Sonntag, 14. September 2008

Brasilien jenseits von Fußball und Samba, Teil 12: Regenwaldvernichtung und Trockenheit im Amazonasgebiet

Brasilien jenseits von Fußball und Samba, Teil 12: Regenwaldvernichtung und Trockenheit im Amazonasgebiet

Von Elmar Getto

Seit etwa Mitte September 2005 gehen alarmierende Meldungen aus dem Amazonasbecken ein: In großen Teilen, speziell im brasilianischen Bundesstaat Pará, herrscht Trockenheit. Das mächtige Stromsystem ist an manchen Stellen zu Rinnsalen geworden, Hunger und Elend breiten sich unter der Bevölkerung aus. Umweltaktivisten und Wissenschaftler, wie auch viele Bewohner Amazoniens selbst, haben seit Jahren gewarnt: der Raubbau an den wertvollen Hölzern der Regenwälder Amazoniens und das ständig ansteigende Abbrennen von Regenwaldflächen werden zu einer Verringerung der vom Regenwald „ausgeschwitzten" Feuchtigkeit führen, die die Hauptquelle der ergiebigen Regenfälle ist, durch die der Regenwald charakterisiert ist. Gehen die Regenfälle unter bestimmte Mindestmengen zurück, wird der Regenwald als solcher beginnen abzusterben. Das wäre der Beginn des Endes der Menschheit, wie wir sie kennen.

Brasilien (topographisch)

Dazu kommen die Einflüsse des Klimawandels. Vor zwei Jahren konnte der Schreiber dieser Zeilen mit einem brasilianischen Klimaspezialisten sprechen, von dem er in etwa folgendes lernte: Die verschiedenartigen Regenwälder des Amazonasbeckens haben eine Reihe von klimatischen Bedingungen gemeinsam, die wiederum von einer großen Anzahl an Einflüssen geprägt sind.

Der erste wichtige Einfluß ist der Winkel der Sonneneinstrahlung, der die gesamte Energiezufuhr bestimmt. Das gesamte Amazonasbecken ist nahe des Äquators gelegen, hat allerdings im Kern ein Südhalbkugel-Klimaverhalten. Oft wird nicht klar gesehen, daß ein solches Gebiet sich im wesentlichen so verhält wie sein Mittelpunkt. Der Mittelpunkt des Amazonasbeckens ist eindeutig südlich des Äquators. Dabei muß man das Amazonasbecken deutlich vom Orinokobecken unterscheiden, auch wenn beide an manchen Stellen ineinander übergehen. Beide Becken sind aber im wesentlichen durch Bergketten voneinander getrennt, die eine Höhe von bis zu 3.000 Metern erreichen. Der höchste Berg Brasiliens, der Pico de Neblina, fast auf den Meter genauso hoch wie die Zugspitze, liegt auf einer dieser Bergketten.

Amazonas

Nur am Oberlauf des Orinoko und des Rio Negro, eines der Quellflüsse des Amazonas, gibt es eine unmittelbare Verbindung beider Flußsysteme, die sogar so weit geht, daß - je nach Wasserstand - Orinokowasser in den Amazonas fließt und umgekehrt, ein weltweit einmaliges Phänomen.

Der Südhalbkugel-Charakter des Amazonas-Klimas zeichnet sich durch folgende Sommer-Winter-Besonderheit aus: Im Südhalbkugelsommer, also etwa von Oktober bis Mai, hat das Amazonasbecken die Energiezufuhr einer Sonne, die jeden Tag den Zenit erreicht oder einen Punkt nahe des Zenits. Im Winter dagegen, also etwa von Juni bis September, wird jeweils nur ein Punkt in der Größenordnung von zehn bis 20 Grad unterhalb des Zenits erreicht. Das macht im Mittel einen Unterschied der Energieeinstrahlung von der Hälfte (bzw. dem Doppelten) aus.

Die hohe Energiezufuhr im Sommer führt zu einem generellen Aufheizen des ganzen Regenwaldes und seiner Flüsse, Kanäle und Seen. Die höheren Temperaturen führen zu einer erhöhten Verdampfung von Wasser (im Schnitt über den ganzen Sommer in etwa das Doppelte der Verdampfung gegenüber dem Winter). Der wesentlichste Teil des verdampften Wassers kommt als Regen innerhalb des Amazonasgebiets wieder herunter. Die führt in diesen Monaten (mit einer Zeitverzögerung) zu einem weit höheren Wasserstand des gesamten Flußsystems des Amazonas als im Winter. Auf der Höhe von Manaus, das ist etwa in der Mitte des Weges von den Anden zum Atlantik, hat der Amazonas Jahr für Jahr einen Unterschied des Wasserstandes, der etwa 10 bis 15 Meter ausmacht. Die Höchststände werden typischerweise im August erreicht (mit einer Zeitverzögerung nach der langen Sommersaison), die niedrigsten Stände im November.

Regenwald

An der Mündung dagegen, etwa auf der Höhe der Insel Marajó, gibt es nur einen Unterschied des Wasserstandes von 1 bis 2 Meter. Das belegt einmal mehr, daß es sich wirklich um einen Kreislauf von Wasser im wesentlichen innerhalb des Amazonasbeckens handelt. Dies wiederum zeigt, daß das gesamte Bestehen des Amazonasregenwaldes vom selbst erzeugten Regen abhängt. Es gibt keinen aufgrund des Klimas von außen kommenden Regen, der ausreichend zur Bildung (oder für den Bestand) von Regenwald wäre. Ein Regenwald braucht zum Überleben im Schnitt einer Anzahl von Jahren etwa 2.000 mm Regen jährlich (in Deutschland haben wir um die 500 mm jährlich).

Für das Klimageschehen im weiten Umkreis bedeutet das: Der Amazonasregenwald ist ein Energiefresser: Er sorgt für weit niedrigere Temperaturen im Gebiet des Regenwaldes, aber auch in der ganzen Region, als auftreten würden, wenn es dort keinen Regenwald gäbe. Diesen Effekt kann jeder im Wald selbst spüren: Sobald er sich einem Wald annähert, wird es kühler. Im Wald selbst wird es noch einmal kühler, je weiter man zum Zentrum des Waldgebietes vorstößt.

Das bedeutet, daß im Sommer, aber auch in Teilen des Winters, der Amazonasbecken ein ständiges Tiefdruckgebiet darstellt. Das führt, zusammen mit der äquatornahen Lage, zu einem typischen täglichen Wetterablauf in großen Teilen des Gebietes: Bei Sonnenaufgang ist es bewölkt, wie es auch über Nacht war. Im Lauf des Vormittags werden die Wolken von der Erwärmung durch die steigende Sonne „aufgefressen". Gleich darauf, meist schon vor dem Mittag, manchmal erst nachmittags, kommen neue Wolken auf, die durch die hohe Verdampfung gebildet werden und türmen sich zu Regenwolken oder auch zu mittleren oder großen Unwettern zusammen. Am Nachmittag regnet es, oft in Strömen. Zu Beginn der Nacht hört es auf zu regnen und bleibt bewölkt, bis in die Nacht hinein. In Belém, im brasilianischen Bundesstaat Pará, an der Mündung des Amazonas z.B. gibt es dieses Schema für so große Teile des Jahres, daß die Leute sich dort für den späten Nachmittag, „nach dem Regen", verabreden.

Brasilien: Soja-Pflanzungen auf Regenwald-Gelände

Fast nur im Winter (im Sonner nur in Ausnahmefällen), wenn die Sonneneinstrahlung nicht für so viel selbst produzierten Regen ausreicht, kommt es vor, daß Hoch- oder Tiefdruckgebiete von außerhalb der Zone in das Amazonabecken kommen und das Wetter bestimmen.

Das gesamte Klima der Region ist damit für wesentliche Teile des Jahres von dem Dauertiefdruckgebiet über dem Amazonasbecken bestimmt. Es arbeitet zusammen mit einer anderen Dauererscheinung, das ist das Dauerhochdruckgebiet auf der anderen Seite des Atlantiks, über der Sahara, die sich heute ja bereits beachtlich nach Süden ausdehnt. Die Meteorologen sind sich heute einig, daß die Kombination dieser beiden Phänomene die Hauptverantwortung trägt für den konstantesten Dauerwind, den es auf der Erde gibt, der Wind, der fast ununterbrochen aus einer Zone im Äquatorialgebiet vor der Küste Westafrikas nach Nordwesten weht, also ein Südostwind, der den gesamten Nordosten Südamerikas und die gesamte Karibik trifft.

Dieser Wind ist so konstant und weht über so große Teile des Jahres, daß die Bäume in diesem Bereich mehr oder weniger nach Nordwesten geneigt wachsen, abhängig von ihrem Ausgesetztheit. Dies ist auch der Wind, der die Meeresströmung hinein in den Golf von Mexiko verursacht. Das Wasser hat nur einen schmalen Ausweg aus dem Golf von Mexiko: Die etwa 150 km breite Straße zwischen Florida und Kuba und danach der Kanal zwischen Florida und den Bahamas, der dem Strom eine nordöstliche Richtung gibt.

Dort strömt der warme Golfstrom aus dem Golf von Mexiko und überbrückt als die stärkste aller Meeresströmungen den ganzen Atlantik. Er sorgt dafür, daß es an der Westküste von Grönland (=Grünland) grüne Wiesen gibt, daß Island bewohnbar ist, daß Irland nicht einen großen Teil des Jahres unter Schnee und Eis liegt, sondern ‚die grüne Insel’ ist, daß der Südwestzipfel Englands, Cornwall, fast keine Temperaturen unter 0 ºC kennt und dort Palmen wachsen, daß ganz Südeuropa nicht ein gemäßigtes Klima hat, wie es seiner Lage entspräche, sondern ein subtropisches Klima, daß Mitteleuropa nicht das Klima Kanadas oder Schweden hat, sondern eben das Mitteleuropas und daß Nordeuropa nicht unter einem Eispanzer liegt, sondern bis hinauf an den Polarkreis bewohnbar ist.

Regenwald-Abholzung Brasilien

Diese Winde und Meeresströmungen bilden einen großen Kreisel im Nordatlantik: Im Süden des Nordatlantik der Wind und die Meeresströmung nach Westen, im gesamten nördliche Nordatlantik nach Osten. Für uns ist es ja fast gesetzmäßig, daß Wetter von Westen kommen, was keineswegs in allen Teilen der Welt so ist. Dies ist wesentlich bedingt durch diese Strömungen und Winde. Wahrscheinlich hat schon Kolumbus diesen großen Kreisel im Nordatlantik gekannt oder jedenfalls geahnt. Dies legen einige seiner Dokumente (und der Film Columbus 1492) nahe: Als sich die Schiffe seiner historischen Mission auf der Rückreise verlieren, nimmt sein Rivale den direkten Kurs nach Westen und kommt lange nach Kolumbus an, der einen scheinbaren Umweg über einen viel weiter nördlichen Kurs genommen hat.

Es gibt sogar die Theorie, daß Kolumbus auf einer seiner Reisen, die ihn vorher auf die Azoren geführt hatte, bereits den Sprung nach Amerika geschafft hatte. Er konnte aber mit dieser Entdeckung noch nichts anfangen, denn es war keine offizielle Mission, von einem König beauftragt. Erst als er 1492 vom spanischen König beauftragt losfuhr, konnte er ‚offiziell’ den Seeweg nach Indien entdecken, wie er meinte.

Jedenfalls ist klar, daß im Jahre 1500, also acht Jahre später, bereits Allgemeingut war (und sich schon bis Portugal herumgesprochen hatte), daß man, um schneller zu den „neuen Inseln" zu kommen einen sehr südlichen Weg, ausgehend von den Kanarischen oder besser noch den Kapverdischen Inseln nehmen muß, während man auf dem Rückweg einen weit nördlicheren Kurs nehmen sollte, der einen auf die Höhe oder sogar noch nördlich der Azoren führt.

Die fünf wärmsten Jahre seit 1890

Im Zentrum dieses großen Kreisels, in einer Zone mit wenig von außen kommenden Winden, ist die ‚Küche der Hurricanes’, wo in jeder Saison (von Juni bis November) etwa 16 schwere tropische Unwetter entstehen, die sich zum Teil zu Hurricanes entwickeln. Dieses Jahr waren es bis jetzt bereits 23 und davon wurden schon 13 zu Hurricanes (einschließlich Hurricane Beta).

Dort bestehen in diesem Zeitraum die notwendigen Bedingungen zur Herausbildung von Unwettern oder Hurricanes: Relativ hohe Oberflächentemperaturen des Wassers (wahrscheinlich braucht es mindestens etwa 26 ºC für die Entwicklung von Hurricanes) und schwache Winde, so daß die aufsteigenden Massen warmer Feuchtigkeit nicht gleich weggeweht werden.

Das Ganze ist, wie man sich leicht vorstellen kann, ein labiles Gleichgewicht. Kommt auch nur eine der wesentlichen Komponenten seiner Aufgabe im Geschehen nicht mehr vollständig nach, beginnt sich das Ganze zu bewegen, wobei die Richtung und die Ergebnisse fast unmöglich vorherzusagen sind.

Treffende Karikatur

Neben dem Einfluß der Sonneneinstrahlung gibt es aber noch einige andere Einflüsse auf das Klima im Amazonasgebiet. Während Einflüsse aus der Pazifikregion extrem gering sind wegen der gigantischen Mauer der Anden zwischen dort und dem Pazifikbecken, gibt es sowohl eine Interaktion zwischen dem Klima im Südatlantik und der Amazonasregion als auch eine solche mit dem Geschehen im Nordatlantik.Diese gegenseitigen Beeinflussungen können zwar an bestimmten Ergebnissen und Wetterereignissen nachgewiesen werden, aber es gibt bisher keine erwiesenermassen richtige Theorie über diese Zusammenhänge.

Die Theorie über die Interaktion zwischen dem Nordatlantik und Amazonien, die der genannte Gesprächspartner bevorzugte, war folgende: In den Übergangsmonaten zwischen dem Sommer auf der Nord- und auf der Südhalbkugel gibt es eine Phase in jedem Jahr, in dem die Südostwinde im Äquatorialatlantik abflauen und Massen feuchter Luft zwischen der Amazonasregion und der „Küche der Hurricanes" im Nordatlantik ausgetauscht werden, in diese oder jene Richtung. Danach schließt sich das Fenster wieder und eine der beiden Regionen hat einen Feuchtigkeitsüberschuß für die folgende Saison und vice versa. Das wird geschlossen aus der Tatsache, daß niedrige Hochwasser im August im Amazonas koinzidieren mit besonders heftigen Hurricanes im Nordatlantik im gleichen Jahr und umgekehrt.

Kohlendioxid-Anstieg: Dies ist eine so überzeugende Kurve über das, was im Moment geschieht, dass sich jeder Kommentar erübrigt.

Was den Südatlantik angeht, so besteht ebenfalls normalerweise keine direkte Klimaverbindung mit dem Amazonasgebiet. Das beruht darauf, daß die Kaltfronten aus der Wetterküche zwischen Südamerika und der Südpolregion, die üblicherweise ganz Südamerika nach Norden hinauf fortschreiten, auf brasilianischen Gebiet meistens auf große Massen warmer Luft stoßen und von diesen auf den Atlantik hinaus abgeleitet werden. Unter bestimmten Bedingungen aber, deren Ursachen noch erforscht werden, geschieht dies nicht. Die Kaltfront stößt weiter nach Norden vor bis in die Amazonasregion hinein und sorgt dort für ausgiebige Regenfälle von tagelanger Dauer. Dies führt aber auch zu einem Sinken der Temperaturen im Amazonasgebiet und damit zu einer Verringerung der Verdunstung, was dann wieder Zeiten ohne die typischen häufigen Regenfälle verursacht.

Soweit also die Grundlagen der amazonischen Klimakunde.

Nun kommt der zweite Schritt; Was passiert, wenn, wie leider anzunehmen, weder die Zerstörung des Regenwaldes am Amazonas noch die globale Erwärmung durch radikale Maßnahmen gegen den CO2-Ausstoß gestoppt wird?

Nun, wenn die globale Erwärmung fortschreitet, wird sie sich beschleunigen, unabhängig davon, ob eventuell der Kohlendioxid-Ausstoß nicht mehr weiter ansteigt, denn die steigenden Temperaturen setzen neue Mengen von Kohlendioxid frei. Das betrifft vor allem Böden, die bisher auf Dauer gefroren waren oder jedenfalls in den kurzen Sommern arktischer Gebiete nur oberflächlich auftauen. Tauen diese Böden bis in die Tiefe hinein auf, worüber schon die ersten Berichte aus Grönland, Alaska und Sibirien vorliegen, werden sie neue gewaltige Mengen von Treibhausgasen freisetzen und die globale Erwärmung weiter beschleunigen.

Grönland-Erwärmung-Stand-1985

Grönland Erwärmung Stand 2002

Grönland Erwärmung Überblick - Kartenausschnitt

Die beiden oberen Bilder zeigen in beeindruckender Weise das Fortschreiten der Eisschmelze in Grönland, wie weit sie bereits vor 6 Jahren gekommen war. Allerdings ist die Aussagekraft durch die unterschiedlichen Aufnahmezeitpunkte eingeschränkt. Aber: Sowohl November als auch Mai sind in der Arktis-Region Teile des Winters. Der Sommer dauert nur von Juni bis August. Das untere Bild zeigt den Ort der Satelliten-Fotos und (in Farben) die Anzahl Tage in Grönland mit Eisschmelze.

Wie wirkt die globale Erwärmung auf Amazonien? Zunächst gibt es natürlich die einfache Reaktion: Höhere Temperaturen führen zu höherer Verdunstung. Die Sommer-Hochwasser im Amazonasgebiet würden die Tendenz haben zu steigen. Tatsächlich gab es in den letzten zehn Jahren zwei der höchsten Wasserstände des Amazonas. Das reicht allerdings zur Stützung dieser Theorie noch nicht aus. Andererseits wird nämlich darauf hingewiesen, daß eine erhöhte Verdunstung auch zu vermehrter Wolkenbildung führt und diese wiederum die weitere Aufheizung von Regenwald und Flußsystem abblockt, das Amazonassystem also innerhalb bestimmter Grenzen selbstregulierend ist. Die Energie wird aber doch in die untere Athmosphäre gepumpt, denn in diesem Fall absorbieren die Wolken die Energie. Wozu das führt, ist noch nicht bekannt.

Im allgemeinen muß man mit großer Wahrscheinlichkeit mit erhöhten Regenfällen im Amazonasgebiet rechnen und damit auch mit durchschnittlich höheren Wasserständen. Dies war allerdings bisher nicht eindeutig statistisch nachweisbar.

Ganz anders dagegen mit dem fortschreitenden Abbrennen und Abholzen des Regenwaldes: Dies führt eindeutig zu einem Rückgang der Verdunstung und damit auch der Niederschläge und des Wasserstandes. Die globale Erwärmung und die Regenwaldvernichtung würden also zunächst zu entgegengesetzten Folgen führen, die sich für eine Zeit gegenseitig aufheben könnten. Ab einem bestimmten Grad der Verringerung der Regenwaldflächen - damals wurde bei gleichbleibender Vernichtungsgeschwindigkeit des Regenwaldes etwa mit der Größenordnung des Jahres 2015 gerechnet - würde die Verringerung des Regens dann überwiegen und es käme zu ersten Trockenheiten in der Periode des Niedrigwassers ab September als erstes Anzeichen für ein Verschwinden des Amazonasregenwaldes.

Und damit sind wir jetzt in der Aktualität angelangt. Wie schon verschiedentlich seit September berichtet wurde, ist im Amazonasgebiet eine extreme Trockenheit aufgetreten, die selbst die ältesten Menschen in der Region als etwas bezeichnen, was sie nie vorher gesehen haben. Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß eine bestenfalls für 2015 erwartete Erscheinung jetzt bereits eingetreten ist. Es gibt zwei Möglichkeiten der Erklärung: Eine wäre, daß es sich um einen typischen einmaligen Ausreißer handelt, wie sie gelegentlich vorkommen (es könnte z.B. beim "Öffnen des Fensters" im Juni zu einer übermäßigen Transfer von Feuchtigkeit in die Zone der Brutstätte der Hurricanes gekommen sein, was mit dem diesjährigen extrem hohen Hurricane-Aufkommen zusammenfallen würde).

Schmelzendes Eis

Dies schien bis zum 21.Oktober 2005 die wahrscheinlichste Erklärung zu sein. Seitdem aber muß davon ausgegangen werden, daß in Wirklichkeit die andere Erklärung bemüht werden muß, um diese Trockenheit zu erklären: Der Prozeß der Vernichtung des Regenwaldes am Amazonas ist bereits viel weiter fortgeschritten als vorher angenommen. Die Trockenheit ist wirklich bereits die Ankündigung des kommenden Austrocknens der Region, was den endgültigen Beginn der akuten Phase der globalen Klimakatastrophe anzeigt.

Am 21. Oktober 2005 nämlich wurde in der internationalen wissenschaftlichen Fachschrift Science ein Artikel (Band 310, S. 480) veröffentlicht, der genau dies auf wissenschaftlicher Grundlage belegt, nämlich den Fakt, daß die Vernichtung des Regenwaldes am Amazonas bereits viel weiter fortgeschritten ist als angenommen. Verantwortlicher Autor für eine Gruppe von Carnegie Wissenschaftlern ist Gregory Asner, Assistenzprofessor der Stanford University, Department of Geological and Environmental Sciences.

Globale Erwärmung

Bereits im Mai waren die letzten Zahlen der Vernichtung des Amazonas-Regenwaldes veröffentlicht worden: Von August 2003 bis August 2004 wurden mindestens 26.130 Quadratkilometer Urwald vernichtet. Berücksichtigt wurden hier aber nur die nach einem Kahlschlag vollständig gerodeten Waldflächen. Das entsprach etwa der Hälfte der Fläche der Schweiz in einem einzigen Jahr (die US-Wissenschaftler pflegen zu sagen: in etwa die Fläche des Staates Connecticut pro Jahr).

„Jede Minute verliert Brasilien eine Fläche von sieben Fußballfeldern wertvollen Regenwaldes", wurde Michael Evers schon damals zitiert, Leiter des Fachbereichs Wald bei der Umweltschutzorganisation WWF Deutschland. Die Regierung in Brasilia trage eine erhebliche Mitschuld an der Entwicklung, indem sie Bodenspekulationen zur Vergrößerung von Weideflächen für Rinder begünstige und den illegalen Holzeinschlag sowie die Ausbeutung der Arbeiter und die Kriminalität nicht ausreichend bekämpfe.

Nun aber wurde festgestellt, daß darüber hinaus bisher noch nicht registriert wurde, daß bereits seit vielen Jahren in großen Teilen des Amazonasgebietes das selektive Einschlagen bestimmter wertvoller Hölzer praktiziert wird. Dies führt, wie jetzt durch eine neue Methode der Auswertung von Satelittenbildern herausgefunden wurde, zu einer massiven Ausdünnung des Regenwaldes mit weitgehenden Folgen für eine der wichtigsten Eigenschaften eines Regenwaldes: Die Dichte. Durch seine hohe Dichte hält der Regenwald eine extrem hohe Luftfeuchtigkeit unterhalb des Blätterdachs, was durch das Ausdünnen beeinträchtigt wird. Dies führt zu einem generell trockeneren Wald und zu einer geringeren Verdunstung.

Dieser trockenere Regenwald wird dann auch viel eher Opfer natürlicher Buschfeuer, so etwa durch Blitzschlag, wogegen Regenwälder - eben wegen ihrer hohen Feuchtigkeit - eigentlich relativ geschützt sind.

Was hier interessant ist, ist die schwarze Linie (Beobachtung). Sie zeigt einen völlig von den vorherigen Scwankungen abweichenden, unaufhaltsamen Anstieg der Temperaturen in letzter Zeit.

Beim selektiven Einschlag werden nur jene wirtschaftlich besonders interessanten besonders großen Bäume mit besonders hartem Holz geschlagen (Mahagoni und andere). Allerdings reißen diese Urwaldriesen mit Höhen bis zu 70 Metern beim Fallen gewaltige Breschen in den Wald, die dann beim Abtransport noch vergrößert werden. Die Blätterdachabdeckung in großen Höhen wird unterbrochen, viele kleineren Bäume und niedrige Vegetation leiden. Es wird ein US-Spezialist zitiert, der sagt: „Der Regenwald ist durchlöchert wie Schweizer Käse." Er beklagt vor allem die fehlende Kontrolle bei den Abholzaktionen. Daraus ergibt sich die Erkenntnis, daß in Wirklichkeit eine weit höhere Abholzung erfolgt, als angenommen worden war. Tatsächlich, so die Wissenschaftler, dürfte die Abholzung in jedem Jahr jeweils 60 bis 128 Prozent über den offiziell festgestellten Werten liegen.

Es wird auch berichtet, daß die Technik des selektiven Einschlagens auch in Bereichen durchgeführt wird, die als Naturschutzgebiete ausgewiesen sind oder als Indio-Reservate, wo eigentlich der Zugang verboten ist.

Im Schnitt, so stellten die Wissenschaftler fest, werden etwa 30 Bäume mitgefällt, wenn einer der Urwaldriesen herausgeholt wird. Das hängt auch damit zusammen, daß in solchen Regenwälder die Bäume untereinander mit Lianen verbunden sind. Ein großer Mahagoni-Stamm bringt mehrere Hundert Dollar in einem Sägewerk. Neben dem Mahagony gibt es noch etwa 35 andere Baumarten, deren Hölzer begehrt sind. Die Stämme werden mit Traktoren zum nächsten Flußlauf geschleppt und dort zu Flößen zusammengestellt, die dann mit Schleppschiffen zu den großen Sägewerken gebracht werden. Wenn man im Schnitt täglich drei Bäume für einen Tag pro Einsatztrupp (mit fünf Mann) rechnet und die geringen Kosten für den Verantwortlichen der Aktion (weniger als 50 Dollar pro Tag einschließlich Abschreibungen), kann dieser größenordnungsmäßig mit etwa 1.000 Dollar Reingewinn pro Tag rechnen. Davon muß der verantwortliche Verbrecher dann etwa 100 Dollar pro Tag an Schmiergeldern für Beamte abziehen, die ihm anschließend den Stempel „aus kontrolliertem Einschlag" auf die Papiere seiner Hölzer setzen.

Arbeitet der Verbrecher mit einem Schiff und drei Traktoren sowie drei Trupps, erzielt er also einen Profit von um die 2.700 Dollar pro Tag. Das macht bei 25 Arbeitstagen im Monat 67.500 Dollar REINGEWINN. Pro Jahr wären das 810.000 Dollar. Man kann damit also mit wenig Aufwand annähernd eine Million Dollar im Jahr machen.

Die Schätzungen besagen, daß Zehntausende solcher Trupps in Amazonien unterwegs sind.

Solange also in den entwickelten Ländern Nachfrage nach Tropenhölzern besteht, wird es haufenweise Leute geben, die das Risiko eingehen werden, mit so etwas erwischt zu werden. Daß die hier angelieferten Hölzer offiziell „aus kontrolliertem Einschlag" gekennzeichnet sind, sagt gar nichts.

Und - nur um das noch einmal in Erinnerung zu rufen: Das ist alles zusätzlich zu dem Niederbrennen zum Gewinnen neuer Flächen zum Anbau und für Viehweiden, das allein schon jährlich die Fläche der Hälfte der Schweiz ausmacht. D. h., wir müssen nun mit einer jährlichen Fläche von zerstörtem Regenwald (allein im Amazonas-Bassin) in der Größenordnung der Schweiz ausgehen.

Ein so ausgedünnter Regenwald verliert einen Teil der Fähigkeit, CO2 zu speichern, was im Moment die wichtigste Eigenschaft des Amazonas-Urwaldes für die Menschheit darstellt. Das ist das Ergebnis einer anderen Arbeit, die in der gleichen Ausgabe von Science veröffentlicht wurde. Ein Team um Daniel Bunker von der Columbia University in New York hat festgestellt, daß es durch den Einschlag zu weniger Niederschlägen im Regenwald komme. Das führe letztendlich dazu, daß auf der gleichen Fläche weit weniger Kohlendioxid absorbiert würde. Das bedeutet im Endeffekt, daß die gesamte bisherige Einschätzung über die Menge von CO2, die der Regenwald im Amazonas absorbiert, neu durchdacht werden müssen. Bisher ging man davon aus, daß durch Abbrennen und Abholzen des Amazonas-Waldes etwa 400 Millionen Tonnen von Kohlenstoff zusätzlich in die Athmosphäre gelangen. Nach diesen neuen Erkenntnissen müssen jetzt etwa weitere 100 Millionen Tonnen pro Jahr dazugezählt werden. Wahrscheinlich ist die Kapazität des Waldes auch in dieser Hinsicht letzthin überschätzt worden und muß nun aus neuer Perspektive gesehen werden. Das bedeutet wiederum, daß die bisherigen Voraussagen, wann die Menge an Kohlendioxid in der Atmosphäre so weit angestiegen ist, daß unumkehrbare generelle und weitreichende Klimaänderungen alles menschliche Leben beeinträchtigen werden, neu gefaßt werden müssen. Es kann wahrscheinlich keine Rede mehr davon sein, daß ein solcher Zeitpunkt erst 2050 oder 2040 einträte, sondern es muß mit kürzeren Zeiträumen gerechnet werden.

Eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der neuen wissenschaftlichen Untersuchungen über die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes kann man auf dieser Web-Site nachlesen (in Englisch).

Diese neuen Erkenntnisse sind erst seit kurzer Zeit bekannt. Es gibt daher noch keine wissenschaftlich abgesicherten Einschätzungen, welchen Zeitvorhersagen jetzt gemacht werden können. Man kann aber schon davon ausgehen, daß wahrscheinlich in etwa das Jahr 2030 der letzte und äußerste Zeitpunkt sein wird, bis zu dem die bereits in ihr akutes Stadium getretene Entwicklung zur globalen Umweltkatastrophe noch umkehrbar wäre, wahrscheinlich geht es eher in die Richtung der Jahre 2015 oder 2020.

Was charakterisiert nun die globale Umweltkatastrophe? Neben anderen Erscheinungen (wie z.B. dem Anstieg des Meeresnieveaus, der vom Verschwinden einiger Inseln und einiger tiefliegender Küstenbereiche begleitet ist oder auch der Möglichkeit des Ausbleibens des Golf-Stromes, was Nord- und Mittel-Europa für eine Übergangszeit in Schnee und Eis versinken lassen würde) besteht sie im wesentlichen aus dem Anstieg in Intensität und Häufigkeit von Unwettern sowie dem Anstieg in Intensität und Häufigkeit von Dürren.

Beide Effekte gemeinsam werden einerseits zur Ausdehnung bestehender und dem Entstehen neuer Wüsten und Steppen führen (das Amazonasgebiet z.B. wird zu einer Wüste werden) und andererseits werden die gewaltigen Regen-Sturzbäche den Humus, den Boden, auf dem Pflanzen wachsen können, in zunehmendem Maße weg- und ins Meer spülen. Beides wird auch die Möglichkeit des Zurückhaltens von Regenwasser vermindern, so daß es immer schwieriger werden wird, noch Trinkwasser zu finden. Die Sturzbach-Regenfälle werden außerdem immer mehr zu verheerenden Überschwemmungen führen. Im Endstadium gibt es kaum noch Trinkwasser und kaum noch Pflanzen. Es braucht nicht näher erläutert zu werden, daß dies das Ende der Menschheit bedeutet, wie wir sie kennen.

Es ist offensichtlich, daß zumindest dieser Teil der Regenwald-Vernichtung (nicht nur im Amazonasgebiet) einfach beendet werden könnte: Mit einem generellen Verbot der Einfuhr und des Verkaufes von tropischen Hölzern in allen G8-Staaten, verbunden mit hohen Strafen. Ebenso offensichtlich ist, daß die Regierungen der G8-Staaten den Teufel tun werden, ein solches Verbot zu beschließen. Sie sind schließlich den reichen Verbrechern verpflichtet, nicht den Völkern.

Und das alles, damit gewisse Reiche noch viel reicher werden können. Es wird deutlich, daß wir nur noch wenig Zeit haben, den Kapitalismus zum Teufel zu jagen. Der Kapitalismus steht bereits im Übergang zur kapitalistischen Barbarei und diese wird in der globalen Umweltkatastrophe ihren am weitest gehenden Ausdruck finden. Jetzt müssen alle Kräfte zum Sturz des Kapitalismus vereint werden.


Hier also Teil 12 der Serie "Brasilien jenseits von Fussball und Samba" von Elmar Getto. Des ist eine der umfangreichsten und tiefgreifendsten Veröffentlichungen zu diesem Thema, ursprünglich in der "Berliner Umschau" veröffentlicht am 19.11.2005. Er ist wieder besonders aktuell wegen der umfassenden Aussagen zur Beeinflussung der Entwicklung zur Klimakatastrophe.


Hier die Links zu allen Teilen der Reihe „Brasilien jenseits von Fussball und Samba“

- Teil 1: „Wie der Amazonas zu seinem Namen kam“

- Teil 2: ‚Menschenfresser-Country’

- Teil 3: „Ausgerottete Künstler“

- Teil 4: Niemeyer ist 100 – ‚Auf dem Höhepunkt des Schaffens’

- Teil 5: Brasilien und Gold

- Teil 6: Die Landschaften Brasiliens – Der Amazonas-Regenwald

- Teil 7: Brasilien und der Strom

- Teil 8: Die Landschaften Brasiliens – Mata Atlântica

- Teil 9: Santos Dumont und der erste Motorflug

- Teil 10: SIVAM – Big Brother in Amazonien

- Teil 11: Sprit aus nachwachsenden Rohstoffen

- Teil 12: Regenwaldvernichtung und Trockenheit im Amazonasgebiet

- Teil 13: Wie unsere Zukunft in der beginnenden kapitalistischen Barbarei aussähe – „Ich habe kein Leben“

Samstag, 13. September 2008

Rente mit Siebzig - ein Blick zurück

Eine eingetroffene Vorhersage

Von Elmar Getto

Hier ein Artikel (mit kleinen Aktualisierungen in eckigen Klammern), der in der Berliner Umschau (damals "rbi-aktuell") am 3. Mai 2005 veröffentlicht wurde, also vor jener Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, die später Anlass war, um vorgezogene Neuwahlen zu veranstalten. Es zeigt sich, das Vorhergesagte ist eingetroffen! In etwa um diese Zeit entschloss sich Oskar Lafontaine, zusammen mit der WASG der PDS die Gründung einer gemeinsamen Linkspartei vorzuschlagen, was bereits den Wahlausgang in NRW beeinflusste und heute bereits ein historischer Fakt ist.

Wir konnten aus einer Quelle innerhalb der SPD Neuigkeiten in Erfahrung bringen. Jene Quelle hatte sich in der Vergangenheit bereits als zuverlässig erwiesen, so daß wir sie hier - wenn auch mit Einschränkung - veröffentlichen. Die wichtigste Neuigkeit ist, daß die Rente mit Siebzig zwischen CDU und SPD bereits vereinbart ist.

Schröder

Wir veröffentlicht in der Regel keine Informationen, die mit dem Zusatz versehen werden müssen „Aus gewöhnlich gut unterrichteter Quelle verlautet...“, weil es sich dabei um nicht verifizierte Aussagen handelt, die auch reine Gerüchtemacherei sein könnten. Wegen der Brisanz der Information und der früheren Zuverlässigkeit der Quelle haben wir uns aber entschlossen, in diesem Fall die Informationen zu veröffentlichen, obwohl keine Verifizierung möglich war. Es wird hier aber eben diese Einschränkung gemacht.

Laut unserer Quelle hat sich die SPD mit der CDU bereits darauf geeinigt, daß nach den Bundestagswahlen im nächsten Jahr, unabhängig vom Wahlausgang, ein Gesetzentwurf eingebracht und durchgebracht wird, der bereits in einer Schublade existiert. Darin wird ab 2011 das Rentenalter auf 67 heraufgesetzt und dann in weiteren Schritten auf 70 Jahre erhöht. Damit soll die Rentenkasse, zusammen mit weiteren Anpassungen des ‚Nachhaltigkeitsfaktors’, ins Gleichgewicht gebracht werden, ohne daß große Beitragserhöhungen nötig werden.

[Nach den vorgezogenen Bundestagswahlen und der Bildung der grossen Koalition hat die Regierung tatsächlich einen Gesetzentwurf ein- und durchgebracht, der ab 2011 in Stufen das Rentenalter auf 67 erhöht und für später eine weitere Erhöhung bis 70 Jahre angekündigt. Nicht vergessen: Eine weitere Erhöhung bis 70 Jahre liegt bereits in den Schubladen!]

Noch nicht entschieden sei, was mit dem Rentenalter der Frauen geschehen werde.
[Auch dies offenbar eine richtige Information: Bis heute hat man sich nicht ans Rentenalter der Frauen gewagt.

Laut unserer Quelle war diese Einigung auf Initiative „hoher Industriekreise“ zustande gekommen, die sich Sorge darum gemacht hatten, daß die Frage des Rentenalters in den Wahlkampf eingehen könnte. Eine Gruppe SPDler hatte die Idee aufgebracht, der Union ihre Rentenpläne im Wahlkampf vorzuwerfen und so die unpopuläre Erhöhung des Rentenalters zum entscheidenen Kriterium der Wahlentscheidung zu machen. So hätte die SPD eventuell eine Chance gehabt, den Riesenvorsprung aufzuholen, den Union und FDP in den Umfragen gegenüber SPD/Grünen haben.

In der SPD besteht die Einschätzung, daß man im Moment keine weiteren unpopulären Entschlüsse fassen sollte. Es müßte befürchtet werden, daß die Montagsdemos wieder Zulauf bekämen und die Stimmung in den Betrieben sich weiter aufheizen und eventuell der Kontrolle entziehen könnten, zumal jetzt schon Zwangsumzüge wegen Hartz IV beginnen werden (entweder umziehen oder eine Kürzung des Mietzuschusses auf den „angemessenen“ Wert). Ebenso kamen bereits Hilferufe aus den Gewerkschaften, der allgemeine und spezielle Unmut in den Betrieben sei bereits so groß, daß man ernste Schwierigkeiten bekomme, „den Deckel auf dem Topf zu halten“.

Aus diesem Grunde war auch in Berlin schon beschlossen worden, die vollen Mieten der ‚Verhartzten’ bis Ende des Jahres weiterzuzahlen. Bis jetzt steht noch nicht fest, wie man die Zeit bis zu den Bundestagswahlen dann überbrücken will.

Nach realistischer Einschätzung in der SPD wird man diesmal kein „Kaninchen“ haben, das man aus dem Hut zaubern könnte, um die Bundestagswahlen doch noch zu gewinnen, wie das bei den letzten mit der Weigerung gelang, am Überfall der US-Regierung auf den Irak teilzunehmen.

Es wird nicht einmal mehr ausgeschlossen, daß nach einem eventuellen Wahldesaster in Nordrhein-Westfalen die Schröder-Fischer-Regierung bereits das Handtuch wirft [was ja dann auch eintrat]. Die Idee ist, offiziell eine Union-FDP-Minderheits-Regierung zu dulden, Schröder aufs Altenteil zu schicken und mit Müntefering eine heftige Opposition zu veranstalten und so eventuell noch bis zu den Bundestagswahlen aufholen zu können.[Das wurde allerdings anders gemacht: es wurden vorgezogene Neuwahlen provoziert.]

Es gebe aber stärkste Widerstände bei den Grünen dagegen, weil man dort im Gegensatz zur SPD die Führungsgestalt nicht auswechseln kann. Für die SPD würden sich eher Vorteile ergeben, wenn man den unbeliebten Schröder austauscht. Die Grünen haben aber keinerlei Möglichkeit, Fischer abzulösen, der weiterhin einer der beliebtesten Politker ist. Sie müßten dadurch den ‚Abfall’ eines ins Gewicht fallenden Teiles ihrer Wähler befürchten. Im Falle des Rücktritts wäre man aber eine ‚gescheiterte’ Partei mit einem ‚gescheiterten’ Frontmann, was ebenfalls Einbußen bringen dürfte. Die Grünen beständen deshalb darauf, daß die Legislaturperiode bis zum Ende durchgestanden werden müsse, selbst wenn keine einzige wichtige Entscheidung mehr getroffen werden könne.

Allerdings wird weder bei der SPD noch bei den Grünen der Gang in die Opposition als Katastrophe angesehen. Vielmehr ist man sich sicher, daß man aus der Opposition heraus das verlorenen Vertrauen früherer Wähler wiedergewinnen kann. Die Union und die FDP würden aufgrund ihrer zwangsläufig unpopulären Beschlüsse (siehe u.a. Rente) wahrscheinlich schnell abwirtschaften und eventuell nicht einmal das Ende der neuen Legislaturperiode erreichen.
[Dies ist eine Überlegung, die eventuell angesichts der Neuwahlen in 2009 wieder interessant werden könnte.]

Die jetzt vom Zaum gebrochenen Diskussion der ‚Kapitalismus-Kritik’ [Müntefering hatte zu jenem Zeitpunkt die Hedge Fonds als Heuschrecken bezeichnet] ist ein Probelauf, um an den Wahlen in NRW zu erproben, ob man mit dieser Art von ‚Seifenblasen’ eventuell einen Umschwung in der Wählermeinung erreichen könnte. Man habe mit den ‚Industrie-Kreisen’ bereits gesprochen und ihnen im Vorfeld schon versichert, daß selbstverständlich nichts getan wird, was ihnen weh tun könnte, sondern nur ein Diskussionsansatz verfolgt und mit Maßnahmen gedroht werde, die entweder keinerlei Wirkung haben oder nie wirklich umgesetzt werden (weil die Union im Bundesrat sowieso die Dinge stoppen würde).

Im Moment sei man dabei, diese Linie bei unzufriedenen SPDlern zu erklären und durchzusetzen, die immer noch der Meinung anhängen, man müsse die Rentenfrage an die große Glocke hängen und zum Wahlkampfschlager machen. Es wird zwar nicht abgestritten, daß dies eventuell wirklich für eine Wiederwahl ‚gut’ sei. Danach werde man aber die Erhöhung des Rentenalters auf jeden Fall durchziehen müssen und noch mehr Kredit verlieren als jetzt schon.

Es müsse vor allem verhindert werden, daß sich Wähler auf Dauer und grundsätzlich von der SPD abwenden, was in diesem Fall nicht mehr ausgeschlossen werden könne. Nach Einschätzung von Fachleuten in der Partei ist der Teil der Wähler, der sich bisher schon nicht mehr aufraffen konnte, SPD zu wählen, noch wiederzugewinnen, wenn man eine heftige, scheinbar ‚antikapitalistische’ Opposition inszeniere. [Interessant, die Schachzüge, die man damals schon plante. Gleichzeitig wird aber deutlich, all dies konnte nichs bringen. Die Hoffnung, die verlorenen SPD-Wähler mit 'Feuerwerk' zurückzholen, blieb Illusion. Die Wähler sind küger, als es die SPD gerne hätte.]

Mittwoch, 10. September 2008

Jetzt offiziell: Atomkraftwerke: Unberechenbares Risiko

FAZ: „Wer hat je behauptet, das Atomgeschäft sei ohne Risiken?“

Von Karl Weiss

Wenn die FAZ - ultrarechtes Nobelblatt mit einem angeblich klugen Kopf dahinter - und immer bereit, die Atomkraftwerke zu verteidigen, schreibt: „Aber wer hat je behauptet, dass das Atomgeschäft ohne Risiken ist?“, so muss schon etwas passiert sein. Immerhin gut, nun haben wir es schriftlich – von einem der Leib- und Magenblätter der Herrschenden in Deutschland! Damit ist nun offiziell: Atomkraftwerke sind ein unberechenbares Risiko!

Atomkraftwerke Deutschland

Es geht um Asse, ein aufgelassenes Salzbergwerk in der Nähe von Wolfenbüttel, wo das Lagern von Atommüll in stillgelegten Salzbergwerken „erprobt“ werden sollte: Atomgeschäft.

Asse-Atomgeschäft ist die Ausgeburt des Kapitalismus. Der Beweis: Der Kapitalist geht auch über Berge von Leichen, wenn es um märchenhafte Profite geht. Die Herrschenden in Deutschland, sprich das Monopolkapital, haben die Atomwirtschaft (das Atomgeschäft) vom ersten Moment an sehenden Auges als Geschäft betrieben: Große Gewinne bei den Konzernen und Banken, große strahlende Probleme bei der Bevölkerung.

Alle Experten, die nicht gekauft waren, haben dies seit den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren, als die ersten Atomkraftwerke geplant und später auch gebaut wurden, klar und deutlich gesagt: Es fallen bei der Stromgewinnung aus Atomkraftwerken Unmengen strahlender Abfälle an, leicht strahlende, mittel strahlende und hoch strahlende, für die es keinerlei Möglichkeit der bezahlbaren sicheren Entsorgung gibt.

Die Schosshündchen der Herrschenden, die deutschen bürgerlichen Medien und die Politiker von rechts von der CSU über die CDU hin zur FDP, der SPD und dann nach einiger Zeit auch den Grünen, haben diese Tatsachen verdreht, verneint, verniedlicht, haben gelogen, dass sich die Balken bogen, haben mit Halbwahrheiten versucht zu beruhigen und haben währenddessen den Atommüll auf unverantwortliche Weise gelagert und in Europa herumtransportiert, so als ob es sich um gefährliche Abfälle handeln würde, die einfach nur einer Behandlung unterzogen werden müssten, um unschädlich zu werden.

Glauben Sie einem Naturwissenschaftler: Radioaktivität ist eine physikalische Gesetzmässigkeit, die man nicht abschalten kann. Viele der in Atommeilern entstehenden Isotope strahlen Zehntausende von Jahren, ohne dass man dies unterbinden könnte. Die einzig vielleicht akzeptable Entsorgung wäre, diese Tausende von Tonnen von Abfällen mit Raketen in die Sonne oder ins Weltall zu schiessen, aber eine einfache Kostenrechnung macht klar: dann würde der Atomstrom das Zehnfache kosten.

Mit einem Trick hat man geglaubt, sich des Problems entledigen zu können: Der so teure und doch so billig verkaufte Atomstrom kam den Konzernen zu Gute, die märchenhaften Profite der längst abgeschriebenen Kernkraftwerke fliessen heute im wesentlichen den drei grossen Betreiber zu: RWE, Vattenfall und eon, während alles, was die strahlenden Abfälle betraf, einfach dem Staat der Bundesrepublik Deutschland aufs Auge gedrückt wurde, sprich dem deutschen Steuerzahler.

Das ist Kapitalismus in Reinkultur, an einem kleinen Beispiel auf den Punkt gebracht.

Doch die Probleme können nicht mit Zeitungsartikeln und Fernsehsendungen aus der Welt geschafft werden. Die Realität holt die Herrschenden und ihre Schosshündchen ein: Die Realität heisst Asse und Cäsium-137.

Atomkraftwerk

Die Grundidee war und ist: Man könne die strahlenden Atom-Abfälle in tiefen aufgelassenen Bergwerken einlagern. Dort würden sie für alle Zeiten sicher lagern und man könne das Problem vergessen. Dumm nur, dass die Geologen (die nicht gekauft waren) sofort widersprachen: Sie sagten: Der gesamte Untergrund auf der Erde ist von Wasseradern durchzogen, die zusätzlich noch andauernd (manchmal alle zehn Jahre, manchmal alle 100 Jahre, manchmal nach Hunderten von Jahren) Weg und Richtung des Flusses ändern. Und fast all dies Wasser kommt irgendwann an irgendeiner Stelle wieder an die Oberfläche – und zwar im Einzelfall unvorhersehbar. Der Untergrund arbeite, er sei nicht auf Dauer stabil. Wo es grosse Kavernen gibt, werden diese irgendwann vom „Bergdruck“ geschlossen und alles, was darin ist, zermalmt. Eingelagerte Behälter würden dann die radioaktiven Stoffe freigeben und das Wasser würde sie aus den Höhlungen laugen und an irgendwelchen Stellen an die Oberfläche bringen.

Doch es gab auch gekaufte Geologen. Einer von ihnen, ein besonderer Schlaumeier, kam auf eine wunderbare Idee: Wenn man nur aufgelassene Salzbergwerke wie das in Asse und das in Gorleben benutzen würde, dann sei man vor Wassereinbrüchen sicher. Denn dort hätten sich in Hunderten von Jahren Salzstöcke gebildet und all diese Zeit sei kein Wasser eingedrungen, denn das hätte ja sonst das Salz herausgelaugt. Einlagern in Salzstöcken sei sicher.

Die nicht gekauften Geologen widersprachen: Auch Salzstöcke seien keineswegs sicher. Kleinere Wassereinbrüche sind auch dort die Regel. Dass dort zweihundert Jahre keine grösseren Wassereinbrüche vorkamen, bedeute nicht, dies bliebe auch für die nächsten Zehntausende von Jahren so. In Wirklichkeit würden Salzstöcke auch immer wieder von Wassereinbrüchen betroffen, die dann das Salz an andere Stellen befördern oder an die Oberfläche.

Das Problem war nur: Die nicht gekauften Geologen waren alle ohne Anstellung. Und wer wollte schon arbeitslosen Geologen glauben? Die vernünftigen Geologen dagegen, die Anstellung hatten, wiederholten im Auftrag ihrer Kapitalisten: „Salzstöcke sind sicher! Salzstöcke sind sicher! Salzstöcke ...“

Um der Öffentlichkeit, die aus unerfindlichen Gründen anscheinend immer noch nicht ganz überzeugt war von der völligen Ungefährlichkeit des Atomgeschäfts, ein für alle Mal zu beweisen, es gibt keinerlei Gefahr, alles ist unter Kontrolle, wählte man im Jahr 1965 – damals gab es gerade eine große Koalition (CDU-SPD – ach ja – und nicht zu vergessen die CSU), wie auch heute wieder – das aufgelassene Salzbergwerk Asse als Vorzeige-Lager und kaufte mit den Geldern des deutschen Steuerzahlers das ganze Gelände und dessen Untergrund.

Dort werde man erproben – natürlich nur mit leicht- und mittel-radioaktiven Abfällen, um jede mögliche Gefahr auszuschliessen – wie man die Atomabfälle einlagern könne und belegen: Salzstöcke seien sicher. Es werde so eingelagert, dass man alles wieder herausholen könne, falls dies nötig wäre. Aber man wusste bereits mit Sicherheit: Dies würde nie nötig sein. Es wurde eine Gesellschaft für Strahlenforschung geschaffen, voll von lauter Fachleuten, die über ihrem Bett ein Schild hängen hatten: Salzstöcke sind sicher!

Heute heisst die Institution Helmholtz-Zentrum und der Name des grossen deutschen Chemikers Helmholtz ist für alle Zeiten entehrt.

Wie es weiterging – Originalton FAZ, hier:

"Es sickert die Lauge, es rostet der Müll"

„...3,5 Millionen Kubikmetern Hohlraum, die allein mit Atommüll gar nicht zu füllen waren. Doch erst einmal kam mit Ausnahme des hochradioaktiven Abfalls 13 Jahre lang alles hinein, was in der Bundesrepublik an schwach- und mittelaktiven Rückständen anfiel. Heißere Fracht war schon avisiert: 100 000 Graphit-Brennelemente aus dem Versuchsreaktor Jülich sollten in die Asse geliefert werden.“

„Als hätten sie [die Politiker] bei zahllosen Grubenfahrten nicht sehen können, dass niemals daran gedacht war, die Abfälle jemals wieder herauszuholen. Anfangs waren die Fässer noch sorgsam gestapelt, später einfach abgekippt und mit Salz bedeckt worden; war eine Kammer voll, wurde sie mit Beton versiegelt. 125 000 Fässer verschwanden auf diese Weise auf der 750-Meter-Sohle, weitere 1300 mit stärker strahlenden Überbleibseln wurden mit erheblichem Aufwand weiter oben auf der 490-Meter-Sohle versenkt (...). Alles war von den zuständigen Bergämtern und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt abgesegnet worden.“

„In der Zwischenzeit sind tragende Pfeiler gebrochen. Obwohl der größte Teil der Hohlräume inzwischen mit Salz und anderem Material verfüllt ist, mögen Gutachter dem maroden Bergwerk nur noch eine Standzeit von sechs Jahren garantieren. Auch das war abzusehen; ein Wunder nur, dass das Grubengebäude nicht schon früher versagt hat.“

„... die Kammern wurden später mit den Rückständen verfüllt. Seitdem suppt aus ihnen beständig Flüssigkeit, denn der Gebirgsdruck sorgt dafür, dass das gesamte Grubengebäude immer mehr zusammengedrückt wird. Ausgerechnet die 750-Meter-Sohle, auf der die meisten Abfälle lagern, sei "bekanntermaßen mit Lauge durchtränkt", sagen die Gutachter.“

Castor

„Messungen zeigten, dass die Lauge anfangs geringe, dann immer höhere Konzentrationen Cäsium-137 aufwies; dieses Isotop kommt praktisch in allen radioaktiven Abfällen vor und geht besonders rasch in Lösung.“

„Seit zwanzig Jahren ... sind es 12 000 Liter [Wasser] pro Tag, die auf unbekannten Wegen über das Deckgebirge in das Grubengebäude strömen. Zum Skandal hätte das schon lange getaugt. Wenn sich nur mal jemand darum gekümmert hätte.“

Schachtanlage Asse

Interessant, nicht? Die FAZ wusste natürlich nichts davon, dass das Versprechen gebrochen war, dort nur provisorisch einzulagern, dort keinen hochradioaktiven Abfall einzulagern, dass dort seit zwanzig Jahren 12 000 Liter Wasser pro Tag Salz herauslösen, angereichert mit Cäsium-137 und anderen radioaktiven Isotopen. Die FAZ, die während dieser ganzen Zeit das Atomgeschäft verteidigt hat, ist keineswegs verbrecherisch, nein, sie ist ehrenwert!

Bis jetzt hat man noch nicht gefunden, wo all das Wasser an die Oberfläche kommt. Man hat aber auch noch nicht gesucht – 20 Jahre lang!

Nur um dem Nichtfachmann eine Idee zu geben: Wenn dieses Wasser mit Cäsium-137 an irgendeiner Stelle einen Trinkwasserbrunnen oder ein Grundwasser verunreinigt, aus dem Trinkwasser gewonnen wird, dann werden Hunderte, vielleicht Tausende, vielleicht Zehntausende, im schlimmsten Fall Hunderttausende Menschen mit geringenMengen des hochradioaktiven Isotops verstrahlt. Dessen Salze sind wasserlöslich und unser Körper baut sie, als wären es Kalium-Atome, in den eigenen Körper ein (Kalium ist eines der lebenswichtigen Spurenmetalle). Dort können dann selbst winzigste Mengen, 10, 20 oder 30 Milligramm (tausendstel Gramm) ihre Langzeitwirkung durch Strahlung entfalten.

Die mit geringen Mengen von Caesium 137 verstrahlten aus der Nähe von Hiroshima und Nagasaki haben zum Teil die fürchterlichsten Schicksale von allen gehabt. Entsetzliche Schmerzen – Gliedmassen faulen ab, müssen amputiert werden, Organe entfernt. Mehrere Krebse entwickeln sich zur gleichen Zeit. Wer das überlebt, ist noch schlimmer dran. Es gibt Fälle, wo Menschen 15 Jahre lang entsetzlich litten, bevor der Tod sie erlöste.

Wer mit Cäsium 137 verstrahlt wird, speziell mit kleinen Mengen, so dass er nicht schnell stirbt, wird die Gefolterten von Abu Ghraib und von Guantanamo beneiden.

Aber die Vorstandsvorsitzenden der Konzerne und Banken, die dies alles in Gang brachten und davon profitierten, sind natürlich keinesfalls Verbrecher, nein sie sind unschuldig! Sie sind ehrenwerte Männer!

Und die Regierungsverantwortlichen, die Herren Adenauer, Erhardt, Kiesinger, Brandt, Schmidt, Kohl und Schröder und Frau Merkel, sie sind natürlich keinesfalls Verbrecher, nein, sie sind unschuldig! Sie sind ehrenwerte Männer und Frau!

Und die Herren Umweltminister ...., - na, lassen wir das jetzt und erwähnen nur, dass Frau Merkel da zweimal vorkommt, die war nämlich vor Gabriel auch Umweltministerin.

Ja, und Herr Gabriel, dieser Nicht-Verbrecher, dieser ehrenwerte Mann, er schäumt vor Wut.

Die FAZ berichtet: „Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hielt einen Aktenordner in die Kameras und verkündete, darin fänden sich "unglaubliche Vorgänge". Die Grüne Renate Künast setzte noch eins drauf: Sie stellte Strafanzeige, denn die Verantwortlichen hätten offenbar "jahrzehntelang gemeingefährliche Straftaten begangen".“

Na, ist es nicht die Höhe?

All diese freundlichen, netten Politiker haben natürlich von gar nichts gewusst. Sie und ihre Vorgänger haben das selbstverständlch nicht angeordnet. Sie sind alle neugeborene Babys, speziell Gabriel, dessen Wahlkreis fast an Asse angrenzt, der bereits Ministerpräsident von Niedersachsen war, wo Asse liegt. Die Grünen, die mit der Vereinbarung zum Weiterbetrieb der Atomkraftwerke am Anfang der rot-grünen Koalition das grüne Licht (daher der Name „Grüne“) zum Weiter-Verstrahlen gaben, alle sie sind Eiapopeia-Windel-Babys, gerade erst geboren.

Die einzig Verantwortlichen sind zwei kleine Beamte im Helmholtz-Zentrum, natürlich – welche Verbrecher! Pfui Spinne!

Wenn sie den Berichterstatter als Wissenschaftler fragen, wie man wohl vermeiden könnte, eventuell von an die Oberfläche dringenden 12 000 Litern Wasser täglich mit deutlichen Mengen von Cäsium-137 betroffen zu werden, so kann man in etwa folgendes sagen: Ziehen Sie auf der Landkarte einen Kreis von 350 km um Asse (Wolfenbüttel). Wenn Sie innerhalb sind, besteht Gefahr.

Und kommen Sie nicht hierher nach Brasilien! Hier wird noch nicht einmal bekannt, wo das hiesige Asse liegt.

Doch das ist noch nicht alles, hören Sie die FAZ erneut: „Nun soll allen Ernstes der Plan geprüft werden, sämtlichen Müll wieder auszugraben. (...) müsste man komplett neue Robotertechniken erfinden. Die Bergung würde nach Schätzung von Ingenieuren mindestens zwanzig Jahre dauern und deutlich mehr als zwei Milliarden Euro kosten. In jedem Fall würde zusätzlich ein Berg von kontaminiertem Abraum entstehen, der zusammen mit den Fässern in das benachbarte Endlager Konrad bei Salzgitter verfrachtet werden müsste.

Und achten Sie besonders auf die politischen Aussagen. CDU und CSU versichern übereinstimmend, die Atomkraftwerke müssten weiter verlängerte Laufzeiten bekommen. Man wird voraussichtlich mit der FDP ab 2009 Deutschland regieren, also wissen Sie schon, was passiert: Mehr Asse.

Und hören Sie genau hin, was Erzengel Gabriel sagt: Selbstverständlich sei Asse ein Einzelfall. Gorleben, ein ander Salzstock, in den schon eingelagert wird, sei völlig anders. Das sei absolut sicher!

Na, so glauben Sie dem Mann doch endlich!

Alle „Wissenschaftler“ im Atomgeschäft tauschen nun das Schild über dem Bett aus: Statt „Salzstöcke sind sicher“ steht da nun „Gorleben ist sicher!“ und „Konrad ist sicher!“.

Und Sie wissen ja: 350 km Umkreis von Gorleben, 350 km um Konrad (das liegt bei Salzgitter)...

Am besten, Sie hängen sich auch ein Schild übers Bett: „FAZ: „Aber wer hat je behauptet, dass das Atomgeschäft ohne Risiken ist?“

Hatte man das nicht vor Tisch anders gehört?


Veröffentlicht am 10. September 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung

Dienstag, 9. September 2008

Ein Volk unverbesserlicher Rassisten?

Das kann wohl nicht wahr sein.

Originalveröffentlichung

Von Karl Weiss

Uri Avnery hat in seiner aktuellsten Kolumne, veröffentlicht in vielen alternativen Medien, unter dem deutschen Titel „Des Teufels Pferdefuss“ eine mögliche Ein-Staat-Lösung für das Problem Israel/Palästina als eine Anti-Lösung bezeichnet, weil dies automatisch zu der „ethnischen Säuberung“ durch die jüdischen Israelis gegen alle Araber führen würde, deren sie habhaft werden könnten. 99,99% der jüdischen Israelis würden daran teilnehmen. Ist Israel wirklich der Staat der unverbesserlichen und gewaltbereiten Rassisten?

Uri Avnery

Eine der Stellen dieser Veröffentlichung des Artikels von Avnery ist hier.

Die völlige Zerstückelung des palästinensischen Territoriums wird hier deutlich. Das ist keine Besatzung, das ist Annektion.

Als Grund für den vorausgesagten Genozid in diesem Fall gibt Avnery an, die Juden in Israel würden die "demographische Drohung" fürchten. Will sagen, die Palästinenser haben durchschnittlich mehr Kinder als die jüdischen Einwohner Israels und würden so bald die Mehrheit darstellen. Avnery, anstatt das rassistische Argument der „demographischen Drohung“ zu bekämpfen, macht es sich zu eigen.

Das sei dann eben so, dass die Palästinenser bald die Mehrheit stellen würden und dann: „99,99% der jüdischen Bevölkerung wird sich mit Zähnen und Klauen dagegen wehren. Die Demographie wird nicht aufhören, sie heimzusuchen, im Gegenteil, es wird sie zu Dingen antreiben, die heute noch undenkbar sind. Die ethnische Säuberung wird praktisch auf die Agenda kommen.“

Das ist rassistisch und faschistisch, bei allem Respekt vor Uri Avnery, dessen Kommentare üblicherweise die grosse Hoffnung am Leben erhalten, das Nahost-Problem könne doch noch friedlich gelöst werden, wenn nur endlich der „grosse Bruder“ von der anderen Seite des Atlantiks aufhörte, sich einzumischen. In diesem Fall aber stimmt Avnery in diese absurde Lamentiererei über die „demographische Bedrohung“ ein, was viel von dem, was er sonst geschrieben hat, den Wert nimmt.

Tatsache ist, wenn man eine Bevölkerung in Elend, Armut und Hoffnungslosigkeit treibt oder belässt, hat sie eine weit höhere Kinderzahl pro Paar als wenn man ihnen ausreichende oder gute Lebensbedingungen bietet. Über die Gründe dafür braucht hier nicht spekuliert werden. Würden die Palästinenser aus der von der israelischen Besatzung verursachten Elend, Armut und Unterentwicklung befreit und hätten ausreichende und sogar aufstrebende Lebensbedingungen, würde die Zahl der Kinder pro Paar im gleichen Masse sinken wie bei allen anderen Völkern, bei denen dies geschah.

Das Argument, die Palästinenser seien eben so, die hohe Zahl der Kinder stecke bei ihnen gewissermassen in der DNA, ist absurd und rassistisch. Das ist vergleichbar mit der Anmassung jener hohen Adligen in Deutschland, die erklärte, die Schwarzen würden eben so gerne „poppen“, daher seien die Probleme Afrikas mit der hohen Geburtenrate verbunden.

Avnery ist eigentlich zu intelligent, um dies absurde Argument zu verwenden. Wenn er es trotzdem tut, so steckt da offenbar Anderes dahinter. Was das sein könnte, darauf weist diese Passage hin: „Innerhalb weniger Jahre werden die arabischen Bürger die Mehrheit darstellen. Dann ist der zionistische Traum ausgeträumt. Der jüdische Staat ist gestorben.“

Ist das ein Albtraum für Avnery?

Palestina land loss

Meint er wirklich, es wäre möglich, das Nahostproblem zu lösen, indem in Israel alles gleich bleibt, lediglich ein winziges Stück Land den Palästinensern zur Verfügung gestellt wird, das sie einen „Staat“ nennen dürfen, möglichst noch geteilt in zwei (oder mehrere) Teile ohne Verbindung, wo man sie nach Belieben aushungern kann, ihnen das Wasser abdrehen, jeglichen Kontakt nach aussen unterbinden und dann vergnügt zusehen kann, wie sie verdursten, verhungern - oder sich vielleicht sogar gegenseitig auffressen?

Nein, eine Lösung des Nahostproblems ist nur möglich, wenn der zionistischen Ideologie in Israel abgeschworen wird, die eine angebliche „natürliche“ Überlegenheit des jüdischen über andere Völker beinhaltet, wenn Israel die Attribute des „Jüdischen Staates“ verlässt und einen normalen säkularen demokratischen Staat installiert, unabhängig, ob es daneben einen palästinensichen Staat gibt oder ob sich der als gar nicht nötig herausstellt, denn man kann ohne Zionismus und „Jüdischen Staat“ auch in einem gemeinsamen Staat zusammenleben.

Avnery unterschätzt offenbar sein eigenes Volk. Araber und Juden haben friedlich zusammengelebt im Nahen Osten, bevor dort der Zionismus installiert wurde und können dies auch danach wieder.

Wenn Israel darauf besteht, zionistisch zu bleiben und ein „Jüdischer Staat“ zu sein, dann macht es nicht den geringsten Unterschied, ob daneben ein palästinensischer Staat installiert wird oder nicht. Es wird weiterhin ständig Quelle von Spannungen und Kriegen im Nahen Osten sein, denn die Araber können nicht in Frieden leben, solange es in ihrer Mitte einen zionistischen Krebs gibt.

Wenn Avnery gewissermassen argumentiert, wenn die Palästinenser in einem gemeinsamen Staat die Mehrheit zu werden drohten, sei es fast schon gerechtfertig, sie mit einem Genozid zu überziehen oder zu vertreiben, so stellt er sich in den Gegensatz zu allen grundlegenden Menschenrechten. Er sollte sich wirklich überlegen, was er da sagt.

Wenn er wirklich Recht hat, dass 99,99% der jüdischen Israelis sich dann am Genozid und an Vertreibungen beteiligen würde – was kaum glaubhaft ist -, wenn das wirklich stimmte, so muss man die grundlegende Frage stellen, ob die Existenz eines solchen Volkes unverbesserlicher gewaltbereiter Rassisten im arabischen Herzland von der wirklichen internationalen Gemeinschaft (nicht von der selbsternannten der Regierung der USA und ihrer Verbündeten) akzeptiert werden kann.

Dann muss man sich überlegen, ob ein Staat, der sich so identifiziert, nicht mit Gewalt von diesen Idealen abgebracht werden muss, z.B. durch ein System von Sanktionen, wie damals im Falle Südafrika. Siehe in diesem Zusammenhang auch den Artikel: „...am Ende werden wir weg sein“.

Diese Frage mag sich konkret erst in Jahrzehnten so stellen, aber auch wenn es noch 100 Jahre dauert, es kann kein Überleben eines zionistischen „Jüdischen Staates“ im arabischen Kernland geben. Nur das friedliche Zusammenleben unter gleichen Rechten und Bedingungen mit den Arabern kann den Juden in Israel garantieren, in diesem Teil der Welt leben zu können.

Montag, 8. September 2008

Die Tinner-Connection, Teil 2: Der größte Skandal in der Geschichte der USA?

Ein Komplott zur Weitergabe der Atomgeheimnisse

Von Karl Weiss

Nach allen vorliegenden Beweisen scheint nun festzustehen: Die US-Regierung hat mit voller Absicht über seinen Geheimdienst CIA und unter Mitwirkung der Bundespolizei FBI die Anleitungen zum Bau von Atombomben ins Ausland schaffen lassen und dort Agenten anderer Länder zugänglich gemacht. Die „Atom-Geheimnisse“, die dann keine mehr waren, wurden auf verschiedenen Wegen an Israel, an die Türkei, an Pakistan und in der Folge auch an den Iran, Libyen und Nord-Korea weitergegeben.

CIA-Hauptquartier Langley

Die drei Tinners aus der Schweiz, Vater Friedrich Tinner und seine beiden Söhne Urs und Marco waren CIA-Mitarbeiter und haben einen wesentlichen Teil dieser schweren Verbrechen durchgeführt. Die Schweiz hat die entsprechenden Akten bewusst vernichtet, um eine Anklage gegen die Tinners zu erschweren.

Dies alles geht aus Artikeln der New York Times und der Londoner Times hervor. Auch andere haben Teile dieses Komplotts aufgedeckt, darunter die ehemalige FBI-Mitarbeiterin Sibel Edmonds und die deutsche Website world-content-news. Weitere Quellen sind der Schweizer Tagesanzeiger und die Schweizer Nachrichtenagentur 20min.

Wer alle Quellen nachlesen will, findet die Links zusammengefasst in diesem Artikel.

Bereits im ersten Teil von “Die Tinner-Connection“ wurde berichtet: Die Regierung der Schweiz hat offiziell über 300 000 Akten vernichtet, vor allem als Computerdokumente, die sowohl die Inhalte der Atomgeheimnisse als auch die Tätigkeiten der Tinners diesbezüglich enthielten.

Es verdichten sich die Anzeichen seitdem, dass dies auf intensiven Druck aus den USA geschehen ist. Offenbar wollte die US-Regierung damit verhindern, dass bekannt wurde, die drei Tinners waren Mitarbeiter des CIA. Denn die Unterlagen belegen andererseits die Weitergabe von Atomgeheimnissen an Nord-Korea, an Libyen (damals noch „Schurkenstaat“ Nr.1) und an den Iran. An den Iran??? Ja, an den Iran!

Tinners Haus in Haag in der Schweiz

Dieser Hauptgrund für die Vernichtung der Akten (damit die Verbindung der Tinners zum CIA nicht auffliegt), hat sich allerdings bereits erübrigt, denn nun, Ende August (Artikel vom 24. August), nur wenige Monate nach der Bekanntgabe der Vernichtung im Mai, stand bereits in der New York Times, sie waren Mitarbeiter des CIA.

Woher die NYT das weiss? Sie sagt, sie hat Aussagen von insgesamt vier Geheimdienstmitarbeitern darüber, die allerdings in der Anonymität verblieben. Es gab aber auch die Aussage von Gary Samore, dem ehemaligen Zuständigen für Nichtweiterverbreitung des US-National Security Council: Die Zusammenarbeit mit den Tinners sei extrem wichtig gewesen. Es wurde auch gleich noch berichtet, die Tinners erhielten 10 Millionen Dollar für ihre Dienste, zum Teil in den berühmten schwarzen Geldkoffern, die auch das deutsche Publikum seit Kohl zur Genüge kennt.

Die Lüge der Schweizer Regierung, man habe die Unterlagen vernichtet, um ihren Diebstahl zu verhindern, damit diese Atombombenbaupläne nicht in die Hände von Terroristen gelangen, war schon damals durchschaubar. Wenn ausgerechnet die Schweiz, die das Geld und die Geldgeheimnisse der Hälfte aller Reichen dieser Welt gut gesichert beherbergt, sich für ausserstande erklärt, ein paar Computerfiles sicher aufzubewahren, so ist das eine Lachplatte.

Urs Tinner

Man hat aber immer noch eine Ausrede: Der Kontakt mit den Tinners und das Abschöpfen von dem, was sie wussten, habe dazu gedient, herauszufinden, wohin Abdul Khan, der „Vater der pakistanischen Atombombe“, seine Kenntnisse verkauft hatte. Die Tinners seien enge Mitarbeiter von Khan gewesen und daher konnten sie wissen, was und wohin Khan verkauft hat.

Auf den ersten Blick ergibt das einen Sinn, wenn man die offizelle Khan-Story glaubt. Aber da gibt es ernsthafteste Zweifel.

Abdul Khan

Abdul Khan hat 2004 im Fernsehen auf Englisch eine Geständnis abgelegt, er habe seine Kenntnisse über die Urananreicherung und den Bau von Atombomben an Nord-Korea, Libyen und den Iran weiterverkauft, aber es gibt nicht die geringsten handfesten Beweise hierfür. Zwar behauptet dies auch die CIA, aber was die sagt, kann man ja wohl nicht als glaubwürdig ansehen.

Er wurde nämlich nie wirklich vor ein Gericht gestellt, wo Beweise hätten aufgefahren werden müssen. Er wurde vielmehr nach seinem öffentlichen Geständnis vom kürzlich zurückgetretenen pakistanischen Diktator Musharraf begnadigt (der nie über die Rolle eines Vasallen der US-Regierung hinauskam), und lebt seitdem unter Hausarrest, aber unter recht freundlichen Bedingungen, in Islamabad.

Kürzlich wurde er von einem Journalisten interviewt und widerrief sein Geständnis. Er sei damals mit der Androhung schwerster Bestrafungen zu diesem Schauspiel gezwungen worden. Er sei es nicht gewesen, der die Atom-Unterlagen an diese Länder weitergegeben habe.

Diese Einlassung ist glaubhafter als das Geständnis.

Warum? Weil es die Aussagen der früheren FBI-Übersetzerin Sibel Edmonds gibt, eine jener heroischen Frauen, die selbst einem Präsidenten Bush junior die Stirn zeigen. Was sie sagte (nachdem ihr Sprechverbot Ende 2007 abgelaufen war), steht nämlich in drei Artikeln der Londoner Times vom Anfang des Jahres.

Die ganze Geschichte ist zuammengefasst in den zwei Artikeln „Die Türkei-Connection, Teil 1“ und „Die Türkei-Connection, Teil 2“ und soll hier nur kurz dargestellt werden:

„Die Londoner Times hat veröffentlicht, wie US-Offizielle, beginnend im Jahr 2000, über eine private türkische Gesellschaft hoch geheime Atom-Unterlagen an Israel und an Pakistan (und damit später an den Iran, an Nord-Korea und an Libyen, wahrscheinlich auch an die Türkei und Saudi-Arabien) verkauft haben.“

„Dieser Deal wird jetzt von Präsident Bush mit einer geheimen Gesetzesvorlage versucht nachträglich zu legalisieren. Es handelt sich um eine nach dem Atomwaffensperrvertrag international geächtete Tat – und um eine mit Todesstrafe bedrohte in den USA.“

„... kam aus Kreisen von US-Offiziellen (sprich also aus höchsten Kreisen der Bush-Administration) ein Hinweis an Vertreter der Türkei-Connection, die sich in den USA aufhielten, jeden Kontakt mit Brewster Jennings zu vermeiden. So kam die CIA nie dazu, den Komplott aufzudecken und auch im FBI wurde dafür gesorgt, dass keinerlei Informationen, die 'Türkei-Connection' betreffend, ausgeplaudert wurden (Wir haben schon gehört: Sibel Edmonds wurde entlassen und mit einem strafbewehrten Sprechverbot belegt).“

Zuammen mit den jetzt veröffentlichten Verbindungen über die Tinners und das offizielle USA ergibt sich also ein zusammenhängendes, klares Bild: Die offizielle USA hat gewollt Atomgeheimnisse weitergegeben. Niemand ist bis heute in den USA wegen dieser Spionage angeklagt worden. Im Gegenteil, Präsident Bush versucht, diese Weitergabe als (nachträglich) erlaubt durch einen Gesetz abzusegnen.

Darunter war auch der Empfänger Iran. Wenn man also dem Iran Geheimnisse geliefert hat, so kann man sich jetzt nicht darüber aufregen, dass der Iran sie verwendet – so er sie denn verwendet, wie die US-Regierung und Israel behaupten.

Es gibt also für die angebliche iranische Atombombe zwei Möglichkeiten:

Entweder die US-Regierung (unter Einbeziehen von israelischen Agenten) hat die Technologie selbst geliefert – dann kann man deshalb den Iran nicht angreifen –

Oder der Iran hat die Entwicklung einer Atombombe längst eingestellt – wie es US-Dienste leztes Jahr selbst veröffentlicht haben – dann kann man deshalb den Iran nicht angreifen –

So oder so, ein Angriff auf den Iran würde auf einem FAKE beruhen, mindestens so gross wie jenes der Massenvernichtungswaffen im Irak.


Veröffentlicht am 8. September 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung

Sonntag, 7. September 2008

Brasilien jenseits von Fussball und Samba, Teil 11: Brasilien und Sprit aus nachwachsenden Rohstoffen

Teil 11: Sprit aus nachwachsenden Rohstoffen

Von Elmar Getto

Es begann Anfang der Siebziger Jahre. Brasiliens Superreiche drängten auf eine neue Einnahmequelle und so erfand man das ‚Pro-alcool’-Programm, das erste großangelegte Experiment, Alkohol (bei uns auch gern ‚Weingeist’ genannt) statt Benzin als Kraftstoff für Autos zu verwenden.

Brasilien (topographisch)

Es war die Zeit der düstersten Jahre der brasilianischen Militärdiktatur. In den Folterkammern schrien die gequälten Kreaturen, der Militär-Präsident hieß Geisel, war deutscher Abstammung und handelte im Auftrag der US-Regierung. Jede noch so leise „linke Stimme“ wurde unterdrückt. Wer auch nur den Ansatz einer Kritik des Militärregimes äußerte, konnte sich mit etwas Pech bald in den Kellern der Junta vorfinden, wo die in Fort Bennett in den USA ausgebildeten Knechte ihre Kenntnisse anwandten (woher kommt nur das Gerücht, das die offiziellen USA erst jetzt hätten angefangen zu foltern?).

Auch die hohen Militärs, auf anderer Ebene, waren durch Fort Bennett gelaufen. Sie wußten, was sie zu tun hatten, um ihren Auftraggebern aus dem Norden des Doppel-Kontinents Wohlgefallen zu bereiten. Sie selbst waren fast alle aus den Familien der Superreichen Brasiliens, etwa 500 - 1000 Familienclans, die Banken, Unternehmen, Ländereien und den Staat besitzen seit der Unabhängigkeit und die dort trainiert wurden, ihre Macht mit dem „Großen Bruder“ aus dem Norden zu teilen. Der gestand ihnen dafür märchenhaften Reichtum zu. Und im Kapitalismus gilt meist: Je reicher sie sind, desto größer die Raffgier.

Diese 500 - 1000 Familienclans sind nebenbei meist auch noch Großgrundbesitzer und besitzen fast den ganzen Grund und Boden Brasiliens, von Stücken von nur einigen läppischen Zig Quadratkilometern bis hin zu Besitzungen in der Größe der Schweiz. Doch in jenem Tagen war mit Agrarprodukten nicht so viel zu verdienen. Die Weltwirtschaft war noch am Brummen – der letzte Rest des großen Booms der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg. Agrarprodukte dagegen waren schwer abzusetzen und niedrig im Preis. Ein wesentlicher Teil dieser Familienclans baute u.a. Zuckerrohr an, viele hatten auch Zuckermühlen, in denen dieses zu Zucker verarbeitet wird.

Zuckerrohr-Ernte

Doch die wichtigsten Zuckermärkte waren verschlossen: Die USA und Europa. Die stellten selbst Zucker her und hatten hohe Zollbarrieren (wie auch heute weiterhin). Der Zucker war nicht abzusetzen und die Preise verfielen. Ein Teil der Ernte wurde in den beliebten „Cachaça“ oder „Pinga“ umgesetzt, den brasilianischen Zuckerrohrschnaps, der sich durch einen Fermentierungsvorgang vom Rum unterschieden und die Grundlage des weltberühmten ‚Caipirinha’ ist. Doch auch dafür war der Markt begrenzt.

Ein kleiner Teil des Zuckers wurde in modernen Anlagen in Industriealkohol umgesetzt, so daß Brasilien zum einzigen Land wurde, in dem Ethanol (Alkohol) billiger war als Methanol, eines der Großprodukte der petrochemischen Industrie. Bis heute streiten sich die Geister, wer dann zuerst die Idee hatte, Alkohol auf seine Eignung als Kraftstoff zu testen. Es stellte sich schnell heraus, daß Alkohol im Prinzip als Kraftstoff für Benzinautos geeignet war. Er hat wegen seiner höheren Dichte sogar mehr Energieinhalt bei der Verbrennung pro Liter als Benzin – und er hat eine Oktanzahl von weit über Hundert, ist also nicht im geringsten klopfanfällig.

Wenn man den typischen Industriealkohol verwendet, der 99%ig ist, also nicht den mit Wasser vermischten 96%igen, ist er auch in allen Verhältnissen mit Benzin mischbar. Allerdings stellten sich auch schnell Nachteile heraus: Ein Teil der im Benzinsystem verwendeten Dichtstoffe im Auto war nicht beständig gegen Alkohol und – mit Alkohol springen die Autos nicht an, außer wenn es schön warm oder sehr heiß ist.

Treffende Karikatur

Nun ist es zwar in Brasilien weithin und über große Teile des Jahres heiß, aber es gibt eben auch südlicher und höher gelegene Orte, wo es schon mal ganz kühl werden kann und der in Brasilien dicht bevölkerte Südosten und Süden hat einen Winter, in dem schon mal Temperaturen unter 10 ºC vorkommen, in manchen Gebieten sogar unter 0 Grad. Das Problem wurde relativ einfach gelöst: Neben dem kleinen Kunststofftank für Scheibenwaschwasser unter der Motorhaube wurde ein zweiter, ebenso kleiner Benzintank mit etwa 2 Liter Inhalt angebracht, aus dem Benzin zum Anspringen geholt wurde.

Damals hatten fast alle Autos ja noch den ‚Choke’, den man ziehen mußte zum Kaltstart. Der konnte leicht mit einer Mechanik zum Öffnen des kleinen Benzintanks verbunden werden und fertig war das Alkohol-Auto. Ansonsten mußte man nur noch einige Dichtmaterialien austauschen.

Die Militärherrscher beschlossen also, ihren Familien (und den anderen Superreichen) mit den Alkohol-Autos zusätzlichen Gewinn zukommen zu lassen. Jeder Zuckerproduzent, der etwas auf sich hielt, legte sich nun eine Industriealkoholfabrik zu. Die drei Autofabriken, die es zu jener Zeit schon in Brasilien gab, die von Volkswagen, von General Motors und von Ford, wurden vergattert, Alkoholautos herzustellen und zu verkaufen und die Tankstellenketten, Alkoholtanks und -zapfsäulen anzuschaffen.

Das Ganze hatte auch noch einen Nebenzweck: Das hohe Außenhandelsdefizit Brasiliens sollte verringert werden, das damals nicht unwesentlich durch die Erdöleinfuhren erzeugt wurde, denn man brauchte Benzin und Diesel für die boomenden Fahrzeugabsätze. Zu jener Zeit hatte Brasilien noch kein Erdöl gefunden bzw. war noch in den Anfängen der Erölförderung.

Was hier interessant ist, ist die schwarze Linie (Beobachtung). Sie zeigt einen völlig von den vorherigen Scwankungen abweichenden, unaufhaltsamen Anstieg der Temperaturen in letzter Zeit.

Die bessere Umweltverträglichkeit von Alkoholautos und der Aspekt der nachwachsenden Rohstoffe spielten damals dagegen noch keine Rolle.

Der Alkohol aus Zucker wurde von der Steuer befreit und war damit billiger als das Benzin und er wurde mit etwa 10 % Benzin vergällt – und ab ging die Post. Fast unter Ausschluß der (außerbrasilianischen) Öffentlichkeit wurde eines der fortschrittlichsten Projekte im Großmaßstab der gesamten Automobilgeschichte auf die Beine gestellt – und das aus ganz kapitalistischen Gründen und ohne jede Absicht, fortschrittlich zu sein.

Alkoholautos waren beliebt, denn sie haben eine höhere Leistung als Benzinautos mit gleich großen Motoren – eine Folge der höheren Energiedichte. Allerdings hatte man mit Alkohol auch einen höheren Verbrauch als mit Benzin – eine Folge der fehlenden Anpassung der Motoren: Man hatte lediglich die Dichtungen ausgetauscht und den kleinen Tank eingebaut und sonst alles gleich gelassen. Man brauchte etwa ein Drittel mehr Kraftstoff als bei einem baugleichen Benzinmodell. Da aber der Preis für Alkohol auch ein Drittel unter dem des Benzins lag, glich sich das aus.

Bis etwa zur Mitte der 80er-Jahre, dem Höhepunkt des damaligen Alkoholbooms, waren bis zu 70% der in Brasilien verkauften Autos Alkohol-Fahrzeuge. Als der Schreiber dieser Zeilen 1990 nach Brasilien kam, kaufte er als Privatauto ein Alkohol-Auto, einen Fiat Uno (inzwischen hatte sich auch Fiat mit einer großen Fabrik in Brasilien niedergelassen). Der hat ihn über Jahre bis zu seinem Ende bei einem Unfall nie im Stich gelassen.

Kohlendioxid-Anstieg: Dies ist eine so überzeugende Kurve über das, was im Moment geschieht, dass sich jeder Kommentar erübrigt.

Zu jener Zeit hatten die großen Alkoholhersteller so große Profite, daß sie übermütig wurden. Einer der größten, eine Firma mit dem Namen Copersucar, kaufte sogar einen Formel-1-Rennstall und engagierte den zu diesem Zeitpunkt bereits dreimaligen brasilianischen Weltmeister Nelson Piquet für ihr Team. Der eine oder andere Rennsport-Begeisterte mag sich noch an diese Episode erinnern. Allerdings kam der Rennstall nie über die Rolle einer ‚Minardi’ hinaus und so stellte man das Engagement wieder ein.

Die Alkohol-Autos hatten allerdings den Ruf, daß ihr Motor nicht so lange hält wie jener der Benziner. Das könnte ebenfalls mit der mangelnden Anpassung der Motoren zusammenhängen, die ja nun ein deutlich höheres Drehmoment zu ertragen hatten, aber keinerlei Verstärkung erhalten hatten. Aber auch dies hatte dem Alkoholauto nicht den Garaus gemacht.

Was dies fast tat, war ein Ereignis aus dem Beginn der neunziger Jahre. Wieder war die Raffsucht der brasilianischen Superreichen der Anlaß. Die Alkoholhersteller hatten immer darauf geachtet, daß ihnen die Regierung im Gleichschritt mit den Benzinpreiserhöhungen auch zusätzliche Profite zuschanzte. So stand zu jenem Zeitpunkt mal wieder eine solche Erhöhung an, doch die Regierung und die Superreichen konnten sich nicht über den genauen Umfang einigen.

Da sagten sich Brasiliens Superreiche, daß man doch einmal etwas Muskeln zeigen müsse und stoppten die Belieferung. Unter Vorwänden wie „technische Probleme“, „die Schuld liegt bei den Vetriebsorganisationen“ und „die Tankstellen sind Schuld“ ließ man die Besitzer von Alkoholautos ohne Kraftstoff. Das dauerte zwar nur zwei Wochen, bis die Regierung nachgab, doch die Brasilianer kennen ihre Superreichen, die von den Mainstream-Medien üblicherweise als „die Elite“ bezeichnet werden, nur zu gut. Einmal Geschmack gefunden, würden sie dies Mittel immer wieder einsetzen.

Die fünf wärmsten Jahre seit 1890

Für die Brasilianer war damit das Alkohol-Auto gestorben. Von diesen Raffies in seiner Bewegungsfreiheit abhängig zu sein, nein, das wollte (fast) niemand. Die Alkohol-Autos verloren mächtig an Wiederverkaufswert, der Neuwagenverkauf der „Alkoholiker“ brach ein und bis zum Tiefststand im Jahre 2003 war der Verkauf von Alkoholautos auf unter 3% aller Neuwagen gesunken.

Zwar wiederholten die Raffkes jenen „Streik“ nicht, erschrocken über die harte Reaktion ihrer Landsleute, aber das Vertrauen war dahin. Es half auch nicht, daß nun Verträge mit Konventionalstrafen für Nicht-Lieferungen zwischen Regierung und „Elite“ geschlossen wurden, denn die Brasilianer haben ebenso schlechte Erfahrungen mit den staatlichen Autoritäten wie mit den elitären (die, wie sie wissen, sowieso ineinander verwoben sind).

Allerdings waren immer noch eine beträchtliche Zahl von ‚Alkoholikern’ in Bewegung, denn in Brasilien werden die Autos deutlich länger gefahren als in unserer salzdurchwachsenen Welt. Auch blieben die Alkoholfabriken nicht auf ihrem Produkt sitzen, denn nun wurde Schritt für Schritt der Alkoholanteil im Benzin in Brasilien erhöht. Heute wird dem Benzin 25% Alkohol zugesetzt. Das Benzin-Auto fährt also heute in Brasilien 3:1 mit Alkohol. Das wirkt nicht nur als Anti-Klopfzusatz – man braucht damit weder die früheren Blei-Zusätze noch die heute verwendeten Additive zur Erhöhung der Oktanzahl –, sondern macht auch einen Riesenunterschied für die Umwelt.

Welt-Ölreserven

Überhaupt ist Alkohol als Kraftstoff extrem umweltfreundlich.

Kurz gesagt: Die Verbrennung des Alkohols stößt lediglich die Menge von Kohlendioxid (das Treibhausgas) wieder in die Atmosphäre aus, die vorher beim Wachsen des Zuckerrohrs der Atmosphäre entnommen wurde: Die Lösung des Treibhausgasproblems in Bezug auf den Kraftstoff.

Grönland Erwärmung Überblick - Kartenausschnitt

Grönland Erwärmung Stand 2002

Grönland-Erwärmung-Stand-1985

Zugleich braucht man für die Fortbewegung per Alkohol nicht mehr auf die (begrenzten) Vorräte an Erdöl zurückgreifen. Sie können für noblere Zwecke genutzt werden und auf unbestimmte Zeit in ihrer Nutzung ausgedehnt werden.

Für ein Land wie Deutschland, das praktisch kein Erdöl hat, aber eine teure landwirtschaftliche Überproduktion von Lebensmitteln, die niemand braucht, aber von der EG mit unseren Steuergeldern aufgekauft wird, um vernichtet oder eingelagert zu werden, wäre das Alkohol-Auto DIE Problemlösung – jedenfalls innerhalb kurzer bis mittlelfristiger Sicht.

Aber – langsam mit die junge Pferde – immer der Reihe nach.

Die Automobilkonzerne sahen und sehen sich seit etwa dem Beginn der 80er–Jahre verstärkten Fragen nach alternativen Fortbewegungskonzepten ausgesetzt. Die Umweltbelastung mit saurem Regen, Ozongehalt der Luft und Stickoxiden und der Treibhauseffekt des produzierten Kohlendioxids beim Verbrennen von Benzin und Diesel drangen immer deutlicher in das Bewußtsein der Menschen ein – in neuerer Zeit auch die Frage der Endlichkeit der Erdölvorräte. Die Antwort der großen ‚carmaker’ war eine auf Sparflamme köchelnde Entwicklung aller alternativer Antriebssysteme. Sowohl an dem reinen Elektroauto wurde herumentwickelt wie auch an dem Hybrid-System. Man erprobte alternative Kraftstoffe wie Wasserstoff und Erdgas (und eben auch Alkohol oder Methanol). Die Entwicklung von Solarzellen-Antriebssystemen wurde ebenso begleitet wie die der Brennstoffzellen. Dazu kamen Entwicklungen, die man aus der Nähe beobachtete wie die der Batterien und der Lagerung von Wasserstoff.

Im Grunde war es allen Autofirmen bewußt, das so nicht weitergehen konnte, aber man mußte eben dort vor allem sehen, daß man Monopolist eigentlich nur in der Motorentechnik, der Karroserietechnik und im Verkauf und Marketing von Autos war. Alternative Antriebssysteme würden dieser Monopolstellung teilweise abträglich sein, denn da könnten andere Firmen, die mehr in diese Entwicklungen investiert hatten, plötzlich als neue Konkurrenten auftauchen. Die allgemeine Devise hieß daher: Mit Kleinst-Entwicklungsprogrammen für alle Fälle gewappnet sein, aber mit Macht auf die Weiterführung des Verbrennens von Benzin und Diesel drängen.

Globale Erwärmung

Bestätigt und unterstützt wurden sie darin von den Öl-Monopolen. Die waren und sind noch intensiver daran interessiert, daß möglichst der gesamte Transport der Menschheit auf Verbrennung von Benzin und Diesel basiert, denn sie sind die alleinigen Inhaber von Explorations-und Fördertechniken des Erdöls und Raffinerie-Techniken, die im wesentlichen genau diese Kraftstoffe herstellen. Weit über die Hälfte des Geschäfts der großen Ölmonopole ist basiert auf der Benzin- und Diesel-Kette vom Erdöl-Bohrloch bis zur Zapfsäule.

So bildete sich eine unheilige Allianz zwei der größten und mächtigsten Monopolgruppen dieses Kapitalismus, der Automobil- und Erdölmonopole. Beiden gelang es vereint, jegliche Neuerungen in Bezug auf Antriebssysteme und Kraftstoffe zu verhindern.

Erdöl 1

Jegliche Ansätze wurden immer mit dem Totschlagargument „nicht ausgereift“ vernichtet. Diese Konzerne verwiesen bei jeder Gelegenheit auf ihre eigenen Entwicklungen und versicherten in fast gleichlautenden Erklärungen über 25 Jahre hinweg, sicherlich seien in der Zukunft andere Antriebssysteme und andere Kraftstoffe möglich, aber die Entwicklungen zeigten, daß man bis auf weiteres nicht einmal in die Nähe einer ökonomischen Alternative zum heutigen Automobil, seinem Antriebssystem und seinen Kraftstoffen gekommen wäre.

Das häufige Wiederholen führte dazu, daß diese Argumentation gewissermassen zum Allgemeingut wurde. Kein brauchbarer Konservativer – oder 'neocon' – von heute, der sie nicht auswendig könnte: „Alles nicht ausgereift, braucht noch Jahre!“ - und das seit 25 Jahren!

Auffallend war nur, daß immer wenn andere als diese Konzerne sich der Dinge annahmen, schnell brauchbare Resultate herauskamen. In Wirklichkeit sind alle diese Alternativen bereits seit Jahren anwendungsfertig. Ihre praktische Umsetzung wird nur durch die (fast) Allmacht der interessierten Konzerne verhindert, jedenfalls bezüglich einer Verwirklichung in nennenswertem Umfang.

Schmelzendes Eis

Die Blockadepolitik vor allem von seiten der großen Ölkonzerne war so extrem und hysterisch, daß es sogar zu lächerlichen Episoden kam. In Brasilien kolpoltierte man in den 90er Jahren die Aussage eines Sprechers von einem ihnen, der glaubhaft versichert hatte, die Verwendung von Alkohol als Kraftstoff sei noch nicht voll anwendungsreif (nachdem zu diesem Zeitpunkt in Brasilien bereits seit 20 Jahren Millionen von „Alkoholikern“ herumfuhren).

Im Einzelnen handelt es sich um folgende Alternativen, die bereits anwendungsreif sind:

1. Verwendung von Wasserstoff als Kraftstoff in normalen Benzinmotoren – Das ist schon so lange möglich, daß kaum noch jemand davon spricht.

2. Verwendung von Wasserstoff in Brennstoffzellen zur Erzeugung von Strom, der dann das Fahrzeug antreibt – ein solches Vehikel hat vor kurzem den absoluten Sparsamkeitsrekord aller Fahrzeuge ausfgestellt.

3. Sichere Lagerung von komprimiertem Wasserstoff im Auto mit einem Risiko, das nicht größer als das heutige des Benzintanks ist.

4. Herstellung des Wasserstoffs oder Stroms aus Sonnenlicht mit weit höherer Energie-Ausbeute als bei Photovoltaik-Anlagen der ersten Generation.

5. Der reine Elektro-Antrieb, der seinem Strom aus Batterien bezieht – Solche Omnibusse fahen bereits in vielen Städten der Welt.

6. Das Hybrid-Modell Benzin/Elektro, siehe Toyota Prius.

7. Die Verwendung von Erdgas als Kraftstoff in normalen Benzin-Motoren – hiervon gibt es ebenfalls schon viele Millionen funktionierende Autos, die heute noch alle von Benzin auf Gas und umgekehrt hin- und hergeschaltet werden können.

8. Wie oben schon dargelegt, die Verwendung von Alkohol aus Pflanzen in Benzin-Autos mit leichter Anpassung, wobei es heute auch schon die Version gibt, in der Benzin und Alkohol in jeder beliebigen Mischung verwendet werden können (dazu unten noch mehr).

9. Die Gewinnung von Alkohol als Kraftstoff aus Pflanzenabfällen, Holzschnitzeln, bzw. Schilf oder anderer Biomasse, letzteres ein VW-Projekt (SunFuel) von der IAA 2001, von dem man seitdem nichts mehr gehört hat.

10. Die Gewinnung von Benzin und/oder Diesel aus Pflanzenabfällen und aus Klärschlamm (der heute unter höchster Umweltbelastung deponiert oder verbrannt wird).

11. Die Gewinnung von Benzin/Diesel/Schmierölen aus Kunststoffabfällen (die heute unter höchster Umweltbelastung verbrannt werden).

12. Benzin/Diesel kann auch aus Kohle gewonnen werden, wie das faschistische Deutschland in mehreren großen Anlagen bewiesen hat (Fischer-Tropsch-Synthese).

13. Bio-Diesel, wie er in Deutschland heute schon selbstverständlich ist, also chemisch umgewandelte (umgeesterte) Pflanzenöle, seien sie auf Basis von Rapsöl, Rizinusöl oder Sojaöl oder auch von Frittierabfällen.

14. Neue Dieselmotoren, die Pflanzenöle direkt in Bewegung umsetzen können, also ohne den Umweg über die Methyl- oder Ethylester.

Daneben gibt es weitere interessante Entwicklungen, wie z.B. die Lagerung von Wasserstoff in Nano-Röhren und vieles andere.

Im Kern geht es bei allen diesen Entwicklungen um drei Hauptprobleme und zwei Nebenprobleme, die mit diesen Alternativen gelöst werden können, seien es eines davon, zwei, drei oder alle.

Die Hauptprobleme sind:

1. Treibhauseffekt: Die Anreicherung der Atmosphäre mit Kohlendioxid (Treibhausgas), das u. a. bei der Verbrennung von fossilen Kraftstoffen (z.B. Benzin, Diesel, Erdgas) entsteht.

Erdöl

2. Die Umweltverschmutzung durch die Abgase, die zu 'saurem Regen' aufgrund von Schwefeldioxid, NOx-Belastung der Luft, Ozonbelastung der Luft und Feinstaub in der Luft führen.

3. Fossile Brennstoffe: Die Verwendung des endlichen Rohstoffs Erdöl als Ausgangsstoff der Kraftstoffe und anderen Brennstoffe, was die Verschwendung eines hochwertigen und unwiederbringlichen Rohstoffes bedeutet (abgesehen davon, daß man eventuell schon bald sowieso davon Abschied nehmen muß, weil er zu teuer wird).

Als viertes, weniger grundsätzliches Problem, das allerdings in Deutschland dringend ist, stellt sich die Außenhandelsbilanz eines Landes dar, das Erdöl bzw. Erdölprodukte in hohem Maß einführen muß und dafür Devisen erwirtschaften und bereitstellen muß (das betrifft vor allem die USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Italien sowie eine Reihe anderer Staaten).

Schließlich gibt es noch ein Fünftes, sehr spezielles Problem in der EU und den USA: Der Agrarmarkt. Um die Landwirtschaft nicht völlig aussterben zu lassen, werden landwirtschaftliche Produkte subventioniert, d.h. zu Preisen aufgekauft, die über dem Weltmarktniveau liegen, was riesige Summen an Steuergeldern verschlingt und gleichzeitig die Entwicklungsländer mit ihren Agrarprodukten aussperrt. Würde die Landwirtschaft stattdessen mit dem Anbau nachwachsender Rohstoffe für Kraftstoffe beschäftigt, könnten die Haushalte dieser Länder in ungeahntem Maße entlastet und gleichzeitig den Entwicklungsländern faire Absatzchancen gegeben werden.

Die weitestgehende Problemlösung (die allerdings auch noch weit am Horizont steht) läßt sich mit der Verwendung von Wasserstoff als Kraftstoff erreichen, wenn er aus Sonnenlicht gewonnen wird. Aus dem Auspuff eines Wasserstoff-Motors oder einer Brennstoff-Zelle kommt nur Wasserdampf und man wäre von den fossilen Kraftstoffen weg. Alle drei Hauptprobleme wären gelöst (die beiden Nebenprobleme wären dann sowieso nicht mehr so wichtig).

Üblicherweise wird hierzu davon gesprochen, daß man mit der Belegung von 5% der Fläche der Sahara mit Sonnenlicht einfangenden Zellen oder Spiegeln den gesamten benötigten (Wasserstoff-)Kraftstoff der Menschheit gewinnen könnte. Aber es gibt auf allen Kontinenten Wüsten bzw. sonnendurchflutete, weitgehend unbewohnte Gegenden, so daß man gar nicht so viel von der Sahara beanspruchen müßte.

Diese weitestgehende Lösung braucht nicht unbedingt über den Wasserstoff zu laufen, es könnten auch direkt der Strom in Batterien gespeichert werden und dann die Fahrzeuge mit Batterien betrieben werden.

Die Lösung mit der Verbrennung von Erdgas löst im Kern nur das Problem der Luftverschmutzung, und auch das nur teilweise - ist also nicht zukunftsträchtig.

Die Verwendung von Alkohol aus Pflanzen löst zwei der drei Hauptprobleme (Treibhauseffekt und fossile Brennstoffe) und teilweise das dritte, die Luftverschmutzung. Es hätte den Vorteil, daß es für uns in Europa auch noch die beiden Nebenprobleme löst. Abgesehen von einer gewissen (wenn auch deutlich geringeren) Luftverschmutzung ist dies also die Problemlösung mit dem weitesten Nutzen bei gleichzeitig minimalem Umrüstungsaufwand. Das gleiche gilt, wenn der Alkohol aus Pflanzenabfällen oder Biomasse gewonnen wird oder wenn Flüssigkeiten ähnlich dem Benzin oder Diesel (aber weit reiner) aus solchen pflanzlichen Quellen hergestellt werden.

Synthesis Hochspannungsleitungen-Verbund

Auch Biodiesel (und - mit Einschränkungen - die Verwendung der Dieselmotoren, die Pflanzenöle direkt verbrennen können), haben diesen gleichen Effekt: Sie lösen die Probleme Treibhauseffekt und fossile Brennstoffe, z.T. das Problem Luftverschmutzung und lösen auch beide Nebenprobleme: Gleich weiter Nutzen wie der Alkohol. Im übrigen soll auf Biodiesel hier nicht weiter eingegangen werden, um beim Thema zu bleiben.

[Hinweis: In der Reihe von Artikeln von Karl Weiss unter dem Namen "Der Alkohol-Boom hat begonnen" wird auch ausführlich auf Bio-Diesel eingegangen.]

Wird Alkohol oder werden ähnliche Flüssigkeiten wie Benzin oder Diesel aus Kunststoffabfällen oder Klärschlamm gewonnen, hat man allerdings nicht mehr oder nicht mehr vollständig den Effekt der Vermeidung des Treibhausgaserzeugung, jedoch kann der Vorteil der Vermeidung anderweitiger Luftverschmutzung dies mehr als aufwiegen. Speziell bieten sich diese Methoden an, wenn der Anbau nicht vollständig den Bedarf an Kraftstoffen deckt.

Das reine Elektroauto hat nur Sinn, wenn der Strom nicht vorher aus fossilen Brennstoffen oder aus gefährlichen und nicht endenwollend strahlende Abfälle hinterlassenden Atomkraftwerken gewonnen wird. Die Wasserstoff-Lösung sieht da im Moment vielversprechender aus, zumal die Batterien bis jetzt noch nicht allen Ansprüchen genügen.

Das Hybrid-Auto wie der Toyota Prius besitzt dagegen nicht einen der Vorteile. Er kann nur den Benzinverbrauch drücken, was immerhin auch schon etwas ist, aber im Vergleich doch wenig.

Daß die Gewinnung von Benzin/Diesel aus Kohle auch keinen Vorteil bringt, liegt auf der Hand (Kohle ist ja nur eine andere Art fossiler Rohstoffe als Erdöl).

Zur Gewinnung von Wasserstoff aus Sonnenlicht gibt es jetzt noch ein weiteres Verfahren, wie man aus einer Meldung vom 5. August erfahren konnte:

„Den Chemikern war schon lange bekannt, dass manche Metalle wie etwa Zink Wasser spalten können. Gescheitert sind diese Versuche meist daran, daß Zink stets zu unrein war. Zur Herstellung von reinem Zink war eine Reihe von chemischen Prozeduren erforderlich. Diese machten den Einsatz von Säuren und großen Mengen Strom erforderlich. Die israelischen Forscher [des Weizmann Institute of Science] haben nun einen besseren Weg gefunden: 64 sieben Meter hohe Spiegel fokussieren einen Lichtstrahl auf einen Turm mit Zinkoxid und Holzkohle. Der Strahl mit einer Leistung von 300 Kilowatt heizt den Reaktor auf bis zu 1.200 Grad Celsius an und schafft die Herstellung von bis zu 50 Kilogramm Zink pro Stunde.“

Jetzt hat uns eine Schweizer Zeitung allerdings aufgeklärt, daß die Idee aus der Schweiz von der ETH Zürich stammt. Das Weizmann-Institut hat lediglich seinen „Sonnenofen“ zur Verfügung gestellt, um die Erfindung zu testen. „Der von (... ) ETH entwickelte Solarreaktor ist vereinfacht gesagt ein grosser Behälter mit einer Fensteröffnung und einem «Abgasrohr». Der Reaktor wird vor Sonnenaufgang mit einem Gemisch aus Zinkoxid-Pulver und Kohle beschickt. Durch das Quarzfenster tritt die konzentrierte Solarstrahlung in den Reaktor und erhitzt ihn. Bei Temperaturen von 1200 Grad reagiert Zinkoxid und Kohle zu Kohlenmonoxid und gasförmigem Zink. Das Gasgemisch wird über ein Rohr aus dem Reaktor abgeführt und so abgekühlt, daß das Zink zu einem Pulver auskondensiert. Am nächsten Morgen wird der Reaktor wieder neu beladen."

Was so einfach tönt, stellt in der Detailumsetzung einige Herausforderungen.

«Um eine möglichst hohe Effizienz zu erreichen, darf nur wenig Solarwärme verloren gehen», erklärt Christian Wieckert (...). Die Forscher mußten die Geometrie des Reaktors so optimieren, daß viel Solarstrahlung eintritt, aber möglichst wenig wieder zurückstrahlt. Zentral ist auch, daß das Zinkoxid möglichst vollständig zu Zink reagiert. Das Mischungsverhältnis zwischen Kohle und Zinkoxid ist dabei entscheidend. (...) Die am Reaktorfenster eintreffende Strahlung ist etwa 2000-mal stärker als die direkte Sonne.

Nach den ersten Testläufen des Reaktors zieht Christian Wieckert eine positive Bilanz: «Etwa 30 Prozent der in den Reaktor einfallenden Sonnenenergie werden für die chemische Umsetzung genutzt.» Größere industrielle Anlagen dürften eine Effizienz von 50 bis 60 Prozent erreichen. Werden die angestrebten Wirkungsgrade erreicht, hat die Technologie ein großes Potenzial: Eine Landfläche von schätzungsweise drei mal vier Kilometer müßte mit Heliostaten ausgestattet werden, um mit Hilfe des Zinkkreislaufes genügend Wasserstoff für eine Million Brennstoffzellen-Autos zu produzieren.

Ethanol- und Zuckerfabrik in Brasilien

In unseren Breitengraden ist die Sonneneinstrahlung allerdings zu gering für ein großes solarchemisches Kraftwerk. Offen ist die Frage, wie die Energie aus künftigen Solarreaktoren in Israel, der Sahara oder Südspanien zu uns gelangen könnte. Macht es Sinn, Zink zu transportieren und dezentral Wasserstoff oder Strom zu produzieren? Oder soll man den Wasserstoff oder den Strom transportieren? In einer laufenden Studie wollen die (...) Forscher Antworten liefern.“

Sind wir zunächst von Brasilien ausgegangen und haben uns dann den alternativen Antriebssystemen und Kraftstoffen zugewandt, so kommen wir nun wieder auf Brasilien zurück.

Im Jahr 2003 nämlich verkündeten die vier großen Autobauer in Brasilien, VW, GM (Chevrolet), Fiat und Ford überraschend, sie würden Projekte verfolgen, die auf Autos zielen, die Alkohol oder jede Mischung von Benzin und Alkohol per Einspritzung und mit angepaßten Motoren verwerten können (jetzt hat auch Toyota entsprechende Autos angekündigt). Es waren Bosch und Magnet Marelli, die entsprechende Einspritzanlagen konstruierten. Im Verlauf von 2004 kamen bei allen vier die ersten Fahrzeuge auf den Markt, die mit den Mischungen dieser Kraftstoffe in jedem Verhältnis fahren können.

[Anmerkung vom Oktober 2006: Inzwischen gibt es auch "Flex-Fuel-Autos" von Toyota, Peugeot, Renault und Honda in Brasilien.]

Die Nachfrage war zunächst nicht riesig. Das lag aber daran, daß es diese Ausrüstung zunächst nur für Fahrzeuge gab, die für brasilianische Verhältnisse relativ großkalibrig waren, das war der 'Palio' mit 1,6-Liter-Motor bei Fiat, der 'Escort' oder 'Focus' mit 1,6-Liter-Motor bei Ford, der 'Gol' und 'Fox' mit 1,6-Liter-Motor bei VW und der 'Corsa' und ein neues Fahrzeug mit Namen 'Meriva' der gleichen Motorgröße bei GM-Chevrolet.

Wie sich jeder vorstellen kann, kann sich in Brasilien nur ein kleiner Teil der Bevölkerung Autos leisten. Davon wiederum müssen sich die weitaus meisten für die kleinsten verfügbaren Ausführungen entscheiden, das sind jene mit einem 1,0-Liter-Motor, die von der Regierung mit Steuervorteilen unterstützt werden, um den Fahrzeugabsatz anzukurbeln. Etwa 65% der in Brasilien verkauften Autos sind mit 1,0-Liter-Motoren ausgerüstet. Auch der Autor fährt ein solches Auto mit 1,0-Liter-Motor.

Erst Anfang 2005 begannen alle vier großen brasilianischen Auto-Firmen, auch die 1,0-Liter-Autos wahlweise mit dem Misch-Alkohol-Motor auszustatten. Jede der Firmen hatte dafür einen eigenen Namen gefunden. Bei Fiat heißt er einfach ‚flex’, bei VW ‚total-flex’, bei GM-Chevrolet ‚flex-power’ usw. Toyota hat seine Entwicklung als ‚Flexible-Fuel-Vehicle’ angekündigt.

Seitdem stiegen die Verkäufe dieser ‚flex’-Fahrzeuge innerhalb der ganzen Autoverkäufe kontinuierlich an. ‚Reine Alkoholiker’ gibt es jetzt natürlich überhaupt nicht mehr als Neuwagen (aber immer noch viele als gebrauchte). Im Mai schließlich stiegen die Verkäufe der Flex-Autos auf über 50% aller verkauften Autos. Dieser Trend wird sich aller Voraussicht nach fortsetzen, denn nun spricht sich langsam herum, daß die ‚Flex’, mit Alkohol betrieben, keineswegs mehr den höheren Verbrauch haben wie die früheren Alkohol-Gefährte und man damit einen recht beachtlichen Preisvorteil hat, vor allem, wenn man viel fährt.

Wahrscheinlich wird sich die Rate wieder bei den 70 bis 75% der verkauften Fahrzeuge festsetzen. Inzwischen haben auch schon die Gebrauchtwagenpreise der alten ‚Alkoholiker’ angezogen. Heute muß man bei einem Basismodell, z.B. des Fiat Palio mit 1-Liter-Motor und ‚Flex’-Austattung etwa 500 Reais (weniger als 200 Euro) mehr bezahlen beim Kauf als beim Benzin-Modell– das hat man schnell wieder raus.

[Anmerkung von Oktober 2006: Inzwischen hat sich der Anteil der "Flex-Fuel"-Fahrzeuge in Brasilien bereits bei über 75% festgesetzt und VW hat angekündigt, in Brasilien ab Anfang 2007 überhaupt nur noch diese Versionen seiner Fahrzeuge herzustellen - die anderen dürften nachziehen. Alle Flex-Fuel-Autos werden bereits zu gleichen Preisen wie die reinen Benzin-Modelle angeboten.]

Damit sind wir denn auch schon bei der Frage der Preise, die den Autofahrer vordergründig natürlich mehr interessiert als die Frage der Umweltverträglichkeit. Erfahrungsgemäß setzen sich umweltverträgliche Neuigkeiten nur durch, wenn sie nur gleich teuer sind oder besser billiger, sonst bleiben sie beschränkt auf eine kleine Minderheit.

Treibstoffpreise Brasilien Juli 08

Treibstoffpreise Brasilien
Hier die Preise für Benzin (Gasolina) und Alkohol (Alcool) an einer Billig-Tankstelle im Grossraum Belo Horizonteim Juli 2008 (oberes Bild) und im Juli 2007 (unteres Bild)

Unsere Recherchen haben im August 2005 in Brasilien folgende Ergebnisse über die Preise gebracht: Benzin kostet in Brasilien etwa zwischen 2,05 und 2,30 Reais pro Liter, das sind in etwa 70 bis 80 (Euro-)Cents. Alkohol kostet im Bundesstaat São Paulo zwischen 0,85 und 1,05 Reais (29 bis 36 Cents) und in anderen Bundesstaaten im Bereich von 1,10 bis 1,35 Reais (38 bis 47 Cents). Zum einen zeigen diese Zahlen, daß es in Brasilien keine Öko-Steuer gibt (die in Deutschland für alles andere außer ökologischen Zwecken verwendet wird). Zum anderen zeigen sie, daß für den Alkohol weniger Steuern gezahlt werden muß als für das Benzin. Und drittens schließlich zeigen sie, daß der Vorteil des geringeren Kraftstoff-Preises für den Alkohol so gravierend ist, daß der plötzliche Erfolg leicht erklärlich ist.

Allerdings gibt es in Brasilien – so wie auch in Deutschland – auch noch eine andere Alternative, das ist das Erdgas. Man kann für etwa 2000 Reais (etwa 670 Euro) sein Benzin-Auto mit einem zusätzlichen Hochdruck-Tank für Erdgas sowie den sonstigen Geräten versehen lassen, die es ermöglichen, wahlweise mit Erdgas oder Benzin zu fahren.

Ein üblicher Tank von (komprimierten) 16 bis 17 Kubikmeter reicht für etwa 200 bis 250 Kilometer, das ergibt in etwa den Km-Inhalt eines Kubikmeters als äquivalent zu 1,5 Litern Benzin. Also ein deutlich kleinerer Radius bis zum nächsten Tankstop, aber der Preisvorteil ist gewaltig. Der Kubikmeter Erdgas kostet an den Tankstellen in Brasilien um 1 Real, also etwa 34 Cent. Das ist also noch viel billiger als mit Alkohol. Dazu hat die brasilianische Regierung einen zusätzlichen Anreiz beschlossen, diese Umformung in ein Gas-Fahrzeug durchführen zu lassen: Man zahlt nur 25% der KFZ-Steuer für diese Fahrzeuge.

Allein damit hat man bei einem Neuwagen nach drei Jahren die Kosten für die Umstellung meist wieder herausbekommen.

Da Erdgas ja nun keineswegs die Umweltvorteile wie der Alkohol hat, ist es zumindest etwas verwunderlich, daß ausgerechnet in dem Land, das die Alkoholautos ‚erfunden’ hat, die Erdgas-Autos so sehr gefördert werden, aber warum sollte man von brasilianischen Politikern mehr Vernunft erwarten als von Deutschen?

[Anmerkung vom September 2008: Inzwischen ist der grosse Preisvorteil von Naturgas für Autos bereits nicht mehr vorhanden. Das Naturgas kam aus Bolivien, doch dort ist inzwischen Evo Morales am Ruder und hat die Gaspreise deutllich erhöht. Damit ist heute, bei Preisen um 1,50 Reais pro Kubikmeter, die Verwendung von verflüssigtem Erdgas für den Auto-Antrieb nicht mehr sehr attraktiv, denn man muss ja den Nachteil der geringeren Reichweite mit einrechnen. Gas wird heute in Brasilien hauptsächlich noch für Taxis verwendet.]

In Deutschland ist, wie jeder weiß, bis heute noch kein Alkohol-Programm gestartet worden, obwohl dies das naheliegendste von allem wäre.

Auch für die USA wäre ein Alkohol-Programm äußerst naheliegend. Hierzu gibt es einen Artikel in der New York Times vom 5. August 2005 von T.L. Friedmann über das neue Energie-Gesetz unter der Überschrift „Too much pork and too little sugar“, in dem er unter anderem schreibt:

“Many technologies that could make a difference are already here - from hybrid engines to ethanol. All that is needed is a gasoline tax of $2 a gallon to get consumers and Detroit to change their behavior and adopt them. (…) "During the 1973 Arab oil embargo Brazil was importing almost 80 percent of its fuel supply," notes Mr. Luft, director of the Institute for the Analysis of Global Security. "Within three decades it cut its dependence by more than half. ... During that period the Brazilians invested massively in a sugar-based ethanol industry to the degree that about a third of the fuel they use in their vehicles is domestically grown. They also created a fleet that can accommodate this fuel." Half the new cars sold this year in Brazil will run on any combination of gasoline and ethanol. "Bringing hydrocarbons and carbohydrates to live happily together in the same fuel tank," he added, "has not only made Brazil close to energy independence, but has also insulated the Brazilian economy from the harming impact of the current spike in oil prices." The new energy bill includes support for corn-based ethanol, but, bowing to the dictates of the U.S. corn and sugar lobbies (which oppose sugar imports), it ignores Brazilian-style sugar-based ethanol, even though it takes much less energy to make and produces more energy than corn-based ethanol. We are ready to import oil from Saudi Arabia but not sugar from Brazil.”

“Viele Technologien, die einen Fortschritt bedeuten können, sind bereits vorhanden – von Hybrid-Motoren bis zum Ethanol. Was nötig ist, ist eine Steuer von 2 Dollar auf eine Gallone Benzin [eine Gallone sind etwa 4,2 Liter, er tritt also hier für so etwas wie eine Öko-Steuer ein], um die Verbraucher und [die Automobilkonzerne in] Detroit dazu zu bekommen, ihre Gewohnheiten zu ändern und sie [diese Technologien] zu gebrauchen.... „Während des arabischen Ölembargo 1973 muß Brasilien fast 80% seines Kraftstoffes einführen.“ stellt Herr Luft, Direktor des ‚Instituts für Analysen der weltweiten Sicherheit’ fest. „Innerhalb von drei Jahrzehnten hat es seine Importabhängigkeit auf mehr als die Hälfte verringert. ... Während dieser Zeit hat Brasilien so massiv in eine Alkohol-Industrie auf der Basis von Zucker investiert, daß etwa ein Drittel des jetzigen Kraftstoff-Bedarfes im Land gepflanzt ist. Man hat auch eine Flotte von Autos geschaffen, die diesen Kraftstoff verwerten können.“ Die Hälfte der neuen Autos in diesem Jahr in Brasilien werden mit jeder Mischung von Benzin und Alkohol fahren können. “Die Kohlenwasserstoffe und die Carbohydrate zu einer fröhlichen Zusammenarbeit im Benzintank zu bringen,“so fügte er hinzu, “hat Brasilien nicht nur nahe an die Energie-Autarkie gebracht, sondern auch die brasilianische Wirtschaft immun gemacht gegen die momentanen Erhöhungen der Erdölpreise.“ Das neue Energie-Gesetz schließt eine Unterstützung für Alkohol auf der Basis von Mais ein, aber es hat sich dem Diktat der Zucker- und Mais-Industrie gebeugt (die Zucker-Importe ablehnen) und ignoriert Alkohol auf Zucker-Basis wie in Brasilien, obwohl dies Verfahren viel weniger Energie verbraucht und mehr Energie produziert als Alkohol auf Mais-Basis. Wir importieren laufend Erdöl aus Saudi-Arabien, aber keinen Zucker aus Brasilien.“

Was die brasilianischen Zucker- und Alkohol-Produzenten angeht, so haben die bereits verlauten lassen, daß sie die Zucker- und Alkohol-Produktion noch gewaltig steigern können, wenn dies notwendig sein sollte. Die Zuckerexporte Brasiliens sind fast zum Erliegen gekommen. Die EU und die USA lassen praktisch keinen Zucker herein, bis auf ein paar Alibi-Tonnen. Der Weltmarktpreis ist im Keller. Zu diesem Preis lohnt es sich für die Großgrundbesitzer fast nicht, überhaupt anzubauen. So wird fast nur für den Alkohol und den internen Markt produziert. Alkohol wird zwar in ansehnlichen Mengen exportiert und der heimische Konsum steigt zusammen mit der Zahl der Flex-Mobile, aber es sind immer noch einige der Alkohol-Fabriken aus der Zeit des Alkohol-Booms Ende der 80er-Jahre eingemottet. Außerdem kann man solche Fabriken von der Stange kaufen. Sie sind innerhalb weniger Monate schlüsselfertig.

Die brasilianischen Zucker- und Alkoholproduzenten heben dabei besonders hervor, daß sie die Energie zur Herstellung von Zucker und Alkohol aus angeschlossenen Kleinkraftwerken beziehen, in denen die ausgepreßten Reste des Zuckerrohrs verbrannt werden. Die Mengen sind so groß, daß die gesamte benötigte Energie so gewonnen werden kann. Auch bei diesem Verbrennungsprozeß wird der Kohlendioxid-Gehalt der Luft ja nicht erhöht, denn jedes dabei freiwerdende Kohlenstoff-Atom in einem CO2 – Molekül ist ja vorher beim Wachsen des Zuckerrohrs aus einem CO2 – Molekül der Luft gebildet worden.

Laut einer Mitteilung der brasilianischen Bundesregierung wird im Jahr 2006 die Autarkie Brasiliens in Bezug auf Erdöl erwartet, d.h. daß sich die Im- und Exporte von Erdöl und Erdölprodukten die Waage halten werden (im Wert). Damit wird Brasilien dann zu den wenigen Ländern auf der Erde gehören, die nicht von Erdölimporten abhängig sind und sogar beginnen, von den hohen Erdölpreisen beim Export zu profitieren.

Dies ist zunächst darauf zurückzuführen, daß die Brasilianer so stur waren, einfach nicht einer US-Fachfirma zu glauben, die es der brasilianischen Regierung in den Fünfziger-Jahren nach jahrlanger Suche schriftlich gegeben hatte, daß es auf brasilianischen Grund kein Erdöl gäbe. Man suchte weiter und fand schließlich, hauptsächlich draußen im Atlantik auf dem Festlandssockel, große Erdöl- und Gasvorkommen. Die waren aber in Wassertiefen, in denen bis dahin eine Förderung nicht möglich war. Die brasilianische Staatsfirma Petrobras entwickelte daraufhin neue Verfahren, die eine Bohrung und Förderung in großen Wassertiefen ermöglichten (ganz im Gegensatz zu allen Geschichten, die man uns über staatliche Firmen erzählt).

Logo Petrobras

Bis heute sind brasilianische Ingenieure weltweit führend in der Erdölförderung bei großen Wassertiefen. Die Petrobras hat eine eigene Firma, die dieses Know-How anderen Interessenten anbietet und verkauft. Im Moment sind gerade drei neue schwimmende Plattformen in Werften in Niteroi am werden, einer Stadt gegenüber Rio de Janeiro auf der anderen Seite der Guanabara-Bucht gelegen. In wenigen Jahren will man zu einem bedeutenden Erdölexporteur werden.

Der zweite Grund aber, daß man so schnell die Autarkie erreichen wird, ist das Alkohol-Programm. Da Brasilien so gut wie kein Erdöl zu Zwecken der Stromerzeugung oder der Erzeugung von Heizöl einführen muß – Strom wird fast ausschließlich aus Wasserkraft und Atomkraftwerken gewonnen und Heizungen gibt es in brasilianischen Häusern so gut wie nicht (wenn nötig, muß man sich mit Elektrostrahlern behelfen) - , ist die Herstellung von Diesel und Benzin der wesentliche Grund für die Einfuhr von Erdöl. Da macht natürlich der Ersatz von Benzin durch Alkohol viel aus.

Die EU könnte sofort mit einem Alkohol-Programm beginnen (man könnte ja Alkohol aus Brasilien einführen) und dann in aller Ruhe eine EU-Alkohol-Agrarpolitik vorbereiten, aber weit gefehlt. Eher steigen die sieben Reiter des jüngsten Gerichts herab. Die Erdöl-Riesen und die EU-Kommission, das ist fast eins.

Wer nun mit einem Alkohol-Programm begann, ist Schweden, eines der wenigen europäischen Länder außerhalb der EU. Man ist bereits dabei, ein Alkohol-Tankstellennetz aufzubauen. In Schweden sind schon Flex-Fahrzeuge zu kaufen.

Saab hat seinen 9-5 FFV BioPower vorgestellt. Ein kleiner Teil aus einem Testbericht dieses Autos:„Schweden eifert Brasilien nach und bringt den Saab 9-5 als BioPower-Version nun auch in unsere Breiten. (...) Der in Schweden angebotene Kraftstoff besteht zu 85 Prozent aus Äthanol und zu 15 Prozent aus Benzin. (...)Angetrieben wird der etablierte Schwede von einem Zweiliter-Vierzylinder mit der bekannten Turboaufladung. Der Motor ist wahlweise mit Äthanol oder Benzin zu betreiben. (...) Je nach Kraftstoff variiert jedoch die Leistung. Verfügt der Turbo bei Benzinbetankung über die üblichen 110 kW / 150 PS, so gibt es mit der hochkonzentrierten Tankfüllung Alkohol 132 kW / 180 PS. Die Fahrleistung sind entsprechend höher: 0 auf 100 km/h in 8,5 Sekunden und ein maximales Drehmoment von 280 Nm liegen über den Benzinerwerten. (...)Durch die höhere Oktanzahl (104 ROZ) kann der Motor den Kraftstoff effizienter verbrennen. Ein früherer Zündzeitpunkt und eine erhöhte Verbrennungstemperatur machen es möglich. „Unsere Motorsteuerung paßt sich automatisch dem gerade verwendeten Typ Kraftstoff an“, sagt Kjell Bergstörm, Präsident der Saab Automobil Powertrain AB. Zündzeitpunkt und Kraftstoff-Luft-Gemisch werden getrennt überwacht. (...)

Die Kosten halten sich im Rahmen. Der Preis des E85-Kraftstoffs liegt in Schweden rund 25 Prozent unter dem von bleifreiem Benzin. Die Verbräuche vergleichbarer Fahrzeuge liegen im Drittelmix und in der Stadt auf dem gleichen Niveau der handelsüblichen Modelle. Saab verspricht bei monotonem Tempo auf der Autobahn eine Ersparnis von rund 15 Prozent. Das Saab 9-5 FFV BioPower kostet im Kronenland knapp 900 Euro mehr als der handelsübliche Benziner. Zudem sind die Fahrzeuge steuerbefreit.“

Zum Jahreswechsel kündigte Saab auch die entsprechenden Varianten des kleineren Saab 9-3 an. Volvo hat ebenfalls Alkohol-Flex-Fahrzeuge angekündigt. Volvo bereitet nach Angaben der Konzernmutter Ford den Start von Ethanol-Versionen des V50 und des S40 in Schweden vor.

Auch Ford in Schweden hat bereits seine „Weingeist-Flotte“ vorgestellt. Hier kleine Ausschnitte aus einem Artikel über diese Fahrzeuge: „Ford wird den Focus und den C-Max Mitte August auch mit Ethanol-Antrieb ... ausliefern. (...)... wird es die Schräghecklimousine und den Kompaktvan dann mit einem 92 kW / 125 PS starken 1,8-Liter-Motor geben, der sowohl mit Superbenzin als auch mit Bio-Ethanol in nahezu allen Mischungsverhältnissen betrieben werden kann. (...)Die Preise für den Focus beginnen laut Ford bei 17.975 Euro; der C-Max wird mindestens 19.525 Euro kosten, was einem Aufpreis von jeweils 300 Euro entspricht. (...)... mindere Bio-Äthanol die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und werde überdies steuerlich gefördert.

Deshalb können Autofahrer mit diesem Kraftstoff laut Ford-Sprecher Isfried Hennen bis zu 20 Prozent Betriebskosten sparen. Bislang jedoch ist Äthanol in Deutschland nur vereinzelt verfügbar. Deshalb will Ford parallel zur Markteinführung nach Angaben von Umwelt- Vorstand Wolfgang Schneider auch auf den schnellen Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur hinarbeiten.“

Nun, da kann man ausnahmsweise mal einem Automobil-Konzern nur viel Erfolg wünschen. Der Ford-Sprecher kündigte an: „Wenn Ethanol in Deutschland zum Thema wird, dann stehen diese Autos ganz schnell auch bei uns im Showroom.“

So sehr – und mit soviel Grund – man Brasilien in vieler Hinsicht als rückständiges Land ansehen kann, so sehr muß man andererseits immer wieder zugeben, daß Brasilien in anderer Hinsicht plötzlich fortschrittlicher ist als unser ‚good old Germany’. Wir haben allen Anlaß, unser übliches Naserümpfen sein zu lassen und unser Denken neuen Ideen zu öffnen, auch und gerade wenn sie aus Ländern stammen, denen wir uns so überlegen vorkamen.


Hier stelle ich einen weiteren Brasilien-Artikel von Elmar Getto ein, der jetzt eine besondere Bedeutung gewonnen hat. Noch bevor der jetzige Alkohol-Boom losbrach, hat er hier die gesamten Grundlagen zusammenfassend dargelegt. Der erste Teil des Artikels erschien ursprünglich am 15. August 2005 in der 'Berliner Umschau', damals noch 'Rbi-aktuell', zwei andere Teile einige Tage später. Die drei Teile sind hier zusammengefaßt und vom Autor redigiert und aktualisiert.


Hier die Links zu allen Teilen der Reihe „Brasilien jenseits von Fussball und Samba“

- Teil 1: „Wie der Amazonas zu seinem Namen kam“

- Teil 2: ‚Menschenfresser-Country’

- Teil 3: „Ausgerottete Künstler“

- Teil 4: Niemeyer ist 100 – ‚Auf dem Höhepunkt des Schaffens’

- Teil 5: Brasilien und Gold

- Teil 6: Die Landschaften Brasiliens – Der Amazonas-Regenwald

- Teil 7: Brasilien und der Strom

- Teil 8: Die Landschaften Brasiliens – Mata Atlântica

- Teil 9: Santos Dumont und der erste Motorflug

- Teil 10: SIVAM – Big Brother in Amazonien

- Teil 11: Sprit aus nachwachsenden Rohstoffen

- Teil 12: Regenwaldvernichtung und Trockenheit im Amazonasgebiet

- Teil 13: Wie unsere Zukunft in der beginnenden kapitalistischen Barbarei aussähe – „Ich habe kein Leben“

Freitag, 5. September 2008

Frau Palin und der "Kinderschänder"

Sie repräsentiert die Rechtsaussen-Fundamental-Christen

Von Karl Weiss

Die in dieser Woche bestätigte Kandidatin der republikanischen Partei für die Vizepräsidentschaft, Sarah Palin, Repräsentantin der fundamentalistisch-extremistischen Christen in den USA, wurde plötzlich blind auf einem Auge, als ein offensichtlicher Fall von „Kinder-Schänden“ in der eigenen Familie geschah.

Bristol Palin und Levi Johnston
Hier sieht man das "glückliche" junge Paar, Bristol Palin und Levi Johnston, gepudert und geschminkt auf der Tribüne des Bundesparteitags der Republikaner, wo man die "gute" alte Regel "jetzt muss er sie heiraten" auch noch vor dem Millionenpublikum ausbreitet. Wieviele solcher Ehen halten, ist bekannt. Man sehe sich nur das Milchgesicht an, das in anderen Bundestaaten bereits im Gefängnis schmoren würde.

Palins siebzehnjährige Tochter Bristol ist im fünften Monat schwanger. Der Vater ist ein 18-jähriger, der sie bald heiraten will, mit Namen Levi Johnston. Soweit wäre dies eine banale Story, nicht des Erwähnens wert. Überall auf der Welt tun junge Leute, meist mit wenig Kenntnissen der Sexualität, miteinander Dinge, welche die Erwachsenen ihnen nicht in dieser Weise raten würden. Schließlich liegt das Niveau von Sexualhormonen im Körper in diesem Alter von 14 bis 18 Jahren besonders hoch und so ist die Zahl derer Legion, die Sex haben, ohne sich vor AIDS und Schwangerschaft zu schützen

So sagte denn auch der Kandidat der gegnerischen Partei, Obama, man solle diesen Fakt nicht einmal erwähnen. Tatsächlich wäre dies schlicht und einfach Privatsache jener Familie und niemand hätte da dreinzureden. Wäre, wenn.....

Wenn da nicht ein anderer Fakt wäre: Frau Palin ist erklärtermaßen die Kandidatin, die den Republikanern die Stimmen der fundamentalistischen Christen zutreiben soll, denn sie ist selbst eine dieser christlichen Extremisten. Und eben diese Christen mit dem Schaum vor dem Mund haben bereits in einer großen Zahl von Staaten der USA Gesetze durchgesetzt oder eingebracht, die aus moralischen Gründen ihre Ansichten zum Sex in jungen Jahren in massive Strafbewehrungen umsetzen.

Dabei spielt es keine Rolle, ob die Gouverneurin von Alaska mit jeder der absurden Meinungen jener Evangelikalen persönlich übereinstimmt oder solche Gesetze auch schon im eigenen Staat durch die Legislative gebracht hat oder nicht. Sie ist in ihrer Eigenschaft als Vize-Präsidentschaftskandidatin der Exponent des „Pit-Bull-Flügels“ der wild gewordenen Ultra-Rechts-Christen in den USA – kein Wunder, wenn sie sich selbst als Pit Bull bezeichnet.

So ist es denn auch charakteristisch, wie sie auf dem Parteitag der Republikaner auftrat: Nach der Rede wurden alle Kinder auf die Bühne geholt, einschliesslich der schwangeren Tochter und des Schwiegersohns in spe. Sie versucht damit, den Sex des Jung-Hengstes mit ihrer minderjährigen Tochter in einen positiven Fakt umzudrehen. Das könnte man ihr auch zugestehen, denn das machen fast alle Familien, die mit diesen Ereignissen konfrontiert werden: Es ist nun einmal geschehen, sehen wir nach vorne: Eine Hochzeit, eine neue Familie und viel Glück. Könnte, wenn...

Ja, wenn sie nicht die Repräsentantin der Absurditäten der rechten Extrem-Christen wäre.

Was sind die wesentlichen Inhalte der neuen Gesetze, die da aus dieser Ecke des rechten evangelischen Sekten-Spektrums in mehr und mehr Bundesstaaten bezüglich des Sex von jungen Leuten durchgesetzt werden (Der Begriff Sekten trifft nur aufgrund der ungewöhnlichen (vorsichtig ausgedrückt) Ansichten zu, nicht im Blick auf die Zahl der Adepten, die ist vielmehr Legion.)?

In allen diesen Bundestaaten wird die Definition „Kind“ auf alle bis zum 18. Lebensjahr ausgeweitet. Gleichzeitig werden „sexuelle Handlungen“ (in einigen Staaten nur „Penetration“ oder „Penetration in der Vagina“) mit diesen „Kindern“, also allen jungen Leuten bis 18, als „Kindsmisshandlung“, als angebliches „Kinderschänden“, eingestuft und entsprechend mit hohen Strafen belegt

Das klassische Beispiel dafür ist der seit vielen Jahren von Republikanern der christlich-extremistischen Spezies beherrschte Staat Georgia und die Verurteilung eines jungen Mannes, der mit seiner jungen Freundin (beide unter 18) Sex gemacht hat. Einzelheiten dazu in diesem Artikel: „Sex?? Gefängnis!!“. Der inzwischen bereits erwachsene Genarlow Wilson sitzt bereits seit mehr als zwei Jahren im Gefängnis und ist zu 10 Jahren verurteilt. Auch eine Aufhebung der Strafe hat bisher noch nicht zur Freilassung geführt. Siehe hierzu auch: „Sex unter 18? 10 Jahre Gefängnis!“

Hätte Frau Palin in ihrem Staat Alaska bereits entsprechende Gesetze durchgebracht, dann wäre der junge Levi nicht auf der Bühne eines Parteitags bejubelt worden, sondern sässe in einer Gefängniszelle und könnte ihre Tochter nicht heiraten (jedenfalls nicht, wenn die Mutter gewählt werden will), geschweige denn sich um das Kind kümmern, das da erwartet wird.

Frau Palin als Repräsentantin eben genau dieser Fraktion von Evangelikalen, die für solche Gesetze verantwortlich sind, „bemerkt“ plötzlich nicht mehr, dass hier etwas geschah, was man in ihren Kreisen als Verbrechen charakterisiert, nämlich „Kindsmissbrauch“ an ihrer Tochter, die ja noch keine 18 Jahre alt war, d.h. bis heute noch nicht ist. Ihr sonst so wacher christlicher Sündendetektor war irgendwie abgeschaltet, als es um das Verhältnis ihrer eigenen Tochter ging. Der junge „Kinderschänder“ ist plötzlich kein Verbrecher mehr, sondern ein willkommenes Mitglied der Familie? Das ist ein wenig dick aufgetragene Heuchelei, oder?

Obwohl diese Tatsachen in den USA ja allseits bekannt sind, bringt keine Sendeanstalt, keine Zeitung, kein Magazin diese Frage auf. Man will sich nicht mit den Millionen von „wiedergeborenen Christen“ anlegen noch mit der katholischen Kirche in den USA, die solche Gesetze in der Regel unterstützt. So absurd auch die haarsträubenden Gesetze sind, die da durchgebracht werden, es gibt keine öffentliche und sachliche Kritik.

Der Parteitagsauftritt von Frau Palin ist also nichts als Heuchelei. Die von ihr repräsentierte Bewegung in den USA zum Abschaffen aller Gesetze, die von der Aufklärung beeinflusst sind und zum Einführen von Gottesstaat-Gesetzen, besonders im Zusammenhang mit sexuellen Aktivitäten, ist ja so stark, dass sie es sogar geschafft hat, eine Unterorganisation der UN, die sich mit Kinder-Missbrauch beschäftigt, zum Verfassen von generelle Richtlinien genau im Sinne der Super-Moral-Christen zu bringen (auch ein Lehrstück über die UN als reines Sprachrohr der US-Regierung).

Diese Richtlinie wurde bereits von der EU aufgegriffen und hat zu einer EU-Richtlinie geführt, die von allen EU-Staaten verlangt, ebenfalls die Kernpunkte dieser Doppel-Moral einzuführen. In Italien ist ein entsprechendes Gesetz bereits Wirklichkeit. Fast wäre ein entsprechender Gesetzentwurf auch in Deutschland durchgegangen, in dem ebenfalls die Definition von „Kind“ für Alle bis 18 vorgesehen war. Siehe hierzu auch „Dossier Verschärfung Sexualstrafrecht, 1“, „Dossier Verschärfung Sexualstrafrecht, 2“ und „Hurra, sie haben es gestoppt“

Es ist also hier nicht die Rede von ein paar Spinnern, die in irgendwelchen abgelegenen und fast bevölkerungsfreien US-Bundesstaaten absurde Gesetze durchbringen, sondern um eine der mächtigsten politischen Strömungen in den Vereinigten Staaten und um angewandte Gesetze in extrem bevölkerungsreichen Bundestaaten wie Georgia und Michigan. Siehe zu Michigan auch diesen Artikel: „USA: Absurditäten des religiösen Extremismus“

Es handelt sich um eine UN-Richtlinie und um eine bindende EU-Richtlinie und in Italien auch bereits um eine Gesetz. Zweifellos hat Bush Junior als Präsident entscheidend mit zu diesen „Erfolgen“ der fanatisch-extremistischen Christen weltweit beigetragen, der ja selbst ein solcher „wiedergeborener“ Evangelikale ist.

Dabei kommt erschwerend hinzu: Wer in den USA einmal wegen irgendeinem Sexualvergehen verurteilt wurde, ist zeitlebens auf den Listen der „Sexual Offenders“, die es sowohl in vielen Staaten gibt als auch als Bundesregister. Aus diesen Listen kann jeder entnehmen, wie die Betroffenen heissen, wo sie wohnen und meistens ist auch ein Fahndungsfoto dabei. Auch Telefonnummern werden in einigen der Register angegeben. Um sich dem nicht entziehen zu können, müssen sich die „Sexual Offenders“ zeitlenens regelmässig melden und die jeweils aktuelle Wohnung angeben. Sie dürfen nicht in der Nähe von Plätzen wohnen, wo Kinder sind, wie Schulen, Kindergärten, Kinderspielpläte usw.

Dabei haben viele dieser „Sexual Offenders“ nichts anderes gemacht als Doktorspiele als Kinder, als Sex unter 18, als fremd zu gehen oder mit einer Frau aggressiv zu flirten. In Kürze werden auch, je nach Bundestaat, viele Homosexuelle unter ihnen sein. Im Moment versuchen die Fundamental-Christen in vielen Bundestaaten, den homosexuellen Geschlechtsverkehr wieder strafbar zu machen.

Um dieser Überwachung zu entgehen, flüchten viele der Registrierten und versuchen woanders und unter anderem Namen ein neues Leben aufzubauen. Die Lokal-Zeitungen und Lokal-Sender in den USA haben es sich zum Sport gemacht, solche versteckten „Sexual Offenders“ aufzuspüren und zu denunzieren.

Im Kern ist dies alles ein Angriff auf den einzigen Fortschritt, den der Kapitalismus wirklich gebracht hat: Die Werte der Aufklärung. Ihnen gegenüber wollen die Christen von Rechtsaussen ein generelles „Roll-Back“ durchsetzen, also weltweit alle Inhalte, Werte und Gesetze, die solche Werte der Aufklärung widerspiegeln, ersetzen durch solche, welche die heuchlerische Sexual-Moral der verklemmten extremistischen Christen ausdrücken. Dazu gehört die Strafbarkeit von Ehebruch, die Wiedereinführung der Strafbarkeit von Homosexualität, die völlige Verbot der Abtreibung, auch bei Lebensgefahr für die Mutter, auch bei Vergewaltigung, auch bei schweren Schäden der Leibesfrucht, das generelle Verbot jeglicher Nacktheit , das Verbot von Anal- und Oral-Sex, die Einstufung von Bildern oder Texten, der jemanden „aufreizen“ könnten, als verbotenes Porno usw usw.

Dabei unterhält man ausserdem geschlossene Anstalten, in denen jungen Männern und Frauen der Homosexualismus durch Folter ausgetrieben werden soll und andere für Kinder (Menschen bis 14), die bei irgendwelchen sexuellen Aktivitäten erwischt wurden

Interessant ist: Man wagt es nicht, diese Offensive mit Argumenten, offen und für alle sichtbar zu führen. Man versteckt sich hinter Organisationen wie der UN und der EU, man stellt sich als brave Familien-Personen dar – so wie Palin -, verschweigt aber, wie viele im Gefängnis sitzen wegen absurder Gesetze, für die man verantwortlich ist. Man weiss offenbar, würden diese Fragen offen diskutiert, würde die Absurdität jener Ansichten für alle sichtbar demaskiert. Also wird Versteck gespielt.

Auch in Deutschland hat keines der großen Medien diese Fragen angesichts der Kandidatur von Frau Palin aufgegriffen.

Wir werden uns also selbst darum kümmern müssen, dass unsere Kinder nicht demnächst als „Kinderschänder“ oder „Kinderporno-Produzenten“ angeklagt werden, wenn sie frühzeitig Sex machen oder ein paar Nacktfotos austauschen. Frau Palin, die den „Schänder“ ihrer Tochter mit offenen Armen in der Familie begrüsst, wäre dann sicherlich eine der Verantwortlichen.


Veröffentlicht am 5. September 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung

Donnerstag, 4. September 2008

Europa sinkt in diesem Moment in die Wirtschaftskrise

Deutschland ist unter den großen Ländern bereits am schlimmsten betroffen

Von Karl Weiss

Die Zahlen von Eurostat, veröffentlicht am 3. September, sind klar: Im zweiten Quartal sank das Bruttosozialprodukt (jetzt: „Brutto-Inlandseinkommen (BIE)“) der Euro-Zone um 0,2 % gegenüber der Zahl des vorherigen Quartals, von ganz Europa um 0,1% im gleichen Vergleichszeitraum. Damit tritt ein, was bereits vorausgesagt wurde: Auch die EU wird von der internationalen Wirtschaftskrise erfasst. Wird das dritte Quartal auch ein Minus ergeben, ist man auch formal in der Wirtschaftskrise, von den bürgerlichen Ökonomen schamhaft Rezession genannt.

Northern Rock Pleite


Wie bereits in diesem Artikel veröffentlicht, befinden sich Spanien, Irland und Dänemark bereits offiziell in der Wirtschaftskrise, doch die anderen Länder Europas und der EU hatten bisher noch ein geringes Wachstum aufzuweisen. Jetzt aber sinkt dieses übrig gebliebene Wachstum schnell und die ersten Länder haben bereits (für ein Quartal) den Rubikon überschritten und stehen im Minus. Die offizielle Definition der Wirtschaftskrise ist: Zwei aufeinanderfolgende Quartale im Minus beim Gross-Domestic Product (BIE), dem international verwendeten Vergleichsmaßtab, im Vergleich zum vorhergehenden Quartal

Die nun veröffentlichten Zahlen (das sind alles Schätzungen) für einzelne Länder in Europa sind (2. Quartal gegenüber 1. Quartal): Estland: - 0,9%, Deutschland und Lettland: - 0,5%, Frankreich und Italien: - 0,3%. Bei +/- 0 lagen Vereinigtes Königreich, Schweden und Niederlande. Ein deutliches Plus weisen nur noch die Slowakei (+ 1,9%), Polen (1,5%) und Tschechien sowie Litauen mit je 0,9% auf.

Zwar ist Europa als Ganzes im Jahresvergleich immer noch im positiven Bereich (Eurozone: 0,7%, EU: 0,6%), aber auch diese Zahlen sinken schnell, wenn man erst einmal in der Wirtschaftskrise ist (in diesem Quartal gab es bei beiden betrachteten Ländergruppen bereits ein Minus von 0,7 Prozentpunkten gegenüber den vorherigen Zahlen).

Übrigens rutscht auch Japan im Moment in die Krise: - 0,5% im Vergleich zum vorherigen Quartal.

Nach diesen Zahlen wird also Deutschland gegen Ende des Jahres, wenn die Zahlen des dritten Quartals veröffentlicht werden, sogar eines der ersten Länder sein, das offiziell in die Wirtschaftskrise eintritt – und vor allem: Das erste der großen EU-Länder.

Das Schönreden, die Beschwörung des Aufschwungs, die Statistikmanipulationen bei den Arbeitslosenzahlen von Frau Merkel und der ganzen grossen Koalition helfen also nicht (was auch nicht schwer vorauszusagen war): Der Export, das letzte Faden, an dem die deutsche Wirtschaft noch hing, nachdem der Inlandskonsum bereits vorher in die Miesen abrutschte, bricht in diesem Moment mit zweistelligen Minus-Raten ein.

Nun wird sich rächen, das man ausgerechnet in dieser Situation vor der Wirtschaftskrise den Inlandskonsum mit aller Macht abgewürgt hat: Millionen von Bundesbürgern wurde in prekäre Arbeit gezwungen, die einen Lohn aufweist, der nicht zum Leben reicht. Hartz IV ist das Schicksal von über 6 Millionen Deutschen.

Speziell die Familien mit Kindern und alleinerziehende Mütter werden zwanghaft in die Armut getrieben. Man braucht nur einmal den Andrang bei einer der „Tafeln“ ansehen. Frau Merkel und Herr Beck haben Riesenmengen von Geld aus der normalen Bevölkerung herausgepresst und an die Grosskonzerne ausgeschüttet.

Dazu kam die härteste Steuererhöhung für den kleinen Mann (Erhöhung der Mehwertsteyuer, die speziell die niedrig Besoldeten trifft, um etwa 20%, höchste Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik) bei gleichzeitigen Steuerkürzungen für Grosskonzerne und für Reiche.

Und – bemerkenswert, wie schlau dies Politiker-Gesindel auch noch ist - man hat die Bundestagswahlen und den Moment des grössten Impakts der Krise genau auf den gleichen Zeitpunkt gelegt: 2.Hälfte 2009. Herzlichen Glückwunsch für ihr Näschen, Frau Merkel und meine Herren Politiker! Der verdiente Lohn ist Ihnen sicher!

So erklärt sich denn auch, warum der Euro seinen Höhenflug gegen den Dollar unterbrochen hat und am gleichen Tag dieser Meldung mit dem Unterschreiten von 1,44 US-$ den niedrigsten Stand seit vielen Monaten ereichte. Das nützt natürlich dem Export jetzt auch nichts mehr, denn Exporte werden nicht im Tagesrhythmus errungen, sondern in Monaten von Arbeit.

Gleichzeitig wird erneut deutlich: Die Spekulanten glauben den offiziellen Zahlen. Obwohl alle vernünftigen Kommentaristen auch die USA bereits in der Krise sehen und den offiziellen Zahlen von 3,3% Wachstum keinen Glauben schenken, bewegt sich der Dollar gegen den Euro genau entsprechend diesen Zahlen, so als ob die USA nicht in der Wirtschaftskrise wären. Na, denn spekuliert mal hübsch weiter!

Aus diesem Artikel („FTD: Dramatischer Dollar - Verfall bedroht deutschen Export - Die Wirtschaftskrise in Deutschland wird fürchterlich“) vom 1.Dezember 2006 hier noch eine Vorhersage, die sich jetzt anfängt zu bewahrheiten:

„ (...) Nun kommt aber die Wirkung der Krise als solche dazu: Massenentlassungen, Anstieg der Zahl der Arbeitslosen (der wirklichen, die veröffentlichten Zahlen mag man manipulieren können), Kurzarbeit, Werksschließungen, Lohnkürzungen, Arbeitszeitverlängerungen usw. Das wird die Massenkaufkraft zusätzlich schwächen und weitere Prozente ausmachen, schätzen wir konservativ ebenfalls 2%. Damit sind wir bei –4%

Nun aber: Der Dollar wird nicht etwa bei 1,40 im Vergleich zum Euro stehen bleiben. Er wird bis zu 1,50 gehen. Damit bricht der deutsche Export, die einzige Hoffnung in Deutschland, weiter ein: Weitere 2%, damit kommen wir auf –6%. Das würde bereits die bei weitem tiefste Wirtschaftskrise der Geschichte der Bundesrepublik ausmachen.

Der Rückschlag der Wirtschaftskrise aus anderen Ländern käme noch dazu: Die können nicht mehr soviel deutsche Produkte kaufen, da sie selbst in der Krise stecken. Sind glatt noch einmal 2%, da sind wir auf –8%.

(...) Das kann in seinen desaströsen Auswirkungen bestenfalls noch mit der massiven Weltwirtschaftskrise verglichen werden, die 1929 begann und bis tief in die Dreißiger Jahre hinein ging – und selbst die könnte noch übertroffen werden.

Der Kommentator der Financial Times nennt es eine tektonische Umschichtung, was uns für die nächsten Jahre bevorsteht.“

Und hier aus dem gleichen Artikel auch noch die Schlussfolgerung:

Karl Marx

„Weit mehr Bundesbürger werden nun endgültig sehen: Der Kapitalismus hat keine Zukunft für sie und ihre Kinder. Ein System, das nur unermeßlichen Reichtum für eine winzige Minderheit und Arbeitslosigkeit, Krisen, Hunger, Not, Elend, Kriminalität, Krieg und Gewalt produzieren kann, muß weg! (...) Die Zeiten, als kaum einer den Kampf für nötig hielt, werden bald definitiv vorbei sein. Lebhafte, revolutionäre Zeiten stehen an!“


Veröffentlicht am 4. September 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung


Andere Artikel zur Weltwirtschaftskrise:

"Anzeichen Wirtschaftskrise?"

"Full Crash- Zweites Anzeichen Wirtschaftskrise?"

"Stehen wir am Beginn einer grossen Weltwirtschaftskrise?"

"25% Fall des Dollars?"

"Der Mini-Crash - 10 Monate zur Wirtschaftskrise?"

"Drittes Anzeichen Weltwirtschaftskrise"

"Die Zinswende der Langzeitzinsen leitet das Abgleiten in die Weltwirtschaftskrise ein."

"Viertes Anzeichen Weltwirtschaftskrise"

"Können die USA bankrott gehen?"

"Wann kommt die Wirtschaftskrise?"

"Dollar-Verfall bedroht deutschen Export – Die Krise wird fürchterlich"

"USA: Global Alpha, Red Kite, Fed-Chef, Immobilien-Crash"

"Globaler Einbruch der Börsen"

"Weltwirtschaftskrise – Der konkrete Übergang in die Barbarei"

"USA: Wirtschaftskrise beginnt"

"Hellseherei? Die Wirtschaftskrise"

"General Motors könnte pleite gehen"

"Fannie und Freddie in der Bredouille"

"Drei EU-Länder sind bereits in der Wirtschaftskrise"

"Wirtschaftskrise in den USA"

"Banken gerettet – Staat pleite?"

"Weitere gigantische Finanzmarkt-Risiken"

"Verdienen deutsche Banken Vertrauen?"

"Können Sie das glauben?"

Dienstag, 2. September 2008

Hubers und der CSU Kreuzzug gegen die Linke

Fröhliche Urständ des Primitiv-Antikommunismus

Von Karl Weiss

Einen „Kreuzzug” werde er führen gegen die “Linke” mit seiner Partei, so der CSU-Parteichef Huber. Ob er sich klar ist, mit was er seine Kampagne auf der Basis alter antikommunistischer Vorurteile da vergleicht? Nicht einmal die bayerische CSU ist mehr das, was sie einmal war. Ein solcher Lapsus wäre dem Urvater des bayerisch-deutschen Antikommunismus, Franz Josef Strauss, niemals passiert, so reaktionär und korrupt er auch gewesen sein mag. Der hatte nämlich Geschichtskenntnisse.

Der Begriff „Kreuzzug“ ist nämlich schon belegt, denn es gab in der Geschichte mehrere Kreuzzüge, im Mittelalter. Zur Verwendung dieses Begriffes heute kann man in ‚wikipedia‘ unter ‚Kreuzzug‘ lesen: „Der Begriff „Kreuzzug“ beschränkt sich nicht nur auf die historischen Kreuzzüge, sondern wird auch heute noch im übertragenen Sinn verwendet. Seine politische Verwendung ist heute hoch umstritten und wird in Europa zumeist als Entgleisung betrachtet.“

Damals war der Katholizismus (damals noch fast identisch mit dem Christentum als solchen, es hatte erst die Trennung von den Orthodoxen stattgefunden) nicht zufrieden damit, dass Jerusalem in der Hand von Arabern war und dort ein spirituelles Zentrum des Islam aufgemacht worden war.

Also rief man alles zusammen, was gerade Soldaten abstellen konnte, um sich zu einem Kreuzzug (damals nannte man das eine bewaffnete Pilgerfahrt) zu vereinen, in den Nahen Osten zu ziehen und Jerusalem für das Christentum zurückzuerobern. Man brauchte Jahre, um tatsächlich eine Streitmacht zusammenzustellen, die diese Bezeichnung verdiente. Schließlich wurde unter der Obhut und mit dem Segen von Papst Urban II. im Jahr 1095 ein Heer in Bewegung gesetzt, das sich aus Führern und Soldaten verschiedener Länder zusammensetzte. Dies wird heute als DER Kreuzzug oder der erste Kreuzzug bezeichnet.

Tatsächlich konnte man im Jahre 1099 Jerusalem erobern und begann in fürchterlichen Gemetzeln alle Araber abzuschlachten, deren man habhaft werden konnte, so zum Beispiel im Massaker von Maarat an-Numan. Aus diesem Grunde ist der Begriff „Kreuzzug“ in der arabischen Welt gleichbedeutend mit christlichem Völkermord. Insoweit war es charakteristisch, dass auch Präsident Bush diesen Begriff benutzt, um den Afghanistankrieg und den Irakkrieg zu rechtfertigen, auch er, wie Huber, ein Mensch mit nicht sehr fundierten Kenntnissen (um es freundlich auszudrücken). Die Feindschaft praktisch aller Araber war ihm damit sicher.

Für eine kurze historische Epoche setzten sich die Kreuzfahrer in Jerusalem und in vier Kreuzfahrerstaaten in dieser Region fest, genannt Outremer (anderer Name: Syrien). Die Gegenangriffe der arabischen Herrscher wurden mit Hilfe von Nachschub aus Europa (weitere Kreuzzüge) eine Zeit lang zurückgeschlagen.

Die Einrichtung dieser Staaten belegte schon, es war nur ein Vorwand, Jerusalem christlich zu machen. In Wirklichkeit ging es um ganz profane Ziele, die Ausweitung europäischer Imperien, die Verstärkung der Macht des Papstes, das Vorrücken gegen das Byzantinische Reich (so wurde Konstantinopel (Byzanz, heute Istanbul) beim vierten Kreuzzug vollständig zerstört; im Jahre 1054 war die endgültige Trennung zwischen Orthodoxie und Katholizismus verkündet worden, wobei Byzanz die Orthodoxie repräsentierte), die Absicherung der Handelswege in den Orient und allgemein gegen Einfälle von Feinden nach Europa.

1187 war die ganze Pracht zu Ende. Jerusalem wurde von den Arabern unter Saladin zurückerobert, die Christen in der Schlacht vernichtend geschlagen. Wer überlebte, flüchtete sich in Burgen, die noch widerstanden, wie dem Krak des Chevaliers (im heutigen Syrien gelegen) oder kehrte mit eingezogenem Schwanz geschlagen nach Europa zurück.

Syrien: Krak de Chevalier

Danach gab es weitere Kreuzzüge, die jene Entwicklung wieder umkehren wollten, doch sie waren durchweg ohne Erfolg, zum Teil sogar fürchterliche Desaster. Bis 1291 hielten sich einige Burgen (1271 die Übergabe des Krak des Chevaliers) und Festungen der Kreuzritter, doch danach war mit dem Fall der Stadt Akkon endgültig jeder Rest europäischer Macht im Nahen Osten ausgelöscht.

Die Kreuzzüge stellten also in jeder Beziehung negative Symbole dar, sowohl durch die unverschämte Täuschung der Teilnehmer, die mit Glaubensdingen geködert wurden, aber doch nichts als Machtpolitik in die Wirklichkeit umsetzen sollten, aber auch durch die letzendlich völlige Erfolglosigkeit bei riesigem Verlust von Menschenleben sowohl im Adel als auch unter den Soldaten, durch die Massaker und versuchten Genozide in diesem Zusammenhang, durch die Zerstörung der christlichen Stadt Konstantinopel und viele andere negative Erinnerungen.

In diesem Artikel „Am Ende werden wir weg sein“ wurde denn auch schon kommentiert: „Erinnern sich heute die Europäer der Kreuzzüge, so tun sie dies bestimmt nicht mit Stolz, sondern mit Unverständnis. ´Wie konnten unsere Vorfahren so etwas Schwachsinniges tun?´ Die Kreuzzüge sind zu einer kuriosen Fussnote der Geschichte geworden, an die man sich kaum erinnert, und wenn, dann eher mit Spott über die Primitivität der damaligen Anschaungen.“

Wenn Huber und die CSU ihre Kampagne einen Kreuzzug nennen, ob sie sich dann bewusst sind, sie geben ihr den Namen eines der grössten und desaströsesten, ja, eines historischen Fehlschlages der ganzen europäischen Geschichte?

Nun, in gewisser Weise ist dieser Name natürlich wirklich angebracht. Nicht nur, weil die Kampagne zum Fehlschlag werden wird, sondern auch weil man mit völlig überholten Inhalten arbeitet. Man appeliert an antikommunistische Vorbehalte, die bestenfalls noch bei den klassichen CSU-Wählern ziehen – doch die sollten ja nun eigentlich nicht die Zielgruppe sein, oder? Die „Linke“, das sei ein ‚Kader-Geschwader‘ – das ist ein schlagendes Argument, nicht? Kaum je etwas aufrüttelnderes gehört.

Und da kommt dann natürlich auch immer wieder die dumme Frage nach der Zusammenarbeit mit der Ost-CDU, ja sogar deren Einverleibung. Wenn die SED, aus der ein Teil der heutigen „Linken“ hervorging, der Leibhaftige selbst war, dann war die Ost-CDU doch ein Unterteufelchen. Wieso dann die Zusammenarbeit? Ist es nicht gerade die Zusammenarbeit, die man der SPD (schon im voraus) übelnimmt? Also, wie halten es CDU und CSU mit ihrem Ost-Teil?

Zusammenfassend: Danke, Herr Huber, für diese Wortwahl. Das hat es allen erleichert, das richtig zu sehen.


Veröffentlicht am 2. September 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung

Montag, 1. September 2008

US-Angaben über Wachstum extrem unglaubwürdig

Es wird gefälscht, dass es eine Art hat

Von Karl Weiss

Ein Artikel der „Financial Times Deutschland“ (FTD) ironisiert in sarkastischer Weise die Veröffentlichung der US-Regierung, im zweiten Quartal 2008 habe es ein Wachstum des Bruttosozialprodukts (genau: Gross National Product, GNP) von 3,3% gegeben. Der Titel des Artikels spottet über die Anleger: „Sie wollen es immer noch glauben“ und im weiteren wird mit knallharten Zahlen belegt: Die US-Wirtschaft ist bereits in der Krise, das Erfinden von angeblichem Wachstum soll davon nur ablenken.

Housing Slump

Im Einzelnen wird dargelegt: „...die nichtagrarische Beschäftigung im zweiten Quartal [ist] mit einer Jahresrate von 0,6 Prozent gefallen (...) Die Baubeginne haben neuerlich um knapp elf Prozent nachgelassen, und der Autoabsatz ist im Vergleich zum Vorquartal sogar mit einer annualisierten Rate von einem Viertel eingebrochen. Der US-Ölverbrauch ist im ersten Halbjahr so stark gesunken wie seit 26 Jahren nicht mehr.“ Außerdem ist die Industrieproduktion um 3,2 % gesunken in diesem Quartal. Da hilft es auch nicht, dass die Exporte erneut nominal anstiegen (kein Wunder bei den niedrigen Dollarkursen), denn aus alldem kann unmöglich wirtschaftliches Wachstum entstehen.

Der Export stellt ja in den USA nicht einen der ganz großen Wirtschaftsfaktoren dar wie in Deutschland, sondern nur einen relativ geringen.

Auch das Budget-Defizit (Relation Staatseinnahmen/Staatsausgaben) ist ein 'Fake'. Es soll angeblich unter 3% betragen, während die OECD diesen Wert, der die Neuverschuldung des Staates im Jahr darstellt, bereits auf wahrscheinliche 5,5% des BIP (Brutto-Inlands-Produkt) geschätzt hat. Auch daneben kennt die FTD noch eine Anzahl von Wirtschaftsdaten, die lächerlich manipuliert sind, aber wir haben hier weder Zeit noch Muße, uns im Einzelnen die genauen Begründungen anzuhören.

USA: Foreclosure Zwangsversteigerung

Kurzum: Die US-Regierung, die schon einen „geringfügigen Fehler“ machte, als sie den Irak wegen Massenvernichtungswaffen überfiel, die dann gar nicht da waren, manipuliert die Wirtschaftsdaten des Landes, wie es ihr gefällt. Denn all diesen Zahlen, veröffentlicht kurz nach Ende des Zeitraums (in diesem Fall 2. Quartal 2008) sind Schätzungen. Und schätzen kann man, was man will.

Und sie schafft es tatsächlich, so unglaublich dies klingen mag, die Anleger zu täuschen: Sie investieren (zumindest kurzzeitg) erneut in US-Aktien, in US-Dollar-Bonds. Auf sie bezieht sich denn auch die Überschrift: „Sie wollen es immer noch glauben.“

Immobilienkrise USA

Wir kennen das ja auch aus Deutschland, wo man sich Zahlen von 3 Millionen Arbeitslosen aus den Fingern saugt, während weiterhin fast sechs Millionen in Hartz IV stecken.

Sind die Präsidentenwahlen in den USA erst einmal gelaufen, wird der neue Präsident im Januar eingeführt, wird es sich zeigen: Im Falle der Kontinuität wird man weiterhin massiv verfälschen. Wird die Opposition gewählt, wird der neue Präsident am Anfang nicht wissen, wie man die Zahlen zurechtbiegt. Es wird, exakt mit seinem Amtsantritt, einen massiven zahlenmässigen Wirtschaftseinbruch geben. Und dann soll noch irgendeiner sagen, er sei nicht Schuld daran.

Bereits in diesem Artikel wurde vorhergesagt: "... in einem Jahr, in dem ein neuer Präsident gewählt wird. Man darf erwarten: Die statistischen Zahlen werden manipuliert werden, um das offensichtliche Eintreten in die Krise auf nach den Wahlen zu verschieben, ..."

So ist das, wenn alle Hemmungen gefallen sind, wenn niemand mehr Angst hat, entlarvt zu werden, weil alle bürgerlichen Medien (fast immer) gleichgeschaltet sind.

Bush

Wenn alle Scham endgültig zur Seite gelegt ist, wenn nur noch der Zynismus herrscht, das ist der endgültige Beginn der kapitalistischen Barbarei. Das zynische Lügen und Verdrehen im Grossmassstab, das breite Grinsen, während man peinliche Befrager zu solchen Dingen mit Gewalt abführen lässt, das wird mehr und mehr das Markenzeichen der Politik der kapitalistischen Oligarchien und ihrer Politiker.

Lassen wir sie unsere Kraft spüren!


Veröffentlicht am 1. September 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung

Sonntag, 31. August 2008

Brasilien jenseits von Fussball und Samba - Teil 10: Sivam - Big Brother in Amazonien

Teil 10: SIVAM - Big Brother in Amazonien

Von Elmar Getto

Es war bereits das größte Geschäft aller Zeiten genannt worden. Das war es wohl nicht, aber für das Entwicklungsland, das es zahlen mußte, war es Teil des gewaltigen Anstiegs der Staatsverschuldung in den 90er Jahren. Brasilien wurde dazu gebracht, für offiziell etwa 1,4 Milliarden Dollar (wahrscheinlich aber einschliesslich der Peripherie-Systeme und Flugzeuge mehr als 9 Milliarden Dollar) ein System der Überwachung des Amazonasgebietes zu kaufen, das sich jetzt als völlig unbenutzbar für Brasilien herausstellt, aber den USA die völlige Kontrolle über dieses Gebiet Tausende von Kilometern außerhalb der US-Grenzen garantiert.

Brasilien (topographisch)

Das erste Mal, daß man vom Projekt SIVAM (Sistema de vigilância de Amazônia, Amazonienüberwachungssystem) gehört hat, war 1992 auf der Welt-Umwelt-Konferenz RIO 92, in der es als Beweis für die angeblichen ‚ungeheuren Anstrengungen’ der Großmächte zum Umweltschutz vorgeführt wurde. Aus heutiger Sicht kann man es als sicher ansehen, daß es offizielle Stellen der USA waren, die diese Idee in das Treffen einführten, sei es direkt oder indirekt.

Verschiedene Umweltschutzorganisationen priesen das Programm als „richtungsweisend“ (Man sehe sich immer genau an, wer hinter "Umweltschutzorganisationen" steckt, "Greenpeace" zum Beispiel hat sich letzthin mehrfach mit Grosskonzernen ins Bett gelegt, "Rettet den Regenwald" betreibt - bewusst oder unbewusst - das Geschäft der Ölkonzerne).

Es war der konzentrierte Ausdruck der ganzen hoffnungsvollen Situation, die in jenem Jahr herrschte. Der Block der zweiten Supermacht, der Sowjetunion, wie auch sie selbst, waren zusammengebrochen und man glaubte weithin, nun würde eine Zeit des weltweiten Friedens anbrechen - jedenfalls alle, die noch an den Kapitalismus glaubten.

Regenwald

Die Belange des Umweltschutzes und des Kampfes gegen die Drogen würden endlich die ihnen zustehenden Prioritäten bekommen. SIVAM schien auf den ersten Blick der Plan gewordenen Ausdruck dieser Hoffnungen zu sein.

Es geht um das Gebiet des Amazonas-Urwaldes. Zum einen wurde bereits damals hemmungslos und ungebremst abgeholzt und abgebrannt (interessant, nicht wahr, wie lange zurück das alles schon so war und bekannt war). Zum anderen ist das Amazonasgebiet der Hauptumschlagplatz des Kokain-Schmuggels aus Kolumbien und Peru nach den USA und Europa.

SIVAM Slide 7

Ein Überwachungssystem, sei es auf Radar- oder Satellitenbasis, würde dem Einhalt gebieten können. Würde man erst einmal in Echtzeit wissen, wo im Moment gerade gefällt und abgebrannt wird, könnte man das auch unterbinden. Würde man auf den Bildschirmen ablesen können, wo die Kleinflugzeuge landen und mit der Drogenfracht beladen werden, die mit Booten herangeschafft wurden, um dann nach Mittelamerika ausgeflogen zu werden, so würde die entscheidende Basis des Drogenhandels mit Leichtigkeit außer Gefecht gesetzt werden können.

Wer weiß, dass es in Wirklichkeit Kapitalismus und Imperialismus sind, die beides verursachen, nicht mangelnde Technik, war damals schon skeptisch.

So wurde das System damals, 1992, vorgestellt. Es wäre bereits zu jener Zeit möglich gewesen, die richtigen Fragen zu stellen, die dieses System schnell und offensichtlich hätten suspekt werden lassen, aber in der allgemeinen Euphorie wollte wohl niemand Spielverderber sein.

Es wurde behauptet, das System sei offen und jeder, der die technologischen Fähigkeiten hätte, könne einen Kostenvoranschlag einreichen. Später würde die billigste technisch durchführbare Lösung ausgewählt werden. Und es wurde so getan, als würden die Großmächte, allen voran die USA, das System zahlen. In Wirklichkeit – und das hätte einem aufmerksamen Beobachter damals schon auffallen können – wollten sie lediglich Kredite „zu üblichen Bedingungen“ bereitstellen, wer zahlte, sollte Brasilien sein, das heißt der brasilianische Steuerzahler.

SIVAM Slide 2

Als – Jahre später – SIVAM verwirklicht wurde und die Kredite flossen, waren sie wichtiger Teil des Anstiegs der brasilianischen Staatsverschuldung, die sich zwischen 1994 und 2002 verdoppelte, z.T. auch deshalb, weil der Dollar ständig mehr Wert wurde als der brasilianische Real. Heute ist sie völlig jenseits jeglicher Bezahlbarkeit, eine entsetzliche Bürde auf dem Rücken des ganzen brasilianischen Volkes, das Ende jeglicher Hoffnung auf jedwede Besserung für die jungen Brasilianer. Nicht nur wegen der hohen Summe der Gesamtverschuldung (etwa 600 Milliarden Euro), sondern vor allem wegen der hohen Zinsen. Kann sich Deutschland z.B. jederzeit Geld für etwa 3% Zinsen pro Jahr aufnehmen, muß Brasilien 20% zahlen!

Zunächst kam die Verwirklichung von SIVAM nicht voran. Man hätte schon hoffen können, der Plan bliebe in der Schublade wie so viele in Brasilien. Der damalige Präsident Collor wurde wegen Korruption abgesetzt und der Vize-Präsident Franco übernahm das Zepter. Er hatte anderes zu tun als das Amazonasgebiet mit Radarstationen vollzustellen, er mußte mit einer Inflation fertigwerden, die bis auf 40% im Monat stieg. Tatsächlich gelang es 1994 mit dem ‚Plano Real’, die Inflation in den Griff zu bekommen. Die Dankbarkeit der Brasilianer hierfür war ausschlaggebend dafür, daß bei den anschließenden Wahlen der dafür zuständige Minister Cardoso zum Präsidenten gewählt wurde.

Dessen acht Jahre währende Amtszeit wurde zu einer der größten Katastrophen für das Volk in der brasilianischen Geschichte. Nicht nur, daß die Last der öffentlichen Schulden sich verdoppelte, es wurden auch alle vom Internationalen Währungs Fond (IWF) geforderten Auflagen befolgt.

Telecomsivam

Dazu gehörte
  • die Privatisierung einer großen Zahl staatlicher Unternehmen,
  • der (fast) gesamten Elektrizitätzwirtschaft,
  • der größten Minengesellschaft des Landes (und eine der größten der Welt) Compania do Vale do Rio Doce (CVRD) und
  • des gesamten Telekommunikationssektors,
  • der erfolgreichen Flugzeugfirma Embraer,
  • die Vollendung der weitgehenden Privatisierung des Erziehungswesens,
  • die Berechtigung der ausländischen Konzerne, ihre Gewinne ins Ausland zu schaffen, bevor Gewinnsteuer abzuführen war (und sie damit fast völlig von Steuern zu befreien),
  • die gleichzeitige massive Erhöhung der Steuerlast für kleinere brasilianische Unternehmen und die Beschäftigten,
  • die Liberalisierung des Bankenwesens (Präsident Cardoso kam selbst aus einer Bankiersfamilie) mit der Übernahme der Verluste Pleite gegangener Banken,
  • die Öffnung des Kapitalmarktes für die ausländische Spekulation (was weitere gigantische Erhöhungen der Schulden hervorrief),
  • die Öffnung der Privatisierungen für ausländische Investoren (was einigen französischen und spanischen Konzernen zu märchenhaften Gewinnen auf Kosten der brasilianischen Bevölkerung verhalf) und
  • eine vollständige Untätigkeit gegenüber der zum Regelfall werden Korruption.
Es gibt im Gegenteil klare und deutliche Anzeichen, daß die Regierung Cardoso selbst tief im Sumpf der Korruption steckte.

Während dieser 8 Jahre wurden die Löhne und Gehälter der Lehrer und Hochschullehrer nicht erhöht, wodurch sie durch die Inflation mehr als halbiert wurden. Zusätzlich wurden die Leistungsüberprüfungen des öffentlichen Schulsystems abgeschafft. Beide Maßnahmen zusammen haben das öffentliche Schul- und Hochschulsystem Brasiliens, das vor dem Beginn der Militärdiktatur 1964 das Paradepferd der Administration war, (mit wenigen Ausnahmen) zu einem Desaster werden lassen, das heute nicht mehr den geringsten Anforderungen genügt.

Während dieser 8 Jahre stieg die Kriminalitätsrate, speziell im Zusammenhang mit dem Drogengebrauch und –handel, steil an und hat Brasilien zu dem Land mit den höchsten Gewaltraten der Menschheit gemacht. Wesentlich hierfür war, daß die Hintermänner des Drogenhandels, alle selbst Teil der herrschenden Schicht Brasiliens, ohne Ausnahme unbehelligt blieben.

Während dieser 8 Jahre vervielfachte sich die Spanne des Einkommensunterschiedes zwischen Brasiliens Superreichen und der armen Bevölkerung, ohne daß auch nur ein winziger Teil der riesigen Ressourcen des Landes eingesetzt worden wäre, um diese Spanne zu verringern.

Während dieser acht Jahre wurde das System SIVAM gekauft und installiert und das Geld dafür und für die Zinsen und Zinseszinsen aus der brasilianischen Bevölkerung herausgepreßt, während gleichzeitig staatliche Unternehmen zu einem Tausendstel oder einem Millionstel ihres Wertes an private und ausländische Anleger verschleudert wurde (die CVRD z.B. wurde zu einem Preis verhökert, der – 1 Jahr vor der Versteigerung - etwa dem Gewinn EINES MONATS dieser Gesellschaft entsprach).

In den Jahren 1993 und 1994 wurde darüber beraten, welches der angebotenen Systeme man für das SIVAM verwenden würde. Es kann aus heutiger Sicht als sicher gelten, daß von Anfang an nur das vom US-amerikanischen Raytheon-Konzern angebotene in Erwägung gezogen worden war. Wahrscheinlich war das Ganze eine Idee aus der Raytheon-Gruppe, von offiziellen US-amerikanischen Stellen ins Gespräch und die Rio-92-Konferenz gebracht, um dem Rüstungskonzern ein sagenhaftes Geschäft zu verschaffen.

Amazonas

Es wurden Berichte in brasilianischen Zeitungen veröffentlicht, in denen davon die Rede war, wie brasilianische Regierungsbeamte und deren Familien in konzerneigenen Jets des Raytheons-Konzern herumgeflogen wurden. Ebenso sind diverse Einladungen zu üppigen Mahlzeiten berichtet wurden. Das dürfte aber mit Sicherheit nur die Spitze des Eisbergs von dem sein, was an Bestechungsgeldern und –vorteilen geflossen ist. Ein Abgeordneter stellte sogar einmal die Frage, woher eine von ihm vermutete phantastische Zunahme des Reichtums von Präsident Cardoso kam, aber all dies wurde in der Öffentlichkeit nicht weiterverfolgt.

Der auffallendste Hinweis auf Korruption in diesem Zusammenhang kam aus dem Mund eines der selbst hundertfach der Korruption angeklagten Politikers, dem alten Haudegen der brasilianischen Politik, dem getreuen Abbild von Franz Josef Strauss, Antonio Carlos Magalhães, kurz ACM genannt, dem reaktionärsten Politiker seiner Zeit in Brasilien. Er war zu dieser Zeit in Bedrängnis geraten, weil in zwei Parlamenten, dem Bundesparlament und dem Landesparlament seines Heimat-Bundeslandes Bahia Untersuchungsausschüsse eingerichtet worden waren, die Korruptionsvorwürfe gegen ihn und mit ihm verbundenen Politikern prüfen sollten. Offensichtlich hatte er sich in seiner Sorglosigkeit dazu hinreißen lassen, einige seiner Bereicherungsaktionen nicht ausreichend mit „Geheimschutz“ zu versehen.

Brasilien: Soja-Pflanzungen auf Regenwald-Gelände

Im Jahr 1995 trat er nun plötzlich mit Drohungen auf. Er habe Beweise für Korruption im Zusammenhang mit SIVAM und es würde schlimm für die Bundesregierung aussehen, wenn er diese an die Öffentlichkeit brächte. Dies stand damals in vollem Wortlaut in der Zeitung. Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß ACM mit seiner Partei PFL selbst Teil der Koalition war, die die Regierung stützte.

Kurz darauf berichtete die „Folha de São Paulo“, die größte Tageszeitung Brasiliens, daß geheime Verhandlungen stattgefunden hätten und Regierung und ACM sich auf einen Kompromiß geeinigt hätten: Die Regierung würde mit ihren Mehrheiten die beiden Untersuchungsausschüsse „ohne Ergebnis“ beenden und ACM würde seine Beweise nicht an die Öffentlichkeit bringen. Tatsächlich wurden die beiden Untersuchungsausschüsse beendet, ohne daß sie Belastendes gegen ACM gefunden hätten und ACM kam nie wieder auf das Thema „SIVAM“ zurück. Die „Folha“ wurde nie wegen Verleumdung angeklagt.

Es muß also als extrem wahrscheinlich, wenn nicht als bewiesen gelten, daß es wirklich eine solche Vereinbarung gegeben hat. Damit wäre dann auch beweisen, daß die Vergabe von SIVAM an Raytheon wirklich auf Korruption beruhte.

Regenwald-Abholzung Brasilien

Dafür gibt es auch noch andere Hinweise. Das Raytheon-System war nämlich das teuerste der in der Konkurrenz verbliebenen. Sowohl eine russische als auch eine französische Firma hatten ebenfalls Vorschläge für Überwachungssysteme der Amazonasregion eingereicht (Auch die deutsche Dasa, die aber schon in einer frühen Phase wegen eines zu teuren Ansatzes ausschied). Diese beiden Systeme beruhten auf der Überwachung durch moderne Satelliten, eigens für das System in eine geostationäre Umlaufbahn gebracht, während das Raytheon-System im wesentlichen auf 20 großen Radarstationen im Urwald selbst sowie weiteren in 99 Flugzeugen aufbaute und eine Satelliten-Unterstützung nur als Absicherung vorgesehen war. Dazu muß man wissen, daß Raytheon der wichtigste Hersteller von kompletten Radaranlagen auf der Welt ist.

Das US-System kostete – einschließlich der ganzen Computerausrüstung und unter Zuhilfenahme von radar- und kamerabestückten Flugzeugen – fast 1,4 Milliarden Dollar. Die beiden Systeme aus Rußland und Frankreich wurden – einschließlich der Computerausrüstung zur Auswertung und eigener Satelliten - billiger angeboten. Der Site
http://www.american.edu/TED/SIVAM.HTM
ist zu entnehmen, daß das russische Angebot nur ein Drittel des Raytheon-Systems gekostet hätte.

Da mußte schon ein wichtiger Grund gefunden werden, um das teure System zu nehmen. Zunächst gab es nur allgemeine Aussagen, das US-System sei das einzige, das den Anforderungen gerecht würde. Als dann aber einige Abgeordnete nach Frankreich und Rußland gereist waren und in der brasilianischen Öffentlichkeit nach Erklärungen verlangte (von ihnen kam auch die Information, daß die beiden Voranschläge billiger waren), rückte man mit einer Begründung heraus: Sattelitengestützte Systeme könnten nicht durch die Wolken sehen und über dem Regenwald ist es fast ständig bewölkt, da sei nur ein radargestütztes System geeignet. Klang zunächst einleuchtend und das Thema verschwand aus der öffentlichen Diskussion.

Inzwischen weiß man, daß moderne Satelliten-Aufklärung u.a. mit Infrarot-Kameras arbeitet, die sehr wohl durch Wolken sehen kann. Der Grund war also vorgeschoben. Es muß andere Gründe gegeben haben, warum Brasilien zu viel ausgab, um dieses Überwachungssystem zu installieren. Weder die damalige Bundesregierung Brasiliens noch die darauffolgende Lula-Regierung haben hierzu je Auskunft gegeben.

Es muß nach menschlichem Ermessen davon ausgegangen werden, daß ein Teil dieser Millionen auf den Konten sowieso schon reicher Brasilianer gelandet ist.

Aber selbst das ist noch nicht alles. Aus Meldungen der Zeitung „Folha“ aus der damaligen Zeit ging hervor, daß die Kosten des Systems in Wirklichkeit viel höher seien. Es wurde von bis zum 10-fachen gesprochen. Ein Teil der Anlagen und Flugzeuge sei einfach nicht in das „SIVAM“ genannte System einbezogen worden, sondern liefe unter anderem Namen, so daß seine Kosten nicht als Kosten des Systems erscheinen. Auch wegen dieses Artikels wurde die „Folha“ nie verklagt.

Noch mehr: Während ein satellitengestütztes System naturgemäß wenig Unterhaltskosten verursacht, sind die boden- und flugzeuggestützten Radarsysteme ein hoher laufender Kostenfaktor. Die Radarstationen (und der Zugang zu ihnen) müssen ständig gewartet und freigehalten werden, ein großer Teil der 8 Jets 99 Propeller-Flugzeuge muß ständig in der Luft gehalten werden. Die Kosten allein für die Flüge sowie die Wartung der 8 Jets und 99 Propeller-Flugzeuge sind schon horrend.

Im einzelnen werden auf einer Website http://www.militarypower.com.br/frame4-opin8.htm
über das System folgende Komponenten angegeben: 6 Satelliten, 19 fixe Radarstationen, 6 transportable Radarstationen, 3 regionale Überwachungszentren, 200 Umweltüberwachungsstationen, 70 meteorologische Stationen, 300 Radiosender, 940 V-Sat-Empfangsstellen, 5 Jet-Flugzeuge EMB 145, 3 Jet-Flugzeuge EMB 145 SR und 99 Propeller-Flugzeuge ALX.

Fast scheint es so, als hätten wir hier ein Land vor uns, bei dem es auf Kosten nicht so genau ankommt.

Nun, so sagt man sich, selbst wenn es so ist, jetzt gibt es wenigstens ein Überwachungs-System und der Drogenhandel und die Regenwald-Vernichtung werden unterbunden.

Schön wärs!

Am 25. Juli 1997 wurde offiziell der Baubeginn des Systems verkündet. Das System ist inzwischen installiert. Im Jahr 2002 wurde der erste Teil eingeweiht, seit Mitte 2002 ist auch die Zentrale mit der ganzen Computerauswertung in Manaus fertig. Am 18. Oktober 2004 wurde das System als zu 98% in Funktion gemeldet und der erste Test des Gesamtsystems wurde erfolgreich abgeschlossen. Seitdem ist das SIVAM völlig aus den Medien Brasiliens und der Welt verschwunden.

Es gibt da auch noch ein gewisses Detail dieses Plans, das wenig Beachtung gefunden hat, aber eine Erklärung für das völlige Fehlen von Ergebnissen des Systems geben kann: Das System SIVAM steht unter der Überwachung der Regierung der USA. Alle Daten laufen zunächst in einem Raum zusammen, der ausschließlich von den USA genutzt werden kann. Erst danach werden diese Daten an die brasilianischen Auswerter weitergegeben. Sollte die US-Regierung aus irgendwelchen Gründen bestimmte Daten nicht an die Brasilianer (und eine eventuelle Öffentlichkeit) weitergeben wollen, tut sie es nicht.

Harsche Kritik an diesem Konzept kam speziell von einem Fachmann, dem Physiker und emeritierten Professor der Stattlichen Universität von Campinas (UNICAMP), Rogério Cerqueira Leite:
http://www.scielo.br/scielo.php?pid=S0103-40142002000300010&script=sci_arttext&tlng=pt

Er wies besonders darauf hin, daß ein Projekt dieser Größenordnung und von strategischer Bedeutung (es erfaßt etwa 60% des Staatsgebietes von Brasilien) nicht mit einer Technik hätte realisiert werden dürfen, deren Implikation ist, daß eine ausländische Macht das Erst-Zugangsrecht hat. Er berichtet außerdem, daß die Gesamtkosten fast 1,8 Milliarden US-Dollar betragen.

Wie es zu dieser US-Connection kam, wird klar, wenn man noch einmal in die Anfangszeit des Projektes zurückgeht. Die ersten, die das Projekt gefordert haben, waren nämlich die brasilianischen Militärs. Sie stellten fest, daß Brasilien über einen wesentlichen Teils seines Territoriums nur eine begrenzte Souveränität hat. Angesichts der schwierigen Umstände im Amazonasgebiet, der geringen Bevölkerungsdichte, der praktisch nicht vorhandenen Straßenverbindungen und des Zugangs ausschließlich über Schiffe und Fluggeräte, sei mit normalen militärischen Mitteln dieses Gebiet praktisch nicht zu verteidigen. Es sei daher ein Überwachungssystem notwendig.

Im nächsten Gedankenschritt wird dann gesagt, daß, selbst wenn man ein Überwachungssystem hat, ein Land wie Brasilien nicht die Möglichkeit hat, ein solch riesiges Gebiet gegen einen eventuellen Aggressor zu verteidigen. Dazu sei nur eine Großmacht fähig. Und welche Großmacht kommt in Frage? Nur die Vereinigten Staaten von Amerika! Da komme es dann recht, daß „rein zufällig“ eine US-Firma einen Vorschlag für ein Überwachungssystem vorgelegt hat. Die Verwendung dieses System würde dann auch sicherstellen, daß die USA im Ernstfall diesen Teil Brasiliens verteidigen würden.

Nun, jedem aufgeklärten Zeitgenossen stehen bei dieser Argumentation die Haare zu Berge, wenn man nur an den Irak denkt. Auch muß man natürlich in diesem Zusammenhang sehen, daß US-Truppen (und vor allem Söldner) im benachbarten Kolumbien eine Krieg gegen aufständische Guerrillas führen.

Vor allem aber wird mit dieser Argumentation widerlegt, daß eine Ausschreibung unter fairen Bedingungen stattgefunden hat. Die US-Regierung hätte ihren „Verteidigungs-Anteil“ an brasilianischem Gebiet offensichtlich nicht übernommen, wenn nicht das Angebot der US-Firma angenommen worden wäre. Auch damit ist also bewiesen, daß hier eine beachtliche Menge von schmutziger Wäsche herumliegt.

Die brasilianischen Medien, in den Händen derselben Kaste, die aus solchen Aufträgen Nutzen zu ziehen pflegt, zeigt nicht die geringste Lust, zur Aufklärung und zum Waschen dieser Wäsche beizutragen - wen wundert's.

Wer interessiert ist, ein wenig in die Details des technisch sicherlich extrem interessanten Systems einzusteigen, der kann mit der Site (auf Englisch) http://web.mit.edu/12.000/www/m2006/kvh/sivam.html
anfangen, auf der von Raytheon-Leuten das System vorgestellt wird. Wenn man SIVAM (auf Englisch) googelt, kommen noch eine Menge anderer Sites. Wer einen unkritischen Artikel auf Deutsch will, kann ihn unter http://www.brasilienportal.ch/index.cfm?nav=12,3,13,20,380
finden.

Nun, so fragen sich natürlich der Fachmann und der Laie, was hat das Ganze nun gebracht? Ist der Drogenschmuggel über das Amazonasgebiet unterbunden worden? Ist das Abbrennen und Abholzen des Amazonas-Urwalds gestoppt?

Nichts dergleichen!

In den letzten Jahren und Monaten, seit SIVAM voll funktionsfähig ist und es ein leichtes gewesen wäre, die Flugpisten und Flugzeuge mit den Drogen zu orten und aufzubringen, ist in Brasilien nicht ein einziger größerer Drogentransport aufgeflogen – jedenfalls gibt es nichts in den Medien, weder dort noch anderswo. Offensichtlich kann niemand ein Interesse haben, solche Erfolge geheimzuhalten.

Man kann also davon ausgehen, daß wirklich keine Drogentransporte aufgeflogen sind. Wie soll man das verstehen? Man kauft und installiert eines der teuersten Systeme der Welt, um es anschließend nicht zu benutzen? Oder funktioniert es vielleicht gar nicht? Extrem unwahrscheinlich. In dieser Hinsicht dürfte Raytheon zuverlässig sein.

Gibt es in den USA oder Europa Meldungen über extreme Verknappungen und Preisanstiege von Kokain? Nein, auch nicht im Gegenteil, das Angebot von Kokain hat sich in den entwickelten Ländern seitdem erhöht. Der „Export“ über das Amazonasgebiet geht also weiter.

Dann bleibt nur eine Erklärung (falls einer eine logische andere hat, es können jederzeit Kommentare geschrieben werden): Die US-Administration benutzt das SIVAM anscheinend ausschließlich, um seinem CIA das Monopol über den Kokain-Handel zu sichern, nicht um ihn zu unterbinden. Es ist ja seit dem Buch des Aufklärungsjournalisten Garry Webb aktenkundig, daß ein wesentlicher Teil des Kokain-Schmuggels aus Peru und Kolumbien vom CIA unternommen wird. Garry Webb mußte für diese Entdeckungen sterben.

Falls überhaupt entsprechende Meldungen an brasilianische Stellen weitergegeben werden, kann auch hier das Eingreifen „höherer Stellen“ Brasiliens, um ihre eigenen Drogentransporte zu schützen, nicht ausgeschlossen werden.

Und das Abbrennen und Abholzen?
Sind doch nun ständig Flugzeuge mit Infrarot-Detektoren unterwegs, die innerhalb kürzester Zeit jede größere illegale Aktion orten können.

Gerade vor kurzem ging erneut die Meldung durch den Blätterwald, daß die Regenwaldvernichtung im Amazonasgebiet im letzten Jahr alle Rekorde gebrochen hat. Dabei ist interessant, daß diese Zahlen nicht etwa aus einer SIVAM-Auswertung stammen, sondern von einem brasilianischen meteorologischen Institut, das schon seit vielen Jahren mit Wettersatteliten solche Auswertungen vornimmt. Es wurde und wird also offensichtlich innerhalb des SIVAM-Systems von Anfang an verhindert, daß Daten und Informationen über die Regenwaldvernichtung gesammelt und weitergegeben werden.

Das ergibt auch einen Sinn, wenn man weiß, daß es ja vor allem eben jene Mächtigen in Brasilien sind, die Profit aus den Hölzern und dem Soja-Anbau und den Viehweiden auf abgebrannten Regenwaldflächen ziehen. Diese Mächtigen haben natürlich auch das System SIVAM in der Hand (jedenfalls das,was die US-Stellen durchlassen) und können dafür sorgen, daß sie dort nicht gestört werden.

Die Regierung Lula, wenn wir ihr nicht unterstellen wollen, daß sie selbst in solche Aktivitäten verwickelt ist, tut nichts dagegen. Auch das ergibt einen Sinn, denn Lula muß sich ja mit genau diesen Mächtigen Brasiliens gut stellen, will er Gesetze durchbringen und will er vermeiden, daß seine Dekrete von den Parlamentariern niedergestimmt werden.

Das alles ergibt also in perfekter Weise einen Sinn. Das einzige, was keinen Sinn ergibt, ist SIVAM, außer natürlich für die Raytheon und für die Geldgeber, die dicke Zinsen und Zinseszinsen einstreichen. Und natürlich die herrschenden Schichten in Brasilien, die nun noch ungestörter dem Regenwald den Garaus machen können. Nicht zu vergessen der CIA, der jetzt das Kokain-Transport-Monopol hat. Ah, und da ist natürlich noch die US-Regierung, die jetzt die praktische Souveränitat im Amazonasgebiet ausübt, viele tausend Kilometer außerhalb der US-Grenzen.

Alles bezahlt vom brasilianischen Steuerzahler – mit Zins und Zinseszins und Zinseszinseszins und...


Hier stelle ich einen der wichtigsten Artikel der Brasilien-Reihe von Elmar Getto in mein Blog, der ursprünglich am 15. Juni 2005 in der 'Berliner Umschau' (damals Rbi-aktuell) veröffentlicht wurde. Er hat sich bereits mehrfach as extrem notwendig und aktuell erwiesen, vor allem deshalb, weil die gesamte bürgerliche Medienwelt, sei es in den USA, in Brasilien oder in Deutschland, so tut, als gäbe es kein SIVAM. Er ist vom Autor leicht redigiert und aktualisiert.


Hier die Links zu allen Teilen der Reihe „Brasilien jenseits von Fussball und Samba“

- Teil 1: „Wie der Amazonas zu seinem Namen kam“

- Teil 2: ‚Menschenfresser-Country’

- Teil 3: „Ausgerottete Künstler“

- Teil 4: Niemeyer ist 100 – ‚Auf dem Höhepunkt des Schaffens’

- Teil 5: Brasilien und Gold

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Montag, 25. August 2008

Der erste Hilfsgüterkrieg der Menschheit

Westliche Schiffe zu angeblichen Manövern ins Schwarze Meer beordert / Auch Bundesmarine vor Ort

Von Karl Weiss

Die NATO hat eine beträchtliche Ansammlung von Kriegsschiffen ins Schwarze Meer geschickt, offenbar als Machtprobe gegenüber Russland, zuerst unter dem Vorwand, Hilfsgüter nach Georgien zu bringen, dann als scheinbares „Manöver“. Nur war das Manöver nicht angekündigt!

Fregatte Lübeck

Das muss man der verbrecherischen Kaste der bürgerlichen Politiker wirklich lassen: Im Tarnen und Täuschen, Erfinden von Scheinbegründungen, von Ablenkungsmanövern, von vorgeschobenen oder erfundenen Vorwänden, um die Öffentlichkeit zum Narren zu halten, und manchmal auch im offenen Lügen, sind sie wirklich Weltmeister.

Da gab es Saddams „Massenvernichtungswaffen“, die es dann doch nicht gab, da wurde Afghanistan überfallen, weil man dort angeblich Osama Bin Laden suchen wollte, später wurde die dortige Mission zu einer humanitäre Hilfsleistung umgewidmet, nachdem sich der Bösewicht angeblich nicht finden liess. Nur hat man es bis heute nicht geschafft, uns zu erklären, warum bei ‚humanitären Missionen’ Hunderte oder Tausende von Zivilisten dran glauben müssen.

Serbien wurde in die Steinzeit zurückgebombt, weil man den armen verfolgten Albanern im Kosovo helfen wollte, nicht weil man Milosevic ablösen und einen dem Westen geneigten Politiker an der Macht sehen wollte.

Wirkliche oder von den eigenen Geheimdiensten inszenierte Terroranschläge geben den Vorwand zum Abbau demokratischer Rechte ab, denn man weiss, all den Sozialabbau werden sich die Menschen auf Dauer nicht gefallen lassen.

Nun hat man etwas Neues erfunden, im Grunde ebenso leicht zu durchschauen wie die oben angegebenen Täuschungen: Der Hilfsgüterkrieg.

Der erste Versuch dazu wurde früher in diesem Jahr gestartet, als Burma (Myanmar) von einem verheerenden Taifun heimgesucht worden war. Der „Westen“, sprich die US-Regierung und alle in ihrem Hintern, erklärte, man wolle Hilfsgüter für die armen Burmesen mit Kriegsschiffen in dortigen Häfen anlanden.

Es standen genügend grosse Flughäfen in der Nähe des Katastrophengebietes zur Verfügung und ein Kriegsschiff hat, wie bekannt, keinen Laderaum für Güter. Benachbarte Länder hatten bereits Lastwagenkolonnen in Bewegung gesetzt, um die Hilfsgüter von den Flughäfen ins Katastrophengebiet zu bringen, aber die Angebote wurden vom „Westen“ schnöde zurückgewiesen Es war offensichtlich, man wollte alles andere als Hilfsgüter bringen.

Ob man wirklich eine Landung von Truppen durchgeführt und Myanmar dem Einfluss Chinas entrissen hätte oder ob nur eine massive militärische Muskelprotzerei vorgesehen war im Unterfangen, die Militärjunta dort einzuschüchtern, bleibt dahingestellt. Es kam nicht zu all dem, denn das bluttriefende Militärregime dort untersagte das Einlaufen der Kriegsschiffe in die Hoheitsgewässer.

Nun ist der zweite Versuch eines Hilfgüterkriegs unterwegs. Mehrere Geleitzüge von bis zum Kragen bewaffneten Kriegsschiffen der NATO fahren in diesem Moment ins Schwarze Meer oder kamen schon dort an.

Die „Welt“ schreibt am 23.8.08:

„Eine Prozession westlicher Kriegsschiffe dampft durch den Bosporus ins Schwarze Meer, um Hilfsgüter nach Georgien zu transportieren. Am Donnerstag waren es laut Medienberichten ein spanisches Schiff und die deutsche Fregatte "Lübeck", Freitag folgten zwei US-Schiffe, darunter ein Lenkwaffenzerstörer. Insgesamt sollen sich sieben Kriegsschiffe aus Deutschland, Spanien, Polen und den USA an der Aktion beteiligen. Auch eine Beteiligung Rumäniens, der Ukraine und Bulgariens sei denkbar. Die Transporte sorgen für lebhafte Diskussionen in der Türkei und in Russland. In Russland, weil selbst einige wenige kleinere US-Schiffe angesichts ihrer modernen Bewaffnung als Bedrohung für die russische Schwarzmeerflotte gesehen werden, die vor der georgischen Küste patrouilliert. Außerdem könnten die Luftabwehrwaffen der US-Schiffe einen Teil des georgischen Luftraums abdecken.“

Die indische Zeitung „Indiatimes“ zum gleichen Thema, ebenfalls am 23.8.08:

“A top Russian general accused NATO on Saturday of using humanitarian aid deliveries to Georgia as "cover" for a build-up of naval forces in the Black Sea.

"Under the cover of needing to deliver humanitarian goods, NATO countries continue to boost their naval grouping," Anatoly Nogovitsyn, deputy chief of general staff, told a news conference in Moscow.

"In addition to the Spanish and German frigates that entered the Black Sea basin on August 21, yesterday a Polish frigate and a destroyer of the US navy passed the Bosphorous," he said. "I don't think that this will help stabilise the situation in the region."

NATO says it is holding long-planned exercises, involving US, German, Spanish and Polish vessels, in the Black Sea and that this is not linked to the conflict in Georgia. The exercises, which will include visits in Bulgaria and Romania, began on Thursday and are due to end on September 10.

A US frigate is due to join in the exercises later this week, a NATO spokeswoman said. In addition, the US navy is sending several ships, led by the destroyer USS McFaul, to Georgia with what the Pentagon says are deliveries of humanitarian aid.”

Raketenkreuzer Almirante de Bourbon

“Ein hoher russischer General hat die NATO am Samstag bezichtigt, humanitäre Hilfsgüterlieferungen nach Georgien als Vorwand für den Aufbau von Flottenpräsenz im Schwarzen Meer zu verwenden. Anatoly Nogovitsyn, stellvertretender Kommandierender der „Nachschub-Truppen“, sagte auf einer Pressekonferenz in Moskau: „Unter dem Schutz der Notwendigkeit, humanitäre Hilfsgüter zu liefern, fahren die NATO-Länder fort, ihre Konzentration von Kriegsschiffen im Schwarzen Meer zu vergrößern.

„Zusätzlich zu der deutschen und der spanischen Fregatte [er hält das spanische Kommandoschiff für eine Fregatte, aber es handelt sich um einen extrem modernen Lenkwaffen-Zerstörer mit Stealth-Eigenschaften], die am 21. August in das Schwarze Meer fuhren, haben gestern [22. August] eine polnische Fregatte und ein Zerstörer der US-Marine den Bosporus passiert.“ sagte er, “ich glaube nicht, das wird die Situation in der Region stabilisieren.“

Die Nato erklärt, es fände ein lange vorbereitetes Marine-Manöver im Schwarzen Meer statt, das US-, polnische, deutsche und spanische Schiffe umfasst, und das nichts mit dem Konflikt in Georgien zu tun hat.Das Manöver hätte am Donnertag begonnen, schliesse auch Schiffe Rumäniens und Bulgariens ein und würde am 10 September enden.

Eine US-Fregatte würde die Übungen später in dieser Woche begleiten, sagte eine Sprecherin der Nato zusätzlich. Ausserdem würde die US-Marine eine Anzahl von Schiffen schicken, unter Führung des US-Zerstörers Mc Faul, in Richting auf Georgien, mit humanitären Hilfsgütern.

Soweit die Indiatimes.

U-Boot-Zerstörer Pulaski

Noch am gleichen Tag, dem 23. 8., bringt die Marine-Pressestelle der Bundesmarine eine Pressemitteilung heraus, in der sie abstreitet, die Fregatte Lübeck sei Teil des Geschwaders der Hilfslieferungen. Sie würde vielmehr zu „lange geplanten“ Manövern ins Schwarze Meer geschickt.

Die Frage der langen Planung jener Manöver wird also nun zum Knackpunkt der Glaubwúrdigkeit der NATO. Die Recherchierexperten von world-content-news nun, die Fachleute darin sind, sagen in diesem Artikel (https://worldcontent.twoday.net/stories/5140638/),
die deutsche Fregatte „Lübeck“ habe noch am 4.8.08 folgende Voraussicht für ihre weiteren Einsatz erhalten: "Nächste Woche wird der SNMG 1-Verband ins östliche Mittelmeer verlegen und dort weiter den Seeraum überwachen." [SNMG 1 ist die Nato-Flotte, der die „Lübeck“ zugeteilt ist.] Kein Wort von einem Manöver im Schwarzen Meer.

Auch gibt es internationale Verinbarungen über die Ankündigung von Manövern 3 Wochen vorher, um Manöver von kriegsbereiten Truppenkonzentrierungen unterscheiden zu können. Auf den entsprechenden Web-Sites gibt es keinerlei Ankündigung eines Manövers von Nato-Schiffen im Schwarzen Meer für diese Woche!

Kurz, die Ausrede mit dem Manöver, nachdem die mit den Hilfsgütern nicht mehr zog, ist eine glatte LÜGE der Nato.

Wer an irgendeiner Stelle die Ankündigung des Manövers doch gefunden haben sollte, möge sich hier im Kommentar melden.

Warum sind Konzentrationen von grossen Kriegsschiffen, wie sie im Moment im Schwarzen Meer stattfinden, eine so kriegsmässig interessierende Sache?

Ein typischer Flottenverband, der üblicherweise aus einem Sclachtschiff, einem Flugzeugträger, einer ungenannten Anzahl von U-Booten sowie einer Anzahl von Unterstützungs-Schiffen, wie Fregatten, U-Boot-Zerstörern und Nachschubschiffen besteht, hat eine Feuerkraft, die nur mit ganzen Divisionen von Landtruppen oder Schwadronen von Kampfflugzeugen verglichen werden kann.

Konfliktbeladenes Ex-Imperium

Deshalb werden Manöver, speziell See-Manöver vorher angemeldet und veröffentlicht.

Allerdings haben die USA bzw. deren Verbündete in letzter Zeit bereits mehrfach internationale Vereinbarungen glatt ignoriert. Wer der „Herr der Welt“ ist bzw. dessen Verbündeter, braucht schliesslich auf nichts mehr Rücksicht zu nehmen, oder?

Das begann damit, dass die US-Regierung den Vertrag von Kyoto zur Veringerung des CO2-Ausstosses einfach aufkündigte, den sie selbst mit ausgehandelt und unterschrieben hatte, auch wenn der bei weitem nicht ausreichend war. Seitdem war es nicht möglich, irgendeine Vereinbarung gegen den Klimawandel zu schliessen.

Damit ist in Zukunft die Unterschrift eines US-Präsidenten nicht mehr das Papier wert, auf dem sie steht.

Als nächstes wurde dokumentiert, wie israelische Kampfflugzeuge einen mit einem riesigen roten Kreuz gekennzeichneten Krankentransport-Wagen unter Raketenbeschuss nahmen.

Damit werden sich Krankenwagen-Fahrer in Zukunft zweimal überlegen, ob sie Verletzte in Krisengebieten ins Krankenhaus fahren oder lieber überleben wollen.

Auch US- und verbündte Verletzte würden da zu Opfern solcher Taten.

Das nächste war die faktische Aufkündigung des Atomwaffensperrvertrages. Die Verpflichtung der Atomwaffenstaaten, diese abzurüsten und niemals Nicht-Atomwaffenstaaten mit Atomwaffen anzugreifen oder damit zu drohen, wurde zu den Akten gelegt. Heute ist es offizielle NATO-Strategie, auch Nicht-Atomwaffen-Staaten mit solchen zu drohen und ggf. einzusetzen. Damit kann es sich kein Land, das etwas auf sich hält, mehr leisten, keine Atomwaffen zu haben. Das atomare Wettrüsten der ganzen Welt wurde eingeleitet. Ob das der alleinigen Führerschaft der USA auf der Welt zuträglich ist, sei dahingestellt.

Als nächstes kam der Bruch des Schutzes des Rot-Kreuz-Symbols als nichtbewaffnete Einheit durch den wichtigsten Verbündeten der US-Regierung in Südamerika, Kolumbien. Bei der Befreiungsaktion der Geisel Bettancourt wurde dies Symbol verwendet, obwohl es sich um bewaffnete Truppeneinheiten gehandelt hatte. Damit wird sich auf der ganzen Welt die Praxis verbreiten, auch dann zu schiessen, wenn ein Rotes Kreuz aufgemalt ist, was die Versorgung von Kriegverletzten weitgehend unmöglich machen wird.

Jetzt also auch der Bruch der internationalen Verienbarung über die Ankündigung von Manövern.

Damit erhöht sich die Kriegsgefahr überall auf der Welt, denn jeder Truppenaufmarsch, jedes Zusammenziehen von Kriegsschiffen, jede grössere Bewegung von Kriegs-Flugzeugen wird in Zukunft als Bedrohung und möglichen Kriegvorbereitung gedeutet werden müssen. Was die NATO kann, können die anderen schon lange, oder?

Offenbar war das Spiel mit den Hilfsgütern den Spielern zu heissgeworden. Es wäre extrem einfach gewesen nachzuweisen, de meisten Schiffe des Flottenverbandes, der da ins Schwarze Meer schwappte, waren vorher gar nicht in einem Hafen gewesen, wo sie Hilfsgüter hätten aufnehmen können. So wurde das ganze, das Muskelspiel mit einer beträchtlichen NATO-Flotte im Schwarzen Meer, schnell als Manöver umintepretiert.

Was da im Schwarzen Meer zusammentrifft, ist zwar ohne Flugzeugträger und Schlachtschiff, aber auch so eine beträchliche Bedrohung fúr jeden Anlieger des Meeres, das eigentlich vor solchen Bedrohungen gefeit sein sollte, nach einer internationalen Vereinbarung, wie wir unten noch sehen werden.

Die deusche Fregatte Lübeck ist ein U-Boot-Jäger und hat dazu eine Anzahl Kanonen, Torpedos und zwei Hubschrauber an Bord. Es ist das ideale Schiff im Einsatz gegen andere Schiffe, nicht nur U-Boote – und damit gegen die russische Schwarzmeerflotte.

Das spanische Kommandoschiff der Flotte SNMG1 der Nato, der Raketenkreuzer „Almirante Juan de Bourbon“, ist eines der modernsten Kriegsschiffe Europas, er gilt als U-Boot-Zerstörer, kann aber weit mehr.Vor allem hat er Raketenwerfer und kann mit ihnen „Cruise Missiles“ und andere Raketen abschiessen, die von einer Position in der Nähe der russischen Schwarzmeerküste bis nach Moskau fliegen könnten. Er ist schwer am Radar auszumachen, denn er ist mit Stealth-Technolgie ausgerüstet. Die besteht darin, möglichst wenig glatte Schiffswände dem Radar entgegenstrecken und möglichst viele um 45 Grad geneigte Wände, die Radarstrahlen nur noch zum Teil zurückwerfen, zum grossen Teil aber ablenken. Der Effekt ist, auf dem Bildschirm scheint es sich um ein Fischerboot zu handeln, während da in Wirklichkeit ein todspeiendes Ungehäuer liegt.

Dazu kommt der US-Zerstörer Mc Faul, der ebenfalls „Cruise Missile“ und andere Raketen abschiessen kann, das einzige Schiff, das als Bringer von Hilfsgütern übrig geblieben ist.

Ein anderer Zerstörer dort ist das polnische Schiff „General G. Pulaski“, ein ehemaliges US-Schiff (USS Clark), das man nun unter polnischer Flagge fahren lässt, was die Zahl der US-Schiffe erhöht, ohne unter das US-Kontingent zu fallen.

Noch unter US-Flagge fáhrt dagegen der Lenkwaffen-Zerstörer „USS Taylor“, der ebenfalls zur Flotte gehört, die da eine Drohszenerie aufbauen soll, laut der US-Nachrichtenagentur Associated Press.

Da war noch nicht die Rede von den bulgarischen, den rumänischen und den Schiffen der Ukraine, die ebenfalls dazustossen werden und sowieso schon im Schwarzen Meer sind.

Dann gehört da noch ein weiteres US-Schiff mit dem Namen „Dallas“ zum Flottenaufmarsch, das als Küstenwachschiff bezeichnet wurde. Tatsache ist, dass dort in griechischen Gewässern, gleich vor dem Eingang der Dardanellen, das Atom-U-Boot liegt, das auch den Namen „Dallas“ hat – und damit ist keine Fernsehserie gemeint.

Ein US-Atom-U-Boot im Schwarzen Meer würde allerdings eine extrem ernsthafte Bedrohung Russlands darstellen, denn es könnte von dort aus ohne Vorwarnzeit alle Millionenstädte Russlands mit jeweils einer 20-Megatonnen-Wasserstoffbombe auslöschen.

Da bliebe Russland nur noch die atomare Antwort gegen die USA, was zusammen das Ende der Menschheit bedeuten würde, wie wir sie kennen.

Nun, im Moment kann man wohl davon ausgehen, dass man „nur“ ein gewaltiges Muskelspiel unmittelbar vor der russischen Schwarzmeerküste aufführen will, nach dem Motto: „Russland kusch, sonst wirst du hinweggefegt!“



Ob das den beabsichtigten Zweck erfüllt, darf bezweifelt werden. Wenn es aber darum geht, neue Spannungen zu schüren, um immer neue Krisenherde zu schaffen und mit der steigenden Kriegsgefahr beabsichtigt ist, die Bevölkerung ruhig zu halten, so kommt man den wirklichen Absichten wahrscheinlich näher, denn man rutscht in eine Weltwirtschaftskrise ab.

Dieses Szenario scheint bereits selbst innerhalb der Bundesmarine auf Widerstand oder jedenfalls Bedenken gestossen zu sein. Jedenfalls wurde am Sonntag, den 24.8.08 gemeldet, der Kommandant der Fregatte „Lübeck“ sei (offenbar am Vortag) abgelöst, der neue Kommandant bereits eingeflogen und eingesetzt worden. Und das mitten in einem Übungseinsatz im NATO-Verbund im Schwarzen Meer. Das hat es noch nie gegeben.Es ist aber auch möglich, dass die Zeitung ein bereits zurückliegendes Ereignis wie ein aktuelles verkauft hat.

Nun, der Hilfsgüterkrieg hat wohl bisher erst die Phase der Drohgebärden erreicht, aber alle Kriege fangen so an.



Der nächste internationale Vertrag, der bereits droht, in der Luft zerissen zu werden, ist die Konvention von Montreux aus dem Jahre 1936 . Damals einigte sich die Gemeinschaft der Anliegerstatten des Schwarzen Meeres mit der Türkei, die den Einfahrt ins Schwarze Meer am Bosporus kontrolliert auf eine Höchstzahl von Bruttoregistertonnen, die Kriegsschiffe von Nicht-Anrainern des Schwarzen Meeres dort auffahren dürften. Zu jenem Zeitpunkt war nach Italien und Deutschland auch Spanien faschistisch geworden und man befürchtete, von den Achsenmächten auch über Schiffe im Schwarzen Meer angegriffen zu werden.

Der Vertrag hielt selbst in den schlimmsten Zeiten des 2. Weltkriegs. Sollte es sich aber wirklich um das Atom-U-Boot „Dallas“ handeln, ist er auch schon Schall und Rauch.


Veröffentlicht am 25. August 2008 in der Berliner Umschau

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