs Land gehen können, Ackerbau und Viehzucht betreiben und damit ein Auskommen haben, können Milliarden von Menschen aus Elend und Armut kommen.

Veröffentlicht am 4. August 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung

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